tag:blogger.com,1999:blog-59807166302217374572024-03-28T07:33:35.638+01:00Soziologenkram - Notizen über Gott und die WeltSoziologenkram - Notizen über Gott und die Weltpotlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.comBlogger49125tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-7546654648527969262024-02-09T17:26:00.024+01:002024-03-21T00:31:37.232+01:00Teil 1: Einleitung der Postserie über den Neuaufbau in Westdeutschland und Erinnerungskultur an NS-Zeit nach 1945 (Stand: 21.03.2024)<div style="text-align: center;">NS-Parade Duisburg - Innenstadt Duisburg 1945 nach Bombenabwürfen (links oben Rathausturm) - Zwangsarbeiter auf Dortmunder Zeche
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEizkG3kVM7fYCvSFDPmoXaOFG2A0oz8YvQHDWusmfao-6ad78aK8CiWH39VVL_lCCv2Hd2MfT8StEw0rSwwzhpaEZY0QpwjZhREVIqbeMVtlHBPvlBnzGXpzIUa2d6KZkHIecG0JhZF3Wfl5gyDEBlEqG269ZegKZE8FvbrOL0eLPxdlZnfgsEmlAEbRrs/s640/Zwangsarbeiter%20auf%20einer%20Dortmunder%20Zeche.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="423" data-original-width="640" height="178" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEizkG3kVM7fYCvSFDPmoXaOFG2A0oz8YvQHDWusmfao-6ad78aK8CiWH39VVL_lCCv2Hd2MfT8StEw0rSwwzhpaEZY0QpwjZhREVIqbeMVtlHBPvlBnzGXpzIUa2d6KZkHIecG0JhZF3Wfl5gyDEBlEqG269ZegKZE8FvbrOL0eLPxdlZnfgsEmlAEbRrs/w320-h178/Zwangsarbeiter%20auf%20einer%20Dortmunder%20Zeche.jpg" width="280" /></a>
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</div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">
Dieser Post befasst sich in mehreren Teilen mit exemplarischen Aspekten von Erinnerungskultur an NS-Zeit im Kontext des Zweiten Weltkriegs und des politischen Neuaufbaus Westdeutschlands nach 1945. <ul style="text-align: left;"><li>Hier vorliegender Teil 1 erklärt als <i>Einleitung </i>die Motivation der Entstehung dieses Textes, beschreibt Struktur und Perspektiven der Betrachtung und stellt Zusammenhänge her.</li><li>Teil 2 schaut im Kontext des Zweiten Weltkriegs auf Aspekte von Erinnerungskultur an NS-Zeit an Beispielen von <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2024/02/teil-2-kriegswirtschaft-zwangsarbeit.html" target="_blank">Kriegswirtschaft, Zwangsarbeit, Verbrechen der Wehrmacht</a></i>. <br /></li><li>Teil 3, <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2024/02/teil-3-politischer-wirtschaftlicher.html" target="_blank"><i>Politischer, wirtschaftlicher, mentaler Neuaufbau </i><i>in Westdeutschland </i><i>und Erinnerungskultur nach 1945</i></a>, betrachtet das Leben im Nachkriegsdeutschland unter Aspekten des Neuaufbaus, der Aufarbeitung von NS- und Kriegsverbrechen, der praktizierten Erinnerungskultur.</li><li>Die Sensibilität der Thematik verlangt Belege beschriebener
empirischer Sachverhalte. Ziffern in Klammern verweisen auf Anmerkungen. Um den Lesefluss nicht zu stören,
sind Anmerkungen und Quellenangaben als Endnoten eingerichtet und in einem separaten Post dokumentiert. Teil 4: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2024/02/anmerkungen-teile-1-bis-3-der-postserie.html" target="_blank">Anmerkungen der Teile 1 bis 3</a></i> </li></ul><span><a name='more'></a></span> </div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsverzeichnis des Gesamttextes <br /> </b></div><div style="text-align: left;"><b>Teil 1: Einleitung zur Postserie<br /> </b></div><div style="text-align: left;"><b>Teil 2: Kriegswirtschaft, Zwangsarbeit, Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg</b><br />1 Einleitung Teil 2<br />2 Stadt Duisburg und Ruhrgebiet im Zweiten Weltkrieg (1939-1945)<br />3 Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs<br />3.1 Zwangsarbeit in Duisburg während der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs<br />4 Die eigene Familie im Zweiten Weltkrieg<br />4.1 Familie der Mutterlinie<br />4.2 Familie der Vaterlinie<br />5 Kriegsverbrechen der Wehrmacht<br />6 Ende des Zweiten Weltkriegs<br />6.1 Flucht von NS-Kriegsverbrechern auf 'Rattenlinien' und Rolle der Kirchen<br /> </div><div style="text-align: left;"><b>Teil 3: Neuaufbau und Erinnerungskultur in Westdeutschland</b> <b>nach 1945 </b></div><div style="text-align: left;">1 Einleitung Teil 3: Alltagsleben im Nachkriegsdeutschland<br />2 Aufarbeitung von NS- und Kriegsverbrechen: „Ein Täter und 60 Millionen Gehilfen“<br />2.1 Entnazifizierungs- und Kriegsverbrecherverfahren<br />2.2 Beispiele des Umgangs mit Verantwortung und Schuld in Rechtsprechung und Politik<br />3 Restart mit Amnesie und Amnestie in runderneuerter politischer Kultur<br />3.1 Schlussstrichpolitik unter Konrad Adenauer: „<i>Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat</i>“
<br />3.2 Haltung der Bundespräsidenten 1949-1994 <br />3.3 Amnestiepolitik nach 1945</div><div style="text-align: left;"><span style="background: transparent;">3.4 Der Verjährungsskandal
1969 der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger</span>
<br />4 Schlussbetrachtung<div style="text-align: left;">4.1 Was war?</div><div style="text-align: left;">4.2 Was ist? </div><div style="text-align: left;">4.3 Was bleibt? </div><div style="text-align: left;">4.4 Was wird? <br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><b>1 Einleitung zur Postserie</b></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nach dem Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag von Siegermächten festgeschriebene Demütigungen Deutschlands bereiteten den Boden für die Ausbreitung des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren. Nach der Machtübernahme begann NS-Politik unter breiter Zustimmung deutscher Eliten und deutscher Bevölkerung mit der gezielten Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs. Der Zweite Weltkrieg ging als Fortsetzung des Ersten Weltkriegs und größter militärischer Konflikt in die Kulturgeschichte ein. Der Versuch, "(...) <i>das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln</i>".<span style="font-size: x-small;">(1)</span></div><div style="text-align: left;"> <br />Kriegsgreuel und Genozide sind keine deutsche Spezialität, sondern ubiquitäre globale Phänomene. Ebenso ist Antisemitismus kein deutsches Privileg, sondern ein tief im kollektiven Bewusstsein verwurzeltes Phänomen des christlichen und islamischen Kulturraums und daher ein internationales Phänomen. Antisemitismus wurzelt in Rassismus. Weißer Rassismus bezieht seine sozialdarwinistischen Begründungen natürlicher Überlegenheit aus der ab dem 15. Jahrhundert einsetzenden globalen Expansion europäischer Kultur und dem mit ihm einhergehenden kolonialen Imperialismus. </div><div style="text-align: left;"><br />Deutscher Nationalsozialismus ist ein Teil dieser Geschichte. Neuartig sind jedoch Qualität rassenpolitischer Genozide sowie mit ihm verknüpfte Ursachen und Konsequenzen. Gemäß nationalsozialistischer Denkweise sollte das 'deutsche Wesen' nicht nur seine von Siegermächten missachtete Würde zurückerhalten, sondern das deutschen Volk sollte als Herrenrasse den ihm vermeintlich zustehenden Platz an der Spitze der Evolution besetzen. Das deutsche Volk war in weiten Teilen für diese Perspektive schnell zu begeistern. Ein großer Teil der deutschen Elite verlieh sozialdarwinistischen Ideologien mit pseudo-wissenschaftlichen und kulturtheoretischen Argumenten Glaubwürdigkeit. </div><div style="text-align: left;"><br />Nicht nur in Deutschland konnten sich in zahlreichen Ländern trotz Einsichten in Irrtümern keine relevanten Erinnerungskulturen der Aufarbeitung historischer Fehlentwicklungen durchsetzen. Unter Blinden ist der Einäugige König. Die deutsche Aufarbeitung der NS-Zeit wird in Vergleichen oft als vorbildlich bezeichnet, aber überbewertet. Bei genauerer Betrachtung sind Defizite nicht übersehbar: <ul><li>Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand in Deutschland kein allgemeines Interesse an der Aufarbeitung der NS-Zeit. Sie wurde Deutschland von der internationalen Staatengemeinschaft aufgezwungen und war im Hinblick auf internationale Anerkennung als Nationalstaat für Deutschland alternativlos.</li><li>Eliten und die Normalbevölkerung haben die Aufarbeitung prinzipiell abgelehnt oder sie unterlaufen und in Anbetracht offenkundiger Fakten nur im nicht vermeidbaren Umfang widerwillig akzeptiert. </li><li>Die Aufarbeitung beschränkte sich auf kollektive Akteure wie Großkonzerne sowie auf bedeutende öffentliche Institutionen und Organisationen. In deren Namen handelnde individuelle Akteure hat die Aufarbeitung zu Lebzeiten der Akteure weitgehend verschont. In den meisten Konzernen, Institutionen, Organisationen setzte eine ernsthaft betriebene Aufarbeitung erst nach dem Tod von Führungspersönlichkeiten der NS- und Nachkriegszeit ein. Kleinere und mittelständische Einrichtungen haben sich an der Aufarbeitung i.d.R. nicht beteiligt bzw. sich als Opfer inszeniert.</li><li>Während zum Holocaust und zu Vernichtungslagern weitgehend Konsens über schuldhaftes Verhalten besteht, werden individuelle Erfahrungen von Unrecht der NS-Zeit in Form von
Zwangsarbeit der Kriegswirtschaft, Kriegsverbrechen der Wehrmacht und
Entnazifizierungsverfahren der Nachkriegszeit von aktiv oder passiv beteiligte Zeitzeugen systematisch vergessen, verdrängt, geleugnet. </li><li>Bezüglich der Schuldfrage sprachen sich allerdings weite Teile der Bevölkerung als
Opfer der Führung eines verbrecherischen Systems von eigener Schuld frei
und bemühten sich, eigenes Verhalten der NS-Zeit zu verschweigen und zu
leugnen. Eingeständnisse von Fehlverhalten, Irrtümern, Schuld blieben
individuelle Ausnahmen. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Exemplarisch zeigen Zwangsarbeit in deutscher Kriegswirtschaft und Reinigungsprozesse der Nachkriegszeit wie Abwehrmechanismen kollektiv wirksam werden. Weitgehend unaufgearbeitet und dem allmählichen Vergessen überlassen sind Kriegsverbrechen der Wehrmacht. Wissenschaftlich sind Sachverhalte von Zwangsarbeit aufgearbeitet. In
der Alltagskommunikation werden sie überwiegend ignoriert. Individuelles
Schweigen war vermutlich nicht frei von Scham. Ohne Zustimmung,
Tolerierung, Duldung wären Sachverhalte des Unrechts in monumentaler
historischer Monstrosität nicht möglich gewesen. Damit ist nicht gesagt,
dass repressive Zwangsarbeit und brutale Lagerwirtschaft in der
gesamten Bevölkerung akzeptiert oder begrüßt wurden. Zustimmung oder
Opportunismus vermengten sich individuell variierend mit Überzeugung,
Begeisterung, Gleichgültigkeit, Angst. Diese Mischungen erzeugten in
ihren jeweiligen Zusammensetzungen stärkere Wirkungen als ethische
Bedenken.</div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Eigene Vorfahren und die gemeine Bevölkerung waren mit individueller Aufarbeitung des Unrechts überfordert. Politische, ökonomische und intellektuelle Eliten entzogen sich aufgrund eigener Verstrickungen und pragmatischer Nutzenkalküle weitgehend der Aufarbeitung von Unrecht. Sie stellten sich ihrer Verantwortung nur unter Druck von außen und i.d.R. nur fragmentarisch ohne Eingeständnis persönlicher Verantwortung und Schuld. Lebensinstinkte sind gewöhnlich stärker als ethische Prinzipien. Eliten, die Bevölkerung und Vorfahren der Kriegsgeneration haben Schulden ihres Fehlverhaltens nicht getilgt und als Hypotheken an Nachkriegsgenerationen vererbt. </div><div style="text-align: left;"><br />Verdrängung ist ein Mechanismus des psychischen Selbstschutzes, aber Verdrängung macht Traumata nicht ungeschehen, sodass sie an anderer Stelle aufbrechen und Schäden anrichten. Überlebende des Zweiten Weltkriegs sind oft von schweren Traumata betroffen. Als Kriegsenkel<span style="font-size: x-small;">(2)</span> bezeichnete Kinder dieser Generation sind indirekt mitbetroffen, weil nicht überwindbare Tabuzonen der Sprachlosigkeit das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern belasten, die Entwicklung von Urvertrauen<span style="font-size: x-small;">(3)</span> in der Sozialisation von Kindern verhindern und Entfaltungen von Potentialen der Lebensbewältigung behindern. Exemplarische Erwähnung verdienen zwei besonders krasse Fälle:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Autor und Journalist Niklas Frank (geboren 1939)<span style="font-size: x-small;">(4)</span> ist ein Sohn des NS-Politikers Hans Frank (1900-1946), der als „Schlächter von Polen“ in die Geschichte eingegangen ist und im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 zur vollstreckten Todesstrafe verurteilt wurde.<span style="font-size: x-small;">(5)</span> Seit den 1980er Jahren arbeitet sich Niklas Frank in mehreren Büchern am persönlichen Schicksal seine Familie ab, ohne zur Ruhe zu kommen.<span style="font-size: x-small;">(6)</span> In seinem letzten Buch von 2023 wertet er die Art der in Deutschland praktizierten öffentlichen Gedenk-Symbolik als eine verlogene Alibi-Erinnerungskultur, bzw. als „Krokodilstränen“ von Tätern, die lediglich der eigenen Beruhigung und der Besänftigung von Opfern dienen und betrachtet die Entwicklung der rechten politischen Szene in Deutschland mit großer Sorge.<span style="font-size: x-small;">(7)</span></li><li>Die Kulturwissenschaftlerin Anita Sauckel ist eine Urenkelin von Fritz Sauckel (1894-1946), der als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz die Deportierung von ca. 7,5 Millionen Fremdarbeitern für die deutsche Kriegswirtschaft organisierte.<span style="font-size: x-small;">(8)</span> Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 war Fritz Sauckel u.a. neben Hans Frank einer der 24 Hauptangeklagten und wurde zur vollstreckten Todesstrafe verurteilt. In einem Interview der Süddeutschen Zeitung beschreibt Anita Sauckel ihre drei Generationen später als Urenkelin erlebten Qualen.<span style="font-size: x-small;">(9)</span> </li></ul></div><div style="text-align: left;">Dem Autor dieses Textes geht es nicht um Recherchen und Beschreibungen isolierbarer Sachverhalte, sondern um Kontexte und ihre Strukturen. Komplexe Zusammenhänge sind schwierig wahrzunehmen und zu verstehen, daher erfordert ihre Analyse Auflösungen in isolierbare Elemente, Sachverhalte bzw. Konstellationen, Prozesse. Entscheidend ist jedoch, wie diese Komponenten orchestrierend ineinandergreifen und Weltsichten erzeugen, die Auffassungen von Realität erzeugen und menschliches Verhalten steuern. <br /> </div><div style="text-align: left;">Um Bedeutungen von beschriebenen Zusammenhänge zu verstehen, sind einige abstrakte Überlegungen hilfreich. Kollektive Handlungen erfordern kollektiven Konsens über normative Wertvorstellungen politischer und weltanschaulicher Ideologien. Reichweiten politischer und weltanschaulicher Ideologien sind begrenzt. An Grenzen zwischen politischen und weltanschaulichen Ideologien bestehen Konfliktpotentiale, die sich zwischen kollektiven Ordnungssystemen zu Kriegen ausweiten können. Mit Mitteln von Gewalt ausgetragene kollektive Konflikte in Dimensionen von Kriegen beruhen auf kontrollierten Handlungen organisierter Kollektive, die Konsens über dogmatische politische und weltanschauliche Ideologien vermeintlich rechtfertigt. In Deutschland fanden rassenideologische Ansichten vermeintlicher Überlegenheit der arischen Rasse und deren existenzielle Bedrohung durch minderwertige Rassen, Weltjudentum und Bolschewismus ausreichend breiten Konsens, um der Judenvernichtung und weiteren Genoziden zuzustimmen und einen totalen Krieg<span style="font-size: x-small;">(10)</span> für unausweichlich zu halten. <br /><br /></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-56716753921054250482024-02-08T08:22:00.008+01:002024-03-06T20:36:24.516+01:00Teil 2: Kriegswirtschaft, Zwangsarbeit, Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg (Stand: 18.02.2024)<div style="text-align: left;"><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiD3iVplAZK-xyGsD41HST2Rs-JS242d8bzSFL1F_8juU0fyUDHDAEYs890kfKeJGDyJynl9gRLlbdhGFg4s7oDpDwFnPh4prrorglSy98Ip7w_zToWSncevQmShE5bou6R3-gZcKPivCGLs_vXM6XdjVxXvQljt-YTL1yHisoLIG9FsXGuTt6zp6SyNI8/s1200/Zwangsarbeiter%20aus%20der%20Sowjetunion%20im%20Lager%20Meinerzhagen%201945.jpeg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="525" data-original-width="1200" height="140" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiD3iVplAZK-xyGsD41HST2Rs-JS242d8bzSFL1F_8juU0fyUDHDAEYs890kfKeJGDyJynl9gRLlbdhGFg4s7oDpDwFnPh4prrorglSy98Ip7w_zToWSncevQmShE5bou6R3-gZcKPivCGLs_vXM6XdjVxXvQljt-YTL1yHisoLIG9FsXGuTt6zp6SyNI8/s320/Zwangsarbeiter%20aus%20der%20Sowjetunion%20im%20Lager%20Meinerzhagen%201945.jpeg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion<br />im Lager Meinerzhagen 1945<br /></td></tr></tbody></table>
Teil 2 fokussiert im Kontext des Zweiten Weltkriegs bis zu dessen Ende im Jahr 1945 auf den Lebensraum der eigenen Familie im Industrierevier des Duisburger Nordens und dokumentiert Ergebnisse von Recherchen, die sich mit Zwangsarbeit als ein verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte sowie als Tabuthema eigener Familiengeschichte befassen. Auf Sachverhalte von Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs traf der Autor des Textes im Rahmen eigener Familien- und Heimatforschung am westlichen Ende des Kohlerevier des Ruhrgebiets im Duisburger Norden. Ein weiterer Fokus dieses Kapitels liegt auf Kriegsverbrechen der Wehrmacht und das Ende des Zweiten Weltkriegs.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span> </div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsverzeichnis </b><b>Teil 2</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">1 Einleitung Teil 2<br />2 Stadt Duisburg und Ruhrgebiet im Zweiten Weltkrieg (1939-1945)<br />3 Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs<br />3.1 Zwangsarbeit in Duisburg während der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs<br />4 Die eigene Familie in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg<br />4.1 Familie der Mutterlinie<br />4.2 Familie der Vaterlinie<br />5 Kriegsverbrechen der Wehrmacht<br />6 Ende des Zweiten Weltkriegs<br />6.1 Flucht von NS-Kriegsverbrechern auf 'Rattenlinien' und Rolle der Kirchen<br /><br /> </div><div style="text-align: left;"><b>1 Einleitung Teil 2</b></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der hohe Kohlebedarf des Krieges verschonte Bergleute bis 1942 vom Kriegsdienst. Eingezogene Bergleute ersetzten unter schweren Repressalien Kriegsgefangene und inhaftierte Zivilpersonen als Zwangsarbeiter. </div><div style="text-align: left;"><br />Kontakte zwischen der Bevölkerung und Zwangsarbeitern waren verboten und daher sparsam, aber sie waren unvermeidbar. Sachverhalte von Zwangsarbeitern und Lagern sowie der Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern ließen sch nicht verstecken und waren entgegen Behauptungen der Nachkriegszeit bekannt. Über die Problematik von Judenpogromen, Judenverfolgung und Holocausts haben die eigenen Eltern durchaus und distanzierend gesprochen. Erwähnt wurden auch Arbeitslager, über die angeblich keine Details bekannt waren, weil diese als geheim galten und ehemalige Inhaftierte zum Schweigen verpflichtet waren. Die Kriegswirtschaft konnte nur mit Zwangsarbeitern aufrecht erhalten werden. Zahlreiche Zwangsarbeiterlager bestanden im zivilen Umfeld. Diese Sachverhalte und den Umfang der Lagerwirtschaft haben Angehörige verheimlicht. Dieses Verheimlichen war möglich, weil es sich um eine von Bevölkerung, Eliten, Institutionen und Organisation geteilte Strategie handelte.<br /><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2 Stadt Duisburg und Ruhrgebiet im Zweiten Weltkrieg (1939-1945)</b><br /> </div><div style="text-align: left;">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: center;">Rathaus Duisburg (links) und Salvatorkirche (rechts) 1920 - Innenhafen Duisburg 1906 - Schwanenbrücke über den Innenhafen 1913 <br /></div><div style="text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiWK5A8KXf872C-9eGyM_VA2eFMRm1-kxj2TwIkHTAm8cezDeujCJR5TYGBwxhC9DU86n358zCc8DMFIqpqxHm4Fn0u6DDUfhtSLLEI9TGzCNQvWHyyTGqk2e6rmwRXyHz_Nipz6_ndwfDgRU0aUyFItllABF499eH2L2f4xoLIZoJ0l-oC13bR3Sl9QHU/s633/Rathaus%20und%20Salvatorkirche%20Duisburg%201920.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="406" data-original-width="633" height="205" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiWK5A8KXf872C-9eGyM_VA2eFMRm1-kxj2TwIkHTAm8cezDeujCJR5TYGBwxhC9DU86n358zCc8DMFIqpqxHm4Fn0u6DDUfhtSLLEI9TGzCNQvWHyyTGqk2e6rmwRXyHz_Nipz6_ndwfDgRU0aUyFItllABF499eH2L2f4xoLIZoJ0l-oC13bR3Sl9QHU/s320/Rathaus%20und%20Salvatorkirche%20Duisburg%201920.jpg" width="280" /></a>
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</div>
</div><div style="text-align: left;">
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts weckten Prozesse der Industrialisierung die ehemalige Königspfalz, freie Reichsstadt und Hansestadt Duisburg aus einem mehr als tausendjährigen Dornröschenschlaf.<span style="font-size: x-small;">(1)</span> Reiche Kohlelager und die günstige Verkehrslage an der Mündung der Ruhr in den Rhein bewirkten die Ansiedlung von Stahlindustrie, die Etablierung von Bergbaubetrieben und Kokereien sowie ein rasantes Wachstum der Stadt von ca. 4000 Einwohnern in der vorindustriellen Zeit auf mehr als 200.000 Einwohner im Jahr 1906. Aufgrund von Eingemeindungen wurde 1929 die Zahl von mehr als 400.000 Einwohner überschritten. Duisburg befand sich auf der Erfolgsspur und wuchs in ca. 50 Jahren von einer Kleinstadt zu einer der größten und reichsten Städte Deutschlands. </div><div style="text-align: left;"><br />Wegen seiner strategischen Bedeutung war das Ruhrgebiet bevorzugtes Ziel alliierter Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs, die das Ruhrgebiet in eine apokalyptische Trümmerlandschaft verwandelten.<span style="font-size: x-small;">(2)</span> Duisburg war ein strategisches Hauptziel alliierter Luftangriffe.<span style="font-size: x-small;">(3)</span> Industrieanlagen und städtische Infrastrukturen hatten für die Kriegswirtschaft fundamentale Bedeutung. Ihre Funktionsfähigkeit blieb trotz aller Zerstörungen durch Luftangriffe mehr oder weniger erhalten. Weitaus stärker war die Zerstörung von Wohngebäuden. In Städten wie Duisburg und Dortmund waren mehr als 65 % aller Wohnhäuser zerbombt, in manchen Wohnvierteln mehr als 90 % (RP: <a href="https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/2-weltkrieg-bombenhagel-auf-duisburg_bid-12039605#0" target="_blank">Fotostrecke Duisburg</a>).<span style="font-size: x-small;">(4)</span> Städte des Ruhrgebiets und viele andere deutsche Großstädte waren nahezu unbewohnbar. Wer in der Bevölkerung für die industrielle Produktion abkömmlich war, flüchtete in ländliche Gebiete oder wurde umgesiedelt. Familien verloren nicht nur ihr soziales Umfeld, sie wurden auseinandergerissen. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3 Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs</b><span style="font-size: x-small;">(5,6)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Mit
anlaufender Kriegswirtschaft wurden ab 1939 für den Einsatz im
Steinkohlebergbau ausländische Arbeitskräfte aus Polen, Italien,
Kroatien und der Ukraine angeworben. Mit zunehmendem Arbeitskräftebedarf
vollzog sich ab 1941 ein Übergang von Freiwilligkeit zum Zwang.<span style="font-size: x-small;">(7)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Ab
1942 konnte die deutsche Kriegswirtschaft nur noch mit versklavten
Zwangsarbeitern aufrecht erhalten werden. Allerdings gab es vor 1945 den
Begriff ‚Zwangsarbeiter‘ nicht. Die Bevölkerung sprach ohne
Berücksichtigung des Zwangscharakters von ‚Fremdarbeitern‘.
Zwangsarbeiter wurden nicht nur in der Industrie, sondern in fast allen
Branchen und auch für Dienstleistungen eingesetzt, u.a. auch von der
evangelischen und der katholischen Kirche.<span style="font-size: x-small;">(8)</span> Auf geschätzt ca. 30.000 Lager verteilt (davon ca. 3000 im Raum Berlin<span style="font-size: x-small;">(9)</span>)
arbeiteten über den Zeitraum des Zweiten Weltkriegs in der
Kriegswirtschaft Deutschlands mehr als 13 Millionen Kriegsgefangene,
auffällig gewordene Zivilisten und kriminelle Häftlinge als
Zwangsarbeiter und hielten die Produktion aufrecht. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Auf
dem Höhepunkt der Kriegswirtschaft waren im August 1944 in Deutschland
neben zwei Millionen Kriegsgefangenen sechs Millionen überwiegend aus
Polen und der Sowjetunion verschleppte zivile Zwangsarbeiter tätig.
Zusätzlich sind mehrere Millionen im Ausland eingesetzte Zwangsarbeiter
zu berücksichtigen, über die keine genaueren Zahlen vorliegen. Ca. ein
Drittel der zivilen Zwangsarbeiter waren Frauen, von denen etliche mit
ihren Kindern verschleppt waren oder Kinder in Lagern zur Welt brachten.
Zunehmend wurden auch KZ-Häftlinge eingesetzt. Deutsche Beschäftigte
stiegen zu Vorarbeitern auf. 8 Millionen in Deutschland tätige
Zwangsarbeiter entsprechen einer Größenordnung von mehr als 10 % der
Bevölkerung. 8 Millionen Menschen können in einer Bevölkerung von 69
Millionen Menschen weder versteckt noch übersehen werden. Gegenteilige
Behauptungen sind Lügen.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3.1 Zwangsarbeit in Duisburg während der Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs</b><span style="font-size: x-small;">(10)</span><br /> <br />Allein im Ruhrbergbau waren ca. 400.000 Zwangsarbeiter versklavt. In Duisburg wurden über den Zeitraum der Kriegswirtschaft ca. 45.000 Männer und Frauen als Zwangsarbeiter eingesetzt. 1944 wurden 34.000 Männer und Frauen als Zwangsarbeiter gezählt. Mindestens 1870 Ausländer kamen zu Tode. Im Stadtgebiet Duisburg bestanden mehr als 200 Lager unterschiedlichen Typs (absolute Zahlen schwanken je nach Quelle) mit zivilen und militärischen Zwangsarbeitern.<span style="font-size: x-small;">(11)</span> Teilweise befanden sich Lager auch auf Werksgeländen, aber überwiegend lagen sie in Wohngebieten. Im Raum Hamborn bestanden 8 Kriegsgefangenenlager:<ul style="text-align: left;"><li>Lager Apollotheater, Kronprinzenstraße, für französische Kriegsgefangene</li><li>Lager Glückaufschule, Marienstraße 18</li><li>Lager Pollmannshof, Fahrner Str. 121, für sowjetische Kriegsgefangene</li><li>Lager Holtener Straße/Gartenstraße für sowjetische Kriegsgefangene</li><li>Lager Oberhauser Allee für sowjetische Kriegsgefangene</li><li>Lager Franz-Lenze-Straße für französische und sowjetische Kriegsgefangene</li><li>Lager auf dem Gelände der August-Thyssen-Hütte an der Alsumer Straße</li><li>Lager Sassenstraße 96 in Holten mit Zwangsarbeitern der Ruhrchemie</li></ul>Zusätzlich bestanden über das gesamte Stadtgebiet von Hamborn verteilte weitere 40 Lager für zivile Zwangsarbeiter. In Walsum bestanden 10 Lager für zivile und 5 Lager für militärische Zwangsarbeiter.<br /> <br />Auf der Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5<span style="font-size: x-small;">(12)</span> der Gelsenkirchener Bergwerks-AG Gruppe Hamborn<span style="font-size: x-small;">(13)</span> waren mehr Kriegsgefangene als zivile Mitarbeiter beschäftigt. Im Lager Pollmannshof (Fahrner Straße 121 im Bereich des heutigen Evangelischen Krankenhauses Duisburg Nord) waren 450 sowjetische Kriegsgefangene inhaftiert.<span style="font-size: x-small;">(14)</span> Zivile Zwangsarbeiter der Schachtanlage waren unübersehbar in der Umgebung von Wohngebieten in 6 Lagern untergebracht:<span style="font-size: x-small;">(15)</span> <ul style="text-align: left;"><li>Freiligrathstraße 13</li><li>Henriettenstraße 35</li><li>Marienstraße 2</li><li>Schulstraße 29</li><li>Weseler Straße 98</li><li>Warbruckstraße 29</li></ul>Arbeits- und Lebensbedingungen (Unterbringung, Ernährung, Hygiene, Krankenversorgung, Luftschutz, Versorgung mit Brennmaterial) waren katastrophal. Am schlechtesten ging es aus Osteuropa stammenden Menschen slawischer Herkunft, die als ‚Untermenschen‘ galten. Wo Zwangsarbeiter auf deutsche Bevölkerung trafen, galt strenge Apartheid. Generell bestand Sprechverbot. Wenn sich deutsche Frauen mit Zwangsarbeitern einließen, wurden Männer hingerichtet und Frauen aus Gründen von „Rassenschande“ in KZ’s deportiert. Wenn mitleidige Einwohner Zwangsarbeitern heimlich Essen oder Kleidung zusteckten, begaben sie sich in große Gefahr. Wer auffiel, bekam Besuch von der Gestapo und hatte ein größeres Problem.<span style="font-size: x-small;">(16,17)</span><br /><br />Von 1943 bis 1944 bestand in Duisburg-Meiderich in der Siedlung Ratingsee ein Außenlager des KZ Sachsenhausen (später dem KZ Buchenwald zugeordnet) mit ca. 500 Inhaftierten. Insassen mussten nach Bombenangriffen Aufräumarbeiten leisten.1943 wurde das Lager in die zerbombte evangelische Diakonieanstalt am Kuhlenwall verlegt.<span style="font-size: x-small;">(18)</span><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div></div></div></div></div> <b>4 Die eigene Familie in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg</b><br /> <div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjwdARwPrZZp7w-gUbB9LyK85x-tZyu3jKVbE5IkFc2QRToPGCENkbaMVC1eG7haoYembbQjPeiiWOHRgUQFIUdpviazihLPTeV6mRprW24AUqdoARo6k-JububxfwhRmqEgj-6W-OjYjdc5GqHmZ9pspyBOiPpqXrox1Er7jyB66uztNPg0ez9hK8Wn-A/s640/DU_Friedrich-Thyssen_2-5-Luftaufnahme%201932.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="442" data-original-width="640" height="221" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjwdARwPrZZp7w-gUbB9LyK85x-tZyu3jKVbE5IkFc2QRToPGCENkbaMVC1eG7haoYembbQjPeiiWOHRgUQFIUdpviazihLPTeV6mRprW24AUqdoARo6k-JububxfwhRmqEgj-6W-OjYjdc5GqHmZ9pspyBOiPpqXrox1Er7jyB66uztNPg0ez9hK8Wn-A/s320/DU_Friedrich-Thyssen_2-5-Luftaufnahme%201932.jpg" width="280" /></a>
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</div><br /></div><div style="text-align: center;">
</div><div style="text-align: left;">Familien der Mutter- und der Vaterlinie waren um das Jahr 1900 aus Ostpreußen in das Ruhrgebiet migriert. Männliche Mitglieder beider Familie arbeiteten über zwei Generationen als Bergleute auf der zentralen Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5 der Gelsenkirchener Bergwerks-AG und wohnten in der Umgebung des Betriebes. Mit dem Zuzug pietistischer Migranten aus Ostpreußen, zu denen auch die eigene Familie zählte, entstanden im Ruhrgebiet zahlreiche pietistische Gemeinden, die Migranten sozialen Zusammenhalt boten und bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg das Leben der Migranten im Ruhrgebiet maßgeblich prägten.</div><div style="text-align: left;"><br />Pietisten waren eher unpolitisch gesinnt und vertraten konservative Werthaltungen. Politische Ausrichtungen des Nationalsozialismus deckten sich nicht mit pietistischen Überzeugungen, aber Pietisten erhofften sich vom Nationalsozialismus eine Stärkung konservativer Anschauungen, gemäß derer jeder einen vermeintlich göttlich vorbestimmten Platz im Leben besetzt und Männer als natürliche Patriarchen vorgesehen sind. Aufgrund von religiöser Erbschuld galten Kinder als keine Tabula rasa bzw. als schuldig. Um das Leben von Kindern vor ewiger Verdammnis zu retten, musste pietistische Pädagogik Kindern Ideale von Frömmigkeit, Gehorsam, Tugendhaftigkeit, Ordnung, Sauberkeit antrainieren und vermeintlich angeborene Bösartigkeit bei Bedarf mit Mitteln von Zwang austreiben. Pietistische Pädagogik forderte: <i>"Wer seine Kinder liebt, der schlägt sie.“</i> Prügelstrafen galten als ein unvermeidbares Erziehungsmittel. NS-Ideologie vertrat ähnliche Werte. Daher lehnten Pietisten überwiegend den Nationalsozialismus nicht ab und verstanden ihn sogar als eine Umsetzung religiöser pietistischer Ideale im politischen Raum. Nähe von Idealen erzeugt generelle Affinität, beweist aber keine individuelle Affinität.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Zweiten Weltkrieg fanden aufgrund der strategischen Bedeutung des Ruhrgebiets für die deutsche Kriegswirtschaft ab dem Winter 1940/41 alliierte Luftangriffe mit Bombenabwürfen im gesamten Ruhrgebiet statt. Ab Sommer 1941 begannen nahezu allnächtliche Flächenangriffe großer Verbände mit hunderten
Flugzeugen auf Städte und Industriebetriebe des Ruhrgebiets, sodass dort lebende Menschen Nächte überwiegend in Bunkern oder Luftschutzkellern verbrachten. Die Stadt Duisburg wurde 311 Mal bombardiert. Bombenabwürfe richteten schwere Zerstörungen
an, die teilweise mehrere tausend Todesopfer verursachten. Mit
zunehmender Ausweitung der Luftangriffe waren Städte des Ruhrgebiets
immer weniger bewohnbar. Wer abkömmlich war, flüchtete in vom Krieg eher
unbetroffene ländliche Räume oder wurde in diese Räume evakuiert.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4.1 Familie in der Mutterlinie</b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div>In der Familie der Mutterlinie gab es keine aktiven Kriegsteilnehmer und keine erwachsenen Mitglieder der NSDAP oder ihr zuzuordnender Organisation. Allerdings waren Mutter und ihre älteren Schwestern der NS-Jugendorganisation Bund Deutscher Mädel (BDM) angeschlossen. Da die Mitgliedschaft obligatorisch war (aber nicht absolut verpflichtend), besagt sie wenig über wertende Einstellungen. Mutter hat jedenfalls berichtet, dass sie gerne im BDM war, weil ihr die Gruppenaktivitäten gefielen. Distanzierend hat sie sich nie zum BDM geäußert.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Mutter
befand sich nach Abschluss der Volksschule ab 01.07.1942 in einer
hauswirtschaftlichen Ausbildung bei der mittelständischen Familie A. H.
in Duisburg-Neudorf und bewohnte ein Dienstmädchenzimmer der Familie.
Als Flächenbombardierungen im Ruhrgebiet zunahmen, zogen Mutter, ihre
Arbeitgeberin und deren beiden Kinder zunächst für einen kurzen Zeitraum
nach Maikammer in der Pfalz und anschließend weiter in den
alemannischen Raum nach Ötlingen im Markgräflerland an der Grenze zur
Schweiz, wo sie im Pfarrhaus unterkamen. Der Ehemann der Chefin war in
Duisburg als Ingenieur in der Industrie unabkömmlich. Die Chefin nutzte
Freiheiten in Ötlingen zu nächtlichen Treffen mit Liebhabern, während
Mutter die Kinder hütete. Angewidert vom Verhalten der Chefin flüchtete
Mutter im September 1943 auf verschlungenen Wegen bei Nacht und Nebel
zur eigenen Familie nach Ilbenstadt. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Großvater war Bergmann und galt als unabkömmlich. Er musste in Duisburg
bleiben. Bombenterror des Ruhrgebiets hat er mit voller Wucht er- und
überlebt. Großmutter fand mit den Kindern Johanna und Friedrich Zuflucht
im Dorf Ilbenstadt der hessischen Wetterau bei der Familie, in die
Tochter Anneliese eingeheiratet hatte. Annelieses Ehemann Georg nahm zu
dieser Zeit am Russlandfeldzug teil.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div>Großmutter
war über Mutters vermeintlich leichtfertige Flucht von diesem
kriegsfernen Platz empört und begrüßte ihre Tochter mit einer Ohrfeige.
In Ilbenstadt wohnte die Familie äußerst beengt und fand für Mutter
keinen Platz. Die bloßgestellte Chefin lehnte eine Rückkehr nach
Ötlingen ab. Mutter blieb nichts anderes übrig, als zum Vater in die
Duisburger Bombenhölle zu ziehen und die Nächte wieder im
Luftschutzkeller des Miethauses auf der Schmelzerstraße 2 zu verbringen.
In Hamborn fand Mutter für ca. ein Jahr eine Anstellung im Haushalt der
Familie G., die auf der Weseler Straße einen noch immer bestehenden
Friseursalon betrieb. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Als
der Bombenterror ein Leben in Duisburg fast unmöglich machte,
flüchtete Mutter im September 1944 erneut zu Geschwistern und der
eigenen Mutter nach Ilbenstadt. Traumatisierende Bombennächte verfolgten
Mutter als Alpträume bis zum Lebensende, obwohl sie von den schwersten
Bombenangriffen verschont blieb. In den Nächten des 13. und 14. Oktober
1944 warfen alliierte Bombergeschwader in der <i>Operation Hurricane</i>
in drei Wellen ca. 10.000 Tonnen Bomben vor allem über Wohngebiete des
Duisburger Nordens ab. Mehr als 2500
Menschen starben allein in Duisburg. Verletzte wurden in Hamborn im St.
Johannes Hospital versorgt, das wie durch ein Wunder unzerstört bliebt.
Tote wurden auf dem Schulhof des Abtei-Gymnasiums gestapelt.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Nach
Kriegsende wurde im Luftschutzkeller des Wohnhauses Schmelzerstraße 2
eine Waschküche eingerichtet, die ich noch kenne. Wenn Großeltern mit
der Waschwoche an der Reihe waren, erledigten Mutter und ihre jüngere
Schwester Johanna über mehrere Tage die Wäsche. Da zu Hause die
Versorgung ausfiel, hat die Großmutter für alle gekocht. Meistens haben
wir uns Reibekuchen gewünscht, von denen wir nie genug bekommen konnten.
Die massive Tür des Luftschutzraums war als Zugang zur Waschküche
ebenso erhalten wie Markierungen an Hauswänden der Schmelzerstraße mit
Hinweisen auf den Luftschutzkeller.<br /><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4.2 Familie in der Vaterlinie</b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />In
der Familie der Vaterlinie gab es drei aktive Kriegsteilnehmer, Vater
und die beiden älteren Brüder Wilhelm und Gustav. Der NS-Jugendorganisation Hitlerjugend (HJ) wären die Jungs gerne beigetreten, aber die Stiefmutter gestattete aufgrund starker Vorbehalte gegen NS-Kultur keine Mitgliedschaft. In der Schule wurde Vater schikaniert, weil er nicht in der HJ war. Dank herausragender Schulleistungen konnte Vater sich zwar Respekt verschaffen, aber blieb ein Außenseiter und empfand sich auch so. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Vater
arbeitete nach Abschluss der Volksschule seit April 1936 als Bergmann
auf der Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5 und musste zum
Familienunterhalt betragen, weil der eigene Vater 1932 verstarb. Der
Bergbau war eine strategisch wichtige Industrie der Kriegswirtschaft,
weshalb Bergleute als unabkömmlich vom Kriegsdienst vorerst verschont
blieben. 1942 wurde Vater zur Kriegsmarine eingezogen. Er absolvierte
eine Ausbildung in Wilhelmshaven und wurde anschließend als Schütze der
Bord-Flak auf umgebauten Handelsschiffen eingesetzt, die in Geleitzügen
des Nordatlantiks und als Truppentransporter im Mittelmeer verwendet
wurden. Im Mittelmeer wurden Schiffe mit Vater in der Besatzung viermal
durch Seeminen, Torpedotreffer oder Luftangriffe versenkt. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zahlreiche
Deutsche informierten sich über den Kriegsverlauf im
Rundfunk per Sendungen der deutschsprachigen BBC. Das Hören von
'Feindsendern' war strengstens verboten war. Wer
auffiel, wurde mit bis zu 5 Jahren Gefängnis oder Zuchthaus bestraft.
Auf Schiffen der Kriegsmarine war der Empfang von 'Feindsendern' relativ
ungefährlich und daher üblich. Vater erfuhr im Rundfunk von der
Zerstörung Duisburgs durch Bombardierungen der <i>Operation Hurricane</i>
und geriet in große Sorge über das
Schicksal der im Duisburger Norden lebenden Familie. Die Verlegung zu
einem anderen Flottenstützpunkt nutzte Vater in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion zu einem Abstecher nach Duisburg, um nach seiner
Familie auf der Hochstraße zu schauen. Diese Aktion war
lebensgefährlich. Eine unerlaubte Entfernung von der Truppe galt als
Flucht und konnte Todesstrafe bedeuten. Vater hatte Glück. Er wurde
nicht gefasst und traf seine Familie zu Hause lebend an. Bei der Ankunft
am neu zugewiesenen Flottenstützpunkt musste er seine verzögerte
Anreise erklären. Sein Kommandeur zeigte Verständnis und setzte als
Strafe einige Tage 'Erholung' im Arrest an. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Kurz
vor Kriegsende geriet Vater in alliierte Gefangenschaft. In
Mittelitalien war er zunächst unter schwierigen Bedingungen in einem
britischen Lager interniert. Insassen litten Hunger und überlebten, weil
die italienische Bevölkerung Lebensmittel über Zäune warf. Britische
Wachtruppen litten selbst unter Versorgungsmängel und duldeten die
Versorgung von Kriegsgefangenen aus der Zivilbevölkerung. Nach Übergabe
des Lagers an die amerikanischer Armee glich das Lagerleben eher
Pfadfinder-Camps. Als Bergmann wurde Vater schon bald nach Kriegsende
aus der Haft entlassen, um im Bergbau am Wiederaufbau Deutschlands
mitzuwirken. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Dass Vater ein überzeugter Anhänger von NS-Politik und seines eigenes Soldatentum war, ist so wenig zu erkennen wie die gegenseitige Haltung von Ablehnung. Erkennbar ist jedoch trotz vielfacher Gefahren eine romantisierende Verklärung seines Einsatzes in der Kriegsmarine. Diese ist nachvollziehbar, weil Vater als Außenseiter in Armutsverhältnissen aufwuchs. Die Kriegsmarine war für ihn eine militärisch „saubere“ Serviceeinheit, in der er Anerkennung erhielt, Kameradschaft wertschätzte und unter kontrollierbaren Bedingungen Teile der europäischen Welt kennen lernte. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Anders schaute es bezüglich Vaters Brüder aus. Beide waren in Duisburg verheiratet. Der ältere Bruder Wilhelm geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Da er sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder in die Heimat zurückkehren zu können, baute er sich in Russland ein neues Leben auf. Darüber hinaus ist über ihn nichts überliefert. Gustav meldete sich freiwillig als Fallschirmspringer. Fallschirmspringer waren auf Kampfkraft gedrillte militärische und ideologische Eliten. Ohne innere Überzeugung meldet sich niemand freiwillig als Fallschirmspringer. Gustav zahlte seine Überzeugung mit dem Höchstpreis. Kurz vor Kriegsende starb er bei einem Einsatz in Mittelitalien. Vom Bruder Gustav hat sich Vater nie distanziert, sondern eher mit Bewunderung von ihm gesprochen.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>5 Kriegsverbrechen der Wehrmacht</b><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Juristisch wurden 0,05 % von insgesamt 10 Millionen kämpfenden Wehrmachtssoldaten von deutschen und alliierten Gerichten wegen Kriegsverbrechen oder Beteiligung am Holocaust verurteilt, d.h. ca. 5.000.<span style="font-size: x-small;">(19)</span> (Die Gesamtzahl der Wehrmachtsangehörigen betrug inklusive aller Mitarbeiter ca. 20 Millionen). Unstrittig ist die Rolle der SS sowie ihre Beteiligung am Holocaust und an zahlreichen weiteren Kriegsverbrechen.<span style="font-size: x-small;">(20)</span> Bezüglich Kriegsverbrechen von Wehrmachtssoldaten an der Zivilbevölkerung werden auch noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg Mythen vom ritterlichen Ethos deutscher Soldaten systematisch verbreitet und gegen Versuche der Aufarbeitung verteidigt. In der Realität gehörten Demütigungen der Bevölkerung zur Kriegsführung. Sexuelle Gewalttaten deutscher Soldaten waren insbesondere während des Russlandfeldzugs üblich und wurden wie alle anderen Kriegsverbrechen deutscher Soldaten nur selten disziplinarisch oder gerichtlich verfolgt.<span style="font-size: x-small;">(21)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />In Polen von der Wehrmacht und der SS begangene Massaker sind in Deutschland kaum bekannt. Hierzu zählen die Massaker von Wawer, Ochota und insbesondere von Wola, das als eines der größten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs gilt.<span style="font-size: x-small;">(22)</span> Schätzungen belaufen sich für das Massaker von Wola auf bis zu 50.000 Toten. Ein Kommando von ca. 100 inhaftierten Polen musste die Leichen verbrennen und wurde anschließend erschossen.<span style="font-size: x-small;">(23)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Da nicht nur während des Krieges, sondern auch nach dem Krieg kein Interesse an der Aufarbeitung und Verfolgung von Verbrechen bestand, die Wehrmachtssoldaten an der Zivilbevölkerung verübt haben und Kriterien der Beteiligung umstritten sind, ist die Dunkelziffer der Beteiligung hoch. Schätzungen reichen von ca. 5 % bis 80 % (500.000 bis 8.000.000 Soldaten).<span style="font-size: x-small;">(24)</span> Keiner der beteiligten deutschen Soldaten wurde nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Während Zahlen über getötete und verwundete Soldaten aller beteiligten Länder weitgehend bekannt sind, ist die Ermittlung ziviler Opfer äußerst schwierig. Zu Opfern zählen nicht nur getötete, sondern auch körperlich und seelisch Verletzte sowie mittelbar durch Kriegshandlungen in Folge von Unterernährung, Erkrankung, Verletzung oder durch Suizide vorzeitig verstorbene Menschen. Relativ gut dokumentiert sind in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern inhaftierte und verstorbene Zivilisten. Bekannt sind auch Zahlen einiger Massenexekutionen, die wahrscheinlich aber nur als Spitze eines Eisberges zu werten sind. Über Zahlen von Opfern durch Handlungen der Wehrmacht liegen nur wenige präzise Daten vor. Insgesamt ist die Dunkelziffer hoch, weshalb Schätzungen oft stark abweichende Zahlen annehmen. Grobe Schätzungen der Gesamtzahl aller Todesopfer des Zweiten Weltkriegs reichen von 60 bis 80 Millionen Menschen.<span style="font-size: x-small;">(25)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Schätzungen von Gesamtzahlen aller Opfer von Wehrmachtshandlungen sind nicht bekannt und wahrscheinlich auch nicht möglich. Sexualverbrechen und andere Gräuel deutscher Soldaten der Wehrmacht an der Zivilbevölkerung wurden i.d.R. nicht disziplinarisch oder juristisch verfolgt und sind aufgrund fehlender Daten weitgehend unerforscht. Daher lässt sich die Anzahl begangener sexueller Gewaltverbrechen nicht seriös schätzen. Sexuelle Gewaltdaten deutscher Soldaten insbesondere an sowjetischen Frauen gelten jedoch nicht als Ausnahmen.<span style="font-size: x-small;">(26)</span> <br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zitierte Zahlen der hier aufgeführten Aufstellung beruhen auf einer Auswahl als relativ zuverlässig angenommener Schätzungen über durch Wehrmachtshandlungen getöteter Zivilisten.<ul><li>Aus der Auslieferung jüdischer und politischer Kriegsgefangener an NS-Sicherheitsdienste resultieren nachgewiesene 140.000 Opfer. Schätzungen belaufen sich auf 600.000 Opfer.<span style="font-size: x-small;">(27)</span></li><li>Ca. 3,3 bis 3,7 Millionen bzw. 57 % bis 63 % aller sowjetischer Kriegsgefangener starben in Gefangenschaft.<span style="font-size: x-small;">(28)</span></li><li>NS-Strategie plante in Osteuropa eine Dezimierung der vermeintlich rassisch minderwertigen slawischen Bevölkerung um 30 Millionen Menschen durch Aushungern.<span style="font-size: x-small;">(29)</span></li><li>Während der Belagerung von Leningrad (St. Petersburg) vom 08.09.1941 bis 27.01.1944 plante die deutsche Wehrmacht die Vernichtung Leningrads durch systematisch herbeigeführten Hungertod. Über fast 28 Monate Blockade verstarben gemäß seriöser Schätzungen ca. 1,1 Millionen Menschen der Leningrader Bevölkerung, davon 90 % durch Hungertod.<span style="font-size: x-small;">(30)</span> </li><li>Historiker schätzen, dass der Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion 17 Millionen sowjetischen Zivilisten das Leben kostete.<span style="font-size: x-small;">(31)</span></li><li>Die Gesamtzahl polnischer Kriegsopfer beträgt gemäß aktuellem Stand der Forschung 5,65 Millionen Menschen, darunter ca. 3 Millionen polnische Juden und 150.000 durch die sowjetische Besetzung gestorbene Menschen.<span style="font-size: x-small;">(32)</span></li><li>In Serbien sind durch ‚Sühneaktionen‘ der Wehrmacht und der SS ca. 80.000 Zivilisten in Massenexekutionen getötet worden. Die meisten Täter blieben straffrei. Hochrangige Verantwortliche kamen mit glimpflichen Gefängnisstrafen davon.<span style="font-size: x-small;">(33)</span></li></ul><br /></div></div></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
</div>
<b>6 Ende des Zweiten Weltkriegs</b><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
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</div><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zum Kriegsende flüchteten ca. 12 Mio. Menschen ohne Hab und Gut aus ehemals deutschen Ostgebieten nach Westen. Es ging um das nackte Leben. Viele unter ihnen haben die Flucht nicht überlebt. Gemäß Schätzungen sind zwischen 400.000 und 2 Mio. deutsche Flüchtlinge auf der Flucht verstorben.<span style="font-size: x-small;">(32)</span> In Grenzen von 1937 gingen durch den Zweiten Weltkrieg 24 % des deutschen Staatsgebiets verloren.<span style="font-size: x-small;">(35)</span> Nach Ende des Kriegs befanden sich 11,5 Mio. deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft, von denen ca. 1/3 in Kriegsgefangenschaft verstarben.<span style="font-size: x-small;">(36)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Am 8. Mai 1945 unterschrieb Generalfeldmarschall Keitel die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht.<span style="font-size: x-small;">(37)</span> Der Zweite Weltkrieg endete damit in Europa, jedoch noch nicht im pazifischen Raum. Nach Abwürfen von 2 Atombomben durch die US-amerikanische Luftwaffe auf die japanischen Städte Hiroshima (5. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945) verkündete der japanische Tennō per Rundfunkansprache am 15. August 1945 die Kapitulation Japans, die am 2. September unterzeichnet wurde. Damit war der Zweite Weltkrieg weltweit beendet.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Am Krieg waren mehr als 60 Staaten mit mehr als 110 Mio. Soldaten beteiligt. Die Zahl unmittelbarer Kriegstote wird mit 60 - 65 Mio. angegeben. Mit Berücksichtigung von Verbrechen und ihren Folgen werden 80 Mio. Tote geschätzt.<span style="font-size: x-small;">(38)</span> Allein durch den Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki starben 100.000 Menschen sofort (andere Quellen sprechen von 200.000 Toten oder mehr). An Folgeschäden starben 130.000 Menschen noch im Jahr 1945 und viele weitere Menschen in Folgejahren.<span style="font-size: x-small;">(39)</span> Ob der Abwurf der Atombomben als militärisch gerechtfertigt gelten kann, ist eine Frage, die seit mehr als 70 Jahren kontrovers diskutiert wird.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />
</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />
</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>6.1 Flucht von NS-Kriegsverbrechern auf 'Rattenlinien' und Rolle der Kirchen<br /></b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zahlreiche
NS-Kriegsverbrecher konnten nach dem Zweiten Weltkrieg über
'Rattenlinien' und teilweise unter Beteiligung der katholischen Kirche
auf 'Klosterrouten' über Südtirol und Norditalien oder über Spanien nach
Südamerika fliehen und dort vor allem nach Argentinien fliehen.<span style="font-size: x-small;">(40)</span>
Mit der Rolle des Vatikans setzt sich der niederländische
Schriftsteller Cees Nooteboom in einer Buchbesprechung kritisch
auseinander.<span style="font-size: x-small;">(41,42)</span> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">‚Klosterrouten‘
und ‚Rattenlinien‘ waren eine Spezialität der katholische Kirche, aber
mit der NS-Diktatur kollaborierte nicht nur die katholische Kirche,
sondern auch Teile der evangelischen Kirche riefen Gläubige zur
„Pflichterfüllung“ für das Vaterland auf und setzten sich in
Gnadengesuchen für verurteilte NS-Kriegsverbrecher ein.<span style="font-size: x-small;">(43)</span> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Starke
Strömungen innerhalb der evangelischen Kirche führten 1932 zur Gründung
der Kirchenpartei Deutsche Christen und 1933 zur Gründungen der
Deutschen Evangelischen Kirche als Vereinigung der evangelischen
Landeskirche. Beide Einrichtungen verfolgten das Ziel, den deutschen
Protestantismus an den Nationalsozialismus anzugleichen und vom Judentum
zu ‚reinigen’ bzw. den Protestantismus zu ‚entjuden‘. 11 evangelische
Landeskirchen gründeten 1939 das bis 1945 bestehende
pseudo-wissenschaftliche <i>Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben (Entjudungsinstitut)</i> mit der Aufgabe zur ‚Entjudung‘ des Neuen Testaments und der ‚Arisierung‘ von Jesus.<span style="font-size: x-small;">(44)</span> <br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die
sich der Gleichschaltung widersetzende Bekennende Kirche war keine
Widerstandsbewegung, sondern sie wendete sich vor allem gegen Einflüsse
des Nationalsozialismus auf Kirchenpolitik. Große Teile bekannten sich
zum ‚Führerstaat‘ und zum Zweiten Weltkrieg.<span style="font-size: x-small;">(45)</span>
In freikirchlichen Gemeinden organisierte pietistische Bewegungen
sympathisierten überwiegend mit dem Nationalsozialismus und betrachteten
die Judenverfolgung als gerechte göttliche Bestrafung für die
Kreuzigung Jesu und die Ablehnung des Neuen Testaments.<span style="font-size: x-small;">(46)</span>
Einrichtungen der von Bodelschwinghschen Stiftung Bethel haben sich
1940/1941 an Selektionen im Rahmen des Euthanasieprogramms „Aktion T4“
beteiligt, was Verantwortliche der Einrichtung lange zu verheimlichen
versuchten, aber mittlerweile bestätigt ist.<span style="font-size: x-small;">(47)</span></div>
</div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-17236651405966399812024-02-07T17:18:00.051+01:002024-03-28T07:33:01.528+01:00Teil 3: Politischer, wirtschaftlicher, mentaler Neuaufbau und Erinnerungskultur an NS-Zeit in Westdeutschland nach 1945 (Stand: 21.03.2024)<div style="text-align: center;">Szene der Reichspogromnacht 1938 - Bombenabwürfe alliierter Bomber auf Deutschland - Trümmerlandschaft Innenstadt Dresden<br />
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj4byr9a1oZRiUY2spQzrp7Z2PucptHFypdMNWkZIFLgYHJ4Me448mtzC_3MnbFu2OOWsCRFjZ3CGb2n0Cds0BLhMtaiTNoHhEuJUsmhJPBJNu5ocHpADuBQ2vtDZ-TQzw3-vYHGgZ8jPYzj9rT6bEaYp9NuY2vRTQOlkELSRBSU3Q2mQ2uaoh5ZxkPKJQ/s994/reichpogromnacht-100~_v-img__16__9__xl_-d31c35f8186ebeb80b0cd843a7c267a0e0c81647.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="558" data-original-width="994" height="180" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj4byr9a1oZRiUY2spQzrp7Z2PucptHFypdMNWkZIFLgYHJ4Me448mtzC_3MnbFu2OOWsCRFjZ3CGb2n0Cds0BLhMtaiTNoHhEuJUsmhJPBJNu5ocHpADuBQ2vtDZ-TQzw3-vYHGgZ8jPYzj9rT6bEaYp9NuY2vRTQOlkELSRBSU3Q2mQ2uaoh5ZxkPKJQ/s320/reichpogromnacht-100~_v-img__16__9__xl_-d31c35f8186ebeb80b0cd843a7c267a0e0c81647.jpg" width="280" /></a>
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<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhKTBUjnoF3xfZec-Pdr0vs_NV_DqQD2G5cnH6eKd8Qhl_xalEKG9448GJ9ecaLofTcT2mk5iuVYBLGCGv04AKauGHhlEkTlo7pejDtS1dcXR2o6nB7glHxa1oSftzcZIbxIBmD8dAFvdS05rOULDSgRGLQhCLJWDtuWjJDMdvZwFYY7lAmTSMH9EXG0nI/s1840/Dresden.jpeg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="1034" data-original-width="1840" height="180" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhKTBUjnoF3xfZec-Pdr0vs_NV_DqQD2G5cnH6eKd8Qhl_xalEKG9448GJ9ecaLofTcT2mk5iuVYBLGCGv04AKauGHhlEkTlo7pejDtS1dcXR2o6nB7glHxa1oSftzcZIbxIBmD8dAFvdS05rOULDSgRGLQhCLJWDtuWjJDMdvZwFYY7lAmTSMH9EXG0nI/s320/Dresden.jpeg" width="280" /></a>
</div>
</div><div style="text-align: left;"> <br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><div style="text-align: left;">Teil 3 betrachtet ab 1945 wiedererwachendes Leben in Westdeutschland und fokussiert auf</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>die Aufarbeitung von NS- und Kriegsverbrechen,</li><li>den Neubeginn mit neuer politischer Kultur,</li><li>Prozesse in Deutschland praktizierter Erinnerungskultur.</li></ul></div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsverzeichnis Teil 3</b></div><div style="text-align: left;"><br />1 Einleitung Teil 3: Alltagsleben im Nachkriegsdeutschland<br />2 Aufarbeitung von NS- und Kriegsverbrechen: „Ein Täter und 60 Millionen Gehilfen“<br />2.1 Entnazifizierungs- und Kriegsverbrecherverfahren<br />2.2 Beispiele des Umgangs mit Verantwortung und Schuld in Rechtsprechung und Politik<br />3 Restart mit Amnesie und Amnestie in runderneuerter politischer Kultur<br />3.1 Schlussstrichpolitik unter Konrad Adenauer: „<i>Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat</i>“
<br />3.2 Haltung der Bundespräsidenten 1949 - 1994 <br />3.3 Amnestiepolitik nach 1945</div><div style="text-align: left;">3.4 Der Verjährungsskandal 1969 der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger<br />4 Schlussbetrachtung</div><div style="text-align: left;">4.1 Was war?</div><div style="text-align: left;">4.2 Was ist? </div><div style="text-align: left;">4.3 Was bleibt? </div><div style="text-align: left;">4.4 Was wird? </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b><div style="text-align: left;"><b>1 Einleitung Teil 3: Alltagsleben im Nachkriegsdeutschland</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Noch vor Kriegsende hatten Alliierte beschlossen, Nationalsozialismus
und Militarismus in Deutschland zu beseitigen, Verbrechen der Täter zu
bestrafen und allen Deutschen Sühne zu verordnen.<span style="font-size: x-small;">(1)</span>
Politisch sollte Deutschland demokratisch aufgestellt und die
Bevölkerung umerzogen werden. Ökonomisch sollte deutsche Industrie auf
Vorkriegsniveau begrenzt werden. Wiederbewaffnung und die Produktion
kriegsrelevanter Güter wurden untersagt. Gemäß geopolitischer Strategie
sollte Deutschland die Rolle einer Pufferzone zwischen dem westlichen
und östlichen Machtblock zugewiesen werden. Der Wiederaufbau des
Ruhrgebiet sollte dem industriellen Niveau von 1932 entsprechen, jedoch
ohne die Bereiche Luftfahrt, Schiffsbau, Maschinenbau, Großchemie, in
denen Produktion verboten wurde. Der Bergbau sollte Kohle vor allem für
Energiebedürfnisse der Nachbarländer fördern.<span style="font-size: x-small;">(2)</span> </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Die meisten Deutschen sahen das Kriegsende nicht als Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern als Niederlage und verstanden die Nachkriegszeit als 'Zusammenbruch' oder 'Stunde Null'. Deutschlandpolitik der alliierten Besatzungsmächte war aus Sicht deutscher Bevölkerung Siegerpolitik. Kriegsverbrechen in Kriegsgebieten und nationalsozialistische Gewaltverbrechen im eigenen Land und im Ausland waren kein Geheimnis und ließen erwarten, dass Deutschland einer harten Bestrafung der Siegermächte entgegen sieht. Die Frage war lediglich, in welcher Form und wie hart.<span style="font-size: x-small;">(3)</span> Dass Deutschland jemals wieder ein lebenswertes Land sein könnte, lag jenseits menschlicher Vorstellungskraft.</div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Überlebende waren nach Kriegsende schwer traumatisiert und kämpften
gegen eine katastrophale Versorgungslage weiter um das nackte Leben. Wie
bereits während des Kriegs stemmten Frauen die Hauptlasten des Alltags
und warteten sehnsüchtig auf die Rückkehr ihrer Männer. Ihre
Charakterisierung als ‚Trümmerfrauen‘ ist jedoch zweifelhaft.
Trümmerschutt räumten vor allem Zwangsarbeiter weg.<span style="font-size: x-small;">(4)</span> Als Männer nach und nach eintrafen, waren sie ihren Frauen fremd.<span style="font-size: x-small;">(5)</span> Frauen waren neben allen Gräueln des Kriegs vielfach sexueller Gewalt ausgesetzt.<span style="font-size: x-small;">(6)</span> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zahlreiche Männer kehrten nicht nur mit körperlichen Verletzungen
zurück. Ein hoher Anteil unter ihnen hat sich durch Kriegsverbrechen an
der Zivilbevölkerung schuldig gemacht. Auch wenn die
meisten Kriegsverbrechen ungeahndet blieben, drückte sie die Last nicht
zu tilgender schwerer menschlicher Schuld. Seelische Verletzungen von
Frauen, Männern, Kindern waren oft die schwereren Verletzungen.
Therapeutische Hilfen für posttraumatische Störungen waren nicht
vorgesehen. Folgen seelischer Verletzungen belasteten über Jahrzehnte
Generation der Betroffenen und Nachfolgegeneration der ‚Kriegsenkel’,
der wir angehören.<span style="font-size: x-small;">(7)</span></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Neben
allen seelischen und körperlichen Leiden drückte eine materielle Notlage
auf das Leben der Menschen. Aus Kriegsgefangenschaft und aus ländlichen
Räumen in Städte zurückkehrende Menschen mussten im noch verbliebenen
Wohnraum zusammenrücken, der jedoch nicht ausreichte, weil zusätzlich
ca. 12 Mio. Flüchtlinge aus ehemals deutschen Ostgebieten nach Westen
drängten<span style="font-size: x-small;">(8)</span> und sich bei Kriegsende ca. 6,5 Millionen <i>Displaced Persons </i>(Heimatlose)
in Deutschland befanden: sowjetische Kriegsgefangene, ausländische
Zwangsarbeiter, ausländische Flüchtlinge (Kollaborateure), befreite
KZ-Insassen.<span style="font-size: x-small;">(9)</span> Da Wohnraum
nicht ausreichte, mussten mehrere Millionen Menschen in geräumten KZ’s,
Zwangsarbeiterlagern oder provisorisch errichteten Barackenlagern
untergebracht werden. Allein in der amerikanischen Besatzungszone wurden
ca. 450 Lager eingerichtet. In den westlichen Besatzungszonen und in
Berliner Westsektoren bestanden insgesamt 1800 <i>DP-Camps</i> und DP <i>living zones</i>.<span style="font-size: x-small;">(10)</span> <br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Märkte
waren in der Nachkriegs-Versorgungslage zusammengebrochen. Von
Alliierten zugeteilte Lebensmittelkarten sollten die Versorgung sichern,
aber an den Ausgabestellen waren oft keine Lebensmittel zu erhalten.
Diese wurden auf Schwarzmärkten in Zigarettenwährung gehandelt.<span style="font-size: x-small;">(11)</span>
Im Hungerwinter 1946/1947 brach in städtischen Zentren die
Lebensmittelversorgung zusammen. Nach Schätzungen starben mehrere
hunderttausend Menschen.<span style="font-size: x-small;">(12)</span> Um zu überleben, mussten viele Menschen betteln oder stehlen. Letzteres wurde als 'hamstern' oder ‚fringsen‘ umschrieben.<span style="font-size: x-small;">(13)</span> Aufgrund der mangelhaften Versorgung streikten Arbeiter des Ruhrgebiets massiv. Mit Inkrafttreten des Marshallplans verbesserte sich die Versorgungslage ab 1948.<span style="font-size: x-small;">(14)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>2 Aufarbeitung von NS- und Kriegsverbrechen: <i>„Ein Täter und 60 Millionen Gehilfen“</i></b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Die alten Nazis waren in der jungen Bundesrepublik überall - in der Verwaltung, in der Justiz, in den Parlamenten. Die Nazi-Richter hatten das Hakenkreuz von der Robe gerissen und richteten weiter. Die Jura-Professoren hatten die braunen Sätze aus ihren Büchern radiert und lehrten weiter. Die Beamten hatten Adolf Hitler von der Wand gehängt und verwalteten weiter. Die Nazi-Juristen waren in besonders hoher Konzentration dort, wo das Recht sein Zuhause hat: im Bundesministerium der Justiz.“</i><span style="font-size: x-small;">(15)</span><br /></div> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">In der Breite nahmen Aufarbeitungen der Verstrickung von Eliten in NS-Vergangenheit erst in den 1990 Jahren durch Initiativen einer demokratisch gesinnten kritischen Nachkriegsgeneration allmählich Fahrt auf. Zu diesem Zeitpunkt war ein großer Anteil der Eliten aus Altersgründen nicht mehr zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie nicht bereits verstorben waren. Strafrechtlich relevant waren aus Gründen von Verjährung ohnehin nur noch Morde. <br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Kritische Aufarbeitungen der Vergangenheit leistete teilweise deutsche Hochkultur von Wissenschaft, Literatur, Malerei, Film, aber gegen Widerstand von Politik. Heinrich Böll und Siegfried Lenz wollten 1948 bzw. 1952 Antikriegsromane veröffentlichen, die jedoch nicht verlegt werden durften.<span style="font-size: x-small;">(16)</span> Die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen begann erst in den 1980er Jahren. Mediale Aufbereitungen von Erkenntnissen in Dokumentationen stießen auf massiven Widerstand in der Bevölkerung und auf Proteste politischer Prominenz, u.a. durch Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker.<span style="font-size: x-small;">(17)</span> Eine von Jan Philipp Reemtsmas Institut für Sozialforschung 1999 organisierte Wehrmachtsausstellung musste aufgrund von Protesten zurückgezogen werden. Die beauftragte Historikerkommission fand zwar in ihrer einjährigen Untersuchung Fehler, Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten, aber insgesamt stellte sie fest, </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; margin-left: 40px; text-align: left;"><i>dass „die Grundaussagen der Ausstellung über die Wehrmacht und den im ‚Osten’ geführten Vernichtungskrieg der Sache nach richtig“ seien. Die Ausstellungsautoren hätten insgesamt intensive und seriöse Quellenarbeit geleistet, und die Ausstellung enthalte „keine Fälschungen“.</i><span style="font-size: x-small;">(18)</span><br /><i> </i></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">In der breiten Bevölkerung ist ein Umdenken noch nicht angekommen. Dort wird dem Bild grausamer sowjetischer Soldaten noch immer der gefälschte Mythos ritterlicher deutscher Soldaten entgegengehalten.<span style="font-size: x-small;">(19</span>,<span style="font-size: x-small;">20)</span> Nach dem Zweiten Weltkrieg sieht sich die Generation der NS-Zeit überwiegend nicht als Täter, sondern als von Hitler und seinen Rädelsführern zur Mitwirkung an Verbrechen gezwungene Gehilfen und beansprucht für sich Opferrollen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Eliten können ihre Verstrickungen in Verantwortung für NS- und Kriegsverbrechen nicht vollständig verbergen, aber sie breiten den Mantel des Schweigens aus und hüllen sich in Sprachlosigkeit. Hauptverantwortliche tauchen teilweise mit neuer Identität im Ausland unter. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>2.1 Entnazifizierung- und Kriegsverbrecherverfahren</b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
<div style="text-align: left;">Links: Massengrab der Judenvernichtung 1944 in Babi Jar - Mitte: Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess</div><div style="text-align: right;">Rechts: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vorne), Dönitz, Raeder, von Schirach und Sauckel (hinten)<br /></div><div style="text-align: center;"><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgMN268flakWag8Xj2-w0IpQyJqCl-6OFRYh5YwrK44fmgt9RtneqheZdGvKNsUHJUYspxfMo_VDDVwos2zn4kThA1xNXC0J_dVJX-7ohzMZr73WZX0R4CHBNTuBnps9-7epPJrSCbq2sr1Tngdx1Qjarl5OMgrT-2qCOoPHKRnSfSIA4KyDFM99NZ0cu0/s1131/Judenmorde%20Massengrab%201944%20in%20Babi%20Jar%20bei%20%20Kiew.jpeg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="636" data-original-width="1131" height="180" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgMN268flakWag8Xj2-w0IpQyJqCl-6OFRYh5YwrK44fmgt9RtneqheZdGvKNsUHJUYspxfMo_VDDVwos2zn4kThA1xNXC0J_dVJX-7ohzMZr73WZX0R4CHBNTuBnps9-7epPJrSCbq2sr1Tngdx1Qjarl5OMgrT-2qCOoPHKRnSfSIA4KyDFM99NZ0cu0/s320/Judenmorde%20Massengrab%201944%20in%20Babi%20Jar%20bei%20%20Kiew.jpeg" width="280" /></a>
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</div>
</div><div style="text-align: left;"> <br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><div style="text-align: left;">
In den
westlichen Besatzungszonen mussten sich 2,5 Millionen Deutsche in 5
Kategorien dem Verfahren der Entnazifizierung stellen.<span style="font-size: x-small;">(21,22)</span>
Im Stil zunächst akribisch durchgeführte Untersuchungen hätten
Verfahren mehrere Jahrzehnte benötigt. 1946 entschieden Kontrollräte der
Besatzungsmächte, Verantwortung für die Verfahren in den Westzonen an
deutsche Behörden zu übertragen und machten damit den Bock zum Gärtner
und Täter zu Opfern. Nationalsozialistische Protagonisten entlasteten
sich mit gegenseitig ausgestellten ‚Persilscheinen‘ und mutierten zu
Widerstandskämpfern. Sie ließen belastende Dokumente verschwinden,
beugten Recht und Gesetz zu ihrem Vorteil und konnten auf diesem Wege
unter Mithilfe von Netzwerken und alter Seilschaften unbehelligt
Karriere machen oder in Führungsaufgaben öffentlicher Einrichtungen und
privatwirtschaftlicher Organisationen zurückkehren. <br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Unter Verantwortung deutscher Behörden fiel die Verteilung von ursprünglich 2,5 Millionen Verdachtspersonen entsprechend aus:<br /><ul style="text-align: left;"><li>1,4
% wurden als Hauptschuldige (Kategorie 1) und Belastete bzw. Aktivisten
(Kategorie 2) identifiziert, von denen 5.025 verurteilt wurden. Von 806
Todesurteilen wurden 486 vollstreckt. Personen der Kategorie und 2
durften nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden.<span style="font-size: x-small;">(23)</span></li><li>9,4 % galten als minderbelastet (Kategorie 3). In einer Bewährungsfrist von 3 Jahren waren leitende Tätigkeiten verboten.</li><li>54 % galten als Mitläufer (Kategorie 4) und durften ohne Einschränkungen im öffentlichen Dienst beschäftigt werde. </li><li>0,6 % galten als entlastet (Kategorie 5). <br /></li></ul>Nach Gründung der Bundesrepublik unternahm die im Parlament überrepräsentierte Beamtenschaft erfolgreiche Anstrengungen, durch Entnazifizierungsverfahren entstanden Flurschäden durch Wiedereinsetzung und Durchsetzung von Versorgungsansprüchen zu bereinigen. Am
1. April 1951 trat das Entnazifizierungsschlussgesetz in Kraft und
ermöglichte Personen der Gruppen 3 - 5 die Rückkehr in den öffentlichen
Dienst.<span style="font-size: x-small;">(24) <br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><span style="font-size: x-small;"> </span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Im
Nachhinein gilt das Entnazifizierungsverfahren als Prozess kollektiver
Umerziehung aus mehreren Gründen als weitgehend gescheitert. Es hat
nicht bewirkt, dass die Masse der Bevölkerung eigene Schuld über
begangenes Unrecht einsah, sondern Strategien entwickelte, die es
ermöglichten, Unrecht mit dem Mantel des Schweigens zu verhüllen.<span style="font-size: x-small;">(25,26)</span> Der Historiker Norbert Frei konstatiert, dass sich die Entnazifizierung von einem zunächst ernsthaften und folgenreichen Säuberungsverfahren zu einer politischen Rehabilitierungsmaschine verwandelt hat.<span style="font-size: x-small;">(27)</span> Absolution von fragwürdiger politischer Moral erteilte das Straffreiheitsgesetz von 1954.<br /></div><span style="font-size: x-small;"></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Kriegsverbrecher-Verfahren
gegen führende Repräsentanten des NS-Deutschlands fanden zwischen dem 20. November 1945 und dem
14. April 1949 in insgesamt 13 Prozessen im Justizpalast Nürnberg statt.
Wegen des Ortes der Verfahren sind die Prozesse als Nürnberger Prozesse
in die Geschichte eingegangen.<span style="font-size: x-small;">(28)</span>
Im Hauptprozess waren 24 deutsche und österreichische
Hauptkriegsverbrecher angeklagt, von denen 22 verurteilt wurden, davon
12 zum Tod durch Strang. In 12 Nachfolgeprozessen waren 185 führende
Repräsentanten des NS-Deutschlands vor
einem US-amerikanischen Militärtribunal angeklagt. 35 Angeklagte wurden
freigesprochen, 24 zum Tode verurteilt, 20 zu lebenslanger Haft und 98
zu Freiheitsstrafen zwischen 18 Monaten und 25 Jahren. Für 24 zum Tode
Verurteilte setzte sich der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer ein.
12 Urteile wurden vollstreckt, 11 zu Haftstrafen begnadigt. Ein
Verurteilter wurde an Belgien ausgeliefert und starb dort in Haft.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>2.2 Beispiele des Umgangs mit Verantwortung und Schuld in Rechtsprechung und Politik</b> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <br />Anfang November 1943 trieben ca. 2000 Angehörige der SS und des Polizei-Bataillons 101 ca. 43.000 Juden aus mehreren Lagern in Polen zusammen, um sie in der Aktion Erntefest in einer Massenexekution zu erschießen. Der militärisch ranghöchste Verantwortliche der Aktion wurde in Polen zum Tode verurteilt und 1952 hingerichtet. In Deutschland wurde erst 2017 und lediglich ein niederrangiger Angehöriger der SS angeklagt. 2018 wurde das Verfahren eingestellt, weil der 96-Jährige verhandlungsunfähig war.<span style="font-size: x-small;">(29)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Das Polizei-Bataillon 101 war an der Ermordung von mindestens 38.000 Juden und an der Deportierung von mindestens 45.000 Juden in Vernichtungslagern beteiligt. Ab 1958 ermittelten deutsche Behörden gegen 210 Angehörige des Bataillons. Gegen 14 von ihnen wurde Anklage erhoben, von denen 5 verurteilt und 6 Schuldsprüche ohne Haftstrafen erklärt wurden. In Nachfolgeinstanzen wurden Haftstrafen von 2 Angeklagten reduziert und Verurteilungen von 2 Angeklagten in Schuldsprüche ohne Haftstrafen abgesenkt.<span style="font-size: x-small;">(30)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Der SS-Standartenführer Martin Sandberger war bis zu seinem Tod 2010 ranghöchster überlebender SS-Offizier, obwohl er einer der Hauptverantwortlichen des Völkermords im Baltikum war und in einem Nachfolgeprozess der Nürnberger Prozesse 1948 zum Tode verurteilt wurde.<span style="font-size: x-small;">(31)</span> Der amerikanische Hochkommissar John Jay McCloy, eine im Milieu von Geheimagenten sozialisierte zwielichtige Persönlichkeit, verkürzte unter nicht abschließend geklärten Umständen Haftstrafen etlicher prominenter Verurteilter der Nürnberger Prozesse, bewilligte Gnadengesuche und änderte das Urteil gegen Sandberger in lebenslange Haft.<span style="font-size: x-small;">(32,</span><span style="font-size: x-small;">33)</span><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Martin Sandbergers Vater nutzte Beziehungen zum Bundespräsidenten Theodor Heuss, um eine Begnadigung seines Sohns zu erreichen. Heuss und einige weitere politische Honoratioren setzten sich für Martin Sandberger ein, unter anderem der SPD-Politiker Carlo Schmid, bei dem Sandberger Referendar war. Politische Prominenz bewirkte 1958 Sandbergers Begnadigung. Anstehende Strafverfolgungsverfahren gegen Sandberger wurden eingestellt. Bis zum Eintritt des Ruhestands war der Jurist Sandberger im baden-württembergischen Familienunternehmen Lechler Justiziar.<span style="font-size: x-small;">(34)</span> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3 Restart mit Amnesie und Amnestie in runderneuerter politischer Kultur</b><span style="font-size: x-small;">(35)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Größenordnungen materieller Kriegsschäden des Zweiten Weltkriegs sind in ihren Dimensionen historisch einzigartig. Von Kriegen verursachte materielle Schäden sind prinzipiell empirisch wahrnehmbar und messbar, aber materielle Schäden des Zweiten Weltkrieg sprengen jede Metrik und entziehen sich umfassenden Gesamtbewertungen. Kriege erzeugen und hinterlassen jedoch nicht nur individuelle und kollektive Schäden materieller Art. Kriege handeln auch konkurrierende politische und weltanschauliche Ideologien mit Mitteln von Gewalt aus. <br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Nach Kriegen zwischen Feinden ist eine beidseitig gewollte Versöhnung nur möglich, wenn ehemalige Aggressoren ihre Täterrolle anerkennen und sich gegenüber Opfern um Aufarbeitung von Schuld bemühen. Im Nachkriegsdeutschland war diese Bereitschaft in der Breite nicht vorhanden. Viel eher bestand die Auffassung, dass Gras über die Vergangenheit wachsen müsse, bis man ehemaligen Feinden wieder mit friedlichen Absichten begegnen könne.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutschland stand vor der Frage, wie mit Verantwortlichen der NS- und Kriegsverbrechen in Anbetracht der Beteiligung und des Mitwissens des Hauptteils der Bevölkerung umzugehen ist und ein Wiederaufbau des Landes mit Demokratisierung der Bevölkerung gelingen kann. Mit einem Volk von 60 Millionen zur Rechenschaft zu ziehenden Tätern war das nicht möglich. Andererseits waren Prozesse der Reinigung unumgänglich. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Mangels Alternativen waren Eliten der NS-Zeit in Politik, Rechtsprechung, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Bildung der NS-Zeit für den Wiederaufbau unverzichtbar. Zur Rechenschaft wurde nur eine kleine Gruppe von Haupttätern und oft nur halbherzig gezogen. Der Hauptteil ehemaliger Eliten der NS-Zeit befand sich bald wieder in verantwortlichen Positionen. Wenn Eliten sich nicht verantworten mussten, konnte das Volk nicht abgestraft werden. Für die Paradoxie dieser allen ethischen Prinzipien widersprechenden Situation mussten Sprachregelungen gefunden werden.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Bischof und Kardinal Clemens August Graf von Galen dankte im Juni 1945 </div><div class="separator" style="clear: both; margin-left: 40px; text-align: left;">„<i>unseren christlichen Soldaten, jenen, die in gutem Glauben, das Rechte zu tun, ihr Leben eingesetzt haben für Volk und Vaterland und auch im Kriegsgetümmel Herz und Hand rein bewahrt haben von Hass, Plünderungen und ungerechter Gewalttat“</i>.<span style="font-size: x-small;">(36)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Diese Sprachregelung war weder ein Freibrief noch ein Weg zur Versöhnung, aber sie bot überlebenden Kriegsteilnehmern eine Perspektive, mit der sie sich identifizieren konnten. Als christliche Soldaten haben sie im guten Glauben gehandelt. Herz und Hand blieben zwar nicht immer rein, aber was nicht vorzeigbar war, bedeckte Schweigen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh4awDatuAmjRHRt6h_rqiUitfQDftapVSweiadYZ2VUuunvrNpK_obQU5GNnKXCwmoCs1EodnmqYLACMlv-W2_YOHdWnjrme6saMvTlLQmVslvbfI3QoGIFPREF-EgwhVN_Xb4IMNx_l2a3QG2jRG0spz2BFnaH8xXtxjGc8N_ppFFHwl-fEwgDK-NRUc/s1440/brandt%20,kniefall-warschau-1970-willy-brandt-100~_v-16x9@2dL_-6c42aff4e68b43c7868c3240d3ebfa29867457da.jpeg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="810" data-original-width="1440" height="180" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh4awDatuAmjRHRt6h_rqiUitfQDftapVSweiadYZ2VUuunvrNpK_obQU5GNnKXCwmoCs1EodnmqYLACMlv-W2_YOHdWnjrme6saMvTlLQmVslvbfI3QoGIFPREF-EgwhVN_Xb4IMNx_l2a3QG2jRG0spz2BFnaH8xXtxjGc8N_ppFFHwl-fEwgDK-NRUc/s320/brandt%20,kniefall-warschau-1970-willy-brandt-100~_v-16x9@2dL_-6c42aff4e68b43c7868c3240d3ebfa29867457da.jpeg" width="320" /></a></div>Ein weltweit erinnerungswürdiges positives Symbol immaterieller deutscher Erinnerungskultur ist die Demutsgeste des Kniefalls von Willy Brandt 1970 in Warschau vor dem Mahnmal der Opfer des Warschauer Aufstands.<span style="font-size: x-small;">(37,</span><span style="font-size: x-small;">38</span><span style="font-size: x-small;">)</span> Ohne diese authentische Geste wäre die von der SPD-Regierung eingeleitete neue deutsche Ostpolitik der Versöhnung kaum möglich geworden. Konservative Politiker lehnten Brandts Ostpolitik ab und konservative Medien kommentierten Brandts Kniefall mit starker Ablehnung. Eine repräsentative Umfrage in der deutschen Bevölkerung ermittelte eine Mehrheit von Befragten, die den Kniefall als unangemessen oder übertrieben werteten.<span style="font-size: x-small;">(38)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3.1 Schlussstrichpolitik unter Konrad Adenauer: „<i>Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines ha</i>t“</b><span style="font-size: x-small;">(39)<b><br /></b></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wie Deutschland seiner Verantwortung für NS- und Kriegsverbrechen gerecht wird und sich gleichzeitig als westlich geprägte Demokratie neu erfinden kann, war eine der zentralen politischen Fragen der Nachkriegszeit. Antworten liegen nicht auf der Hand. Schuldbekenntnisse hätten den Weg geebnet, aber sie hätten Konsequenzen erfordert. Umwege über Buße respektive Sühne hätten den Weg in die Zukunft auf nicht absehbare Zeit verbaut. Das Dilemma zwischen Ausgrenzung und Integration von NS-Tätern löste deutsche Nachkriegspolitik im Interesse der nahezu gesamten in NS-Politik verstrickten Elite pragmatisch auf. Sie legte Priorität auf Zukunft und entschied sich für die Integration von NS-Tätern und gegen eine gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Haupttäter mussten sich selbstverständlich verantworten, aber der größte Teil von Elite und Bevölkerung galt als Mitläufer. Grenzverläufe zwischen Täterschaft und Mitläufertum blieben unscharf und wurden je nach Bedarf geschmeidig angepasst.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Nach außen musste Politik Formen finden, die Eindrücke einer verantwortungsbewussten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit symbolisch repräsentieren. Zahlreiche nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene und geförderte Museen, Gedenkstätten, Mahnmale, Gedenktafeln etc. sowie Gedenkveranstaltungen dienen dieser Aufgabe als Symbole einer kollektiven Erinnerungskultur an NS- und Kriegsverbrechen. Der Wert diese Erinnerungskultur wird fragwürdig bzw. als Alibi-Funktion offensichtlich, wenn kollektive Verantwortung auf prinzipielle Ablehnung stößt und Bereitschaft zur Übernahme individueller Verantwortung fehlt. <br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Politik der Regierung Adenauer folgte dem in Deutschland verbreiteten Schlussstrichdenken. Konrad Adenauer war kein Mitglied der NSDAP und eher ein Gegner der Nationalsozialisten, aber er war auch kein Mitglied des aktiven Widerstands, sondern er versuchte, sich mit der politischen Realität zu arrangieren. Diese Haltung und seine autoritär-patriarchalische Persönlichkeit prägten seine Politik nach 1945. Adenauer war klar, dass für den Wiederaufbau Deutschland Kompetenzen von Protagonisten der NS-Zeit benötigt werden. Daher geht dieses Schlussstrichdenken mit einer mehr als fragwürdigen Amnestiepolitik einher. Ob das Adenauer zugeschriebene Zitat „Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt es nicht“ authentisch ist, lässt sich nicht belegen, aber es charakterisiert Adenauers Denkweise. 1952 erklärte er im Bundestag: <br /><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Ich meine, wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei Schluss machen. Denn verlassen Sie sich darauf: Wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört."</i><span style="font-size: x-small;">(40)</span><i> </i></div> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Damit nicht genug. Als Bundeskanzler machte Adenauer den Nazi Reinhard Gehlen zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes<span style="font-size: x-small;">(41)</span> und holte ausgerechnet den an der Ausarbeitung und Kommentierung von Rassegesetzen beteiligten Juristen Hans Globke 1949 in das Kanzleramt. Er machte Globke als graue Eminenz zu einem seiner wichtigsten Berater und von 1953 bis 1963 zum Chef des Bundeskanzleramts.<span style="font-size: x-small;">(42)</span> Globke und Gehlen arbeiteten eng zusammen und bildeten Adenauers Schutzschild gegen <i>Nazi-Riecherei</i>. Globke belastende Dokumente wurden bis zu dessen Tod im Jahr 1973 unter Verschluss gehalten. Recherchen zeigten nach 1973 dessen tiefe Verstrickung in NS-Vergangenheit.<span style="font-size: x-small;">(43)</span> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3.2 Haltung und Politik der Bundespräsidenten 1949 - 1994</b><span style="font-size: x-small;">(44)</span><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die ersten Bundespräsidenten der Nachkriegszeit waren keine Mitglieder der NSDAP und fielen nicht als NS-Anhänger auf, aber eine lupenreine Weste hatten sie nicht und sie konnten sich nicht als Widerstandskämpfer ausgeben. Ihnen oblag die Aufgabe, rhetorisch verklausuliert Unmögliches zu leisten, Menschen für Demokratisierungsprozesse begeistern, ohne Verantwortung und Schuld auszublenden, aber sie auch nicht zuzuteilen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /><b>Theodor Heuss</b> (1884-1963), erster Bundespräsident (1949-1959)<span style="font-size: x-small;">(45)</span>, positionierte sich als Abgeordneter der Deutschen Staatspartei deutlich gegen die NSDAP, aber am 23.03.1933 hat er dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt, das die gesetzgebende Gewalt auf die Reichsregierung unter Hitler übertrug. Kurz nach der Ernennung zum Bundespräsidenten erklärte Heuss am 7.12.1949 in einer Rede: <br /> </div><div class="separator" style="clear: both; margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Es ist undenkbar, dass die Mehrheit aller Deutschen verdammt werden soll. Das würde der Billigung des Begriffes der Kollektivschuld gleichkommen. Und daraus würde logischerweise Massenbestrafung folgen, für die es keinen Präzedenzfall im Völkerrecht und keine Rechtfertigung in den Beziehungen zwischen den Menschen gibt.“ […] „Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht ist eine zu simple Vereinfachung. Aber etwas wie Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Denken Sie, was der Hitler uns antat – und er hat uns viel angetan – ist doch dies gewesen, dass er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen den Namen Deutsche zu tragen.“</i><span style="font-size: x-small;">(46)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Gemäß Rechtsempfinden eines großen Teils der Bevölkerung zog vermeintliche ‚Siegerjustiz’ Protagonisten der NS-Zeit zur Verantwortung. Aus Sicht der Bevölkerung war dieser Sachverhalt zwar völkerrechtlich fragwürdig, aber unvermeidbar und hinzunehmen, wenn anschließend ein Schlussstrich unter Fragen individueller Verantwortung gezogen würde. Mit Heuss konnten sich die meisten Deutschen arrangieren, weil sie dessen Argumente als ein Schlussstrich-Manöver des Umlenkens von Verantwortung auf Fremdscham bezüglich Hitler verstanden. Heuss wollte jedoch keineswegs das verbreitete Schlussstrichdenken fördern, sondern er dachte an Prozesse der Selbstreinigung, denen sich die Bevölkerung jedoch nicht aussetzen wollte. Daher sah sich Heuss veranlasst, am 30.11.1952 bei einer Ansprache in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen zu erklären: „<i>Wir haben von den Dingen gewusst</i>“.<span style="font-size: x-small;">(47)</span> Die Rede erzeugte großes Echo, bewirkte aber nichts.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /><b>Heinrich Lübke</b> (1894-1972), Nachfolger als Bundespräsident 1959-1969, war bereits in der NS-Zeit eine ambivalente Figur.<span style="font-size: x-small;">(48)</span> 1934/35 saß Lübke 20 Monate wegen Vorwürfen von Korruption in Untersuchungshaft. Ab 1937 nahm er als Reserveoffizier an Übungen der Wehrmacht teil und wurde bis zum Hauptmann befördert. Beruflich arbeitete er als Vermessungsingenieur und Bauleiter einer Albert Speer unterstehenden Baugruppe, die Zwangsarbeiter aus KZs für ihre Arbeiten anforderte. Unter Lübke als Bauleiter errichtete die Baugruppe Baracken für die Unterbringung von Zwangsarbeitern aus KZs. Dokumente aus der DDR diffamierten Lübke als „KZ-Baumeister“. Die Echtheit der Dokumente ist strittig.<span style="font-size: x-small;">(49)</span> Als sicher gilt, dass sie Lübkes Rolle verfälschend überzeichnen und Lübke 1969 zum Rücktritt zwangen. Als Bundespräsident leistete Lübke keine substanziellen Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Zeit und machte Entwicklungspolitik zu seinem Hauptanliegen.<br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>Gustav Heinemann</b> (1899-1976), Bundespräsident 1969-1974, war kein Mitglied der NSDAP, aber er war Mitglied in zwei NS-Organisationen, die er nicht angegeben hatte.<span style="font-size: x-small;">(50)</span> In der Nachkriegszeit engagierte sich Heinemann als Gegner der Wiederbewaffnung und der Atombewaffnung in der Friedensbewegung. Als Befürworter zahlreicher Reformen verschaffte sich Heinemann insbesondere in der kritischen Nachkriegsgeneration Respekt. Die Aufarbeitung der NS-Zeit war für ihn kein relevantes politisches Thema.<br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Beide Nachfolger, <b>Walter Scheel</b> (1919-2016), Bundespräsident 1974-1979<span style="font-size: x-small;">(51)</span>, und <b>Karl Carstens</b> (1914-1992), Bundespräsident 1979-1984<span style="font-size: x-small;">(52)</span>, waren Mitglieder der NSDAP. Beide machten durch Wanderungen in Deutschland auf sich aufmerksam. An Aufarbeitungen der NS-Zeit zeigten sie kein Interesse. Ohne Aufsehen zu erregen, erklärte Walter Scheel bereits 1975 in einer Rede zum Ende des Zweiten Weltkriegs: „<i>Wir wurden von einem furchtbaren Joch befreit, von Krieg, Mord, Knechtschaft und Barbarei. […] Aber wir vergessen nicht, dass diese Befreiung von außen kam.“</i><span style="font-size: x-small;">(53)</span><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Erst <b>Richard von Weizsäcker</b> (1920-2015), Bundespräsident 1984-1994<span style="font-size: x-small;">(54)</span>, leitete 1985 bezüglich Vergangenheitspolitik einen politischen Paradigmenwechsel ein. Anlässlich des 40. Jahrestags der Beendigung des Zweiten Weltkriegs sprach Weizsäcker im Bundestag in einer bis dahin beispiellosen Offenheit von der schweren, durch Vorfahren hinterlassenen Erbschaft. Er forderte von allen Deutschen die Annahme der Vergangenheit und erklärte: </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“</i><span style="font-size: x-small;">(55)</span></div> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">International fand diese Aussage große positive Resonanz. Umstritten war sie in der deutschen Kriegsgeneration und in konservativen Kreisen. Kritische Köpfe bemängelten Verkürzungen:<span style="font-size: x-small;">(56)</span><ul style="text-align: left;"><li>31 Abgeordnete der CDU und CSU blieben der Rede demonstrativ fern. Alfred Dregger und Franz-Josef Strauß widersprachen Weizsäcker und forderten Schlussstriche unter der Vergangenheitsbewältigung.</li><li>Der Historiker Ernst August Winkler merkte kritisch an, dass die Verantwortung von Eliten für die Zerstörung der Weimarer Demokratie und den Erfolg Hitlers unerwähnt blieb.</li><li>Der Historiker Henning Köhler kritisierte, dass Weizsäcker die Fiktion eines antifaschistischen befreiten Deutschlands geschaffen habe.</li><li>Der Kulturwissenschaftler Matthias N. Lorenz kritisierte an der Rede die Verengung von NS-Tätern auf Hitler und seine Führungsschicht.</li></ul></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zum Zeitpunkt der Rede war öffentlich nicht bekannt, dass Weizsäcker ursprünglich beabsichtigte, sich zum Abschluss seiner Rede für die Begnadigung von Rudolf Heß einzusetzen, Hitlers Stellvertreter der NSDAP-Leitung und einer von 24 Hauptangeklagten des Nürnberger Prozesses, der als Hauptkriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt war. Bereits Gustav Heinemann hatte sich 1974 für dessen Begnadigung eingesetzt und die Bundesregierung hatte 1984 zu Heß’ 90. Geburtstag ein Gnadengesuch gestellt hatte.<span style="font-size: x-small;">(57)</span> Weizsäckers Berater und Redenschreiber konnte ihn buchstäblich im letzten Momente davon überzeugen, diesen Passus zu streichen, um die Wirkung der Rede nicht zu zerstören.<span style="font-size: x-small;">(58)</span> In seiner Weihnachtsansprache 1985 holte Weizsäcker das Gnadengesuch nach.<span style="font-size: x-small;">(59)</span> Die Sowjetunion verhindert per Veto die vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis. Heß starb 1987 im Gefängnis Spandau durch Suizid.<span style="font-size: x-small;">(60)</span><br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Hinsichtlich seiner undurchsichtigen und historisch weitgehend unaufgearbeiteten Vergangenheit als Offizier der deutschen Wehrmacht blieb Weizsäcker verschwiegen. Aussagen bekannter Persönlichkeiten vermitteln Skepsis gegenüber Weizsäckers Persönlichkeit:<span style="font-size: x-small;">(61)</span><ul><li>Weizsäckers Sohn Fritz erklärte 2010 in einem Interview, dass sich sein Vater nur an das erinnere, an das er sich erinnern wolle, und an das andere nicht.</li><li>Marcel Reich-Ranicki erklärte in einem Gespräch mit Frank Schirrmacher, ihm sei immer klar gewesen, dass die Weizsäckers mehr <i>„braunen Dreck am Stecken“</i> hätten, als sie zugäben. Im gleichen Gespräch stellte Frank Schirrmacher die <i>„Glaubwürdigkeit des Unschuldsengels Richard von Weizsäcker“</i> infrage. </li><li>Publizist, Filmemacher und Moderator Roger Willemsen stellte 1990 in einem Beitrag der Zeitschrift Konkret fest, Weizsäcker sei <i>„unerreichbar für Einwände und in seinen Antworten auf rare kritische Fragen schnell scharf“</i>.</li><li>Die Journalistin Martina Fietz bezeichnete Weizsäcker als Symbol der Ambivalenz weiter Teile seiner Generation.</li><li>Helmut Kohl beschrieb Weizsäcker 2002 in einem Interview als einen <i>„der größten Anpasser in der Geschichte der Republik“</i>.</li></ul></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3.3 Amnestie-Politik nach 1945<br /></b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Fehlende Einsichten in Schuld und Verantwortungen korrespondieren mit Forderungen nach Schlussstrichen bzw. nach <i>Tabula rasa</i> und legitimieren politisch nach 1945 mehrere Amnestie-Wellen. Amnestien können je nach politischem und verfassungsrechtlichem Kontext eine rechtsstaatliche Demokratie stärken, aber auch aushöhlen. In der sozialen Realität verbreiteten sich beide Effekte.<span style="font-size: x-small;">(62) </span> Ob Amnestien alternativlos waren, ist eine diskutierbare Frage. Dass Amnestien zum politischen und wirtschaftlichen Neuaufbau beigetragen haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Offenkundig ist auch, dass die Amnestie-Politik nach 1945 einen mentalen Neuaufbau zugunsten aufgeklärter Demokratie sowie die Glaubwürdigkeit von Erinnerungskultur an NS-Zeit be- und auch verhinderten.<ul><li>Im Dezember 1949 brachte die Adenauer-Regierung ein erstes Amnestiegesetz mit der Begründung auf den Weg: <i>„Wir haben so verwirrte Zeitverhältnisse hinter uns, dass es sich empfiehlt, generell Tabula rasa zu machen.“</i> Das Straffreiheitsgesetz trat am 1.01.1950 in Kraft. Bis zum 31.01.1951 wurden 792.176 Personen amnestiert.<span style="font-size: x-small;">(63)</span> Vordergründig ging es um bestraftes illegales Verhalten nach der Kapitulation wie Schwarzschlachten, Schwarzbrennen von Schnaps, Schwarzmärkte, Diebstahl von Lebensmitteln. Tatsächlich zielte das Gesetz auf das Beenden alliierter Entnazifizierungspolitik ab und bezog auch Straftäter der Kriegs- und Vorkriegszeit ein. Wieviele Täter der NS-Zeit von dem Gesetz profitierten, wurde nicht dokumentiert.<span style="font-size: x-small;">(64)</span> </li><li>Eine andere Initiative der Adenauer-Regierung ermöglichte die Wiedereinstellung von 160.000 Beamten der NS-Zeit, die von Alliierten wegen ihrer Vergehen aus Staatsdiensten entfernt worden waren.<span style="font-size: x-small;">(65)</span> </li><li>Das zweite Straffreiheitsgesetz von 1954 ging deutlich weiter als das erste Straffreiheitsgesetz und amnestierte weitere 400.000 Straftäter, darunter erneut NS-Täter mit schweren Vergehen. Das Gesetz zog im Sinne von Selbstrehabilitation und -legitimation der Bundesrepublik einen Schlussstrich unter Entnazifizierungsverfahren.<span style="font-size: x-small;">(65)</span> Es erlaubte Tätern, sich auf einen Befehlsnotstand zurückzuziehen und verhinderte weitgehend neue Ermittlungsverfahren.<span style="font-size: x-small;">(66)</span> Auswirkungen des Gesetzes beschreibt der Politikwissenschaftler Joachim Perels. U.a. amnestierte das OLG Hamm Mitarbeiter unterer Ränge der Gestapo, die Kriegsgefangene erschossen hatten, weil das Gericht die Nichtausführung der Tötung als unzumutbar wertete.<span style="font-size: x-small;">(67)</span> </li><li>Auf weitere Amnestieregelungen verweist der Politikwissenschaftler Joachim Perels in einem 1995 in der Zeitschrift Kritische Justiz veröffentlichten Beitrag.<span style="font-size: x-small;">(68)</span> </li></ul><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>3.4 Der Verjährungsskandal 1969 der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger<br /></b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Eine Regierungskrise bewirkte 1966 das Auseinanderbrechen der Regierungskoalition CDU/FDP mit Ludwig Erhard als Kanzler. Erhard war kein Mitglied der NSDAP. Der Jurist Richard Jaeger, Justizminister der Regierung Erhard, war Mitglied der NSDAP und der SA. 1951 sprach sich Jaeger für eine Begnadigung aller zum Tode verurteilten deutschen Kriegsverbrecher aus, trat aber selbst für die Todesstrafe ein, weshalb Herbert Wehner ihn als „Kopf-ab-Jaeger“ bezeichnete.<span style="font-size: x-small;">(69)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Ab 1966 bildeten CDU und SPD eine Regierungskoalition mit dem Juristen Kurt Georg Kiesinger als Kanzler.<span style="font-size: x-small;">(70)</span> Kiesinger war Mitglied der NSDAP und galt zur NS-Zeit als begeisterter Anhänger der NS-Politik, was er selbst bestritt. Kiesinger wurde als Mitläufer mit 18 Monaten Haft entnazifiziert und auf eigenes Betreiben 1948 entlastet. 1968 besuchte Kiesinger die faschistischen Diktatoren Caetano in Portugal sowie Franco in Spanien und kommentierte seine Besuche mit positiven Eindrücken:<span style="font-size: x-small;">(71)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Zu Caetano soll Kiesinger erklärt haben: „<i>Ich bin glücklich, daß ich in hohem Maße mit Ihrer Auffassung übereinstimme.“</i> </li><li>Bei Franco beeindruckte Kiesinger <i>"die präzise Analyse und die Klarheit seiner Gedanken".</i><br /></li></ul></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Unter der Regierung Kiesinger wurde im Kontext einer Strafrechtsreform 1968 das Ordnungswidrigkeitengesetz durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) neu geregelt.<span style="font-size: x-small;">(72)</span> Hauptverantwortlich für den Entwurf des Gesetztes war der Jurist und hohe Ministerialbeamte Eduard Dreher. Dreher war Mitglied der NSDAP und wirkte in der NS-Zeit als Staatsanwalt und war als einer von Hitlers blutigen Schergen berüchtigt.<span style="font-size: x-small;">(73)</span> Entgegen der beabsichtigten Entkriminalisierung von Bagatelldelikten bewirkten juristisch verklausulierte Neuregelungen, dass der überwiegende Teil aller an Morden beteiligten, aber bisher unbestraften NS-Täter in den Genuss von Verjährung kamen, was erst journalistische Medien als „Verjährungsskandal“ bzw. „kalte Amnestie“ aufdeckten.<span style="font-size: x-small;">(74)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Unsicher ist, ob allen Parlamentariern bei ihrer Zustimmung Konsequenzen der Neuregelung bewusst waren oder ob es einen Konsens des Schweigens gab. Als sicher gilt, dass die Neuregelung keine „Panne“ war, sondern von Dreher bewusst in der Neuregelung versteckt wurde. Die historische Forschung nimmt an, dass Dreher vom Juristen Ernst Achenbach angestiftet wurde, Politiker des rechten Flügels der FDP nach 1945.<span style="font-size: x-small;">(75)</span> Zur NS-Zeit war Achenbach in Frankreich an Judenverfolgungen beteiligt. Als Parlamentarier pflegte er zusammen mit Friedrich Middelhauve Kontakte zu einer Gruppe ehemaliger Nationalsozialisten um Werner Naumann, ehemals Staatssekretär von Hitlers Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels.<span style="font-size: x-small;">(76)</span><br /><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4 Schlussbetrachtung</b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b> </b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4.1 Was war? <br /></b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b> </b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die eigenen Eltern waren überzeugte Anhänger der parlamentarischen Demokratie und haben sich regelmäßig per Tageszeitung, Rundfunk, Fernsehen politisch informiert. Sie haben keine Wahl ausgelassen und klassenbewusst prinzipiell SPD bzw. Kandidaten der SPD gewählt. Vermutlich zur eigenen Rechtfertigung vermittelten die Eltern mitunter dennoch, dass der Nationalsozialismus keineswegs nur schlecht war. Positiv hoben Eltern hervor, dass Hitler nach der Krise der Weimarer Zeit für einen wirtschaftlichen Aufschwung mit Vollbeschäftigung sorgte, soziale Ordnung herstellte und Deutschland aus von Siegermächten des Ersten Weltkriegs aufgezwungener Demut befreit wurde. Der Angriff auf Russland galt jedoch als Fehler. Ohne diesen Fehler hätte Deutschland seine Macht in Europa ausbauen können. Ob ein Leben als „Herrenmenschen“ besser und einfacher geworden wäre, sei jedoch mehr als fraglich. Judenvernichtung und Euthanasie verurteilten die Eltern uneingeschränkt, gewusst hätten sie jedoch über diese Vorgänge nichts. Euthanasie habe heimlich stattgefunden. Dass Juden verachtet, angegriffen, verfolgt und deportiert wurden, habe zwar jeder mitbekommen, aber die Vernichtung von Juden sei erst von Besatzungsmächten aufgedeckt worden. Vorher seien lediglich Gerüchte kursiert. Zu eigener Schuld und eigenem Versagen haben sich die Eltern nicht bekannt. Sie seien nur kleine Lichter gewesen. Die Politik habe an anderer Stelle hinter Kulissen stattgefunden. In Erzählung der Eltern über die NS-Zeit war immer ein Schamgefühl spürbar.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />In den 1950er Jahren befand sich in Omas Wäscheschrank ein von NS-Politik in Anlehnung an militärische Orden an kinderreiche Mütter als Auszeichnung verliehenes Ehrenkreuz der Deutschen Mutter (Mutterkreuz), im Volksmund als „Karnickelorden“ bezeichnet.<span style="font-size: x-small;">(77)</span> Die Auszeichnung diente der Förderung eines völkisch wertvollen Nachwuchses und wurde auf öffentlichen Feiern jeweils am zum offiziellen Feiertag erklärten ‚Muttertag‘ im Namen von Adolf Hitler durch den zuständigen Ortsgruppenleiter der NSDAP verliehen. Voraussetzung der Verleihung waren „deutschblütige“ Eltern, sowie „erbtüchtige“, „sittliche einwandfreie“, „anständige“ Mütter.<span style="font-size: x-small;">(78)</span> Wie das festgestellt wurde und wie die Verleihung ablief, ist nicht überliefert. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Das Mutterkreuz ist ein Symbol für NS-Ideologie und ein Indiz (kein Beweis!) für Affinität ausgezeichneter Mütter zu NS-Politik, zumal die Auszeichnung einen vorzulegenden Ariernachweis erforderte.<span style="font-size: x-small;">(79)</span> Verdacht auf Affinität zu NS-Ideologie in der Mutterfamilie erzeugen Mutters von NS-Ideologie geförderter Berufswunsch Kinderkrankenschwester sowie die von zwei Brüdern des Großvaters veranlasste Arisierung des auf das slawische „ki“ endenden Familiennamens. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die öffentliche Aufarbeitung von Unrecht der NS-Zeit beschränkt sich überwiegend auf wenige Haupttäter, von denen einige recht glimpflich verurteilt und teilweise nach einer Schamfrist amnestiert wurden. Trotz aller ehemaligen Begeisterung für den Nationalsozialismus und der Mitwirkung an der Umsetzung von NS-Zielen betrachtet sich die Kriegsgeneration überwiegend entweder als unschuldig und beruft sich auf Unwissen oder sie sieht sich als Opfer von NS-Politik, das unter Androhung oder Befürchtung harter Konsequenzen zu Handlungen gezwungen worden ist, denen es bei freiem Willen nie zugestimmt hätte. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wirtschaftseliten hatten selbstverständlich mit dem Nationalsozialismus kooperiert. Ihre führenden Köpf sahen sich jedoch als unantastbar, weil sie wussten, dass sie für den Wiederaufbau benötigt werden. Sie kamen nicht völlig ungeschoren davon und mussten sich zumindest der Entnazifizierung stellen, aber prinzipiell täuschten sie sich nicht. Sie waren bald wieder in Spitzenfunktion und konnten ihre Karrieren vorantreiben. Eine Auswahl der prominentesten Namen umfasst Herrmann Josef Abs, Friedrich Karl Flick, Reinhard Höhn, Josef Neckermann, Hans-Günther Sohl.<span style="font-size: x-small;">(80)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Insbesondere haben sich NS-Juristen schuldig gemacht, indem sie nicht Recht, sondern Unrecht gesprochen haben. Ab 1933 bis zum Kriegsende wurden Tatbestände der Todesstrafe von 3 auf 46 ausgeweitet und Strafmaße mit dem Ziel „rassischer Auslese“ immer mehr verschärft, sodass bereits für Bagatellvorfällen wie einfacher Diebstahl bereits die Todesstrafe verhängt wurde. Zivilgerichte sprachen in diesem Zeitraum 17.000 Todesurteile.<span style="font-size: x-small;">(81)</span> Wehrmachtsgerichte verhängten weitere 50.000 Todesurteile überwiegend wegen vermeintlicher Wehrkraftzersetzung oder Desertation.<span style="font-size: x-small;">(82)</span> Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die meisten der NS-Juristen bald wieder in Positionen der NS-Zeit und sprachen sich von jeder Schuld frei oder sie amnestierten sich rasch im Fall strafrechtlicher Verurteilungen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Der renommierte Historiker Norbert Frei spricht von einem "verlogenen Selbstbild", mit dem sich die juristische Elite in der Bonner Ministerialverwaltung und im Bundestag Einfluss verschaffte<span style="font-size: x-small;">(83) </span>sowie von der "<i>Unverfrorenheit der Selbstbegünstigung in Gestalt von Freisprüchen für NS-Juristen</i>", die "<i>über Jahrzehnte hinweg nichts anderes als ein einziger politischer und moralischer Skandal</i>" waren.<span style="font-size: x-small;">(84) </span>Unwidersprochen reklamiert Norbert Frei, dass sich "<i>im Justizministerium</i> [...] <i>ganze Seilschaften einstiger Kriegs- und Sonderrichter</i> [...] <i>um die vergangenheitspolitischen Interessen ihrer Kollegen und um die Amnestierungsbedürfnisse hochrangiger SS-Täter kümmerten</i>."<span style="font-size: x-small;">(85)</span> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Ähnlich wie Juristen, wenn auch etwas unauffälliger, leistete die Medizin ihren spezifischen Anteil an Verbrechen der NS-Politik. Ab 1933 verrieten Mediziner ihr ehemals humanistisches Menschenbild und stellten sich in den Dienst von NS-Politik. 1933 postulierte der NS-Ärztebund einen Paradigmenwechsel, gemäß dem nicht mehr die Gesundheit von Menschen, sondern das "<i>Heil der arischen Rasse</i>" von zentraler Bedeutung sei.<span style="font-size: x-small;">(86)</span> Nach 1945 schützte die "<i>benachbarte Funktionselite</i>" NS-verseuchter Juristen "<i>in höchstem Feingefühl</i>" die Ärzteschaft gegen rechtsstaatliches Vorgehen durch Verschleppung.<span style="font-size: x-small;">(87)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Nur ein kleinerer Anteil der Kriegsgeneration ist ehrlich genug, um zuzugeben, dass ihn Opportunismus, Verblendung und Irrtümer zum Mitläufer gemacht haben. Ein noch kleinerer Anteil hat der NS-Politik nicht zugestimmt und hat aktiven Widerstand geleistet oder er ist emigriert oder, wenn das nicht möglich war, in die innere Emigration geflüchtet. Belastbare quantitative Bewertungen von Verteilungen sind kaum möglich, weil Aufarbeitungen der NS-Zeit nur für einige Organisationen, aber nie in der Breite stattgefunden haben. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Aus öffentlichen Mitteln finanzierte Gedenkstätten, Museen, Mahnmale, Veranstaltungen etc. vermitteln scheinbar das Bild der Aufarbeitung von Unrecht der NS-Zeit und ernsthafter Erinnerungskultur. Tatsächlich handelt es sich jedoch um Symbolpolitik, die Mängel individuellen Unrechtsbewusstseins im öffentlichen Raum wie Feigenblätter verhüllt. Auszunehmen sind von diesem Verdikt mehr als 100.000 von Günter Deming seit 1992 verlegte Stolpersteine, die überwiegend durch private Patenschaften finanziert werden.<span style="font-size: x-small;">(88)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Integrationsstrategien von Regierungen und Bundespräsidenten der Nachkriegszeit waren alternativlos und wären den Akteuren nicht vorzuwerfen, wenn Abgrenzungen zwischen nicht oder nur gering belasteten und stärker belasteten Personen stattgefunden hätten. Aber das war oft nicht möglich oder nicht gewollt. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">In dieser Situation ist die Nachkriegsgeneration unter traumatisierten Eltern in einem Klima der Verschwiegenheit und Verlogenheit aufgewachsen. Das Klima zwischen den Generationen war vergiftet und hat alle Beteiligten nachhaltig belastet und beschädigt. Der Aufstand der 68er-Generation gegen eigene Vorfahren bzw. gegen Hüter von Recht, Moral, Sitte, Anstand war unvermeidbar und als Befreiung von Altlasten alternativlos. Eine überwiegend pazifistisch ausgerichtete kritische Nachkriegsgeneration engagierte sich in der Friedensbewegung und kämpfte mit gewaltfreien Protestaktionen gegen geheimbündlerische Netzwerke eines korrumpierbaren Establishments. Altvordere reagierten gerne mit der Aufforderung: <i>„Geh doch nach drüben, wenn es dir hier nicht gefällt.“</i> <i>„Drüben“</i> war die DDR. Neben Generationskonflikten drohten dort zusätzlich Versorgungsprobleme und politische Repressionen. Diese Option war nur für wenige Menschen relevant, u.a. für Wolf Biermann. In Gegenrichtung von Ost nach West waren Migrationsbewegungen deutlich stärker und vermittelten der jungen Generation, zwar gegen zahlreiche Defizite agieren zu müssen, aber trotzdem im besseren Teil der Welt zu leben. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Restitution von Eliten aus Ressourcen der NS-Zeit ließ gewaltbereite linksextreme Gruppen die Notwendigkeit eines mit Gewaltmitteln herbeizuführenden revolutionären Umsturzes annehmen. Die erfolglosen Versuche provozierten staatspolitische Gegenreaktionen, die Vertrauen einer pazifistischen Jugend in staatliche Ordnungspolitik eintrübten und einen Politisierungsschub zündeten, mit dem erst von Politik und Justiz weitgehend versäumte Aufarbeitung von Unrecht der NS-Zeit einsetzte.<span style="font-size: x-small;">(89)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Grundlegend geändert haben sich im Kontext NS-Zeit Rollen von Kircheninstitutionen. Kirchen sind durch ihr Versagen weitgehend marginalisiert. Selbst wollen sie das nicht wahrhaben und deuten Kirchenkritik fälschlich als Feindseligkeit gegenüber Religion, was ich als Unsinn werte. Eine weitere grundlegende kulturelle Veränderung betrifft die Frauenbewegung, die sich erst mit Auflösungsprozessen traditioneller Ordnungsstrukturen entfalten konnte. Ziele der Befreiung aus patriarchalischer Kontrolle und Unterwerfung sind noch nicht erreicht, aber sie rücken näher. Ob Gendern von Sprache einen substanziellen Beitrag leistet, bleibt zu Recht strittig.<br /><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b><br /></b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4.2 Was ist? </b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Seit 1945 liegt eine Zeitstrecke von mehr als 75 Jahren bzw. liegen ca. drei Generationen hinter uns. In dieser Zeit haben umfassende soziale, kulturelle und materielle Veränderungen stattgefunden, die als Transformationen aufgefasst werden, was nicht gleichbedeutend mit Fortschritt ist, sondern auch Seitwärtsbewegungen und Regressionen bzw. Rückschritte umfasst. Abbau des Kalten Kriegs, Zusammenbruch der Sowjetunion, deutsche Wiedervereinigung und Etablierung der EU erzeugten Euphorie und vermittelten Visionen eines demokratischen Modells westlicher Prägung auf dem Siegeszug zur globalen Ausbreitung. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Bezüglich Fragen nach Lernerfahrung aus der NS-Zeit unterscheidet der Soziologe Mario Rainer Lepsius Arten des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik, Österreich, DDR mit den Begriffen Internalisierung, Externalisierung und Universalisierung:<span style="font-size: x-small;">(90)</span> <br /></div><div class="separator" style="clear: both; margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"In der Bundesrepublik wurde die NS-Vergangenheit nach langem Beschweigen als Teil der eigenen Geschichte anerkannt und somit internalisiert. In Österreich betrachtete man sich lange als erstes Opfer des Nationalsozialismus, der somit als externes Phänomen beschrieben wurde. Die DDR sah ihn als Faschismus an, also als Ausfluss des weltweit tätigen Kapitalismus. Daher schienen seine Wurzeln nicht nur in der deutschen Geschichte zu liegen, sondern im universalen Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus, der mit naturgesetzlicher Notwendigkeit siegen werde."</i><span style="font-size: x-small;">(91)</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Lepsius will sagen, dass Deutschland durch Nationalsozialismus erteilte Lektionen gelernt und Menschen demokratische Denkweisen verinnerlicht haben. Fairerweise ist zu erwähnen, dass diese Aussage aus der Phase der Euphorie vor mehr als 10 Jahren stammt. Ohne Details oder pauschale Plattheiten zu nennen, ist erkennbar, dass diese Euphorie verflogen ist und kollektive Krisen keineswegs abgenommen haben, sondern in der Gegenwart eher zunehmen. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Der Leichenkeller ist längst nicht vollständig ausgeleuchtet, erforscht, dokumentiert, aufgeräumt. Immerhin ist zu Fragen nach Methoden und Verantwortung der Verhinderung von Aufarbeitung des Unrechts und des Schutzes von Tätern mehr Transparenz entstanden. Prinzipien politischer Gestaltung blieben jedoch unverändert und sind bis bis heute weitgehend identisch. In der Realität entstehen politische Strategien unter Einflüssen mächtiger Lobbygruppen der Wirtschaft in Hinterzimmern. Nach außen projiziert Politik Fiktionen funktionierender Demokratie. Mut zur Aufweichung formaler Demokratie zugunsten lebendiger Demokratie fehlt. Direkte Demokratie bedroht Machtmonopole und wird abgewehrt, als illegal ausgeschlossen und kriminalisiert. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wie ist dieser Sachverhalt zu erklären? Zwei Hauptgründe sind identifizierbar:<ul style="text-align: left;"><li>Interessen von Machteliten blockieren Modelle lebendiger Demokratie.</li><li>Das Denken eines Großteils aller Menschen ist nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen globalen Kulturen, insbesondere aber im westeuropäischen Kulturraum von tief verwurzeltem, latent toxischem Rassismus beeinflusst. Deutungen europäischer Kultur als globales Fortschrittsprogramm sind rassistisch verseucht. Europäische Kultur ist eine durch kontingente Umstände seit dem 15. Jahrhundert entstandene egoistische Ausbeuterkultur, die Wohlstand auf Kosten ausgebeuteter Kulturen produziert. </li></ul><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4.3 Was bleibt? </b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b> </b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die Kriegsgeneration hat sich stark darum bemüht, eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen als sie es selbst erfahren haben. Unbewusst haben sie jedoch auch Erfahrungen eigener Sozialisation unter Bedingungen der NS-Zeit weitergegeben, ohne sie offen anzusprechen. Tabuzonen der Sprachlosigkeit haben das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern nachhaltig belastet. Den Eltern fiel es schwer, eigene Kinder mit emotionaler Wärme zu umgeben, Potentiale ihrer Kinder positiv zu verstärken und ihren Kindern zu vertrauen. Umgekehrt verhinderte Verhalten von Eltern, dass Kinder ihnen vertrauen konnten. Erst nach ca. 30 Jahren Abstand zur NS-Zeit und dem erfolgreichen eigenem Studium entspannte sich in der eigenen Familie das Verhältnis zu den Eltern. Beide Seiten wurden toleranter, einsichtiger, gegenseitig wertschätzender. Diese Entwicklung setzte leider erst spät ein, aber immerhin setzte sie überhaupt ein und ermöglichte eine Neuausrichtung des Eltern-Kinder-Verhältnisses, die positive Erinnerungen hinterlässt.<br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Europäischer Wohlstand hat eine Bildungsexplosion bewirkt, Wissenschaften etabliert, Lebens- und Erziehungsstile verändert. Bildung und Wissenschaften befähigen zu kritischen Analysen und ansatzweisen Verständnissen von Komplexität. Sie zeigen aber auch Grenzen des Verstehens und ermöglichen das Erkennen von Erklärungen ohne empirische Evidenz, Irrtümern, Lügen, Unsinn. Wissenschaftliches Denken gestattet Modellierungen und Tests von Szenarien mit Zielen der Bewältigung von Krisen und der Realisierung alternativer Lebensmodelle zum Wohl nicht nur einer Elite, sondern der Menschheit. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">In westlichen Kulturen leben jedoch viele, vermutlich die meisten Menschen ohne ethischen Kompass mit anscheinend nachlassendem Bildungshunger vor allem für den eigenen, oftmals überflüssigen und weitgehend sinnfreien Konsum von Waren, Dienstleistungen, Drogen, Shows, Medien, Sex etc. und deren quantitative und/oder qualitative Maximierung. Das war schon vor der NS-Zeit so, pervertierte in der NS-Zeit, ist in der Gegenwart so und wird sich kurzfristig kaum ändern, solange ethische Ziele fehlen oder unverbindlich bleiben und Konsumoptionen erreichbar sind. Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht um ihre eigene Wohlfahrt sorgen, sondern auch um das Gemeinwohl. Eigene Individualität ist nicht als prinzipiell defizitär aufzugeben, sondern sie sollte sich an solchen kollektiven ethischen Zielen ausrichten, die der Wohlfahrt einer Mehrheit dienen. So denkende und handelnde Menschen sind Hoffnungsträger unserer Kultur. <br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>4.4 Was wird? </b><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wie sich die Realität unserer Lebenswelt in einigen Jahren darstellt, kann niemand vorhersagen. Trends sind erkennbar. Globales Bevölkerungswachstum und Klimawandel, global zunehmende politische Konflikte und Migrationsströme, Verwahrlosung kollektiver Güter, Erosion von Bildung etc. machen wahrscheinlich, dass bestehende Krisen zunehmen werden und nicht zu erwarten ist, dass das bereits mit dem Management dieser Krisen überforderte Modell westlicher Demokratie diese Herausforderung unter politische Kontrolle bringt, weil es selbst in einer Krise steckt.<br /> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Mit zunehmender Größe von Herausforderungen nehmen Kontrolle von Lebensbedingen und Vertrauen in politische Fähigkeiten von Regierungen westlicher Demokratien ab. Da ein hoher Anteil Menschen westlicher Kulturen ohne ethische Orientierung lebt, Bildungsanstrengungen vermeidet und unter Einflüssen von Werbeindustrie Sinn des Lebens im Konsum
sucht und vermeintlich findet, können rechtsextreme und populistische Bewegungen dieses Vakuum besetzen und Einfluss, Durchsetzungsvermögen, Dominanz gewinnen. Autoritäre politische Systeme vermitteln scheinbar sinnstiftende Ziele, Richtungen, Wege. Was das bedeuten kann, zeigt die jüngere deutsche Geschichte. Allerdings handelt es sich nicht um ein deutsches Problem, sondern um ein Problem von Demokratiemodellen westlicher Prägung, die global durch sich ausbreitende autoritäre politische Systeme zunehmend in die Defensive geraten. Der Kampf um die Weltordnung läuft bereits. Der Ausgang ist offen, aber eine Reihe von Indizien signalisiert, dass das Verfallsdatum goldener Zeiten westlicher Demokratien in Sichtweite gerät.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div></div></div></div></div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-91662624468520226962024-02-06T08:16:00.021+01:002024-03-21T01:30:08.389+01:00Anmerkungen Teile 1 bis 3 der Postserie über den Neuaufbau Westdeutschlands nach 1945 und Erinnerungskultur an NS-Zeit' <div style="text-align: left;"><b><span><a name='more'></a></span></b></div><div style="text-align: left;"><b>Anmerkungen Teil 1</b></div><div style="text-align: left;"><ol><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper">Karl Popper</a>, <i>Das Elend des Historizismus, </i><span style="font-style: normal;">zitiert
in einer </span>Buchbesprechung ZEIT Online, 17.01.1992: <a href="https://www.zeit.de/1992/04/das-elend-des-historizismus/komplettansicht">Das
Elend des Historizismus</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kriegsenkel" target="_blank">Kriegsenkel</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Urvertrauen" target="_blank">Urvertrauen</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Niklas_Frank" target="_blank">Niklas Frank</a> - private Webseite: <a href="https://niklasfrank.de/" target="_blank">Niklas Frank</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hans_Frank" target="_blank">Hans Frank</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Spiegel, 02.09.2021: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/niklas-frank-ueber-niklas-frank-sein-haertester-kritiker-a-c0d0e81b-97d9-40e2-9ec0-68c3f117e330" target="_blank">Niklas Frank über Niklas Frank</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Niklas Frank, <i>Zum Ausrotten wieder bereit?</i> Bonn 2023 <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fritz_Sauckel" target="_blank">Fritz Sauckel</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Süddeutsche Zeitung, 17.05.2010: <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/schatten-eines-unbekannten-dein-uropa-war-ein-kriegsverbrecher-1.440168" target="_blank">"Dein Uropa war ein Kriegsverbrecher"</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Totaler_Krieg" target="_blank">Totaler Krieg</a></li></ol><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>Anmerkungen Teil 2</b></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Duisburg" target="_blank">Duisburg</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
Online-Artikel zum Zweiten Weltkrieg:<br /></li><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Geschichte_des_Ruhrgebiets#Drittes_Reich_1933%E2%80%931945" target="_blank">Geschichte des Ruhrgebiets: Drittes Reich 1933 -1945</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zweiter_Weltkrieg" target="_blank">Zweiter Weltkrieg</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zeit_des_Nationalsozialismus#Kriegszeit" target="_blank">Zeit des Nationalsozialismus: Kriegszeit</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wirtschaft_im_Nationalsozialismus#Kriegswirtschaft" target="_blank">Wirtschaft im Nationalsozialismus: Kriegswirtschaft</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ruhrbergbau#Zeit_des_Nationalsozialismus" target="_blank">Ruhrbergbau: Zeit des Nationalsozialismus</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Liste_von_Luftangriffen_der_Alliierten_auf_das_Deutsche_Reich_(1939%E2%80%931945)" target="_blank">Liste alliierter Luftangriffe auf das Deutsche Reich (1939 - 1945)</a> <br /></li></ul><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Operation_Hurricane_(1944)" target="_blank">Operation Hurricane</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Online-Artikel über Bomberangriffe auf das Ruhrgebiet<ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Luftangriffe_auf_das_Ruhrgebiet" target="_blank">Luftangriffe auf das Ruhrgebiet</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Operation_Hurricane_(1944)" target="_blank">Operation Hurricane 1944</a> (Hauptziel Duisburg) </li><li>Lokalkompass Duisburg, 14.10.2010: <a href="https://www.lokalkompass.de/duisburg/c-vereine-ehrenamt/operation-hurricane-die-duisburger-schreckenstage-vom-14-15-oktober-1944-ein-rueckblick_a19810" target="_blank">Operation Hurricane - Die Duisburger Schreckenstage</a> </li><li>WAZ, 14.09.2009: <a href="https://www.waz.de/staedte/duisburg/nord/erinnerungen-an-duisburgs-haerteste-bombennacht-id15050.html" target="_blank">Erinnerungen an Duisburgs härteste Bombennacht</a> </li><li>WAZ, 14.05.2012: <a href="https://www.waz.de/staedte/duisburg/duisburg-nach-den-angriffen-der-royal-air-force-id6647346.html" target="_blank">Duisburg nach den Angriffen der Royal Air Force</a> </li><li>WAZ, 24.02.2014: <a href="https://www.waz.de/staedte/duisburg/bombenkrieg-ueber-duisburg-id9029375.html" target="_blank">Bombenkrieg über Duisburg</a></li><li>WAZ, 14.10.2019: <a href="https://www.waz.de/staedte/duisburg/nord/oktober-1944-als-der-duisburger-norden-in-flammen-stand-id227365371.html" target="_blank">Oktober 1944: Als der Duisburger Norden in Flammen stand</a> </li><li>RP, 21.04.2010: <a href="https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/2-weltkrieg-bombenhagel-auf-duisburg_bid-12039605#0" target="_blank">Fotostrecke: Bombenhagel über Duisburg</a> <br /></li><li>RP, 07.05.2010: <a href="https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/als-die-bomben-fielen_aid-12855669" target="_blank">Duisburg - Als die Bomben fielen</a> </li><li>RP, 11.10.2019: <a href="https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/duisburger-geschichten-und-geschichte-der-britische-bombenangriff-1944_aid-46435791" target="_blank">Vor 75 Jahren: Der britische Bombenangriff über Duisburg</a><br /></li><li>WR, 21.05.2013: <a href="https://www.wr.de/staedte/dortmund/vor-70-jahren-bomben-legen-dortmund-in-schutt-und-asche-id7975303.html" target="_blank">Vor 70 Jahren - Bomben legen Dortmund in Schutt und Asche</a> <br /></li></ul><ul><li>WAZ, 02.11.2014: <a href="https://www.waz.de/staedte/bochum/1944-fielen-in-einer-nacht-140-000-bomben-auf-bochum-id9994978.html" target="_blank">1944 fielen in einer Nacht 140.000 Bomben auf Bochum</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
Zwangsarbeit im Überblick: <ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus" target="_blank">Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus</a> </li><li>BPB. 01.06.2016: <a href="https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/ns-zwangsarbeit/222627/ueberblick-die-nationalsozialistische-zwangsarbeit/" target="_blank">Überblick: Die nationalsozialistische Zwangsarbeiter</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Lager der NS-Zeit sowie deren Opfer und Täter dokumentiert bzw. plagiiert Reinhard Tenhumberg (<a href="http://www.tenhumbergreinhard.de/0000009ba3099fc01/05aaff9ba30fccb03/05aaff9bb708f8239.html" target="_blank">Impressum</a>) umfassend, aber ohne Quellenangaben auf dem privaten Portal <a href="http://www.tenhumbergreinhard.de/index.html" target="_blank">Familie Tenhumberg</a>.
Die Familie ist im politischen Katholizismus des Münsterlands
verwurzelt. (Hinweis auf Plagiate in der Open Access Publikation (PDF,
316 Seiten): <a href="https://www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.14220/9783737012768" target="_blank">Nationalsozialismus
digital, Die Verantwortung von Bibliotheken, Archiven und Museen sowie
Forschungseinrichtungen und Medien im Umgang mit der NS-Zeit im Netz,
Bibliothek im Kontext. Band 004</a>, Markus Stumpf (Hg.), Hans Petschar (Hg.), Oliver Rathkolb (Hg.),S. 78) <br />Zu Mitgliedern der Familie zählen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bernhard_Tenhumberg" target="_blank">Bernhard Tenhumberg</a> (*1956), CDU-Mitglied des Landtages NRW von 1995 bis 2017 sowie der Münsteraner Bischof <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heinrich_Tenhumberg" target="_blank">Heinrich Tenhumberg</a> (1915-1979). Zur NS-Zeit gehörte Heinrich Tenhumberg der von den Nationalsozialisten verfolgten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sch%C3%B6nstattbewegung" target="_blank">Schönstattbewegung</a>
an. In seiner Rolle als Münsteraner Bischof wird Heinrich Tenhumberg in
einer Studie der Universität Münster zu sexualisierter Gewalt durch
Priester und Diakone des Bistums Münster „intensives Leitungs- und
Kontrollversagen“ vorgeworfen. Pressemeldung Universität Münster, 13.06.2022: <a href="https://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=12635" target="_blank">Sexueller Missbrauch im Bistum Münster: Mindestens 196 Kleriker beschuldigt</a>. <i>„Dieses
„massive Leitungsversagen“ betrifft demnach die Amtszeiten der Bischöfe
Michael Keller (1947–1961), Joseph Höffner (1962–1969), Heinrich
Tenhumberg (1969–1979) und Reinhard Lettmann (1980–2008)
gleichermaßen.“</i></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
Holger Menne/Michael Farrenkopf (Bearb.), <a href="https://www.bergbaumuseum.de/fileadmin/forschung/montanhistorisches-dokumentationszentrum/Menne-Farrekopf-Zwangsarbeit-digital.pdf" target="_blank">Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges</a> (PDF, 226 Seiten), Bochum 2004, S. 11f.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">WELT, 22.07.2016: <a href="https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article157870998/Eine-Maschine-die-uns-ausloeschte-und-zerquetschte.html" target="_blank">„Eine Maschine, die uns auslöschte und zerquetschte“</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutsche Welle, 1.09.2023: <a href="https://www.dw.com/de/das-vergessene-schicksal-der-ns-zwangsarbeiter/a-66683885" target="_blank">Das vergessene Schicksal der NS-Zwangsarbeiter</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Duisburger
Forschungen Bd. 49: Michael A. Kanther, Zwangsarbeit in Duisburg
1940-1945, S. 395ff.. Die Bände 1 bis 59 sind digitalisiert und auf der
Webseite <a href="https://www.mercator-gesellschaft.de/publikationen-2/">Mercator-Gesellschaft.de</a> per Viewer verlinkt. Seitenzahlen von Zitierungen beziehen sich auf die Print-Version.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Bd. 49 der Duisburger Forschungen führt 39 Kriegsgefangenenlager auf, a.a.O., S. 389-393.<br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Ruhrzechenaus: <a href="https://www.ruhrzechenaus.de/duisburg-dinslaken/du-friedrich-thyssen.html" target="_blank">Zeche Friedrich Thyssen in Duisburg-Hamborn</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gelsenkirchener_Bergwerks-AG" target="_blank">Gelsenkirchener Bergwerks-AG</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Duisburger Forschungen Bd. 49. a.a.O., S. 392f.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Duisburger Forschungen Bd. 49. a.a.O., S. 409f.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Duisburger Forschungen Bd. 49. a.a.O., S. 203ff.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Misshandlungen
und Hinrichtungen dokumentieren Erinnerungen von Zeitzeugen in einem
Bericht vom 6.03.2015 in der Zeitzeugenbörse Duisburg: <a href="https://xtranews.de/2015/03/06/zeitzeugenboerse-duisburg-arbeitet-erinnerungen-an-das-kriegsende-1945-auf-id5584846.html" target="_blank">Erinnerungen an das Kriegsende 1945</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Duisburger Forschungen Bd. 49. a.a.O., S.179</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Schutzstaffel#Kriegsverbrechen,_Holocaust_und_V%C3%B6lkermord" target="_blank">Schutzstaffel: Kriegsverbrechen, Holocaust und Völkermord<br /></a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Artikel zu Kriegsverbrechen der Wehrmacht:<ul><li>Spiegel, 26.03.2010: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/zweiter-weltkrieg-a-948775.html" target="_blank">Die Mär von den keuschen Deutschen</a></li><li>Deutschlandfunk 09.09.2021: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/ostfront-des-zweiten-weltkriegs-brutalitaet-gegen-100.html" target="_blank">Brutalität gegen Zivilisten auf allen Seiten</a></li><li>WELT: <a href="https://www.welt.de/kultur/history/gallery13117491/Verbrechen-der-Wehrmacht.html" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht</a> – <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sexuelle_Gewalt_im_Zweiten_Weltkrieg" target="_blank">Sexuelle Gewalt im Zweiten Weltkrieg</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Massaker_von_Ochota" target="_blank">Massaker von Ochota</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Massaker_von_Wawer" target="_blank">Massaker von Wawer</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Massaker_von_Wola" target="_blank">Massaker von Wola</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrennungskommando_Warschau" target="_blank">Verbrennungskommando Warschau</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht: Täter</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges" target="_blank">Tote des Zweiten Weltkriegs</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sexuelle_Gewalt_im_Zweiten_Weltkrieg" target="_blank">Sexuelle Gewalt im Zweiten Weltkrieg</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht#Opfer" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht: Opfer</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht#Opfer" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht: Opfer</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hungerplan" target="_blank">Hungerplan</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Leningrader_Blockade" target="_blank">Leningrader Blockade</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hungerplan#Auswirkungen_der_Hungerplanungen" target="_blank">Auswirkungen des Hungerplans</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges" target="_blank">Tote des Zweiten Weltkriegs</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges" target="_blank">Tote des Zweiten Weltkriegs</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutsche Welle, 21.10.2021: <a href="https://www.dw.com/de/hundert-zivilisten-f%C3%BCr-jeden-get%C3%B6teten-deutschen-soldaten/a-59549278" target="_blank">100 Zivilisten für jeden toten Deutschen</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges" target="_blank">Tote des Zweiten Weltkriegs</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">ZEIT, 08.05.2015: <a href="https://www.zeit.de/news/2015-05/08/geschichte-hintergrund-der-zweite-weltkrieg-in-zahlen-und-fakten-08065612" target="_blank">Der Zweite Weltkrieg in Zahlen und Fakten</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Ca.1/3
aller Kriegsgefangener in Ost-, Südost-Europa und UdSSR starben in
Gefangenschaft. Aus Lagern der Sowjetunion kehren die letzten Gefangenen
im Januar 1956 nach Deutschland zurück. <ul><li>LeMO: <a href="https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/befreiung-und-besatzung/kriegsgefangenschaft.html" target="_blank">Kriegsgefangenschaft</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kriegsgefangene_des_Zweiten_Weltkrieges" target="_blank">Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Generalfeldmarschall
Wilhelm Keitel wurde im Nürnberger Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher am 1. Oktober 1946 in allen Anklagepunkten
schuldig gesprochen, zum Tod durch Erhängen verurteilt und mit neun
weiteren Verurteilten am 16. Oktober 1946 in Nürnberg hingerichtet.<ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/N%C3%BCrnberger_Prozess_gegen_die_Hauptkriegsverbrecher" target="_blank">Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher</a> <br /></li><li>Spiegel 15.10.2006: <a href="https://www.spiegel.de/politik/das-weltgericht-a-83fecbe5-0002-0001-0000-000049214563?context=issue" target="_blank">Das Weltgericht</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wilhelm_Keitel" target="_blank">Wilhelm Keitel</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges" target="_blank">Tote des Zweiten Weltkriegs</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Atombombenabw%C3%BCrfe_auf_Hiroshima_und_Nagasaki" target="_blank">Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Quellen zu ‚Rattenlinien:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rattenlinien" target="_blank">Rattenlinien</a></li><li>Spiegel, 09.08.2017: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/rattenlinie-nazis-und-kriegsverbrecher-auf-der-flucht-a-1032156.html" target="_blank">Exodus der Massenmörder</a></li><li>Deutschlandfunk, 20.01.2022: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/fluchthilfe-fuer-ns-verbrecher-die-rattenlinie-nach-100.html" target="_blank">Die „Rattenlinie“ nach Argentinien</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Cees_Nooteboom" target="_blank">Cees Nooteboom</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Medien über Rattenlinien nach Südamerika: <br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rattenlinien" target="_blank">Rattenlinien</a> <br /></li><li>NZZ, 21.11.2020: <a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/wie-nazi-verbrecher-auf-der-rattenlinie-ueber-den-vatikan-entkamen-ld.1582695" target="_blank">Auf der Rattenlinie flüchteten Naziverbrecher über den Vatikan nach Lateinamerika</a></li><li>Spiegel, 09.08.2017: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/rattenlinie-nazis-und-kriegsverbrecher-auf-der-flucht-a-1032156.html" target="_blank">Exodus der Massenmörder</a><br /></li><li>Deutschlandfunk, 19.01.2022: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/fluchthilfe-fuer-ns-verbrecher-die-rattenlinie-nach-100.html" target="_blank">Die "Rattenlinie" nach Argentinien</a><br /></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Kollaboration der Katholischen und evangelische Kirche in der NS-Zeit:<br /><ul><li>Deutschlandfunk, 09.09.2019: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/die-kirchen-im-zweiten-weltkrieg-gloeckengelaeut-und-gebete-100.html" target="_blank">Glockengeläut und Gebete für den Sieg</a></li><li>Deutschlandfunk, 03.12.2019: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/katholische-kirche-im-nationalsozialismus-stuetze-und-100.html" target="_blank">Stütze und Störer</a> <br /></li><li>Spiegel, 18.10.2018: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/ns-verbrecher-die-barmherzige-hilfe-der-kirchen-a-1233489.html" target="_blank">Barmherzigkeit für Massenmörder</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Quellen zum 'Entjudungsinstitut':<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Institut_zur_Erforschung_und_Beseitigung_des_j%C3%BCdischen_Einflusses_auf_das_deutsche_kirchliche_Leben" target="_blank">Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben</a> </li><li>Deutschlandfunk, 27.01.2016: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/die-evangelische-kirche-und-das-dunkle-erbe-des-100.html" target="_blank">Theologen des Judenhasses</a></li><li>Deutschlandfunk, 06.05.2019: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/evangelische-kirche-in-der-ns-zeit-jesus-der-arier-100.html" target="_blank">Jesus, der Arier</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bekennende_Kirche" target="_blank">Bekennende Kirche</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Freikirchen_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus" target="_blank">Freikirchen in der Zeit des Nationalsozialismus</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/V._Bodelschwinghsche_Stiftungen_Bethel" target="_blank">Von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel</a> – Spurensuche Bielefeld 1933-1945: <a href="https://spurensuche-bielefeld.de/aktion-t4-in-bethel/" target="_blank">Dossier: Die „Aktion T4“ in Bethel</a></li></ol></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>Anmerkungen Teil 3</b> </div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>BPB: <a href="https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/der-zweite-weltkrieg/199413/die-verfolgung-nationalsozialistischer-gewaltverbrechen/" target="_blank">Die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Geschichte_des_Ruhrgebiets#Umbruch_und_Neuordnung_1945%E2%80%931948" target="_blank">Geschichte des Ruhrgebiets: Umbruch und Neuordnung 1945-1948</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Befürchtungen der Bevölkerung gingen zurück auf den Morgenthau-Plan, ein von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Henry_Morgenthau" target="_blank">Henry Morgenthau</a> vorgelegter Entwurf zur Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat nach dem Sieg der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Anti-Hitler-Koalition" target="_blank">Alliierten</a> im Zweiten Weltkrieg. US-Präsident <a href="https://www.wikiwand.com/de/Franklin_D._Roosevelt" target="_blank">Franklin D. Roosevelt</a>
verwarf den Entwurf. Um den Durchhaltewillen in der Endphase des
Krieges zu stärken, schlachtete Nazi-Propaganda den Plan als
vermeintliche Bedrohung der „Versklavung“ aller Deutschen durch das
"Weltjudentum" aus. <ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Morgenthau-Plan" target="_blank">Morgenthau-Plan</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltjudentum" target="_blank">Weltjudentum</a> <br /></li><li>Spiegel,10.12.1967: <a href="https://www.spiegel.de/politik/plan-der-rache-a-e6962934-0002-0001-0000-000046209552?context=issue" target="_blank">Morgenthau - Plan der Rache</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Quellen zu ‚Trümmerfrauen‘:<ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tr%C3%BCmmerfrau" target="_blank">Trümmerfrauen</a> </li><li>LeMO: <a href="https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/alltag/leben-in-truemmern.html" target="_blank">Leben in Trümmern</a></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/truemmerfrauen-den-kriegsschutt-raeumten-andere-weg-100.html" target="_blank">Den Kriegsschutt räumten andere weg</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Süddeutsche Zeitung, 07.05.2015: <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/frauen-das-kleine-bisschen-glueck-1.2468158" target="_blank">Als der Mann zur Last wurde</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Schätzungen zu Vergewaltigungen an deutschen Frauen in den westlichen Zonen: <ul><li>ca. 190.000 durch Soldaten der US-Armee </li><li>50.000 durch französische Soldaten </li><li>45.000 durch britische Soldaten </li></ul>Das
Thema der Vergewaltigungen durch Soldaten der Sowjetunion war in der
DDR mit Tabu belegt. In Westdeutschland war es lange umgekehrt. Anhand
sowjetischer Gewalttaten der Kriegs- und Nachkriegszeit wurde das
deutsche Volk als Opfernation dargestellt. Hinsichtlich Vergewaltigungen
durch Soldaten der Sowjetunion nehmen Schätzungen folgende Zahlen an:<ul><li>1,4 Millionen bei Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten </li><li>600.000 in Berlin und in der späteren Sowjetischen Besatzungszone </li><li>10.000 vergewaltigte Frauen starben an den Folgen, vielfach durch Suizid </li><li>40 % der Opfer wurden mehrfach vergewaltigt </li></ul>Sexualverbrechen
und andere Gräuel deutscher Soldaten der Wehrmacht an der
Zivilbevölkerung sind weitgehend unerforscht. Demütigungen der
Bevölkerung gehörten zur Kriegsführung. Sexuelle Gewalttaten deutscher
Soldaten waren insbesondere während des Russlandfeldzugs üblich und
wurden nur selten disziplinarisch oder gerichtlich verfolgt.<br />Quellen in Wikipedia:<ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Sexuelle_Gewalt_im_Zweiten_Weltkrieg" target="_blank">Sexuelle Gewalt im Zweiten Weltkrieg</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Sowjetische_Kriegsverbrechen_im_Zweiten_Weltkrieg" target="_blank">Sowjetische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Schutzstaffel#Kriegsverbrechen,_Holocaust_und_V%C3%B6lkermord" target="_blank">Verbrechen der SS</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kriegsenkel" target="_blank">Kriegsenkel</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Flucht_und_Vertreibung_Deutscher_aus_Mittel-_und_Osteuropa_1945%E2%80%931950" target="_blank">Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945 - 1950</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Displaced_Person" target="_blank">Displaced Person</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/DP-Lager" target="_blank">DP-Lager</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zigarettenw%C3%A4hrung" target="_blank">Zigarettenwährung</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hungerwinter_1946/47" target="_blank">Hungerwinter 1946/1947</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Der Begriff 'Fringsen' geht zurück auf den Kölner Erzbischof und Kardinal <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Frings" target="_blank">Joseph Frings</a>
(1887-1978), der in seiner Silvesterpredigt während des Hungerwinters
1946/47 Mundraub für den Eigenbedarf rechtfertigte (WELT: <a href="https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article160660329/Fringsen-Als-ein-Kardinal-den-Mundraub-erlaubte.html" target="_blank">"Fringsen" - Als ein Kardinal den Mundraub erlaubte</a>). <br />Auswahl aus zahllosen Dokumenten zum Leben der Nachkriegszeit:<ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deutschland_1945_bis_1949" target="_blank">Deutschland 1945 bis 1949</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Nachkriegszeit_in_Deutschland" target="_blank">Nachkriegszeit in Deutschland</a> </li><li>LeMO: <a href="https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/alltag/ueberlebensmittel.html" target="_blank">Überlebensmittel</a> </li><li>Deutschlandfunk, 20.06.2005: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/schwarzmarkt-und-hamstern-100.html" target="_blank">Schwarzmarkt und Hamstern</a> </li><li>Spiegel, 20.02.2017: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/hungerwinter-1946-47-in-deutschland-das-ueberleben-nach-dem-krieg-a-1133476.html" target="_blank">"Die Moral geht zum Teufel"</a> </li><li>Spiegel, 30.01.2018: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/deutschland-1945-1949-zeitzeugen-ueber-die-nachkriegszeit-a-1189783.html" target="_blank">"Es hat keine 30 Sekunden gedauert, bis ich dem Führer untreu wurde"</a> </li><li>Spiegel Spezial, 1/2003: <a href="https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/26766662" target="_blank">Das Regime der Schieber</a> </li><li>Berliner Zeitung, 27.07.2017: <a href="https://www.berliner-zeitung.de/archiv/wie-schwarzmarkt-und-schmuggel-die-nachkriegszeit-beherrschten-li.1401235" target="_blank">Überleben durch Tauschen</a> <br /></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Marshallplan" target="_blank">Marshallplan</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Heribert_Prantl" target="_blank">Heribert Prantl</a>, Süddeutsche Zeitung, 21.05.2018: <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-zum-katholikentag-die-spucke-im-gesicht-gottes-1.3987734" target="_blank">Kalte Amnestie</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutsche Welle, 07.05.2020: <a href="https://www.dw.com/de/die-wehrmacht-und-der-holocaust-auf-freiem-feld/a-53354087" target="_blank">Die Wehrmacht und der Holocaust</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verbrechen_der_Wehrmacht#Rezeption" target="_blank">Verbrechen der Wehrmacht: Rezeption</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wehrmachtsausstellung" target="_blank">Wehrmachtausstellung</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutsche Welle. 07.05.2020: <a href="https://www.dw.com/de/die-wehrmacht-und-der-holocaust-auf-freiem-feld/a-53354087" target="_blank">Die Wehrmacht und der Holocaust</a> </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Süddeutsche Zeitung, 12.02.2022: <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/zweiter-weltkrieg-wehrmacht-hamburger-institut-fuer-sozialforschung-verbrechen-der-wehrmacht-ausstellung-1.5522926" target="_blank">Die Zerstörung des Trugbildes</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Entnazifizierung" target="_blank">Entnazifizierung</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Staatslexikon-online: <a href="https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Entnazifizierung" target="_blank">Entnazifizierung</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Spiegel, 20.11.2020: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/nuernberger-prozesse-ab-1945-nazi-kriegsverbrecher-vor-gericht-a-0a01f799-923d-411a-81a7-472a98ade937" target="_blank">Blitzschlag im Gerichtssaal</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Süddeutsche Zeitung, 25.10.2015: <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/entnazifizierung-wieviel-nazi-steckt-in-deutschland-1.2694869" target="_blank">Wieviel Nazi steck in Deutschland?</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Entnazifizierung#Entnazifizierungsschluss" target="_blank">Entnazifierungsschluss</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutschlandfunk, 04.03.2021: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/entnazifizierung-vor-75-jahren-demokratie-grundstein-mit-100.html" target="_blank">Entnazifizierung vor 75 Jahren. Demokratie-Grundstein mit durchwachsenem Erfolg</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Norbert_Frei" target="_blank">Norbert Frei</a>:<i> Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. </i>München 1996, 1. Auflage in der Beck'schen Reihe 2012, S. 67. <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Online-Quellen zu Nürnberger Prozessen:<ul><li>BPB: <a href="https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/der-zweite-weltkrieg/199413/die-verfolgung-nationalsozialistischer-gewaltverbrechen/" target="_blank">Die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen</a> <br /></li><li>LeMO: <a href="https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/entnazifizierung-und-antifaschismus/nuernberger-prozesse.html" target="_blank">Nürnberger Prozesse</a> </li><li>Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: <a href="https://www.lpb-bw.de/nuernberger-prozesse" target="_blank">Nürnberger Prozesse</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/NS-Prozesse" target="_blank">NS-Prozesse</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/N%C3%BCrnberger_Prozesse" target="_blank">Nürnberger Prozesse</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/N%C3%BCrnberger_Prozess_gegen_die_Hauptkriegsverbrecher" target="_blank">Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess</a> </li><li>Artikelsammlung Spiegel: <a href="https://www.spiegel.de/thema/nuernberger_prozesse/" target="_blank">Nürnberger Prozesse</a> </li><li>WELT Bildergalerie: <a href="https://www.welt.de/kultur/history/gallery10403524/Die-Nuernberger-Prozesse.html" target="_blank">Die Nürnberger Prozesse - Bilder & Fotos</a> <br /></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Quellen Aktion Erntefest:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aktion_Erntefest" target="_blank">Aktion Erntefest</a></li><li>Holocaust-Enzyclopädie: <a href="https://encyclopedia.ushmm.org/content/de/article/mass-shootings-of-jews-during-the-holocaust" target="_blank">Massenerschießungen von Juden während des Holocaust</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Quellen Polizei-Bataillon 101:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://draft.blogger.com/blog/post/edit/5980716630221737457/1723665140596639981" target="_blank">Reserve-Polizei-Bataillon 101</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Massaker_von_J%C3%B3zef%C3%B3w" target="_blank">Massaker von Józefów</a></li><li>Spiegel, 08.01.2006: <a href="https://www.spiegel.de/politik/amnesie-und-amnestie-a-6bb86df4-0002-0001-0000-000045290987" target="_blank">Amnesie und Amnestie</a></li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Martin_Sandberger" target="_blank">Martin Sandberger</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/John_Jay_McCloy" target="_blank">John Jay McCloy</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">WDR: 31. Januar 1951: <a href="https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag2282.html" target="_blank">Alliierte begnadigen deutsche Kriegsverbrecher</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Medienberichte zu Martin Sandberger:<br /><ul><li>Spiegel, 27.04.2008: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/ns-prozesse-a-946905.html" target="_blank">Als Westdeutschland aufwachte</a></li><li>Spiegel, 07.04.2010: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/nazi-verbrecher-sandberger-a-948817.html" target="_blank">Nazi-Verbrecher Sandberger: Blutspur ins Altersheim</a> </li></ul></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Literaturempfehlung: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Norbert_Frei" target="_blank">Norbert Frei</a>:<i> Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. </i>München 1996, 1. Auflage in der Beck'schen Reihe 2012.<br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clemens_August_Graf_von_Galen" target="_blank">Clemens August Graf von Galen</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Willy_Brandt" target="_blank">Willy Brandt</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kniefall_von_Warschau" target="_blank">Kniefall von Warschau</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Konrad-Adenauer-Stiftung: <a href="https://www.konrad-adenauer.de/politikfelder/seite/umgang-mit-der-ns-vergangenheit/" target="_blank">Konrad Adenauer, Umgang mit der NS-Vergangenheit</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Konrad-Adenauer-Stiftung: <a href="https://www.konrad-adenauer.de/politikfelder/seite/umgang-mit-der-ns-vergangenheit/" target="_blank">Konrad Adenauer, Umgang mit der NS-Vergangenheit</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Reinhard_Gehlen" target="_blank">Reinhard Gehlen<br /></a>Gehlen war unter Hitler für die Ostspionage verantwortlich. Hitler entließ Gehlen 1945 wegen der Häufung schlechter Nachrichten. Gehlen kooperierte mit US-amerikanischen Besatzern wurde mit dem Aufbau des Bundesnachrichtendienstes beauftragt.<br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hans_Globke" target="_blank">Hans Globke</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutschlandfunk: 22.01.2021: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/verschlossene-akten-zu-hans-globke-schwierige-aufarbeitung-100.html" target="_blank">Schwierige Aufarbeitung</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Literaturempfehlung: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Norbert_Frei" target="_blank">Norbert Frei</a>: <i>Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949-1994</i>. Beck, München 2023 </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Theodor_Heuss" target="_blank">Theodor Heuss</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Deutschlandfunk, 07.12.2019: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/heuss-rede-vor-70-jahren-nazi-verbrechen-und-deutsche-100.html" target="_blank">Heuss-Rede vor 70 Jahren: Nazi-Verbrechen und deutsche Kollektivscham</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">WELT, 27.11.2012: <i><a href="https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article111533658/Wir-haben-von-den-Dingen-gewusst.html" target="_blank">„Wir haben von den Dingen gewusst“</a></i></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heinrich_L%C3%BCbke" target="_blank">Heinrich Lübke</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">ZEIT, 19.07.2007: <a href="https://www.zeit.de/2007/30/Heinrich-Luebke/komplettansicht" target="_blank">Der Fall Lübke</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gustav_Heinemann" target="_blank">Gustav Heinemann</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Walter_Scheel" target="_blank">Walter Scheel</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl_Carstens" target="_blank">Karl Carstens</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Befreiung_vom_Nationalsozialismus" target="_blank">Befreiung vom Nationalsozialismus</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Richard_von_Weizs%C3%A4cker" target="_blank">Richard von Wiezsäcker</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zum_40._Jahrestag_der_Beendigung_des_Krieges_in_Europa_und_der_nationalsozialistischen_Gewaltherrschaft" target="_blank">Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zitate lt. Quelle: Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Richard_von_Weizs%C3%A4cker" target="_blank">Richard von Wiezsäcker</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rudolf_He%C3%9F" target="_blank">Rudolf Heß</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zum_40._Jahrestag_der_Beendigung_des_Krieges_in_Europa_und_der_nationalsozialistischen_Gewaltherrschaft" target="_blank">Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rudolf_He%C3%9F" target="_blank">Rudolf Heß</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rudolf_He%C3%9F" target="_blank">Rudolf Heß</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Richard_von_Weizs%C3%A4cker" target="_blank">Richard von Wiezsäcker</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Joachim_Perels" target="_blank">Joachim Perels</a>: <a href="https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0023-4834-1995-3-382/amnestien-fuer-ns-taeter-in-der-bundesrepublik-jahrgang-28-1995-heft-3?page=0" target="_blank"><i>Amnestien für NS-Täter in der Bundesrepublik</i></a>, Kritische Justiz 1995, S. 382–389</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Spiegel, 08.01.2006: <a href="https://www.spiegel.de/politik/amnesie-und-amnestie-a-6bb86df4-0002-0001-0000-000045290987" target="_blank">Amnesie und Amnestie</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Straffreiheitsgesetz_1954" target="_blank">Straffreiheitsgesetz 1954</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Spiegel, 08.01.2006: <a href="https://www.spiegel.de/politik/amnesie-und-amnestie-a-6bb86df4-0002-0001-0000-000045290987" target="_blank">Amnesie und Amnestie</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Straffreiheitsgesetz_1954" target="_blank">Straffreiheitsgesetz 1954</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Joachim Perels: <i>Amnestien für NS-Täter, </i>a.a.O., S.384f.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><i> </i>Joachim Perels: <i>Amnestien für NS-Täter, </i>a.a.O.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Richard_Jaeger" target="_blank">Richard Jaeger</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ludwig_Erhard" target="_blank">Ludwig Erhard</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Herbert_Wehner" target="_blank">Herbert Wehner</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kurt_Georg_Kiesinger" target="_blank">Kurt Georg Kiesinger</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kurt_Georg_Kiesinger" target="_blank">Kurt Georg Kiesinger</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Einf%C3%BChrungsgesetz_zum_Gesetz_%C3%BCber_Ordnungswidrigkeiten" target="_blank">Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eduard_Dreher" target="_blank">Eduard Dreher<br /></a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verj%C3%A4hrungsskandal" target="_blank">Verjährungsskandal</a>, <a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/541083/amnestie-von-ns-taetern-das-dreher-gesetz-von-1968/" target="_blank">BPB: Amnestie von NS-Tätern – Das "Dreher-Gesetz" von 1968</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ernst_Achenbach" target="_blank">Ernst Achenbach</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Werner_Naumann" target="_blank">Werner Naumann</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naumann-Kreis" target="_blank">Naumann-Kreis</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Friedrich_Middelhauve" target="_blank">Friedrich Middelhauve</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Goebbels" target="_blank">Joseph Goebbels</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">MDR: „<a href="https://www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/politik-gesellschaft/muttertag-mutterkreuz-frauenbild-nazis-100.html" target="_blank">Karnickelorden“ zum Muttertag; Das Frauenbild der Nazis</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mutterkreuz" target="_blank">Mutterkreuz</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">LEMO: <a href="https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/innenpolitik/mutterkreuz.html" target="_blank">Das Mutterkreuz</a> <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Tim Schanetzky: Unternehmer, Profiteure des Unrechts, S. 69ff., in: Norbert Frei (Hrsg.), Hitlers Eliten nach 1945, 13. Aufl. 2022 </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Marc von Miquel: Juristen: Unternehmer in eigener Sache, S. 166, in: Norbert Frei (Hrsg.), a.a.O.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Marc von Miquel: Juristen, a.a.O., S. 167 <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Norbert Frei: Hitlers Eliten nach 1945 - eine Bilanz, S. 287, in: Norbert Frei (Hrsg.), a.a.O.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Norbert Frei: Hitlers Eliten nach 1945 - eine Bilanz, S. 286, in: Norbert Frei (Hrsg.), a.a.O.</li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Norbert Frei: Hitlers Eliten nach 1945 - eine Bilanz, S. 286, in: Norbert Frei (Hrsg.), a.a.O. </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Norbert Frei: Hitlers Eliten nach 1945 - eine Bilanz, S. 288ff., in: Norbert Frei (Hrsg.), a.a.O. </li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Norbert Frei: Hitlers Eliten nach 1945 - eine Bilanz, S. 288, in: Norbert Frei (Hrsg.), a.a.O. <br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stolpersteine" target="_blank">Stolpersteine</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">BLB: <a href="https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/245590/die-ns-vergangenheit-deutscher-behoerden/" target="_blank">Die NS-Vergangenheit deutscher Behörden</a></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mario_Rainer_Lepsius" target="_blank">Mario Rainer Lepsius</a><br /></li><li class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vergangenheitsbew%C3%A4ltigung" target="_blank">Vergangenheitsbewältigung</a> <br /></li></ol></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-87099475344584179722024-01-22T17:59:00.152+01:002024-02-09T17:34:03.505+01:00Erinnerungskultur an NS-Zeit an Beispielen von Zwangsarbeit, Verbrechen der Wehrmacht, Prozessen der Nachkriegszeit (09.02.2024)Dieser Post ist nicht mehr aktiv. Texte und Fotos des Posts sind im hier verlinkten <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2024/02/teil-2-kriegswirtschaft-zwangsarbeit.html" target="_blank">Teil 2: Kriegswirtschaft, Zwangsarbeit, Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg</a> einer erweiterten Post-Serie enthalten.potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-71776293622769119982024-01-08T19:54:00.068+01:002024-01-13T17:19:37.573+01:00Weihnachtsbaum, Weihnachtsmann, Christkind, Geschenke - Anmerkungen zu Brauchtum, Symbolen, Tausch (Upate 13.01.2024)<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53449385731/in/album-72177720313883471/" title="Weihnachtsbaum im Rockefeller Center New York"><img alt="Weihnachtsbaum im Rockefeller Center New York" height="167" src="https://live.staticflickr.com/65535/53449385731_18fdd44c58_n.jpg" width="295" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53449507473/in/album-72177720313883471/" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Christkind auf dem Weg zur Geschenkverteilung"><img alt="Christkind auf dem Weg zur Geschenkverteilung" height="167" src="https://live.staticflickr.com/65535/53449507473_601431a19e_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53449506928/in/album-72177720313883471/" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;" title="Coca-Cola-Weihanchtsmann"><img alt="Coca-Cola-Weihanchtsmann" height="238" src="https://live.staticflickr.com/65535/53449506928_bc308aca91_n.jpg" width="270" /></a>
</div>
<div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Ein Post vom 24.12.2011</span><span style="font-weight: normal;"> befasst sich </span><span style="font-weight: normal;">soziologisch</span><span style="font-weight: normal;"> mit der Symbolik </span><span style="font-weight: normal;">des Weihnachtsfestes
und </span><span style="font-weight: normal;">des Weihnachtsmanns: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2011/12/warum-brauchen-wir-den-weihnachtsmann.html" target="_blank">Warum brauchen wir den Weihnachtsmann?</a></i> Der aktuelle Post erweitert Betrachtungen der Verbreitung weihnachtlichen Brauchtums und befindet:</span></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Die Art und Weise, wie das Weihnachtsfest im deutschsprachigen Raum in der Familie mit Weihnachtsbaum, Weihnachtsliedern, Krippe, Geschenken, Gottesdienstbesuchen, Familienfesten etc. begangen wird, basiert auf Elementen alter tradioneller Kultur. </li><li>Vermeintlich zeitlose Symbole weihnachtlichen Brauchtums haben sich erst in der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Romantik" target="_blank">Romantik</a> ausgebreitet und erfuhren im 19. Jahrhundert ihre kulturelle Ausformung in Bürgerfamilien des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Biedermeier" target="_blank">Biedermeiers</a> (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weihnachtsbrauchtum_in_Deutschland" target="_blank">Weihnachtsbrauchtum in Deutschland</a>). </li></ul></div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Anmerkungen zur Geschichte und Verbreitung des Weihnachtsbaums </b><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div>Der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weihnachtsbaum" target="_blank">Weihnachtsbaum</a>
(auch Christbaum oder Tannenbaum) ging erst zu Beginn der Neuzeit in christliches Brauchtum ein.
Grünschmuck immergrüner Pflanzen und Bäume nutzten bereits
prähistorische und antike Kulturen als Symbole ewigen Lebens und als
Schutz gegen böse Geister. Ab dem Spätmittelalter stellten Kirchen in Mysterienspielen biblische Szenen nach, um das Volk zu unterrichten. In der Paradiesgeschichte mit der Vertreibung von Adam und Eva symbolisierten Nadelbäume als immergrüne Bäume den Paradiesbaum und rote Äpfel die Frucht der Erkenntnis. In
nachfolgenden Jahrhunderten erfolgte allmählich eine Umwidmung des Paradiesbaums zum Weihnachtsbaum.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Weg vom Paradiesbaum der Mysterienspiele zum geschmückten Weihnachtsbaum zeichnet sich im Nebel von Geschichte nur undeutlich ab, aber Verbindungen zur protestantischen Reformation sind signifikant. Reformatoren positionierten den Weihnachtsbaum als abstraktes protestantisches Symbol gegen als katholisch geltende bildliche Krippensymbolik. Im 18. Jahrhundert sind geschmückte Lichterbäume als Weihnachtbäume zunächst nur in evangelischen Häusern nachzuweisen. Die erste literarische Erwähnung erfährt ein geschmückter Weihnachtsbaum in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Johann_Wolfgang_von_Goethe" target="_blank">Goethes</a> Roman <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_Leiden_des_jungen_Werthers" target="_blank">Die Leiden des jungen Werthers</a></i> (1774). <a href="https://www.wikiwand.com/de/Friedrich_Schiller" target="_blank">Schiller</a> erwähnt den Weihnachtsbaum 1789 in Briefen. Der Verleger Wilhelm Hoffmann stellte 1815 in Weimar den weltweit ersten geschmückten Weihnachtsbaum öffentlich auf (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weihnachtsbaum" target="_blank">Weihnachtsbaum</a>). <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit der Ausbreitung privater Wohnkultur in gutbürgerlichen Häusern des Wiener <a href="https://www.wikiwand.com/de/Biedermeier" target="_blank">Biedermeier</a> ziehen ab Beginn des 19. Jahrhundert geschmückte Weihnachtsbäume in katholische Häuser ein und verbreiten sich bis Ende des Jahrhunderts in Regionen des katholischen Deutschlands. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde der heimlich geschmückte und am 24.12. erstmals angezündete Weihnachtsbaum mit unter ihm liegenden Geschenken zum Kern deutschen Weihnachtsbrauchtums. Auf dem Petersplatz des Vatikans wird seit 1982 ein Weihnachtbaum aus wechselnden Herkunftsländern aufgestellt.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53449190562" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;" title="Canyon Village"><img alt="Canyon Village" height="167" src="https://live.staticflickr.com/65535/53449190562_4255bb6295_n.jpg" width="280" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Weihnachten 24.12.2007 im Canyon Village<br /> am Fish River Canyon, Namibia</td></tr></tbody></table><div style="text-align: left;"> Deutsche Auswanderer bzw. im Ausland lebende Deutsche exportieren deutsches Weihnachtsbrauchtum international, u.a. in deutsche Kolonien. Auf Reisen nach Namibia (ehemaliges <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deutsch-S%C3%BCdwestafrika" target="_blank">Deutsch-Südwestafrika</a>) haben wir mitten im afrikanischen Hochsommer in Windhoek, Swakopmund, Lüderitz und in Touristen-Lodges Weihnachtsbrauchtum angetroffen, allerdings ohne klassische Weihnachtsbäume. Da in Namibia keine Tannen wachsen, werden mitunter Palmzweige, Weißdornbüsche, Bäumstämme weihnachtlich geschmückt.</div><div style="text-align: left;">1912 wurde in New York erstmals ein Weihnachtsbaum öffentlich aufgestellt. Mit dem alljährlich am Rockefeller Center in Manhattan aufgestellten Weihnachtbaum (siehe Foto oben Mitte) setzt in New York der Weihnachts-Tourismus ein (RND, 30.11.2023: <a href="https://www.rnd.de/panorama/rockefeller-weihnachtsbaum-leuchtet-im-schein-von-50-000-lichtern-YOOHITF2NZISFPRBY35XTKRY7U.html" target="_blank">Rockefeller-Weihnachtsbaum leuchtet im Schein von 50.000 Lichtern</a>).<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><b>Weihnachtsmann oder Christkind?</b></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Im
Mittelalter war eine weihnachtliche Kinderbeschenkung nicht üblich.
Kindergeschenke brachte der heilige </span><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Nikolaus_von_Myra" target="_blank">Nikolaus von Myra</a></span><span style="font-weight: normal;"> am 6. Dezember oder sie wurden am
28. Dezember übergeben, Tag des Kindermords von Bethlehem.</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">Die Figur des Weihnachtsmanns </span><span style="font-weight: normal;">als Symbolfigur weihnachtlichen Schenkens </span><span style="font-weight: normal;">ist im 19. Jahrhundert mit </span><span style="font-weight: normal;">Konnotierungen </span><span style="font-weight: normal;">des heiligen Nikolaus von Myra und anderen Legendenfiguren europäischer Winterbräuche entstanden </span><span style="font-weight: normal;">(Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weihnachtsmann" target="_blank">Weihnachtsmann</a>).</span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Da Protestanten die katholische Heiligenverehrung ablehnen, hat wahrscheinlich Martin Luther die Schenkfigur des Nikolaus durch das vom Jesuskind abgeleitete Christkind ersetzt und die Geschenkübergabe auf den 25.12. verlegt (</span><span style="font-weight: normal;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Christkind" target="_blank">Christkind</a>, katholisch.de: <a href="https://www.katholisch.de/artikel/15915-die-geschichte-vom-christkind" target="_blank">Die Geschichte vom Christkind</a>). Als religionspolitische Erfindung verbreitete sich das Christkind zunächst in protestantischen Regionen und mutierte allmählich vom Jesuskind zu einer Engelsfigur. Ab dem 19. Jahrhundert vermischten sich mit regionalen Schwerpunkten Figuren des Christkinds und des Weihnachtsmann als weihnachtliche Geschenkebringer. Europäische Auswanderer brachten die Figuren nach Nordamerika. Ab 1931 machte Coca Cola mit seiner Werbung den Weihnachtsmann als Santa Claus weltweit populär. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Eine umfassende Geschichte des Weihnachtsmanns bietet der deutsche Ethnologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Hauschild" target="_blank">Thomas Hauschild</a> mit seiner Veröffentlichung <i>Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte</i>. S. Fischer, Frankfurt am Main 2012 (Rezension des Buchs von Jürgen Kaube in der FAZ, 06.12.2012: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/praktische-romantik-die-wahrheit-des-weihnachtsmanns-11983398.html?printPagedArticle=true#void" target="_blank">Die Wahrheit des Weihnachtsmanns</a>)</span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><span style="font-weight: normal;"></span><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b><span>Geschenke und Gabentausch </span></b></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Verteilung und Austausch von Geschenken zählen zum Kern weihnachtlichen Brauchtums. Unter Erwachsenen ist ein Austausch von Geschenken üblich. Kinder im Vorschulalter werden nur beschenkt. Von heranwachsenden Kindern werden </span><span style="font-weight: normal;">symbolisch Gleichwertigkeit herstellende </span><span style="font-weight: normal;">Gegengeschenke erwartet. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Auf dem ersten Blick vermeintliche Freiwilligkeit von Geschenken und scheinbar eher einfache Regeln des Austauschs von Geschenken erweisen sich in der Praxis als hoch komplizierte wechselseitige Verpflichtungen mit Verkettungen mehrerer jeweils durch Geber und Empfänger verdoppelte Praktiken (Auswahl mit Bewertung, Beschaffung, Übergabe, Annahme, Bewertung des Empfängers, Gegengabe, Vergleich von Gabe und Gegengabe), die mit Situationen und Zeitrahmen sowie mit einer Reihe von Annahmen, Erwartungen und Bewertungen verknüpft und in normierten Mustern kultureller Praktiken eingebettet sind. </span><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Austausch von Geschenken als </span><span style="font-weight: normal;">Gabentausch </span><span style="font-weight: normal;">beruht auf </span><span style="font-weight: normal;">sozialen Regeln von Gegenseitigkeit (</span><span style="font-weight: normal;">Wikipedia: </span><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Reziprozit%C3%A4t_(Soziologie)" target="_blank">Reziprozität</a>).
Reziprozität bezeichnet </span><span style="font-weight: normal;">universelle</span><span style="font-weight: normal;">, </span><span style="font-weight: normal;">Gleichwertigkeit </span><span style="font-weight: normal;">gebietende</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">elementare Regeln von </span><span style="font-weight: normal;">Wechselseitigkeit des Gebens,
Nehmens und Erwiderns ohne genaue Verrechnung von Leistung und Gegenleistung. </span><span style="font-weight: normal;">Reziprozität verlangt </span><span style="font-weight: normal;">Fairness und </span><span style="font-weight: normal;">verhindert </span><span style="font-weight: normal;">Ausnutzung. Gabentausch </span><span style="font-weight: normal;">stiftet Vertrauen und bildet das Fundament
friedlicher Interaktionen und dauerhafter sozialer Beziehungen. <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;">I<span style="font-weight: normal;">n westlich geprägten Kulturräumen </span><span style="font-weight: normal;">beschränkt sich </span><span style="font-weight: normal;">Gabentausch </span><span style="font-weight: normal;">auf die Privatsphäre. Regeln des Gabentauschs sind hinsichtlich Art und
Symbolik von Gaben, Angemessenheit von Größenordnungen, zu beachtende
Zeiträume etc. keine Selbstverständlichkeiten. Gabentausch erfordert Empathie und Wissen über kollektiv geltende Regeln. Regeln werden in der
Sozialisation vermittelt und unterscheiden sich je nach kultureller
Region sowie gemäß sozialer Rolle, Position, Status von Personen und ihrem individuellen Wohlstand. Weil Schenken so kompliziert ist, sind phantasie- und empathielose Geldgeschenke verbreitet, deren gesichtlose Neutralität jedoch nicht problemfrei ist. <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Kulturwissenschaftler
verstehen den Austausch von Geschenken als eine soziale Ur-Institution,
deren implizites Regelwerk der Erzeugung von Vertrauen dient, das
Kooperationen ermöglicht und zur Herstellung sozialer Verbindlichkeit
verhilft. Da kulturelle Schemata des Regelwerks und Metriken der
Bemessung von Wertigkeiten nicht formalisiert sind, gehen mit dem
Prozess zahlreiche Risiken einher, die ursprüngliche Intentionen stören
oder zerstören können. </span><span style="font-weight: normal;"> <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Vermeintliche
Freiwilligkeit des Austausch von Geschenken maskiert lediglich
Erwartungen von Eigennutz sowie verpflichtenden Charakter von
Geschenken und Gefälligkeiten durch Tabus. Im Ergebnis enthält der Austausch von
Geschenken Risiken von Enttäuschungen, Ärger, Streit. Allein schon
aus diesem Grund ist das Brauchtum des Weihnachtsfestes nicht
risikofrei. Hinzu kommen etliche weitere Risiken, wie sie bei jeder
Familienfeier bestehen und unter Bedingungen von Freizeit zunehmen. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><b><span>Anmerkungen zu Altruismus</span></b></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Erklärungen von Tausch basieren auf ökonomischen Erklärungsmodellen, die Egoismus und rationale Kosten-Nutzen-Kalküle als handlungsleitende Motivation von Individuen </span><span style="font-weight: normal;">unterstellen</span><span style="font-weight: normal;">. Annahmen zu </span><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Altruismus" target="_blank">Altruismus</a></span><span style="font-weight: normal;"> scheinen ö</span><span style="font-weight: normal;">konomischen Erklärungsmodellen zu widersprechen. Aus Konzepten von Altruismus ließe sich ableiten, Geschenke zwar prinzipiell, aber nicht ausschließlich egoistisch mit Tauschmotivation zu erklären, sondern altruistische Handlungsweisen </span><span style="font-weight: normal;">als Perspektive </span><span style="font-weight: normal;">einzubeziehen. Erklärungsversuche einer solchen Perspektive treffen auf die Problematik, dass sich bisher keine </span><span style="font-weight: normal;">allgemeingültigen Definitionen und Erklärungen von Altruismus als nicht-egoistische Handlungsweisen </span><span style="font-weight: normal;">zugunsten eines anderen Individuums </span><span style="font-weight: normal;">wissenschaftlich durchsetzen konnten. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Je nach Perspektive und wissenschaftlichem Modell ist mal mehr mal weniger </span><span style="font-weight: normal;">Altruismus erklärbar </span><span style="font-weight: normal;">oder vermeintlicher Altruismus löst sich als indirekte Form von Egoismus oder von Reziprozität auf. Diskussionen ranken sich um Fragen wie:</span></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><span style="font-weight: normal;"> Verlangt Altruismus Opferbereitschaft?</span></li><li><span style="font-weight: normal;">Dürfen altruistisch Handelnde Befriedigung verspüren?</span></li><li><span style="font-weight: normal;">Muss </span><span style="font-weight: normal;">altruistisches Handeln </span><span style="font-weight: normal;">rational erklärt werden?</span></li><li><span style="font-weight: normal;">Kann </span><span style="font-weight: normal;">altruistisches Handeln nicht-motivational erklärt werden?</span></li><li><span style="font-weight: normal;">Ist </span><span style="font-weight: normal;">altruistisches Handeln mit evolutionsbiologischen Erklärungen vereinbar?</span></li></ul></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Eine detaillierte Betrachtung dieser </span><span style="font-weight: normal;">nicht abschließend klärbaren Fragen ist für diesen Post nicht zielführend. Aufgeführte Quellen führen tiefer in die Thematik:</span></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><span style="font-weight: normal;">Wikipedia: </span><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Altruismus" target="_blank">Altruismus</a> </span></li><li><span style="font-weight: normal;">Andres von Westphalen in Telepolis, 29.12.2019: <a href="https://www.telepolis.de/features/Wahrhaft-selbstloses-Handeln-ist-aeusserst-selten-oder-tritt-in-Wirklichkeit-ueberhaupt-nie-auf-4617933.html" target="_blank">"Wahrhaft selbstloses Handeln ist äußerst selten (oder tritt in Wirklichkeit überhaupt nie auf)"</a></span></li><li><span style="font-weight: normal;">Helmut Stapel in GEO, 19.03.2021: <a href="https://www.geo.de/wissen/altruismus--weshalb-dahinter-auch-egoismus-steckt-30437258.html" target="_blank">Altruismus - Wie selbstlos ist die Selbstlosigkeit wirklich? </a></span></li><li><span style="font-weight: normal;">Dorsch Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/altruismus" target="_blank">Altruismus</a></span></li><li><span style="font-weight: normal;">Spektrum Lexikon der Biologie: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/altruismus/2546" target="_blank">Altruismus</a></span></li><li><span style="font-weight: normal;">Planet Wissen: <a href="https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/egoismus/pwiealtruismus100.html" target="_blank">Egoismus - Altruismus</a> <br /></span></li></ul></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><b><span>Schenkökonomie vs. Tauschhandel auf Märkten</span></b><span style="font-weight: normal;"> <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Komplexe Sozialsysteme tauschen Waren und Dienstleistungen auf Märkten aus. </span><span style="font-weight: normal;">Eine andere Art von Ökonomie können
wir uns selbst mit Phantasie kaum vorstellen. </span><span style="font-weight: normal;">Sich uns als Selbstverständlichkeit darstellende</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">Ökonomie des Warentauschs mittels reguliertem Tauschhandel von Leistungen
auf Märkten entstand jedoch erst mit zunehmender sozialer Differenzierung und
Arbeitsteiligkeit. </span><span style="font-weight: normal;">Kulturwissenschaftlich gilt als sicher, dass sich diese Art der Ökonomie erst in jüngerer
Zeit über die Zwischenstufe des direkten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tauschhandel" target="_blank">Tauschhandels</a> aus einer anderen Art von Ökonomie hervorging, die ohne juristische Rahmenwerke als
Schenkökonomie betrieben wird (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Schenk%C3%B6konomie" target="_blank">Schenkökonomie</a>). </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Bedarf an ökonomischen Transfers von Leistung und Gegenleistung bestand auch in </span>a<span style="font-weight: normal;">rchaischen Kulturen. Da sich Tauschhandel </span><span style="font-weight: normal;">und Geld als generalisierte Tauschmedien </span><span style="font-weight: normal;">erst in späteren Phasen kultureller Evolution entwickelten und </span><span style="font-weight: normal;">anonyme Märkte ermöglichten</span><span style="font-weight: normal;">, praktizierten </span>a<span style="font-weight: normal;">rchaische Kulturen</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">Transfers von Leistungen mittels Schenkökonomie</span><span style="font-weight: normal;">.</span><span style="font-weight: normal;"> Diese kann sich nicht auf rechtsverbindlich definierte, juristisch durchsetzbare Normen berufen, sondern realisiert </span><span style="font-weight: normal;">ökonomische Transfers mittels </span><span style="font-weight: normal;">weicherer universeller sozialer Regeln von Gabentausch und</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">Reziprozität</span><i><span style="font-weight: normal;">. </span></i></div><span style="font-weight: normal;"> </span><div style="text-align: left;">I<span style="font-weight: normal;">n Schenkökonomien </span><span style="font-weight: normal;">entstehen zwangsläufig Schuldverhältnisse, weil </span><span style="font-weight: normal;">die zeitliche Erfüllung von Gegenleistungen </span><span style="font-weight: normal;">Empfängern überlassen bleibt</span><span style="font-weight: normal;">. Zeitlicher Verzug von Gegenleistungen erfordert
Vertrauen. Einleitende Gaben </span><span style="font-weight: normal;">kommunizieren implizit wechselseitig Zeichen von Respekt. Sie </span><span style="font-weight: normal;">dokumentieren die Anerkennung des Empfängers als vertrauenswürdig. </span><span style="font-weight: normal;">Annahmen von Gaben durch Empfänger </span><span style="font-weight: normal;">dokumentieren </span><span style="font-weight: normal;">die Anerkennung von Pflichten zur Gegenleistung. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Gabentausch unterstellt ein beidseitiges Interesse an fairem Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung in einem angemessenem zeitlichen Rahmen. Leistungen, Gegenleistung und Angemessenheit von Zeitrahmen sind nicht exakt definiert und nicht exakt messbar. Daher erfordert Gabentausch </span><span style="font-weight: normal;">kollektiv </span><span style="font-weight: normal;">einvernehmliche Regelverständnisse von Gewohnheitsrechtsordnungen. Schädliches Verhalten und Regelverletzungen von </span><span style="font-weight: normal;">Gewohnheitsrechtsordnungen</span><span style="font-weight: normal;"> verstoßen gegen das Reziprozitätsprinzip und erfordern </span><span style="font-weight: normal;">Wiederherstellung von Gleichgewichtigkeit</span><span style="font-weight: normal;"> durch Bestrafung</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">gemäß </span><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Talion" target="_blank">Talionsprinzip</a></span><span style="font-weight: normal;">.</span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span><span style="font-weight: normal;">Wenn sich </span><span style="font-weight: normal;">in
der Übergangsphase der Entwicklung vom Gabentausch zum Warentausch
</span><span style="font-weight: normal;">tauschwillige
Partner oder Gruppen trafen, </span><span style="font-weight: normal;">leitete ein Gabentausch den Warentausch ein. Der einleitende Gabentausch vermittelt, dass friedliche Absichten bestehen sowie wechselseitig Vertrauensvorschüsse und Regeln der Fairness gelten. Daran schlossen die eigentlichen Geschäfte des Austausch von Leistungen an. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><b>Überschneidungen und Vermischungen von Tauschsystemen</b></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><b> </b></span></div><div style="text-align: left;">In der Geschäftswelt und in der Privatwelt werden nebeneinander zwei unterschiedliche Tauschsysteme mit jeweils spezifischen Regelsystemen praktiziert, Markttausch und Gabentausch. Trotz struktureller Ähnlichkeiten bestehen zwischen den beiden Regelsystemen Divergenzen, aufgrund der sich Regelwerke der beiden Tauschsysteme gegenseitig ausschließen und im Fall von Interferenzen Störungen entstehen. <br /></div><ul style="text-align: left;"><li>Märkte der Geschäftswelt westlicher Prägung generieren Transfers ausgetauschter Leistungen, deren Wertigkeiten unter Bedingungen von Angebot, Nachfrage, Wettbewerb schwanken. Rahmenbedingungen von Marktpraktiken regulieren rechtsverbindlich kodifizierte, juristisch durchsetzbare Normen.</li><li>Gabentausch der Privatsphäre beruht auf Fairness erfordernde und Vertrauen voraussetzende Normen von Reziprozität sowie auf Gleichwertigkeit von Geben, Nehmen und Erwidern ohne genaue Verrechnung von Leistung und Gegenleistung. Muster der Verrechnung von Leistung und Gegenleistung sind nicht universell gültig, sondern sie beruhen auf gewohnheitsrechtlichen kollektiven Mustern, deren Metriken der Bemessung von Leistungen individuell gemäß sozialer Rolle, Position, Status von Personen und ihrem individuellen Wohlstand sowie über Raum und Zeit variieren. <br /></li></ul>Allerdings ist es auch in der Gegenwart unter Geschäftspartnern durchaus üblich, kleine Geschenke und Freundlichkeiten (Smalltalk) auszutauschen und sich gegenseitig zum Essen einzuladen. Diese symbolischen Gesten sind als Vertrauen stiftende Relikte des archaischen Gabentauschs zu verstehen. Wenn in der Gegenwart Größenordnungen von Gaben zu großen Gegengaben verpflichten, handelt es sich um Verstöße gegen Rechtsordnungen im Sinne von Bestechung und Korruption (im Rheinland verharmlosend als ‚Klüngel‘ bezeichnet). </div><div style="text-align: left;"><br />Wenn Konsumenten der Privatwelt Leistungen der Geschäftswelt beziehen, gelten für Transfers dieser Leistungen Regeln des Markttauschs. Bei persönlich erbrachten Dienstleistungen ist es dennoch üblich, über Minimalanforderungen hinausreichenden Service außerhalb des Rechtsgeschäfts mit kleinen Geschenken, Trinkgeldern und/oder Freundlichkeiten zu belohnen. Solche zusätzlichen Belohnungen beruhen auf sozialen Regeln des Gabentauschs, gegen deren Anwendung keine Bedenken bestehen und deren Anwendung bei einigen Arten von Dienstleistungen sogar erwartet wird (Frisör, Taxi, Gastronomie etc.). </div><div style="text-align: left;"><br />Wenn Konsumenten jedoch versuchen, gültige Regeln außer Kraft zu setzen, um nicht reguläre individuelle Leistungserwartungen mit Geschenken oder Geld zu erkaufen, handelt es sich um Bestechung. Bestechung liegt ebenfalls vor, wenn Amtsträger Klienten gegen verdeckte Zuwendungen Vorteile gewähren. Zwischen Amtsträgern und Klienten ist Bestechung ein strafrechtlicher Tatbestand der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung, der mit Gefängnis- oder Geldstrafen geahndet wird, wenn er bekannt wird.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der Privatsphäre erfolgt der Austausch von Leistungen gewöhnlich gemäß Regeln des Gabentauschs. Regeln des BGB unterliegende Privatgeschäfte sind zwischen Personen der Privatsphäre rechtlich nicht untersagt, aber zwischen sich nahe stehenden Freunden und Verwandten werden sie jedoch möglichst vermieden, weil aus Streit über Rechte und Pflichten von Privatgeschäften u. U. weitreichende Zerwürfnisse resultieren und Ansprüche juristisch nur schwer durchzusetzen sind. Streit über materielle Werte ist selbst unter engen Verwandten keine Ausnahme. Erbschaftsstreitigkeiten belegen als klassisches Beispiel mit zunehmender Größe von Werten zugleich zunehmende Streitrisiken zwischen Verwandten.<br /></div><div style="text-align: left;"><br />Im imperialen Kolonialismus und im globalen Handel zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern treffen inkompatible Regeln des Tauschhandels aufeinander, die Regeln gewöhnlich zugunsten von Imperialmächten bzw. Industrieländern und zuungunsten unterlegener Kulturen bzw. Entwicklungsländern zum Zweck von Ausbeutung missachten. <br /></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-89008814198405719282024-01-07T06:43:00.006+01:002024-01-23T19:38:20.053+01:00Rau(h)nächte: Warum man zwischen Weihnachten und Silvester keine Wäsche waschen darf<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjG4hk2TB9dNY1fIt851SexF6AiiwyDsaSW0oxSBvasP3ZUv1K5GP0HY35kvVu-_3zVlL0D881__Nxgm1CMsD1qUmsW8zwjujCt_aj35Ph7XnvjGFpjj_RTdYfZEMmWPwSmfYgFbew_9c5JV9lhLb1Q04WK6Ahtfp310mzVUeHBu_ywlb-eLLPj4KBD/s1600/Aasgaardreien,%20Peter%20Nicolai%20Arbo.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1082" data-original-width="1600" height="135" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjG4hk2TB9dNY1fIt851SexF6AiiwyDsaSW0oxSBvasP3ZUv1K5GP0HY35kvVu-_3zVlL0D881__Nxgm1CMsD1qUmsW8zwjujCt_aj35Ph7XnvjGFpjj_RTdYfZEMmWPwSmfYgFbew_9c5JV9lhLb1Q04WK6Ahtfp310mzVUeHBu_ywlb-eLLPj4KBD/w200-h135/Aasgaardreien,%20Peter%20Nicolai%20Arbo.jpg" width="200" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Åsgårdsreien (Die Wlde Jagd), <br /><a href="https://www.wikiwand.com/de/Peter_Nicolai_Arbo" target="_blank">Peter Nicolai Arbo</a></td></tr></tbody></table>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhWSxBL5fP4Y_qVPHsbkzWR4S1s_UAjU8WiYa-q3R6ic2PyqROGV95CtvLzRWpTJFQRm4DymlCWORJPN_rPZCSOxcyj1c1oXZfWKDDYHLvEpSt3HPgTE_1W-lkGRVzJskQX2mQDJr6R5-RhaTqyc-UsrGXYc6JBa48ahPJB4IxorEY0dZUiirbH7umb/s1000/The%20Wild%20Hunt%20of%20Odin,%20Peter%20Nicolai%20Arbo%20.jpg" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="668" data-original-width="1000" height="134" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhWSxBL5fP4Y_qVPHsbkzWR4S1s_UAjU8WiYa-q3R6ic2PyqROGV95CtvLzRWpTJFQRm4DymlCWORJPN_rPZCSOxcyj1c1oXZfWKDDYHLvEpSt3HPgTE_1W-lkGRVzJskQX2mQDJr6R5-RhaTqyc-UsrGXYc6JBa48ahPJB4IxorEY0dZUiirbH7umb/w200-h134/The%20Wild%20Hunt%20of%20Odin,%20Peter%20Nicolai%20Arbo%20.jpg" width="200" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">The Wild Hunt of Odin, <br /><a href="https://www.wikiwand.com/de/Peter_Nicolai_Arbo" target="_blank">Peter Nicolai Arbo</a><br /></td></tr></tbody></table><div style="text-align: center;">
<i>Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen.<br />Spinne am Mittag bringt Glück am dritten Tag.<br />Spinne am Nachmittag bringt Glück am andern Tag.<br />Spinne am Abend erquickend und labend. </i><br /></div><div><div style="text-align: left;">Die eigentlich auf handwerkliches Spinnen bezogenen Aussagen (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spinne_am_Morgen" target="_blank">Spinne am Morgen</a>) deutete die Familie in Richtung Insekten um. Unabhängig von Handwerk oder Insekten sehen abergläubische Menschen Spinnen je nach Tageszeit als Glücks- oder Unglücksbringer. Zusammenhänge zwischen Spinnen und Glück oder Unglück kann oder muss niemand erklären, weil sich Esoterik und Aberglaube rationalen Erklärungen entziehen. Esoterik und Aberglaube sind in der eigenen Familie vor allem der weiblichen Mutterlinie nicht fremd, aber sie sind keine Erfindungen der eigenen Familie, sondern Adaptionen traditionellen magischen Denkens des Volksglaubens, das über die Feiertage des Jahreswechsels besondere Blüten treibt.</div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Aberglaube und übersinnliche Wahrnehmung in der Familie<br /></b></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">In der Familie bedeuteten piepende Geräusche im rechten Ohr, dass jemand gerade Gutes über Betroffene spricht. Geräusche im linken Ohr warnten dagegen vor übler Nachrede. Ähnlich wurden den Weg kreuzende schwarze Katzen gedeutet. Wenn sie von der linken zur rechten Seite kreuzten, kündigten sie Glück an und in umgekehrter Richtung Unglück. Andere Phänomene verwiesen vermeintlich auf zu erwartenden Geldsegen oder auf demnächst eintreffenden überraschenden Besuch. Anlässlich der Bestattung eines 1957 bei einem Verkehrsunfall verstorbenen Onkels berichtete Großtante Auguste, Schwester der Großmutter, im nächtlichen Traum seien ihr beide Schneidezähne ausgefallen, daher habe sie bereits gewusst, dass ein naher Angehöriger verstorben sei. Ich war zutiefst beeindruckt. Erklären konnte Tante Auguste nicht, wie und durch wen diese Nachricht im Traum zu ihr gelangt ist. Erklärungsdefizite wurden in der Familie locker gehandhabt.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Familiäre Religiosität war von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pietismus" target="_blank">Pietismus</a> geprägt. Prophetie (<i>Weissagung</i> und <i>Wahrsagung</i>) war aus der Bibel (Buch der Wahrheit und der Weisheit) vertraut. Wissenschaftsskepsis und Annahmen über Fähigkeiten außersinnlicher Wahrnehmung konnten sich auf die Bibel stützen. Unter Pietisten war die Annahme verbreitet, dass Menschen je nach Begabung über mehr oder weniger stark entwickelte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Parapsychologie" target="_blank">parapsychologische</a> Fähigkeiten außersinnlicher Wahrnehmung verfügen, wie etwa Fernübertragung von Gedanken (<i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Telepathie" target="_blank">Telepathie</a></i>) oder Fernwahrnehmung (<i>Hellsehen</i> und <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Pr%C3%A4kognition" target="_blank">Präkognition</a></i>) von Ereignissen. Bei biblischen Propheten waren diese Fähigkeiten besonders stark ausgeprägt. Da gegenüber Wissenschaften bzw. wissenschaftlichen Theorien ohnehin Skepsis bis hin zu Feindschaft bestand und je nach Thema Wissenschaften als unreligiöse elaborierte sprachliche Codes oder als Irrlehren (Evolution!) galten, waren wissenschaftliche Einwände unbedeutend. Praktisches Erfahrungswissen fand In der Familie selbstverständlich
Anerkennung, jedoch ohne prinzipielle Unterscheidung zwischen
wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aussagen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Raunächte sind ein</b><b> spezielles Phänomen traditioneller europäischer Kultur</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Generell haben Menschen Brauchtum der
Geistervertreibung hervorgebracht, um sich gegen nicht erklärbare empirische Phänomen zu schützen und zu wehren. Dieser Post fokussiert auf das Phänomen der <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Raunacht" target="_blank">Raunächte</a></i>
(<i>Rauhnächte</i>) im Zeitraum um den Jahreswechsel, dem in ganz Europa traditionelle
Bedeutung besonderer Art beigemessen wird. Bezeichnungen, Zeitraum,
Brauchtum der <i>Raunächte</i> variieren, aber sie enthalten einen gemeinsamen Kern, um den es hier geht. Die Bezeichnung <i>Raunächte</i> ist in Deutschland am weitesten verbreitet. Regionale Synonyme werden <i>Glöckelnächte, zwölf Nächte, Innernächte, Unternächte</i>
genannt und variieren teilweise traditionelles Brauchtum. Alle Namen
beziehen sich auf einen Zeitraum, der meistens vom 25. Dezember bis zum
6. Januar reicht. Regional kann der Zeitraum aber auch mit der
Wintersonnenwende einsetzen und daher mehr als die üblichen 12 Tage
umfassen. Vier dieser Nächte gelten als besonders wichtig und für Menschen gefährlich. (National Geographic: <a href="https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/11/rauhnaechte-5-erstaunliche-rituale-und-ihre-geschichte" target="_blank">Raunächte: 5 erstaunliche Rituale und ihre Geschichte</a>)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kulturwissenschaftlich wird die herausgehobene Bedeutung dieses Zeitraums mit unterschiedlichen Längen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lunarkalender" target="_blank">Lunarkalender</a> (Mondkalender) und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Solarkalender" target="_blank">Solarkalender</a>
(Sonnenkalender) erklärt. Germanische Völker orientierten sich am
Lunarkalender (wie China bis zur Gegenwart). Römer führten aus
praktischen Gründen unter Julius Caesar den Solarkalender in einer
Version ein, die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Julianischer_Kalender" target="_blank">Julianischer Kalender</a> mit Veränderungen bis zum Hochmittelalter gültig war. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gregor_XIII." target="_blank">Papst Gregor XIII.</a> verordnete 1582 mit einer Kalenderreform den noch immer gültigen und global am weitesten verbreiteten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gregorianischer_Kalender" target="_blank">Gregorgianischen Kalender</a>. Zwischen Lunarkalender und Solarkalender liegt eine Zeitdifferenz von ca. 12 Tagen, der Zeitraum <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Zwischen_den_Jahren" target="_blank">Zwischen den Jahren</a></i>.
In Mythologien wird angenommen, dass Naturgesetze in diesem Zeitraum
suspendiert und Grenzen empirisch nicht wahrnehmbarer magischer Welten
vorübergehend aufgehoben sind. Nächte dieses Zeitraums eignen sich für
Geisteraustreibungen, Geisterbeschwörungen und Wahrsagen, z.B. in Form
von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bleigie%C3%9Fen" target="_blank">Bleigießen</a> oder Zinngießen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Für außersinnliche Wahrnehmungen affine Menschen galten und gelten noch
immer die Tage über den Jahreswechsel als besonders problemlastig. Um
kein Unglück zu provozieren, durften der Weihnachtbaum erst am 24.12.
aufgestellt werden und Weihnachtslieder erst ab Heiligabend gesungen
werden. In der Vorweihnachtszeit waren <a href="https://www.wikiwand.com/de/Adventslied" target="_blank">Adventslieder</a> angesagt (z.B.: <i>Der
Morgenstern ist aufgedrungen, Nun komm, der Heiden Heiland, Wachet auf,
ruft uns die Stimme, Es kommt, ein Schiff geladen, Macht hoch die Tür,
Wie soll ich dich empfangen</i> usw.). Andere Regeln rankten sich um
Essvorschriften. Zwischen Weihnachten und Silvester gebot eine weitere
Regel, keine Wäsche zu waschen. Wenn wir als Kinder naiv nach Gründen
fragten, wussten Erwachsene lediglich, dass sich bei Regelverletzungen
Unglücke ereignen würden und darum diese Regeln zu befolgen seien. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Schützen können sich Menschen durch Fasten und Beten sowie
in Wohnräumen angebrachte Kreuze und Mistelzweige, Gefäße mit Weihwasser, Verbrennen von Weihrauch. Gemäß Volksglauben
zieht Unordnung ordnungsscheue Geister an. Hilfreich wirken Ordnung im Haus, Vermeiden von Haare und Fingernägel schneiden sowie kein Wäsche zu waschen. Frauenunterwäsche auf
Wäscheleinen lockt böse Geister an und provoziert Übergriffigkeit.
Geister können sich auch in Wäscheleinen verfangen, sodass man sie kaum
wieder los wird. Volksglaube nimmt an, dass Geister auf der Leine
hängende weiße Tücher stehlen, um sie als Leichentücher für Bewohner des
Hauses zu nutzen. Waschen von Wäsche ist aus diesen Gründen <i>zwischen den Tagen</i>
tabuisiert. Besondere Bedeutung wird Träumen in den Raunächten sowie pro Tag geäußerten Wünschen beigemessen. Mit Segen von Sternensingern am Dreikönigstag ist der Spuk
beendet und das Haus für den Rest des Jahres wieder geschützt.</div><div style="text-align: left;"><br /></div>In der
Mitte dieser Zeit öffnet sich zu Silvester das Geisterreich, aus dem
übernatürliche Jäger zur <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Wilde_Jagd" target="_blank">Wilden Jagd</a></i>
aufbrechen. Lärm und Feuerwerk sollen in der
Silvesternacht böse Geister vertreiben. Im Alpenraum
ist bis heute erhaltenes Brauchtum von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Perchtenlauf" target="_blank">Perchten</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gl%C3%B6ckler" target="_blank">Glöcklern</a>
entstanden, bei dem zu Silvester dämonisch verkleidete junge Männer
lärmend durch das Dorf ziehen, um brauchtumsmäßig richtiges Verhalten von
Dorfbewohnern zu kontrollieren. Ähnliche Fastnachts- und Osterbräuche
des Alpenraums (u.a. Feuerbrauch des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Scheibenschlagen" target="_blank">Scheibenschlagens</a>) gehen auf ursprüngliches Brauchtum der Raunächte zurück. (Über Scheibenschlagen in Südtirol berichtet der Post <span style="font-weight: normal;"><a href="https://raumzeitde.blogspot.com/2012/07/sudtirol-2012-tartscher-buhel-die.html" target="_blank">Südtirol 2012 - Tartscher Bühel, die Dritte - Kleiner Streifzug von der Frühgeschicht bis zur Gegenwart dieses Kultplatzes</a>.) </span><span style="font-weight: normal;"> </span><br /> <div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Aberglaube und Esoterik sind universelle </b><b>Kulturphänomene </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Während Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit insbesondere in religiös fundamentalistischen Bewegungen verbreitet sind, zu denen Pietismus zählt, <span style="font-weight: normal;">bilden Aberglaube,
Glaube an übersinnliche Wahrnehmung, Raunächte etc. keine
skurrilen Phänomene bildungsferner Menschen, sondern </span>es handelt sich um im Volksglauben tief verwurzelte u<span style="font-weight: normal;">nd in allen sozialen Schichten verbreitete Überzeugungen des </span>Kollektivbewusstseins<span style="font-weight: normal;">. Symbole, Mythen und Gegenstände </span><span style="font-weight: normal;">variieren</span><span style="font-weight: normal;"> </span><span style="font-weight: normal;">interkulturell Ausprägungen und</span><span style="font-weight: normal;"> Bezüge</span>, aber als kulturelle Phänomene haben Aberglaube und Esoterik <span style="font-weight: normal;">ubiquitären Charakter. </span>Im Volksglaubens verbreitetes magisches Denken ist kulturhistorisch in
vorchristlicher archaisch-mythologischer Zeit entstanden und lebt mit Umdeutungen
in Elementen christlicher Symbolik, Ikonografie, Mythologie weiter. Magisches Denken hat über Zeit und Raum im Volksglauben eine unüberschaubare Menge mythischer Symbole und Erzählungen mit einer großen Vielfalt regionaler Ausprägungen
hervorgebracht, die Gegenstände ethnologische Forschung bilden, aber kein Post angemessen beschreiben könnte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Vermutlich bewirkten in Europa an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wissenschaftliche Entdeckungen von Röntgenstrahlung und
radioaktiver Strahlung sowie über den sinnlichen Wahrnehmungsbereich
hinausreichende Erkenntnisse in mikro- und makroskopischen Bereichen neue Ansichten und wissenschaftliche Theorien, die in Potentialen von Energie wesentliche Treiber von Evolution und Kultur sahen. Diese Entwicklungen wirkten auf Volksglauben ein, der schon immer von einer außerhalb menschlicher Sinneswahrnehmung existierenden Welt überzeugt war. Okkultistische Umdeutungen verknüpften Entdeckungen physikalischer Phänome mit traditionellen Denkweisen und bewirkten die Zunahme von Überzeugungen außersinnlicher Wahrnehmung sowie die Entstehung sich nachhaltig ausbreitender <a href="https://www.wikiwand.com/de/Anthroposophie" target="_blank">anthroposophischer</a>
Lehren unter Einfluss der Okkultistin <a href="https://www.wikiwand.com/de/Helena_Petrovna_Blavatsky" target="_blank">Helena Petrovna Blavatsky</a>. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Annahmen der Sozialpsychologie erklären Universalität
von Aberglauben mit evolutionär hervorgebrachten, weil für das Überleben der Art nützlichen biologisch-instinktiven menschlichen Grundbedürfnissen der Welterklärung
durch kausale Sinnkonstrukte. Dass aktuell in etlichen Segmenten
empirischer Realität esoterische Ansichten an Bedeutung zunehmen, bewirken vermutlich Säkularisierungsprozesse, durch die
religiöse Überzeugungen abnehmen und Leerräume sinnhafter Erklärungen entstehen. Alternative
esoterische Erklärungen, wie etwa sich auf anthroposophische Lehren stützende biodynamische Überzeugungen füllen diese Leerräume. Diese Entwicklungen öffnen zugleich ein
weites Feld für Optionen manipulativen Missbrauchs von Meinungen und Überzeugungen mit Hilfe von Medien durch Ökonomie (Werbung), durch Politik (mittels Intransparenz und
Programmatik rechtsradikaler und populistischer Bewegungen) und nicht
zuletzt im öffentlichen Diskurs über unverstandene
Phänomene empirischer Realität (z.B. Verschwörungstheorien). <span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><b><span>Anmerkungen zum Zeitpunkt und zu Zeitpunktverschiebungen des Jahreswechsels</span></b></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Der Zeitpunkt des Jahreswechsel beruht auf willkürlichen ethnozentrischen Festlegungen und </span><span style="font-weight: normal;">korrespondiert</span><span style="font-weight: normal;"> auf der nördlichen Halbkugel der Erde nicht überall mit der Wintersonnenwende oder dem Frühjahrsbeginn. Im alten Ägypten war der Jahreswechsel am 29. August, in Byzanz am 1. September. 153 v. Chr. verlegten Römer den Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar und führten mit der Verlegung das Brauchtum von Jahresendfesten ein (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Silvester" target="_blank">Silvester</a>). Feuerriten zur Wintersonnenwende und zum Frühjahrsbeginn gehen auf germanisches Brauchtum zurück. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Im christlichen </span><a href="https://www.wikiwand.com/de/Julianischer_Kalender" target="_blank">Julianischer Kalender</a><span style="font-weight: normal;"> endete das Jahr am 25. Dezember. Mit der von </span> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gregor_XIII." target="_blank">Papst Gregor XIII.</a> 1582 verordneten Kalenderreform des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gregorianischer_Kalender" target="_blank">Gregorgianischen Kalenders</a> wurde der Jahresbeginn auf den 1. Januar verlegt und der 31. Dezember gemäß katholischem Heiligenkalender nach Papst <a href="https://www.wikiwand.com/de/Silvester_I." target="_blank">Silvester I.</a> benannt. Die meisten europäischen Länder führten die Kalenderreform erst nach und nach in Folgejahren ein, zuletzt die Schweiz, wo sich 1812 die letzten reformierten Gemeinden der Reform anschlossen. Als Widerstand gegen die katholische Kalenderreform wurde im Appenzeller Hinterland der 13. Januar als Jahresende festgelegt und wird auch noch in der Gegenwart folkloristisch als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Alter_Silvester" target="_blank">Alter Silvester</a> gefeiert.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Während die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Griechisch-orthodoxe_Kirche" target="_blank">Griechisch-orthodoxe Kirche</a> den Gregorianischen Kalender übernommen hat, halten die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Russisch-Orthodoxe_Kirche" target="_blank">Russisch-orthodoxe Kirche</a> und die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Serbisch-Orthodoxe_Kirche" target="_blank">Serbisch-orthodoxe Kirche</a> am Julianischen Kalender fest und feiern daher Weihnachten am 6./7. Januar nach einer 40-tägigen Fastenzeit sowie Neujahr am 14. Januar.</div> </div><div>Der <a href="https://www.wikiwand.com/de/J%C3%BCdischer_Kalender" target="_blank">jüdische Kalender</a> ist ein im Jahr 3761 v. Chr. beginnender <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lunisolarkalender" target="_blank">Lunisolarkalender</a>. Der Jahresbeginn <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rosch_ha-Schana" target="_blank">Rosch ha-Schana</a> feiert den Jahrestag der Weltschöpfung und gleichzeitig den Tag der Erschöpfung Adams. Der Zeitpunkt des Jahrestags wechselt mit komplizierten Berechnungen (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rosch_ha-Schana#Zeitpunkt_und_Einbettung_in_den_j%C3%BCdischen_Kalender" target="_blank">Zeitpunkt und Einbettung in den jüdischen Kalender</a>)</div><div><br /></div><div>Der chinesische Kulturkreis nutzt ebenfalls einen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lunisolarkalender" target="_blank">Lunisolarkalender</a>. Das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Chinesisches_Neujahrsfest" target="_blank">chinesiche Neujahrsfest</a> findet zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar am zweiten (selten auch am dritten) Neumond nach der Wintersonnenwende statt. Das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Japanisches_Neujahrsfest" target="_blank">japanische Neujahrsfest</a> folgt seit 1873 dem Gregorianischen Kalender. </div><div><br /></div><div>Der Beginn der islamischen Zeitrechnung liegt auf dem 16. Juli 622, der Tag, an dem der Prophet Mohammed mit seinen Anhängern von Mekka nach Medina wanderte (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Islamische_Zeitrechnung" target="_blank">Islamische Zeitrechnung</a>). Da der islamische Kalender ein Mondkalender ist und sich der Anfang eines Monats nach dem Neumond richtet und das islamische Jahr (<a href="https://en-m-wikipedia-org.translate.goog/wiki/Hijri_year?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc" target="_blank">Hirji-Jahr</a>) 12 Mondphasen umfasst, ist das islamische Jahr 11 Tage kürzer als das Jahr des Gregorianischen Sonnenkalenders und wandert durch das Sonnenjahr. </div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-87504262710088618772023-12-06T06:49:00.713+01:002023-12-08T19:50:29.777+01:00Erzählungen kausaler Sinnkonstrukte - Denken 1.0 und Denken 2.0<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhSAgeAQP1YT1lG1Ga8YhEWymb0Jm8Nj-xNtqxBCuv-wUze97hrgASETpQcucbCHtC9lWHmDhXInt4A-lXI2yTxEKT_aG0vG3EualcYl2RFiXREbiBX-nLdHCRQ7FYSSgbGcxftYQRgtIVV-Kh0cmXpS2vs_miAJf7O30qI3KMjvXIIPKm3olsz_5VP3sQ/s1100/kontingenzrahmen.jpeg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="610" data-original-width="1100" height="178" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhSAgeAQP1YT1lG1Ga8YhEWymb0Jm8Nj-xNtqxBCuv-wUze97hrgASETpQcucbCHtC9lWHmDhXInt4A-lXI2yTxEKT_aG0vG3EualcYl2RFiXREbiBX-nLdHCRQ7FYSSgbGcxftYQRgtIVV-Kh0cmXpS2vs_miAJf7O30qI3KMjvXIIPKm3olsz_5VP3sQ/w320-h178/kontingenzrahmen.jpeg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Quelle: Carl Auer Verlag, Magazin Systemzeit:<br /><a href="https://www.carl-auer.de/magazin/systemzeit/Kontingenz%E2%80%93der-Raum-in-dem-sich-M%C3%B6glichkeiten-%C3%B6ffnen" target="_blank">Kontingenz - Raum in dem sich Möglichkeiten öffnen<br /></a></td></tr></tbody></table><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEggMeXpGdgJSLfhRWweukfvn4mUMCmsl5uGEe0B5KZBCbePi4tqc0fO0WPmifWxK1tti8Hv6Jw31uOWZDWQE5Ro_mIldB1OXte_apgB3J-_1A8gaLcKTbyaQoEU5vY1Vwo3rcqt8Losg8y8-mVbVYZQ4HzER9r0KZI_Qr9VZImy5-RsqoEIGcfkpFLcYbw/s2788/Kontingenz.jpeg" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="2394" data-original-width="2788" height="275" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEggMeXpGdgJSLfhRWweukfvn4mUMCmsl5uGEe0B5KZBCbePi4tqc0fO0WPmifWxK1tti8Hv6Jw31uOWZDWQE5Ro_mIldB1OXte_apgB3J-_1A8gaLcKTbyaQoEU5vY1Vwo3rcqt8Losg8y8-mVbVYZQ4HzER9r0KZI_Qr9VZImy5-RsqoEIGcfkpFLcYbw/w320-h275/Kontingenz.jpeg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon:<br /><a href="https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/kontingenz-41504" target="_blank">Was ist "Kontingenz"?</a><br /></td></tr></tbody></table><div>
</div>Dieser Text ist ohne pädagogische oder missionarische Absichten formuliert, die Leser, Zuhörer, Schüler etc. von Standorten <i>abholen</i> wollen, um sie vermeintlich aufzuklären oder zu belehren. Der Autor sieht sich zu Redlichkeit verpflichtet, jedoch nicht zu pädagogischer Aufklärung. Für ungeübte Leser kann dieser Text zugegeben schwierig sein, weil er
ohne Konzessionen an Vorkenntnisse von Lesern lediglich Standpunkte von Ansichten des Autors beschreibt. Leser möchte er zu eigenen Recherchen anregen. <div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><span></span><span><a name='more'></a></span> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>Kontingenz, Komplexität und kausale Sinnkonstrukte</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In evolutionären Prozessen eines hoch komplexen, sich ständig verändernden Universums ist Biologie entstanden. Biologie hat in einem kleinen Segment großer Vielfalt Tiere der Gattung <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Mensch" target="_blank">Homo sapiens</a></i> hervorgebracht und sie biologisch mit Grundbedürfnissen ausgestattet, die Lebensfähigkeit ermöglichen. Hierzu zählen Nahrungsaufnahme, Schlaf, Kooperation, Kommunikation, Sex etc.. Höhere Arten verfügen darüber hinaus als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribuierung" target="_blank">Kausalattribuierung</a> bezeichnete universelle Deutungsmechanismen ihrer Wahrnehmung. Auf bisher unverstandene Art produzieren diese Mechanismen mentale Vorstellungen kausaler Sinnkonstrukte der Realität. Mentale Repräsentation kausaler Sinnkonstrukte scheint ein Grundbedürfnis höherer Arten zu sein. Sachverhalte universeller Mechanismen berechtigen zu der Annahme, dass dieser Mechanismus als evolutionäre Strategie der Reduzierung <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz_(Soziologie)?oldformat=true" target="_blank">kontingenter</a> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplexit%C3%A4t" target="_blank">Komplexität</a> aufzufassen ist, mit der sich Lebenschancen höherer biologischer Arten unter Bedingungen von Konkurrenz probabilistisch erhöhen und damit evolutionäre Fitness höherer Arten verbessert. Evolutionäre Strategien von Leben erzeugen Potentiale, aber sie enthalten keine Beweise absoluter Wahrheit.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Erzählung, Narrativ, Fiktionalität</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Prozess kultureller Evolution haben sich
unterschiedliche Kategorien von Erzählungen ausdifferenziert: Mythen,
Religionen, Novellen, Nachrichten etc. sowie Wissenschaften. Kategoriale Arten von Erzählungen sind für die Gattung <i>Homo sapiens</i>
derart bedeutend, dass sie jeweils spezifische institutionalisierte
Rahmen- und Regelwerke ausprägen konnten, die der Entwicklung,
Tradierung und Anpassung an veränderte Lebensbedingungen und der
Ausdifferenzierung von Unterarten in thematischer Breite und zeitlicher
Tiefe dienen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kommunikativ berichtende Interaktionen zwischen Sendern und Empfängern über Gewebe zusammenhängender Sachverhalte werden als Erzählungen im Sinne von <i>Story</i> aufgefasst (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erz%C3%A4hlung" target="_blank">Erzählung</a>). Erzählungen enthalten zwischen Wahrheit und Erfindung zu verortende fiktional konnotierte Anmutungen. Der Wahrheitsgehalt von Erzählungen ist unsicher. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Erfundene Storys von Märchen und Romanen 'spielen' mit Fiktionalität, ohne als 'Lügen' aufgefasst zu werden, wenn sie Erzählungen konstruieren, die potentielle Wahrheitsgehalte beanspruchen und sich so oder so ähnlich in der Realität begeben haben könnten. Bei anderen Arten von Erzählungen ist Fiktionalität weniger offensichtlich und besteht eher in einer Art von Zweifel über den Wahrheitsgehalt von Erzählungen. Stärken von Zweifeln beeinflussen die Glaubwürdigkeit des Berichtenden, die Plausibilität berichteter Zusammenhänge und Annahmen über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens berichteter Sachverhalte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mental erzeugte kausale Sinnkonstrukte der Gattung <i>Homo sapiens</i>
basieren auf Erzählungen. In Abgrenzung von berichtender Erzählung wird der Begriff des Narrativs als eine auf sinnstiftende Muster abzielende Erzählung aufgefasst. Soziologie verengt die Definition des Narrativs auf sinnstiftende Erzählungen, die Werte und Emotionen mitteilen, Einfluss auf Wahrnehmungsdeutungen der Realität nehmen und mit Legitimität ausgestattet sind (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Narrativ_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Narrativ Sozialwissenschaften</a>). Narrative beabsichtigen Orientierung, indem sie Deutungsangebote vermitteln oder Deutungsmacht beanspruchen. Narrative erlangen Bedeutung nicht aufgrund von Wahrheitsgehalten, sondern durch Stärken geteilter Überzeugungen. Mythen und Religionen gelten als typische Narrative. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><b>Denken 2.0</b><br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Fähigkeiten des analytischen und schlussfolgernden Denkens auf Basis mentaler Mechanismen der Kategorisierung und der Kausalattribuierung entwickelt <i>Homo sapiens</i> im Prozess kultureller Evolution zu Fähigkeiten der Theoriebildung im
Sinne eines Denkens zweiter Ordnung, das Grundlagen seiner Darlegungen berücksichtigt, widersprüchliche
Erfahrungen auf einer höheren Abstraktionsebene kritisch reflektiert und
sich der Kritik von Außen stellt. Aus Fähigkeiten des Denkens 2.0 resultiert die Etablierung von rationalem Denken als sich ausdifferenzierende Wissenschaften. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliches Denken 2.0 bildet Theorien im Sinne von Aussagen über kausale Zusammenhänge zwischen empirischen Phänomen, prüft Gültigkeit von Theorien gegen empirische Sachverhalte und kontrolliert bewusst Methoden der Theoriebildung sowie Methoden der Überprüfung von Resultaten. Ausdifferenzierungen von Wissenschaften zwischen Naturwissenschaften einerseits und Kultur- oder
Geisteswissenschaften andererseits sowie deren Aufgliederungen in
fachspezifische Wissenschaftssysteme sind nicht naturgegeben, sondern der
Komplexität von Realität geschuldet. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine Sonderstellung nimmt Mathematik ein, die als Meta-Konstrukt
formaler Logik erst Aussagen über wissenschaftliche Erkenntnisse
ermöglicht und Wahrheit im Sinn formaler Logik zu definieren vermag. Als
Sprache eines formalen Meta-Konstrukts produziert Mathematik keine
inhaltlichen Aussagen über empirische Phänomene.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Beispiele für Ausdifferenzierung von Wissenschaften sind etwa
Philosophie, Soziologie, Ethnologie, Psychologie, Theologie, Ökonomie,
Geschichte etc., die weitere Unterarten bilden, z. B. in der Breite als
Wissenschaftsgeschichte, Politikgeschichte, Literaturgeschichte,
Kunstgeschichte usw. sowie in der Tiefe z. B. mit Vorgeschichte,
Frühgeschichte, Mittelalter, Neuzeit usw.. Mit anwachsendem
Wissensvorrat differenzieren sich weitere Unterarten aus. Wissenschaftssystemen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der
Gegenstandsbereiche ihrer Erklärungen, sondern bilden sich vom Alltagsdenken
(Denken 1.0) jeweils absetzende spezifische Modelle, Methoden, Taxonomien,
Fachsprachen, Begriffe heraus. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Ausdifferenzierungen wissenschaftlicher
Gegenstandsbereiche bewirken Professionalisierung von Expertenwissen und dienen der Legitimierung exklusiver
Erklärungsansprüche von Experten. In
wissenschaftlichen Kernen diskutieren die jeweiligen Spezialisten
und konkurrieren um Deutungen, bis sie von nachfolgenden
Spezialisten-Generationen verdrängt werden und selbst Geschichte sind.
Inhalte ihrer Diskussionen sind bereits zwischen wissenschaftlichen
Disziplinen schwer vermittelbar und erzeugen interdisziplinäre Verständigungsprobleme. Dem Alltagsdenken (Denken 1.0) bleiben
auf Denken 2.0 beruhende Wissenschaften weitgehend unverständlich, weshalb Wissenschaftler häufig
als lebenspraxisferne <i>Fachidioten</i> gelten. <br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Der Prozess der Ausdifferenzierung von Wissenschaften vernebelt Sachverhalte von Erzählungen über Deutungen der Welt. Allerdings haben sich Einsichten durchgesetzt: <br /></div><ul style="text-align: left;"><li>Wissenschaft beruht nicht auf dem Wahrheitsgehalt von Erkenntnissen und deckt keine Wahrheiten im Sinne absoluter
Erkenntnisse auf, sondern ist als Forschungswerkstatt zu verstehen ist,
die Erkenntnisse über neuartiges Wissen produziert. Forschungen und
Forschungsergebnisse beanspruchen Wissenschaftlichkeit, wenn sie von der
Forschergemeinde festgelegte methodische Kriterien erfüllen und der
Wert von Erkenntnissen auf Prüfständen der Vergleichbarkeit vermessen
ist. Erkenntnisse sind
relativer Art und können Irrtümer beinhalten.</li><li>Wissenschaftliche Erzählungen enthalten narrative Strukturen und poetische Elemente. Der US-amerikanische Historiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hayden_White" target="_blank">Hayden White</a> demontiert Historiker-Ansprüche auf objektive
Geschichtsschreibung als sinnstiftende Poesie, die zu Unrecht
Übereinstimmung mit der Vergangenheit beansprucht.</li><li>Wesentliche Unterschiede zwischen Narrativen und Wissenschaften resultieren nicht aus Inhalten sondern aus methodischen Vorgehensweisen.</li></ul></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Perspektiven von Geschichte</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Geschichte mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit berichtet gewöhnlich aus Perspektiven von Eliten oder aus Perspektiven von Strukturen und Dynamiken größerer kollektiver Verbände. Methodisch basiert wissenschaftliche Historie auf Quellenanalysen und konstruiert hermeneutisch aus Material ihrer Quellen Architekturen von Deutungen, die Ausschnitte eines in der Vergangenheit liegenden dynamischen Geschehens der Realität mit Zweckorientierung, Sinnhaftigkeit und Zwangsläufigkeit ausstattet. Diese Methodik ist nicht unehrenhaft, aber sie ist unvollständig und tendiert zur Unredlichkeit, wenn sie von zahlreichen Parametern beeinflusste vielfach verzerrte Perspektiven erzeugt, die als vermeintliche historische Realität ausgegeben werden, obwohl es sich um erzählerische Konstrukte handelt. </div><p>Texte eigener persönlicher Erinnerungen berichten als <i>Geschichte von unten</i> aus gewöhnlich selten sichtbaren Maschinenräumen historischer Entwicklungen und Ereignisse und sind sich der subjektiv eingeschränkten Gültigkeit ihrer Aussagen bewusst. Inhaltliche Sachverhalte persönlicher Berichte beruhen überwiegend nicht auf empirischen Fakten, sondern auf subjektiv geprägten individuellen Konstrukten, die sich aus mehr oder weniger rudimentären persönlichen Erinnerungen zu Ereignissen in Umgebungen komplexer Realität zusammensetzen. Die Fülle externer Deutungsmuster verhindert jeden Anspruch auf vollständiger Rezeption, aber sie ermöglicht Abgleiche mit externen Deutungsmustern unterschiedlicher Art und Inhalte. Die subjektive Auswahl vermeintlich relevanter externer Deutungsmuster steht unter Einflüssen weitgehend unbewusster, kulturell geprägter individueller Präferenzen. Eigene Aussagen sind unvermeidbar subjektiv und beanspruchen keine Objektivität, aber sie sind nach bestem Wissen und Gewissen und Geboten von Fairness abgefasst. Zu Lebzeiten bilden Inhalte eigener persönlicher Texte keine in Stein gemeißelten Monumente. Erinnerungen und Erkenntnisse ändern sich mit Lebenserfahrungen. </p><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Empirie, Epik, Wahrnehmung, Realität</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wahrheitsgehalte empirischer Fakten sind gewöhnlich prüfbar. Fehler können erkannt, analysiert und korrigiert werden. Im Unterschied zu empirischen Fakten sind Wahrnehmungen, Erinnerungen und ihre Deutung von vielen Bedingungen abhängig, die hier nicht vollständig aufgeführt werden können. Biologisch funktionieren Wahrnehmungs- und Denkprozesse von Menschen weitgehend identisch, abgesehen von Erkrankungen. Genetische Unterschiede üben zwar Einflüsse aus (z.B. hinsichtlich Sehschärfe, Hörvermögen, Farbwahrnehmung etc.), aber diese Einflüsse sind nicht fundamental bedeutend. Alltagswissen (Denken 1.0) neigt dazu, inividuelle Wahrnehmung als Realität aufzufassen. Wissenschaftlich gilt dagegen als sicher, dass menschliche Wahrnehmungen und Prozesse ihrer Deutung</div><ul><li style="text-align: left;">von biologischen Mechanismen eingeschränkt und verzerrt werden,</li><li style="text-align: left;">von jeweiligen kulturellen Umgebungen, individueller Sozialisation und vorausgegangenen individuellen Erfahrungen subjektiver und kollektiver Art beeinflusst sind,</li><li style="text-align: left;">und dass Erinnerungen zu ehemaligen Wahrnehmungen und Wahrnehmungsdeutungen äußerst fehleranfällig und mehr oder weniger lückenhaft sind, weshalb Erinnerungen unzuverlässig und Risiken von Irrtümern hoch sind.</li></ul><div style="text-align: left;">Aufgrund dieser Erkenntnisse ist zu akzeptieren, dass individuelle Wahrnehmung keine objektive Realität erfasst, sondern die Welt subjektiv deutet. In Texten dargestellte Sachverhalte beschreiben individuelle Sichten der Welt, die keinen Anspruch auf objektive Wahrheit erheben können, sondern lediglich Annäherungen darstellen, die mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit zutreffen können, sich aber auch als Irrtümer herausstellen können. Gemäß allgemeiner Überzeugungen entstehen unter ähnlichen Bedingungen ähnliche Wahrnehmungen. Allerdings ist die Frage, welche Parameter Ähnlichkeit in welcher Stärke beeinflussen, selten vollständig und exakt zu beantworten. In Laborstudien können unter isolierbaren Bedingungen Fragestellungen kontrolliert, untersucht, bewertet werden. Die Realität des Lebens ist kein Labor. Über Ähnlichkeiten können nur Vermutungen geäußert werden. Daher ist es keineswegs ungewöhnlich oder überraschend wenn Menschen unterschiedliche, abweichende oder keine Erinnerungen zu beschriebenen Sachverhalten haben. Im Gegenteil ist das erwartbar. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Kollektive Wahrnehmungsmuster</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Neben individueller Wahrnehmung bestehen in sozialen Kontexten überwiegend unbewusste kollektive Wahrnehmungsmuster, durch die Kommunikation und Kooperation möglich werden, die Zugehörigkeit zu Kollektiven ermöglichen sowie Abgrenzungen zwischen inside und outside, Gut und Böse, Rechte und Pflichten, Freund und Feind etc. definieren. In sozialen Kontexte geteilte Weltsichten bewirken Gleichschaltungen von Wahrnehmungen, Werten, Deutungen und erzeugen bei beteiligten Menschen aufgrund biologischer Mechanismen Illusionen, die Wahrnehmung von Welt als objektiv und richtig deutet.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kollektive Wahrnehmungsmuster können tolerant, empathisch, gutmütig geprägt sein. Oftmals sind sie jedoch dogmatisch geprägt und agieren nach innen und außen aggressiv auf fehlendes Commitment. Dogmatische Weltanschauungen teilen die Menschheit in 2 Lager, das Lager der von Wahrheit erleuchteten und das Lager der Irrenden. Wahrheitsanspruch von Dogmen verlangt Akzeptanz von Werten und Einhaltung von Denknormen. Zu diesem Zwecke üben Dogmen offene und/oder verborgene politische und/oder soziale Kontrolle aus. Aus Kontrolle folgt nicht zwangsläufig Missbrauch kontrollierender Macht, aber Risiken sind groß. Berühmte Beispiele für Machtmissbrauch zeigen Nationalsozialismus, politische Diktaturen, Populismus, Religionskriege der Vergangenheit und Gegenwart. Konventionen der Menschenrechte bilden selbstverständlich ebenfalls ein politisches Programm, wenn sie Meinungsfreiheit und freie Entfaltung von Persönlichkeitsrechten fordern, aber es handelt sich um ein Risiken von Dogmatismus begegnendes Gegenprogramm. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Appell </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Über subjektiv unterschiedliche Erinnerungen und Sichten kann man kommunizieren. Man kann sie auch abgleichen und gelangt dabei möglicherweise zu neuen persönlichen Erkenntnissen. Aber wir sollten vermeiden, sie gegeneinander mit Anspruch auf Wahrheit auszuspielen. Das wäre mit Konventionen von Menschenrechten und wissenschaftlicher Erkenntnis nicht vereinbar.</div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-87235624313542447742023-11-29T16:06:00.055+01:002024-01-22T18:01:26.408+01:00Pädagogik und Schulpolitik im kulturellen Kontext - ein soziologisch-historischer Überblick (Update 21.12.2023)<div style="text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgYpvKWDFaUK5IBo-6dyvua44G11sYjfiok5lM_3XHoG-aKn7H4WucWVlw6VQJXFFGRmxXzG9rykqu2BWu491qA_43NQjW79gWsv4B5sfukbehbdzijBkYoeI9ISOJvE2wXSxOSHzH_sUjhdLrumADj0mpIPTC1qOkzkIwIUtf2EGyySYkwO2EJYSmZhus/s1456/Entwicklung%20deutscher%20PISA-Ergebnisse.jpeg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="944" data-original-width="1456" height="206" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgYpvKWDFaUK5IBo-6dyvua44G11sYjfiok5lM_3XHoG-aKn7H4WucWVlw6VQJXFFGRmxXzG9rykqu2BWu491qA_43NQjW79gWsv4B5sfukbehbdzijBkYoeI9ISOJvE2wXSxOSHzH_sUjhdLrumADj0mpIPTC1qOkzkIwIUtf2EGyySYkwO2EJYSmZhus/w320-h206/Entwicklung%20deutscher%20PISA-Ergebnisse.jpeg" width="320" /></a></div><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgMpIfz-aP36QJLcjyV7GWLe_WY0GzMiUwzIZO5YIvxUBrbIuCAoOmvxOzIfKUgFNXF0H2bJgnpDfF9z9eVgNrw0_8sXEhQEhcIuByalyE0wD3OfwoVC7P9KqtQipIIwz7B3f74ob-reqjYtnb-8wZtXWoKW98m7CZCfnaM76pvYapzlKT4EEShhTa3xQc/s600/Mathe_JG4.jpeg" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;">
<img border="0" data-original-height="400" data-original-width="600" height="213" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgMpIfz-aP36QJLcjyV7GWLe_WY0GzMiUwzIZO5YIvxUBrbIuCAoOmvxOzIfKUgFNXF0H2bJgnpDfF9z9eVgNrw0_8sXEhQEhcIuByalyE0wD3OfwoVC7P9KqtQipIIwz7B3f74ob-reqjYtnb-8wZtXWoKW98m7CZCfnaM76pvYapzlKT4EEShhTa3xQc/s320/Mathe_JG4.jpeg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Deutsch+Mathe im Ländervergleich 2018, BPB 24.04.2023<br /></td></tr></tbody></table>
Das mit Modifizierungen bis heute bestehende, hierarchisch gegliederte Schulsystem konserviert Ansichten einer vermeintlich naturgegebenen kulturellen Ordnung, in der eine breite Volksmasse von einer kleinen Elite beherrscht wird. Weltanschauliche Vorstellungen dieser Art wurzeln tief. Entstanden sind sie je nach Region vor bis zu mehr als 10.000 Jahren mit dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit in Prozessen der Urbanisierung und Staatenbildung. Religiös legitimierte patriarchalische Ordnungsprinzipien orientalischer Hochkulturen des Mittelmeerraums diffundierten in Weltanschauungen europäischer Kultur und verbreiteten materielle Elemente und immaterielle Prinzipien archaischer orientalischer Kulturen als vermeintlichen zivilisatorischen Fortschritt in vermeintlich barbarischen Kulturen Europas. Mit eigener Dynamik prägte europäische Kultur robuste Ableger aus, deren Expansion ab dem 15. Jahrhundert globalen Imperialismus entfaltete. Die imperiale Expansion europäischer Kultur mündete im 20. Jahrhundert in 2 Weltkriege und erzeugte bis zur Gegenwart unbeantwortete Fragen einer stabilen Weltordnung.</div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Im vom Protestantismus beeinflussten preußischen Staat entwickelten sich Vorstellungen eines Kulturstaats der Dichter und Denker, die eng verflochtene Interdependenzen zwischen innerer Staatsbildung und staatlich geförderten Leistungen von Bildung, Wissenschaft, Kunst, sozialer Fürsorge bildeten. Im 18. Jahrhundert dehnte der preußische Staat Vorstellungen eines Kulturstaats top down aus und setzte sie mit der Einführung einer von Volksschulen abzudeckenden allgemeinen Schulpflicht politisch verbindlich um. Die Etablierung einer Zwischenebene von Realschulen trug erweitertem Qualifikationsbedarf einer Dienstleistungs-Mittelschicht von Beamten und Angestellten Rechnung. Bottom up aufsteigende Entwicklungen waren prinzipiell nicht denkbar und konnten sich bestenfalls als Ausnahmen ausbreiten. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das patriarchalische Familienmodell beschränkte höhere Bildung auf männlichen Nachwuchs. Die Ausstattung von Mädchen mit höherer Bildung galt als unnötig, nicht sachdienlich und religiös nicht zu rechtfertigen. Erst 1900 wurde in Deutschland das Züchtigungsrecht von Ehemännern
gegenüber ihren Frauen abgeschafft, in anderen europäischen Ländern noch
deutlich später. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Frauen ein Hochschulstudium nur mit Ausnahmegenehmigung möglich. Eine kaufmännische Ausbildung war für Mädchen nicht üblich. Beruf und Familie galten für Frauen als unvereinbar. NS-Politik verfestigte das noch nach dem 2. Weltkrieg geltende Dogma der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie.</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>BPB: <a href="https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/229629/schulgeschichte-bis-1945-von-preussen-bis-zum-dritten-reich/" target="_blank">Schulgeschichte bis 1945: Von Preußen bis zum Dritten Reich</a> <br />CC BY-NC-ND 3.0 DE, Autoren: Benjamin Edelstein, Hermann Veith für bpb.de<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Ab 1908 gestattete Preußen Frauen den Zugang zur Universität, aber nicht aus Gründen von Gendergerechtigkeit, sondern damit <i>"der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelangweilt"</i> wird (Zitat: Spiegel 1.10.2007: <a href="https://www.spiegel.de/geschichte/lehrerinnen-um-1900-nervoese-vorkaempferinnen-a-948006.html" target="_blank">Lehrerinnen um 1900: Nervöse Vorkämpferinnen</a>). Weil die männliche Elite als Militär benötigt und verschlissen wurde, waren Pädagoginnen bereits im 19. Jahrhundert zugelassen, allerdings unter Bedingungen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lehrerinnenz%C3%B6libat" target="_blank"><i>Lehrerinnenzölibats</i></a>. Wer heiratete, musste den Beruf aufgeben. Bei Pädagogenmangel konnten hilfsweise auch verheiratete Frauen eingesetzt werden, jedoch ohne Pensionsansprüche nach Heirat. Der Lehrerinnenzölibat wurde 1919 aufgehoben, aber während der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik aus arbeitsmarktpolitischen Gründen 1923 wieder eingeführt, um Stellen für Männer zu sichern. Obwohl unverheiratete Lehrerinnen weniger verdienten als Männer, mussten sie ab 1923 einen zusätzlichen Lohnsteueraufschlag als Ledigensteuer hinnehmen. <br /> </div><div style="text-align: left;">Das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deutsches_Beamtengesetz" target="_blank">deutsche Beamtengesetz</a> von 1937 stellte Beamte in den Dienst von NS-Politik und sah für weibliche Beamte eine generelle <a href="https://www.wikiwand.com/de/Z%C3%B6libatsklausel" target="_blank"><i>Zölibatsklausel</i></a> vor. 1950 wurde die Klausel von einer Muss- zu einer Kannbestimmung umgewandelt und 1957 aufgehoben, nachdem das Bundesarbeitsgericht die Klausel als verfassungswidrig und damit nichtig erklärt hat. Der Verein katholischer deutscher Lehrerinnen verteidigte noch in den 1950er Jahren die <i>Zölibatsklausel</i> mit religiösen Argumenten: <i><br /></i><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Die Lehrerin – wie wir sie gewünscht und erzogen haben – soll sich mit ganzer Kraft ihrem Beruf widmen. Sie soll ausscheiden aus dem Beruf, wenn sie erkennt, daß sie in die Ehe eintreten und einen anderen hochwertigen Beruf ergreifen soll. Sie soll, solange sie in der Schule steht, ungeteilt sein. Und sie soll aus diesem Erleben heraus die Fähigkeit haben, den Lehrberuf auch als Lebensberuf zu sehen, sich ihm für immer zu weihen, und sie kann das um so mehr, wenn sie in der katholischen Kirche steht, die ihr in der Lehre von der gottgeweihten Jungfräulichkeit einen herrlichen Fingerzeig, ja eine Verklärung für diese Ganzheitsaufgabe des Berufes gibt. Es ist eine soziale Tat unseres Vereins, wenn er von seinen Mitgliedern erwartet, daß gerade sie, die Volkserzieherinnen, nicht Ehe und Schuldienst miteinander verbinden. Sie sollen vorleben, was sie als soziale Entwicklung erwarten: die Wiedergewinnung der Frau ungeteilt für Familie… Unser Ideal ist die Verbindung christlicher Jungfräulichkeit mit dem Lehrerinnenideal. Die ist in einer Zeit, wo ein heiliger Radikalismus dem Radikalismus der Gottlosen gegenübergestellt werden muß, so zeitgemäß wie je.“</i> </div></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">(Zitat: Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lehrerinnenz%C3%B6libat" target="_blank"><i>Lehrerinnenzölibat</i></a>)<br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Nach der global politischen und sozialen Katastrophe von 2 Weltkriegen setzte internationale Diskussion über Ursachen des deutschen Nationalsozialismus ein. Als mitverantwortlich für weitgehende öffentliche Akzeptanz militaristischer totalitärer Herrschaft wurde das hierarchisch gegliederte preußische Schulsystem identifiziert. Alliierte Westmächte beabsichtigten daher nach dem 2. Weltkrieg die Einführung eines Einheitsschulsystems in Westdeutschland. Personen der ehemaligen Elite der Weimarer Zeit und NS-Zeit waren für den Wiederaufbau sowie für Aufgaben der Führung und als Lehrer an Schulen unverzichtbar. Mit hierarchischer Kategorisierung der Bevölkerung verwachsene Führungspersonen der alten Ordnung nutzten ihre Positionen im neu gegründeten föderalistischen politischen Staat und verwendeten die Zerstörung humanistischer Bildung durch den Nationalsozialismus als Argument, um ein in der Weimarer Republik etabliertes dreigliedriges Schulsystem neben Sonderschulen erneut durchzusetzen. <br /><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>BPB: Schulgeschichte nach 1945: <a href="https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/229702/schulgeschichte-nach-1945-von-der-nachkriegszeit-bis-zur-gegenwart/" target="_blank">Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart</a><br />CC BY-NC-ND 3.0 DE, Autoren: Benjamin Edelstein, Hermann Veith für bpb.de<br /></li></ul></div></div><div style="text-align: left;">Patriarchalische Normen und Werte der Vorkriegszeit überlebten den 2. Weltkrieg nicht nur im Schulsystem der Bundesrepublik, sondern auch in der Justiz, im Beamtentum sowie generell in der Politik und damit auch in der Familienpolitik:</div><ul style="text-align: left;"><li style="text-align: left;">Bis 1958 waren Ehemänner berechtigt, Anstellungsverträge ihrer Frauen nach eigenem Ermessen und ohne deren Zustimmung fristlos zu kündigen.</li><li style="text-align: left;">Bis 1977 waren Frauen nur bei Vereinbarkeit mit ihren Pflichten in Ehe und Familie zur Erwerbstätigkeit berechtigt.</li><li style="text-align: left;">Prügelstrafen wurde erst 1973 an allen Schulen der Bundesrepublik verboten. </li><li style="text-align: left;">2000 beschloss der Bundestag endlich das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung.</li></ul><div style="text-align: left;">Eigene Schulerfahrungen der Volksschulzeit (1956 – 1964) und den zum Abitur führenden Besuch eines Aufbaugymnasiums (1964 – 1970) prägten historisch überlieferte bildungspolitische Verkrustungen des deutschen Schulsystems. Mit reformpädagogischen Bemühungen der 1960er Jahre setzte eine halbherzige Auflösung von Verkrustungen des deutschen Schulsystems ein, die benachteiligten Bevölkerungsschichten bessere Bildungschancen und höhere soziale Mobilität ermöglichen sollte und die Realisierung einer größeren sozialen Gerechtigkeit beabsichtigte. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Kern konserviert deutsche Schulpolitik jedoch bis zur Gegenwart hierarchische Ordnungsprinzipien des 19. Jahrhunderts und versucht auf geheimnisvolle Art und Weise, allerdings vergeblich, Mangel in Kreativität und Leistung zu verwandeln. Indem dieser Kern utilitaristisch-hedonistische Prinzipien individueller Glücksmaximierung bewahrt, konserviert er soziale Ungerechtigkeit, vernachlässigt er kollektive Güter, provoziert zunehmende Polarisierungen des öffentlichen Lebens und bewirkt nicht zuletzt im Alltagsdenken aufgrund steigender Notenspiegel ein schwer nachvollziehbares blamables Ranking des deutschen Schulsystems in internationalen Vergleichen.</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Tagesschau, 5.12.2023: <a href="https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/pisa-studie-128.html" target="_blank">Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie</a> <br /></li><li>FAZ, 5.12.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/pisa-studie-deutschland-muss-mehr-ursachenforschung-betreiben-19362915.html" target="_blank">Das neue PISA-Debakel</a></li><li>OECD PISA 2022: <a href="https://www.oecd.org/media/oecdorg/satellitesites/berlincentre/pressethemen/GERMANY_Country-Note-PISA-2022_DEU.pdf" target="_blank">Ländernotiz Deutschland</a> (PDF) <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Opfer des Schulsystems sind primär Schüler, aber nicht zuletzt auch Lehrer, die im Schulsystem ihre pädagogische Leidenschaft nachhaltig verlieren, weshalb die Krankheitsquote von Lehrern im Schulbetrieb mit aktuell ca. 13,5 Tagen pro Jahr ungefähr doppelt so hoch ist wie in der Wirtschaft und ein hoher Anteil der Lehrer resigniert, erkrankt, scheitert. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Bildungs- und Schulpolitik im kulturellen Kontext</b><br /> </div><div style="text-align: left;">Das deutsche Schul- bzw. Bildungssystem hat offensichtlich nicht nur größere Probleme, sondern steckt in einer Krise, die auch Geld nicht heilen könnte, wenn es zur Verfügung stände. Die Krise des Bildungssystems beruht nicht auf isolierbaren Krankheitssymptomen, sondern resultiert in westlicher Kultur aus einer tiefen Krise, die über Jahrhunderte auf dem Boden kapitalistischer Denkweise gewachsen ist und einen Verbund von Krisen verursacht. Krisen breiten sich nämlich auch im Gesundheitssystem, im Rentensystem, bei kollektiven Gütern (Klima, Umwelt, Mobilität, öffentliche Sicherheit etc.) aus und wecken bei einem wachsenden Anteil der Bevölkerung Zweifel an der Seriosität und Glaubwürdigkeit von Politik. Weil immer weniger Menschen den Fähigkeiten und dem Willen von Politik westlicher Demokratien zur Lösung großer Krisen und zur Realisierung sozialer Gerechtigkeit vertrauen, nehmen Hass, Rechtsextremismus, Populismus als politische Haltung zu und stärken autoritäre Strukturen rechts-konservativer, regressiver Parteien wie AFD, die demokratische Strukturen nahezu aller westlicher Kulturen zusätzlich in Defensiven drängen.<br /> </div><div style="text-align: left;">Mit Hilfe individualistischer Weltanschauungen prägten westliche Kulturen religiöse Institutionen, Hedonismus, Utilitarismus, Fortschrittsideologien einer kapitalistischen Kultur aus, in der demokratisch legitimierte Strukturen sozial zutiefst ungerechte, toxische ökonomische Strukturen erzeugen, in denen Reichtum und Wohlstand weniger Menschen auf Ausbeutung und Versklavung vieler Menschen beruht und Makroprozesse nur beschränkt beherrschbare Komplexität erzeugen. Damit eine Majorität das nicht bemerkt, muss die Wirtschaft wachsen und breit gestreute Optionen des Konsums verteilen. Nicht zu verbergende dynamische Unwuchten dieser Kultur begegnet Politik mit Hoffnung auf technologischen Fortschritt. Jetzt hilft nur noch wünschen und beten.<br /> </div><div style="text-align: left;">Die Ausbreitung von Ausbeutungskultur westlicher Demokratien vernichtet kollektive Werte und somit Gemeinsinn von Menschen bzw. ihre Fähigkeiten und ihren Willen zur Kooperation. Die globale Vernetzung von Strukturen westlicher Ausbeutungskultur minimiert Chancen einer kulturellen Krisenlösung und maximiert Ohnmacht. <br /></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-20515288703208815892023-09-16T17:00:00.983+02:002024-01-22T18:02:21.992+01:00Fortschritt vs. Regression, Fortschrittsoptimismus vs. Fortschrittsskepsis, Polarisierung vs. Segmentierung und Diversizifizierung (Update: 13.10.2023)<div style="text-align: left;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiHrVoDRxP5lFg5hZp2tRmgk7bKJtVdY5c2I1p0w4zD6JVWoUiX8yergeYGAHGApCQBIeYSn0-2Q0tauL-YTJrLtI3m5kDSBNUakYtkMs5JzZ7bSqKZw1BZZe1HiLFfCLrWoTNsb6RfaiDCClkvHTv9KTC-oKSkQ5r9OM0zwD9x6AbEZBGa_t3LX9YcBPY/s2797/technischer-fortschritt-50317.png" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2104" data-original-width="2797" height="241" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiHrVoDRxP5lFg5hZp2tRmgk7bKJtVdY5c2I1p0w4zD6JVWoUiX8yergeYGAHGApCQBIeYSn0-2Q0tauL-YTJrLtI3m5kDSBNUakYtkMs5JzZ7bSqKZw1BZZe1HiLFfCLrWoTNsb6RfaiDCClkvHTv9KTC-oKSkQ5r9OM0zwD9x6AbEZBGa_t3LX9YcBPY/s320/technischer-fortschritt-50317.png" width="320" /></a>
Veränderungsmuster der Optimierung von Prozessen und Zuständen sowie nützliche Innovationen wertschätzen wir kategorial als <i>Fortschritt</i>. Kategoriale Eigenschaften von <i>Fortschritt</i> bleiben jedoch unscharf. Wenn <i>Fortschritt</i> als Gesetz aufzufassen ist, kann er sich nicht in raffinierter Technik, längerem Leben, optimierter
Gesundheit, mehr Komfort, Freizeit, Vergnügen etc. erschöpfen. <i>Fortschritt</i> wäre eine auf evolutionäre Prozesse einwirkende Kraft, durch die sich Welt in Richtung eines globalen Paradieses entwickelt, das
seine Tore nicht nur wenigen Menschen
öffnet, sondern der Menschheit gutes Leben ermöglicht (was immer darunter zu verstehen ist). Aussichten von Fortschrittsphänomenen konterkarieren in der Realität Wahrnehmungen global disruptiver sozialer, politischer, ökologischer Prozesse und erzeugen Erklärungsbedarf der Widersprüchlichkeit. </div><div style="text-align: left;">Das Projekt dieses Posts fasst <i>Fortschritt</i> als in westlicher Kultur mit Bedeutungsverlusten religiöser Weltanschauungen entstandene säkulare politische Weltanschauung auf. Weltanschauungen basieren auf empirisch nicht prüfbaren Glaubenssätze ethischer Wertesysteme und sind für die Existenz komplexer Sozialsysteme (Gesellschaften) funktional unverzichtbar, weil Persistenz von Sozialsystemen Konsens über Weltanschauungen erfordert. Inhalte von Weltanschauungen und Strategien der Herstellung von Konsens sind austauschbar. Daher kann Fortschrittsdenken Religion ersetzen. Fraglich ist, in wessen Interesse das mit welchen Methoden und welchen Auswirkungen geschieht. </div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"> <b> <br /></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht</b><br /><br />1 Was ist <i>Fortschritt</i>?<br />2 Bedeutung und Bedeutungswandel des Begriffs <i>Fortschritt</i> in sprachanalytischer Sicht<br />3 <i>Fortschritt</i> als kulturelles Programm<br />3.1 Fortschrittsvorstellungen in historischer Zeitleiste<br />3.2 Fortschritt in Neuzeit und Gegenwart</div><div style="text-align: left;">4 <i>Fortschritt</i> aus philisophischer Sicht </div><div style="text-align: left;">4.1 <i>Fortschritt</i> als utilitaristisches Prinzip</div><div style="text-align: left;">4.2 <i>Fortschritt</i> und <i>Regression</i> als sozialphilosophische Metrik der Bewertung kulturellen Wandels (Rahel Jaeggi) </div><div style="text-align: left;">5 Funktionale Bedeutung von <i>Fortschritt</i> aus soziologischer Perspektive</div><div style="text-align: left;">5.1 <i>Fortschritt</i> auf Handlungsebenen individueller und kollektiver Akteure</div><div style="text-align: left;">5.2 Einordnung von <i>Fortschritt</i> auf der Ebene sozialer Systeme</div><div style="text-align: left;">5.3 Soziale Funktionen von Fortschrittsideen</div><div style="text-align: left;">5.4 Politische Funktionen von Fortschrittsoptimismus</div><div style="text-align: left;">6 Grenzen von politischem Fortschrittsoptimismus und von Fortschrittsskepis als Gegenpolitik</div><div style="text-align: left;">6.1 Der Code des Kapitals<br /></div><div style="text-align: left;">6.2 Fortschrittsskepsis und Grenzen politischer Gestaltungsmacht </div><div style="text-align: left;">6.3 Einfluss von Machteliten <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">7 Grenzen von Weltanschauungen, Kartierung der Konfliktlandschaft </div></div><div style="text-align: left;">7.1 Dualistische Polarisierung vs. Triggerung von Konfliktfeldern (Steffen Mau)</div></div><div style="text-align: left;">8 Fazit und Ausblick</div><div style="text-align: left;">9 Änderungshistorie des Posts </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>1 Was ist <i>Fortschritt</i>?</b>(1)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Westliche Kulturen haben Industrien zur Produktion von <i>Fortschritt</i> entwickelt. Dass menschlicher Kreativität, Wissenschaften und insbesondere Naturwissenschaften zahllose
wertvolle Erkenntnisse zu verdanken sind und Erkenntnisse zahllose wertvolle (aber auch
schädliche!) Innovationen ermöglichen, steht völlig außer Frage. Ob
Erkenntnisse und Innovationen über Nützlichkeit oder Schädlichkeit
hinaus als <i>Fortschritt</i> zu werten sind, ist die Frage, die dieser Post betrachtet. </div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;">In
Anbetracht eskalierender globaler Krisen und extremer
Verteilungsprobleme von Menschenrechten und Lebensqualität verdichten
sich Zweifel an Fortschrittsprogrammen westlicher Kulturen und nähren den Verdacht, dass Wegweiser von
Fortschrittsideen in die Irre führen. Komplexere nicht-westliche Kulturen schließen sich teilweise und mehr oder weniger erfolgreich nützlichen und schädlichen Entwicklungen an. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Segment%C3%A4re_Gesellschaft" target="_blank">Segmentäre ethnische oder indigene Kulturen</a> lehnen Fortschrittsdenken westlicher Kulturen überwiegend ab. <div style="text-align: left;"> </div> <i>Fortschritt</i> ist offensichtlich ein kulturgetränkter Begriff. In westlichen Kulturen gilt <i>Fortschritt</i> als Treiber von Zivilisation bzw. Zivilisation als Ergebnis von <i>Fortschritt</i> und Kultur. Kultur ist in komplexen Lebenszusammenhängen eine Strategie des Erwerbs sowie der Kumulierung und Weitergabe von Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Handlungsprogrammen.(2,3)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Philosophin <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rahel_Jaeggi" target="_blank">Rahel Jaeggi</a> versteht das Begriffspaar <i>Fortschritt</i> und <i>Regression</i> nicht vom Resultat her, sondern als ein sozialphilosophisches Werkzeug für kritische Betrachtungen von Prozessen des Zeitgeschehens und ihren Auswirkungen auf gesellschaftliche Transformation.(4)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Effizienz und Effektivität vs. Fortschritt</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">(wartet auf Ausformulierung)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Unterschied zu kulturellen Fortschrittsvorstellungen enthalten naturwissenschaftliche Beschreibungen eines empirisch wahrnehmbaren physikalischen Universum (Raum, Zeit, Materie, Energie, Leben) keine Vorstellungen gerichteter Entwicklungen im Sinne von Fortschritt, Rückschritt oder Stillstand. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">--------------------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Wesentliche Anregungen bezieht dieser Post vom
Wikipedia-Artikel <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fortschritt" target="_blank">Fortschritt</a> sowie von einem Beitrag der Schweizer
Philosophen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Speich_Chass%C3%A9" target="_blank">Daniel Speich Chassé</a> in Docupedia-Zeitgeschichte:
<a href="https://docupedia.de/zg/Fortschritt_und_Entwicklung" target="_blank">Fortschritt und Entwicklung</a></li><li>Definition Fortschritt in Gabler Wirtschaftslexikon: <a href="https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/fortschritt-124041" target="_blank">Fortschritt</a></li><li>Verweise zu korrespondierenden eigenen Posts:<br /><ul><li><i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">Was ist Kultur? - Evolution von Kultur</a></i></li><li><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank"><i>Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</i></a></li></ul></li><li>Philosophie Magazin, Rahel Jaeggi, im Interview mit Friedrich Weißbach: <a href="https://www.philomag.de/artikel/rahel-jaeggi-fortschritt-ist-weder-fakt-noch-ideal" target="_blank">Rahel Jaeggi: "Fortschritt ist weder Fakt noch Ideal"</a><br /></li></ol><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>2 Bedeutung und Bedeutungswandel des Begriffs <i>Fortschritt</i> in sprachanalytischer Sicht</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) definiert <a href="https://www.dwds.de/wb/Fortschritt" target="_blank"><i>Fortschritt</i></a> als <i>Weiterentwicklung, Höherentwicklung</i>. Zur Etymologie des Begriffs erklärt das DWDS:</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><b>Fortschritt</b> m. <i>‘Entwicklung vom Niederen zum Höheren, Zweckmäßigeren und vom Einfachen zum Komplizierten’. Zuerst (Ende 17. Jh.) grammatische Bezeichnung für den Geschlechtswandel von Substantiven, dann (18. Jh.) im Sinne von ‘Fortschreiten, Weiterschreiten, Vermehrung’ (s. fort sowie schreiten, Schritt) gebraucht. Nach 1830 wird Fortschritt unter Einfluß von frz. progrès zum Schlagwort der Politik und Philosophie im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Menschheit, das ‘Erreichen einer höheren Entwicklungsstufe’. – <b>fortschrittlich </b>Adj. ‘voranschreitend, progressiv, für den Fortschritt eintretend’ (19. Jh.)</i>. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Sprachwandel macht deutlich, dass Sprache keineswegs als ein ausschließlich neutrales Medium menschlicher Kommunikation zu verstehen ist. Bedeutungen scheinbar neutraler sprachlicher Begriffe sind mit spezifischen sozialen und historischen Kontexten verwoben und können politisch-ideologisch aufgeladen sein. Mit dem Wandel konnotierter Kontexte verändern Begriffe ihre Bedeutung. Auf diesen Sachverhalt macht der Historiker Reinhart Koselleck aufmerksam, dessen Werk sich intensiv mit der Begriffsgeschichte der politisch-sozialen Sprache in Deutschland befasst und eine Reihe politisch konnotierter Begriffe seziert.(1) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit seinem Hauptanliegen vertritt Koselleck die Überzeugung, dass Geschichte bzw. Geschichtsschreibung keine objektiven Aussagen über die Vergangenheit extrahiert, sondern subjektive Träume von Historikern beschreibt, hinter denen ein moralisches Programm steht. Sprachanalytisch entlarvt Koselleck u. a. die Begriffe Geschichte, Revolution, Toleranz, Patriotismus, Bürger etc. sowie den Begriff <i>Fortschritt</i> als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektivsingular#Kollektivsingular" target="_blank">Kollektivsingular</a>. <br /><br />Erläuterung des Begriffs <i>Fortschritt</i> im Wikipedia-Artikel <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fortschritt" target="_blank">Fortschritt</a>:<br /><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Die Bezeichnung ist sprachlich eine Substantivierung (von fortschreiten) und ein positiv konnotierter Kollektivsingular (Sammelbezeichnung in der Einzahl, obwohl es eine Mehrzahl gibt). Kollektivsingulare werden oft verwendet, um einem subjektiven Inhalt den Charakter von Objektivität zu verleihen, ihm größeres Gewicht zu geben und in ausschließlich positivem Licht erscheinen zu lassen. Auf diese Weise sollen wertfreie Tatsachen schon vor einer gründlichen Analyse ihrer Bedeutung </i>[...]<i> „im Namen des Fortschritts“ unkritisch positiv bewertet werden, indem sie durch Immanuel Kants Idee vom beständigen „Fortschreiten zur Vollkommenheit </i>[…]<i> vom Schlechteren zum Besseren“ geadelt werden.</i><br /></div><br />Koselleck stellt fest, dass politisch konnotierte Begriffe im Zeitraum von 1750 bis 1820 in Kontexten der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäischen Expansion</a> sowie der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Franz%C3%B6sische_Revolution" target="_blank">Französischen Revolution</a> bzw. des untergehenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Feudalismus" target="_blank">Feudalsystems</a> und der einsetzenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Industrielle_Revolution" target="_blank">industriellen Revolution</a> ihren Inhalt und ihre Funktion ändern. In diesem historischen Kontext wurde <i>Fortschritt</i> zu einem politischen Schlagwort mit normativen politischen Ansprüchen: <br /><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Das Wort Fortschritt [...] meint nicht mehr, dass irgendetwas vorankommt, sondern es bündelt viele einzelne Erfahrungen der Verbesserung menschlicher Lebensumstände – in der Technik, der Medizin, der Wirtschaft oder der Erziehung – zu der Vorstellung, dass die ganze „Menschheit“ (Kollektivsingular!) sich auf einer Bahn zu immer größerer Vollkommenheit bewegt. Man erzählt nicht mehr Geschichten von Menschen, denen es besser geht – man erzählt den Fortschritt der Geschichte der Menschheit.“</i>(2)<br /></div><br />--------------------------------------------------<br /></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Quellen:<br />• Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Reinhart_Koselleck" target="_blank">Reinhart Koselleck</a><br />• Jürgen Kaube, Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/vom-politischen-einsatz-der-sprache-100.html" target="_blank">Vom politischen Einsatz der Sprache</a><br />• Reinhard Mehring, HU Berlin, H/SOZ/KULT: R. Koselleck: <a href="https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-9137" target="_blank">Begriffsgeschichten</a><br />• Torsten Bathmann, HU-Berlin, H/SOZ/KULT: <a href="https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-2415" target="_blank">Rezension Koselleck</a><br />• Martin Meyer, NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/articleDJY49-ld.33912" target="_blank">Geschichte als Idee und als Wirklichkeit</a></li><li>Jürgen Kaube, a.a.O.</li></ol></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3 <i>Fortschritt</i> als kulturelles Programm</b><br /><br />Vorstellungen von <i>Fortschritt</i> beziehen sich auf Werke bzw. Kulturleistungen von Menschen und basieren auf kulturell entwickelten Wertvorstellungen, deren Gültigkeit als vermeintlich nicht hinterfragbare Selbstverständlichkeiten kollektiv verankert sind, deren inhaltliche Bedeutungen sich jedoch über Zeit verändert. Auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Anthropozentrismus" target="_blank">anthropozentrischen</a> Vorstellungen kultureller Art beruhende Fortschrittsideen umfassen auf Kulturräume bezogene Annahmen über Innovationen im Sinne willentlicher und gezielter Verbesserungen von Zuständen und Prozessen, die als Steigerung von Lebensqualität gewertet werden. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.1 Fortschrittsvorstellungen in historischer Zeitleiste<br /></b><br />In <a href="https://www.wikiwand.com/de/Antike" target="_blank">antiker</a> Philosophie sind Vorstellungen von <i>Fortschritt</i> im Sinne von Wachstum und Bewegung in Richtung Verbesserung, Erkenntnis des Verborgenen, Weisheit verbreitet. Entwicklungen der Welt bleiben jedoch zirkulären Gesetzen des Entstehens und des Vergehens unterworfen. Die Dynamik dieses Kreislaufs bleibt gemäß antiker Auffassung erhalten, weil zunehmender <i>Fortschritt</i> den Verfall von Sitten und dieser den Untergang von Kulturen treibt.(1)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im frühen Christentum ist der Lauf der Welt vom göttlichen Willen bestimmt, durch den unverrückbare Zäsuren gesetzt sind: Erschaffung der Welt, Vertreibung aus dem Paradies und Erbsünde, Erscheinen Christi, Weltgericht am Ende der Zeiten. Materieller <i>Fortschritt</i> im Sinne der Entwicklung von Kulturtechniken ist unter dominierenden religiösen Weltanschauungen durchaus möglich, aber er bleibt als reines Menschenwerk auf dem Weg zum Weltende episodisch. Erst im Spätmittelalter verbreiteten sich Vorstellungen der Vermehrung und Vervollkommnung menschlichen Wissens.<br /><br />Neuzeitliche Fortschrittsideen entwickelten sich ab dem 14./15. Jahrhundert in der als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Renaissance" target="_blank">Renaissance</a> bezeichneten Periode im Kontext der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäischen Expansion</a>. Um das Jahr 1700 einsetzende, auf Ideen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Antike" target="_blank">Antike</a> basierende und als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> verstandene Entwicklungen rationalen Denkens griffen antike Fortschrittsideen auf. <i>Fortschritt</i> wurde als ein unvollendeter Emanzipationsprozess gedacht, mit dem sich Wertvorstellungen von religiösen Dogmen lösten und Vernunft zur vorrangigen Urteilsinstanz gegenüber Traditionen erklärt wurde. <br /><br />Mit Blick auf die Kolonialgeschichte und auf vermeintlich barbarische Völker entstanden in Europa Vorstellungen einer Universalgeschichte des <i>Fortschritts</i>, in der sich Europa zum Vorbild einer aufgeklärten rationalen Menschheitskultur im Sinne eines weltgeschichtlichen Prinzips erhob. Mit der im 18. Jahrhundert einsetzenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Industrielle_Revolution" target="_blank">industriellen Revolution</a> erfuhren Fortschrittsvorstellungen vermeintlich objektive Bestätigungen und verfestigten sich als kulturelle Leitideen. Zitat <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erich_Fromm" target="_blank">Erich Fromm</a>:<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">"<i>Die große Verheißung unbegrenzten Fortschritts - die Aussicht auf Unterwerfung der Natur und auf materiellen Überfluß, auf das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl und auf uneingeschränkte persönliche Freiheit – das war es, was die Hoffnung und die Zuversicht von Generationen seit Beginn des Industriezeitalters aufrechterhielt.<br />[…]<br />Leben erst alle in Wohlhabenheit und Komfort, dann, so nahm man an, werde jedermann schrankenlos glücklich sein. Diese Dreieinigkeit von unbegrenzter Produktion, absoluter Freiheit und uneingeschränktem Glück bildete den Kern der neuen Fortschrittsreligion, und eine neue irdische Stadt des Fortschritts ersetzte die »Stadt Gottes«.</i>"(2)<br /></div><br /><i>Fortschritt</i> wurde nicht als ein sich stetig entwickelnder und unmittelbar sichtbarer Prozess aufgefasst, sondern als ein Gesetzmäßigkeit der Naturbeherrschung beschreibender kategorialer Begriff. Gemäß dieser Denkweise setzt sich diese Gesetzmäßigkeit trotz kurven- und windungsreicher Entwicklungen per Saldo durch und verbessert das Leben der Menschheit insgesamt. Kumulierungen wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Innovationen wurden als Indikatoren dieser Gesetzmäßigkeit verstanden.<br /><br /><a href="https://www.wikiwand.com/de/Immanuel_Kant" target="_blank">Immanuel Kant</a> (1724-1804) und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel" target="_blank">Georg Wilhelm Friedrich Hegel</a> (1770-1831), Hauptvertreter des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deutscher_Idealismus" target="_blank">Deutschen Idealismus</a>, nahmen an, dass sich die individuelle sittliche Verfassung von Menschen nicht zwangsläufig parallel zum Fortschrittsprinzip entwickelt. Mangelnde Bildung, egoistische Interessen und unkontrolliertes instinktives Verhalten bewirken Rückschritte, Verbrechen, Leiden und erfordern immer wieder neuen großen Aufwand zu deren Beseitigung. Die in der Antike als rhetorisches Muster bekannte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dialektik" target="_blank">Dialektik</a> fasste Hegel als Motor der Fortschrittsbewegung auf und erklärte den dialektischen Dreischritt zum universellen zirkulären Prinzip von Bewegung in Richtung <i>Fortschritt</i>. Treiber der Bewegung ist die Gegensätzlichkeit von Erkenntnisgegenständen, die zur Auflösung in einem Zustand höherer Qualität (Synthese) zwingt und anschließend erneut in Gegensätzlichkeit zerfällt. <br /><br /><a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl_Marx" target="_blank">Karl Marx</a> (1818-1883) verstand Ideen eines in der Natur verankerten Fortschrittsprinzips als Missverständnis und fasste <i>Fortschritt</i> als eine kulturelle Entwicklung in Richtung abnehmender Fremdbestimmung bzw. Ausbeutung , mit der sich individuelle kreative Freiheit entfaltet.<br /> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.2 <i>Fortschritt</i> in Neuzeit und Gegenwart</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Überlegenheit militärischer, ökonomischer, technologischer Entwicklungen verhalf ab dem 14./15. Jahrhundert europäischen Staaten zur globalen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäischen Expansion</a>. Europäisches Denken schließt aus dieser Dominanz auf Überlegenheit westlicher Kultur und wertet distinktives Denken einer globalen Majorität
von Ethnien als rückständig und minderwertig. Seit dem späten 19. Jahrhundert verdichtet sich dieses Denken im
Selbstverständnis westlicher Staaten als Agenturen, die der Menschheit
global zu <i>Fortschritt</i> verhilft. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerät die Fortschrittsidee unter Kritik. In Anbetracht sich manifestierender Folgen des Fortschrittsdenkens dominanter westlicher Kulturen reklamieren etliche Philosophen und ethnologische Forscher kulturkritische Einwände gegen ethischen Universalismus, der eigener Erkenntnisfähigkeit und Kreativität
uneingeschränkt vertraut und Konsequenzen eigenen Denkens ignoriert. Insbesondere <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturrelativismus" target="_blank">kulturrelativistische</a> Konzepte vertretende vergleichende ethnologische Forschung weist universale Ansprüche des westlichen Fortschrittsbegriffs als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnozentrismus" target="_blank">Ethnozentrismus</a> und imperiale Arroganz zurück. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /> Gewicht verleihen dieser zunächst in intellektuellen Kreisen formulierten Kritik eine Reihe unübersehbarer empirischer Sachverhalte:<ul style="text-align: left;"><li>2 Weltkriege, </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Holocaust" target="_blank">Holocaust</a> und zahlreiche weitere rassistische Genozide,</li><li>eine von der <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Great_Depression" target="_blank">Großen Depression</a></i> ab Ende 1920er Jahre verursachte Modernisierungskrise, auf die staatliche Machtpolitik mit Intensivierung ihrer Instrumente reagiert, </li><li style="text-align: left;">Prozesse der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dekolonisation" target="_blank">Dekolonisation</a>,</li><li style="text-align: left;">Zusammenbrüche politischer Ordnungen,</li><li style="text-align: left;">imperiale Neuordnungen, <br /></li><li>nicht zuletzt globale ökologische Krisen. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Globale Krisen und durch technologische Innovationen verursachter Strukturwandel erschüttern auch in der Bevölkerung verbreiteten Fortschrittsoptimismus und wecken Zweifel, ob Menschen den von ihnen initiierten <i>Fortschritt</i> zu kontrollieren vermögen. Ab den 1970er Jahren sich verschärfende globale Krisen verstärken Zweifel an Fortschrittsvorstellungen. Gleichzeitig verlieren als Fortschrittsagenturen agierende Staaten Glaubwürdigkeit und Legitimität.(3,4)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Während <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl_Jaspers" target="_blank">Karl Jaspers</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl_Popper" target="_blank">Karl Raimund Popper</a> in Anbetracht der Krisen an entschlossenes Vertrauen in Kräfte der Vernunft appellieren, diagnostizierten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Horkheimer" target="_blank">Max Horkheimer</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Theodor_W._Adorno" target="_blank">Theodor W. Adorno</a> im <i>Fortschritt</i> eine „Tendenz zur Selbstvernichtung“.(5) Unterschiedliche Einordnungen von <i>Fortschritt</i> in philosophischer Diskussion verweisen auf fehlende empirische Evidenz von <i>Fortschritt</i>.(6,7) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">-------------------------------------------------- <br /></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Historisches Wörterbuch der Philosophie: <a href="https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/start.xav#__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.fortschritt%27%5D__1692942514143" target="_blank">Fortschritt</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Erich_Fromm" target="_blank">Erich Fromm</a>: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Haben_oder_Sein" target="_blank">Haben oder Sein</a>, 1976, Seite 6 <br /></li><li>Glaubwürdigkeitskrisen von Fortschrittsvorstellungen dokumentieren zahlreiche Analysen, Studien, Berichte, auf die hier beispielhaft verwiesen sei:<br /><ul><li>Andreas Reckwitz, BPB: <a href="https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/507282/der-erschuetterte-fortschritts-optimismus/" target="_blank">Der erschütterte Fortschrittsoptimismus</a></li><li>FAZ-Artikel zu einer Allensbach-Umfrage 2019: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/allensbach-umfrage-deutschen-ist-fortschritt-unheimlich-16145848.html" target="_blank">Den Deutschen ist der Fortschritt unheimlich</a></li><li>Statista, 20.06.2023: <a href="https://de.statista.com/infografik/30229/abschneiden-von-deutschland-im-world-competitiveness-ranking/" target="_blank">Deutschland ist nur noch bedingt wettbewerbsfähig</a> </li><li>Statista, 19.06.2017: <a href="https://de.statista.com/infografik/9864/die-sorgen-der-deutschen/" target="_blank">Die Sorgen der Deutschen</a></li><li>WELT, 31.12.2021: <a href="https://www.welt.de/wirtschaft/article235814626/Sorgen-der-Deutschen-fuer-2022-offenbaren-beunruhigenden-Befund.html" target="_blank">Die Sorgen der Deutschen</a></li><li>Analyse von Katrin Esslingern zum abnehmenden Grenznutzen medizinischen Fortschritts, 27.04.2011: <a href="https://www.vwa-goettingen.de/assets/media/Esslinger_Katrin_Thesis.pdf" target="_blank">Wesentliche Auswirkungen des medizinischen Fortschritts auf die Gesellschaft</a> (PDF, 63 Seiten)</li><li>Ralph Obermauer, Christian Kellermann, Heinrich Böll Stiftung, 8.09.2021: <a href="https://www.boell.de/de/2021/09/08/das-progressive-den-aktuellen-politischen-diskursen" target="_blank">Das „Progressive“ in den aktuellen politischen Diskursen</a></li></ul></li><li>Ein optimistisches Bild vom Zustand der Demokratie in Deutschland zeichnet der konservative Historiker und Politiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hans_Maier_(Politiker,_1931)" target="_blank">Hans Maier</a>: <br /><ul><li>Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte 1/2008:
<a href="https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2008_1_1_maier.pdf" target="_blank">Fortschrittsoptimismus oder Kulturpessimismus? Die Bundesrepublik Deutschland in den 70er und 80er Jahren</a> (PDF, 17 Seiten)</li><li>Süddeutsche Zeitung, 25.11.2021: <a href="https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/hans-maier-graefelfing-geschichte-literarische-gesellschaft-1.5472955" target="_blank">Hans Maiers Zuversicht in die Gegenwart</a> <br /></li></ul></li><li>Volker Gerhardt in: Staatslexikon online: <a href="https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Fortschritt" target="_blank">Fortschritt</a></li><li>Essay von <a href="https://www.uni-muenster.de/Soziologie/personen/hoffmeister.shtml" target="_blank">Dieter Hoffmeister</a> in SuN (Soziologie und Nachhaltigkeit) 02/2015: <a href="https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/sun/article/view/1442/1351" target="_blank">Fortschritt zwischen Illusion und Störfall. Zur Antiquiertheit des Fortschrittsbegriffs in Zeiten gesellschaftlicher Transformation</a> (PDF, 26 Seiten) </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Reinhard_Piechocki" target="_blank">Reinhard Piechocki</a> in SSOAR (2002): <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/11285/ssoar-2002-piechocki-altare_des_fortschritts_und_aufklarung.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar-2002-piechocki-altare_des_fortschritts_und_aufklarung.pdf" target="_blank">Altäre des Fortschritts und Aufklärung im 21. Jahrhundert</a> (PDF, 46 Seiten) <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>4 <i>Fortschritt</i> aus philosophischer Sicht </b><br /><br />Aussagen
über Nützlichkeit basieren auf individuell oder situationsspezifisch
variierenden kulturabhängigen Vergleichen und Bewertungen, die keine
universelle Gültigkeit beanspruchen können. Was für den einen gut ist,
kann für den anderen schlecht sein. Was in der einen Situation geboten
ist, kann in einer anderen Situation fatal sein. Sinnorientierte
Sichtweisen erfuhren mit Verwissenschaftlichung der Welt eine
fundamentale Wende.<br /><br /> </div><div style="text-align: left;"><b>4.1 <i>Fortschritt</i> als utilitaristisches Prinzip</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der englischer Philosoph und Staatsmann <a href="https://www.wikiwand.com/de/Francis_Bacon" target="_blank">Francis Bacon</a> (1561-1626) formulierte zu Beginn der Neuzeit in seinem Werk <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Novum_Organum" target="_blank">Neues Organon</a></i> (Original: <i>Novum organum scientiarum</i>,1620) das Credo <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Wissen_ist_Macht" target="_blank">Wissen ist Macht</a></i>, mit dem er ein Fundament der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> mauerte, auf dem wissenschaftliche Aneignung von Natur aufbaute. „<i>Wissenschaft
wurde nunmehr ein Mittel zur Erreichung rein menschlicher Zwecke wie
der Sicherung des Wohlergehens, der Steigerung des Reichtums und der
Erhaltung der Gesundheit</i>.“(1)<br /><br />Wie diese menschlichen Zwecke erreichbar sind, formulierte der englische Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jeremy_Bentham" target="_blank">Jeremy Bentham</a> (1748-1832) mit dem <a href="https://www.wikiwand.com/de/Utilitarismus#Kritik_am_Utilitarismus" target="_blank">utilitaristischen</a> ethischen Prinzip des <i>größten Glücks der größten Zahl</i>, auf dem moderner <a href="https://www.wikiwand.com/de/Psychologischer_Hedonismus" target="_blank">Hedonismus</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Liberalismus" target="_blank">Liberalismus basieren</a>.
Utilitarismus behauptet universelle Gültigkeit, aber er ist nicht
weniger dogmatisch als jede andere ethische Weltanschauung.(2) Der
amerikanische Philosoph J<a href="https://www.wikiwand.com/de/John%20Rawls" target="_blank">ohn Rawls</a>
hat dem utilitaristischen Credo vehement mit guten Argumenten
widersprochen.(3) Fortschrittsideen steigern utilitaristische Prinzipien
mit Verweisen auf empirisch unzugänglichen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Metaphysik" target="_blank">metaphysischen Universalien</a> zu einer Weltanschauung höherer Ordnung.(4) <br /> </div><div style="text-align: left;">Vermeintlich
keiner sozialen Verantwortung, sondern ausschließlich Erkenntnis
verpflichteter und wertfrei agierende Wissenschaften entfalten eine
neuartige Macht des Wissens, die für herrschende Machteliten hoch
attraktiv ist und Wissenschaften in Versuchung führt. Vor allem eine
Majorität von Naturwissenschaftlern, aber auch Kulturwissenschaftler
sind in ihrer Arbeit von Machteliten nicht nur beeinflusst, sondern
lassen sich für deren Interessen aus Gründen von Eigennutz
instrumentalisieren. Wissensbezug und Nähe zur Macht stellen in der
Geschichte von <i>Fortschritt</i> und Entwicklung eine Kontinuität dar, konstatiert <a href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Speich_Chass%C3%A9" target="_blank">Daniel Speich Chassé</a>.(5)
Öffentlich weniger bekannt sind Einflüsse von Großverlagen auf
wissenschaftliche Veröffentlichungen. Veröffentlichungen werden nicht
aufgrund wissenschaftlicher Relevanz publiziert, sondern dann, wenn sie
Verlagen Profit versprechen.(6) Damit nehmen Großverlage Einfluss auf
Wissenschaften. Wer Großverlage mit welchen Motivationen steuert, bleibt
eher intransparent. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaft
ist lediglich gemäß ihrem Anspruch eine wertfrei und ausschließlich
Erkenntnis verpflichtete Veranstaltung. In der Realität befindet sich
Wissenschaft in einer wechselseitigen, oftmals intransparenten und
teilweise ethisch nicht zu rechtfertigenden Abhängigkeit mit Politik und
Wirtschaft.<br /> </div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4.2 <i>Fortschritt</i> und <i>Regression</i> als sozialphilosophische Metrik der Bewertung kulturellen Wandels (Rahel Jaeggi)</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div>Im Namen von Konzepten des Fortschritts, der Emanzipation, der Aufklärung hat sich ein imperialistisches Entwicklungsmodell mit zahllosen Opfern, Gräueltaten und Ungerechtigkeiten etabliert. Dass mit der Aufarbeitung dieser Prozesse auch die zu ihrer Rechtfertigung herangezogenen Konzepte verworfen werden, hält die an der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Humboldt-Universit%C3%A4t_zu_Berlin">Humboldt-Universität zu Berlin</a> lehrende Philosophin <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rahel_Jaeggi" target="_blank">Rahel Jaeggi</a> hält für falsch. Jaeggi reklamiert, dass mit der Verurteilung dieser Konzepte analytische sozialphilosophische Kriterien verlorengehen, die Bewertungen bedeutender Dynamiken von Veränderungsprozessen der Lebenswelt in ihren Kontexten ermöglichen. Rahel Jaeggi plädiert für einen Fortschrittsbegriff, der weder als Sachverhalt noch als ein Ideal aufzufassen ist, sondern als ein analytisches Kriterium retrospektiver Bewertungen von Dynamiken des sozialen Wandels.(7)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Jaeggi verteidigt ein krisentheoretisch-pragmatisches Fortschrittsmodell, gemäß dem Fortschritt nicht als Sachverhalt aufzufassen ist, sonder sich als ein in Krisen lebensweltlicher Dynamik anreichernder Problemlösungsprozess vollzieht, ohne regressive Nebenwirkungen zu verursachen.(8) <span>Für das Verständnis des Modells ist der Unterschied zwischen <i>Problem</i> und <i>Krise</i> von Bedeutung. </span></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><span>Wenn etwas nicht so funktioniert, wie es sollte, weil es defekt ist und Defekte durch Reparatur oder Ersatz gelöst werden können, handelt es sich um ein <i>Problem</i>. <br /></span><span>Beispielsweise erzeugt eine heilbare Erkrankung oder ein Knochenbruch <i>Probleme</i>. Auch ein Hochwasser erzeugt als singuläres Ereignis lediglich <i>Probleme</i>. Diese können große Schäden und viele Opfer verursachen, aber wenn für die Zukunft wirksame Gegenmaßnahmen möglich sind, handelt es sich um <i>Probleme</i>. </span></li><li><span>Vor <i>Krisen</i> ist dann zu sprechen, wenn dauerhafte Defekte auftreten, die mit bewährten Strategien nicht lösbar sind, z.B. Bildungskrise, Rentenkrise, Bevölkerungswachstum, demografischer Wandel, Migrationskrise, </span><span>Klimakrise </span><span>etc.. </span><span><br /></span><span>Die Klimakrise macht </span><span>Krisenmuster</span><span> </span><span>beispielhaft </span><span>verständlich. Durch Bevölkerungswachstum, technologische Innovation </span><span>ausgelöste und</span><span> von ökonomischen bzw. weltanschaulichen Paradigmen abgesegnete Entwicklungsprozesse erzeugen nicht beabsichtigte </span><span>Klimaveränderungen. Diese </span><span>übersteigen Horizonte m</span><span>enschlicher Erfahrung und</span><span> </span><span>verursachen u.a. nicht nur einen unbeherrschbaren Anstieg des Meeresspiegels, sondern sie verschieben auch Vegetationszonen und landwirtschaftlich nutzbare Räume, verändern die Diversität biologischer Arten und machen </span><span>Hochwasser in nicht vorhersehbaren zeitlichen Abständen und nicht vorhersehbaren Auswirkungen zur Regel. </span><span><br /></span></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span><i>Krisen</i> erfordern innovative
neue Lösungsmuster und erzwingen daher das Erlernen neuer Lösungsmodi.
Transformationsprozesse können kontinuierlich evolutionär auftreten oder
auch radikale bzw. revolutionäre Veränderungen erfordern. </span><span><i>Krisen</i> erzeugen kulturellen Wandel. Dieser kann gelingen oder auch misslingen. Gelungene </span><span>Transformationsprozesse dieser Art versteht Jaeggi als <i>Fortschritt</i>.(9)</span> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">--------------------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Reinhard Piechocki, Altäre des Fortschritts, a.a.O.</li><li>Ohne Vertiefung sei am Rande angemerkt, dass lediglich Methoden von
Wissenschaften empirische Prüfbarkeit von Aussagen erfordern, aber
Wissenschaften selbst in ihrem Kern auf nicht prüfbaren axiomatischen
Grundsätzen basieren, die sich von Erzählungen bzw. Narrativen nicht prinzipiell unterscheiden. </li><li>John Rawls:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/John%20Rawls" target="_blank">John Rawls</a></li></ul></li><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Wilfried_Hinsch" target="_blank">Wilfried Hinsch</a>, NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/newzzD8ZT4QD5-12-ld.235501" target="_blank">Realistische Theorie des Liberalismus</a></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/zum-tode-des-amerikanischen-philosophen-john-rawls-100.html" target="_blank">Zum Tod des amerikanischen Philosphen John Rawls</a></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/100-geburtstag-des-philosophen-john-rawls-vordenker-der-100.html" target="_blank">100. Geburtstag des Philosphen John Rawls - Vordenker der Gerchtigkeit</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Otfried_H%C3%B6ffe" target="_blank">Otfried Höffe</a>, Frankfurter Rundschau: <a href="https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/john-rawls-zum-100-geburtstag-ein-akademischer-philosoph-als-oeffentlicher-intellektueller-90211415.html" target="_blank">John Rawls zum 100. Geburtstag: Ein akademischer Philosoph als öffentlicher Intellektueller</a>.</li></ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Wolfgang_Liebert" target="_blank">Wolfgang Liebert</a>: <a href="https://boku.ac.at/fileadmin/data/H01000/H10220/H10240/ethikplattform/Lehre/Zusammenfassung_Utilitarismus__Wolfgang_Liebert_.pdf" target="_blank">„Das Konzept der utilitaristischen Ethik – eine kritische Betrachtung“</a> (PDF, 7 Seiten).<br /></li><li>Daniel Speich Chassé: Fortschritt und Entwicklung, a.a.O.</li><li>FAZ, 19.09.2023: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/geisteswissenschaften/2023-09-20/die-zukunft-gehoert-dem-grosskapital/939403.html" target="_blank">Die Zukunft gehört den Großverlagen</a></li><li>Interview mit Rahel Jaeggi im Philiosophie Magazin, 22.06.2022: <a href="https://www.philomag.de/artikel/rahel-jaeggi-fortschritt-ist-weder-fakt-noch-ideal" target="_blank">Rahel Jaeggi: "Fortschritt ist weder Fakt noch Ideal"</a>. <br /></li><li>Rahel Jaeggi: <a href="https://www.suhrkamp.de/buch/rahel-jaeggi-fortschritt-und-regression-t-9783518587140" target="_blank">Fortschitt und Regression</a>, Suhrkamp, Berlin 2023.</li><li>Vgl. Jaeggi, a.a.O., S. 191ff.<br /></li></ol></div></div></div></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>5 Funktionale Bedeutung von <i>Fortschritt</i> aus soziologischer Perspektive</b><br /><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>5.1 <i>Fortschritt</i> auf Handlungsebenen individueller und kollektiver Akteure</b><br /><br />Alle Menschen teilen eine Reihe biologischer Grundbedürfnisse. Über Grundbedürfnisse hinaus entwickeln Menschen je nach Art und Stärke von Einflussfaktoren eine mehr oder weniger große Anzahl individueller Bedürfnisse. Wenn Menschen gefragt würden, was <i>Fortschritt</i> für sie bedeutet, könnten sie wahrscheinlich mit Bezug auf ihre Bedürfnisse spontan eine Reihe von Sachverhalten benennen.(1) Allerdings würde sich auch zeigen, dass nicht jeder die gleichen Sachverhalte nennt, sondern in Summe ein breites Spektrum von Sachverhalten als <i>Fortschritt</i> bewertet wird. Bei einer Befragung von Menschen unterschiedlicher Kulturräume würde das Spektrum von Antworten sicherlich noch erheblich breiter ausfallen. Dieser Sachverhalt macht bewusst:</div><div style="text-align: left;"><ul><li>Aussagen zu <i>Fortschritt</i> beruhen auf Bewertungen.</li><li>Bewertungen von <i>Fortschritt</i> resultieren aus individuellen Nutzenerwägungen.</li><li>Nutzenerwägungen individueller Akteure betreffen die persönliche Wohlfahrt und variieren subjektiv mit der von zahlreichen Faktoren beeinflussten jeweiligen persönlichen Lebenssituation (Alter, Wohlstand, Bildung, Gesundheit, sozialer Status, soziale Vernetzung, kulturelle Zugehörigkeit etc.).</li><li>Ansprüche auf persönliche Wohlfahrt können zwischen Individuen miteinander konkurrieren und Konflikte erzeugen. Kulturelle Regelwerke hegen diese Konflikte ein. Das politische und soziale Management dieser Konflikte wird jedoch mit abnehmender sozialer Kontrolle und zunehmender individueller Autonomie lückenhafter. </li></ul>Als Ergebnis ist anzumerken, dass <i>Fortschritt</i> auf der Ebene individueller Interessenlagen keine empirisch evidenten Sachverhalte benennt, sondern sich aus der individuellen Lebenssituation ableitet und persönlichen Nutzen bewertet.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kooperierende Individuen bilden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektiver_Akteur" target="_blank">kollektive (oder korporative) Akteure</a>. Kollektive Akteure treten im sozialen Raum ähnlich wie individuelle Akteure auf, aber sie vertreten distinktive funktionale Zwecke und sind daher mit jeweils spezifischen Werten und Handlungslogiken ausgestattet. Daher variieren Nutzenerwägungen auf der kollektiven Ebene über spezifische Funktionen und Zweckbestimmungen von Institutionen und Organisationen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Inhaltliche Ausprägungen von <i>Fortschritt</i> variieren für individuelle und kollektive Akteure über nicht oder nur teilweise verallgemeinerungsfähige jeweilige funktionale Bedürfnisse.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><b>5.2 Einordnung von <i>Fortschritt</i> auf der Ebene sozialer Systeme</b><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Da Nutzenerwägungen von Kollektiven und Individuen eher selten übereinstimmen, bilden Überschneidungen von Interessenlagen regelmäßig Konfliktstoff, der befriedet werden muss, um Kooperation zwischen Menschen zu ermöglichen. In einfachen Face-to-Face-Interaktionen kann Konsens stück- und fallweise ausgehandelt werden. Diese Strategie ist nicht effizient und darum für größere und persistente soziale Verbände ungeeignet. Persistenz sozialer Verbände benötigt allgemein verbindliche Regelwerke. <br /><br />Inhaltliche Ausgestaltungen solcher Regelwerke können relativ beliebig definiert sein. Empirisch zeigt sich jedoch, dass soziale Verbände für ähnliche Problemstellungen ähnliche Lösungen entwickeln, was jedoch nicht immer augenscheinlich ist, weil sich kulturell unabhängig entwickelte Lösungen in Details unterscheiden. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich mit zunehmender Komplexität sozialer Systeme funktionale Anforderungen an verbindliche Regelwerk verändern. Parallel nehmen mit zunehmender Komplexität sozialer Systeme systemrelevante soziale Konflikte und Krisen potentiell zu, weil Gemengelagen zwischen konkurrierenden kollektiven Akteuren sowie Überschneidungen von Interessen individueller und kollektiver Akteure prinzipiell nur unvollständig organisierbar und kontrollierbar sind.<br /><br />Aufgrund dieses Sachverhaltes stellt die Sicherstellung von Persistenz komplexer sozialer Systeme hohe Anforderungen an den Verbindlichkeitsgrad gemeinsamer Zielausrichtungen. Zielvorgaben und Kontrollen dieser Gemengelagen ermöglichen verbindliche dogmatisch-<a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltanschauung" target="_blank">weltanschauliche Wertsysteme</a>, wenn sie weitgehenden Konsens über gemeinsame Werte, Ziele und Verhaltensnormen herzustellen vermögen. Dieser Zusammenhang macht deutlich, dass dogmatische Weltanschauungen keineswegs funktional wertlos sind. Konsens über Weltanschauungen ermöglicht Persistenz sozialer Systeme mittels grundlegender kultureller Orientierung zu Werten, Überzeugungen, Sichtweisen von Weltverständnissen und der Verteilung von Rollen sozialer Akteure. <br /><br />In globaler Perspektive bringt Bedarf an verbindlichen gemeinsamen Weltanschauungen nur wenige strategische Muster hervor, die sich inhaltlich und programmatisch zwar unterscheiden, aber funktional vergleichbar sind. Zu diesen Mustern zählen Religion, Humanismus, Nationalstaaten, Kapitalismus, Kommunismus/Sozialismus, <i>Fortschritt</i> sowie wahrscheinlich eine Reihe weiterer, hier nicht aufgeführter Strategien. In der Neuzeit hat sich Wissenschaft als ein weltanschauliches strategisches Metaprogramm der Konstruktion, Analyse, Bewertung beliebiger Sachverhalte herausgebildet. <br /><br />Im Unterschied zu wissenschaftlichen Aussagen, die prinzipiell prüfbar bzw. widerlegbar sein müssen, verkünden dogmatische Weltanschauungen Wahrheiten, deren Aussagen weder beweisbar noch widerlegbar sind und daher keine Wissenschaftlichkeit beanspruchen können. Reibung zwischen dogmatischen und wissenschaftlichen Aussagen ist unvermeidbar. <br /><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>5.3 Soziale Funktionen von </b><b>Fortschrittsoptimismus</b><br /><br />Bis zum 18. Jahrhundert bildete Religion als Weltanschauung den Motor westlicher Kulturen. Mit dem Prozess der <a href="https://www.wikiwand.com/de/S%C3%A4kularisierung" target="_blank">Säkularisierung</a> fällt Religion als Programmatik der Harmonisierung sozialer Konflikte, der Konsensbildung und als Instrument von Machtpolitik aus. Die Lücke füllt konsensbasierter <i>Fortschritt</i>. Die funktionale soziologische Betrachtung dieses Kontextes identifiziert <i>Fortschritt</i> nicht als empirisch evidenten Sachverhalt und auch nicht als universale Kategorie, sondern einerseits als eine mögliche Strategie der Bewältigung funktionaler Anforderungen komplexer sozialer Systeme und andererseits als Strategie der Absicherung von Macht. Weltanschauliche Strategien sind politisch wertende Begriffe. Macht hat gleichzeitig ein starkes Interesse an Fortschritt und an Systemstabilität, weil Konsens über <i>Fortschritt</i> soziale Systeme stabilisiert und Macht die Persistenz ihrer eigenen Dominanz abzusichern versucht. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der Fortschrittsmotor dieses Modells lief in einem globalgeschichtlichen Moment von ca. 250 Jahren nicht störungsfrei, aber er lief. Treibstoffe dieses Motors bilden ansteigendes Wohlstandsniveau, persönliche Wohlfahrt, Freiheiten relativer Autonomie. Allerdings hat das Fortschrittsmodell einige gravierende Schwächen und ist daher anfällig für sich wechselseitig verstärkende ökologische und soziale Krisen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Das Fortschrittsmodell erzeugt Wohlstand westlicher Kulturen durch Ausbeutung ökonomisch und politisch schwacher Kulturen und provoziert in diesen Kulturen tiefe Krisen.</li><li>Wohlstand des Westens resultiert aus Sklaverei, Kolonialismus, Genoziden.(2) <br /></li><li>Das Fortschrittsmodell beschleunigt den Verbrauch endlicher Ressourcen und ruiniert per Saldo globale Lebensgrundlagen.</li><li>Das Fortschrittsmodell beschleunigt die Dynamik des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Wandel" target="_blank">sozialen Wandels</a>. Ob menschliche Kulturen über hinreichende Fähigkeiten der Anpassung bzw. Gestaltung des Wandels verfügen, ist zweifelhaft. (3) <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Solange ein als angemessen empfundener Wohlstandszuwachs in der Breite realisierbar ist, bleiben Verteilungskrisen je nach Staatsmodell in unterschiedlicher Ausprägung politisch kontrollierbar. In sozialstaatlichen Prinzipien verpflichteten Staaten sind Verteilungskrisen politisch kontrollierbarer als in Staaten, in denen <a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20605/shareholder-value/" target="_blank">Shareholder</a>-Ethik dominiert und Stakeholder-Interessen vernachlässigt werden. Aus diesem Grund verfügen Staaten wie USA, UK, Frankreich etc. über schwächere Instrumente politischer Kontrolle und evozieren Verteilungskrisen deutlicher als westmitteleuropäische und skandinavische Staaten.(4)<br /> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.4 Politische Funktionen von Fortschrittsideen</b><br /><br /></div><div style="text-align: left;">Die Menschheit bildet keine amorphe Masse. In vereinfachender
analytischer Betrachtung setzt sich die Menschheit aus kulturellen
Ethnien zusammen, die sich jeweils vertikal und horizontal differenziert
aufgliedern.(5) Innerhalb von Ethnien können zwar weltanschauliche
Wertsysteme breit streuen, aber nur wenige Wertsysteme erzeugen
kulturelle Verbindlichkeit. Kulturell verbindliche Wertsysteme werden
von Machteliten vorgegeben bzw. durchgesetzt und dienen keinen
humanitären Zwecken und auch nur mittelbar der Persistenz von
Sozialsystemen, sondern egoistischen Interessen dieser Eliten, die am
stärksten von persistenten Sozialsystemen profitieren, sich darum um
persistente Zustände nachdrücklich bemühen und nichts so sehr fürchten
wie politische Revolutionen. Ein Artikel der Handelszeitung, eine
Schweizer Wirtschaftszeitung,
berichtet, dass sich Verteilungseffekte von Innovation fast
ausschliesslich auf Spitzeneinkommen einer kleinen Elite auswirken.(6) </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96ffentliche_Aufgaben" target="_blank">Öffentliche Aufgaben</a>
staatlicher Politik umfassen u.a. Herstellung und Aufrechterhaltung systemischer Stabilität sowie das Einhegen von durch sozialen Wandel verursachte Krisen. Programmatiken von Demokratiemodellen,
Rechtssicherheit, sozialstaatlichen Programmen bleiben jedoch
grundsätzlich defizitär, weil<ul><li>staatliche Politik für große Anteile der Bevölkerung intransparent und unverständlich ist,</li><li>Anpassungen von Werten, Normen und Leistungen dem sozialen Wandel stets hinterherhinken, </li><li>das Fortschrittsmodell, wie bereits das Religionsmodell,
asymmetrische Verteilungen von Benefits begünstigt und als sozial ungerecht
wahrgenommen wird, </li><li>die
Umsetzung staatlicher Aufgaben einen kostenintensiven Verwaltungsapparat
benötigt, der große Anteile gesamtgesellschaftlicher Wertschöpfung
verbraucht,</li><li>der Verwaltungsapparat für die Majorität der Bevölkerung intransparent ist,</li><li>der Verwaltungsapparat zur Verselbständigung und zur Erzeugung von ‚Bürokratiemonstern‘ tendiert. </li></ul>Um systemische Stabilität herzustellen und aufrechtzuerhalten und nicht die politische Kontrolle über Verteilungskrisen unterschiedlicher Art zu verlieren, sind sozialverträglicher Wohlstand und individuelle Benefits in der Breite erforderlich, die finanziert werden müssen.
Darum sind westliche Kulturen zu Wirtschaftswachstum verurteilt. Wenn
Wachstum über mehrere Jahre ausfällt und gleichzeitig Asymmetrien der
Verteilung zwischen Reichtum und Armut sowie zwischen Privilegien und
Diskriminierung zunehmen, geraten Staatsmodelle in Krisen.<br />Selbst
wenn stabiles Wirtschaftswachstum möglich sein sollte, zeichnet sich
aktuell ab, dass sich Fortschrittsideen westlicher Kulturen als nicht
dauerhaft tragfähig erweisen könnten, weil sie die Welt ruinieren. <br /> </div><div style="text-align: left;">Das Argument, <i>Fortschritt</i> und Wirtschaftswachstum seien im Interesse des Gemeinwohls unverzichtbar, verbirgt als Scheinargument den Sachverhalt, dass <i>Fortschritt</i> und Wirtschaftswachstum primär der Absicherung und Ausweitung von Macht dient.(7) Durchsetzen konnte sich <i>Fortschritt</i> als weltanschauliches Konstrukt, weil es in fast schon ‚genialer‘ Art und Weise trotz dominierenden Interessen von Machteliten ebenfalls dem Gemeinwohl dient und soziale Systeme mittels Konsensbildung stabilisiert.<br /><br />Allerdings trägt <i>Fortschritt</i> über die Verursachung von Verteilungsungerechtigkeit hinaus zur Entwicklung von Instrumenten der Gewaltausübung bei. Erst mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit entstand im nennenswerten Umfang Privateigentum und mit ihm Konfliktpotential zwischen Individuen über Eigentumsfragen. Zwischen Individuen oder kleinen sozialen Verbänden ausgetragene Eigentumskonflikte sind auch bei Gewaltanwendung nicht als Kriege aufzufassen. Militärische Kriege im Sinne „organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt(e)“ zwischen Kollektiven entstanden mit der Herausbildung herrschender Machteliten als Instrumente der Ausdehnung oder des Schutzes von Interessen dieser Eliten.(8)<br /><br />Moderner <i>Fortschritt</i> hat herrschende Machteliten keineswegs eliminiert, weshalb in der Gegenwart nach wie vor militärische Kriege ausgetragen werden. In der Konkurrenz zwischen Industrieländern veränderte und verlagerte sich jedoch die Art der Kriegsführung. In der Gegenwart entfalten sich in globalen Märkten unmilitärische Kriege, die als Wirtschaftskriege mit Hilfe 'fortschrittlicher' wissenschaftlicher und technischer Innovationen ausgetragen werden. Aktuelle Entwicklungen gestatten ungegenständliche Kriegsvarianten in virtuellen Räumen, die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Cyberkrieg" target="_blank">Cyberkriege</a> per Datenmanipulation geführt werden und immense Sach-, Vermögens- und Vertrauensschäden verursachen können. Laut Bitcom verursachte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Computerkriminalit%C3%A4t" target="_blank">Cyberkriminalität</a> allein in der deutschen Wirtschaft in den letzten 3 Jahren Schäden in Höhe von jeweils mehr als 200 Milliarden Euro (wie auch immer diese Zahl ermittelt sein mag).(9) In der Höhe nicht abzuschätzende Schäden öffentlicher Einrichtungen (Krankenhäuser, Universitäten, Verkehrsleitstellen etc.), Behörden und Privatpersonen sind hinzuzudenken. Seit 2019 übersteigen polizeilich erfasste Fälle von Cyberkriminalität in Deutschland die Zahl von 100.000.(9) Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">--------------------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Statista, Umfrage zum Fortschrittsverständnis in Deutschland: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/133/umfrage/fortschrittsverstaendnis/" target="_blank">Was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff „Fortschritt“?</a></li><li>Ursachen europäischen Wohlstands:<br /><ul><li>FAZ, 27.06.2021: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hanks-welt/hanks-welt-kapitalismus-und-sklaverei-17407703.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Kapitalismus und Sklaverei</a></li><li>FAZ, 30.03.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wie-sklaverei-die-industrielle-revolution-beschleunigte-18770716.html" target="_blank">Der lange Schatte der Sklaverei</a></li><li>GEO: <a href="https://www.geo.de/wissen/weltgeschichte/niederlande-erbarmungslose-kolonialverbrechen-die-dunkle-seite-des-glanzes-30180264.html" target="_blank">Kolonialverbrechen der Niederlande: Die dunkle Seite des Glanzes</a></li><li>Rosa-Luxemburg-Stiftung: <a href="https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/atlasderversklavung2021.pdf" target="_blank">Atlas der Versklavung. Daten und Fakten über Zwangsarbeit und Ausbeutung</a> (PDF, 60 Seiten)</li></ul></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Wandel#Debatte_und_Kritik" target="_blank">Sozialer Wandel. Debatte und Kritik</a></li><li>Im
Kontexte dieses Posts ist das betriebswirtschaftliche Modell des
Shareholder- vs. Stakeholder-Value-Ansatz politisch gedacht.
Beschreibung der betriebswirtschaftliche Prinzipien des Modells im
Portal Frankfurt School: <a href="https://blog.frankfurt-school.de/de/betriebswirtschaft-shareholder-vs-stakeholder-value-ansatz/" target="_blank">Betriebswirtschaft: Shareholder- vs. Stakeholder-Value-Ansatz</a></li><li>In der Realität sind Grenzen von Ethnien aufgrund kultureller Diffusion
unscharf und teilweise nur noch hilfsweise politisch anhand von
Staatszugehörigkeit bei Vernachlässigung von Kulturaspekten zu
identifizieren.) <br /></li><li>Handelszeitung: <a href="https://www.handelszeitung.ch/blogs/free-lunch/wer-profitiert-vom-technischen-fortschritt-1416747" target="_blank">Wer profitiert vom technischen Fortschritt?</a></li><li>Vermögensverteilung und Verteilungsgerechtigkeit:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verm%C3%B6gensverteilung" target="_blank">Vermögensverteilung</a></li><li> Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gini-Koeffizient" target="_blank">Gini-Koeffizient</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Verm%C3%B6gensverteilung" target="_blank">Liste der Länder nach Vermögensverteilung</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verteilungsgerechtigkeit" target="_blank">Verteilungsgerechtigkeit</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerechtigkeit" target="_blank">Gerechtigkeit</a><br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerechtigkeitsforschung" target="_blank">Gerechtigkeitsforschung</a></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/gerechtigkeitstheorien/5749" target="_blank">Gerechtigkeitstheorien</a> </li><li>Bertelsmannstiftung: <a href="https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/gesellschaftlicher-zusammenhalt/projektnachrichten/gerechtigkeitsempfinden-in-deutschland-2022" target="_blank">Gefühlt ungerecht: Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland</a></li></ul></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Krieg" target="_blank">Krieg</a></li><li>Tagesschau, 01.09.2023: <a href="https://www.tagesschau.de/wirtschaft/cybercrime-deutschland-100.html" target="_blank">206 Milliarden Euro Schaden durch Cyberkriminalität</a> <br /></li><li>Statista: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/295265/umfrage/polizeilich-erfasste-faelle-von-cyberkriminalitaet-im-engeren-sinne-in-deutschland/" target="_blank">Polizeilich erfasste Fälle von Cyberkriminalität in Deutschland von 2007 bis 2022</a> <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><b>6 Grenzen von politischem Fortschrittsoptimismus und von Fortschrittsskepis als Gegenpolitik</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>6.1 Der Code des Kapitals<br /></b> </div><div style="text-align: left;">„Kapital“ entsteht im „Kapitalismus“ nicht von selbst. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl_Marx" target="_blank">Karl Marx</a> (1818-1883) nahm an, dass die Klasse der Besitzlosen ihre Arbeitskraft an die Klasse produzierender Kapitalisten verkaufen muss, um leben zu können. Dank ihrer Arbeitsleistung erzeugen Besitzlose in Produktionsprozessen einen Mehrwert, den Kapitalisten abschöpfen und so ihren Reichtum vermehren. Im Ergebnis entsteht Kapital durch Ausbeutung und Unterdrückung. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">In ihrer Veröffentlichung <i><a href="https://www.suhrkamp.de/buch/katharina-pistor-der-code-des-kapitals-t-9783518587607" target="_blank">Der Code des Kapitals</a> </i>lenkt <a href="https://www.wikiwand.com/de/Katharina_Pistor" target="_blank">Katharina Pistor</a>, eine an der Columbia Law School lehrende deutsche Juristin, zur Erklärung der Entstehung von Kapital den Blick auf Zusammenhänge der Rechtsentwicklung und erklärt die Entstehung von Kapital durch Rechtssetzung und rechtliche Absicherung des Kapitals gegen Eingriffe.(1) Pistor nimmt an, dass öffentliches Recht nie neutral ist, sondern als Ergebnis politischer Gestaltung entsteht und dominante politische Gruppen ihre Interessen stärker als der Rest der Bevölkerung durchsetzen können. Rechtssetzung geschieht daher überwiegend nicht durch demokratisch legitimierte Instanzen der Legislative und Exekutive, sondern durch findige Rechtsberater hochspezialisierter internationaler Anwaltskanzleien, denen es im Interesse von Kapitalbesitzern (Machteliten) gelingt, ihre Rechtscodierung durch staatliche Gewalt abzusichern.(2) <i>"Pistor zeigt anhand der Rechtsentwicklung, wie Gesetze, Gerichte und Anwälte den Kapitalismus in seiner heutigen Form begründet haben – und wie sie jetzt dazu beitragen, dass sich auf der Kapitalseite immer mehr Reichtum anhäuft, während normale Einkommensbezieher, Arbeiter und Arme, aber auch die Staatlichkeit von dieser Entwicklung abgeschnitten sind."(3) </i><br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Der US-amerikanische Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Charles_Wright_Mills" target="_blank">Charles Wright Mills</a> definiert als Machteliten </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">„<i>Gruppen von Menschen, die in dominierenden militärischen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen eines dominanten Landes die dominanten Positionen einnehmen. Ihre Entscheidungen (oder fehlenden Entscheidungen) haben enorme Konsequenzen</i> […] <i>für die Bevölkerungen der Welt".</i>(4) </div><div style="text-align: left;">Da Machteliten die drei dominanten Institutionen Militär, Wirtschaft und politisches System kontrollieren, ist es primär das Scheitern bzw. Versagen von Machteliten, wenn Kulturen zusammenbrechen.(5) <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Wenn Medien berichten, dass zwischen Staaten bzw. deren Regierungen Verträge abgeschlossen und Vereinbarungen getroffen wurden oder diese nicht eingehalten, missachtet oder gebrochen wurden, verbergen solche Nachrichten, wer die tatsächlichen Entscheider und Handelnden sind. Formaljuristisch sind Staaten als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Juristische_Person#Juristische_Person_des_%C3%B6ffentlichen_Rechts" target="_blank"><i>juristische Personen öffentlichen Rechts</i></a> definiert. Juristische Personen agieren als rechtsfähige Rechtspersonen, sie sind aber als Rechtskonstrukte selbst nicht handlungsfähig und können keine Willenserklärungen abgeben. Dieses Defizit behebt ein weiteres Konstrukt, das die juristische Person zum Organträger mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Organ_(Recht)" target="_blank">Organen</a> erklärt. Handelnde natürliche Personen werden als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Organwalter" target="_blank">Organwalter</a> tätig, wenn sie im Namen von Organen sowie deren Rechten und Pflichten handeln. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Auch wenn juristische Konstrukte andere Deutungen nahelegen, sind Staaten lediglich abstrakte Ordnungskonstrukte. Empirische Existenz dieser ungegenständlichen Objekte wird durch öffentliche Proklamation, Konsensbildung und wechselseitige
Anerkennung als Realität vermittelt. Auf dieser abstrakten Basis agieren Staaten metaphorisch wie
vermeintliche Subjekte, obwohl Staaten weder Gedanken noch Ideen und weder
Emotionen noch ein eigenes Bewusstsein besitzen. Staaten können nichts
entscheiden und nicht handeln. Entscheiden und handeln können nur
Menschen. Diese verbergen sich hinter vermeintlichen Sachzwängen,
Staatsraison, staatlicher Notwendigkeit, staatlichen Aufträgen,
persönlichen Rollen etc. und vermitteln, dass Aufrechterhaltung oder
Veränderung organisierter Strukturen den Interessen aller dient. In der
Realität dienen vermeintliche Staatsinteressen Populationen des
Volkssouveräns in unterschiedlicher Höhe. Einige Menschen profitieren
mehr, anderen Menschen weniger. Auf Konsens ausgerichteter
diplomatischer Politikstil entschärft einseitige Interessenlage mit
Kompromissen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2 Fortschrittsskepsis und Grenzen politischer Gestaltungsmacht</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Staatsrecht demokratischer Verfassungen gilt das Prinzip der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Volkssouver%C3%A4nit%C3%A4t" target="_blank">Volkssouveränität</a> als oberste Quelle staatlicher Legitimität. Darum muss die Regierung vom Volk gewählt werden. Wenn das Volk seine Herrscher für eine Regierungsperiode bestimmt hat, regiert der Herrscher im verfassungsrechtlichen Rahmen zwar im Namen des Volkes und unter Kontrolle von Gewaltenteilung, aber tatsächlich relativ frei. Da der Volkssouverän routinemäßig lediglich über das Wahlrecht des
Staatssouverän verfügt, ist er zwischen Wahlen dem Staatssouverän
weitgehend ausgeliefert. Außerhalb von Wahlen kann er bei fehlendem
Einverständnis mit Regierungspolitik nur begrenzt mit formellen
Rechtsmitteln wie Verwaltungsgerichtsklagen und Verfassungsbeschwerden
Einfluss auf die laufende Geschäftstätigkeit staatlicher Organwalter
ausüben. Daher ist er auf außerordentliche informelle Mittel angewiesen.
Hierzu zählen: Unterschriftenaktionen, Beschwerden, Meinungsumfragen,
journalistische Berichterstattung, Protestaktionen
außerparlamentarischer Organisationen und alternativer politischer
Verbände oder Interessenorganisationen sowie als ultima ratio politische
Revolutionen. </div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Politische Splitterparteien sowie konservative und rechtsnationale populistischer Parteien greifen gärenden Unmut in Bevölkerungskreisen auf, um erhitzte Stimmungslagen im vermeintlichen Interesse von Gerechtigkeit und <i>Fortschritt</i> für eigene Interessen zu nutzen, die sie als rational vernünftigen politischen Pragmatismus ausgeben, u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Alternative_f%C3%BCr_Deutschland" target="_blank">AFD</a> in Deutschland, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rassemblement_National" target="_blank">Rassemblement National</a> in Frankreich, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lega_Nord" target="_blank">Lega</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Movimento_5_Stelle" target="_blank">Movimento 5 Stelle</a> in Italien, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Prawo_i_Sprawiedliwo%C5%9B%C4%87" target="_blank">PiS</a> in Polen, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fidesz_%E2%80%93_Ungarischer_B%C3%BCrgerbund" target="_blank">Fidesz</a> in Ungarn usw..(6,7) Bei allen Unterschieden im Detail hat der Erfolg dieser Parteien eine gemeinsame Grundlage, die aus der Asymmetrie von Macht zwischen Volkssouverän und Staatssouverän resultiert und Vertrauensverlust gegenüber staatlicher Politik schürt.(8,9) Obwohl Donald Trump und Wladimir Putin mit ebenso undemokratischer wie undiplomatischer Politik exemplarisch vorführen, dass als Staatsinteresse deklarierte Politik primär Machtinteressen dient, scheint rechtsextreme politische Gesinnung auch in Deutschland deutlich attraktiver zu werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In Deutschland dokumentiert die von der R+V-Versicherung beauftragte Langzeitstudie "<i>Die Ängste der Deutschen</i>" mehrere Quellen egoistischer Befürchtungen von Wohlstandsverlusten und Abstiegsängsten, die an Prozesse der Weimarer Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erinnert.(10,11) Eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung beauftragte, von der Universität Bielefeld durchgeführte und am 21.09.2023 veröffentlichte <i>Mitte-Studie 2023</i>, dokumentiert wachsendes rechtsextremes Denken und verortet rechtsextreme Gesinnung zunehmend in der politischen Mitte.(12) Landtagswahlen vom 8.10.2023 in Hessen und Bayern bestätigen diesen Trand mit hohen Gewinnen der ADF und Verlusten aller an der deutschen Regierungskoalition beteiligten Parteien.(13,14,15) Politisches Tagesgeschehen und Unzufriedenheit mit gesamtdeutscher Regierungspoltik erklärt jedoch nicht, warum die AFD gerade in den Wahlkreisen besonders erfolgreich ist, in denen bereits in der Vergangenheit Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus stärker ausgeprägt waren als in anderen Teilen Deutschlands.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Spitzenergebnisse der AFD in hessischen Landtagswahlen 2023:(16)</div><ul style="text-align: left;"><li style="text-align: left;">40 % im Dorf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Katzenfurt" target="_blank">Katzenfurt</a> des Lahn-Dill-Kreises, <br /></li><li style="text-align: left;">31,7 % bzw. 32,7 % in der Gemeinde <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sinntal" target="_blank">Sinntal</a>, </li><li style="text-align: left;">29,5 % bzw. 31,18 % in der Gemeinde <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hirzenhain" target="_blank">Hirzenhain</a>, wo die AFD bereits vor 5 Jahren stark war und sich aktuell noch verbessern konnte, was Vertrauensverluste und ebenso Versagen etablierter Politik hier besonders deutlich macht (17,18),<br /></li><li style="text-align: left;"> 25,2 % im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wahlkreis_Wetterau_II" target="_blank">Wahlkreis 26</a> des hessischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wetteraukreis" target="_blank">Wetterauskreises</a>. </li></ul><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.3 Einfluss von Machteliten</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Unterschied zur Population 'Volk' üben Interessenorganisationen und Lobbyisten vor allem im Namen von Unternehmern des ökonomischen Sektors starken Einfluss auf staatliche Willensbildung aus, in Deutschland vor allem in Kontexten von Autoindustrie, Pharmaindustrie, Stahlindustrie, Rüstungsindustrie, Finanzwirtschaft sowie im Kontext staatlicher Großprojekte der Bauwirtschaft, u.a. der Verkehrsinfrastruktur und der militärischen Rüstung. Bauernverbände, Ständeorganisationen, Mittelstandsvereinigungen mischen mit.(19) Profitinteressen bleiben in Argumenten von Unternehmen i.d.R. verborgen. Herausgestellt werden Bemühungen um Klimaneutralität und Nachhaltigkeit, werbewirksame Wohltätigkeiten als Sponsoren sowie vermeintliche Kunden-, Mitarbeiter- und Gemeinwohlorientierung. Drohende Profiteinbußen und Unternehmensrisiken erfahren Umdeutungen zu Risiken des Gemeinwohls: Arbeitsplatzverluste, Preissteigerungen, Inflationsraten, Versorgungssicherheit, Einkommenseinbußen von Lohnempfängern, Verluste vermeintlicher Freiheitsrechte sowie Be- oder Verhinderungen von <i>Fortschritt</i>, durch die das Land im internationalen Wettbewerb zurückfalle, wodurch Wirtschaftswachstum einbrechen werde und das Gemeinwohl per Saldo Schaden nehme. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Machteliten von Finanzwirtschaft und Großindustrie beschäftigen für die Durchsetzung ihrer Interessen mit Halbwahrheiten, Lügen und verfälschten Daten operierende Lobbyisten. Generell agieren Lobbyisten jedoch im Hintergrund, was Gegenbeispiele, wie z.B. den für russische Interessen agierenden Ex-Bundeskanzler Schröder nicht ausschließt. Mit üppigen Geldgeschenken bedachte politische Parteien, Bestechungen korrupter Abgeordneter, Ankündigung und Vergabe von Großaufträgen nehmen sie Einfluss auf politische Entscheidungen. Wirtschaftlich-politische Verfilzungen von Großprojekten demonstrieren beispielhaft und keineswegs einzigartig die von China initiierte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neue_Seidenstra%C3%9Fe" target="_blank">Neue Seidenstraße</a> und das deutsch-russische Joint Venture <a href="https://www.wikiwand.com/de/Nord_Stream" target="_blank">Nord Stream</a>. Abkommen zu Lieferungen von Flüssiggas, die mit dem autoritären Emirat <a href="https://www.wikiwand.com/de/Katar" target="_blank">Katar</a> geschlossen wurden, das bekanntlich islamischen Terrorismus unterstützt und Menschenrechte missachtet, machen deutlich, dass aus vorausgegangenen Desastern keine Lehren gezogen werden.(20,21) Im Interesse von Machteliten werden Verflechtungen dieser Art keineswegs aussortiert, sondern im Gegenteil mit Hilfe der Exekutive und der Rechtsprechung in veränderten oder neuen Varianten fortgesetzt. Hierzu 2 Beispiele:</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Gegen den Bau neuer LNG-Terminals versuchten Gegner des Projektes wegen Aufhebungen von Umweltschutzauflagen und intransparenter Bauplanung einen Baustopp zu bewirken. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig lehnte nach Prüfung den Baustopp-Antrag am 12.09.2023 ab<b>, </b>weil die Klage 'voraussichtlich'(!) unbegründet sei.(22) </li><li>Während sich der Klimawandel nahezu ungebremst fortsetzt, kann die Autobranche vorerst aufatmen. Medien melden, dass im Hinblick auf die politische Gestaltung des Klimawandels entwickelte Vorschläge der Europäischen Kommissionen für verschärfte Euro-7-Abgasgrenzwerte abgeschwächt oder verschoben oder abgeschwächt und verschoben werden.(23) Nachdem ein milderer Kompromissvorschlag der deutschen Regierung keine Zustimmung fand, stimmte sie immerhin gegen den EU-Kommissionsvorschlag.(24,25) <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;">Diese Mechanismen funktioniere ähnlich auf tieferen Ebenen. Insbesondere Pharmakonzerne sind berüchtigt für schmutzige Einflüsse auf Ärzte und Klinken der Gesundheitsindustrie. In der Bauwirtschaft, im Handwerk und im Handel gehören Preisabsprachen und Bestechungen zum Alltag. Kreative Steuervermeidungstaktiken sind in allen Wirtschaftszweigen verbreitet, nehmen aber mit Höhe zu versteuernder Profite zu und sind daher besonders attraktiv in profitablen Großunternehmen. <br /><br />Staatspolitik reagiert nicht immer sensibel und schon gar nicht immer zeitnah auf sich herausbildende Krisen. "<i>Die Kluft zwischen dem Benennen und dem Beheben von Problem wächst</i>", konstatiert ein Artikel der Wochenzeitung ZEIT und ergänzt, dass aus dem ehemals positiv besetzten Kollektivsingular <i>Fortschritt</i> eine Vielzahl von ungleichzeitigen und zum Teil widersprüchlichen Entwicklungen entstanden sind, sodass <i>Fortschritt</i> inzwischen zum Teil des Problems geworden und zur Phrase ausgedünnt ist.(26) Der Artikel beruft sich auf eine in Deutschland durchgeführte Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, die zunehmende Fortschrittsskepsis ermittelte.(27)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Durch Migrantenströme entstehende Konflikte bedrohen insbesondere die Stabilität westlicher Staaten. In Deutschland nimmt die Anzahl von Migranten und Asylbewerbern inzwischen wieder deutlich zu und stellt die Politik vor große Herausforderungen. Diese ‚vergisst‘ ihr Bekenntnis zu Menschenrechten und kommen ihrer Selbstverpflichtung mit Begründungen pragmatischer Realpolitik nicht nach, obwohl sie die (völkerrechtlich nicht bindende) <a href="https://www.wikiwand.com/de/Allgemeine_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte" target="_blank">Menschenrechtskonvention</a> anerkannt haben und in Deutschland das Asylrecht aus historischen Gründen verfassungsrechtlich verankert ist. Vor ca. 95 Jahren erklärte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bertolt_Brecht" target="_blank">Bertolt Brecht</a> weitsichtig in der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_Dreigroschenoper" target="_blank"><i>Dreigroschenoper</i></a>: <i>"Erst kommt das Fressen, dann die Moral"</i>. In der Gegenwart verschleppen Behörden die Bearbeitung von Asylanträgen, bis mittelfristig verbindliche Einschränkungen des Asylrechts rechtssicher etabliert sind.(28) Historische Erfahrungen hin oder her. Aktuelle Interessen dominieren. Daher werden in Deutschland Verfassungsänderungen diskutiert. Falls keine Änderungen stattfinden sollten, bleiben Optionen der Anpassung von Deutungsmustern bei der Rechtsprechung. In Anbetracht des Handlungsdrucks verständigen sich jedoch Staaten der EU auf Verschärfungen des Ayslrechts:<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Am 26.09.2023 melden Medien zu politischen Diskussionen, dass die deutsche Regierung insbesondere von Osteuropa, UK und Italien veranlasste aktuelle EU-Vorschläge einer restriktiven EU-Asylreform derzeit ablehnt. Die Ablehnung resultiert nicht aus ethischen, sondern aus eher juristisch-politischen Vorbehalten der Ausgewogenheit von Vorschlägen sowie aus der Befürchtung eines Auseinanderbrechens der aktuellen Regierungskoalition. Was daraus folgt und welchen Einfluss diese Haltung auf die Gestaltung von EU-Politik ausüben wird, ist schwer einzuschätzen.(29) </li><li>Am gleichen Tag melden Medien, dass die britische Regierung beabsichtigt, UN-Flüchtlingskonventionen einzuschränken.(30) </li><li>Im Kontext von Migrantenpolitik wird zunehmend deutlich, dass die Migrantensituation nicht nur Grenzen einvernehmlicher EU-Politik aufzeigt und EU-Politik überfordert, sondern auch rechtsextremer Gesinnung und ihrer politischen Nutznießer zur Ausbreitung verhilft (siehe Anmerkung 3). Das zumindest verstehen deutsche Politiker. Am 27.09.2023 entscheidet Kanzler Scholz, dass die deutsche Regierung die brüsseler Asyl-Krisenverordnung nicht aufhalten werde.(31) </li><li>Am 4.10.2023 melden Medien, dass Einigung in der EU über einen Zwischenschritt erzielt ist und Weichen für weitere Verschärfungen des Asylrechts gestellt sind.(32)</li></ul></div><div style="text-align: left;">Derartige Entscheidungen gelten als Realpolitik und werden euphemistisch als Pragmatismus bezeichnet. Vielleicht sind diese Entscheidungen geeignet, labiles politisches und soziales Gleichgewicht innerhalb der EU vorübergehend zu stabilisieren, aber global-politisch verweist diese Weichenstellung auf perspektivloses Krisenmanagement. Zugleich dokumentiert die Entwicklung, dass für das Gemeinwohl unverzichtbare <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gemeingut" target="_blank">Kollektive Güter</a>, ethische Werte und Prinzipien gegenüber egostischen Interessen nur eine schwache politische Lobby haben und auf dem Altar vermeintlicher 'politischer Vernunft' als erstes geopfert werden. Auf dieser Welle surft die AFD. Laut einer Umfage von <a href="https://www.infratest-dimap.de/" target="_blank">infratest dimap</a> erhält die AFD im Oktober 2023 im Deutschlandtrend 23 % Zustimmung.(33) <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">--------------------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>H / SOZ / KULT: <a href="https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28894" target="_blank">K. Pistor: The Code of Capital</a><br /></li><li>Friedrich-Ebert-Stiftung, Buch-Essenz: <a href="https://www.fes.de/akademie-fuer-soziale-demokratie/buch-essenz/katharina-pistor-2020-der-code-des-kapitals-wie-das-recht-reichtum-und-ungleichheit-schafft" target="_blank">Katharina Pistor (2020): Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft</a><br /></li><li>Deutschlandfunk Kultur: KATHARINA PISTOR: „DER CODE DES KAPITALS" - Vor dem Recht sind nicht alle gleich (Online nicht mehr verfügbar)<br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_Machtelite_(C._Wright_Mills)" target="_blank">Die Machtelite (C. Wright Mills)</a><br /></li><li>Ausführlicher betrachtet dieses Thema der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitus und Doxa - Machteliten und Machtstrukturen</a></i></li><li>Statista: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/941937/umfrage/stimmenanteile-rechtspopulistischer-parteien-in-europa/" target="_blank">Stimmenanteile rechtspopulistischer Parteien bei den letzten Wahlen in ausgewählten europäischen Ländern bis 2023</a> </li><li>BPB: <a href="https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/241386/rechtspopulistische-parteien-und-stroemungen/" target="_blank">Rechtspopulistische Parteien und Strömungen</a> <br /></li><li>BPB: <a href="https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/" target="_blank">Dossier Rechtspopulismus</a> <br /></li><li>Friedrich-Ebert-Stiftung, Projekt gegen Rechstextremismus 3/2011: <a href="https://library.fes.de/pdf-files/do/08841.pdf" target="_blank">Ist Europa auf dem "rechten" Weg?</a> (PDF) <br /></li><li>R+V News: <a href="https://www.ruv.de/newsroom/themenspezial-die-aengste-der-deutschen/pressemitteilungen/2023-10-12-studie-aengste-der-deutschen" target="_blank">Deutsche fürchten Wohlstandsverlust</a></li><li>FAZ, 12.10.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/wovor-sich-deutsche-fuerchten-steigende-preise-hohe-mieten-und-steuern-19238647.html" target="_blank">Am meisten sorgen sich die Deutschen um ihren Wohlstand</a> <br /></li><li>Mitte-Studie 2023:<br /><ul><li> Friedrich-Ebert-Stiftung: <a href="https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023" target="_blank">Mitte Studie 2023</a></li><li>Universität Bielefeld: <a href="https://aktuell.uni-bielefeld.de/2023/09/21/mitte-studie-rechtsextreme-einstellungen-sind-weiter-in-die-mitte-gerueckt/" target="_blank">Rechsextreme Einstellungen sind mehr in die Mitte gerückt</a></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus-mitte-studie-rechtsextrem-weltbild-100.html" target="_blank">Immer mehr Rechtsextreme in Deutschland</a></li><li>Tagesschau: <a href="https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/rechtsextremismus-studie-100.html" target="_blank">Acht Prozent teilen rechtsextremes Weltbild</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mitte-Studien_der_Friedrich-Ebert-Stiftung" target="_blank">Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung</a> <br /></li></ul></li><li>ARD: <a href="https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/landtagswahl-bayern-hessen-erkenntnisse-100.html" target="_blank">Zwei Wahlen und fünf Botschaften an Berlin</a> <br /></li><li>ARD: <a href="https://www.tagesschau.de/inland/regional/hessen/hr-warum-so-viele-hessen-ihre-kreuze-bei-der-afd-machten-100.html" target="_blank">Landtagswahl 2023: Warum so viele Hessen die AFD wählten </a><br /></li><li>FAZ, 09.10.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/region-und-hessen/landtagswahl-hessen-das-erklaert-den-wahlerfolg-der-afd-19231794.html" target="_blank">Sechs Gründe für den Wahlerfolg der AFD</a></li><li>Hessenschau: <a href="https://www.hessenschau.de/politik/landtagswahl-2023-warum-so-viele-hessen-die-afd-waehlten-v1,afd-hochburgen-hessen-100.html" target="_blank">Warum so viele Hessen ihre Kreuze bei der AFD machten</a> <br /></li><li>Ergebnisse Landtagswahl Hessen 2023:<br /><ul><li><a href="https://votemanager-da.ekom21cdn.de/2023-10-08/06440000/praesentation/ergebnis.html?wahl_id=632&stimmentyp=0&id=ebene_-2_id_5#" target="_blank">Wetteraukreis Wahlkreis 26</a></li><li><a href="https://votemanager-da.ekom21cdn.de/2023-10-08/06440011/praesentation/index.html" target="_blank">Gemeinde Hirzenheim</a></li></ul></li><li> FAZ, 30.10.2018: <a href="https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/afd-bekommt-bei-hessen-wahl-viele-stimmen-in-hirzenhain-15863966.html" target="_blank">Das vergessene Dorf</a><br /></li><li>Aus
naheliegenden Gründen ist hier ein aktuelles Beispiel aus dem
politischen Alltag in Deutschland beschrieben (zur Zeit befinden wir uns
im Urlaub an der Ostsee), das sich ähnlich in Nachbarstaaten darstellt.
Seit etlichen Jahren ist bekannt, dass sich die Ostsee in keinem guten
Zustand befindet und weite Teile bereits als 'tote Gewässer' gelten. Die
<a href="https://www.spiegel.de/wissenschaft/ostsee-gefaehrdet-wie-kaum-ein-meer-koennte-sie-zum-modell-fuer-viele-andere-kuestenregionen-werden-a-73ee8346-8ad7-4a34-bd5e-53a32b369de8" target="_blank">Ostsee ist zur Jauchegrube verkommen</a>, überschreibt der Spiegel einen Artikel vom 15.07.2023. Gründe und Auswirkungen sind vielfältig: <ul><li>Klimawandel, Sauerstoffmangel, </li><li>Verschmutzung
durch Überdüngung landwirtschaftlicher Nutzflächen, intensive
landwirtschaftliche Tierzucht, Einleitungen von Schadstoffen aus
Flüssen, Kläranlagen, Industrieanlagen, </li><li>Überfischung,</li><li>Müll- und Munitionsbelastung sowie Lärmbelastung.</li></ul>Umweltschutzorganisationen
und Medien berichten seit Jahren über Auswirkungen. Anrainerstaaten
haben sich zum politischen Handeln verpflichtet. Was passiert? Nahezu
nichts oder auf jeden Fall viel zu wenig: <br /><ul><li>Deutschlandfunk, 23.07.2012: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/todeszonen-in-der-ostsee-100.html" target="_blank">Todeszonen in der Ostsee</a></li><li>Nabu, 19.06.2019: <a href="https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/meeresschutz/190730-nabu-fachgespraech-meeresschutzgebiete-7.pdf" target="_blank">Ökologischer Zustand der deutschen Ostsee</a> (PDF)</li><li>Greenpeace, Juli 2020: <a href="https://www.greenpeace.de/publikationen/20200707-greenpeace-report-zustand-nordsee-ostsee.pdf" target="_blank">Der Zustand von Nord- und Ostsee: Deutschlands Versagen, die Meere zu schützen</a><i> </i>(PDF)</li><li>SFR, 12.11.2022: <a href="https://www.srf.ch/news/international/tote-zonen-in-der-ostsee-das-sterbende-meer" target="_blank">Das sterbende Meer</a></li><li>Landesportal Schleswig-Holstein, 22.05.2023: <a href="https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/themen/kueste-wasser-meer/konsultationsprozess-ostsee/_documents/umweltzustandOstsee.html" target="_blank"><i>Umweltzustand der Ostsee</i></a></li><li>Bund, 20.06.2023: <a href="https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/oekosystem-ostsee-kippt/" target="_blank">Ökosystem Ostsee kippt</a></li><li> Umweltbundesamt, 19.07.2023: <a href="https://www.umweltbundesamt.de/daten/wasser/ostsee/naehrstoffeintraege-ueber-fluesse-direkteinleiter#zustandsbewertung-der-ostsee" target="_blank">Nährstoffeinträge über Flüsse und Direkteinleiter in die Ostsee</a></li><li>Tagesschau, 25.08.2023: <a href="https://www.tagesschau.de/wissen/klima/ostsee-verschmutzung-100.html" target="_blank">Ist die Ostsee noch zu retten?</a></li></ul>Im Landtag von Schleswig-Holstein signalisierte die Regierungspartei CDU zunächst Konsens zur Initiative der Einrichtung eines <i>Nationalparks Ostsee</i>.
Insbesondere landwirtschaftliche Betriebe bzw. Landwirte (ein typisches
Wählerpotential der CDU in SH) reagierten alarmiert und hetzten ihre
Lobby auf die Regierung mit dem Ergebnis, dass die Regierung mit
fadenscheinigen Argumenten zurückrudert:<br /><ul><li>taz, 15.09.2023: <a href="https://taz.de/Aus-fuer-geplanten-Nationalpark-Ostsee/!5960362/" target="_blank">Der CDU fehlt der Weitblick</a></li></ul>Die Situation verursacht eine Kombination von 3 sich wechselseitig verstärkenden Sachverhalten:<br /><ol><li>Individuelle und kollektive Nutzeninteressen dominieren, wenn sie nicht politisch eingehegt werden.</li><li>Politisches Einhegen widerspricht in dieser Situation parteipolitischen Machtinteressen und ist darum keine relevante Option.</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96ffentliches_Gut" target="_blank">Öffentliche Güter</a>
haben nur eine schwache Lobby, die sich gegen egoistische Interessen
nur schwer durchsetzen kann. (Problematiken öffentlicher bzw.
kollektiver Güter betrachtet Kapitel 9.7 des Posts <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank"><i>Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</i></a>)</li></ol>Wenn
sich Landwirte gegen Veränderungen wehren, die aus deren Sicht
existenzbedrohend sind, ist die Haltung nachvollziehbar. Das bedeutet
nicht. dass diese Haltung vernünftig ist. Wenn sich Surfer
gegen Umgestaltungen von Ostseeregionen zu einem Nationalpark wehren,
weil sie Einschränkungen ihrer Reviere nicht akzeptieren, finden Zweifel
an menschlicher Vernunft Nahrung.</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Katar#Politik">Katar.Politik</a> <br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Menschenrechte_in_Katar" target="_blank">Menschenrechte in Katar</a> <br /></li><li>Klage gegen LNG-Terminals:<br /><ul><li>taz, 05.05.2022: <a href="https://taz.de/Umweltschuetzer-gegen-LNG-Terminal/!5849200/" target="_blank">Habeck bittet um Verzicht auf Klage</a></li><li>Deutschlandfunk, 21.03.2023: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/lng-terminal-gas-energie-wasserstoff-100.html" target="_blank">Was kann LNG leisten?</a></li><li>NDR, 14.09.2023: <a href="https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/LNG-Terminal-auf-Ruegen-Erster-Leitungsabschnitt-wird-gebaut,lng884.html" target="_blank">LNG-Terminal auf Rügen: Erster Leitungsabschnitt wird gebaut</a></li><li>Tagesschau, 14.09.2023: <a href="https://www.tagesschau.de/inland/regional/mecklenburgvorpommern/lng-terminal-ruegen-bundesverwaltungsgericht-100.html" target="_blank">Kein Baustopp für Rügener LNG-Terminal</a> <br /></li><li>taz, 14.09.2023: <a href="https://taz.de/LNG-Terminal-auf-Ruegen/!5960294/" target="_blank">Gericht lehnt Baustopp-Antrag ab</a></li><li>Stolpe Rechtsanwälte, 14.09.2023: <a href="https://www.stolpe-rechtsanwaelte.de/id/4925688/Urteil33265/" target="_blank">Kein Baustopp für Rügener LNG-Terminal - Erster Abschnitt der Ostsee-Anbindungsleitung-Leitung darf weiter gebaut werden</a></li></ul></li><li>FAZ, 25.09.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auto-verkehr/abgasnorm-euro-7-entwarnung-fuer-die-autobranche-19197511.html" target="_blank">Abgasentwarnung für die Autobranche</a> <br /></li><li>FAZ, 26.09.2023: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/seite-eins/2023-09-26/ministerrat-senkt-normen-fuer-verbrenner/941857.html" target="_blank">Ministerrat senkt Normen für Verbrenner</a> <br /></li><li>FAZ, 26.09.2023: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/wirtschaft/2023-09-26/nein-zu-schaerferen-abgasnormen/941811.html" target="_blank">Nein zu schärferen Abgasnormen</a> <br /></li><li>ZEIT, 24.04.2019: <a href="https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-04/fortschritt-zukunft-progressivismus-konservatismus-ideologie/komplettansicht" target="_blank">Vorwärts, und nicht vergessen</a> <br /></li><li>FAZ, 17.04.2019: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/allensbach-umfrage-deutschen-ist-fortschritt-unheimlich-16145848.html" target="_blank">Den Deutschen ist der Fortschritt unheimlich</a> <br /></li><li>Medienberichte:<br /><ul><li>SZ, 25.10.2015: <a href="https://www.sueddeutsche.de/bayern/grenze-zu-oesterreich-hunderte-fluechtlinge-muessen-im-freien-uebernachten-1.2707239" target="_blank">Hunderte Flüchtlinge müssen im Freien übernachten</a></li><li>Tagesschau, 29.10.2022: <a href="https://www.tagesschau.de/ausland/europa/niederlande-fluechtlinge-103.html" target="_blank">Essen und Trinken auf nacktem Boden</a></li><li>JACOBIN, 09.05.2023: <a href="https://jacobin.de/artikel/die-eu-will-will-das-asylrecht-einschraenken-und-die-ampel-unterstuetzt-sie-dabei-nancy-faeser-ampel-asylreform-asylrecht-pushbacks-frontex-fluechtlingsgipfel-scholz-maximilian-pichl" target="_blank">Die EU will das Asylrecht einschränken - und die Ampel unterstützt sie dabei</a></li><li>Deutsches Institut für Menschenrechte, 07.06.2023: <a href="https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuelles/detail/eklatante-einschraenkung-des-fluechtlingsschutzes-in-europa-abwenden" target="_blank">Eklatante Einschränkungen des Flüchtlingsschutzes in Eurapa abwenden</a></li><li>Amnesty International: <a href="https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/eu-asylrechtsverschaerfungen-freibrief-fuer-menschenrechtsverletzungen" target="_blank">EU: Asylrechtverschärfungen sind Freibrief für Menschenrechtsverletzungen</a> <br /></li><li>taz, 11.06.2023: <a href="https://taz.de/Neue-Asylregelung/!5937359/" target="_blank">Neue Asylregelung - Die EU rückt nach rechts</a> <br /></li><li>taz, 17.06.2023: <a href="https://taz.de/Bedeutung-des-Asylkompromisses/!5938659/" target="_blank">Die Illusion der Kontrolle</a></li><li>Deutschlandfunk, 26.06.2023: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/eu-asylrechtsreform-flucht-migration-europa-100.html" target="_blank">So soll das europäische Asylverfahren verschärft werden</a></li><li>BPB, 14.07.2023: <a href="https://www.bpb.de/themen/migration-integration/monatsrueckblick/523136/migrationspolitik-juni-2023/" target="_blank">Migrantenpolitik - Juni 2023</a></li><li>KStA, 25.09.2023: <a href="https://www.ksta.de/koeln/koeln-unerlaubt-eingereiste-familie-muss-im-freien-uebernachten-652058" target="_blank">Unerlaubt eingereiste Familie musste im Freien schlafen</a></li></ul></li><li>FAZ, 27.09.2023: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/politik/2023-09-27/berliner-blockade/942193.html" target="_blank">Berlin blockiert den Krisenmechanismus</a> <br /></li><li>FAZ, 27.09.2023: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/politik/2023-09-27/zweifel-am-un-fluechtlingsrecht/942201.html" target="_blank">London will EU-Flüchtlingskonvention einschränken</a> <br /></li><li>FAZ, 27.09.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutschland-beendet-asylblockade-in-eu-machtwort-von-scholz-19204353.html" target="_blank">Machtwort von Scholz: Deutschland beendet Asylblockade in EU</a> <br /></li><li>Tagesschau: <a href="https://www.tagesschau.de/ausland/europa/asyl-positionierung-eu-100.html" target="_blank">EU einigt sich auf Aysl-Krisenverordnung</a> <br /></li><li>FAZ, 13.10.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutschlandtrend-ampel-auf-rekordtief-23-prozent-fuer-die-afd-19240195.html" target="_blank">Ampel auf Rekordtief – 23 Prozent für die AfD</a><br /></li><li>BTI Transformation Index: <a href="https://bti-project.org/de/reports/global/demokratie-report" target="_blank">Demokratie-Report</a></li><li>Die Migrantenproblematik betrachtet der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/grundfarbe-deutsch-individuelle.html" target="_blank">Grundfarbe Deutsch - individuelle Happiness - prekäres vs. lebenswertes Leben</a></i>.</li></ol><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>7 Grenzen von Weltanschauungen, </b><b>Kartierung der Konfliktlandschaft</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
Möglichkeit des dauerhaften Versagens von Fortschrittsideen westlicher
Kulturen wirft Fragen nach Alternativen auf. Global geraten seit einigen
Jahren demokratische Systeme durch autokratische Systeme und Strukturen
verstärkt unter Druck.(1)<br /><br />Kein politisches Staatsmodell ist
frei von Verteilungsdefiziten zwischen Reichtum und Armut sowie zwischen
Privilegien und Diskriminierung. Autoritäre autokratische Systeme
praktizieren mit China und Russland an der Spitze Alternativmodelle, die
jedoch noch krisenanfälliger sind als demokratische westliche Kulturen,
weil in despotischen Staaten Korruption, rechtsstaatliche Mängel und
Verteilungsdefizite aufgrund oligarchischer Strukturen systematisch in
politischer Programmatik installiert sind und sozialen Frieden
verhindern. Daher bildet das Modell autokratischer Staaten keine
relevante akzeptable Alternative und zwingt im Gegenteil Menschenmassen
zur Migration in demokratische Staaten mit besseren Lebensbedingungen.
Migrantenwellen erzeugen jedoch in beiden Staatsmodellen Krisen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>In
despotischen autokratischen Staaten blutet die Bildungsschicht aus.
Damit verlieren Staaten an Innovationsfähigkeit in der Gestaltung des
sozialen Wandels und in der Konkurrenz des globalen Wettbewerbs.</li><li>In Menschenrechten verpflichteten demokratischen Staaten bedroht die Aufnahme von Migranten politisches Gleichgewicht, weil </li><ul><li>die
Finanzierbarkeit sozialstaatlicher Benefits abnimmt und daher
Einsparungen erfordert, die breite Bevölkerungskreise betreffen,<br /></li><li>für breite Bevölkerungsschichten bezahlbarer knapper Wohnraum weiter verknappt wird, </li><li>mangelnde Integrationsfähigkeit und Integrationswilligkeit von Migranten soziale Konflikte erzeugen, </li><li>die soziale Integration von Migrantenströmen öffentliche Politik auf allen Ebenen überfordert.(2) <br /></li></ul></ul><b> </b> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>7.1 Dualistische Polarisierung vs. Triggerung von Konfliktfeldern (Steffen Mau)</b>(3,4) </div><div style="text-align: left;"><b> </b><br /></div><div style="text-align: left;"> (coming soon)<br /></div> <br /></div><div style="text-align: left;">--------------------------------------------------</div><b></b></div><div style="text-align: left;"><ol><li>BTI Transformation Index: <a href="https://bti-project.org/de/reports/global/demokratie-report" target="_blank">Demokratie-Report</a></li><li>Die Migrantenproblematik betrachtet der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/grundfarbe-deutsch-individuelle.html" target="_blank">Grundfarbe Deutsch - individuelle Happiness - prekäres vs. lebenswertes Leben</a></i>.</li><li>Das Kapitel bezieht sich auf die aktuelle Veröffentlichung von <a href="https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/makro/mitarbeiter/Prof_Mau" target="_blank">Steffen Mau</a>, <a href="https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/makro/mitarbeiter/Thomas-Lux" target="_blank">Thomas Lux</a>, <a href="https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/makro/mitarbeiter/dr-linus-westheuser" target="_blank">Linus Westheuser</a>: <a href="https://www.suhrkamp.de/buch/triggerpunkte-t-9783518029848" target="_blank">Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft</a></li><li>Grundgedanken von <i>Triggerpunkte</i> hat Steffen Mau 2022 in einem Aufsatz fomuliert: <i>Kamel oder Dromedar? Zur Diagnose der gesellschaftlichen Polarisierung. In: Merkur 76 (874), S. 5–18.</i> - Besprechung FAZ, 10.03.2022: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/unsere-gesellschaft-ist-konfliktreich-nicht-gespalten-17851588.html" target="_blank">Gesellschaftliche Spaltung: Eher Dromedar als Trampeltier</a> <br /></li></ol><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b><b>8 Fazit und Ausblick</b></div><div style="text-align: left;"><br /><i>Fortschritt</i> ist ein Begriff des Alltagsdenken, der inhaltlich auf überwiegend unbewussten, kulturell geprägten Wertvorstellungen und impliziten Konventionen beruht, die als objektive Fakten missverstanden werden. Auf der Handlungsebene kollektiver sozialer Akteure normiert der Begriff <i>Fortschritt</i> weltanschauliche Überzeugungen politischer und ökonomischer Art. Auf der Ebene individueller sozialer Akteure konnotieren kollektive Fortschrittsvorstellungen mit persönlichem Nutzen, der sich an kulturell geprägten persönlichen Lebenssituationen ausrichtet und mit relativ beliebigen Sachverhalten verknüpfbar ist.<br /><br />Kulturwissenschaftliche Ansätze der Gegenwart verstehen Fortschrittsvorstellungen als weltanschaulich geprägte Rechtfertigungs- und Deutungsmuster, die sozialen Systemen zur Existenz und zur Stabilisierung verhelfen. Dies gelingt durch Erzeugung kollektiver Wertvorstellungen sowie durch Übertragung konsensbasierter Wertvorstellungen auf Ausrichtungen individueller Handlungsoptionen. Als Weltanschauung wird <i>Fortschritt</i> zu einer vermeintlich empirischen Realität und Wissenschaft zum <i>Fortschritt</i> produzierenden Werkzeugkasten. Der Begriff <i>Fortschritt</i> beinhaltet jedoch keine wissenschaftlich belastbaren bzw. prüfbaren Sachverhalte. <br /><br />Lösungen globaler Krisen sind nur global denkbar. Aber wie können globale Lösungen zustandekommen, wenn sich nicht einmal an die Ostsee grenzende und mit Ausnahme von Russland politisch relativ vernünftige, kooperierende Staaten auf Lösungen bzw. Durchsetzung akuter Ostseeprobleme einigen können, die alle Anrainer betreffen?(1) Obwohl der Handlungsdruck hoch ist, deutet nichts darauf hin, dass in überschaubaren Zeiträumen verbindliche globale Vereinbarungen über grundlegende und nachhaltig wirksame globale Lösungen zu erwarten sind. Globale Lösungen verhindert nicht eine Majorität der Menschheit, sondern verhindern egoistische Interessen. Nur wenn es gelänge, Interessen von Machteliten einzuhegen, ohne die Welt in Chaos zu stürzen, wären globale Lösungen denkbar. Wie das gelingen könnte, ist nicht zu erkennen. Solange die Menschheit noch existiert, bleibt sie vermutlich in von ihr selbst verursachten Krisen gefangen. <br /><br />Betrachtungen des Fortschrittsparadigmas vertieft der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank">Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</a></i>.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">--------------------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Siehe Anmerkung 12 des Kapitels 4.5</li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>9 Änderungshistorie des Posts <br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">26.12.2023: Kapitel 4.2 Neu</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">13.10.2023: Kapitel 7: Neu eingerichtet mit ehemaligem Kapitel 6.3 <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 7.1: Als Platzhalter neu eingefügt, Ausformulierung folgt<br /></div><div style="text-align: left;"> Anpassung der Gliederung</div><div style="text-align: left;"> Änderung Titel und Überschriften </div><div style="text-align: left;"> Kapitel 6.2: Aufteilung in 2 Kapitel, Anmerkung 33 eingefügt </div><div style="text-align: left;">11.10.2023: Gliederung: Kapitel 6 umgestellt als Kapitel 4 <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 4.2: Neues Kapitel als Platzhalter neu eingefügt, Ausformulierung folgt</div><div style="text-align: left;"> Anpassung der Gliederung </div><div style="text-align: left;"> Einleitung: Überarbeitung</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 1: Ergänzung Verweis auf Rahel Jaeggi <br /></div><div style="text-align: left;">10.10.2023: Kapitel 5: Überarbeitung Gliederung, Ergäzungen Inhalte und Anmerkungen<br /></div>04.10.2023: Kapitel 5.1: Ergänzung aktueller politischer Entscheidungen <br /><div style="text-align: left;">01.10.2023: Einleitung: Überarbeitung <br /></div><div style="text-align: left;">30.09.2023: Einleitung: Überarbeitung <br /></div><div style="text-align: left;">29.09.2023: Einleitung: Neuformulierung<br /></div><div style="text-align: left;">29.09.2023: Kapitel 3: Anmerkung 3 eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;">29.09.2023: Kapitel 4.4: Anmerkung 7 eingefügt</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">29.09.2023: Kapitel 5.1: Ergänzung Mitte-Studie 2023 </div></div><div style="text-align: left;">27.09.2023: Kapitel 5.1: Ergänzung aktueller politischer Entscheidungen<br /></div><div style="text-align: left;">25.09.2023: Überarbeitung Einleitung und Korrekturen<br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 5.1: Änderungen und Ergänzung </div>21.09.2023: Kapitel 5.1: Ergänzungen zum Rückgang von Fortschrittsoptimismus inkl. Amerkungen 7 und 8<br /></div><div style="text-align: left;">19.09.2023: Kapitel 6: Ergänzung zum Einfluss von Großverlagen <br /></div><div style="text-align: left;">17.09.2023: Diverse formale Korrekturen<br /></div><div style="text-align: left;"> Überarbeitung Einleitung</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 4: Teilung in 3 Kapitel </div><div style="text-align: left;"> Korrektur und Änderung Anmerkungsordnung<br /> Kapitel 4.3: Ergänzung Sklaverei, Anmerkung 2 eingefügt<br /></div><div style="text-align: left;"> Ergänzung letzter Absatz<br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 5.1: Ergänzungen zu wirtschaftlich-politischen Verfilzungen </div><div style="text-align: left;">16.09.2023: Veröffentlichung der Urversion</div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-62098628527648495362023-08-27T08:45:01.150+02:002023-09-01T08:21:34.290+02:00Ringheiligtum Pömmelte reloaded (Update 1.09.2023)<div style="text-align: left;">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53146266008/in/album-72177720310774737/" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Ringheiligtum Pömmelte"><img alt="Ringheiligtum Pömmelte" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/53146266008_913bd6c7c0_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53146194485/in/album-72177720310774737/" title="Westlicher Zugang zum Ringheiligtum Pömmelte"><img alt="Westlicher Zugang zum Ringheiligtum Pömmelte" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/53146194485_ae4a3d8868_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53145764501/in/album-72177720310774737/" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;" title="Besucherzentrum Ringheiligtum Pömmelte"><img alt="Besucherzentrum Ringheiligtum Pömmelte" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/53145764501_e476f9750c_n.jpg" width="280" /></a>
</div>
<br /><div style="text-align: left;">
Fast 900 km Distanz bis zum Ziel auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/R%C3%BCgen" target="_blank">Rügen</a> teilen wir in 2 Etappen, was uns Zeit für Besichtigungen verschafft. Den Weg zur Insel Rügen unterbrechen wir auf ungefähr halber Strecke im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salzlandkreis" target="_blank">Salzlandkreis</a> in der Nähe der Kleinstadt <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6nebeck_(Elbe)" target="_blank">Schönebeck (Elbe)</a>, Ortsteil Zackmünde, am <a href="https://www.emuseum-himmelswege.de/dig-deeper/fundort-poemmelte" target="_blank"><i>Ringheiligtum Pömmelte</i></a>, das wir schon einmal im Sommer 2021 besucht haben <a href="https://flic.kr/s/aHBqjASy8c" target="_blank">Fotoserie</a>.(1) Die Übernachtung organisieren wir 36 km elbaufwärts unweit von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dessau-Ro%C3%9Flau" target="_blank">Dessau-Roßlau</a> im Hotel & Restaurant <a href="https://www.elbterrassen.de/" target="_blank">Elbterrassen zu Brambach</a> (<a href="https://flic.kr/s/aHBqjASAQs" target="_blank">Fotoserie</a>). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span>Glück haben wir heute mit fotofreundlichem Wetter. Unglücklicher als das Wetter geht der beabsichtigte Besuch des <a href="https://www.salzlandkreis.de/bildungkultur/salzlandmuseum/" target="_blank">Salzlandmuseums</a>
in Schönebeck aus, in dem Grabungsfunde der Anlage ausgestellt sind.(4)
2021 vereitelten die schmalen Zeitfenster des Museums einen Besuch.
Aktuell ist das Museum wegen Bauarbeiten auf unabsehbare Zeit
geschlossen. Da wir uns bereits vor der Anreise informiert haben, ist
unsere Enttäuschungen vor Ort bereits überwunden. Andere Sachverhalte beschäftigen uns länger.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Vor
2 Jahren waren Erkenntnisse aus Grabungen noch vorläufig und unsicher,
aber sie ließen bereits Deutungen als sakralen Ort zu und ermöglichten
eine spekulative Rekonstruktion der Anlage. Im September 2022 fanden
archäologische Grabungen und Untersuchungen
ihren Abschluss und konnten zuvor noch unsichere Erkenntnisse und
Vermutungen präzisieren. Über den letzten Stand der Kenntnis informieren
verlinkte Einträge des Portals <a href="https://www.archaeologie-online.de/" target="_blank">Archäologie Online</a>.(2,3) Trotzdem begegnen uns auf der Anlage mehr Fragen als Antworten. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /><br /></div></div><div style="text-align: left;"><b>1 Betrachtung des <i>Ringheiligtums Pömmelte</i> aus politischer Perspektive</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Rekonstruktion der historischen sakralen Anlage beruht zwar auf wissenschaftlichen archäologischen Erkenntnissen, aber sie dient vor allem der Förderung des Tourismus im Interesse der strukturellen Förderung dieser besonders strukturschwachen Region.(5) Ob diese Förderung erfolgreich gelungen ist oder erst noch Hürden überwinden muss, ist eine diskutierbare Frage. <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>2021 trafen wir um 9:00 Uhr an der Anlage ein und waren die einzigen Besucher. Bis 10:00 Uhr erschienen 2 weitere Besucher. Die Besucher-Infrastruktur war 2021 bescheiden und beschränkte sich auf einen Parkplatz mit Toilettencontainer, der jedoch wegen Störungen verschlossen war.</li><li>Im Mai 2023 hat endlich ein architektonisch gelungenes und sich harmonisch in die Umgebung einfügendes <a href="https://www.mz.de/panorama/lehmbau-neues-besucherzentrum-am-ringheiligtum-pommelte-3602768" target="_blank">Besucher-Informationszentrum</a> eröffnet.(6,7) Das mit Stampflehm verkleidete Mauerwerk und die flache Gestalt des Gebäudes orientieren sich an Langhäusern, die Kulturen im Zeitraum des Übergangs von der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jungsteinzeit" target="_blank">Jungsteinzeit</a> zur <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fr%C3%BChe_Bronzezeit" target="_blank">Bronzezeit</a> im Umfeld der Anlage als Wohnhäuser errichtet hatten. Im Besucherzentrum stehen 2 Mitarbeiter für Auskünfte und den Verkauf ausliegender Schriften und Souvenirs bereit. Das gastronomische Angebot ist ausbaufähig. Außer Kaffee und Kaltgetränken können Besucher lediglich Plätzchen einer Sorte erwerben, die uns nicht reizt. Wir bevorzugen unsere zu Hause eingepackten Pausenbrote. </li><li>Obwohl Medien regelmäßig über Neuigkeiten hier stattfindender
Forschungen berichten, der Zugang kostenfrei ist, ein Besucherzentrum
über die Anlage informiert, regelmäßig Führungen angeboten werden, u.a. heute um 14:00 Uhr, treffen wir beim heutigen Besuch im Zeitraum unseres Aufenthaltes von 13:30 Uhr bis 14:30 Uhr am <i>Ringheiligtum Pömmelte</i> auf nicht mehr ca. 20 Besucher, von denen 8 an der Führung teilnehmen. <br />Laut DPA-Information wurden über ca. 6 Jahre von 2017 bis 2022 an der
Anlage 200.000 Besucher gezählt.(8) Wie die Zählung erfolgt, wissen wir
nicht. Bei beiden Besuchen ist keine Zählung erkennbar. Rein rechnerisch
besuchen pro Tag durchschnittlich ca. 95 Personen den Komplex. Über die Frage, ob die
Zahl von 95 Besuchern groß oder klein bzw. als Erfolg oder Misserfolg zu werten ist, sind unterschiedliche Auffassung möglich.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Wir vertreten die Ansicht, dass diese
Anlage nach wir vor nur wenig breiteres öffentliches Interesse findet. Wie breites öffentliches Interesse ausschauen kann, zeigen Besucherzahlen des Kölner Rosenmontagsumzugs, die 2023 mit 1,5 Millionen
Besucher geschätzt wurden.(9) Die wirtschaftliche Bedeutung des Karnevals ist groß und nirgendwo so groß wie in Köln.(10) Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ist die
kulturhistorische Bedeutung des Karnevals sicherlich deutlich
kleiner als das eher mit Museen vergleichbare <i>Ringheiligtum Pömmelte</i>. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Über Aspekte politisch gewollter Wirtschaftsförderung von Regionen
hinaus lenkt der Besuch der Anlage den Blick auf neurobiologische
Mechanismen und ihre soziologischen Ausprägungen. </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2 Denkmuster und Verhaltensweisen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Karneval und das <i>Ringheiligtum Pömmelte</i> sind als Sachverhalte nicht wirklich vergleichbar, weil Wertsysteme der kulturellen Sphären und mit ihnen verknüpfte affektive Verhaltensmuster inkommensurabel sind. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Traditionen und Riten des Karnevals sprechen instinktives emotionales Verhalten an, das ähnlich wie Sex von unstrukturiert-impulsartigen emotionalen Bedürfnissen erzeugt wird. Weil diese Art des Verhaltens genetisch angelegt ist und individuell nur unvollständig rational kontrollierbar ist, kann es zugunsten ökonomischer Interessen Dritter genutzt bzw. missbraucht werden. </li><li>Museen sprechen per Bildung erworbenes, kognitiv verankertes kulturelles Interesse an, das auf der affektiven Ebene von neurobiologischen
Mechanismen der Ordnungsstiftung reguliert wird.(11)</li></ul></div><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.1 Erklärungen aus neurobiologischer Perspektive</b></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der zuvor genannte Zahlenvergleich verweist hinsichtlich der Verhaltenssteuerung höherer Arten in komplexen Umgebungen auf distinktive Wert- und Belohnungssysteme, die in 2 Grundtypen eingeordnet werden können:</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Emotionale Bedürfnisse gehören zur instinktiven Grundausstattung aller höheren Lebewesen. Daher müssen Emotionen im Unterschied zur emotionalen Kontrolle nicht erst in der individuellen Sozialisation mühsam gelernt werden. </li><li>Mentale Ordnungsstrukturen kommen auf verschiedenen Wegen zustande:<br /><ol><li>Neurobiologische Mechanismen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung</a> und der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a> sind genetisch angelegt und arbeiten bei allen Menschen gleichartig, solange keine pathologischen Störungen auftreten. <br />In Anbetracht der meistens unüberschaubaren Menge von Einflussfaktoren der Umwelt und unvollständiger Informationen über Ursachen und Zusammenhänge sind unter zeitlichen Restriktionen keine perfekten Entscheidungen möglich. Als <i><a href="https://gedankenwelt.de/heuristik-und-kognitive-verzerrung-wenn-wir-annehmen-dass-wir-keine-fehler-machen/" target="_blank">kognitive Verzerrungen</a></i> bezeichnete systematische Verzerrungen der Wahrnehmung stellen zwar 'Denkfallen', aber diese bewirken als routinisierte Heuristiken, dass Wahrnehmung, Denken, Urteilen effizient bzw. nicht perfekt stattfindet. Diese Mechanismen verhelfen zu Handlungsfähigkeit und evozieren Fehlurteile.(12) <br /></li><li>Kulturell entwickelte und in der individuellen Sozialisation erlernte Ordnungsmuster schalten neurobiologischen Mechanismen der Ordnungsbildung nicht aus, aber sie modifizieren neurobiologisch erzeugte Ordnungsmuster auf zwei Arten:</li><ol><li>unbewusst in Form von <a href="https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/vorurteile-271/9680/was-sind-vorurteile/" target="_blank">Vorurteilen</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotypen</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Habitus_(Soziologie)" target="_blank">Habitus</a>, <br /></li><li> bewusst in Form rationaler Bewertungen.<br /></li></ol></ol></li></ol><div style="text-align: left;">Deutungen archäologischer Entdeckungen am Fundort zählen zum Typ 2.2.2 mentaler Ordnungsmuster. Wissenschaftlich sind diese Entdeckungen als Sensation einzuordnen, deren Bedeutung weit über die Region hinausreicht. Pömmelte und ähnliche Orte bereichern Erkenntnisse über früheuropäische Kulturen und über evolutionäre kulturelle Prozesse, aus denen unsere eigene Kultur mit allen Stärken und Schwächen hervorgeht. Um zu leben, muss man jedoch keine kulturelle Vorgeschichte kennen und benötigt
kein bewusstes Wissen über kulturelle Strukturen, Prozesse, Kontexte,
aber um unsere Lebenswelt zu verstehen und sie erfolgreich zu gestalten,
sollten wir uns um bewusstes Wissen bemühen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Abgesehen von medial gehypten besonderen Orten und Events reichen rationale Bewertungen von Experten nicht aus, um möglichst zahlreiche Menschen in Museen und zum <i>Ringheiligtum Pömmelte</i> zu locken. Erst per Bildung erworbene individuelle Expertise vermag Menschen für kulturelle Sachverhalte oder Artefakte zu interessieren oder sogar zu begeistern. Expertise und Skills aktivieren in Kontexten dieser Art das Belohnungssystem des Typs 1. Ohne Expertise bleibt das Belohnungssystem des Typs 1 stumm, weil das Ordnungsmuster des Typs 2.2.1 Irrelevanz signalisiert.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><i>Was nichts kostet, hat keinen Wert</i>, ist eines von vielen Vorurteilen, das sich hier als solches bestätigt. Offensichtlich legen viele oder die meisten Menschen auf Expertenwissen weniger Wert als auf kurzfristiges emotionales Vergnügen. Wenn sie geringes Interesse an Expertenwissen mit Aussagen wie <i>keine Zeit, zu kompliziert, zu weit weg, zu alltagsfern</i> <i>etc.</i> rechtfertigen, verweigern sie sich kritischem Denken über kulturelle Kontexte jedoch nicht bewusst, sondern sie vermögen Expertenwissen nicht einzuordnen, weil sie sich bevorzugt an verbreiteten Denkmustern orientieren und wissenschaftliches Denken dem Mainstream fremd ist. Da Fachwissen und besondere Skills davon unberührte individuelle Selbstbilder infrage stellen oder beschädigen können, werden Fachwissen und besondere Skills als für die Lebenspraxis irrelevant immunisiert. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Stattdessen bevorzugen Menschen überwiegend Denk- und Verhaltensmuster, die eigene Erwartungen und Wertvorstellungen treffen bzw. bestätigen und emotionale Belohnungen ohne Umwege über den Verstand unmittelbar verschaffen.(13) Diese genetisch codierten Denk- und Verhaltensmuster erzeugen Präferenzen für Teilnahmen am kulturellen Mainstream sowie für den Konsum von Produkten industrieller Vergnügungskultur. Kritisches Denken bleibt einer Minderheit überlassen, die Anstrengungen des Denkens weniger scheut und vermeintlich unverständliche Ergebnisse produziert. Dass sich das allgemeine Bildungsniveau kurzfristig verbessern wird, ist eher nicht zu erwarten.(14) <br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.2 </b><b>Erklärungen aus </b><b>soziologischer Perspektive</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Aus divergierenden Wertsystemen leiteten sich offensichtlich unterschiedliche Prioritäten und Verhaltensmuster von Menschen ab. Wer soziologische Erklärungen für diese Sachverhalte sucht, findet sie beim Soziologen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> (1930 - 2002), der unterschiedliches Denken und Verhalten von Menschen mit unterschiedlichen Kapitalausstattungen begründet (wobei hier das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturelles_Kapital" target="_blank">kulturelle Kapital bzw. Bildungskapital</a> von primärer Bedeutung ist), deren Verteilung Mechanismen soziostruktureller Machtverhältnisse regeln.(15) </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3 Fazit </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die vermutete implizite Annahme politischer Entscheider, dass Mittel ökonomischen Kapitals kulturelle Wertschöpfung ermöglichen und diese wirtschaftlichen Nutzen erzeugt, ist prinzipiell nicht zu beanstanden. Zu vermuten ist jedoch auch, dass Bedingungskonstellationen dieser Annahme bei gleichzeitig konstantem oder eher abnehmendem Bildungsniveau und wahrscheinlich überschätztem Bildungskapital nicht hinreichend berücksichtigt sind. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Um diese Vermutung zu verfizieren, wären wissenschaftlich kontrollierte empirische Untersuchungen notwendig. Der Verzicht auf empirische Untersuchungen ist nachvollziehbar, weil sie Zeit und Geld kosten und politisch unerwünschte Ergebnisse erzeugen könnten. Hemdsärmelige politische Entscheidungen sind populärer und nehmen Irrtümer wissentlich in Kauf.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4 Übernachtung in Brambach an der Mittelelbe</b> - <a href="https://flic.kr/s/aHBqjASBo7" target="_blank">Fotoserie Dinner</a></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53145831649/in/album-72177720310783858/" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;" title="Gästehaus und Hotel Elbterrassen Brambach"><img alt="Gästehaus und Hotel Elbterrassen Brambach" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/53145831649_4268f78dbc_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53145037367/in/album-72177720310783858/" title="Elbblick vom Gästehaus Elbterrassen Brambach"><img alt="Elbblick vom Gästehaus Elbterrassen Brambach" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/53145037367_dc5f22fe41_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/53146058235/in/album-72177720310785694/" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Hotel & Restaurant Elbterrassen Brambach"><img alt="Hotel & Restaurant Elbterrassen Brambach" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/53146058235_c08533ef15_n.jpg" width="280" /></a>
</div>
<div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das Hotel & Restaurant <a href="https://www.elbterrassen.de/" target="_blank">Elbterrassen zu Brambach</a> liegt am Ende einer Stichstraße der kleinen Ortschaft <a href="https://www.wikiwand.com/de/Brambach_(Dessau-Ro%C3%9Flau)" target="_blank">Brambach</a> am Hang des Elbtals und grenzt unmittelbar an das <a href="https://www.mittelelbe.com/" target="_blank">UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe</a>.(16) Das Reservat bietet zahlreichen bedrohten Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum.(17)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unser Zimmer befindet sich im Neubau des benachbarten Gästehaus. Das klimatisierbare geräumige Zimmer ist zum Preis von 90 €/Nacht inkl. Frühstück nicht luxuriös, aber komfortabel eingerichtet und verfügt über einen Balkon mit Blick auf das Elbtal. Vor 2 Jahren haben wir vom Balkon des Zimmers mehrere Biber am Ufer der Elbe beobachten können. Aus diesem Grund führen wir in diesem Jahr ein Fernglas und ein Telezoom mit, allerdings vergeblich. Immerhin sehen wir in einiger Entfernung Adler kreisen, für Fotos jedoch zu weit entfernt. Unterhalb des Gästehauses verkehrt zwischen beiden Elbufern die insbesondere von Radfahrern genutzte <a href="https://www.elberadweg.de/Faehre/faehre-brambach/" target="_blank">Personenfähre Brambach</a>. Die Fährverbindung ist eine private Dienstleistung des Hotels ohne Beförderungspflicht.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Das Abendessen nehmen wir auf der Außenterrasse des Restaurants ein. Portionen der Gerichte sind so dimensioniert, dass für eine Vorspeise kein Platz ist, aber eine <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soljanka" target="_blank">Soljanka</a> muss einfach sein und schmeckt auch gut. Die beiden Hauptgerichte fallen steigerungsfähig aus. Zufriedener als das Abendessen stimmt die reichhaltige Auswahl des Frühstücks, zu dem guter Kaffee gereicht wird. Wir nehmen uns vor, den nächsten Aufenthalt auszudehnen, um in der Umgebung unsere Erinnerungen an das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dessau-W%C3%B6rlitzer_Gartenreich" target="_blank">Gartenreich Dessau-Wörlitz</a> und an die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lutherstadt_Wittenberg" target="_blank">Lutherstadt Wittenberg</a> aufzufrischen. Vielleicht besuchen wir sogar das Salzlandmuseum, wenn nicht neue Gründe den Besuch vereiteln. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>Anmerkungen</b></div><ol style="text-align: left;"><li>Basisinformationen zur Anlage und zu den Ausgraben enthält das letzte Kapitel des Posts <i><a href="https://raumzeitde.blogspot.com/2021/08/himmelswege-in-sachsen-anhalt.html" target="_blank">Himmelswege in Sachen-Anhalt: Dolmengöttin Langeneichstädt - Himmelsscheibe von Nebra - Ringheiligtum Pömmelte</a></i> vom 21.09.2021 <br /></li><li>Neue Einträge im Portal Archäologie online:<br /><ul><li>14.09.2020: <a href="https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/neue-erkenntnisse-zur-sakrallandschaft-zwischen-den-ringheiligtuemern-poemmelte-und-schoenebeck-4751/" target="_blank">Neue Erkenntnisse zur Sakrallandschaft zwischen den Ringheiligtümern Pömmelte und Schönebeck</a></li><li>23.05.2021: <a href="https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/beginn-der-diesjaehrigen-ausgrabung-am-ringheiligtum-poemmelte-4999/" target="_blank">Beginn der diesjährigen Ausgrabungen am Ringheiligtum Pömmelte</a></li><li>26.08.2022: <a href="https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/erste-bilanz-zum-abschluss-der-grabungsarbeiten-am-ringheiligtum-poemmelte-5384/" target="_blank">Erste Bilanz zum Abschluss der Grabungsarbeiten am Ringheiligtum Pömmelte</a></li></ul></li><li>Deutschlandfunk: <br /><ul><li>20.12.2022: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/paganes-ringheiligtum-poemmelte-das-stonehenge-von-sachsen-100.html" target="_blank">Das Stonehenge von Sachsen-Anhalt</a></li><li>24.08.2022: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/graeberstrasse-am-ringheiligtum-poemmelte-entdeckt-100.html" target="_blank">"Gräberstraße" am Ringheiligtum Pömmelte entdeckt </a></li></ul></li><li>Salzlandmuseum: <a href="https://www.salzlandkreis.de/bildungkultur/salzlandmuseum/dauerausstellung/" target="_blank">Dauerausstellungen</a> <br /></li><li>Quellen zu strukturschwachen Regionen in Deutschland:<br /><ul><li>Spiegel 8.08.2019: <a href="https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutschland-diese-regionen-sind-besonders-strukturschwach-a-1280991.html" target="_blank">Diese Regionen sind besonders strukturschwach</a></li><li>IW-Regionalstudie 2019: <a href="https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Externe_Studien/2019/IW-Regionalstudie_2019.pdf" target="_blank">Die Zukunft der Regionen in Deutschland - Zwischen Vielfalt und Gleichwertigkeit</a> (PDF, 292 Seiten)</li><li>Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI: <a href="https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/ccp/unternehmen-region/2019/ap_r1_2019.pdf" target="_blank">Innovationsbasierter regionaler Strukturwandel – Strukturschwache Regionen in Deutschland</a> (PDF, 29 Seiten)</li></ul></li><li>Architektenkammer Sachsen-Anhalt: <a href="https://www.ak-lsa.de/objekt/touristeninformationszentrum-am-ringheiligtum-poemmelte-barby-elbe-ot-zackmuende/?privacy=updated" target="_blank">Touristeninformationszentrum am Ringheiligtum Pömmelte, Barby (Elbe) OT Zackmünde</a></li><li>SZ 5.05.2023: <a href="https://www.sueddeutsche.de/wissen/archaeologie-poemmelte-lehmbau-neues-besucherzentrum-am-ringheiligtum-poemmelte-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230505-99-567481" target="_blank">Lehmbau: Neues Besucherzentrum am Ringheiligtum Pömmelte </a><br /></li><li>ZEIT 15.10.2022: <a href="https://www.zeit.de/news/2022-10/15/bislang-rund-200-000-besucher-im-ringheiligtum-poemmelte" target="_blank">Bislang 200.000 Besucher im Ringheiligtum Pömmelte</a> <br /></li><li>Statista: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/676743/umfrage/teilnehmer-am-rosenmontagsumzug-in-deutschland-nach-staedten/" target="_blank">Geschätzte Anzahl der Besucher bei den Umzügen am Rosenmontag in Deutschland in ausgewählten Städten im Jahr 2023</a> <br /></li><li>FAZ 20.02.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schneller-schlau/karneval-wie-das-fest-der-wirtschaft-milliarden-bringt-18686284.html" target="_blank">Das Milliardengeschäft mit dem Karneval</a> <br /></li><li>Neurobiologische wissenschaftliche Konzepte nehmen an, dass höhere Formen des Lebens evolutionär ein Kohärenzsystem entwickelt haben, das mentale Ordnungsstrukturen erzeugt.
Kohärenzsysteme ordnen Sinneswahrnehmung hinsichtlich Verstehbarkeit,
Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit mittels <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>. (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Rainer_M._Holm-Hadulla" target="_blank">Rainer M. Holm-Hadulla</a>: <i><a href="https://www.researchgate.net/publication/343921531_Neuro-Biologie_der_Kreativitat_Strukturaufbau_und_Strukturabbau" target="_blank">(Neuro-)Biologie der Kreativität: Strukturaufbau und Strukturabbau</a></i>) <br /></li><li>Artikel zu <i>kognitive Verzerrungen</i>:<br /><ul><li> Forum für kritisches Denken: <a href="https://www.skeptiker.ch/themen/kognitive-verzerrungen/" target="_blank">Wie unzuverlässig wir denken: Kognitive Verzerrungen</a></li></ul><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Verzerrung" target="_blank">Kognitive Verzerrung</a><br /></li></ul></li><li>In der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitionspsychologie" target="_blank">Kognitionspsychologie</a> wird dieses Denkmuster als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Best%C3%A4tigungsfehler" target="_blank">Bestätigungsfehler</a></i> (engl. <i>confirmation bias</i>) bezeichnet. Dieser <i>Bestätigungsfehler </i>ist wahrscheinlich ursächlich an zahlreichen <i>kognitiven Verzerrungen</i> beteiligt (Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/news/kognitive-verzerrungen-viele-denkfehler-folgen-demselben-prinzip/2135787" target="_blank">Viele Denkfehler folgen demselben Prinzip</a>). <br /></li><li>Quellen zur Bildungsmisere in Schulen der deutschen Bundesländer: <br /><ul><li>Der ifo Bildungsbaromoter 2023 zeigt eine deutliche Verschlechterung der Bewertung von Schulen: <a href="https://www.ifo.de/fakten/2023-08-30/ifo-bildungsbarometer-2023" target="_blank">Was die Deutschen über die Qualität der Schulen denken</a></li><li>Der <a href="https://www.insm-bildungsmonitor.de/" target="_blank">INSM Bildungsmonitor 2023</a> bestätigt diese Entwicklung. </li><li>Die Zeitschrift Focus kommentiert am 30.08.2023: <i><a href="https://www.focus.de/familie/familie_schule/grosser-bundeslaender-vergleich-bildungsniveau-in-deutschland-dramatisch-verschlechtert_id_203232170.html" target="_blank">Bildungsniveau "dramatisch verschlechtert"</a></i><br /></li></ul></li><li>Bourdieus Erklärungskonzept betrachtet der Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitas und Doxa - Machteliten und Machtstrukturen</a><br /></li><li>Biosphärenreservat Mittelelbe: <a href="https://www.mittelelbe.com/fileadmin/user_upload/2_besucherinfos/Infomaterial/PDFs/Biores_Mittelelbe_Karte_I6_klein.pdf" target="_blank">Touristische Karte</a> </li><li>Biosphärenreservat Mittelelbe: <a href="https://www.mittelelbe.com/biospaerenreservat/natur/" target="_blank">Natur</a> <br /></li></ol></div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-29942499459509498882023-06-21T16:46:00.018+02:002024-01-22T18:03:04.784+01:00Biografische und historische Narrative auf dem Prüfstand (Update: 04.09.2023)<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/52913165906/in/album-72177720305268911/" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Buchvover Die Unterwerfung der Welt"><img alt="Buchcover Die Unterwerfung der Welt" height="320" src="https://live.staticflickr.com/65535/52913165906_e004e406c5_n.jpg" width="210" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/52913166266/in/album-72177720305268911/" title="Buchvover Die Verwandlung der Welt"><img alt="Buchcover Die Verwandlung der Welt" height="320" src="https://live.staticflickr.com/65535/52913166266_edd685bced_n.jpg" width="201" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/52913553290/in/album-72177720305268911/" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Buchcover die-seltsamsten-menschen-der-welt"><img alt="Buchcover die-seltsamsten-menschen-der-welt" height="320" src="https://live.staticflickr.com/65535/52913553290_b782d55732_n.jpg" width="201" /></a>
</div><p>
</p><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Biografische Narrative versteht dieser Post als eine Teilmenge historischer Narrative. Biografien im Sinne chronologisch geordneter Abfolgen von Ereignissen
und Entscheidungen einer erzählten Lebensgeschichte beschreiben
individuelles Leben als einen ganzheitlichen kohärenten Zusammenhang. Biografische Deutungsmuster bestehen aus einem kaum oder nur schwer zu duchdringendem Konglomerat, das an anderer Stelle ausführlicher betrachtet wird.(1) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wie
jede Art von Geschichte beruht auch Familiengeschichte auf ex post
konstruierten Erzählungen über eine Realität, die sich unter
vermeintlichen Einflüssen einer materiellen Umgebung in soziale,
politische, kulturelle Sphären gliedert, deren interagierende Prozesse
temporäre Zustände scheinbar kausal erzeugen. Ex post konstruierte Erzählungen bestehen aus systematisch
geordneten Granulaten von Erinnerungen vermeintlich kausal erzeugter Prozesse, Ereignisse, Zustände, die narrativ zu evidenten Sinnzusammenhängen verknüpft werden. Empirische Sachverhalte sind zweifellos real. Deutungen von Ereignissen und Zusammenhängen zwischen Ereignissen sind jedoch keineswegs evident. Deutungen beruhen auf Kulturmustern, die emprirische Phänomen mit kulturell gefärbter selbsterklärender Relevanz beschreiben. Kritisch betrachtet ist die Gültigkeit kultureller Deutungsmuster prinzipiell fragwürdig. Aus dieser Perspektive betrachtet der Post skizzierte Problemfelder philosophisch-erkenntnistheoretischer und kulturspezifischer Art mit Skepsis. </div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1. Wahrnehmung und Erkenntnis </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine kritische analytische Betrachtung von Prozessen der Wahrnehmung und Erkenntnis macht bewusst, dass<br /></div><ul style="text-align: left;"><li style="text-align: left;">Prozesse der Realität weitgehend kontingent oder chaotisch ablaufen und interagieren,</li><li style="text-align: left;">lineare Kausalität eher ein Randphänomen darstellt, </li><li style="text-align: left;">erst die
evolutionäre Entwicklung von Bewusstsein Leben komplexer
biologischer Systeme in komplexer Realität ermöglicht,<br /></li><li style="text-align: left;">vermeintliche Ordnungen empirischer und abstrakter Phänomene aus gedanklich konstruierten Mustern bestehen,</li><li style="text-align: left;">Deutungsmuster bestenfalls Annäherungen einer Realität beschreiben, die aber letztlich unverstanden bleibt.</li></ul><div style="text-align: left;">Ob
gedachte Ordnung real existieren oder nur als real existent angenommen
werden, ist nicht entscheidbar. Offensichtlich ist jedoch, dass </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>über Bewusstsein verfügende Lebewesen Ordnungen mental konstruieren, um in einer komplexen und chaotischen Welt leben zu können,</li><li>erfolgreiche Deutungsmuster biologischer Systeme keine Beweise für Annahmen von Realität ersetzen, <br /></li><li>gegen jedes Ordnungskonstrukt Vorbehalte möglich sind. <br /></li></ul></div>Detailliertere Betrachtungen von Fragestellungen zu Bewusstsein, Wahrnehmung und Erkenntnis beschreiben mehrere Posts, auf die hier verwiesen sei.(2) </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2. Kulturabhängigkeit von Wahrnehmung und Erkenntnis </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Ab dem 15. Jahrhundert verwandelte die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäische Expansion</a>
die Welt und trägt aus Sicht westlicher Kulturen vermeintlich
Fortschritt und Zivilisation in Regionen der Welt die aus europäischer Perspektive als rückständig und daher als entwicklungsbedürftig gelten. Die Verbreitung von Nutzen und
Fortschritt europäischer Prägung geht mit Begleitschäden einher, die je nach Perspektive als vermeidbar oder unvermeidbar bewertet werden und dementsprechen als
in Kauf zu nehmen, entschuldbar, akzeptabel, bedauerlich, verwerflich, unverantwortlich oder sträflich beurteilt oder verurteilt werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit Wachstums- und Fortschrittsparadigmen entstehen optimistische Weltsichten, die Kontrollierbarkeit oder zumindest Limitierbarkeit kultureller Prozesse und ihrer Auswirkungen behaupten. Zugleich entstehen antagonistische pessimistische Weltsichten, die annehmen, dass von menschlicher Kultur bewirkte Prozesse inzwischen Schwellen der Kontrollierbarkeit überschritten und eine Eigendynamik entwickelt haben, die nur noch marginal beeinflussbar ist. <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Pauschalaussagen zugunsten der einen oder anderen Richtung verfehlen die Problematik. Verläufe von Grenzen zwischen kontrollierbaren und unkontrollierbaren Entwicklungen variieren zwischen Prozessen und können nur spezifisch bewertet werden.(3) Diese diffuse Lage macht nachvollziehbar, dass zahlreiche Kulturen aus diesen seit mehreren Jahrhunderten beschleunigenden Entwicklungen zwar
nützliche westliche Innovationen übernehmen, sich aber gegen
eine pauschale Verwestlichung wehren und westliche Denk- und
Verhaltensmuster zugunsten mit höherer
Wertschätzung betrachteter eigener kulturelle Tradition ablehnen. Allerdings ist dabei auch zu berücksichtigen, dass im kollektiven Gedächtnis wurzelnde traditionelle Verhaltensmuster sich nur langsam verändern. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ethnozentrismus&oldid=168511930" target="_blank">Ethnozentristische</a> Voreingenommenheit ist kein Problem westlichen Denkens, sondern ein in allen Kulturen anzutreffendes Phänomen. Durch europäische Kultur geprägte Denkmuster werden <a href="https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Eurozentrismus&oldid=166469543" target="_blank">Eurozentrismus</a> genannt. In anderen Kulturräumen bestehen vergleichbare kulturell geprägte Denkmuster. Die eigentliche Problematik besteht in dem Sachverhalt, dass </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>im Alltagsdenken kulturelle Prägungen von Denkmustern nicht bewusst werden und daher kulturspezifische Denkmuster als universelle Denkmuster missverstanden werden,</li><li>eurozentrische Denkmuster Dominanz enfalten konnten, weil sie sich als scheinbar überlegen erfolgreich durchgesetzt haben,</li><li>eurozentrische Denkmuster vermeintlich eine Dynamik kulturellen Fortschritts antreiben.(4)</li></ul></div><div style="text-align: left;">Eine Gruppe Geisteswissenschaftler um den psychologisch ausgerichteten Anthropologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Henrich" target="_blank">Joseph Henrich</a> hat in einer einflussreichen Veröffentlichung 2010 den Begriff <a href="https://www.wikiwand.com/de/WEIRD" target="_blank"><i>WEIRD</i></a> für westliches Denken geprägt.(5) <i>WEIRD</i> ist ein englisches Akronym für <i><u>w</u>estern</i> (westlich), <i><u>e</u>ducated</i> (gebildet), <i><u>i</u>ndustrialized</i> (industrialisiert), <i><u>r</u>ich</i> (wohlhabend, reich) und <i><u>d</u>emocratic</i> (demokratisch) und zugleich ein Wortspiel. Im Englischen bedeutet <i>weird</i>
seltsam, sonderbar, merkwürdig. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ca. 12 % aller Menschen leben in westlichen Industrieländern. Eine
Mehrheit aller wissenschaftlichen Studien verantworten jedoch Wissenschaftler aus <i>WEIRD</i>-Ländern. Probanden von Studien sind ebenfalls in <i>WEIRD</i>-Ländern sozialisiert. 2008 stammten in Psychologiestudien 96 % der Teilnehmer aus Industrieländern.
Als Ethnologen haben Henrich et al. aufgrund
empirischer Studien erkannt, dass einerseits westliche
Verhaltensmuster, Werte und Normen in weiten Teilen der Welt als
seltsam, sonderbar, unverständlich gelten und andererseits die meisten
Menschen nicht <i>WEIRD</i> sind. Da wissenschaftliche Studien zu Kontexten menschlichen Verhaltens überwiegend von <i>WEIRD</i> people produziert werden, sind Ergebnisse dieser Studien mehr oder weniger extrem <i>WEIRD</i> bzw. <a href="https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Eurozentrismus&oldid=166469543" target="_blank">eurozentristisch</a>
verzerrt.(6) Im Ergebnis zeigen die Untersuchungen, dass Untersuchungen
kulturell variable Aspekte mit universalen Aspekten vermengen, daher
kulturell geprägte menschliche Vielfalt übersehen und zum Teil variable
Aspekte fälschlicherweise als universelle Aspekte identifizieren. Joseph
Henrich hat mit einer Studiengruppe diese Sachverhalte und ihre
Auswirkungen untersucht und Ergebnisse der Untersuchungen in einem Buch
veröffentlicht, auf das sich dieser Beschreibung bezieht.(7,8) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Von Henrich et al. beschriebene Sachverhalte bestätigt der Schweizer Historiker, Philosoph, Ethnologe <span style="visibility: visible;"><span class="mw-parser-output"><a class="wl" href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Speich_Chassé" title="Daniel Speich Chassé">Daniel Speich Chassé</a> </span></span>in einer kritischen Betrachtung westlicher Konzepte von Fortschritt und Entwicklung, die am <span style="visibility: visible;"><span class="mw-parser-output">21. September 2012 </span></span><span style="visibility: visible;"><span class="mw-parser-output">in </span></span><span style="visibility: visible;"><span class="mw-parser-output"><i>Docupedia-Zeitgeschichte</i> als Essay veröffentlicht wurde: </span></span><span style="visibility: visible;"><span class="mw-parser-output"><a class="external text" href="http://docupedia.de/zg/Fortschritt_und_Entwicklung" rel="mw:ExtLink nofollow" target="_blank"><i>Fortschritt und Entwicklung.</i></a></span></span> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank"><i>Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</i></a> <br /></li><li>Die Problematik von Bewusstsein betrachten mehrere Posts: <br /><ul><li><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein</i></a> </li><li><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/01/evolution-kognitive-revolution-und-die.html" target="_blank"><i>Evolution, kognitive Revolution und die Folgen</i></a></li><li><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/03/architektur-von-erinnerung-wissen.html" target="_blank"><i>Architektur von Eriinerung, Wissen, Wahrheit</i></a></li></ul></li><li>Nachdenken über Lösungsmuster konfrontiert unweigerlich mit Problemen kollektiver Güter, auf die der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank"><i>Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</i></a> in Kapitel 6.7 eingeht.<br /></li><li>Das Narrativ des durch europäische Kultur getriebenen kulturellen Fortschritts betracht der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank"><i>Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</i></a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Henrich" target="_blank">Joseph Henrich</a>, Steven J. Heine, Ara Norenzayan: <i><a href="https://www.unl.edu/rhames/courses/current/readings/weird.pdf" target="_blank">The weirdest people in the world?, Behavioral and Brain Sciences</a></i>, 2010, Jahrgang 33, S. 61–135 (PDF). doi: <a href="http://10.1017/S0140525X0999152X">10.1017/S0140525X0999152X</a></li><li>Joseph Henrich, Steven J. Heine, Ara Norenzayan: <i><a href="file:///Users/kellert50/Downloads/466029a.pdf" target="_blank">Most people are not WEIRD, Nature 466, 29 (2010)</a></i>. doi: <a href="http://10.1038/466029a">10.1038/466029a</a></li><li>Joseph Henrich: <i>Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie die Menschen reichlich sonderbar und besonders reich wurden</i>. Berlin 2022 (Original: <i>The WEIRDest People in the World: How the West Became Psychologically Peculiar and Particularly Prosperous.</i> Farrar, Straus and Giroux, 2020)</li><li>Rezensionen des Buchs: <br /><ul><li><a href="https://ethik-und-anthropologie.de/zur-person/" target="_blank">Günter Renz</a>, Ethik und Anthropologie: <a href="https://ethik-und-anthropologie.de/2022/07/23/joseph-henrich/" target="_blank">Joseph Henrich: Die seltsamten Menschen der Welt</a><br /></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/psychologie-westen-individualismus-joseph-henrich-weird-100.html" target="_blank">Warum westliche Menschen "weird" sind </a></li><li>WELT: <a href="https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article237722759/Das-Geheimnis-westlicher-Zivilisation-Joseph-Henrich-ueber-WEIRD.html" target="_blank">Warum sich Westler keine Gesichter merken können</a></li><li> FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/joseph-heinrich-schreibt-buch-menschen-im-westen-sind-die-besten-17984513.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Die Menschen im Westen sind die Besten</a> </li></ul></li></ol></div><p></p>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-88762258840385448442023-04-24T12:51:00.278+02:002023-10-26T10:20:25.084+02:00"Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält." (Max Frisch) - Post in Bearbeitung: 26.10.2023<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi4ET3IcPHa5W1HCE3cjqx8_10ED4-JNixeq0FBGt2mIJ_I7K5jAdBq3fstbB3tM2On1NPexVt8m-ewGBRtEkSHRr1aSARnjSRgs6Qie5fU8z6zbF0bn3EShyydqkPHZjB-E-aV0encACn0W6Mko6hogW7wZ1G8ifloHKRchzTcETMO0p51zorR7prj/s2039/Adi_Holzer_Werksverzeichnis_850_Lebenslauf.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="2039" data-original-width="1654" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi4ET3IcPHa5W1HCE3cjqx8_10ED4-JNixeq0FBGt2mIJ_I7K5jAdBq3fstbB3tM2On1NPexVt8m-ewGBRtEkSHRr1aSARnjSRgs6Qie5fU8z6zbF0bn3EShyydqkPHZjB-E-aV0encACn0W6Mko6hogW7wZ1G8ifloHKRchzTcETMO0p51zorR7prj/s320/Adi_Holzer_Werksverzeichnis_850_Lebenslauf.jpg" width="260" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Handkolorierte Farbradierung «Lebenslauf»,<br /><a href="https://www.wikiwand.com/de/Adi_Holzer" target="_blank">Adi Holzer</a> 1997 (Werksverzeichnis 850)</td></tr></tbody></table><div style="text-align: left;">Der Autor des Posts versteht Menschen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Posthumanismus" target="_blank">posthumanistisch</a> als bio-soziale Maschinen, Kultur und Religion als Strategien der Weltbewältigung, subjektive
Wahrnehmung eines individuellen Selbst als Konstrukte des mentalen System, Biografien als ex post erzeugte Artefakte.</div><div style="text-align: left;">Biografien im Sinne chronologisch geordneter Abfolgen von Ereignissen und Entscheidungen einer verschrifteten Lebensgeschichte beschreiben individuelles Leben als einen ganzheitlichen kohärenten Zusammenhang. Der Schriftsteller <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Frisch" target="_blank">Max Frisch</a> wendet sich gegen diese Ansicht, wenn die Romanfigur <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mein_Name_sei_Gantenbein" target="_blank"><i>Gantenbein</i></a> mit biografischen Fiktionen spielt. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> erklärt in <i>Die biographische Illusion</i> (BIOS 1/1990, S. 75-81) Sinnzusammenhänge von Lebensgeschichten soziologisch als Konstrukte kulturell geprägter Wahrnehmungen der Welt, die bereits mit der Namensgebung sozialer Akteure angelegt werden. </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/neurobiologie/8520" target="_blank">Neurobiologie</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialpsychologie" target="_blank">Sozialpsychologie</a> vermitteln Ahnungen, wie im evolutionären Prozess unter <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kontingenz_(Soziologie)" target="_blank">kontingenten</a>
Bedingungen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplexit%C3%A4t" target="_blank">komplexer</a> Umgebungen universale biologische Mechanismen und variierende kognitive Strukturen
des mentalen Systems als nützliche Funktionen des Überlebens von
Organismen entstehen und Illusionen eines sich vermeintlicher
Individualität und Autonomie bewussten Subjektes erzeugen. </div><div style="text-align: left;">Naivem Alltagsdenken bleibt Komplexität der Umgebung von Leben verborgen und nimmt mental erzeugte Artefakte als biographisch beschreibbare objektive Realität wahr. Ursachen und Folgen unterschiedlicher Sichten auf die Welt geht dieser Post nach, ohne Wahrheiten zu verkünden. Aber er sucht nach Wahrheiten und scheut dabei weder Anstrengungen noch Provokationen.</div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht <br /></b><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">1 Worum geht es in diesem Text? <br /></div><div style="text-align: left;">1.1 Motivation</div></div><div style="text-align: left;">2 Annahmen universaler struktureller Prinzipien der Realität <br /></div><div style="text-align: left;">2.1 Komplexität, Chaos, Kontingenz, Ordnung, Kausalität, Leben</div><div style="text-align: left;">2.2 Ordnung der materiellen Welt</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2.3 Schichtenmodell menschlicher Denk- und Verhaltensweisen <br /></div><div style="text-align: left;">2.4 Denkordnungen</div><div style="text-align: left;">2.4.1 Alltagsdenken (Denken 1. Ordnung)<br /></div><div style="text-align: left;">2.4.2 Wissenschaftliches Denken (Denken 2. Ordnung)</div>2.4.3 Kritisch-rationales Denken</div><div style="text-align: left;">3 Funktionalistische Erklärungen <br /></div><div style="text-align: left;">4 Wie gehen biologische Systeme mit Komplexität, Chaos, Kontingenz um?</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">4.1 Vulnerabilität und Widerstandsressourcen von Leben</div><div style="text-align: left;">4.2 Wahrnehmung, Bewusstsein, Regulierung mentaler Zustände lebender Systeme</div></div><div style="text-align: left;">5 Wie gehen soziale Systeme mit Komplexität, Chaos, Kontingenz um?</div><div style="text-align: left;">5.1 Entstehung von Kultur und des Fortschrittsparadigmas westlicher Kulturen </div><div style="text-align: left;">5.1.1 Kultur als Symbolsystem menschlicher Kooperation</div><div style="text-align: left;">5.1.2 Kollektives kulturelles Gedächtnis </div><div style="text-align: left;">5.1.3 Kollektivbewusstsein, Diskurse, Konflikte <br /></div><div style="text-align: left;">6 Bedeutung und Entstehung von Religion </div><div style="text-align: left;">6.1 Erklärungen der Makroeben: Individualistische Modelle der Entstehung von Religion <br /></div><div style="text-align: left;">6.1.1 Entstehung von Religion als Bewältigungssystem von Todesangst<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">6.1.2 Entstehung von Religion aus neurobiologischer Sicht </div>6.1.3 Entstehung von Religion aus neurotheologischer Sicht </div><div style="text-align: left;">6.1.4 Religion in intepretativer Ethnologie: Clifford Geertz <br /></div><div style="text-align: left;">6.2 Erklärungen der Makroeben: Religion als System <br /></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">6.2.1 Religionssoziologie: Èmile Durkheim, Max Weber, Pierre Bourdieu</div><div style="text-align: left;">6.2.2 Der Ursprung der Religion: Robert Bellah <br /></div><div style="text-align: left;">6.2.3 Evolution von Religion in der biologisch-kulturellen <i>Patrix</i> (Carel von Schaik und Kai Michel) </div><div style="text-align: left;">6.2.3.1 Religion von unten im Kontext von Gender</div><div style="text-align: left;">6.2.3.2 Transformation und Institutionalisierung<br /></div><div style="text-align: left;">6.2.3.3 Religion von oben als männliche Herrschaftsreligion <br /></div></div><div style="text-align: left;">7 Kulturelle Transformation vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit <br /></div><div style="text-align: left;">7.1 Übergang zur Sesshaftigkeit </div><div style="text-align: left;">7.1.1 Entstehung von Eigentum <br /></div><div style="text-align: left;">7.1.2 Entstehung von Machtstrukturen und sozialer Ungleichheit<br /></div><div style="text-align: left;">7.1.3 Entstehung des Patriarchats</div><div style="text-align: left;">7.1.4 Umformung von Religionssystemen zu angstbesetzten Herrschaftssystemen </div><div style="text-align: left;">7.1.5 Entstehung von Kriegen als soziales Phänomen</div><div style="text-align: left;">7.2 Erbe von Sesshaftigkeit </div><div style="text-align: left;">7.2.1 Entstehung von Wissenschaft</div><div style="text-align: left;">7.2.2 Ausbreitung von Wissenschaft </div><div style="text-align: left;">7.2.3 Imperialismus: Kampf um die Weltherrschaft <br /></div><div style="text-align: left;">8 Anpassungsfähigkeit von Strukturen und Prozessen sozialer Institutionen und formaler Organisationen </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">9 Komplexität sozialer Realität der Gegenwart aus ethischer Sicht<br /></div>9.1 Bevölkerungsentwicklung <br /></div><div style="text-align: left;">9.2 Menschenrechte <br /></div><div style="text-align: left;">9.3 Religionen im Kontext kultureller Weltbilder</div><div style="text-align: left;">9.3.1 Ethische Betrachtung von Religion als vorsätzlich kultiviertes adaptives Wahnsystem <br /></div><div style="text-align: left;">9.3.2 Extrinsische und intrinsische Religiosität</div><div style="text-align: left;">9.3.3 Segen und Fluch von Religionen <br /></div><div style="text-align: left;">9.4 Patriarchat und Feminismus </div><div style="text-align: left;">9.5 Pandemien<b> <br /></b></div><div style="text-align: left;">9.6 Klimawandel und Klimapolitik<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">9.7 Kollektive Güter</div><div style="text-align: left;">9.7.1 Tragik und Rationalitätsfallen kollektiver Güter </div><div style="text-align: left;">9.7.2 Komplexität kollektiver Güter </div><div style="text-align: left;">9.8 Künstliche Intelligenz (KI) </div><div style="text-align: left;">9.9 Ethisch korrektes Leben <br /></div></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">10 Lebensgeschichte: Determinismus vs. Indeterminismus, Zufall vs. Planung</div>10.1 Was prägt Denken und Verhalten?</div><div style="text-align: left;">10.1.1 Biologische Faktoren</div><div style="text-align: left;">10.1.2 Lebensraum (Umwelt der Wahrnehmung)</div><div style="text-align: left;">10.1.3 Kulturelle Umgebung</div><div style="text-align: left;">10.1.4 Soziale Faktoren</div><div style="text-align: left;">10.1.4.1 Schwangerschaft und Geburt</div><div style="text-align: left;">10.1.4.2 Frühkindliche und juvenile Sozialisation </div><div style="text-align: left;">10.1.4.3 Erwachsenenalter<b> </b> </div><div style="text-align: left;">10.2 Lebensstil und Habitus <b> </b><div style="text-align: left;">10.3 Perspektiven von Leben</div><div style="text-align: left;">10.3.1 Denkordnungen: Wildes, wissenschaftliches, posthumanistisches Denken<b> </b><br /></div><div style="text-align: left;">10.3.2 Ist die Welt noch zu retten?</div>11 Änderungshistorie des Posts<br /></div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1 Worum geht es in diesem Text? </b></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Dieser Post ist der 2. Teil einer zweiteiligen Postserie, die sich mit Denkordnungen auseinandersetzt.<br /></div><ul><li>Teil 1 (<i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/grundfarbe-deutsch-individuelle.html" target="_blank">Grundfarbe Deutsch - individuelle Happiness - prekäres vs. lebenswertes Leben</a></i>) vermittelt anhand inhaltlicher Beispiele der im Buch <i>Grundfarbe Deutsch</i> ausgebreiteten Migrationsthematik,
wie unterschiedliche Denkweisen unterschiedliche Verständnisse
von Welt hervorbringen. </li><li>Teil 2 (dieser Text) befasst sich mit dem abstrakten theoretischen
Gerüst eines auf Methoden rationaler Analyse beruhenden selbstreflexiven wissenschaftlichen <i>Denkens 2. Ordnung</i>
und nutzt theoretische Erklärungsmodelle dieses Denken, um eine Reihe
empirischer Mikro- und Makro-Phänomene kultureller Evolution zu deuten. Abschnitte des Kapitel 1.2 und Kapitel 1.3 sowie Kapitel 6.8 sind identisch mit Inhalten des Teils 1.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Dass Menschen als soziale Wesen kooperieren, ist eine
triviale Aussage. Spannender sind die Fragen, welche Kooperationsstrategien
sie nutzen, wie diese Strategien zustandekommen, welche Strategien
erfolgreich sind oder scheitern sowie die Frage, was Erfolg oder Misserfolg
verursacht und bewirkt. Suchen nach Antworten müssen unterschiedlichen Aspekten nachgehen, die aber kein Bild ergeben. Der Post beschreibt Bildskizzen.</div> <div style="text-align: left;">Im Post geht es insbesondere um das Verständnis des Kontextes, der in komplex-dynamischer Umwelt individuelle biografische Sinnkonstrukte in Interdependenz mit kollektiven kulturellen Sinnkonstrukten als Funktionen des Überlebens hervorbringt. Sinnkonstrukte verbessern Chancen des Überleben in einer unendlich komplexen Realität, weil sie Kooperation ermöglichen und Handlungssicherheit vermitteln. Kooperation erfordert Synchronisierung von Verhalten. Kollektive kulturelle Sinnkonstrukte sozialer Systeme synchronisieren individuelles Verhalten. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">
Aufgrund komplexer dynamischer Bedingungen ihrer Umgebung prägen soziale Systeme mehr oder weniger stark differierende Kulturen aus. Bei aller Unterschiedlichkeit scheinen sämtliche Kulturen Anforderungen der Synchronisierung von Verhalten mit ähnlichen zentralen Mechanismen zu lösen. Als Religion bezeichnete Konstrukte sind in variierenden Ausprägungen ubiquitär verbreitet. Als Kerne kultureller Identität bilden religiöse Konstrukte ein universales Element von Verknüpfungen zwischen kollektiven und individuellen Sinnkonstrukten. Je nachdem, ob Konsens oder Dissens besteht, synchronisieren oder fragmentieren religiöse Konstrukte soziales Verhalten. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wertepluralismus westlicher Kulturen löst eine religiöse Kernschmelze aus, mit der sozial prekäres Leben zunimmt und Distanzen zu weltanschaulich dogmatischen Kulturen wachsen. Derartige Zustände entstehen nicht über Nacht, sondern entwickeln sich in zeitlich langen Ketten komplex vernetzter Prozesse. Verständnis von Zusammenhängen komplexer Prozessketten ist nicht auf Spaziergängen erreichbar, sondern verlangt Bereitschaft zum Gehen weiter Wege. Der Post beschreibt auf dem Weg sich einstellende Eindrücke und Erkenntnisse, die vorläufiger Art sind und sich ändern können.</div><div style="text-align: left;"><br /></div> <div style="text-align: left;"><b>1.1 Motivation</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Wissenschaftliches Denken evoziert die Erkenntnis, dass <i>Alltagsdenken (Denken 1. Ordnung)</i>
auf biologischen Mechanismen des Wahrnehmungsapparates beruht. Diese
verhindern, dass deterministische Prägungen erkannt werden und
erzeugen im Bewusstsein </div><ul style="text-align: left;"><li>Verständnis von Kompetenz und Autonomie als vermeintliche individuelle
Fähigkeiten, </li><li>Illusionen subjektiver
Einzigartigkeit, </li><li>Auffassungen vermeintlich objektiver Realität, Kausalität und Sinnhaftigkeit.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Der Post geht Unterschieden von Alltagsdenken und wissenschaftlichem Denken nach und versucht, Unterschiede zwischen naivem Alltagsdenken und wissenschaftlichem Denken zu verstehen und zu beschreiben, ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben. Antworten auf Fragen nach Ursachen und Auswirkungen struktureller Unterschiede sind dem Stand der Erkenntnis geschuldet, der sich schnell verändert und daher als vorläufig einzuordnen ist. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Angedeutete
Komplexität des Themenfeldes bereiten dem Autor und Lesern
unvermeidbare Mühen, zumal intellektuelle Redlichkeit Genauigkeit von Aussagen und Angabe von Quellen verlangt. Trotzdem kratzt die Behandung von Themen nur an Oberflächen. Angesprochene Themen wären in ihrer Reichweite nur in umfangeichen Büchern zu würdigen. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert N. Bellah</a> hat nach eigenen Angaben an seiner phänomenalen, in der deutschen Ausgabe fast 900 Seiten umfassenenden Darstellung des Ursprungs der Religion 16 Jahre gearbeitet und musste seine Arbeit aus Altersgründen auf halbem Weg abbrechen (Robert N. Bellah: <i>Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit</i>. Freiburg 2021. Original: Robert N. Bellah: <i>Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the Axial Age</i>. Cambridge Mass. 2011). Umfang und Komplexität der Themen, die auch äußerst gebildeten Autoren wie Bellah große Schwierigkeiten bereiten, gebieten Demut und Bescheidenheit. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Post
formulierte Aussagen haben oftmals spekulativen Charakter und beschreiben keine objektive Realität. Da sicheres Wissen über
Realität nicht möglich ist, sind beschriebene Zusammenhänge als
Modelle aufzufassen, die Verständnisse von Realität ermöglichen, aber
nicht behaupten und abweichende Verständnisse von Realität nicht
ausschließen.<br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2 Annahmen universaler struktureller Prinzipien der Realität</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Annahmen dieses Kapitels besagen, dass </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Perspektiven unterschiedlich geordneter Denkmodelle zu unterschiedlichen Erklärungen biographischer Muster gelangen,<br /></li><li>Biographien
zwar auf universalen biologischen Gesetzmäßigkeiten beruhen, aber aufgrund
kultureller Varianten eine reiche Vielfalt ausprägen,</li><li>unendliche Variationen der Vielfalt aus kontingenten Bedingungen resultieren,</li><li>Denkmodelle des <i>Alltagsdenkens</i> auf biologisch determinierten Denkmustern beruhen, <br /></li><li>Beschränkungen des <i>Alltagsdenkens</i> mit Hilfe von Denkmodellen 2. Ordnung sichtbar werden,</li><li>Grenzen biologisch determinierter Denkmuster 1. Ordnung von Denkmustern 2. Ordnung durchbrochen werden können.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Ein
zugegeben
grobkörniges abstraktes Modell erklärt Prinzipien der Entstehung und
Variation biologischer und kultureller Ordnung auf Basis einer Reihe von
Grundannahmen, die Kapitel 2.1 vorstellt.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.1 Komplexität, </b><b>Chaos, </b><b>Kontingenz, </b><b>Ordnung, Kausalität, </b><b>Leben</b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Ob und in welchem Umfang Aussagen über <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplexit%C3%A4t" target="_blank">Komplexität</a>, Ordnung (systematische Strukturen), <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalit%C3%A4t" target="_blank">Kausalität</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kontingenz_(Soziologie)" target="_blank">Kontingenz</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Chaos" target="_blank">Chaos</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Leben" target="_blank">Leben</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution" target="_blank">Evolution</a> für die gesamte materielle Welt einschließlich organischer Systeme gelten, ist unsicher. <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Evolution verläuft ohne Ziel oder Richtung. Annahmen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Orthogenese" target="_blank">Orthogenese</a> im Sinne eines aktiven Trends zunehmender Komplexität durch innere treibende Kräfte gelten bezüglich der biologischen Evolution als widerlegt. Zunehmende Komplexität betrifft nur einen kleinen und abnehmenden Anteil aller Lebewesen (siehe Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution#Entwicklung_biologischer_Komplexit%C3%A4t" target="_blank">Entwicklung biologischer Komplexität</a>).<br />Bezüglich kultureller Evolution scheint zunehmende Komplexität von zunehmend verdichteten Lebensräumen sowie vom zunehmenden Wissensvorrat über empirische Phänomene verursacht zu sein.<br /></li><li>Leben
ist umgeben von einer kontingenten Welt. Kontingenz ist nicht immer spontan
erkennbar und zeigt sich oft erst bei genauerer Betrachtung. </li><li>Kontingenz erzeugt Zustände, die möglich sind, aber mangels erkennbarer Kausalität nicht notwendig,
sondern zufällig auftreten. <br /></li><li>Kontingenz
im Sinne von Zufallsereignissen resultiert aus Komplexität der Realität. </li><li>Komplexität von Zusammenhängen der Realität ist nur in engen Grenzen kausal verständlich.</li><li>Von Kontingenz erzeugte Zustände werden im Alltagsdenken als Chaos im Sinne vollständiger Unordnung wahrgenommene. Tatsächlich handelt es sich um Zustände mit begrenzter Vorhersagbarkeit. </li><li>Chaos
ist prinzipiell lebensfeindlich. Trotzdem sind in evolutionären Prozessen komplex organisierte Lebensformen
entstanden, deren Funktionsfähigkeit ein Minimum an Ordnung ihrer
Umgebung voraussetzt.</li><li>Leben organischer Systeme der uns
bekannten Art benötigt ein nicht genau bestimmbares bzw. über organische
Lebensformen variierendes Maß an Ordnung, um Funktionsfähigkeit
des Organismus zu ermöglichen, eine regelmäßige Energieversorgung
zu gewährleisten, relativen Schutz vor Feinden zu bieten, Reproduktion zu gestatten. <br /></li><li>Da
komplexe Organismen im Chaos nicht überleben können, haben sie
evolutionär interne organische sowie auf die Umwelt bezogene
ordnungsstiftende Mechanismen herausgebildet, die Überleben ermöglichen.</li><li>Neurobiologische
Mechanismen der Ordnungsstiftung erzeugen in höheren Formen des Lebens
als Kohärenzsystem bezeichnete mentale Ordnungsstrukturen.
Kohärenzsysteme ordnen Sinneswahrnehmung hinsichtlich Verstehbarkeit,
Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit mittels <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>. (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Rainer_M._Holm-Hadulla" target="_blank">Rainer M. Holm-Hadulla</a>: <i><a href="https://www.researchgate.net/publication/343921531_Neuro-Biologie_der_Kreativitat_Strukturaufbau_und_Strukturabbau" target="_blank">(Neuro-)Biologie der Kreativität: Strukturaufbau und Strukturabbau</a></i>)<br /></li><li>Kognitive Kompetenz höherer Art (Intelligenz) verfügt über Lernfähigkeit. Diese besteht aus den Prozessschritten</li><ul><li>Übertragung mentaler Ordnungsstrukturen auf Deutungsmuster des Wahrnehmungssystems,<br /></li><li>Bildung von Kognitionsmustern gemäß regulatorischem Kohärenzsystem,<br /></li><li>Speicherung von Kognitionsmustern. </li></ul><li>Mentale Ordnungsmuster und Ordnungskonstrukte der Lebensumgebung beeinflussen sich wechselseitig. <br /></li><ul><li>Kognitive
Kompetenz verhilft zur Übertragung kategorialer mentaler Ordnungsmuster
des regulatorischen Kohärenzsystems auf kulturelle Ordnungskonstrukte
von Lebensumgebungen. </li><li>Internalisierungsprozesse transformieren kulturelle Ordnungskonstrukte von Lebensumgebungen in mentale Ordnungsmuster.</li></ul><li>Individuelle Biographien und ihre mentalen Zustände entstehen aus Vermengungen von universalen biologischen Gesetzmäßigkeiten mit Kontingenzen ihrer Lebensumgebung: <br /></li><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96kosystem" target="_blank">Ökosysteme</a>,</li><li>räumliche Umgebung, <br /></li><li>Kulturmuster,</li><li>individuelle Ereignisse wie Geburt, zwischenmenschliche Beziehungen, Tod, Erbschaft etc.,</li><li>individuelle Fähigkeiten, Chancen, Risiken.</li></ul><li>Interagierende Individuen gestalten ihre Lebensräume als funktionale soziale Systeme. Unterscheidbare soziale Systeme haben unterschiedliche Ordnungsstrukturen. <br /></li><li>Trotz universaler biologischer
Gesetzmäßigkeiten übt Kontingenz
von Lebensumgebungen permanenten Anpassungsdruck aus, der dem immer wieder neue Varianten kultureller Muster, sozialer Systeme, mentaler Ordnungssysteme, individueller Biographien erzeugt. <br /></li></ul></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>2.2 Ordnung der materiellen Welt<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Leben
ist umgeben von einer kontingenten Welt. Kontingenz
im Sinne von Zufallsereignissen resultiert aus Komplexität resp. aus
Chaos der Realität. Kontingenz ist nicht immer spontan
erkennbar und zeigt sich oft erst bei genauerer Betrachtung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kausalität liegt vor, wenn Ereignisse unter definierten Bedingungen vorhersagbar sind.
Kausalität ist nur bei einer begrenzten Menge kontrollierbarer
Bedingungen nachweisbar. In der Realität entstehen empirische Ereignisse teilweise unter derart komplexen Bedingungen, dass kausale
Zusammenhänge nicht erkennbar sind und die Realität als kontingent und
chaotisch wahrgenommen wird. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ob
Kausalität ein Naturgesetz ist oder Chaos und Kontingenz tatsächlich
real sind, ist unsicher. Möglicherweise ist die Wahrnehmung von Chaos
und Kontingenz lediglich eine Folge eingeschränkter menschlicher
Wahrnehmungsfähigkeit. Mit der Zunahme von Wissen durch Wissenschaft
scheint jedoch die Menge nicht bekannten Wissens größer zu werden. Da
wir nicht wissen, was wir nicht wissen, sind endgültige Aussagen über
Naturgesetze unmöglich und daher Kontingenz und Chaos als mögliche Zustände
von Welt zu akzeptieren. <br /> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Ein
Beispiel für kontingente Ereignisse sind Wetterphänomene, die nur
kurzfristig vorhersagbar sind und von Prognosen mehr oder weniger
abweichen. Die Verlässlichkeit längerfristiger Wettervorhersagen nimmt
über Zeit
exponentiell ab. Trotzdem sind relativ stabile langfristige
Wetteränderungen erkennbar, die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Klima" target="_blank">Klima</a>
bezeichnet werden. Klima umfasst komplexe Dynamiken und relativ stabile
meteorologische
Symptome auf der Basis von Modellen, die keine Kausalerklärungen
darstellen. Langzeit-Betrachtungen sind schwer einzuordnen. Genauer
betrachtet ist Klima lediglich ein Konstrukt von über Jahrzehnte oder
über Jahrhunderte gemittelten Beobachtungen empirischer Wetterphänomene
und ihren Auswirkungen. <br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Andererseits
sind relativ stabile feuchte oder aride, kalte oder warme Regionen und
deren langfristige Veränderungen empirisch nachweisbar. Da Interaktionen
zwischen Wetter, Klima, materiellen Lebensbedingungen und kulturellen
Veränderungen mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten nur unvollständig
erklärbar sind, handelt es sich offensichtlich um nicht verstandene und
daher nicht vorhersagbare komplexe Prozesse höherer Ordnung. Komplexe
Modelle beruhen auf mathematischen Methoden
wahrscheinlichkeitstheoretischer Berechnungen von Veränderungen.
Mathematische Aussagen über mögliche Zustände von Welt sind keine
Aussagen über empirische Zustände von Welt. Kontingenz verursacht
Schwankungsbreiten resp. Streuungen von Aussagen mathematischer Modelle.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit
wachsender Menge an der Entstehung empirischer Ereignisse beteiligter
Bedingungen nimmt wahrnehmbares Chaos zu. Chaos verteilt sich über die
Welt
prinzipiell nicht homogen, sondern kann Cluster bilden, was Klima und
Wetter exemplarisch zeigen. In stabilen Klimazonen sind Wetterphänomene
ebenfalls relativ stabil. Chaos bleibt weiter möglich, nimmt aber ab
oder beschränkt sich auf begrenzte Zeiträume. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ein anderes Beispiel bietet <a href="https://www.wikiwand.com/de/Plattentektonik" target="_blank">Plattentektonik</a>.
In Bruchzonen ist Chaos deutlich größer als außerhalb von Bruchzonen.
Ähnliche empirische Beobachtung gelten für geopolitische Räume.
Labilität und Stabilität geopolitischer Räume entstehen aus kausal nicht
erklärbaren Gemengelagen komplexer Bedingungskonstellation, über die
Chaos variiert. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.3 Schichtenmodell menschlicher Denk- und Verhaltensweisen<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Carel_van_Schaik" target="_blank">Carel von Schaik</a>, Evolutionsbiologe und Anthropologe, und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kai_Michel" target="_blank">Kai Michel</a>, Historiker und Literaturwissenschaftler, schlagen in ihrer Veröffentlichung <i>Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät</i>
(Reinbek bei Hamburg 2016, S. 28ff.) ein Schichtenmodell drei kumulativ
aufeinander aufbauender menschlicher Denk- und Verhaltensweisen vor,
die sie als <i>Naturen</i> bezeichnen und von denen sie annehmen, dass
sie das Repertoire an Handlungsoptionen ständig erweitern, aber auch
Konflikte erzeugen: <br /></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li><b>Biologische Natur: Angeborene Emotionen, Instinkte, Bedürfnisse</b><br />haben
sich in der biologischen Evolution in gleichartiger Art und Weise
genetisch verankert entwickelt und werden daher von allen Menschen
geteilt. Subjektiv vermittelt sich diese <i>instinktive biologische Natur</i> als selbstevidentes 'Bauchgefühl'.<br /></li><li><b>Individuelle Prägung durch unbewusste kulturelle Natur <br /></b>Menschen
erzeugen mit kultureller Evolution kumulativ weitgehend ritualisierte
Handlungsmuster im Sinne von Alltagspraktiken und verankern diese im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kollektiven Gedächtnis</a> als <a href="https://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Kollektivbewusstsein" target="_blank">Kollektivbewusstseins</a> über Sitten, Gebräuche, Überzeugungen. Die soziale Vererbung dieser Handlungsmuster erzeugen Mechanismen individueller <a href="https://www.wikiwand.com/de/Enkulturation" target="_blank">Enkulturation</a> (-> Post Kapitel 4.1). <br />Kulturell
entwickelte und vererbte Verhaltensmuster ermöglichen Kooperation,
indem sie instinktives
Verhalten der biologischen Natur auch gegen Unlust einhegen und
Verhaltenssicherheit herstellen. Allerdings prägen sich in räumlich,
zeitlich, ethnisch, sozialstrukturell unterscheidbaren Populationen
unterschiedliche<i> kulturelle Natur</i>en aus, die als Diversität
kulturelle Grenzen menschlicher Kollektive markieren. Kulturelle Grenzen
machen die Zugehörigkeit zu Kollektiven erfahrbar. <br />Regeln
pragmatischer Vernunft vermitteln innerhalb kultureller Grenzen
angemessene Verhaltensweisen. Regeln ermöglichen soziale Kontrolle von
Verhaltenspraktiken und legitimieren Bestrafungen ungehörigen
Verhaltens. In diese Kategorie von Verhaltensmustern fallen von Menschen
erdachte spirituelle, sakrale, esoterische Vorstellungen und Praktiken.
<br />Variierende Denk- und Verhaltensmuster <i>kultureller Natur</i> entsprechen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieus</a> Konzept von <i>Habitus</i>
(sozial vererbtes und individuell angeeignetes kulturelles System
selbstverständlicher Verhaltensdispositionen). Unter gleichartigen
kulturellen Bedingungen lebende Menschen teilen ihren <i>Habitus</i> und
identifizieren sich wechselseitig als kulturell zusammengehörig.
Fremdartig Verhaltensmuster externer Kulturen werden als fehlerhaft
wahrgenommen. (-> Post Kapitel 4.1.3 und 7.1.3) </li><li><b>Bewusste kulturelle Natur: rationale Vernunft</b><br />entsteht,
wenn kumulativ erzeugte kulturelle Verhaltensmuster pragmatischer
Vernunft konkurrierend aufeinandertreffen und sich aufgrund von
Vergleichen ihrer Leistungsfähigkeit wechselseitig anreichern, womit
nicht gesagt ist, dass interkultureller Austausch grundsätzlich
freiwillig und friedlich stattfindet.Rationale Kulturmustern können als
Regeln oder Normen institutionalisiert und indoktriniert sein, aber sie
bleiben überwiegend äußerlich. Gesetzte und Regeln bewirken nicht
zwangsläufig Konformität und Compliance von Verhalten und können
ungesetzliches, unehrliches, betrügerisches, sozial schädigendes
Verhalten nicht vollständig sowie im Fall <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gemeingut" target="_blank">kollektiver Güter</a> prinzipiell nur eingeschränkt verhindern (-> Post Kapitel 6.7). <ul><li>Wenn Vernunftnatur der biologischen Natur widerspricht, erzeugt sie Unlust. </li><li>Wenn sich Vernunftnatur mit der kulturellen Natur reibt, erzeugt sie individuelle Schuldgefühle oder Konflikte. </li></ul></li></ol></div><div style="text-align: left;">Allerdings
entstehen in der kulturellen Evolution zugleich auch Fehlanpassungen,
die als Mismatch-Phänomone bezeichnet werden. Mismatch-Phänomone
erzeugen individuell Emotionen der Unlust und Schuldgefühle sowie
kollektiv Risiken politischer und sozialer Art.<br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.4 Denkordnungen<br /></b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Leben
ist ohne Verständnisse von Realität der uns umgebenden Welt nicht möglich. Verständnisse von
Realität entstehen mit Hilfe von Methoden des <i>Denkens 1. Ordnung</i>
(<i>Alltagsdenken</i>) und der <i>2.
Ordnung</i> (<i>wissenschaftliches Denken</i>). <br /></div><div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><i>Wissenschaftliches Denken</i> erschließt komplexe Zusammenhänge von Denkordnungen und evoziert die Erkenntnis, dass <i>Alltagsdenken 1. Ordnung</i>
auf universalen biologischen Mechanismen des Wahrnehmungsapparates beruht. Diese
verhindern, dass deterministische Prägungen nicht erkannt werden und
erzeugen im Bewusstsein </div><ul style="text-align: left;"><li>Wahrnehmungen eigener Kompetenz und Autonomie als individuelle
Fähigkeiten, </li><li>Illusionen subjektiver
Einzigartigkeit, </li><li>Verständnisse vermeintlich objektiver Realität, Kausalität und Sinnhaftigkeit.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Abgesehen
von pathologischen Zuständen und relativ gering variierenden Genmustern
sind biologische Strukturen und Prozesse menschlichen Denkens
funktional einheitlich organisiert. Erst komplexe systemische
Zusammenhänge erzeugen eine große Vielfalt kultureller Muster und
individueller Denkweisen: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Fähigkeiten kognitiver Kompetenz ermöglichen als <i>Kultur</i> aufgefasste Gestaltungen von Lebensbedingungen. </li><li>Randbedingungen des Lebens bewirken anzutreffende Variationen von Kulturmustern.</li><li>Kulturmuster variieren individuelle kognitive Muster (Denkmuster). </li><li>Unterschiedliche
Denkmuster bewirken, dass objektiv gleichartige Sachverhalte und
Ereignisse subjektiv unterschiedliche Wahrnehmungen und Erinnerungen
evozieren. </li><li>Aufgrund dieser systemischen Prozesse erleben sich
Menschen als Selbst und können mentale Zustände anderer Menschen
empathisch nachvollziehen. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Verständnisse der Bedeutung von Bewusstsein und Kultur vertiefen die beiden kürzlich veröffentlichten Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></i> und <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank"><i>Was ist Kultur?</i></a>. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>2.4.1 <i>Alltagsdenken (Denken 1. Ordnung)<br /></i></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Überleben und Reproduktion erfordert pragmatisches Denken, das sich im <i>Alltagsdenken</i> ausprägt und <i>Methoden 1. Ordnung</i> nutzt. <i>Denken 1. Ordnung</i>
umfasst sowohl unbewusste Wahrnehmungs- und Deutungsmechanismen als
auch bewusste, assoziativ und spontan stattfindende, auf Vergleichen von
Mustern beruhende analoge Prozesse des kognitiven Apparates.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Alltagsdenken</i> ist die im sozialen Raum vorherrschende Denkweise. Die Verwissenschaftlichung des <i>Alltagsdenken</i> findet in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialwissenschaften" target="_blank">Sozialwissenschaften</a> und der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie" target="_blank">Philosophie</a> (<i>Liebe zur Weisheit</i>)
statt. Deren Disziplinen untersuchen und erklären Aspekte von
Strukturen, Prozessen, Funktionen der Wahrnehmung und des Verhaltens
einzelner Individuen sowie Zusammenhänge sozialer Verflechtungen
zwischen Individuen.<i><br /></i><i> </i></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><i>Alltagsdenken </i>nutzt<i> Methoden 1. Ordnung</i>,
die mit begrenzten Ressourcen ein Überleben unter prekären Bedingungen
ermöglichen, indem sie mittels Vereinfachungen und Filtervorgängen ein
vermeintlich konsistentes Bild der Realität konstruieren, das schnelle
Urteile (Entscheidungen) erlaubt, um pragmatische Handlungsfähigkeit
herzustellen. <i>Methoden 1. Ordnung</i> basieren auf einer Reihe ohne Richtung und Ziel im Prozess der Evolution biologisch programmierter kognitiver Heuristiken:</div><div style="text-align: left;"><ul><li>Kohärenzzwang erzeugt Kohärenzbedürfnisse. Diese motivieren zur
Herbeiführung mentaler Zustände, die als
kohärent empfunden werden (verstehbar, handhabbar, nützlich, sinnhaft)
sowie zur Abwehr von Zuständen, die dem Kohärenzbedürfnis widersprechen.</li><li>Das Kohärenzbedürfnis bevorzugt soziale Kontakte, die emotionale Zustände von Kohäsion erzeugen.<br /></li><li>Entscheidungs- und Verhaltenssicherheit fördern <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heuristik" target="_blank">heuristische</a> Mechanismen, die praktikable Handlungsoptionen bei begrenztem Wissen und begrenzter Zeit herstellen:</li><ul><li>Ordnungen zweiwertiger <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierungen</a>
(wahr vs. unwahr, richtig vs. falsch, gut vs. böse, essbar vs. nicht
essbar, Freund vs. Feind etc.) wahrgenommener Phänomene ermöglichen
schnelle Entscheidungen. </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribuierung" target="_blank">Kausalattribuierung</a>
(Annahmen unmittelbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen
empirischen Phänomen) bezeichnet vermeintliche Ursachen wahrgenommener Phänomene. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalit%C3%A4t" target="_blank">Kausalität</a> beruht auf vermeintlichem Wissen bzw. Erfahrungen und erwartet, das Gleiches dieselbe Ursache hat.<br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteilen</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotypen</a> (ungeprüft angewendete gespeicherte Bewertungsmuster) sowie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Verzerrung" target="_blank">kognitive Verzerrungen</a>
(in Lebenspraxis bewährte systematische Denk- und Wahrnehmungsfehler)
erzeugen Verhaltenssicherheit mittels Beurteilungsautomatismen. (FAZ: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/natur-und-wissenschaft/2023-04-26/der-einfache-weg-denkfehler-zu-vermeiden/886765.html" target="_blank">Psychologische Biases</a>)</li></ul></ul></div>Tendenzen der Systematik des <i>Alltagsdenkens</i>:<br /><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Wahrnehmungsmuster analogen <i>Alltagsdenkens</i> beruhen auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naiver_Realismus" target="_blank">naivem Realismus</a>,
der eigene Wahrnehmung als objektive Sachverhalte auffasst, von denen
implizit angenommen wird, dass andere Menschen sie teilen. </li><li><i>Alltagsdenken</i>
nimmt an, dass evolutionäre Prozesse zielorientiert entweder in
Richtung einer eschatologischen Endzeit oder als unendlicher Fortschritt
verläuft. <br /></li><li>Denkprozesse zeichnen sich durch Selbstverständlichkeit und Automatismen aus und erklären, <b>was</b> man sieht und <b>was</b>
man denkt. Da Selbstreflexion und kritische Distanz zur eigenen
Wahrnehmung unüblich sind, können 'Denkfallen' entstehen, die aber erst
erkannt werden, wenn erwarteter Nutzen sich nicht einstellt oder Schaden
auftritt.<br /></li><li>Deutungsmuster
des <i>Alltagsdenkens</i> betrachten die Welt unter Aspekten von
Nützlichkeit
oder Praxistauglichkeit ideologisch, d.h. mit vorgefertigten
Vorstellungen und Ideen, die Wertepluralismus und Toleranz nur in engen
Grenzen bekannter und akzeptierter Rahmen zustimmen. Die Bereitschaft
zum Ertragen von Widersprüchen ist gering. <ul><li>Gewöhnlich gelten mit
individuellen Ansichten und Vorlieben harmonierende Sachverhalte als
richtig bzw. 'normal' und als Bestätigungen vorgefertigter
Weltanschauungen. </li><li>Das Bedürfnis eines positiven Selbstbilds
verbucht günstige Resultate von Handlungsaktvitäten als Erfolge eigener
Fähigkeiten und Leistungen und schreibt ungünstige
Ergebnisse Fremdverschulden zu. <br /></li><li>Von Ansichten und Vorlieben
deutlich abweichende Werte und Verhaltensmuster stoßen auf ein breites
Spektrum der Ablehnung, das von Ignoranz über Misstrauen bis zu massiver
Bekämpfung reichen kann. </li><li>Erklärungen
sozialer Phänomene resultieren aus politisch,
religiös, spirituell konnotierten dogmatisch-fundamentalistischen
Anschauungen einer Realität, die scheinbar dichotomisch in Paaren von
Gegensätzen organisiert ist (Freund vs. Feind, gut vs. schlecht,
nützlich vs. unbrauchbar, Nutzpflanzen/Unkraut, Nutztiere vs.
Ungeziefer/Schädlinge etc.). </li><li>Weil <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplexit%C3%A4t" target="_blank">Komplexität</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kontingenz_(Soziologie)" target="_blank">Kontingenz</a>
unverstanden bleiben, werden prozesshafte empirische Phänomene mit Hilfe
vereinfachender Konstrukte vermeintlich kausaler Linearität erklärt. </li><li>Außerhalb eigener Verständnisfähigkeiten liegende Sachverhalte werden ausgeblendet oder marginalisiert.<br /></li><li>Rational
nicht nachvollziehbaren Phänomenen der Realität wird Kausalität
zugeschrieben, indem Ursachen des Auftretens dieser Phänomene mit
universalen Gesetzmäßigkeiten oder transzendenten Mächten erklärt wird. <br /></li></ul></li></ol></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.4.2 <i>Wissenschaftliches Denken (Denken 2. Ordnung)</i></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Wissenschaftliches Denken</i> wechselt vom <b>Was</b> zum <b>Wie</b>.
Es erklärt nicht Inhalte von Wahrnehmung und Denkprozessen (was),
sondern auf welche Art und Weise (wie) Inhalte zustande kommen. Diese
Denkweise bezieht sich nicht ausschließlich auf Fremdbeobachtung,
sondern kann sich auch selbstreflexiv auf sich selbst beziehen.<br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche
Methoden beruhen auf analytischem <i>Denken 2. Ordnung</i>, wenn sie rational begründbare modellhafte Erklärungen von
Realität entwickeln, die sich in empirischen Überprüfungen bewähren müssen. Durch
Vergleiche mit konkurrierenden Modellen kann die Leistungsfähigkeit von Erklärungen reifen, ohne
Realität jemals als gültig erklären zu können. <i>Methoden 2. Ordnung</i> verstehen
<i>Methoden 1. Ordnung</i> als nützliche Illusionen und erklären deren Nützlichkeit, Entstehung, Persistenz sowie deren Mechanismen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Wissenschaftliches Denken</i> ist sich bewusst, dass </div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>evolutionäre Prozesse kein Ziel haben und ungerichtet verlaufen, <br /></li><li>Wahrheit
nur in formaler Logik möglich ist und hinsichtlich Realität auf
Überzeugungen beruht, deren Gültigkeit nicht bewiesen werden kann,</li><li>gültige Aussagen über mentale Zustände prinzipiell nur für den eigenen Zustand möglich sind,</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplexit%C3%A4t" target="_blank">Komplexität</a> von Realität nur unvollständig verstehbar ist,</li><li>Komplexität nicht vorhersagbare <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kontingenz_(Soziologie)" target="_blank">kontingente</a> Ereignisse erzeugt,</li><li>Wissensvorräte endlich sind und Irrtümer enthalten,</li><li>die Menge nicht bekannten Wissens mit zunehmendem Wissensvorrat zu wachsen scheint,<br /></li><li>Verständnisse
von Realität auf sozialen Konstrukten beruhen, die sich über Zeit ändern,<br /></li><li>soziale
Konstrukte keine objektive Realität beschreiben, sondern auf Konsens
beruhen und unter Bedingungen von Komplexität und Kontingenz variieren, <br /></li><li>zur
Frage der Beschaffenheit und Erkenntnisfähigkeit von Realität
unterschiedliche Auffassungen konkurrieren, von denen keine alleinige Gültigkeit beanspruchen kann. Verbreitet ist die Position
des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kritischer_Realismus" target="_blank">Kritischen Realismus</a> (KR). Diese nimmt an, dass<br /></li><ol><li>eine vom Denken unabhängige Realität existiert,</li><li>Realität prinzipiell dem Denken zugänglich ist,</li><li>sicheres
Wissen über Realität nicht möglich ist und daher Aussagen über Realität
auf Annahmen resp. Vermutungen beruhen (weshalb Beschreibungen von
Zusammenhängen als Modelle oder Theorien bezeichnet werden).<br /></li></ol></ol></div></div> </div><div style="text-align: left;"> <b>2.4.3 Kritisch-rationales Denken</b><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unter Positionen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erkenntnistheorie" target="_blank">erkenntnistheoretischen</a> Denkens besetzt <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kritischer_Rationalismus" target="_blank">Kritischer Rationalismus</a> (KR) eine optimistische ethische Haltung, die eine Position zwischen Dogmatismus bzw. Fundamentalismus einerseits und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Relativismus" target="_blank">Relativismus</a>
andererseits einnimmt. KR deklariert Bedingungen, unter denen
alltägliche, soziale, wissenschaftliche Probleme undogmatisch,
methodisch und rational untersucht und verbessert werden können. Die
Position des KR basiert auf Prinzipien von Versuch und Irrtum, die
mittels Kritik an Beobachtungen und Überprüfungen zu neuen, verbesserten
Erkenntnissen und Problemlösungen gelangt. Angemerkt sei, dass der
Begriff Rationalität mit strittigen Mustern von Wertvorstellungen
besetzt ist (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rationalit%C3%A4t" target="_blank">Rationalität</a>).</div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3 Funktionalistische Erklärungen </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Modelle
erklärungsbedürftiger sozialer Phänomene argumentieren i.d.R.
funktionalistisch. Perspektiven funktionalistischer Modelle
argumentieren auf unterschiedlichen Erklärungsebenen:</div><ul style="text-align: left;"><li style="text-align: left;">Modelle der Mikroebene erklären Verhalten individualistisch mit Hilfe biologischer,
psychologischer, sozialpsychologischer Annahmen als handlungstheoretische Konzepte.</li><li style="text-align: left;">Modelle
der Makroebene erklären in sozialen Kollektiven ausgeprägte
Verhaltensmuster mit ihrer funktionalen Notwendigkeit für die Persistenz
sozialer Systeme. Variierende Ausprägungen zwischen sozialen Bedingungskonstellationen und als <i>Religion</i> verstandenen Verhaltensmustern funktionaler Teilsysteme bilden Erklärungsgegenstände für <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionssoziologie" target="_blank">Religionssoziologie</a>. </li><li style="text-align: left;">Ohne Vertiefung sei erwähnt, dass <i>Religion</i> aufgrund dieser beiden Sichtweisen zugleich ein
Brückenelement der Verknüpfung von Erklärungen der Mikro- und
Makroebene bildet. </li></ul>Funktionalistische
Modelle enthalten sich ethischer Wertungen und erklären i.d.R. weder
Prozesse der Entstehung sozialer Phänomene noch Besonderheiten,
spezielle Eigenschaften und
Abgrenzungskritierien und erfordern daher Ergänzungen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aus funktionaler
Perspektive ist <i>Religion</i> ein Konsens stiftendes ubiquitäres normatives System von
Überzeugungen und Praktiken, dessen Ausprägungen aufgrund von Interaktionen mit inhaltlich kontingenten kulturellen
Kontexten breit variieren. (-> Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionsdefinition#Funktionalistischer_Religionsbegriff" target="_blank">Religionsdefinition.Funktionalistischer Religionsbegriff</a>) Nachfolgende Anmerkungen skizzieren methodische Probleme dieser Sichtweise.<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Individualistische
Konzepte erklären Strukturen und
Prozesse sozialer Systeme funktional aus der Perspektive individueller
Akteure und verstehen soziale Systeme als von
Menschen kooperativ organisierte Funktionen der Systemerhaltung. Da sich
soziale Systeme nicht selbst konstruieren, sondern durch kooperierenden
individuellen Akteuren zustande kommen, ist die Berechtigung dieser
Perspektive nicht von der Hand zu weisen.<br /></li><li>Aufgrund der
Beobachtung, dass individuelle Akteure nur scheinbar eigenmotiviert
handeln und in der Realität von kulturellen Einflüssen geprägt sind, die
unbewusst Motivationen individueller Akteure prägen, sind ebenso
Makromodelle funktionaler Erklärungen berechtigt. Makromodelle
betrachten universale
soziale Phänomen aus der Perspektive von Systemanforderungen. Sie nehmen
an, dass Makrosysteme Nutzen
erzeugende
Subsysteme hervorbringen und diese individuelle Motivationsstrukturen
modellieren. </li><li>Wenn beide Perspektiven Gültigkeit beanspruchen
können, aber Systeme über kein Bewusstsein ihrer selbst als handelnde
Akteure verfügen, stellt sich die Frage, wie Verknüpfungen zwischen
Mikro- und Makroperspektiven zustande kommen. Soziologie bleibt die
Beantwortung dieser Frage weitgehend schuldig. Iterative kybernetische
Modell versuchen diese Lücke relativ erfolglos zu schließen. Notwendiger
Streit zwischen Vertretern aller Lager erzeugt bisher kaum oder nur
kleine Früchte.<br />Dieses Defizit ist kein Privileg soziologischer
Wissenschaft. In Naturwissenschaften bestehen innerhalb von Mikro- und
Makroperspektiven ebenfalls große Lücken. Noch viel größer sind nicht
überbrückbare Lücken zwischen Erklärungen der Mikro- und
Makroperspektive. <br />Andere Wissenschaftszweige wie
Geschichtswissenschaften, Psychologie, Medizinwissenschaften etc.
kapitulieren in Anbetracht der Komplexität ihrer Felder und fokussieren
Erklärungen auf generische Kausalmodelle mit zweifelhafter Relevanz.<br />Unzulänglichkeiten
wissenschaftlicher Erklärungen bleiben innerwissenschaftlichen
Diskussionen vorbehalten. Nach außen wird ein weniger seriöses Bild
vermittelt, das Wissenschaften als Strategie auf einem Fortschrittsweg
darstellt, der Lösungen für Weltprobleme entwickelt. <br /></li></ul></div><b></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4 Wie gehen biologische Systeme mit Komplexität, Chaos, Kontingenz um?</b> <br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Leben
entsteht
und existiert nur in Umgebungen mit einer minimalen und relativ stabilen Ordnung. Verschiedene Umgebungen bringen allerdings
verschiedene Arten von Leben hervor, die zwar eine begrenzte Anzahl von
Grundmustern teilen, diese aber in unterschiedlichen Ausprägungen
variieren, z.B.: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Wassertiere, Landtiere oder im Wasser und/oder auf Land lebende Tiere</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Bilateria" target="_blank">bilateralsymmetrische</a> Tiere vs. keine Symmetrie aufweisende Tiere mit Hohlkörpern <br /></li><li>eingeschlechtliche vs. zweigeschlechtliche Fortpflanzung </li><li>embryonale Entwicklung im Körper von Muttertieren vs. außerhalb von Körpern in Eiern<br /></li><li>Zweibeinigkeit (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Bipedie" target="_blank">Bipedie</a>) vs. Vierbeinigkeit (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Landwirbeltiere" target="_blank">Tetrapoden</a>) vs. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gliederf%C3%BC%C3%9Fer" target="_blank">Gliederfüßer</a> mit 6 oder mehr Beinpaaren <br /></li><li>flugfähige vs. nicht flugfähige Tiere</li><li>usw. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Evolution
findet nicht zielgerichtet statt, sondern verläuft kontingent.
Kontingenz variiert über Lebensräume, tritt aber auch innerhalb von
Lebensräumen auf. Daher entstehen trotz identischer oder ähnlicher
funktionaler Anforderungen organischen Lebens und ähnlicher Bedingungen
von Lebensräumen Variationen organischen Lebens. Jede diese konkreten
Ausprägungen organischen Lebens hat Vor- und Nachteile, die sich
Bedingungen ihrer Umgebungen besser oder schlechter anpassen und via
evolutionärer Selektionsmechanismen verändern.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4.1 Vulnerabilität und Widerstandsressourcen von Leben</b> <br /></div><br /><div style="text-align: left;">Da
lebende biologische Systeme über einen Stoffwechsel verfügen, der
Energie, Sauerstoff und Wasser verbraucht und eingeschränkte
Temperaturbedingungen benötigt, sind sie von einer kontinuierlichen
Versorgung und relativ konstanten Umweltbedingungen abhängig, die
Existenzbedingungen biologischer Systeme prekär gestalten. Um unter prekären Bedingungen überleben zu können, haben
biologische Systeme evolutionär Anpassungsmechanismen entwickelt.
Hierzu aus einer unüberschaubaren Menge an Phänomenen eine Auswahl von
Beispielen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Laubbäume werfen im Herbst Blätter ab und regenerieren im Winter. </li><li>Zugvögel verlassen über den Winter ihr Brutgebiet und fliegen weite Strecken in nahrungsreiche Zonen. </li><li>Fischschwärme folgen nährstoffreichen klimatisch regulierten Meeresströmungen.</li><li>Einige Tierarten gehen in den Winterschlaf, in dem ihr Stoffwechsel bis auf eine Minimum reduziert ist.</li><li>Andere Tierarten legen Nahrungsvorräte an, die Überleben im Winter sichern.</li><li>Menschen
bilden bei Nahrungsüberfluss ganzjährig Fettreserven, mit denen sie
ehemals in Mangelzeiten überlebten. In der Gegenwart verkürzen ständige
größere Fettreserven das Leben.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Wenn Leben in einer chaotischen Umgebung prinzipiell prekär ist, sind
Prozesse des Lebens prinzipiell <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vulnerabilit%C3%A4t" target="_blank">vulnerabel</a>. Dass Leben,
dessen Reproduktion und evolutionäre Entwicklung möglich sind, ist generalisierten Fähigkeiten zu verdanken, die als Widerstandsressourcen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vulnerabilit%C3%A4t" target="_blank">Vulnerabilität</a> reduzieren, zur Bewältigung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stressor" target="_blank">Stressoren</a> verhelfen,
Anpassungsfähigkeiten verstärken, Lebensräume
verbreitern und damit Erfolgsfaktoren der Ausbreitung einer Art sind. Widerstandsressourcen bleiben ein Leben lang formbar. Grundlagen ihrer Stärke entwickeln sich in der Sozialisation.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4.2 Wahrnehmung, Bewusstsein, Regulierung mentaler Zustände lebender Systeme</b> <br /></div><br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Höhere Tierarten, zu denen auch Menschen zählen, haben über
Fähigkeiten zur Regulierung materieller Ressourcen hinaus evolutionär
auf kognitiver Kompetenz basierende generalisierte Fähigkeiten
entwickelt, die immaterielle Ressourcen der Überlebensfähigkeit
erschließen. Hierzu zählen u.a. Lernfähigkeit und Erinnerungsvermögen,
Kommunikation und Kooperation, mentale Fähigkeiten der Bewältigung
psychischer
Belastungen, Störungen, Traumata.<br /></div> </div><div style="text-align: left;">Unter chaotischen Bedingungen und einer unüberschaubaren Menge
Entscheidungsparametern sind Entscheidungen nur möglich, wenn der
Wahrnehmungsapparat die Menge potentieller Entscheidungsparameter mittels
unbewusster Filtermechanismen der
Wahrnehmung drastisch reduziert und gleichzeitig Wertigkeiten
relevanter Entscheidungsoption vorbelegt. In modellhaften wissenschaftlichen Vorstellungen sind Wahrnehmungsfilter als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">kategoriales Denken</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotype</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteile</a> bekannt und mit Instrumenten der Sozialpsychologie nachweisbar. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Im
wachen Zustand trifft der kognitive Apparat pausenlos Entscheidungen,
die Menschen oft nicht bewusst werden. Algorithmen unbewusster
Wahrnehmung funktionieren schematisch auf Basis von Vergleichen mit
Mustern gespeicherter kognitiver Strukturen. Schematische Algorithmen
haben den Vorteil, schnelle Entscheidungen zu ermöglichen. Schnelle
Entscheidungen sind nicht immer die besten. Zugrundeliegende Annahmen
können durchaus objektiv falsch sein, aber darauf kommt es nicht an,
weil es ausschließlich um Nützlichkeit geht. Nützlich sind
Entscheidungen dann, wenn sie Entscheidungsziele realisieren und
Überleben ermöglichen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im
Kontext komplexer Entscheidungen sind kognitive Mechanismen beteiligt,
die als bewusste Erkenntnisse wahrgenommen werden. Wie <i>Bewusstsein</i>
es schafft, Sinneswahrnehmungen (abgesehen von pathologischen
Zuständen) so zu integrieren, dass ein Selbst mit dem Gefühl entsteht,
nicht viele Personen, sondern eine einheitliche Person zu
sein und nicht in vielen Welten, sondern in einer einheitlichen
Welt zu leben, ist ein ungelöstes wissenschaftliches Rätsel.
Wahrscheinlich handelt es sich um eine durch neurophysiologische
Prozesse erzeugte Illusion. Bewusstseinsstörungen wie Schizophrenie oder
bipolare Störungen beruhen vermutlich auf Funktionsstörungen dieser mentalen
Mechanismen. Phänome der Ich-Illusion beschreiben verlinkte Artikel:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Tagesspiegel: <a href="https://www.tagesspiegel.de/wissen/das-ich-ist-nur-eine-illusion-4502794.html" target="_blank">Das Ich ist nur eine Illusion</a><br /></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/news/kontinuierliches-erleben-ist-eine-illusion/1586556" target="_blank">Kontinuierliches Erleben ist eine Illusion</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/michael-gazzaniga-die-ich-illusion-seien-sie-mal-nicht-so-stolz-auf-ihr-ich-11667027.html" target="_blank">Seien Sie mal nicht so stolz auf Ihr Ich!</a> <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Dank
eines illusionär erzeugten Selbst vermögen komplexe Organismen von
Menschen und höheren Tierarten offenbar unendlich chaotische
biochemische
Prozesse in Interaktionen mit einer noch komplexeren und chaotischeren
Umwelt zu regulieren. Neurophysiologisch ist anzunehmen, dass
Regulationsprozesse von genetisch codierten Kohärenz erzeugenden
neurobiologischen Mechanismen gesteuert werden. Als Trigger dieser
Prozesse werden intrinsische psychische Grundbedürfnisse nach
Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit,
Angstreduzierung angenommen. Diese Grundbedürfnisse regulieren
individuelle Wahrnehmungsprozesse. Dieses beziehen sich nach Innen auf
das Selbst und nach außen auf Lebensräume (soziale Gruppen,
Symbolsysteme, abstrakte Glaubenssysteme). Der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/03/pathogenese-und-salutogenese-entstehung.html" target="_blank"><i>Pathogenese vs. Salutogenese oder die Verwandlung von Chaos in mentale Ordnung</i></a> streift in mehreren Kapiteln Aspekte des Kohärenzsystems.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zusammenhänge
zwischen mess- und darstellbaren
Stoffwechselprozessen auf der Molekularebene einerseits sowie mentalen
Zuständen des individuellen Bewusstseins andererseits bilden unter dem
Einfluss
von Kultur ein komplexes, analytisch schwer durchdringbares vernetzt
interagierendes Bedingungsgeflecht. Koppelungen elementarer
neurophysiologischer Mechanismen mit
kognitiven Strukturen erzeugen Systeme, die ihre Dynamik aus selbst
kreierten bzw. konstruierten Bedürfnissen speisen. Selbstregulierende
mentale Systeme bilden Voraussetzung für die Entwicklung kultureller
Lebensräume. Modellhaft vereinfachend können diese Zusammenhänge wie
nachfolgend aufgefasst werden:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Primäre Bedürfnisse resultieren aus unmittelbaren
biologischen Lebensanforderungen, wie sie Ernährung, biologische Reproduktion,
soziale Selektion, Kooperationsanforderungen etc. darstellen. Primäre Bedürfnisse werden von unbewussten Mechanismen reguliert.<br /></li><li>Auf der Bewusstseinsebene werden unbewusste biochemische Prozesse als emotionale und motivationale Impulse
wahrgenommen, die Aktivierung und Sättigung von Bedürfnissen eines Organismus bewirken. <br /></li><li>Plastische
mentale Systeme sind offene
Systeme, die über Fähigkeiten zur Konstruktion mehr oder weniger
fluider, bewusst wahrgenommener sekundärer Bedürfnisse verfügen. <br /></li><li>Sekundäre
Bedürfnisse dienen zwar keinen unmittelbaren biologischen
Lebensanforderungen, aber sie werden von den gleichen neurobiologischen
Kohärenzmechanismen reguliert. Diese Mechanismen<ul><li>messen kontinuierlich nicht nur physiologische Zustände, sondern auch sinnliche
Wahrnehmungen emotionaler und kognitiver Art,</li><li>gleichen sie mit
Sollzuständen lebensnotwendiger primärer Bedürfnisse des biologischen
Organismus sowie mit sekundären Bedürfnissen des mentalen Systems ab </li><li>und erzeugen im
Fall von Abweichungen steuernde Impulse für die Auslösung von Aktivitäten.</li></ul> </li><li>In Kooperation mit dem Kohärenzsystem regulieren kognitive Fähigkeiten des mentalen Systems sekundäre Bedürfnisse in 2 Modi:</li><ul><li> Ein generativer Modus erzeugt bzw. kreiert oder konstruiert als nützlich empfundene sekundäre Bedürfnisse des mentalen Systems.</li><li>Ein
auf Nutzenmaximierung ausgerichteter Kontrollmodus bewertet die
Nützlichkeit sekundärer Bedürfnisse und bewirkt bei Bedarf
Modifikationen.</li></ul><li>Regulatorische Mechanismen des
Kohärenzsystems interagieren in iterativen Prozessen mit einem
komplementären internen Belohnungssystem. Dieses wirkt mit als Emotionen
resp. Motivation wahrgenommenen Signalen steuernd auf das
Kohärenzsystem ein.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Annahmen
selbstregulierender Interaktionen eines Kohärenzsystems mit einem
internen emotionalen Belohnungssystem machen verständlich, wie in einer
chaotischen Umwelt ein Überleben im Chaos möglich wird:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Mentale Ordnungskonstrukte erzeugen im mentalen System Verstehbarkeit, Beherrschbarkeit, Sinnhaftigkeit. <br /></li><li>Fähigkeiten
des mentalen Systems erzeugen soziale Systeme mit konstruierten
kohärenten Zusammenhängen von Kultur, Familie,
Freundschaften, Gemeinschaften, Religion, Gesellschaften etc. und
bewirken aufgrund sich ständig verändernder Bedingungen der Umgebung
dieser Systeme laufende Anpassungen.</li><li>Prozesse der Erzeugung,
Aufrechterhaltung und Anpassung von Kohärenzystemen erfordern
Anstrengungen und verbrauchen Ressourcen, die auch in anderen Bereichen des
Lebens eingesetzt werden können oder dort fehlen und handlungsbedürftige
Mangelzustände zeigen. Daher bevorzugen Kohärenzsysteme stabile
Strukturen der Homöostase.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><i>Der Standard</i>, 12.04.2023: <i><a href="https://www.derstandard.de/story/2000145076756/gibt-es-einen-freien-willen" target="_blank">Deterministisches Universum: Gibt es einen freien Willen?</a></i></div><div style="text-align: left;"><i> </i><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5 Wie gehen soziale Systeme mit Komplexität, Chaos, Kontingenz um?<br /></b></div></div><br /><div style="text-align: left;">Kohärenzgefühle interagierender und kooperierender Menschen bewirken die Entstehung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4sion_(Psychologie)" target="_blank">Kohäsion</a>
(emotionale Zusammengehörigkeitsgefühle) sozialer Gruppen. Der
Zusammenhalt ähnlich gesinnter sozialer Gruppen (Familien,
Verwandtschaften, Sippen, Clans, Freundeskreise, Sportmannschaften,
Zusammenarbeit in beruflichen Teams, kooperierende karitative, politische, militärische Gruppen
etc.) erzeugt und stärkt Bindungen, reduziert oder vermeidet Angst und
ist ein wesentlicher Faktor für individuelles Wohlergehen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kontingente
Umweltbedingungen treiben evolutionäre Prozesse biologischer und
sozialer Art, deren Interdependenzen auf der Individualebene Bewusstsein
erzeugen (Kapitel 3.2) und auf der Kollektivebene <i>Kultur</i> modellieren. <b>Was</b> als <i>Kultur</i> verstanden wird und <b>wie</b> <i>Kultur</i> entsteht, betrachtet der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">Was ist Kultur?</a></i>. In diesem Kapitel geht es um die Frage <b>warum</b> <i>Kultur</i> entsteht. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Auf organischer Systemebene verhelfen nützliche biologische Mechanismen
zur Reduzierung von Chaos mittels Filter des Wahrnehmungsapparates
sowie mittels mentaler Prozesse der Ordnung und Bewertung von
Wahrnehmungsinhalten gemäß Anforderungen psychischer Grundbedürfnisse.
Diese Mechanismen erzeugen als Resultat Illusionen eines Selbst, das
sich als Einheit erlebt und Realität von Welt als einen hoch komplexen
Zusammenhang auffasst, der zwar (noch) nicht in allen Details verstanden
ist, aber als prinzipiell rational zugänglich gilt.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.1 Entstehung von Kultur </b><b>und des Fortschrittsparadigmas westlicher Kulturen</b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Alle höheren biologischen Arten entwickeln in der Auseinandersetzung mit
ihrer Umwelt Strategien des Überlebens, der Reproduktion und des
existenziellen Krisenmanagements. Einige höhere Arten verfügen in einem weiten Verständnis des Begriffes über <i>Kultur</i>
im Sinne der Fähigkeit, Strategien individuell zu lernen und kommunikativ zu teilen.
Kulturelle Strategien bevorraten Praktiken der Weltbewältigung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Fähigkeiten
zur evolutionären Kumulierung kultureller Strategien sind eine
spezielle Eigenschaft von Homo sapiens, die ihn von anderen
biologischen Arten absetzt. Mit
der evolutionären Entwicklung der menschlichen Art entwickeln sich im
mentalen System primäre Bedürfnisse kohärenter Sinnhaftigkeit. Auf
Lebensrisiken reagiert das mentale System mit Alarmmeldungen, die
als Aufmerksamkeit erzeugende emotionale Angstzustände empfunden werden
und Aktivität erfordern. Die Etablierung externer Kohärenzsysteme
ermöglicht unter prekären Bedingungen relative Entscheidungs- und
Verhaltenssicherheit und erhöht Lebenschancen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Nicht
erklärbare empirische Phänomene können auf unbekannte Risiken hinweisen
und erzeugen daher Alarmzustände. Wenn nicht erklärbare empirische
Phänomen regelmäßig auftreten, ohne dass Risiken zu erkennen sind,
stören sie das Koheränzbedürfnis des mentalen Systems und erzeugen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Dissonanz" target="_blank">kognitive Dissonanzen</a>,
die das mentale System mit Hilfe kausaler Erklärungskonstrukte auflöst.
Narrative der Erklärung von Kausalität befriedigen Bedürfnisse
kohärenter Sinnhaftigkeit, indem sie rational nicht erklärbare
empirische
Phänomene verständlich machen und Ängste vor Risiken des Lebens
reduzieren. </div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;">Im Kontext kultureller Evolution entstanden für kausal nicht erklärbare empirisch wahrnehmbare Zustände und Ereignisse religiöse Deutungsmuster und Handlungsvorschriften.
Menschen bevorzugen prägnante Begriffe als Anker eigener abstrakter
Vorstellungen. Die begriffliche Verdichtung einer speziellen Klasse
kultureller Phänomene auf den Begriff <i>Religion</i> vermittelt
implizit Vorstellungen relativ gleichartiger kultureller Deutungsmuster mit relativ ähnlichen Praktiken. Tatsächlich handelt es sich um einen vielgestaltigen kulturellen Komplex, der zeitlich, räumlich, ethnisch,
geschlechtlich eine große Bandbreite an Strategien und Praktiken ausprägt. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nach mehr als 1000 Jahren setzte um das Jahr 1700 in westlichen Kulturen mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> und der beginnenden Industrialisierung eine Umkehrung von Zukunftsvisionen ein. Die Kumulierung von Wissen und Fähigkeiten im Prozess kultureller Evolution verdrängte zuvor als sicher geltende Vorstellungen apokalyptischer Eschatologie zugunsten optimistischer Erwartungen evolutionären Fortschritts.
Narrative rechtfertigten
Irrtümer und Kollateralschäden als unvermeidbare Begleiterscheinungen
iterativer Prozesse kulturellen Fortschritts und erwarten mit wachsendem
Fortschritt die Minimierung von Irrtümern und Kollateralschäden gegen
Null. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Im
Kontext der Umwelt kooperierte Homo sapiens 99 % des Zeitraums
seiner Existenz in kleinen Gruppen unter egalitären Bedingungen
weitgehend friedlich, basisdemokratisch und gendergerecht. Vor ca. 10.000 Jahren entstanden
mit der Neolithisierung (Übergang zur Sesshaftigkeit) soziale
Ungleichheit und Ausbeutung und verdrängten egalitäre Kultur. Die Frage,
ob diese Wende als Katastrophe oder als Erfolgsstory zu
werten ist, wird kontrovers diskutiert. Erfolge westlicher
Kulturen geben der optimistischen Weltsicht dieser Kulturen scheinbar
Recht. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Innerhalb westlicher Kulturen reklamieren insbesondere
Kulturwissenschaftler Einwände gegen diese Ansichten. Diese bleiben
überwiegend ungehört oder unverstanden. Attraktiv und
sympathisch ist die westliche Perspektive vor allem für Menschen, die
als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/WEIRD" target="_blank">WEIRD</a></i>
(<u>w</u>estern, <u>e</u>ducated, <u>i</u>ndustrialized, <u>r</u>ich, <u>d</u>emocratic) gelten. Global
sind das ca. 12 %. Menschen der <i>WEIRD</i>-Kulturen ignorieren gerne, dass Wohlstand auf Fundamenten von Imperialismus, Dogmatismus, Rassismus errichtet ist, die Ausbeutung und Unterdrückung rechtfertigen. Außerhalb westlicher Kulturen
teilen längst nicht alle Menschen westliche Weltsichten und deren Werte. Daher erzeugt die globale
materielle Überlegenheit westlicher Kultur terroristischen
Widerstand, dessen Ethik nicht weniger problematisch ist. <br /></div></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.1.1 Kultur als Symbolsystem menschlicher Kooperation </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kooperation
erfordert Synchronisierung des Denkens und Verhaltens der Mitglieder
einer sozialen Gemeinschaft. Synchronisierung basiert auf Systemen
generalisierter Symbole (Laute,
Sprache, Gesten, Zeichen, Bilder, Musik, Riten etc.), über die ein
gemeinsames Verständnis besteht. Um Ressourcen zu schonen, ist es
sinnvoll, Symbole
stück- und fallweise nicht bei Bedarf immer wieder neu zu erfinden.
Bewährte Symbole, über deren Semantik Konsens besteht, verfestigen sich
zu Vorräten an Symbolsystemen, die bei Bedarf effiziente Kommunikation
und Kooperation ermöglichen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das gesamte Bündel bevorrateter Symbolsystemen einer sozialen Gemeinschaft bildet eine <i>Kultur</i>. <i>Kultur</i>
erzeugt eine virtuelle soziale
Systemebene, auf der primäre Ressourcen der Reproduktion,
Nahrungsversorgung, Sicherheit und ggf. weitere sekundäre Ressourcen in
sozialen Verbänden gemeinschaftlich synchronisiert und organisiert
werden. Symbolsysteme werden in Lernprozessen mimetisch (durch
Nachahmung) und episch (durch Sprache) sozial vererbt.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kultur
entsteht in
Bewusstseinsprozessen. Kognitive Kompetenz nutzt Elemente des
kulturellen Vorrats bestehender Symbolsysteme weitgehend unbewusst als
Selbstverständlichkeit, um Lebensbedingungen zu organisieren. Im Fall
veränderter oder neuer Lebensbedingungen erfolgen Anpassungen von<i> Kultur</i>, indem neue oder veränderte Symbole bewusst modelliert und in bestehende Symbolsysteme integriert werden. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Regulierungsbedarf
von Kooperation und Organisation benötigt und verbraucht Ressourcen,
die in anderen
Kontexten fehlen, obwohl sie dort ebenfalls benötigt werden.
Regulierungsbedarf erzeugt unvermeidbare Ineffizienz, die für den Gewinn
verbesserter
Handlungsfähigkeit in Kauf genommen wird. Mit Größe sozialer
Verbänden nimmt Regulierungsbedarf zu. Arbeitsteilige Organisation und
die Etablierung sozialer Institutionen minimieren entstehende Ineffizienz. Soziale Institutionen wie
Familien, Verwandtschaftssysteme, Erziehungssysteme,
Herrschaftsstrukturen etc. legen in verschiedenen Handlungsfeldern
Organisationsregeln fest, erzeugen Verbindlichkeit, schränken Willkür
und Beliebigkeit ein. Soziale Institutionen entlasten individuelle
Verantwortung mittels verteilter Verantwortung und stärken die
Gemeinschaft mittels Kohäsion. In formalen Organisationen von
Bürokratien,
Produktionsbetrieben und Serviceunternehmen sind diese Prinzipien
umgesetzt und optimiert. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zwischen
volatilen Umweltbedingungen und intendierten Handlungen ihrer
Bewältigung bestehen Dynamik erzeugende Wechselwirkungen.
Unbeabsichtigte Nebeneffekte absichtsvoller Handlungen tragen zur
Kontingenz von Umweltbedingungen bei und
verändern oder erhöhen Chaos von Realität und
bewirken Zunahme prekärer Lebensbedingungen. Da Chaos lebensfeindlich
ist, erfordert es Anstrengungen zur Reduzierung von
Lebensfeindlichkeit. <br /></div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.1.2 Kollektives kulturelles Gedächtnis</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Typische Beschreibungen von Gegenwartskulturen vernachlässigen Erinnerungen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturelles_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kulturellen Gedächtnisses</a>, das als Bestandteil des sozialen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kollektiven Gedächtnisses</a>
kulturelle Muster über Jahrhunderte und Jahrtausende per Traditionen
weitergibt und menschliches Zeit- und Geschichtsbewusstsein, Selbst- und
Weltbild prägt. </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Den
meisten Menschen dürfte nicht bewusst sein, dass z.B. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>in Symbolik von
Hochzeits- und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bestattungsritus" target="_blank">Bestattungsriten</a> prähistorische Kulthandlungen erhalten sind, </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Ahnenkult" target="_blank">Ahnenkulte</a> in Friedhofskulturen zeitlich überdauern, </li><li>Grabsteine Varianten megalithischer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Menhir" target="_blank">Menhire</a> sind,</li><li> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Initiation" target="_blank">Initiationsriten</a> in Kulturen schon immer als wichtige Übergänge individueller Lebensphasen gelten und noch immer in Traditionen von Taufe, Kommunion, Konfirmation, Abschlussfeiern etc. symbolisch Ausdruck finden und offensichtlich so wichtig sind, dass in der DDR als Alternative und Gegenmodell zu religiösen Riten die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jugendweihe" target="_blank">Jugendweihe</a> eingeführt wurde, </li><li>Volkskunst, Folklore, Trachten auf Traditionen beruht, deren Ursprünge
kaum jemand kennt, von denen kaum jemand weiß, warum sie für die
individuelle kulturelle Identität bedeutsam sind,</li><li>Siegerehrungen sportlicher oder kultureller Wettbewerbe Relikte von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heros" target="_blank">Heroenkulten</a> darstellen, die bereits in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Agon_(Wettstreit)" target="_blank">Agonen</a> (Wettkampf-Spielen) der Antike zu den bedeutendsten kulturellen Veranstaltungen zählten,</li><li>Kirchengebäude als Versionen von Tempelanlagen einzuordnen sind, die seit der Übergangszeit vom <a href="https://www.wikiwand.com/de/Altsteinzeit" target="_blank">Paläolithikum</a> zum <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jungsteinzeit" target="_blank">Neolithikum</a> errichtet werden (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/G%C3%B6bekli_Tepe" target="_blank">Göbekli Tepe</a>, National Geographic: <a href="https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/orkney-inseln-ein-tempel-der-steinzeit" target="_blank">Orkney-Inseln: Ein Tempel der Steinzeit</a>),</li><li>Tempelanlagen
(Kirchengebäude) nicht nur religiösen Funktionen, sondern zahlreichen und sehr unterschiedlichen sozialen
Funktionen dienen, <br /></li><li>von der Umgebung abgehobene Groß- oder Monumentalarchitekturen von Tempelanlagen nur vordergründig religiös zu begründen sind und vor allem Machtstrukturen symbolisch repräsentieren,</li><li>ritueller Geschenkaustausch wahrscheinlich schon immer zwischen Menschen stattfand und Geschenke die Funktion haben, Vertrauen zwischen Menschen herzustellen, um Kooperationen zu ermöglichen. <br />Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass Menschen intuitiv wissen, zu welchen Anlässen Geschenke erwartet oder ausgetauscht werden, welche Art von Geschenk zu welchem Anlass geeignet ist, welche wertmäßige Größenordnung eines Geschenkes als angemessen gilt, aber andererseits enttäuscht oder empört reagieren, wenn implizite Erwartungen verfehlt werden. Menschen sind sich der unausgesprochenen traditionellen Verpflichtungen bewusst, kennen aber i.d. R. nicht die sozialen Funktionen des Geschenkaustauschs. <br /></li></ul></div></div><div style="text-align: left;">Exemplarisch genannte kulturelle Muster sind in allen Kulturen zu finden, weil sie offensichtlich für die Existenz von Kulturen wichtig und mit individuell gleichartigen mentalen Bedürfnisstrukturen verwoben sind. Innerkulturell korrespondieren Kulturmuster mit kulturspezifischen Ausprägungen von Formen und Normen. Da funktionale Bedeutungen unbewusst bleiben und Ausprägungen von Formen und Normen kulturell variieren, bleiben im Alltagsdenken gemeinsame funktionale Kerne i.d.R. unerkannt sowie in fremden Kulturen herausgebildete Ausprägungen unverstanden. Strukturelle Gesetzmäßigkeiten erschließen sich erst im wissenschaftlich-analytischem Denken. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Für Menschen,
die in der Symbolwelt ihrer kulturellen Umgebung leben, bleiben nicht nur von kulturellen Symbolen transportierte Bedeutungen unbewusst, sie sind sich ihrer Kultur insgesamt unbewusst und das
darf auch gar nicht anders sein:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Menschen konstruieren Symbole mittels in Sprache, Zeichen, Bildern, Ritualen verwobenen Bedeutungskontexten. Aus diesen Elementen setzen sich Kulturen zusammen. Prozesse der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Enkulturation" target="_blank">Enkulturation</a> machen nicht einfach Menschen zu Elementen einer Kultur, sondern sie formen das individuelle Bewusstsein einer mehr oder weniger einzigartigen Identität von Menschen. Mentales Bewusstsein der Einzigartigkeit gestattet keine beliebigen kulturellen Ausprägungen, sondern verlangt nach absolut sinnhaften Konstrukten der Welt. Diese unterscheiden sich jedoch zwischen Kulturen und machen daher die interkulturelle Verständigung schwierig. <br /></li><li>Menschen benötigen kein explizites Bewusstsein von
Symbolen, weil deren Bedeutungen im kollektiven kulturellen Gedächtnis
verankert und in kontextuellen Riten unmittelbar (unbewusst)
präsent sind. </li><li>Menschen dürfen sich der Bedeutung nicht bewusst sein, weil
rationale Begründungen von Ritualen und Symbolen deren Bedeutung
und Zauber demontieren. Eine Art magischer Kraft können Rituale und Symbole nur dann entfalten, wenn diese
Kraft unbewusst auf Verhalten einwirkt. </li><li>Fragen nach Bedeutungen und Sinnhaftigkeit sind für religiöse Glaubenssysteme gefährlich und müssen daher bestraft werden. Nachdem Adam und Eva Früchte vom Baum der Erkenntnis gegessen haben,
werden sie aus dem Paradies verbannt, um zu verhindern, dass sie
auch noch Früchte vom Baum des ewigen Lebens essen und damit zu Göttern
würden. Weil Religionsstifter diese Gefahr verstanden haben, verlangen religiöse Glaubenssysteme bedingungslose Hingabe an Dogmen. <br /></li><li>Bewusstwerdung von Kultur entfremdet Menschen nicht nur von ihrer
nativen Kultur, sondern auch von ihrer eigenen, durch Kultur
vermittelten sozialen Identität und nicht zuletzt von ihnen nahe stehenden Menschen ihrer eigenen Herkunft. Literarisch hat <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Frisch" target="_blank">Max Frisch</a> diesen Prozess im Roman <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mein_Name_sei_Gantenbein" target="_blank"><i>Gantenbein</i></a><i> </i>verarbeitet.</li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Aufgrund unterschiedlicher kollektiver Erinnerung konstatiert die Kulturwissenschaftlerin <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aleida_Assmann" target="_blank">Aleida Assmann</a> in einem Essay zu <i><a href="https://www.bpb.de/themen/erinnerung/geschichte-und-erinnerung/39802/kollektives-gedaechtnis/" target="_blank">Geschichte und Erinnerung</a></i>: <div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Gegenwärtig
entstehen [...] in Europa neue Frontlinien entlang solcher Nationen,
die sich den Standards einer ethischen Globalisierung unterwerfen und
solchen, die dieses nicht tun und auf dem alten Prinzip einer
erinnerungspolitischen Selbstbestimmung beharren." </i></div></div> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.memorystudies-frankfurt.com/people/astrid-erll-2/" target="_blank">Astrid Erll</a>, Professorin für anglophone Literaturen und Kulturen an der
Goethe-Universität Frankfurt, beschäftigt sich mit der Thematik
kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen und betrachtet u.a. vor
dem Hintergrund historischer Vergleiche die Frage, welche Spuren die
Corona-Pandemie im kollektiven Gedächtnis hinterlässt: <a href="https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/geschichte-und-erinnerung-2021/341148/jenseits-des-erwartungshorizonts/" target="_blank"><i>Jenseits des Erwartungshorizonts - Pandemie und kollektives Gedächtnis</i></a> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine Ahnung von der Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses vermitteln Analysen und Diskussionen anlässlich der für den 6. Mai 2023 geplanten Krönungszeremonie für Charles III.<br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.1.3 Kollektivbewusstsein, Diskurse, Konflikte</b><br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Unter
Bedingungen knapper Ressourcen gehörten Arbeitsteiligkeit und Streit
zwischen Menschen sowie Konflikte zwischen rivalisierenden sozialen
Gruppen wahrscheinlich schon immer zum Repertoire von Sozialverhalten.
Um kooperieren zu können, benötigen aber auch nomadisierende kleine soziale Verbände gemeinsame Weltsichten.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Abgesehen
von wenigen eher instinktiv regulierten universellen Verhaltensmustern manifestiert sich
soziales Verhalten weitgehend unbewusst als Ausprägung interkulturell variierender Werte-
und
Glaubenssysteme, die weitgehend unbewusst als wahr, gültig, richtig
angenommen werden und als Selbstverständlichkeiten innerkulturell nicht
diskutiert oder problematisiert werden. Diesen Sachverhalt umschreibt der Begriff des <a href="https://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Kollektivbewusstsein" target="_blank">Kollektivbewusstseins</a>.
Kollektivbewusstsein umfasst die Gesamtheit aller gemeinsamen
Ansichten, Emotionen, Werte einer Kultur und erzeugt Gefühle der
Zusammengehörigkeit (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Gruppenkoh%C3%A4sion" target="_blank">soziale Kohäsion</a>), indem es sich individuell als 'kollektives Wir' manifestiert. Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mode" target="_blank">Moden</a>, zu denen Menschen unterschiedliche Einstellungen haben können, denen sich aber niemand entziehen kann.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Sachverhalte dieser Art belegte
der
französische Soziologe <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a>
mit den Begriffen <i>Habitus</i> (sozial vererbtes und individuell angeeignetes kulturelles System von Verhaltensdispositionen) und <i>Doxa</i> (nicht hinterfragbare, selbstverständliche Auffassungen von Realität) und wies deren Einfluss auf das
Denken und Verhalten von Menschen in empirischen Studien nach (Post: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitus und Doxa</a></i>). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Diskurse
und Konflikte entstehen insbesondere dann, wenn unterschiedliche Werte-
und
Glaubenssysteme aufeinandertreffen und jeweils Gültigkeit beanspruchen.
Im Alltagsleben komplex differenzierter Sozialsysteme gehören Konflikte
dieser Art zu kulturellem Ballast, der nicht wünschenswert, aber
unvermeidbar ist. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Nomadisierende soziale Verbände sind weitgehend egalitär und basisdemokratisch organisiert.
Auf ungünstige Lebensbedingungen können diese Verbände flexibel
reagieren, indem sie andere Lebensräume aufsuchen. </li><li>Unter
Bedingungen von Sesshaftigkeit geht diese Flexibilität verloren.
Erfolgreiche, robuste Kulturen können mit solchen
Konflikten umgehen, weil sie zu deren Bewältigung
Deeskalationsmechanismen in Form kultureller Pluralismuskonzepte
entwickelt haben. Weniger robuste Kulturen provozieren Fluchtbewegungen
und Migrantenströme. <br /></li></ul></div></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6 Bedeutung und Entstehung von Religion </b>(in Bearbeitung)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Antworten auf Fragen nach Ursachen der Universalität und der Entstehung
religiöser Phänomene haben naturgemäß spekulativen Charakter und sind
von wissenschaftlichen Perspektiven beeinflusst. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Protoreligiöse Vorstellungen sind wahrscheinlich bereits mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hominisation" target="_blank">Homonisation</a>
entstanden. Die ältesten bekannten protoreligiös gedeutete Begräbnisse fanden vor ca. 120.000 Jahre statt. Rituell-kultische Deutungen von Bestattungen setzen voraus, dass im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mittelpal%C3%A4olithikum" target="_blank">Mittelpaläolithikum</a> Fähigkeiten zur Symbolbildung und damit zur Kulturbildung bestanden (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religion_im_Pal%C3%A4olithikum" target="_blank">Religion im Paläolithikum</a>). Im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kollektiven Gedächtnis</a> (Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/frage/was-ist-das-kollektive-gedaechtnis/1486537" target="_blank"><i>Was ist das kollektive Gedächtnis?</i></a>)
verankerte und mittels tradierten Mythen, symbolischen Zeichen, Ritualen etc. sozial vererbte Symbolsysteme bilden
vermeintlich alternativlose Selbstverständlichkeiten, über die kein
expliziter Konsens hergestellt werden muss (<i>doxisches </i>Verhalten in der Terminologie von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a>). </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionsanthropologie" target="_blank">Religionsanthropologie</a>
untersucht Strukturen religiösen Verhaltens aus verschiedenen Sichten,
u.a. Entstehen und Wirken religiöser Glaubenssysteme, Symbolik, Mythen,
Rituale, heilige und transzendentale Phänomene, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Theophanie" target="_blank">Theophanie</a>
(Manifestierung von Göttern), Institutionalisierung von Religionen.
Religionsanthropologie identifiziert 6 Zeitphasen der Entstehung religiöser Phänomene:</div><ol style="text-align: left;"><li>Entdeckung vermeintlich transzendenter Phänomene des Lebensraums, aus der sich Kultur entwickelt,</li><li>Nachdenken
über Sterblichkeit, das sich in frühen Bestattungsriten manifestiert
und als Nachweis der Fähigkeit zum Denken über Transzendenz gilt,</li><li>Entwicklung von Mythogrammen als Mythensysteme im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jungpal%C3%A4olithikum" target="_blank">Jungpaläolothikum</a>, </li><li>Darstellung von Gottheiten ab dem <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neolithikum" target="_blank">Neolithikum</a>,</li><li>Personifizierung von Gottheiten in symbolischen Darstellungen und Bau von Tempelanlagen in frühen Hochkulturen Mesopotamiens,</li><li>Entstehung
der großen monotheistischen Religionen mit Absolutheitsanspruch, deren
Gottheiten vollständige Unterwerfung verlangen.</li></ol></div> <b><br /></b><div style="text-align: left;"><b>6.1 Erklärungen der Mikroebene: </b><b>Individualistische Modelle der Entstehung von Religion </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Individualistische Modelle nehmen an, dass der Prozess biologischer Evolution im mentalen System von Homo sapiens ein genetisch codiertes Kohärenzbedürfnis entwickelt hat, das bei Störungen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Dissonanz" target="_blank">kognitive Dissonanzen</a> erzeugt,
die das mentale System mit Hilfe von ebenfalls genetisch codierten Bewältigungsmechanismen aufzulösen versucht. Zu diesen Bewältigungsmechanismen zählen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">kategoriales Denken</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotype</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteile</a>. Diese befähigen zu schnellen Entscheidungen, ermöglichen spontanes Erkennen vermeintlicher Zusammenhänge zwischen empirisch wahrnehmbaren Zuständen oder Ereignissen und möglichen Ursachen.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div> Zur Regulierung dauerhafter Zustände und regelmäßig auftretender Ereignisse entstanden Im
Kontext kultureller Evolution Praktiken der Weltbewältigung bevorratende kulturelle Strategien. Mit einfachen 1:1-Kausalattribuierungen nicht erklärbare
empirische
Phänomene erzeugen aufzulösende Ängste. Auf immaterielle Kräfte und Mächte verweisende religiöse Deutungsmuster
hegen diese Ängste ein und befriedigen Bedürfnisse
kohärenter Sinnhaftigkeit mit Hilfe von Handlungsvorschriften. </div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><b> <br /></b></div><div style="text-align: left;"><b> <br /></b></div><div style="text-align: left;"><b>6.1.1 </b><b>Entstehung von Religion </b><b>als Bewältigungssystem von Todesangst </b><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Vertreter der sozialpsychologischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Terror-Management-Theorie" target="_blank">Terror-Management-Theorie</a>
(TMT) betrachten das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit (Mortalitätssalienz) als
Hauptproblem menschlicher Spezies, weil gemäß Annahmen dieser Theorie
ein starker Konflikt mit dem universalen Selbsterhaltungstrieb und
daher lähmende Angstzustände (Terror) entstehen. TMT nimmt an, dass zwei als <i>kulturelle Angstpuffer</i> bezeichnete Bewältigungsmechanismen diesen Konflikt auflösen: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Gemäß Mortalitätssalienz-Hypothese entstehen aus dem Bewusstsein von Verletzlichkeit und Endlichkeit als <i>Angstpuffer</i>
der kollektiven Ebene kulturelle Weltanschauungen, die die Welt mit
Ordnung, Sinn, Dauerhaftigkeit anreichern und existenziellen Terror
verdrängen. (Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/terror-management-theorie/15424" target="_blank">Terror-Management-Theorie</a>)<br />Sinnhaftigkeit
kollektiver Weltanschauungen fordert auf strengen Regeln basierende
ritualisierte Strukturen gemeinsamer Werte, die zu einer sozial
geteilten Lebensführung verpflichten. Kulturelle Weltanschauungen
entwickeln als externe Kohärenzsysteme Verständnisse von Sinnhaftigkeit,
die sich in Mythen, Symbolen
und symbolischen Verhaltensweisen bzw. protoreligiöser
Vorstellungen manifestieren. <br /></li><li><div style="text-align: left;">Indem der kulturelle Kontext Erwartungen der Unsterblichkeit in Aussicht stellt und
Emotionen der Selbstachtung erzeugt, schützt und stabilisierte er als <i>Angstpuffer</i> der individuellen Ebene das den Selbsterhaltungstrieb symbolisch manifestierenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Selbstwert" target="_blank">Selbstwertgefühl</a>. </div></li></ul></div><div style="text-align: left;">In Studien konnten jedoch nur schwache Korrelationen zwischen
Religiosität und Angstgefühlen nachgewiesen werden (Online Lexikon für
Psychologie & Pädagogik: <a href="https://lexikon.stangl.eu/19609/terror-management-theorie" target="_blank">Terror-Management-Theorie</a>, Simon Schindler, TU Dresen: <a href="https://tu-dresden.de/mn/psychologie/ifap/methpsy/ressourcen/dateien/forschung/openscience/materialien/Mortalitaetssalienz-Hypothese-auf-dem-Pruefstand-Simon-Schindler.pdf?lang=de" target="_blank">Die Mortalitätssalienz-Hypothese auf dem Prüfstand</a>).
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Untersuchungen in
westlichen Kulturen der Neuzeit durchgeführt wurden und dort völlig
andere Kultureinflüsse auf Emotionen einwirken, als das zur Blütezeit
von Religionen und Religionssystemen der Fall war und wahrscheinlich in
einigen Kulturen noch immer ist.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.1.2 Entstehung von Religion aus </b><b>neurobiologischer Sicht </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Neurobiologe
<a href="https://forschdb.verwaltung.uni-freiburg.de/servuni/forschdbuni.recherche0?xmldokumentart=Bibliotb&lfdnr=203&sprache=D&Layout=uni&Ausgabeart=bs&Rahmen=1&CSS=https://forschdb.verwaltung.uni-freiburg.de/uni2002/content.css&Variante=2" target="_blank">Robert-Benjamin Illing</a> erklärt die Entstehung von Religion als
evolutionäre Anpassungsleistung des Gehirns an Bedingungen der Umwelt.
Religion versteht Illing als Ergebnis kreativen menschlichen
Angstmanagements, das Bilder der Realität konstruiert, die einen
Überlebensvorteil sichern und von 3 primären psychischen Bedürfnissen
getrieben wird (Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/religiositaet-hirnforscher-und-theologen-auf-der-suche-nach-100.html" target="_blank">Hirnforscher und Theologen auf der Suche nach Gott</a>): <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Angst vor dem Tod,</li><li>zwanghaftes Denken der Herstellung kausaler Zusammenhänge, <br /></li><li>zwanghafte Gewohnheit, Vermutungen über fremdseelische Zustände anzustellen.</li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.1.3 Entstehung von Religion aus neurotheologischer Sicht </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der
evangelische Theologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dirk_Evers" target="_blank">Dirk Evers</a> räumt in einem Streitgespräche mit
Illing diese Motive durchaus ein, aber die Wurzel von Religiosität liegt
für Evers im sozialen Raum des Zusammenlebens von Menschen und ihrer
Reflexion dieses Miteinanders. Evers fasst Religion <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neurotheologie" target="_blank">neurotheologisch</a>
auf. Evers sieht in Religion mehr als einen biologischen
Überlebensmechanismus und bezieht Aspekte menschlichen Lebens ein, die
nicht evolutionsbiologisch funktional beschrieben werden können.
(Pressemitteilung Uni Münster, 21.05.2014: <a href="https://idw-online.de/de/news588237" target="_blank">Religion als Instrument der Angstbewältigung</a>)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>6.1.4 Religion in der intepretativen Ethnologie: Clifford Geertz</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Als Hauptprotagonist interpretativer Ethnologie gilt der US-amerikanische Ethnologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a> (1926-2006). Geertz fasste <i>Kulturen</i>
als geschlossene Bedeutungssysteme auf, die er wie literarische Texte
zu lesen, zu analysieren und zu interpretieren versuchte. Schlüssel des
Verstehens bildeten für Geertz Symbole, die in
Kommunikationsprozessen auf Weltsichten, Wertvorstellungen und
Handlungsmotive verweisen. Innerhalb einer durch Symbolsysteme repräsentierten <i>Kultur</i> bildet <i>Religion</i> für Geertz ein eigenes Symbolsystem als notwendiges Muster, <i> </i><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"dessen Ziel es ist, starke,
umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu
erzeugen, indem Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert
werden, die mit einer solchen Aura von Faktizität umgeben werden, dass
die Stimmungen und Motivationen vollkommen der Realität zu entsprechen
scheinen". </i>(Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionsdefinition#Funktionalistischer_Religionsbegriff" target="_blank">Religionsdefinition.Funktionalistischer Religionsbegriff</a>)<i> </i> </div><div style="text-align: left;">Als Orientierungs- und Sinnsystem ist <i>Religion</i> für Geertz <i> </i></div><i>"letztlich
eine Konfliktlösungsstrategie, weil Religionen eine allgemeine
Seinsordnung und ein Ordnungsmuster zur Verfügung stellen und durch sie
kein Ereignis unerklärlich bleibt."</i> (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religion#Clifford_Geertz_und_Gerd_Thei%C3%9Fen" target="_blank">Religion.Clifford Geertz und Gerd Theißen</a>)<i> </i></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2 Erklärungen der Makroebene: Religion als System </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">'Klassische' soziologische Annahme der Makroperspektive besagen, <br /></div><div style="text-align: left;"><ul><li>dass
mit der kulturellen Evolution die Größe sozialer Verbände zunimmt und
mit ihr soziale Komplexität aufgrund sozialer Differenzierung, weshalb
mit zunehmender Größe soziale Kooperationen erschwert, bedroht oder
verhindert werden und daher integrierende und stabilierende
Systemfunktionen notwendig sind. Diese Notwendigkeit im Prozess
kultureller Evolution erklärt die Installation von Göttern als
Normüberwacher und die Etablierung formeller religiöser Institutionen. </li><li>Spiritualität
und Religiosität ermöglichen dauerhafte Kooperationen zwischen nicht
verwandten (fremden) Menschen und damit stabile größere soziale Verbände
(Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hominisation#Spiritualit%C3%A4t_und_Religiosit%C3%A4t" target="_blank">Hominisation.Spiritualität und Religiosität</a>).</li><li>Religionssysteme reduzieren Komplexität der
Realität, indem sie die Wahrnehmung und das Denken von Menschen
vereinheitlichen, Sinn stiften und Kooperation ermöglichen.</li><li>Durch Religion
legitimierte Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung, Genozide und Kriege
werden nicht als Funktionsstörungen aufgefasst, sondern als extreme
Strategien der Reduzierung von Funktionsstörungen. </li></ul></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>6.2.1 Religionssoziologie: Èmile Durkheim, Max Weber, Pierre Bourdieu</b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Der französische Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%89mile_Durkheim" target="_blank">Èmile Durkheim</a>
(1858-1917) und der deutsche Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Weber" target="_blank">Max Weber</a> (1864-1920) gelten als Begründer der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionssoziologie" target="_blank">Religionssoziologie</a>.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Èmile Durkheim deutet<i>e Religion</i>
als Ursprung und Stütze kollektiver Wissensstrukturen und vertrat die
Auffassung, dass das Sakrale Ausdruck eines solidarischen
Systems sei, das menschliche Kooperation und kollektives Leben
ermöglicht (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religiosit%C3%A4t" target="_blank">Religiosität</a>). Diese Erklärung von Religion hat sich kulturwissenschaftlich weitgehend durchgesetzt.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Max Weber erklärt die Dominanz des Kapitalismus, bzw. die Wirtschaftsethik und den Erfolg von Industrieländern in seinem Werk <a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_protestantische_Ethik_und_der_%E2%80%9EGeist%E2%80%9C_des_Kapitalismus" target="_blank"><i>Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus</i></a> (1904) mit <i>okzidentalem Rationalismus</i>, dessen Ausbreitung auf die von Luther und Calvin postulierte asketische proteastantische Ethik zurückzuführen sei. Wissenschaftliche Diskussionen von Webers religionssoziologischen Erklärungen setzte zwischen Kritikern und Vertretern erst nach dem 2. Weltkrieg ein und sind bis heute nicht abgeschlossen. Empirische Prüfungen produzieren widersprüchliche Ergebnisse.<br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> (1930-2002), französischer Soziologe in der Tradition von Èmile Durkheim, macht deutlich, dass und wie <i>Religion</i> in gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen verwoben ist. Herrschaftsstrukturen fördern oder instrumentalisieren jeweils solche religiösen Strömungen, die eigenen dominanten Interesse dienen. Gewicht erhält Bourdieus religionssoziologische Theorie durch Überprüfung an empirischen Beispielen.<i> </i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2.2 Der Ursprung der Religion: Robert Bellah</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">(to do) </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>6.2.3 </b><b>Evolution von Religion in der biologisch-kulturellen <i>Patrix</i> </b><b>(Carel von Schaik und Kai Michel) </b>(in Bearbeitung!) <br /></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div> </div>Die Autoren <a href="https://www.wikiwand.com/de/Carel_van_Schaik" target="_blank">Carel von Schaik</a>, Evolutionsbiologe und Anthropologe, und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kai_Michel" target="_blank">Kai Michel</a>, Historiker und Literaturwissenschaftler (nachfolgend als Schaik/Michel bezeichnet) entwickeln in ihren Veröffentlichungen <br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px;"><i>Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät</i> (Reinbek bei Hamburg 2016) <br />sowie <i>Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern</i> (Hamburg 2020) </div></div><div style="text-align: left;">ein als
2x2-Matrix verstandenes Modell, das in biologischer Evolution entstandene mentale Mechanaismen mit
in kultureller Evolution entstandenen Überzeugungen, Verhaltensvorschriften und Praktiken verknüpft. Der Umbruch vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit veränderte in einer transitorischen Phase Ordnungen, Verhaltensvorschriften, Praktiken, Überzeugungen, Narrative und teilt dieses Modell in ein Vorher und ein Nachher. <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Auf der Achse biologischer Evolution entwickelten alle höheren Arten über lange Zeiträume binäre Muster. Prinzipielle evolutionäre biologische Veränderungen des Homo sapiens haben im Zeitraum der vergangenen 100.000 Jahre nicht stattgefunden.<br /></li><li>Auf der Achse kultureller Evolution modelliert der Prozess kultureller Evolution im relativ überschaubaren Zeitraum der letzten 100.000 Jahre zwei höchst unterschiedliche soziale Muster, in denen sich Denk- und Verhaltensmuster von Homo sapiens tiefgreifend unterscheiden: <br /><ul><li>Abgesehen von kleinen Resten nomadisch oder halbnomadisch lebender Ethnien, lebte Homo sapiens bis vor vor ca. 10.000 Jahren als Jäger und Sammler räumlich ungebunden und daher ohne Privateigentum in kleinen Gruppen weitgehend selbstbestimmt, basisdemokratisch, egalitär und entwickelte auf diese Lebensweise abgestimmte kulturelle Strategien der Weltbewältigung mit sich ergänzenden geschlechtspezifischen soziale Rollenmuster (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Gender" target="_blank">Gender</a>). Unter biologisch determinierten mentalen Ordnungskonstrukten entwickelte Homo sapiens für kausal nicht erklärbare empirisch wahrnehmbare Zustände und Ereignisse als <i>Religion</i> <i>von unten </i>verstandene Deutungsmuster und Handlungsvorschriften.</li><li>Gemäß Auffassung der Autoren entwickelte Homo sapiens mit dem kulturellen Prozess der Neolithisierung
(Übergang zur Sesshaftigkeit) über die
vergangenen 10.000 Jahre eine männlich deformierte Realität,
die Schaik/Michel als toxische <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_(Soziologie)" target="_blank">patriarchale</a> Matrix beschreiben und als <i>Patrix</i> bezeichnen. <br />In der <i>Patrix</i> entstehendes Privateigentum und Konkurrenz um Ressourcen erzeugt soziale Ungleichheit, die nicht nur Frauen diskriminiert, sondern auch die meisten Männer unterdrückt und ungeachtet
ihres Geschlechts den größten Teil der Menschheit ausbeutet. Diese Transformation beschleunigt sowohl soziale als auch ökologische Dynamiken und erzeugt globale Krisen.<br />In der <i>Patrix </i>entsteht eine als Katalysator wirkende neue Art von <i>Religion</i> im Sinne von Herrschaftsstrategie (<i>Religion von oben</i>). <br /></li></ul></li></ul></div><div style="text-align: left;">Dieser Post beabsichtigt keine Detailbetrachtung der <i>Patrix</i>, sondern er beschränkt sich auf Aspekte von <i>Religion</i> im Kontext des Prozesses kultureller Evolution. <br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Schaik/Michel postulieren, dass das weibliche und männliche Geschlecht im Prozess kultureller Evolution <i>Religion</i> als Strategie des Krisenmanagements in genderspezifischen Praktiken der Weltbewältigung als <i>männliche Religion</i> und <i>weibliche Religion</i> ausgeprägt haben, die sich in der Urversion (<i>Religion von unten</i>) zunächst ergänzen. Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit transformiert männlicher Heldenkult religiöse Praktiken der Weltbewältigung zur Herrschaftsreligion (<i>Religion von oben</i>) und vollzieht einen Bruch mit weiblicher <i>Religion</i>.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div></div></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2.3.1</b><i><b> Religion von unten </b></i><b>im Kontext von Gender</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i>Religion von unten<b> </b></i>ist das sehr viel ältere und lange vorherrschende Kulturmuster. <i>Religion von unten </i>entsteht im Prozess kultureller Evolution unter Bedingungen genetisch programmierter mentaler Mechanismen dualistischer Kategorisierung, des Kohärenzzwangs und der Kausalattribuierung
(siehe Kapitel 1.3.1) zwangsläufig ubiquitär. "<i>Ich kenne keinen Landstrich auf der Welt, in dem es keine Religion gibt</i>", erklärt Religionssoziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Detlef_Pollack" target="_blank">Detlef Pollack</a> in einem am <a href="https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/zukunft-von-kirche-und-glaube-religions-soziologe-im-gespraech-19063943.html" target="_blank">5.08.2023 veröffentlichten Interview mit der FAZ</a>. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unter Anwendung genannter fundamentaler mentaler Mechanismen lernen Menschen, nicht unmittelbar kausal erklärbare empirische Phänomen mit Hilfe animistischer Heuristiken als Werk unsichtbarer oder übersinnlicher Akteure (Ahnen, Geister, Dämonen etc.) zu deuten und sich gegen diese Akteure zu schützen. Um unsichtbare oder übersinnliche Akteure nicht zu gefährlichen Feinden zu machen, dürfen sie möglichst weder gestört noch ignoriert werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mittels Stimmen und natürliche Geräusche imitierender Musik, Tanz, Drogen, Ekstase versuchen Menschen mit übersinnlichen Akteuren zu kommunizieren, um deren Verhalten einschätzen und günstig beeinflussen zu können. Im Fall der Erregung übersinnlicher Akteure müssen diese mit Hilfe angemessener
ritueller Handlungen (Geschenke, Dankesgaben, Opfer etc.) oder mit Magie besänftigt
bzw. friedlich und freundlich gestimmt werden. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Schaik und Michel vertreten die Auffassung, dass unter egalitären Bedingungen menschlichen Zusammenlebens zwar ähnliche Anforderungen der Weltbewältigung ähnliche Deutungsmuster erzeugen, diese aber ein breites Spektrum unterschiedlicher Praktiken hervorbringen, deren Muster sich entsprechend der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung in <i>männliche</i> und <i>weibliche</i> <i>Sphären </i>differenzieren, wobei die beiden Sphären unter egalitären Bedingungen nicht miteinander konkurrieren, sondern sich ergänzen, austauschen, vermischen. (<i>Die Wahrheit über Eva</i>, S. 270ff.) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aufgrund geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Fokussierungen
(Rollen) unterscheiden sich sakral besetzte Vorstellungen der <i>männlichen</i> und
<i>weiblichen Sphären</i>: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>In der <i>männlichen Sphäre</i> besteht das Heilige aus Respekt, Kampf sowie
Heldentum fordernde und fördernde große Gefahren und Risiken. Gemäß dieser Auffassung entwickelt die <i>männliche Sphäre</i> Verhaltensmuster des Heldenkults, die auf den Gewinn von Einfluss, Macht, Ansehen abstellen. </li><li>Die <i>weibliche Sphäre</i> überhöht fundamentale Anforderungen des individuellen und familiären alltäglichen Lebens sakral und entwickelt Schutzmechanismen der Alltagsbewältigung, deren Anliegen sich auf Fruchtbarkeit, Ernährung, Gesundheit, Krankheit, Geburt, Kinder, soziale Vernetzung konzentrieren. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2.3.2 Transformation und Institutionalisierung<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Schaik/Michel postulieren, dass sich als <i>Religion</i> bezeichnete Bündel von Deutungsmustern und rituellen Praktiken mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit fundamental verändern. Ursprüngliche Strategien der Weltbewältigung werden nicht vollständig verdrängt bzw. ersetzt, aber von Machtstrategien überlagert und dominiert. In diesem kulturellen Prozess erfahren Geschlechterrollen (Gender) grundlegende Veränderungen, mit denen sich die Wege trennen. Während sakrale Anliegen und religiöse Praktiken der <i>weibliche Sphäre</i> sich weiter auf Anforderungen des individuellen und familiären alltäglichen Lebens beziehen, verfestigt die <i>männliche Sphäre</i> religiöse Anschauungen und Praktiken in Institutionen, deren Regeln überindividuell und überzeitlich als allgemeingültig festgeschrieben werden und damit ein nicht verhandelbares Eigenleben entwickeln. Mit der Institutionalisierung religiöser Überzeugungen und Praktiken wird die <i>männliche Sphäre</i> dominant und unterdrückt die <i>weibliche Sphäre</i>. Lisa Lamm beschreibt diesen Übergang in einem bei National Geographic veröffentlichten Artikel anschaulich: <a href="https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/01/patriarchat-schwache-geschlecht-kulturelle-erfindung-frau-mann-gleichberechtigung" target="_blank"><i>Diskriminierung von Frauen: Woher kommt das Patriarchat?</i></a><br /> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2.3.<i>3</i></b><i><b> Religion von oben</b></i><b> als männliche Herrschaftsreligion</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit vollzieht sich die Institutionalisierung der religiösen <i>männliche Sphäre</i> als männliche Herrschaftsreligion, in der es nicht länger um persönlichen Glauben bzw. individuelle spirituelle Bedürfnisse geht, sondern um die Rechtfertigung hierarchisierter männlicher Macht. Religiöse Symbole feiern männliche Potenz, das Töten von Tieren und Feinden sowie Beute von Kriegserfolgen mit Erniedrigung, Versklavung oder Vernichtung vermeintlicher Feinde als Ikonographie von Macht. Zuvor in Tierjagden entwickelte Techniken werden für Kriege gegen Menschen adaptiert. Regelwerke werden als göttlicher Wille ausgegeben und weltliche Herrscher als Vollstrecker dieses Willens. Die vermeintlich göttlich legitimierte Rechtsordnung schafft eine männlich verzerrte Welt, die <i>Patrix</i>.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div></div></div> </div><div style="text-align: left;"><b>7 Kulturelle Transformation vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit </b>(in Bearbeitung)</div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>7.1 Übergang zur Sesshaftigkeit </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der australische Archäologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vere_Gordon_Childe" target="_blank">Gordon Child</a> (1892-1957) hat für den Prozess des Übergangs zur Sesshaftigkeit in Anlehnung an <i>Industrielle Revolution </i>den Begriff <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Neolithische_Revolution" target="_blank">Neolithische Revolution</a></i> geprägt (auch als <i>Neolithisierung</i> bezeichnet). Der Begriff ist umstritten, weil sich der Übergang zur <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sesshaftigkeit" target="_blank">Sesshaftigkeit</a> in verschiedenen Kulturräumen zu verschiedenen Zeiten in mehreren Phasen über Zeiträume von mehreren tausend Jahren vollzogen hat, in denen sesshafte und nicht-sesshafte Lebensweisen teilweise nebeneinander bestanden oder sich auch jahreszeitlich abwechselten. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Ortsfeste landwirtschaftliche Produktion ist mit größeren Risiken verbunden und erfordert einen deutlich größeren Arbeitsaufwand als nomadische oder halbnomadische Lebensweise. Ortsfeste Nahrungsmittelproduktion war daher wahrscheinlich nicht die Ursache von Sesshaftigkeit, sondern eine ihrer Folgen. Vermutlich ist der Übergang zur Sesshaftigkeit von mehreren Einflüssen verursacht, wie Bevölkerungswachstum, Klimaänderungen, Nahrungsmangel etc.. Der Übergang zur Sesshaftigkeit mit landwirtschaftlicher Produktion vollzog sich global unabhängig voneinander im Nahen Osten, China, Mexiko und breitete sich von diesen Zentren aus. Was diesen Übergang verursacht hat, vermag bisher keine Theorie belastbar zu erklären. (Wikiwand: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neolithische_Revolution#Theorien_und_Kritik" target="_blank">Neolithische Revolution.Theorien und Kritik</a>, Wikibrief: <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Neolithic_Revolution" target="_blank">Neolithische Revolution</a>)<br /></div><ul style="text-align: left;"><li style="text-align: left;">Die aktuelle Forschung vermutet aufgrund von Funden in <a href="https://www.wikiwand.com/de/G%C3%B6bekli_Tepe" target="_blank">Göbekli Tepe</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%87ay%C3%B6n%C3%BC" target="_blank">Çayönü</a> und in <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%87atalh%C3%B6y%C3%BCk" target="_blank">Çatalhöyük</a> im heutigen Anatolien, dass religiöse Kulte der Hauptgrund für den Übergang zur Sesshaftigkeit waren. (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neolithische_Revolution" target="_blank">Neolithische Revolution</a>)</li><li style="text-align: left;">Der österreichische Evolutionsbiologie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Josef_H._Reichholf" target="_blank">Josef Reichholf</a> erregt Aufmerksamkeit mit der These, dass der Übergang zur Sesshaftigkeit stattfand, um Getreide für das Brauen von Bier anzubauen (FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/josef-h-reichholf-warum-die-menschen-sesshaft-wurden-mobilitaet-macht-durstig-1716238.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank"><i>Warum die Menschen sesshaft wurden: Mobilität macht durstig</i></a>). </li></ul><div style="text-align: left;">Unstrittig ist, dass der Übergang zur Sesshaftigkeit starke Einflüsse auf Prozesse kultureller Selbstregulation ausübte. Mit Sesshaftigkeit nehmen Optionen räumlicher Veränderungen ab, weil Sesshaftigkeit Menschen an Territorien bindet und Mengen an Privateigentum vergrößert. Sesshaftigkeit modifiziert Anforderungen eines zuvor mobil und egalitär organisierten sozialen Zusammenlebens und stellt neue Anforderungen </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>der Ressourcenverteilung, <br /></li><li>der Vorratshaltung, </li><li>des
Umgangs mit prekären Lebensbedingungen, </li><li>der Lösung von Konflikten, </li></ul></div><div style="text-align: left;">die folgenreiche neue Regelungen und Lösungen erfordern. Der Übergang zur Sesshaftigkeit vollzog sich nicht als revolutionärer Prozess, aber Auswirkungen von Sesshaftigkeit erzeugen auf bestehende Ausprägungsqualitäten sozialer Strukturen und Prozesse offensichtlich starken Veränderungsdruck. In evolutionshistorisch relativ kurzen Zeiträumen entwickeln soziale Strukturen und Prozesse sich relativ schnell ausbreitende neue Qualitäten, deren Entwicklungs- und Ausbreitungsgeschwindigkeit durchaus sprunghaften revolutionären Charakter haben. Zu diesen neuen Qualitäten zählen</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>zunehmende soziale Differenzierung mit verstärkter arbeitsteiliger Organisation und hierarchischen Machtstrukturen,</li><li>organisierte Kriegsführung,</li><li>Urbanisierung und Staatenbildung, </li><li>politische Systeme der Legitimierung sozialer Ordnungen,</li><li>Symbolsysteme der Verschriftlichung von Sprache,</li><li>Modellierung der Geschlechterrollen in Richtung <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_%28Soziologie%29" target="_blank">Patriarchat</a>,</li><li>Etablierung von Religionssystemen, </li><li>zunehmende kreative Innovationsfähigkeit, <br /></li><li>analytisches rationales Denken im Sinne von Wissenschaft.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Themenfeldern dieser Sachverhalte bilden offene selbstregulierende Systeme, die in wechselseitigen Interdependenzen komplex vernetzt sind und deren Dynamik sich beschleunigt. Die methodisch nicht zu vermeidende analytische Isolierung von Themenfeldern verwischt Komplexität von Zusammenhängen. Diese dynamischen sozialen Systeme erzeugen als <i>Kultur</i> bezeichnete virtuelle Systeme ihrer Selbstregulation, in denen Kontrollprozesse von Politik und Wissenschaft eingebettet sind. Ebenso wie unbewusste Muster und Prinzipien der Wahrnehmung bleiben kulturelle Muster (Strukturen) und Arbeitsweise ihrer Kontrollprozesse überwiegend unbewusst. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bewusste Entscheidungen erforderndes Verhalten, kommt es auf mehrere Arten zustande, ohne dass kulturelle Bedingungen bewusst werden:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Verhalten, bei dem individuelle und kollektive Rationalität übereinstimmen, gilt als vermeintlich alternativlose Selbstverständlichkeit, über die kein expliziter Konsens hergestellt werden muss (<i>doxisches </i>Verhalten in der Terminologie von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a>). <br /></li><li>Verhaltensweisen, die alternative Optionen kollektiver Ordnungen mit variierenden Auswirkungen auf individuelle Rationalität gestatten (u.a. Ausstattungen sozialer Rollen, Verteilung von Ressourcen, Strategien der Kriegsführung etc.), können potentiell soziale Konflikte erzeugen, die soziale Gemeinschaften in prekäre Zustände versetzen. Um solche Zustände zu vermeiden oder zu unterdrücken, sind politische Mechanismen erforderlich, die individuelle Rationalität ausschalten, was auf 2 Wegen erreichbar ist. <br /><ul><li>Egalitär organisierte Kulturen erzeugen kollektive Rationalität mittels Verständigung über Vor- und Nachteile von Handlungsoptionen und Konsensbildung durch Mehrheitsentscheidungen. Aus diesem Entscheidungsmodell entwickeln sich demokratische Ordnungen. </li><li>Unter Bedingungen von Sesshaftigkeit entstehen Optionen autokratischer Machtstrukturen, in denen Inhaber der Macht eigenen Interessen dienende Entscheidungen kollektiv verbindlich anordnen. <br />Fehlende Legitimierung kollektiver Konsensbildung verursacht prinzipielle Defizite autokratischer Entscheidungen und bewirkt sozial prekärer Lebensbedingungen. Autokratische Machteliten stabilisieren defizitär-prekäre autokratische Strukturen mittels Etablierung von Angstsystemen, Überwachung, Propaganda, Zensur, Unterdrückung von Meinungsvielfalt und Kritik. In der Gegenwart erweitern technologische Innovationen das Repertoire der Instrumente und Methoden ihrer Anwendung. <br /></li></ul></li><li>Kultur erzeugt auf einer Metaebene ihre eigenen selbstreflexiven Kontrollsysteme in Form von Wissenschaft. </li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.1.1 Entstehung von Eigentum </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>7.1.2 Entstehung von Machtstrukturen und sozialer Ungleichheit</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Effiziente
Kriegsführung benötigt Anführer. Mit in Kriegen bewährten Anführern
entsteht eine neue soziale Hierarchie, die für eine effiziente
Organisation des Zusammenlebens sorgt und selbst Privilegien in Anspruch
nimmt. Ordnungsmuster hedonistischer Monopolisierung von Macht und
Privilegien einer aristokratischen Elite erzeugen hierarchische
Machtstrukturen mit sozialer Ungleichheit. Nach langer Vorgeschichte
eines tief im kollektiven Gedächtnis nicht-aristokratischer Bevölkerung
verankerten universalistischen Egalitarismus resultieren aus diesen
Ordnungsmustern zwangsläufig Legitimationskrisen der aristokratischen
Machtelite. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine
von Zwangsabgaben parasitär lebende aristokratische Elite kann nicht
alleine existieren und muss Legitimationskrisen entschärfen. Kulturelle
Antworten auf diese Konflikte bewirken in archaischer Kultur
Veränderungen von Symbolsystemen und bringen sich wechselseitig
verstärkende neue Kulturmuster hervor, die Machteliten zur
Stabilisierung und Legitimierung von Dominanz und zur Reproduktion
sozialer Hierarchien nutzen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_(Soziologie)" target="_blank">Patriarchat</a> rechtfertigt männliche Dominanz. </li><li>Protoreligöse Strukturen werden zu institutionalisierten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Geschichte_der_Religion#Religion_als_Machtinstrument" target="_blank">religiösen Machtinstrumenten</a>
umgeformt, an deren Spitze allmächtige und allwissende Götter ein von
aristokratischen Eliten gesetztes Normensystem als vermeintliche ewige
Wahrheiten rechtfertigen. Machteliten geben sich als Götter oder deren
Bevollmächtigte aus und überwachen die Befolgung von Normen mit
Gewaltinstrumenten.</li><li>Höfischer Lebensstil von Machteliten prägt
eigene Kulturmuster und Geschmacksklassen aus, die als vermeintlich
besonders wertvolle kulturelle Leistungen gelten, aber der sozialen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Distinktion_(Soziologie)" target="_blank" title="Distinktion (Soziologie)">Distinktion</a> dienen und sich als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hochkultur_(Soziologie)" target="_blank">Hochkultur</a> von Alltags-, Volks-, Massenkultur absetzen. </li></ul></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>7.1.3 Entstehung des Patriarchats</b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bei
nomadischer Lebensweise
sind Frauen und Männer der menschlichen Art extrem aufeinander
angewiesen. Sie gehen daher solidarisch miteinander
um und sind überwiegend egalitär organisiert. Mit dem Übergang zu
Landwirtschaft in sesshafter Lebensweise verändern sich Rollen der
Geschlechter und prägen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_(Soziologie)" target="_blank">Patriarchat</a>
aus, das egalitär-komplementäre Zweigeschlechtlichkeit mit Verweis auf
vermeintliche göttliche Schöpfungsordnung antagonistisch-komplementär
umdeutet. Als Patriarchen nehmen Männer eine bevorzugte Stellung ein und
üben rechtliche Macht über Familie, Haus, Hof, Gesinde und Tiere aus. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Ausbau männlicher Macht resultiert aus mehreren Entwicklungen:
Erhöhung der Geburtenrate, zunehmende Bevölkerungsdichte, organisierte
Gewalt der Kriegsführung, Zunahme hierarchischer Sozialstrukturen. Rechtfertigungen patriarchalischer
Strukturen berufen sich auf 2 Quellen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Zweigeschlechtliche
biologische Reproduktion kann auf zahlreiche Tierarten veweisen, bei
denen dominante Männchen Rudel von Weibchen anführen. Primaten
kontrollieren
weibliche Sexualität mit Dominanz und Bildung von Harems. </li><li>Religiöse
Dogmen legitimieren das Patriarchat als göttlichen Willen. Gott schuf
zwar Eva aus einer Rippe von Adam, aber im Paradies waren
beide gleichberechtigt. Erst der Mythos des Sündenfalls rechtfertigt die
Degradierung von Frauen. <br /><ul><li>National Geographic: <a href="https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/01/patriarchat-schwache-geschlecht-kulturelle-erfindung-frau-mann-gleichberechtigung" target="_blank"><i>Diskriminierung von Frauen: Woher kommt das Pariarchat</i>?</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Adam_und_Eva" target="_blank">Adam und Eva</a> </li></ul></li></ul></div></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>7.1.4 Umformung von Religionssystemen zu angstbesetzten Herrschaftssystemen<br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Mit dem Übergang
zur Sesshaftigkeit erfahren protoreligiöse <i>Angstpuffer</i> Umformungen und Erweiterungen zu Religionssystemen. Mit Hilfe von Religionssystemen lösen Machteliten Legitimierungsprobleme sozialer Ungleichheit, indem sie im kollektiven Gedächtnis tief verwurzelte archaische Quellen protoreligiöser Angst-Bewältigungssysteme zu institutionalisierten, von Priesterkasten organisierten religiösen Angstsystemen umfunktionieren, über die allmächtige Götter wachen, als deren Bevollmächtigte Machteliten agieren. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Machteliten können gefordertes Verhalten unter Androhung von Gewalt nur in Face-to-Face-Kontakten erzwingen. Allmächtige und jederzeit wachsame Götter legitimieren generalisierte soziale Ungleichheit sowie aus ihr hervorgehende Verhaltensnormen und Bestrafungen von Ungehorsam lückenlos. <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> macht darauf aufmerksam, dass das für <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gemeingut" target="_blank">Kollektivgüter</a> typische <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trittbrettfahrerproblem" target="_blank">Trittbrettfahrerproblem</a>
auch bei einer unüberschaubarer Menge der Gefolgschaft entsteht,
weil kooperationsunwillige Mitglieder der Gemeinschaft nicht lückenlos
kontrollierbar sind (Kapitel 6.7). Religiöser Glaube internalisiert Götter als mental repräsentierte Richter allmächtiger Institution der Normüberwachung, die das Trittbrettfahrerproblem ausschalten. (Tomas Metzinger: <i><a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a></i>, S. 37f.).
</div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Reichweite neu etablierter Angstsysteme ist grenzenlos. Götter und ihre
Helfer bestrafen öffentlich nicht bekannt gewordenen Ungehorsam
spätestens nach oder mit dem Tod von Menschen. Da jedoch kollektive Erinnerungen an Egalität nicht erloschen sind und die Wirksamkeit religiöser Angstsysteme über Zeit abnimmt, veranlassen Machteliten die Errichtung monumentaler Kultzentren, in denen sie und Priesterkasten regelmäßig große Massenrituale mit Menschenopfern öffentlich zelebrieren und eigene göttliche Bedeutung demonstrieren. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kultzentren bilden den historischen Hintergrund für spätere Wallfahrtszentren und monumentale Kathedralen, die trotz veränderter Randbedingungen und Deutungswandel auch noch in der Gegenwart zahlreiche Menschen anziehen und wahrscheinlich schon immer spirituelle Bedürfnisse als Quelle für Geschäfte nutzen. Den meisten Menschen scheinen Verknüpfungen dieser eigentlich sich widersprechende Sphären mental keine Probleme zu bereiten. Der Kölner Dom ist mit mehr als 6 Millionen Besuchern pro Jahr die bedeutendste touristische Sehenswürdigkeit in Deutschland und für die Stadt Köln ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>7.1.5 Entstehung von Kriegen als soziales Phänomen</b> <br /></div> <div style="text-align: center;"><i>Der
Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er
zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu
Freien.</i> <br /></div><div style="text-align: left;">(<a href="https://www.wikiwand.com/de/Heraklit" target="_blank">Heraklit</a>, 520 - 460 v. Chr.; die Bedeutung dieser Aussage bei Heraklit ist unsicher: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heraklit#Deutungen_der_Lehre_Heraklits_vom_Krieg_und_Streit" target="_blank">Deutung der Lehre Heraklits vom Krieg</a>)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit Gewalt ausgetragene Konflikte gab es zwischen Menschen wahrscheinlich immer. Bereits <a href="https://www.wikiwand.com/de/Schimpansen" target="_blank">Schimpansen</a>, die nächsten lebenden Verwandten von Menschen, sind für eine hohe Gewaltbereitschaft bekannt (Süddeutsche Zeitung: <i><a href="https://www.sueddeutsche.de/wissen/konflikte-unter-affen-schimpansen-sind-geborene-killer-1.2133140" target="_blank">Schimpansen sind geborene Killer</a>)</i>. Nomadisierende Clans von Menschengruppen können sich aus dem Weg gehen. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Krieg" target="_blank">Kriege</a>
im Sinne planmäßig mit Waffen organisierter, gewaltsam ausgetragener
Konflikte zwischen Kollektiven von Menschen sind ein von Sesshaftigkeit
verursachtes Phänomen, das mit Bevölkerungswachstum
zunimmt und die Entstehung institutionalisierter hierarchischer
Machtstrukturen auslöst. Von Archäologen gefundene Spuren deuten darauf
hin, dass kriegsähnliche Konflikte in Einzelfällen auch unter
nomadisierenden Clans stattgefundenen haben (Süddeutsche Zeitung: <i><a href="https://www.sueddeutsche.de/wissen/konfliktforschung-massaker-im-paradies-1.2829527" target="_blank">Massaker im Paradies</a></i>).<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit
Sesshaftigkeit entsteht in zuvor egalitär und basisdemokratisch
organisierten Gemeinschaften soziale Ungleichheit. Indizien
archäologischer Forschung zeigen mit der Ausbreitung von Sesshaftigkeit
immer mehr Waffenfunde, schwere Verletzungen und befestigte Siedlungen.
Das Ausmaß zunehmender Gewalt dokumentiert der Sachverhalt, dass jede
größere Siedlung sesshafter Gemeinschaften befestigt oder so schwer
zugänglich angelegt war, dass überraschende Angriffe nicht zu befürchten
waren. Die Notwendigkeit der Befestigung von Städten und Dörfern
reichte bis zur Neuzeit. Die seit der Römerzeit ab dem 1. Jahrhundert
entstandene und bis 1815 immer wieder ausgebaute
und verstärkte Befestigungsanlage der reichen Stadt Köln (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stadtmauer_K%C3%B6ln" target="_blank">Stadtmauer Köln</a>) galt als einzigartig wurde erst 1881 niedergelegt. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Sesshaftigkeit
verursacht zunehmende organisierte Gewalttätigkeit, die von sozialer
Ungleichheit verursacht ist. Mächtige Gemeinschaften unterdrücken
schwächere Gemeinschaften und beuten sie aus. Sobald reiche
Gemeinschaften Schwächen zeigen, überfallen sie Nachbarn, um sich zu
bereichern und den eigenen Machtbereich ausdehnen oder um sich von
Unterdrückung und Ausbeutung zu befreien. Dieses wechselseitige
Gewaltspiel entwickelt sich unter Bedingungen von Sesshaftigkeit als
globales kollektives Verhaltensmuster, das sich bis zur Gegenwart
fortsetzt. (National Geographic: <i><a href="https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/01/warum-die-menschen-anfingen-kriege-zu-fuehren-gewalt-neolithische-revolution" target="_blank">Warum die Menschen anfingen, Krieg zu führen</a></i>)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wachsender Reichtum machte befestigte Siedlungen interessant und anfällig für auf Raubzüge spezialisierte Kulturen, wie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Steppenreich" target="_blank">eurasische Steppenvölker</a> oder als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wikinger" target="_blank">Wikinger</a> bezeichnete kriegerische nordeuropäische Seefahrer. Gemäß historischer
Quellen wurde Köln 881/882 von Wikingern überfallen. In welchem Umfang
die Stadt zerstört und geplündert wurde, ist historisch nicht gesichert
(Geschichte der Stadt Köln, Band 2: Köln im Frühmittelalter, S. 258ff).</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der renommierte deutsche Historiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dieter_Langewiesche" target="_blank">Dieter Langewiesche</a> vertritt die These, dass Kriege als bedeutende Gestaltungskraft der Kulturgeschichte zu verstehen sind (Dieter Langewiesche: <i>Der gewaltsame Lehrer. Europas Kriege in der Moderne</i>, München 2019). Ähnlich argumentiert die kanadische Historikerin <a href="https://www.wikiwand.com/de/Margaret_MacMillan" target="_blank">Margarat MacMillan</a>,
wenn sie darauf hinweist, dass Kriege nicht nur Chaos produzieren,
sondern auch als treibender Motor auf kulturelle Entwicklung einwirken
(Deutschlandfunk: <i><a href="https://www.deutschlandfunk.de/kulturgeschichte-des-krieges-warum-sich-voelker-und-100.html" target="_blank">Kulturgeschichte des Krieges. Warum sich Völker und Nationen bekämpfen</a></i>).<br /></div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.2 Erbe von Sesshaftigkeit</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unter Bedingungen von Sesshaftigkeit und Bevölkerungswachstum entwickeln sich hierarchisch organisierte soziale Strukturen und neue Organisationsformen, die ehemals subsistenzwirtschaftlich ausgerichtete Kulturen auf Wachstum umprogrammieren, ohne Begrenztheit von Ressourcen zu berücksichtigen. Neue Ziele und veränderte Strukturen setzen sich in wenigen Jahrtausenden bis auf wenige Ausnahmen global durch. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Staatsmacht kann sich erst im Rahmen von Sesshaftigkeit entfalten.
Modernes Nomadentum in Form 'vagabundierender' Individuen oder Ethnien
wird als unzivilisiert, subversiv, parasitär gewertet und teilweise kriminalisiert. Traditionell nomadisch oder halbnomadisch lebende Ethnien können, wenn überhaupt, nur an Rändern vermeintlich fortschrittlicher Zivilisationen überleben. Da Versklavung nicht mehr möglich ist und Genozide inzwischen global geächtet sind, werden native Ethnien typischerweise in Reservate umgesiedelt, deren Landschaft wirtschaftlich nicht effizient nutzbar ist. Ethnien lassen sich nicht zwingen, Werte abgelehnter imperialer Kulturen zu teilen. Versuche der zwangsweisen Umerziehung junger Generationen dieser Ethnien sind gescheitert und gelten inzwischen als unethisch. Gegen formale Normensysteme abgelehnter imperialer Kulturen ist jedoch kein erfolgreicher Widerstand möglich. Erst staatliche Organisation macht diese Ethnien ungefragt und ungewollt zu <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trittbrettfahrerproblem" target="_blank">Trittbrettfahrern</a> kollektiver Güter (siehe Kapitel 6.7) und wirft ihnen anschießend parasitäres Verhalten vor. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Das Sinnhaftigkeit konstruierende mentale Kohärenzsystem nimmt bedeutende strukturelle Veränderungen als vermeintlich kausale Fortschrittsentwicklungen wahr. In der Geschichte der Menschheit über viel längere Zeiträume dominierende egalitäre soziale Strukturen gelten dagegen als rückständig und primitiv. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Das Fortschritts-Paradigma thematisiert der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank"><i>Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</i></a>. </li><li>Ambivalente Fortschritts-Vorstellungen beschreibt der lesenswerte Wikipedia-Artikel <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fortschritt" target="_blank">Fortschritt</a>.</li><li>Vom französischen Ethnologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a>
entwickelte Vorstellungen gegensätzlicher 'kalter' und 'heißer' Kulturmuster betrachtet der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank"><i>Was ist Kultur?</i></a> im Kapitel 2.4.2.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Ursprünglich von Machteliten als höfischer Lebensstil ausgeprägte eigene Kulturmuster, Ästhetiken, Geschmacksklassen betrachten privilegierten Eliten als besonders wertvolle <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hochkultur_(Soziologie)" target="_blank">Hochkultur</a>, dient der sozialen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Distinktion_(Soziologie)" target="_blank" title="Distinktion (Soziologie)">Distinktion</a> (Abgrenzung und Reproduktion sozialer Unterschiede), indem sie sich von vermeintlich minderwertiger Volks-, Massen-, Alltagskultur absetzt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In komplexeren Kulturen kommen politische
Willensbildung und Entscheidungen auf kollektiver Makroeben traditionell und bis zur Gegenwart auf 2 Wegen zustande: </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Autokratische
politische Ordnungen lösen soziale Probleme im Interesse der
Machthaber pragmatisch mittels Anordnung. Abweichende Interessen werden
ignoriert oder kriminalisiert. Die Legitimierung politischer
Entscheidungen durch Machthaber und fehlender Konsens der Bevölkerung
schwächen jedoch autokratische Systeme, weshalb sie regelmäßig
Gewaltmethoden anwenden, politische Entscheidungen mittels lügenhafter
Propaganda rechtfertigen, freie Meinungsäußerungen unterdrücken, Zensur
ausüben, individuelle Freiheiten auf ein politisch opportunes
Maß einschränken sowie rechtsstaatliche Methoden verweigern oder nur vortäuschen. <br /><ul><li>Lt. Meldung der <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anzahl-der-hinrichtungen-in-iran-in-2022-stark-gestiegen-18817308.html" target="_blank">FAZ vom 13.04.2023</a> wurden 2022 im Iran mindestens 582 Todesurteile vollstreckt (75 % Anstieg im Vergleich zum Vorjahr), die meisten davon angeblich wegen Drogendelikten. Da viele Frauen ihr Kopftuch abgelegt haben, werden sie im öffentlichen Raum mit Kameras überwacht (FAZ: <i><a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/hinrichtungen-im-iran-repression-nimmt-wieder-zu-18759568.html" target="_blank">Die Repression nimmt wieder zu</a> - <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/iran-droht-frauen-ohne-kopftuch-mit-verfolgung-ohne-gnade-18794000.html" target="_blank">Iran droht Frauen ohne Kopftuch mit "Verfolgung ohne Gnade"</a></i>) und bestraft Ermutigen zum Ablegen des Kopftuchs härter als das Ablegen (FAZ: <i><a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/iran-ueberwacht-kopftuchpflicht-mit-videokameras-18823739.html" target="_blank">Iran bestraft auch Ermutigen zum Ablegen des Kopftuchs</a></i>). <br /></li><li>In China werden jährlich mehrere tausend Todesstrafen vollstreckt. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, weil sie nicht nur in China als Staatsgeheimnis gehütet werden: Tagesschau: <i><a href="https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-todesstrafe-101.html" target="_blank">Todesstrafe in China</a></i>.</li><li>Seit 2021 steigen Todesstrafen und Hinrichtungen weltweit wieder an: Amnesty International: <a href="https://www.amnesty.de/sites/default/files/2022-05/Amnesty-Bericht-zur-Todesstrafe-2021-Laenderuebersicht.pdf" target="_blank">Todesurteile und Hinrichtungen 2021</a> <br /></li></ul></li><li>Demokratisch organisierte und kontrollierte
politische Ordnungen lösen soziale Probleme mittels
Mehrheitsentscheidungen, deren Legitimität in der Theorie Mechanismen
der Entscheidungskontrolle schützen. <br /><ul><li>In der politischen Realität repräsentativer Demokratie repräsentieren demokratisch gewählte Volksvertreter jedoch selten das Volk und sind nicht nur ihrem Gewissen verpflichtet, sondern auch Wahlkreisen und politischen Fraktionen. Zugleich nehmen Interessen nationaler und globaler Wirtschaft sowie Interessen zahlreiche Verbände entgegen demokratischer Prinzipien Einfluss auf die politische
Willensbildung. Politische Entscheidungen repräsentieren daher
Interessen vermeintlich systemrelevanter Strukturen stärker als
Interessen der Privatbevölkerung. </li><li>Allerdings darf diese 'Unwucht'
nicht zu deutlich ausfallen. Verfassungsrechtlich vorgesehene
Kontrollstrukturen, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit wirken auf
Missbrauchstendenzen ebenso begrenzend wie demokratische Wahlverfahren,
die politische Verantwortung nur auf Zeit verleihen. Wenn politische
Vertreter nicht abgewählt werden möchten, müssen sie im Rahmen der Spielräume etablierter Regeln agieren und dürfen nicht in Verruf geraten.</li></ul></li></ul></div>Unstrittig dürfte sein, dass autokratische Regierungsformen Instrumente
archaischer Angstsysteme nutzen, diese mit Mitteln von Gewalt, Zwang, Verboten,
Kontrolle, Propaganda durchsetzen und sich selbst externer Kontrollierbarkeit entziehen. Frieden stiftende Werte
können nur in Gesellschaftssystemen mit demokratischen Verfassungen realisiert
werden. Demokratisch organisierte Gesellschaftssysteme sind in politischer Praxis mehr oder weniger perfekt oder defizitär.
Demokratische
Verfassungen garantieren nicht notwendig demokratische Politik, aber
sie ermöglichen Optionen der Kontrolle von Politik. In der Realität der Gegenwart besteht ein breites Spektrum an Ausprägungen demokratischer Kulturen, dessen Varianten der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Demokratieindex" target="_blank">Demokratieindex</a> bewertet.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Ausübung von Kontrolle darf nicht allein manipulierbaren politischen Gremien überlassen bleiben. Rechte freier Meinungsäußerungen und freie Medien bilden Fundamente der Kontrolle von Machtstrukturen. In der Vergangenheit haben subtile Manipulationsmechanismen Mehrheitsinteressen mit Hilfe religiöser Dogmen zugunsten partikularer Machtinteressen ausgehebelt. Mittel der Manipulation haben sich verändert. In der Gegenwart manipulieren mediale Propaganda und technische Algorithmen Interessen von Mehrheiten, indem sie vermitteln, dass Interessen elitärer Minderheiten allgemeiner Wohlfahrt und dem Lebensglück aller Menschen dienen. Wenn wir uns wehren wollen, müssen wir Ziele, Strategien und Instrumente dieser Interessen mit Hilfe von Wissenschaft (selbstreflexive kulturelle Kontrollsysteme) analysieren und verstehen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>7.2.1 Entstehung von Wissenschaft</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit
Sesshaftigkeit, Siedlungen, Vorratshaltung, Arbeitsteiligkeit und
Bewässerungssystemen der Landwirtschaft nahm der Bedarf für möglichst
exakte Vorhersagen von Naturphänomenen zu. Aus der Naturbeobachtung und
dem Erkennen von Gesetzmäßigkeiten entstanden frühe Formen von
Wissenschaften, die i.d.R von Priesterkasten oder zumindest unter
Kontrolle religiöser Institutionen wahrgenommen wurden. Solange Welt als
göttliche Schöpfung und religiöse Schriften als göttliche Offenbarungen
galten, die nicht infrage gestellt werden durften und Abweichungen von
religiösen Normen lebensgefährlich waren, fand reguläre Wissenschaft im
Rahmen religiöser Institutionen in engen Grenzen statt und war einer
kleinen männlichen Elite vorbehalten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Den Durchbruch eines Denken zweiter Ordnung, das sich auf einer
höheren Abstraktionsebene kritisch selbst reflektiert, verorten zahlreiche Kulturwissenschaftler in der sogenannten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Achsenzeit" target="_blank"><i>Achsenzeit</i></a>, die zeitlich parallel ohne wechselseitige Beeinflussung in der frühen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Antikes_Griechenland" target="_blank">griechischen Antike</a> sowie in China, Indien und im Judentum um das Jahr 2500 v. Chr. gesehen wird.</div><div style="text-align: left;"><br /></div>
Eine Blütezeit erlebte Wissenschaft ab dem Jahr 825 im <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_der_Weisheit_(Bagdad)" target="_blank">Haus der Weisheit</a>
in Bagdad, in dem islamische, jüdische und europäische Wissenschaftler
antikes Wissen ins Arabische übersetzten und weiterentwickelten. In
Bagdad gesammeltes Wissen gelangte nach Cordoba und Toledo in Spanien,
wurde dort vom Arabischen ins Lateinische übersetzt und an europäische
Zentren weitergereicht. 1258 zerstörten Mongolen das Haus der Weisheit
in Bagdad. Im islamischen Kulturraum haben sich Wissenschaften nicht
mehr erholt. Islamische wissenschaftliche Zentren Spaniens
zerstörte die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Reconquista" target="_blank">Reconquista</a> im Interesse der Kirche, aber nach Europa infiltriertes antikes Wissen entfaltete Wirkung. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.2.2 Ausbreitung von Wissenschaft</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In Europa sammelte sich antikes und arabisches Wissen insbesondere im
heutigen Italien. Soziale und politische Strukturen städtischer
Republiken boten relative Freiheiten, die eine Wiederbelebung antiken
Wissens ermöglichten und einen als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Renaissance" target="_blank">Renaissance</a>
bezeichneten Epochenumbruch auslösten. Um das Jahr 1500 begann unter
Berücksichtigung religiöser Dogmen und Befindlichkeiten eine kritische
Auseinandersetzung mit der Tradition, die sich dank <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Gutenberg" target="_blank">Johannes Gutenbergs</a> Erfindung des Buchdrucks schnell ausbreitete, aber zunächst nur auf Naturwissenschaften einwirkte.</div><div style="text-align: left;">
<br /></div><div style="text-align: left;">
Kritik an traditionellen Überzeugungen richtete sich nicht gegen die
Kirche, sondern wollte die Kirche vor schweren Irrtümern schützen. Die
Kirche war jedoch nicht bereit, Fehler und Irrtümer einzugestehen. Sie
hielt an traditionellen Lehrmeinungen fest und verurteilte von
kirchlicher Lehre abweichende Meinungen als Häresie und Ketzerei, sodass
Vertreter solcher Meinungen in die Zuständigkeit von
Inquisitionsverfahren fielen, die im Interesse der Reinhaltung des
Glaubens in Geheimverfahren vor allem vorreformatorische sektiererische
Glaubensrichtungen bekämpften.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Von der Inquisition in Schach gehaltene ehemals kleine Gruppen
kritischer Wissenschaftler wären möglicherweise unbedeutend geblieben,
wenn nicht Reformation und Gegenreformation gravierende religiöse sowie kirchen-
und machtpolitische Krisen ausgelöst hätten, als deren Folge sich
Wissenschaft aus der religiösen Umklammerung befreien konnte.</div><p>
</p><div style="text-align: left;">Theologische Argumentation auf Seiten der katholischen Kirche blieb
gegen die bald schon politisch und institutionell etablierte
Reformationsbewegung erfolglos. Auf Einzelpersonen und kleinere Gruppen
ausgelegte Inquisitionsverfahren waren mit der Bekämpfung der
Reformation überfordert. Daher entwickelte die katholische Kirche
mehrere Strategien von Gegenmaßnahmen, die der Begriff der
Gegenreformation bündelt. Neben innerkirchlichen Reformen,
Missionierung, Diplomatie und politischer Repression sollten barocker
Kirchenbau und Förderung von Marienverehrung als Propagandastrategie zur
Rekatholisierung beitragen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">
‚Weiche‘ Maßnahmen konnten die Reformationsbewegung nicht aufhalten,
weil Autoritätsverlust der Kirche und veränderte religiös begründete
soziale Deutungsmuster die Bevölkerung zu Aufständen gegen Unterdrückung
und Ausbeutung motivierten. Kirchliche Machtpolitik setzte auf den
Feudaladel, der Religion und kirchliche Institutionen für eigene
machtpolitische Interessen instrumentalisierte. Der Feudaladel wollte
Bedrohungen seiner abgehobenen politischen und sozialen Stellung
abwehren und Chancen für Ausdehnungen seiner Machtsphäre realisieren.
Politische Gewaltstrategien der Koalition von Kirche und Adel entfachten
in zahlreichen europäischen Ländern Religions- und Befreiungskriege,
die zahllose Menschen mit ihrem Leben bezahlten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gegen Widerstand der katholischen Kirche spaltete sich die
institutionelle Kirche. In Deutschland sammelten sich aufklärerische
Wissenschaftler in toleranten protestantischen Fürstentümern.
Aufgeklärte Wissenschaftler waren keineswegs religionsfeindlich gesinnt,
aber sie trennten Wissenschaft von Religion und bewirkten über
Jahrhunderte eine Säkularisierung von Wissenschaften. Im 19. Jahrhundert
beschleunigten zahlreiche Erfindungen und technologische Innovationen
die Dynamik des sozialen und kulturellen Wandels in bis dahin nicht
bekannten Dimensionen.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Innerhalb von ca.
400 Jahren zerstörte die Auflösung von Dogmen eine ehemals als
göttlicher Wille angenommene, vermeintlich harmonische Ordnung der Welt.
Harmonie der Welt gilt nicht länger als göttliches Schauspiel
himmlischer Harmonie, wie sie noch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Johannes_Kepler" target="_blank">Johannes Kepler</a>
(1571-1630) angenommen hat. Glaube an die säkulare Glaubensmacht von Wissenschaft löst religiösen Glauben ab (Gottfried Küenzlen: <a href="https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/233460/der-alte-traum-vom-neuen-menschen/" target="_blank"><i>Der alte Traum vom Neuen Menschen</i></a>). Ehemals religiös begründete Programme von
Menschenrechten lösen sich als universelles Naturrecht von ihrer
religiösen Basis, bedeuten aber keinen Stillstand. Perspektiven <a href="https://www.wikiwand.com/de/Posthumanismus" target="_blank">posthumanistischen</a> Denkens betrachten Beiträge der Veröffentlichung <i><a href="https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/233472/der-neue-mensch/" target="_blank">Der Neue Mensch</a></i>. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div>
</div><div style="text-align: left;">Als Wissenschaft betriebene Methoden der Erforschung von Realität und als selbstreflexives Kontrollsystem des Denkens sind relativ jung. Wissenschaft erwacht mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> und ihrer Kritik des religiösen Dogmatismus. Der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> versteht ursprünglich religiöse Ideale bedingungsloser Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit gegenüber Gott als Quelle der Entstehung ethischer Wissenschaftsideale (Tomas Metzinger: <i><a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a></i>):<br /><ul style="text-align: left;"><li>Ideal der bedingungslosen Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit von Menschen sich selbst gegenüber, </li><li>Ideal der bedingungslosen Bekenntnis zum Erkenntnisfortschritt.</li></ul></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.2.3 Imperialismus: Kampf um die Weltherrschaft</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>8 Anpassungsfähigkeit von Strukturen und Prozessen sozialer Institutionen und formaler Organisationen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><br /><div style="text-align: left;">Prozesse, die für die Existenz sozialer Systeme bedeutend sind, erfordern Persistenz. Zeitliche Dauerhaftigkeit erzeugen strukturierte Institutionen
und formale Organisationen. Persistenz von Strukturen und
Prozessen erzeugt Nutzen, indem sie Verhaltenssicherheit herstellt, effiziente Handlungsmuster ermöglicht und Prozesse beschleunigt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Konstruktionsbedingt resultieren aus Persistenz
von Strukturen Nachteile der
Beharrlichkeit. Die Anpassungsfähigkeit von Strukturen an veränderte
Bedingungen nimmt ab. Daher reagieren Institutionen und formale
Organisationen auf veränderte Bedingungen eher träge, mitunter auch
unvollständig oder unangemessen, manchmal auch
zu spät oder gar nicht. Mit zunehmender Größe von Organisation wachsen sowohl Nutzen als
auch Beharrlichkeit persistenter Strukturen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Veränderungen, die in
kontinuierlichen Prozessen nachhaltige Wirksamkeit erwartbar erzeugen, üben Anpassungsdruck auf Organisationen und ihrer Prozesse aus.</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>
Organisationen, die unter Bedingungen von Wettbewerb agieren, sind aus
Eigeninteresse darin
geübt, mit Anpassungsdruck umzugehen. Daher funktionieren Märkte
und demokratisch organisierte Verfassungsstaaten selbstregulierend, was
nicht als Bewertung von Effizienz oder Qualität zu verstehen ist. Im
Gegenteil muss wie in jedem komplexen System permanent nachreguliert
werden, wobei sich typisch für große Systeme störende Trägheitsmomente
bemerkbar machen. </li><li>Institutionen und Organisationen mit
Monopolstrukturen sind geringerem Anpassungsdruck ausgesetzt und agieren
daher schwerfälliger, z.B. Behörden sowie jede Art von auf
weltanschaulich-fundamentalistischen Dogmen beruhenden Einrichtungen wie
planwirtschaftliche Ökonomien, politische Autokratien, religiöse
Institutionen. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Wenn
Fähigkeiten zur Anpassung sich als nicht ausreichend erweisen,
verlieren Organisationen ihre
Legitimation, sodass sie sich entweder auflösen oder aufgelöst werden.
In dieser Situation befinden sich aktuell religiöse Institution
protestantischer und katholischer Konfession (jedoch nicht in allen
Ländern), aber auch andere Einrichtungen und ganze Berufsgruppen, die
länger erfolgreich waren, aber als Spezialisten über keine ausreichende
Anpassungsfähigkeit verfügen (z.B. Warenkaufhäuser, Buchläden,
Internet-Cafés, Laufmaschendienste, Heißmangeln etc. oder Böttcher,
Hufschmiede, Hutmacher, Schneider etc.) und daher verschwinden oder nur
noch in kleinen Nischen überleben.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Sonderfälle bilden in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gemeingut" target="_blank">kollektiven Gütern</a>
gebündelte Interessen des Gemeinwohls und deren Organisationen (z.B.
Bildungseinrichtungen, Systeme sozialer Sicherung, Wohnungsbau,
Verkehrsinfrastruktur etc.), die prinzipiell unter Ineffizienz,
Übernutzung und Missbrauch leiden (siehe Kapitel 6.7). Diesen Sachverhalt dokumentiert eine endlose Reihe von Beispielen, u.a.:<ul style="text-align: left;"><li>Klimawandel erzwingt tiefgreifende
Veränderungen des gesamten Lebensraums, um die Erderwärmung und deren
Folgen aufzuhalten. Die Liste zielführender notwendiger Maßnahmen ist
bekannt und umfangreich. Umsetzungen erfolgen bestenfalls halbherzig
ohne erforderliche Konsequenzen und verschieben so das Problem an
nachfolgende Generationen. <br /></li><li>Ansteigende
Geburtenraten erlauben Bedarfsprognosen für benötigte Schulen und
Lehrer, ohne dass bedarfsgerechte Infrastrukturen zeitgerecht entstehen.</li><li>Demographischer
Wandel macht umfassende Veränderungen der Strukturen von
Gesundheitssystemen, der sozialen Absicherung, von Wohnverhältnissen,
von Verkehrsinfrastrukturen etc. erforderlich. Anpassungen erfolgen
überwiegend in homöopathischen Dosierungen, die bestenfalls Spitzen von
Eisbergen abschmelzen. </li><li>Kindergeldregelungen können dazu
motivieren, Einkünfte aus Kindergeld zu beziehen, anstatt einer
beruflichen Tätigkeit nachzugehen. </li><li>Sozialleistungen können dazu
motivieren, diese als Basiseinkommen zu nutzen, steuerpflichtige Einkünfte zu vermeiden und zusätzliche
Einkünfte mit Schwarzarbeit zu erzielen.</li><li>Illegale Formen der Schwarzarbeit beruhen prinzipiell auf parasitärem Verhalten, weil auch Schwarzarbeiter Kollektivgüter nutzen.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Zu
berücksichtigen ist, dass politische Handlungsfähigkeit durch besondere
Randbedingungen eingeschränkt oder verhindert sein kann: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Komplexität
der Realität erzeugt nicht vorhersehbare kontingente Ereignissen (z.B.
Kriege, Naturkatastrophen, Pandemien), die Krisen auslösen, für die
keine Lösungen vorgehalten werden können und auf die oftmals auch nicht
adäquat reagiert werden kann. </li><li>Kompetenzrahmen politisch
Verantwortlicher beschränken sich auf Legitimationsräume, über die
hinaus keine Handlungskompetenz besteht. Globale Problementwicklungen
und Krisen stellen dagegen Aufgaben, die nur global lösbar sind und
daher Konsens über globale Willensbildung erfordern. Aufgrund
fundamental unterschiedlicher Interessenlagen ist die Herstellung von
Konsens zur Lösung solcher Problemfelder in überschaubaren Zeiträumen
nicht zu erwarten, weshalb eine Reihe globaler Probleme nicht lösbar
sind. Die nachfolgende Liste von Problemfeldern ist sicherlich
unvollständig:<br /></li><ul><li>Beachtung von Menschenrechten, </li><li>von Menschen verursachte Änderungen des Klimas,</li><li>Überbevölkerung, <br /></li><li>Verschmutzung und Überfischung der Weltmeere,</li><li>Artensterben,</li><li>Abholzung von Regenwäldern,</li><li>Vermüllung des erdnahen Weltraums,</li><li>Lichtverschmutzung,</li><li>Cyberkriminalität und Cyberterrorismus,</li><li>Verrohung und Verdummung von Menschen via elektronische Medien, <br /></li><li>usw. <br /></li></ul></ul></div></div>Kumulierungen
dieser Problemfelder erhöhen globale Risikopotentiale beträchtlich und
setzen unbeherrschbare Migrationsströme in Gang, die nur global lösbar
wären, aber unter Bedingungen von Realpolitik nicht lösbar sind. Kontroverse Auseinandersetzungen sind Indizien dafür, dass diese Problemfelder für
politisch Verantwortliche eines Landes oder von Ländergemeinschaften weder ethisch noch sozial oder ökonomisch mit rational vertretbaren Argumenten und politischen Mitteln beherrschbar sind. </div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9 Komplexität sozialer Realität der Gegenwart aus ethischer Sicht</b> </div><br /><div style="text-align: left;">Sesshaftigkeit erzeugt eine neue Qualität sozialer
Komplexität und Dynamik, die über mehrere Jahrhunderte als Fortschritt gedeutet
wurde. Fortschrittsideen leben noch. Für Marketing sind Fortschrittsbehauptungen unverzichtbar, aber auch Politik und Wirtschaft operieren ständig mit Fortschrittsbegriffen. Seriös betrachtet erweist sich Fortschritt als ein von Wunschdenken erzeugter zäher Mythos. Fragwürdigkeiten des Fortschritt-Begriffs betrachtet der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank"><i>Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</i></a>. Ambivalente Fortschritts-Vorstellungen beschreibt der lesenswerte Wikipedia-Artikel <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fortschritt" target="_blank">Fortschritt</a>. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Beispiele
dieses Kapitels dokumentieren, dass wir uns global in einer Phase befinden, in der Komplexität, Chaos und Kontingenz nicht abnehmen, sondern im Gegenteil wachsen und Dynamiken nicht kontrollierbaren kulturellen Wandels beschleunigt. Wissenschaften müssen einräumen, dass die Beherrschbarkeit kultureller Makroprozesse abnimmt und mit ihr Hoffnungen auf eine bessere Welt sterben. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9.1 Bevölkerungsentwicklung</b> <br /></div> <div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Zur
Zeitenwende wird die Weltbevölkerung mit 200 - 300 Millionen Menschen
geschätzt. Um 1650 lebten ca. 500 Millionen Menschen auf der Erde. Die
Wachstumsrate betrug zu diesem Zeitpunkt 0,3 % (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bev%C3%B6lkerungsentwicklung" target="_blank">Bevölkerungsentwicklung</a>). Um 1800 lebten ca. 1 Milliarde Menschen auf der Erde. Für das Jahr 2022 gibt der <a href="https://www.dsw.org/wp-content/uploads/2022/03/UNFPA-Weltbevoelkerungsbricht_2022.pdf" target="_blank">Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen</a> die Weltbevölkerung mit 8 Milliarden Menschen an.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ab 1650 setzte ein <a href="https://www.wikiwand.com/de/Exponentielles_Wachstum" target="_blank">exponentielles Bevölkerungswachstum</a> ein, das vor ca. 200 Jahren in ein <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hyperexponentialverteilung" target="_blank">hyperexponentielles Wachstum</a>
überging und seit wenigen Jahrzehnten in globaler Betrachtung wieder
abnimmt, aber regional sehr unterschiedlich ausfällt (BPB: <a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52699/bevoelkerungsentwicklung/" target="_blank">Bevölkerungsentwicklung</a>).
In Szenarien modellierte Prognosen erwarten in der mittleren Variante
bis zum Jahr 2100 ein Wachstum um weitere 3 Milliarden Menschen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Seit dem 18. Jahrhundert entstehende <a href="https://www.wikiwand.com/de/Nationalstaat" target="_blank">Nationalstaaten</a>
haben sich vermutlich als Reaktion auf diese Entwicklung
herausgebildet. Bestrebungen zur Ausweitung staatlicher Machtsphären und
zur Absicherung staatlicher Souveränität vergrößern Konfliktpotentiale
und verschärfen in Verbindung mit Entwicklungen der Waffentechnologie
die Art und Weise der Austragung von Konflikten, die schnell zu
Vernichtungskriegen und Genoziden eskalieren können. Informationsmedien
berichten über diesen Sachverhalt täglich. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9.2 Menschenrechte</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unter dem Eindruck von 2 Weltkriegen wurde 1945 zum Schutz der Idee friedlichen Völkerrechts die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vereinte_Nationen" target="_blank">Organisation der Vereinten Nationen</a> gegründet. Diese verabschiedete im Oktober 1945 die zunächst von 51 Mitgliederstaaten unterzeichnete <a href="https://www.wikiwand.com/de/Allgemeine_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte" target="_blank">Erklärung der Menschenrechte</a>. Der Katalog von Menschenrechten basiert auf im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kollektiven Gedächtnis</a> verankerten egalitären sozialen Mustern.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Seit 2011 haben die Vereinten Nationen 193 Mitglieder, die sich bis auf
10 politisch relativ unbedeutende Staaten zur bindenden Beachtung der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Charta_der_Vereinten_Nationen" target="_blank">UN-Charta</a>
verpflichtet haben. Einhaltung und Missachtung von Regeln überwachen
mehrere Gremien der UN. Der Erfolg dieser Bemühungen ist mehr als
dürftig. Global nehmen Kriegsaktivitäten in den letzten Jahrzehnten zu,
was sicherlich auch eine Folge der politischen Verfassung von Staaten
ist. Sozialindikatoren des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Demokratieindex" target="_blank">Demokratieindex</a> dokumentieren, dass Volldemokratien eine globale Minderheit bilden. Auswertungen des Jahres 2021:<br /></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>21
Länder (12,6 %) gelten als Volldemokratien, die insgesamt 6,4 % der
Weltbevölkerung repräsentieren. Im Vergleich von Volldemokratien
unterscheidet sich die Qualität der Umsetzung erheblich. In Europa
zeigen sich in den Richtungen Nord-Süd und West-Ost deutliche Gefälle.</li><li>53 Länder (31,7 %) gelten als unvollständige Demokratien, die insgesamt 39,3 % der Weltbevölkerung repräsentieren.</li><li>34 Länder (20,4 %) gelten als Hybridsysteme, die insgesamt 17,2 % der Weltbevölkerung repräsentieren.</li><li>59 Länder (35,3 %) gelten als Autokratien, die insgesamt 37,1 % der Weltbevölkerung repräsentieren. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;">Ein
Zeitreihenvergleich ist mangels anderer Zahlen auf das Jahr 2006
beschränkt. Dieser Vergleich zeigt, dass die Anzahl demokratischer
Staaten abnimmt und autoritäre Regime sich ausdehnen:</div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><ul><li>27 Länder (16,8 %) gelten als Volldemokratien </li><li>53 Länder (31,7 %) gelten als unvollständige Demokratien</li><li>31 Länder (18,6 %) gelten als Hybridsysteme</li><li>55 Länder (32,9 %) gelten als Autokratien</li></ul><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;">Unterdrückung
von Menschenrechten, Gewaltexzesse autoritärer Diktaturen und Terror
politisch anarchischer Staaten erzeugen nicht planbare und nicht
kontrollierbare Migrationsströme. Anfang 2022 hat so gut wie niemand
Russlands Krieg gegen die Ukraine erwartet. Im gleichen Jahr strömen
mehr als 1 Millionen ukrainische Flüchtlinge alleine nach Deutschland.
Niemand kann vorhersagen, wann und wo die nächsten Großkonflikte
ausbrechen und neue Migrationsströme entstehen. </div><div style="text-align: left;"> </div> <div style="text-align: left;"><b>9.3 Religionen im Kontext kultureller Weltbilder</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;">Im Rückblick sind Entwicklungsphasen kultureller Muster identifizierbar, die mit Veränderungen religiöser Vorstellungen und Institutionen einhergehen:</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Vermutlich entstehen bereits mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hominisation" target="_blank">Homonisation</a> neurobiologisch verwurzelte <i>kulturelle Angstpuffer</i> protoreligiöse Vorstellungen (Kapitel 4.2), die als Spiritualität bezeichnete Emotionen des mentalen Systems erzeugen. <br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spiritualit%C3%A4t" target="_blank">Spiritualität</a></li><li>socialnet: <a href="https://www.socialnet.de/lexikon/Spiritualitaet" target="_blank">Spiritualität</a></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/religion-und-hirnforschung-spiritualitaet-ist-tief-in-der-100.html" target="_blank"><i>Spiritualität ist tief in der menschlichen Natur verwurzelt</i></a></li></ul></li><li>Mit dem Übergang zu ortsgebundener sesshafter Lebensweise entstehen auf protoreligiöse Vorstellungen basierende Religionssysteme (Kapitel 4.3.4), in denen sich Machteliten als Götter inszenieren.<br /></li><li>In der sog. <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Achsenzeit" target="_blank">Achsenzeit</a></i> entwickelt sich vor 2.500 Jahren rationales Denken, mit dem eine 'Entgöttlichung' von Machteliten stattfindet und sich monotheistische Religionssysteme ausbreiten (Kapitel 4.4.1). Die
3 großen Buchreligionen (Judentum, Christentum, Islam) sowie Hinduismus
und der vorwiegend patriarchalisch gedeutete Buddhismus zementieren
mit religiöser Rechtfertigung das Patriarchat und damit wirtschaftliche
und sexuelle Unterdrückung von Frauen. Religiöse Lehren der
Buchreligion sind dogmatisch ausgerichtet und unterdrücken Toleranz. (Bzgl. Hinduismus und Buddhismus sind hierzu mangels
eigener Kompetenz keine fundierten Aussagen möglich). </li><li>Mit der 'Entgöttlichung' politischer Machteliten gewinnen Priesterkasten politischen Einfluss. Zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft entwickelte sich eine 'Arbeitsteilung'. Indem geistliche Führung Menschen gefügig machte und weltliche Führung legitimierte, geriet weltliche Führung in verstärkter Abhängigkeit von geistlicher Führung. Im Christentum folgte eine lange Phase der Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt aus der schließlich die Reformation resultierte und geistliche Führung ihre politische Macht verlor, aber das Denken von Menschen weiter dogmatisch einengte.<br /></li><li>Mit der ab ca. dem Jahr 1700 einsetzenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> entwickelt sich neuzeitliches rationales wissenschaftlichen Denken säkularer Art, mit dem die Durchsetzbarkeit fundamentalistischer Dogmen abnimmt. In westlichen Kulturen setzt sich Religionsfreiheit durch, mit der eine Auflösung institutionalisierter Religionssysteme einsetzt und religiöse Überzeugungen an private individuelle Glaubenssysteme verwiesen werden.<br />Religionssysteme lösen sich nicht auf, weil elementare Ängste oder Bedarf
für Sinnkonstrukte abgenommen hätten, sondern weil ihnen Anpassungen an
kulturelle Veränderungen nicht gelingen und sie daher Glaubwürdigkeit einbüßen. <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;">Abnehmende Bedeutung institutionalisierter Religionssysteme westlicher Länder übt erheblichen Einfluss auf kulturelle Entwicklungen aus:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Patriarchat und Dominanz männlicher Kultur verlieren religiöse Legitimierung und gelten nicht mehr als kulturelle Selbstverständlichkeit, sondern sind zunehmend negativ konnotiert (siehe 6.4).</li><li>Zunehmender kultureller Wertepluralismus beeinflusst zahlreiche Lebensbereiche: <br /></li><ul><li>Enttabuisierung von Sexualität, <br /></li><li>Entkriminalisierung und soziale Tolerierung von Geschlechterdiversität,</li><li>Veränderung von Erziehungszielen und pädagogischen Konzepten, <br /></li><li>Zunahme von Scheidungsraten und Single-Lebensweisen,<br /></li><li>Zunehmende Individualisierung von Verhaltensmustern verstärkt soziale Fragmentierung und schwächt soziale Kohärenz. </li><li>Individualisierung von Wertemustern verstärkt Orientierungsdefizite und Vereinsamung und öffnet medial bespielte Räume für fremdbestimmte Sinnkonstrukte und Verhaltensmanipulationen jeglicher Art. <br /></li><li>Wertepluralismus westlicher Kulturen erzeugt Konflikte mit weltanschaulich-dogmatischen Systemen religiöser Art (insbesondere des Islams) sowie politisch-autokratischer Art (China, Russland etc.).<br /></li></ul></ul></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>9.3.1 Religion als vorsätzlich kultiviertes adaptives Wahnsystem </b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In
kultureller Evolution entstehende Bestattungsriten, Ahnenkulte und
Schamanismus werden allgemein als Symbole geteilter Glaubenssysteme
größerer
Menschengruppen aufgefasst. Über Inhalte von Glaubenssystemen
prähistorischer Kulturen sind nur spekulative Aussagen möglich. Das
Modell der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Terror-Management-Theorie" target="_blank">Terror-Management-Theorie</a>
(Kapitel 4.2.1) deutet die Entstehung geteilter Glaubenssysteme als
Instrumente der kulturellen Verfestigung von Verhaltensweisen, die
Menschen Angst vor dem Tod nehmen und den Zusammenhalt von Gruppen
wesentlich verstärken.<br /><br /></div>Der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> versteht die Entstehung von Religion ebenfalls im Sinne der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Terror-Management-Theorie" target="_blank">Terror-Management-Theorie</a>
als Mechanismus der Bewältigung von Todesangst. Metzinger legt jedoch
seinen Fokus auf Glaubenssysteme, die er aus ethisch-philosophischer
Sicht betrachtet.(Tomas Metzinger: <i><a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a></i> (PDF), Anmerkungen und Zitate dieses Kapitels beziehen sich auf diesen 39-seitigen Text.)<br /><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;">
<br /></div><div style="text-align: left;">
Metzinger fasst Glaubenssysteme als <i>fideistisch-dogmatische Modelle der Wirklichkeit</i> auf und Religion als eine Ausprägung solcher Modelle. <br /><ul style="text-align: left;"><li><a href="TM versteht Glaubenssysteme als fideistisch-dogmatische Modelle der Wirklichkeit und Religion als Ausprägung solcher Modelle. (S. 28) Fideismus definiert TM als „reinen Glaubensstandpunkt“ bzw. als Auffassung, „dass es nicht nur dann völlig legitim ist, an einer Überzeugung festzuhalten, wenn es keinerlei Evidenzen oder gute Gründe für diese Meinung gibt, sondern auch dann, wenn es beliebig viele Evidenzen oder gute Gründe gegen sie gibt.“ Als Dogmatismus bezeichnet TM „die These, dass es völlig legitim ist, an einer Überzeugung festzuhalten, einfach deshalb, weil man sie ja schon hat – die pure Tradition, ohne empirische Evidenzen und ohne vernünftige Gründe.“" target="_blank">Fideismus</a> definiert Metzinger als „<i>reinen Glaubensstandpunkt</i>“ (im Gegensatz zu Vernunft) bzw. als Auffassung, „<i>dass
es nicht nur dann völlig legitim ist, an einer Überzeugung
festzuhalten, wenn es keinerlei Evidenzen oder gute Gründe für diese
Meinung gibt, sondern auch dann, wenn es beliebig viele Evidenzen oder
gute Gründe gegen sie gibt.</i>“</li><li>Als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dogma" target="_blank">Dogmatismus</a> bezeichnet Metzinger „<i>die
These, dass es völlig legitim ist, an einer Überzeugung festzuhalten,
einfach deshalb, weil man sie ja schon hat – die pure Tradition, ohne
empirische Evidenzen und ohne vernünftige Gründe.</i>“</li></ul></div><div style="text-align: left;">In
Metzingers Perspektive ist Religion eine Strategie der Selbsttäuschung,
die subjektiv und lokal erfolgreich, aber objektiv und global
zerstörerisch wirkt: (S. 21) </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Natürlich
ist es wahr, dass solche Glaubenssysteme für einzelne Menschen und in
kurzen Zeiträumen das subjektive Leiden wirksam vermindern können. Sie
spenden Trost, ermöglichen intensive Gemeinschaftserfahrungen und das
Erleben von Geborgenheit in einer unsicheren Welt, sie sind sozusagen
metaphysische Placebos, die in der existentiellen Palliativmedizin
eingesetzt werden. Für die Menschheit als Ganze ist diese Strategie aber
objektiv nicht nachhaltig. Das ist der sachliche, für jeden leicht zu
verstehende Punkt: Die lokale, kurzfristige Stabilisierung des
Selbstwertgefühls erzeugt auf globaler Ebene immer wieder unfassbares
Leid."</i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Bezeichnung als "<i>adaptives Wahnsystem</i>"
rechtfertigt Metzinger mit dem Sachverhalt, dass Religionen Anpassungen
darstellen, die existenzielle Todesangst bewältigen: (S. 21)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Wahn“
ist zunächst, rein psychiatrisch gesehen, eine offensichtlich falsche
Überzeugung, die mit einem starken subjektiven Gewissheitserleben
einhergeht und die durch vernünftige Argumente oder empirische Belege
nicht korrigiert werden kann. Ein System aus Wahnvorstellungen ist ein
ganzes Netzwerk zusammenhängender Überzeugungen, das auch von vielen
Menschen miteinander geteilt werden kann. </i><br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">[...] <br /><i>„Dass
ein Wahnsystem „adaptiv“ ist, bedeutet, dass es eine Anpassungsleistung
darstellt. Adaptive Wahnsysteme sind Versuche, sich an eine unerwartete
Herausforderung anzupassen, an eine neue Gefahr, die gleichzeitig in
der Innen- und der Außenwelt eines Menschen auftritt.“<br /></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Aspekt des <i>Wahnsystems </i>reicht jedoch deutlich weiter, als auf dem ersten Blick zu erkennen ist. <i>Wahnsysteme</i> beruhen auf Mechanismen, die u.a. mit Hilfe von Drogen oder Ekstasetechniken gezielt erzeugt werden können. Aus psychiatrischer Sicht beeinträchtigen Systeme von Wahnvorstellungen Menschen in ihrer Lebensführung. In Metzingers Abstraktion handelt es sich um Systeme der Selbsttäuschung, die unterschiedlich zustande kommen können. Dass dieser Zusammenhang für religiöse Glaubensvorstellungen bestritten wird, hält Metzinger für falsch und betrachtet Religiosität als eine evolutionär entwickelte Variante eines geisteskranken Bewusstseinszustands:<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>„Wenn man von adaptiven Wahnsystemen redet, spricht man indirekt natürlich auch von geistiger Gesundheit und Krankheit. Eine interessante neue Einsicht könnte also sein, dass die Evolution insbesondere auch auf der psychologischen und soziokulturellen Ebene allem Anschein nach erfolgreiche Formen von geistiger Krankheit hervorgebracht hat.“ </i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bei Verzicht auf ausführliche Begründungen des Textes lässt sich das Verständnis von Religion als ein <i>vorsätzlich kultiviertes adaptives Wahnsystem</i> auf vier Aussagen verdichten: (S. 28)<br /><ul style="text-align: left;"><li><i>„Religion
maximiert emotionalen Profit – sie stabilisiert das Selbstwertgefühl,
bietet dem Menschen Trost, Gemeinschaftserleben, Geborgenheit und gute
Gefühle.“ </i></li><li><i>„Religion opfert die eigene Vernünftigkeit für die emotionale Kohärenz des Selbstmodells.“ </i></li><li><i>„Religion ist von der Grundstruktur her dogmatisch und damit intellektuell unredlich.“</i></li><li><i>„Religion</i>en organisieren sich und missionieren.“ </li></ul></div><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>9.3.2 Extrinsische und intrinsische Religiosität<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionspsychologie" target="_blank">Religionspsychologie</a> unterscheidet je nach Motivation zwischen 2 Arten (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religiosit%C3%A4t" target="_blank">Religiosität</a>):</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i>"<a href="https://www.wikiwand.com/de/Intrinsisch" target="_blank">Intrinsische</a> Religiosität: Menschen, die ihre Bedürfnisse nach ihren religiösen Überzeugungen ausrichten und befriedigen (Ziel der Religionslehre)</i></li><li><i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Extrinsisch" target="_blank">Extrinsische</a> Religiosität: Menschen, für die es persönliche Vorteile bringt, einer Religionsgemeinschaft anzuhören, z. B. als Ablenkung, Rechtfertigung oder aus <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Status" target="_blank">Statusgründen</a> (Widerspruch zur Religionslehre, siehe auch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Scheinheiligkeit" target="_blank">Scheinheiligkeit</a>)." </i><br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Kultureller Wertepluralismus beschleunigt den Zerfall religiöser Institutionen im Sinne extrinsischer Religiosität, die pragmatisch auf emotionale oder soziale Vorteile abzielt, wenn Lehrmeinungen am religiösen Dogmatismus festhalten und keine individuellen Vorteile oder persönlicher Nutzen die Verbundenheit zu kirchlichen Einrichtungen rechtfertigen. Die Zunahme von Kirchenaustritten belegt diesen Sachverhalt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Toleranz und Wertepluralismus sind Ausprägungen von Bildung. Daher überrascht nicht, wenn religionssoziologische Untersuchungen für Länder der EU nachweisen, dass intrinsische Religiosität (Glaube an Gott oder an andere höhere Mächte) mit zunehmender Bildung abnimmt. (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religiosit%C3%A4t#Religionssoziologische_Untersuchungen" target="_blank">Religiosität.Religionssoziologische Untersuchungen</a>)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> In Vorstellungen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spiritualit%C3%A4t" target="_blank">Spiritualität</a>
überdauert intrinsische Religiosität in Form von Anschauungen einer sinnlich nicht fassbaren und
rational nicht erklärbaren transzendenten Realität, die hinter oder über
der materiellen Welt liegt und aus der die materielle Welt hervorgeht. Intrinsische Religiosität beruht gemäß Annahmen der Terror-Management-Theorie auf psychologischen Grundbedürfnissen (Kapitel 4.2). Beim Zerfall religiöser Institutionen bleiben diese Bedürfnisse erhalten. Religiöses Vakuum erzeugt Nachfragen nach Alternativen und öffnet Märkte für Angebote aller Art, die sowohl spirituell als auch konsumorientiert ausgerichtet sein können und vor allem als Geschäftsmodelle betrieben werden, aber prinzipiell und oftmals mit zweifelhaften Methoden auf emotionale Bedürfnisse abzielen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>9.3.3 Segen und Fluch von Religionen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der biblischen Schöpfungsgeschichte sprach Gott am 6. Tag (<a href="https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/GEN.1/1.-Mose-1" target="_blank">Genesis 1, Lutherbibel 2017)</a>:<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht."</i>(28)</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">[...]</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag." </i><br /></div><div style="text-align: left;">Die Menschheit hat den Auftrag erfüllt. Wie man sich täuschen kann!</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In funktionalistischer Perspektive hat Religion<i> </i>als soziales Phänomen zwei zu berücksichtigende Seiten:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> Als eusoziales Phänomen erfüllt Religion<i> </i> weitgehend unstrittige individuell sinnstiftende sowie kollektiv integrierende und stabilisierende Funktionen. </li><li>Die Wertschätzung des eigene kulturellen Weltbildes kann nur dann
eine psychologische Schutzfunktion erfüllen, wenn sie zugleich eine
Abwertung alternativer kultureller Weltbilder (Glaubenssysteme)
vornimmt. Daneben hat Religion auch eine dunkle, destruktive, konfliktreiche zweite Seite, die aus Funktionen von <i>Religion </i>als Instrument politischer Macht sowie aus Dogmatismus resultieren. </li></ul></div></div><div style="text-align: left;">Diese Zusammenhänge manifestieren sich in 3 Sachverhalten: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Kulturelle
Weltbilder und Religionen konkurrieren nicht nur, sondern sie bekämpfen
sich seit der Entstehung von Religionssystemen (Kapitel 4.3.4) mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heiliger_Krieg" target="_blank">Heiligen Kriegen</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionskrieg" target="_blank">Religionskriegen</a>, was Beschreibungen <i>fideistisch-dogmatische Modelle der Wirklichkeit </i>als <i>adaptives Wahnsystem</i> rechtfertigt. (The Inquisitive Mind: <a href="https://de.in-mind.org/article/im-angesicht-des-todes-die-psychologische-schutzfunktion-von-religion-und-ihre-folgen" target="_blank">Im Angesicht des Todes: Die psycholigische Schutzfunktion und ihre Folgen</a>)</li><li>Mit zunehmendem säkularen Wertepluralismus nehmen dogmatische Vorstellungen richtigen Lebens und Verhaltens ab sowie Toleranz und individuelle Freiheiten zu, was sich u.a. in abnehmender Bedeutung religiös-dogmatischer Verhaltensvorschriften oder in Freiheiten der sexuellen Orientierung und des Sexualverhaltens zeigt, aber prinzipiell für alle Lebensbereiche gilt. </li><li>Indem säkularer Wertepluralismus religiösen Dogmatismus
auflöst, schwächt er institutionalisierte dogmatische Glaubenssysteme. Wenn die Annahme richtig ist, dass Glaubenssysteme funktionale Bedürfnisse erfüllen, gehen mit dem Verlust von Glaubenssystemen Funktionen dieser Systeme verloren:<br /><ul><li>Auf der sozialen Kollektivebene entsteht ein
Verlust an eusozial-integrierenden Funktionen. </li><li>Auf psychischer individueller Bewusstseinsebene entsteht ein Verlust an Kohärenz (Sinnstiftung).</li></ul>Da funktionale Bedürfnisse weiter bestehen, nimmt zwangsläufig die Empfänglichkeit für alternative Sinnkonstrukte und
Glaubenssysteme zu.</li></ul></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9.4 </b><b>Patriarchat und </b><b>Feminismus</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">in westlichen Kulturen bewirkt der Bedeutungsverlust von Religionssystemen, dass <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_%28Soziologie%29" target="_blank">Patriarchat</a> seine Rechtfertigung verliert. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Feminismus" target="_blank">Feministische</a> Bewegungen setzen die Stärkung legitimer Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter durch. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Entwicklungen westlicher Kulturen mit rechtlicher Gleichstellung aller Menschen bleiben aufgrund globaler medialer Vernetzung in Kulturen mit dogmatisch-autokratischen und dogmatisch-religiösen Regierungssystemen nicht verborgen. Gleichstellungsrechte sind im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kollektiven Gedächtnis</a> als egalitäre soziale Muster verankert und werden global auch in weltanschaulich-dogmatisch geordneten Kulturen eingefordert, in denen sie mit etablierten dogmatischen Strukturen nicht vereinbar sind und daher in zahlreichen Kulturen starke Konflikte erzeugen oder zumindest Konfliktpotentiale entwickeln. Um Revolutionen zu verhindern, reagieren Regierungssysteme dieser Länder mit brutaler Gewalt und moderaten Lockerungen ihrer Zwangssysteme. Mittelfristig werden politische Umbrüche nicht zu verhindern sein. In der Zwischenzeit sind je nach Stärke von Repressionen und Gewalt neue Migrationsströme zu erwarten.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>5.5 Pandemien</b><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Die
Covid-19-Pandemie dürfte bis auf Verschwörungsgläubige dem
größten Teil der Menschheit bewusst gemacht haben, dass Pandemien dieser
Art nie vollständig beherrschbar sind, jederzeit auftreten können und
Risiken mit Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsdichte zunehmen. Im Unterschied zu zuvor
genannten Risiken wirken Pandemien bremsend auf Migrationsströme, weil
Länder Grenzen schließen und Bedingungen Transfers verhindern. So war es
zumindest bei der Covid-19-Pandemie. Ob diese eine Blaupause für
zukünftige Pandemien sein wird, ist zwar zu erwarten, aber keineswegs
sicher. <br /></div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9.6 Klimawandel und Klimapolitik<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Auf Wirtschaftswachstum programmierte westliche Kulturen haben Prozesse in Gang gesetzt, die sich als
Klimawandel auswirken und eine globale Bedrohung darstellen. Inzwischen
nehmen zahlreiche nicht-westliche Staaten an einer beschleunigenden
Entwicklung der Klimaveränderung teil, die voraussichtlich nicht
reversibel ist, Lebensgrundlagen zahlreicher Menschen zerstört und
unkontrollierbare Migrationsströme verstärkt. Ob Klimaneutralität bis
2045 erreichbar ist oder überhaupt prinzipiell erreichbar ist, vermag
niemand realistisch abzuschätzen. Selbst wenn ab sofort <a href="https://www.wikiwand.com/de/Klimaneutralit%C3%A4t" target="_blank">Klimaneutralität</a> erreicht wäre, würde sich menschengemachter Klimawandel noch über mehrere Jahrhunderte fortsetzen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Behauptete Klimaneutralität von Unternehmen beruht häufig auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Greenwashing" target="_blank">Greenwashing</a> (PR-Lügen), mit dem ethisch verantwortliches Handeln von Unternehmen hinter oberflächlichen Aussagen zu Emissionen vorgetäuscht wird. Im Kern geht es um verborgene Fragen politischer und wirtschaftlicher Ethik, die eine Neuausrichtung von Wirtschaftssystemen und globaler Beziehungen notwendig macht. In der politischen Realität scheitern Klimaprogramme, weil sie von wohlhabenden Ländern (=Klimasünder) nur halbherzig (EU, Japan), nicht ernsthaft (USA, China, Australien) oder gar nicht (Russland) umgesetzt werden. Schwellenländer und Entwicklungsländer haben andere Sorgen und lassen sich für Klimasünden wohlhabender Länder nicht in Verantwortung nehmen. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Stattdessen wurde in der EU als zentrales politisches Steuerungsinstrument 2005 ein <a href="https://www.wikiwand.com/de/EU-Emissionshandel" target="_blank">Emissionshandelssystem</a> eingeführt, das bis 2017 seine Wirksamkeit vollständig verfehlte, zu Missbrauch einlud und <a href="https://www.wikiwand.com/de/EU-Emissionshandel" target="_blank">neue Arten von Kriminalität</a> ermöglichte. Seit 2018 verbessern zwar mehrere Reformen die Wirksamkeit, aber anstatt Emissionen zu reduzieren, profitieren große industrielle Klimasünder noch immer mit zusätzlichen Gewinnen vom Emissionshandel. Die EU beabsichtigt im Rahmen ihres Programms <i>Green Deal</i>(!) mindestens bis 2025 weiter Gratiszertifikate an die Industrie auszugeben (ZDF, 5.10.2021: <a href="https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/industrie-emissionshandel-co2-100.html" target="_blank"><i>Industrie profitiert vom Emissionshandel</i></a>). </li><li>Im Dezember 2022 wurden zwar Regeln der EU im Rahmen einer Reform verschärft, aber Schlupflöcher bestehen für die Industrie nach wie vor. Mittlerweile sollte jeder verstanden haben, dass Klimaziele nicht mit Marktmechanismen erreicht werden, e-Mobilität mit Tricks klimafreundlich gerechnet wird (ZDF, 12.09.2021: <a href="https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/e-autos-mobilitaet-klimaschutz-co2-planet-e-100.html" target="_blank"><i>Wie umweltfreundlich sind E-Autos wirklich?</i></a>) und Elektroautos nicht sauberer sein können als der Strom, mit dem sie fahren. Um Klimaziele zu realisieren, ist Politik viel stärker gefordert, als politische Willensbildung bisher auf den Weg gebracht hat (ZEIT, 20.02.2023: <a href="https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2023-02/neuer-emissionshandel-eu-klimapolitik-co2-ausstoss-reform-klimaziele/komplettansicht" target="_blank"><i>Kann der Markt das Klima schützen?</i></a>). </li><li>Schwellenländer und Entwicklungsländer sehen bzgl. Emissionen überwiegend scheinbar vorbildlich aus, was aber nicht ethischer Umweltpolitik zu verdanken ist, sondern aus fehlender wirtschaftlicher Potenz resultiert, die kolonialer Ausbeutung durch europäische Staaten geschuldet ist. Auf ethische Dimensionen der Klimaproblematik macht ein unter Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0" veröffentlichter Artikel von Jenny Kurwan aufmerksam: <a href="https://www.bpb.de/themen/klimawandel/dossier-klimawandel/515255/klimagerechtigkeit/" target="_blank">Klimagerechtigkeit</a><br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Neben Temperaturanstiegen und Veränderungen von Wetterlagen sind Verschiebungen von Windsystemen und Meeresströmungen zu erwarten, deren Folgen im Detail nicht vorhersagbar sind, die aber schwerwiegend ausfallen werden. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Gemäß aktueller Modelle gilt bis 2050 ein nicht mehr zu bremsender <a href="https://www.sueddeutsche.de/wissen/meeresspiegelanstieg-klimawandel-usa-anpassung-louisiana-1.5530303" target="_blank">Anstieg der Meeresspiegel um ca. 30 cm</a> als wahrscheinlich. Durch abschmelzende Polkappen und Gletscher wird ein weiterer Anstieg nicht aufzuhalten sein (Quarks: <a href="https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/was-passiert-wenn-der-meeresspiegel-steigt/" target="_blank"><i>Was passiert, wenn der Meeresspiegel ansteigt?</i></a>). </li><li>Bis 2100 erwarten Szenarien einen Anstieg zwischen 56 cm (best case) bis 200 cm (worst case). </li><li>Grönlandeis bindet ca. 10 % des globalen Süßwassers. Allein das Abschmelzen des Grönlandeises, auf das wir derzeit zusteuern, würde Weltmeere um 7 m ansteigen lassen (FAZ: <i><a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/groenland-eisschmelze-droht-einen-kritischen-punkt-zu-erreichen-18782583.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Grönlandeis Kippunkte: Wie Softeis in der prallen Sonne</a> - <a href="https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/studie-die-schmelze-von-groenlands-eisschilde-machen-den-meeresspiegelanstieg-unvermeidlich-18279666.html" target="_blank">Grönlands Gletscher schmelzen ungebremst</a></i>)<br /></li><li>Wenn Klimaveränderungen sich linear fortsetzen, wäre in ca. 5000 Jahren das gesamte in Eis gebundene Wasser abgeschmolzen und der Meeresspiegel ca. 60 m höher (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Meeresspiegelanstieg_seit_1850" target="_blank"><i>Meeresspiegelanstieg seit 1850</i></a>). </li><li>Experten erwarten, dass von Klimaänderungen verursachte Veränderungen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thermohaline_Zirkulation" target="_blank">termohalinen Zirkulation</a> von Meeresströmungen Rückkopplungseffekte auf das Klima bewirken werden. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Gletscherschwund und Eisschmelze und mit ihnen ansteigende Meeresspiegel
sind ein allgemeinverständlicher plakativer Ausschnitt des von
Klimaveränderungen verursachten Szenarios, das viel umfassender
ausfällt, als dieser Ausschnitt vermittelt. U.a. sind Migrationswellen
in Größenordnungen zu erwarten, die aktuelle Migrationswellen und von
ihnen bewirkte Konflikte übertreffen werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Komplexität erlaubt im Rahmen beschränkter Modelle nur Wahrscheinlichkeitsprognosen zu Auswirkungen von Klimaveränderungen. Vorhersagen zu globalen Konflikten der Menschheit und
ihr soziales Zusammenleben unter Bedingungen schrumpfender Lebensräume
bei gleichzeitig wachsender Bevölkerung sind noch weit unsicherer. Denkbare Szenarien möchte sich niemand ausmalen und
schon gar nicht erleben. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Beschriebene Probleme und Szenarien sind bekannt. Trotzdem agiert Politik zögerlich, halbherzig oder gar nicht, und nur ein kleiner Anteil aller Menschen ist bereit, eigenes Verhalten zu ändern, solange Krisen nur erwartet werden, aber noch nicht eingetreten sind. Unter Bedingungen, die einen täglichen Kampf um Überleben erfordern, ist dieses Verhalten nachvollziehbar. Weshalb sich in wohlhabenden Ländern Verhaltensänderungen nicht durchsetzen und nur zart verbreiten, ist nicht spontan plausibel. Hierzu muss man verstehen, dass Klima ein Gemeingut ist. Gemeingüter können nur mit politischem Willen wirksam geschützt werden. Bezüglich Gemeingüter sind Willensbildung und Herstellung von Konsens bereits innerhalb von Staaten nur in hoch komplexen Prozessen mit großen Anstrengungen erreichbar (wenn überhaupt). Auf internationaler Ebene wachsen Komplexität, Schwierigkeiten und notwendige Anstrengungen exponentiell (siehe EU). Auf globaler Ebene werden Grenzen der Beherrschbarkeit von Komplexität und Schwierigkeiten erreicht oder überschritten. Tragik kollektiver Güter betrachtet das Folgekapitel.<br /></div> </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>9.7 Kollektive Güter<br /></b></div> <div style="text-align: left;">Ökonomische und soziologische Theorien unterscheiden aufgrund unterschiedlicher Nutzungsbedingungen zwischen exklusiv genutzten privaten Gütern sowie frei zugänglichen kollektiven Gütern und Dienstleistungen, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann. Sobald Menschen in Gruppen zusammenleben, entstehen frei zugängliche kollektive Güter, die je nach Einschränkungen ihrer Nutzung 3 Klassen bilden:<ul style="text-align: left;"><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Gemeingut" target="_blank">Gemeingüter</a> sind solche kollektiven Güter, die allen Nachfragern unentgeltlich
zur Verfügung stehen und gleichzeitig genutzt werden können, z.B.
Klima, Luft, Naturlandschaften, Meere etc.. Bei diesen Gütern besteht
prinzipiell die Gefahr von Missbrauch, Übernutzung, Ausbeutung. Weil
Menschen gewöhnlich nicht bereit sind, für Nutzung, Erhalt und Schutz
dieser Güter zu zahlen, können diese Güter i.d.R. nicht
privatwirtschaftlich angeboten werden. Wenn Gemeingüter für
Grundversorgungen notwendig sind, übernimmt der Staat die Versorgung in
Form öffentlicher Güter. </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96ffentliches_Gut" target="_blank">Öffentliche Güter</a>
sind Gemeingüter, deren Grundversorgung vom Staat bzw. öffentlichen
Einrichtungen zur Verfügung gestellt wird, z.B. Bildungseinrichtungen,
Verkehrsinfrastrukturen, Trinkwasserversorgung, Brandbekämpfung,
Katastrophenschutz, Landesschutz, soziale
Sicherungsnetze etc.. Damit diese Leistungen angeboten werden können,
sind Ressourcen erforderlich, zu deren Bereitstellung Nutznießer
(natürliche und juristische Personen) Steuern als Entgelt zahlen. </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Allmendegut" target="_blank">Allmendegüter</a>
sind eine Unterklasse öffentlicher Güter, deren Nutzung auf
Anspruchsberechtigte eingegrenzt ist (Bürger eines Staates, Einwohner
einer Stadt oder Gemeinde etc.). Von der Nutzung kann kein
Anspruchsberechtigter ausgeschlossen werden, aber bezüglich der Nutzung
besteht aufgrund begrenzter Ressourcen eine hohe Rivalität
(z.B. Services öffentlicher Dienstleistungen, Plätze in
Bildungseinrichtungen, öffentliche Weide- und Wasserwirtschaft etc.). <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>9.7.1 Tragik und Rationalitätsfallen kollektiver Güter </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wenn Ressourcen kollektive Güter begrenzt und nicht teilbar sind, entsteht Rivalität. In Selbstorganisation funktionieren kollektive Nutzungsformen mit
gerechter Verteilung auch bei knappen Ressourcen, wenn Nutzungen
ausreichend transparent sind und soziale Kontrolle stattfindet. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ohne Kontrolle besteht in großen Kollektiven ein Trend zu egoistischer Nutzung und zur Übernutzung von Ressourcen. Nutzer nehmen sich als nicht verantwortlich für einen achtsamen Umgang mit
kollektiven Gütern wahr und maximieren ihren eigenen Nutzen ohne
Rücksicht von Auswirkungen auf andere Menschen. Unter diesen Bedingungen entstehen zwischen rivalisierenden Nutzern <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rationalit%C3%A4tenfalle" target="_blank">Rationalitätsfallen</a> in Form des Auseinanderfallens zwischen individueller Rationalität
(rational vernünftig im Sinne der Maximierung individuellen Nutzens) und kollektiver Rationalität
(rational vernünftig, wenn die Summe der Einzelnutzen den Nutzen für die soziale Gemeinschaft maximiert). Bei begrenzten Ressourcen und rivalisierenden Nutzern ist kollektiver Nutzen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pareto-Optimum" target="_blank">Pareto-optimal</a>, d.h. kein Nutzer kann besser gestellt werden, ohne dass ein anderer Nutzer schlechter gestellt werden kann, z.B. kann ein Fisch nur einmal gefangen und verzehrt werden oder ein Baum nur einmal gefällt und verarbeitet werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kollektiver Nutzen begrenzter, nicht teilbarer kollektiver Güter ist prinzipiell Pareto-optimal. Eine gerechte, effiziente, nachhaltige Bewirtschaftung dieser Güter ist bei konkurrierender individueller Rationalität erschwert und wird bei Missbrauch verhindert. Um solche Situationen zu regeln, sind Kontrollmechanismen erforderlich, etwa durch öffentliche Institutionen oder durch Privatisierung von Gütern (wie das z.B. bei Zwangsversicherungen, Post, Telefon- und Straßennetzen sowie teilweise bei Verkehrsinfrastrukturen praktiziert wird), die jedoch für einige kollektive Güter nicht in Frage kommen (z.B. für Klima, Luft, natürliches Licht). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Fall der Privatisierung üben Marktmechanismen Kontrolle via Angebot,
Nachfrage, Preis aus. Teilweise bestehen auch Hybridlösungen (z.B.
öffentliche neben privaten Einrichtungen des Bildungssystems oder des
Gesundheitssystems), die hier nicht weiter betrachtete Probleme eigener
Art aufwerfen. Privatisierungen und Hybridlösungen funktionieren nicht
notwendig kollektiv rational, weshalb sie häufig mit staatlichen
Kontrollmechanismen der Marktüberwachung (z.B. Bankenaufsicht,
Versicherungsaufsicht, Wettbewerbsbehörden, Kartellaufsicht) oder der
Qualitätsüberwachung (z.B. Lebensmittelaufsicht, Schulaufsicht)
kombiniert werden. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9.7.2 Komplexität kollektiver Güter</b> <br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /><div style="text-align: left;">Alle Kollektivgüter erzeugen prinzipiell komplexe Anforderungen politischer Willensbildung und Konsensfindung. Mit Größe sozialer Systeme nehmen soziale Differenzierung und mit dieser Fragmentierungen von Interessen, Wertesystemen und Verhaltenserwartungen zu. Als Ergebnis sind grundsätzlich nur Entscheidungen möglich, die niemals alle partikularen Interessen berücksichtigen und daher tendenziell strittig bleiben. Über die Problematik politischer Willensbildung hinaus besteht prinzipiell bei öffentlichen Gütern und Allmendegüter ein egoistisches <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trittbrettfahrerproblem" target="_blank">Trittbrettfahrerproblem</a>:</div><ul style="text-align: left;"><li>Bei öffentlichen Gütern tritt das Trittbrettfahrerproblem auf, wenn Unternehmen sich vor der Zahlung von Steuern
drücken, indem z.B. im Inland tätige Unternehmen ihre Firmensitze in
Steueroasen verlegen oder Privatpersonen keiner gesetzlich geregelten
Arbeit nachgehen (und sich vielleicht mit Hilfe von Kindergeld für zahlreiche Kinder
und/oder Schwarzarbeit finanzieren), aber trotzdem öffentliche
Leistungen in Anspruch nehmen, weil niemand ausgeschlossen werden kann. </li><li>Typische Trittbrettfahrerprobleme
von Allmendegütern bestehen aus Übernutzungen und deren Folgen, z.B.
Klimaveränderungen, Überfischung der Meere, Rodungen von Wäldern,
übermäßiger Wasserverbrauch etc. und werden als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tragik_der_Allmende" target="_blank">Tragik der Allmende</a> diskutiert.</li></ul><div style="text-align: left;">Innerhalb von Staaten bestehen zur Verhinderung des Missbrauchs von Gemeingütern und öffentlichen Gütern
verfassungsrechtlich abgesicherte gesetzliche Regelungen und entsprechende Einrichtungen der Kontrolle,
z.B. Polizei, Ordnungsämter, Zoll, Finanzämter, Gerichte etc..
International und erst recht global stellen sich Anforderungen der Willens- und Konsensbildung jedoch deutlich komplexer dar als innerhalb von Staaten, weshalb sie schwierig
herbeizuführen sind und auch dann noch an ihrer Durchsetzbarkeit scheitern können. Ausbeutungen und Missbrauch von Umweltressourcen, Klimaproblematik, Missachtung von Menschen- und Tierrechten und nicht zuletzt Migrationsströme dokumentieren die unbeherrschbare oder nur unvollständig kontrollierbare Komplexität der Realität. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Erwähnt sei, dass Gemeinwohl Fragen aufwirft, zu denen Antworten nicht en passant auf der Hand liegen. Sachverhalte und Problematiken dieser Fragen sind unter nicht entscheidbare soziologische Streitfragen einzuordnen, zu denen die Frage gehört, welches Gemeinwohl dem Wohlergehen aller dient und wie Wohlergehen zu definieren ist.</div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>9.8 Künstliche Intelligenz (KI) </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Naives <i>Alltagsdenken</i> verbindet mit Innovationen <a href="https://www.wikiwand.com/de/K%C3%BCnstliche_Intelligenz" target="_blank">künstlicher Intelligenz</a>
(KI) als Fortschritt verstandene Erwartungen globaler Problemlösung.
Naiver Fortschrittsglaube ist längst als Mythos und Irrtum entlarvt
(siehe Post: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank">Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</a></i>),
weshalb KI keinen Fortschrittssegen entfalten wird, aber tiefgreifende
Veränderungen auslöst. Einige dieser Veränderungen werden nützlich oder
hilfreich sein. Ob zusätzlicher oder neuer Nutzen durch neue
Technologien entstehende Risiken zu rechtfertigen vermag, wird
unterschiedlich gesehen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">KI beruht bisher auf Erkennen, Berechnen, Vergleichen von Mustern sowie auf Lernfunktionen der Mustererkennung und auf Kreativfunktionen der Mustererzeugung. Maschinelle Fähigkeiten beruhen nicht alleine auf Algorithmen. Um hohe Qualität zu realisieren, werden riesige Datenmengen und eine hohe maschinelle Performance benötigt. Aufgrund der technischen Leistungsfähigkeiten aktueller maschineller Generationen haben Maschinen bzgl. der beschriebenen Funktionen menschliche Fähigkeiten längst überholt und werden sich weiter steigern. Erreichte und zu erwartende Fähigkeiten können für Menschen durchaus beunruhigend sein.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Menschen verfügen dagegen über Fähigkeiten, deren maschinelle Nachbildung noch nicht gelungen ist:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Menschen sind in der Lage, Muster bereits mit sehr wenigen Daten zu erkennen, wobei allerdings die Treffsicherheit von Aussagen bzw. die Irrtumswahrscheinlichkeit von einigen Bedingungen abhängig ist. </li><li>Menschliche Mustererkennung beruht auf Fähigkeiten der Hypothesen- und Urteilsbildung mittels Wahrnehmung oder Vermutung kausaler Zusammenhänge sowie auf Fähigkeiten der Identifizierung von Konsistenz und der Bildung von Sinnkonstrukten.</li><li>Menschen verfügen über Emotionen bzw. über selbstreflexive Bewusstseinszustände und können diese mit Wahrnehmungen innerer und äußerer Zustände verknüpfen, um rationale Urteile zu bilden. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">KI ist in Wirklichkeit nicht intelligent, sondern dumm. KI verfügt über keine Rationalität und vermag nämlich nur solche Probleme zu erkennen und zu lösen, die als Muster angelernt wurden. KI kann sich nicht selbst reflektieren und keine Urteile bilden. Ob und ggf. wann diese Fähigkeiten maschinell beherrscht werden, ist unsicher, solange menschliche Algorithmen der Urteilsbildung unverstanden bleiben.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Von
egoistischen Interessen verbreitete Fortschrittsnarrative sedieren
naives Denken. Wer ethisch denkt und seriös über Risiken nachdenkt,
sieht auf die Menschheit eine Welle globaler Bedrohungen mit bisher nur
unvollständig absehbaren Folgen zurollen. Artikel der FAZ beschreiben ein noch relativ harmloses
Experiment mit manipulierten Fotos (<i><a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ki-fotos-was-manipulierte-bilder-fuer-die-politik-bedeuten-18791867.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Alles, nur nicht die Wahrheit</a></i>), das ernst zu nehmen ist: <i><a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kuenstliche-intelligenz-gefaehrliche-deepfakes-18813881.html" target="_blank">Wie Lügenbilder die Demokratie bedrohen</a></i>. Defizite und Perspektiven von KI betrachten die FAZ-Artikel <i><a href="https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2023-04-14/wie-kuenstliche-systeme-lernen-sollten/882325.html" target="_blank">Wie künstliche Systeme lernen sollten</a></i> und <i><a href="https://zeitung.faz.net/fas/wissenschaft/2023-04-16/erdacht-oder-errechnet/882729.html" target="_blank">Radioaktive Texte</a></i>. Um ethische Dammbrüche zu verhindern, benötigen wir Antworten auf die Fragen, wie wir im Alltag echte von falschen Informationen unterscheiden können und wie verhindert werden kann, dass falsche Informationen soziales Leben manipulieren. Derzeit sind nur schwache Ideen für praktikable Antworten erkennbar. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Menschen sind biologische Maschinen, deren Leistungsfähigkeit sich von technischen KI-Maschinen derzeit noch gravierend unterscheidet bzw. kaum vergleichbar ist (Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/mensch-maschine-ki-100.html" target="_blank">Warum der Mensch-Maschine-Vergleich hinkt</a>). KI beruht mit Hilfe von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mathematische_Statistik" target="_blank">Statistik</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stochastik" target="_blank">Stochastik</a> auf der Erkennung von Mustern und ist darin leistungsfähiger als Menschen. Menschliches Denken verfügt jedoch über die Fähigkeit, aus wenigen Informationen kausale Zusammenhänge herzustellen oder zu vermuten. KI fehlt diese Fähigkeit. Bisher ist nicht verstanden, wie die Fähigkeit zum Erkennen von Kausalität zustande kommt und kann daher nicht in Algorithmen nachgebildet werden (Max-Planck-Gesellschaft: <i><a href="https://www.mpg.de/17651253/ki-kausalitaet" target="_blank">Nicht ohne Grund!</a></i>). Falls diese Hürde überwindbar ist, erfährt die Leistungsfähigkeit menschlichen Denkens Nachteile, deren Auswirkungen heute noch nicht vollständig zu bewerten sind, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerwiegend ausfallen werden.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Denkbar
sind bereits heute von KI zu politischen Zwecken manipulierte Szenen
vermeintlicher Terroraktionen, Kriege, Hinrichtungen etc. sowie Manipulationen wissenschaftlicher Studien. Es geht allerdings nicht nur um Bilder oder um Lügentexte, die KI bei entsprechenden
Anforderungen liefert und als vermeintliche Beweise ausgegeben werden
können, sondern auch um intransparentes unkontrollierbares
autonomes Handeln von Maschinen. Wieviele Arbeitsplätze verloren gehen
werden, was das für das soziale und politische Leben bedeuten wird und
welche Auswirkungen auf das Denken und Verhalten von Menschen zu
erwarten ist, vermag niemand seriös zu prognostizieren, aber
Größenordnungen werden voraussichtlich gewaltig ausfallen und historische Transformationen sozialer und wirtschaftlicher Strukturen deutlich übertreffen. Selbstverständlich geht es bisher
nur um Szenarien, die aufgrund fehlender Detailinformationen nicht
planbar sind, aber dennoch vorausgedacht werden sollten, um
Entwicklungen nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Welche Entwicklungen in Laboratorien stattfinden, bleibt weitgehend geheim. Allein dieser Sachverhalt ist alarmierend. Der seit 2013 für Google arbeitende renommierte Kognitionspsychologe und KI-Experte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Geoffrey_Hinton" target="_blank">Geoffrey Hinton</a> hat Google kürzlich überraschend verlassen, um vor den Risiken von KI zu warnen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Meldung Heise online vom 1.05.2023: <a href="https://www.heise.de/news/KI-Pionier-Geoffrey-Hinton-verlaesst-Google-8984065.html" target="_blank">KI-Pionier Hinton verlässt Google, um über Risiken der KI zu reden</a>)</li><li>Artikel FAZ: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/unternehmen/2023-05-05/toedliche-intelligenz/890151.html" target="_blank">Tödliche Intelligenz - KI wird zu einer existentiellen Gefahr. Das Weiße Haus ist alarmiert und lädt zum Gipfel</a></li></ul></div><div style="text-align: left;">Was
möglich ist, wird genutzt, wenn es Interessen dient. Ein Artikel der FAZ vom 10.05.2023
berichtet über eine aktuelle Studie, in der allein in Biomedizin 28 %
von 300.000 Arbeiten betroffen sind (FAZ: <i><a href="https://zeitung.faz.net/faz/geisteswissenschaften/2023-05-10/haufenweise-faelschungen/891763.html" target="_blank">Studie stellt haufenweise gefälschte Publikationen fest</a></i>):<div style="text-align: left;"><br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">"Demnach
sind rund 28 Prozent aller weltweiten Publikationen verdächtig,
gefälscht zu sein, davon viele mit Künstlicher Intelligenz verfasst und
trotz unsinnigen Inhalts von renommierten Fachzeitschriften
veröffentlicht."</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">[...]<br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Die
Arbeiten kommen weit überwiegend aus Ländern mit autokratischen
Regierungen, die Wissenschaftler und Ärzte unter enormen
Publikationsdruck setzen. Länder mit hohem Fälschungsanteil sind der
Studie zufolge Russland, Türkei, Ägypten, China und Indien mit Werten
zwischen 39 und 48 Prozent aller veröffentlichten Arbeiten, wobei
absolut betrachtet China mit 55 Prozent Spitzenreiter ist. Bei aus
Europa eingereichten Arbeiten sind „nur“ fünf Prozent Fake. Hier führt
Italien mit elf Prozent, Deutschland liegt bei sechs Prozent, die
Ukraine bei drei Prozent. Der Wert für die Vereinigten Staaten ist
ebenfalls drei Prozent."</i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">[...]</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Experten gehen davon aus, dass viele Fake-Arbeiten die künftige
Entwicklung von Therapien für Menschen falsch beeinflussen. Bei
präklinischen Studien eines Biotech-Unternehmens konnten die Ergebnisse
von nur sechs von 53 „wegweisenden“ Artikeln repliziert werden, bei
einem anderen Unternehmen waren nur 14 von 67 Studien in den Bereichen
Onkologie, Frauengesundheit und Herz-Kreislauf-Medizin replizierbar. Die
Replikationskrise, zur der Fake-Publikationen erheblich beitragen,
verlangsamt die Entwicklung lebensrettender Therapien mit einem
geschätzten finanziellen Verlust für die Pharmaindustrie von 28
Milliarden Dollar pro Jahr."</i></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Annahmen, dass KI
nur für gutartige nützliche Zwecke verwendet würde, wären absolut naiv in
Anbetracht der unkontrollierbaren Verflechtung von Interessen mit
politischer und ökonomischer Macht sowie in Anbetracht der
Schwierigkeit, ethisch gutes Handeln zu bestimmen (Kapitel 6.9). Für
die optimistische Annahme, dass über ethische Kriterien von
Technologien globaler politischer Konsens erzielt werden kann, sind
keine guten Gründe sichtbar. Im Gegenteil sprechen Erfahrungen zu
Entwicklungen des Klimas oder auch des öffentlichen Internets gegen eine
solche Annahme. Selbst wenn Konsens erzielt werden könnte, würde er mit
hoher Wahrscheinlichkeit an der Durchsetzbarkeit scheitern. IT-Konzerne
verbergen bereits in der Gegenwart ihre Algorithmen. In naher Zukunft
stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, welchen
Informationen wir noch trauen können, wie Vertrauenswürdigkeit
hergestellt werden kann oder wie sich soziales Leben ohne Vertrauen
entwickeln wird. Antworten auf diese Frage sind nicht zu erkennen. <br /></div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>9.9 Ethisch korrektes Leben</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ohne <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethik" target="_blank">ethisches</a> Verhalten wäre ein kooperierendes Zusammenleben von Menschen nicht möglich. Im begrenztem Umfang verhält sich daher jeder Mensch zeitweilig ethisch, zumindest solange ethisches Verhalten den eigenen Interessen dient. Inzwischen leben sehr viele Menschen auf der Erde und die Erdbevölkerung wächst weiter, damit auch der Kooperationsbedarf und die Dringlichkeit der Beantwortung ethischer Fragen der Menschheit insgesamt. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Globale ethische Fragen betreffen vor allem kollektive Güter: Menschenrechte, Umwelt und Nachhaltigkeit. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rationalit%C3%A4tenfalle" target="_blank">Rationalitätsfallen</a> und das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trittbrettfahrerproblem" target="_blank">Trittbrettfahrerproblem</a> bilden nur ansatzweise kontrollierte, aber nicht vollständig lösbare inhärente Probleme kollektiver Güter (Kapitel 6.7). Wenn Menschenrechte, Umweltschutz und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen
nicht nur alibimäßig oder im Krisenmodus unter unvollständige Kontrolle gebracht werden sollen, sondern ernsthaft in voller Konsequenz
verwirklicht würden, wären alle Menschen gefordert: einzelne
Individuen, die Zivilgesellschaft, Wirtschaftsunternehmen, soziale
Einrichtungen, Regierungen, überstaatliche Organisationen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Mit zunehmender sozialer Komplexität nehmen auch normative Probleme von Antworten auf die Frage nach gutem und richtigem Leben zu. Dass <a href="https://www.wikiwand.com/de/Transhumanismus" target="_blank">transhumane</a> künstliche Intelligenz die Menschheit aus dieser Falle befreien könnte, ist aus Sicht des Autors <a href="https://www.wikiwand.com/de/Roberto_Simanowski" target="_blank">Roberto Simanowski</a> eine denkbare Option, aber ein Teufelspakt, in dem Menschen Willensfreiheit gegen Effizienz eintauschen. Ansprüche auf Autonomie und Souveränität, über die Menschen nur begrenzt verfügen (wenn überhaupt), wären obsolet.</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/roberto-simanowski-todesalgorithmus-die-selbstentmachtung-100.html" target="_blank"><i>Die Selbstentmachtung des Menschen</i></a> - <a href="https://www.deutschlandfunk.de/die-zukunft-des-menschen-das-versprechen-der-kuenstlichen-100.html" target="_blank"><i>Die Zukunft des Menschen. Das Versprechen der Künstlichen Intelligenz</i></a></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> reklamiert in einem Gespräch des Deutschlandfunks: <i><a href="https://www.deutschlandfunk.de/kuenstliche-intelligenz-und-ethics-washing-wir-haben-keine-100.html" target="_blank">Künstliche Intelligenz und „Ethics Washing“. „Wir haben keine seriösen Experten für angewandte Ethik der KI“</a>. </i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">KI-Ethiker teilen diese Ansicht: <i><a href="https://www.dw.com/de/ki-k%C3%BCnstliche-intelligenz-kulturbruch-vincent-m%C3%BCller/a-65317799" target="_blank">"Künstliche Intelligenz führt zu einem Kulturbruch"</a> </i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Der Standard, </i>28.12.2018:<i> <a href="https://www.derstandard.de/story/2000085354057/was-maschinen-duerfen-sollen" target="_blank">Künstliche Intelligenz: Was Maschinen dürfen sollen</a></i> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Fragen nach gutem Handeln beschäftigt die Menschheit bereits seit prähistorischer Zeit (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Geschichte_der_Ethik" target="_blank">Geschichte der Ethik</a>). Unter Bedingungen kultureller Evolution werden Fragen drängender, aber zugleich nehmen auch normative Konflikte zu, während Antworten aus Richtung philosophischer Ethik zaghafter werden. Der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wilhelm_Vossenkuhl" target="_blank">Wilhelm Vossenkuhl</a> fragt nach Möglichkeiten des Guten und räumt ein, dass sich das Gute als Maßstab menschlichen Handelns historisch verändert und keine absolute Definition erlaubt.</div><div style="text-align: left;">Buchbesprechungen: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wilhelm_Vossenkuhl" target="_blank">Wilhelm Vossenkuhl</a>: <i>Die Möglichkeit des Guten. Ethik im 21. Jahrhundert</i>, München 2006: <br /><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/streben-nach-gutem-handeln-100.html" target="_blank"><i>Streben nach gutem Handeln</i></a> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Forum Philosophicum, Volume 16, Issue 2, Autumn 2011 <br />Kazimierz Rynkiewicz: <a href="https://www.pdcnet.org/C1257C5F006A2416/file/0902BBB9F6F61712C1257C66006E7786/$FILE/forphil_2011_0016_0002_0126_0128.pdf" target="_blank">Wilhelm Vossenkuhl, <i>Die Möglichkeit des Guten</i>. Ethik im 21. Jahrhundert</a></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In Anbetracht globaler Krisen konstatiert der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> dringenden Bedarf der Entwicklung einer Bewusstseinskultur. Metzingers eigene Überlegungen kommen aber über Denkanstöße nicht hinaus. Buchbesprechungen <i>Bewusstseinskultur, </i>Berlin 2023:<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Deutschlandfunk, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Volkart_Wildermuth" target="_blank">Volkart Wildermuth</a>: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/thomas-metzinger-bewusstseinskultur-100.html" target="_blank">Thomas Metzinger: „<i>Bewusstseinskultur“</i></a><br />Spektrum, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stephan_Schleim" target="_blank">Stephan Schleim</a>:<i> <a href="https://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/bewusstseinskultur/" target="_blank">Bewusstseinskultur</a></i> <br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Antworten dokumentieren depressiv stimmende Ratlosigkeit. Seriöse, intellektueller Redlichkeit verpflichteter pragmatische Beantwortung von Fragen nach globaler Ethik sind nicht zu erkennen. - <i>Der Standard</i>, 27.10.2018: <a href="https://www.derstandard.de/story/2000085351600/des-menschen-angst-vor-der-maschine" target="_blank">Des Menschen Angst vor der Maschine</a><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>10 Lebensgeschichte: Determinismus vs. Indeterminismus, Zufall vs. Planung<br /></b></div><p></p><div style="text-align: left;">Thema
des Schlusskapitels ist die Illusion einer ihre Lebensgeschichte
erzählenden sich selbst formenden einzigartigen Persönlichkeit, die sich
ähnlich wie ein Lotse sieht, der ein Schiff
souverän durch teilweise unbekannte und mitunter auch gefährliche
Gewässer navigiert und scheinbar konsequent in Richtung Ziel unterwegs
ist. Überraschende Ereignisse machen zwar immer wieder Korrekturen oder
Umwege erforderlich, die aber auf dem Weg zum Ziel lediglich
unausweichliche Entscheidungen für oder gegen Weichenstellungen
abverlangen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Diese
Bild überzeichnet selbstverständlich Sachverhalte einer sehr viel
komplexeren Realität. Sicher gibt es auch Menschen, die ziellos durch
ihr Leben schlingern oder auch Menschen, denen aufgrund von Handicaps
keine eigenständige Lebensführung möglich ist. In Wohlstandskulturen
nimmt eine Mehrheit jedoch für sich in Anspruch, mit dem eigenen Leben
weitgehend zufrieden zu sein, wie Umfragen zeigen:<ul style="text-align: left;"><li>Eine
Umfrage zur Lebenszufriedenheit der Bürger der EU ergab im Februar 2023
für Deutschland, dass 20 % der Bürger mit ihrem Leben <i>sehr zufrieden</i>, 67 % <i>ziemlich zufrieden</i> und nur 1 % <i>gar nicht zufrieden</i> sind. Im Vergleich der Länder der EU liegt Deutschland damit im Mittelfeld. (Statista: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249947/umfrage/lebenszufriedenheit-der-buerger-der-europaeischen-union-nach-mitgliedsstaaten/" target="_blank">Lebenszufriedenheit der Bürger in den EU-Mitgliedsstaaten (EU27) im Jahr 2023</a>)</li><li>Im
Vergleich der deutschen Bundesländer fallen Schwankungen der
Zufriedenheitswerte eher gering und weisen auf einer Skala von 0 bis 10
Werte zwischen 7,14 und 6,35 aus. (Statista: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/282179/umfrage/regionale-lebenszufriedenheit-in-deutschland/" target="_blank">Lebenszufriedenheit in Deutschland nach Region im Jahr 2022</a>)</li><li>Die relativ <i>hohe Zufriedenheit</i>
ist in Deutschland von Herbst 2018 bis Anfang 2023 in Anbetracht von
Corona-Pandemie, Klimakrise, Umweltschäden, Migrationsproblematik,
politischer Turbulenzen, Problemen der Verkehrsinfrastruktur, steigender
Energiekosten, hoher Inflation, niedriger Sparzinsen etc. zwar von 32 %
auf 20 % gesunken, aber der Anteil <i>ziemlich zufriedener Bürger</i> hat sich von 60 % auf 67 % erhöht und der Sockel der <i>überhaupt nicht zufriedenen Bürger</i> verweilt bei konstant 1 %. (Statista: <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153748/umfrage/allgemeine-zufriedenheit-mit-dem-eigenen-leben/" target="_blank">Wie zufrieden sind Sie insgesamt gesehen mit dem Leben, das Sie führen?</a>)</li><li>Detaillierte Information zur Lebenszufriedenheit von Menschen in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Organisation_f%C3%BCr_wirtschaftliche_Zusammenarbeit_und_Entwicklung" target="_blank">OECD-Ländern</a> bietet der interaktive <a href="https://www.oecdbetterlifeindex.org/de/topics/life-satisfaction-de/" target="_blank">OECD Better Life Index</a>. (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/OECD_Better_Life_Index" rel="nofollow" target="_blank">OECD Better Life Index</a>). <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Aus
welche Bedingungen sich Zufriedenheitswerte im Detail zusammensetzen,
ist aus zitierten EU-Statistiken nicht zu erkennen. Prinzipiell kann
angenommen werden, dass Bewertungen von äußeren Bedingungen beeinflusst
sind, aber insbesondere individuelle Einschätzungen von Autonomie und
Kompetenz in Bewertungen einfließen. Autonomie und Kompetenz vermitteln
Fähigkeiten persönlicher <a href="https://www.wikiwand.com/de/Resilienz_(Psychologie)" target="_blank">Resilienz</a>,
stärken das Selbstwertgefühl, verhelfen zur Konstruktion eines
Selbstbildes, das dem eigenen Leben Sinn und Richtung gemäß
Vorstellungen guten Lebens verleiht und rechtfertigen die eigene
Lebensführung.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bei
kritischer Betrachtung von Annahmen naiver Denkweise werden
Sachverhalte sichtbar, die auf universelle Regeln individueller
Bewusstseinsbildung und Verhaltensweisen hindeuten:<ul style="text-align: left;"><li>Im Vergleich zum Gesamtspektrum aller Verhaltensoptionen ist das
Spektrum individueller Verhaltensoptionen schmal, weil Freiheitsgrade
von Entscheidungen klein sind. <br /></li><li>Im schmalen Korridor des Verhaltensspektrums entstehen Illusionen
eigener Autonomie und Kompetenz, wenn alternative Optionen zur Verfügung
stehen. </li><li>Von außen auf Verhalten einwirkende Kontingenz bleibt ausgeblendet oder wird kausal umgedeutet. </li><li>Der Einfluss von Kultur auf die Persönlichkeitsentwicklung, auf
Erwartungen und Ansprüche an das eigene Leben, auf die Art der
Zufriedenheit oder Unzufriedenheit stiftenden Vergleiche bleibt überwiegend unbewusst.</li><li>Individuelles Verhalten wird weitgehend durch äußere Bedingungen determiniert. <br /></li><li>Art und Bewertungen von Vergleichen definiert der kulturelle Rahmen von Lebensumgebungen.</li><li>Zusammensetzung und Varianz von Faktoren bestimmen soziale Kontexte.</li><li>Gutes und sinnhaftes Leben ist kein empirisch zu beobachtender und an
Metriken zu bemessender Sachverhalt, sondern ein mentales Konstrukt,
das auf Vergleichen beruht und über zahlreiche Faktoren variiert. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>10.1 Was prägt Denken und Verhalten?</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Strukturen
und Prozesse evolutionär entwickelter biologischer Organismen sind
weitgehend einheitlich organisiert. Bedingungen von Lebensräumen und
Größen von Einflussfaktoren variieren dagegen stark. Noch stärker
variieren Parameter der Entwicklung und Struktur individueller
Persönlichkeiten. Weil Lebensbedingungen instabil sind und kontingent
variieren, hat das menschliche mentale System evolutionär eine hohe
Plastizität herausgebildet, die über die gesamte Lebensphase Anpassungen
an eine unüberschaubare Menge dynamischer Faktoren ermöglicht. Einfluss
auf das mentale System ausübende Faktoren sind entsprechend ihrer
Variabilität nachfolgend ohne Anspruch auf Vollständigkeit in 4 Gruppen
zusammengefasst.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>10.1.1 Biologische Faktoren<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Biologische
Mechanismen sind je nach Komplexität einer Art
unterschiedlich ausgeprägt. Morphologische und physiologische Muster
einer biologischen Art bestimmen individuell nur schwach variierende <a href="https://www.wikiwand.com/de/Genotyp" target="_blank">Genotypen</a> von Organismen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Ph%C3%A4notyp" target="_blank">Phänotyp</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Morphologie_(Biologie)" target="_blank">Morphologie</a> von Organismen unterscheiden sich stärker. Die Bildung von Varianten bewirken mehrere Faktoren:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Bei
zweigeschlechtlicher Reproduktion mischen sich 2 unterschiedliche
Genpools, in denen Vorteile und Nachteile zusammentreffen. Im Rahmen der
Kultivierung von Pflanzen und Tieren findet oft eine sorgfältige
Auswahl von Genpools statt, um gewünschte Ergebnisse zu erhalten.
Menschliche Reproduktion ist weitgehend kulturell determiniert. Zucht
ist eher unüblich, Inzucht jedoch je nach Bedingungen mehr oder weniger
stark verbreitet. Innerhalb von Kulturen kommt menschliche Reproduktion
eher kontingent zustande, sodass Ergebnisse überwiegend kontingent
ausfallen.</li><li>Lichtverhältnisse und weitere Bedingungen von
Lebensräumen haben Einfluss auf die Pigmentierung der Haut, Haar- und
Augenfarbe und andere morphologische Ausprägungen.</li><li>Aufgrund
genetischer Differenzen zwischen Menschen haben sich bei großer
genetischer Distanz evolutionär über lange Zeiträume morphologisch
unterscheidbare Linien menschlicher Populationen herausgebildet, die
jedoch gemäß biologischer Ordnungskriterien keine Rassen bilden, weil
Unterschiede der genetischen Substanz gering sind und nur 1 o/oo der DNA
betreffen. Auffällige Unterschiede zwischen Menschen, wie
Pigmentierung, Haarform und Gesichtsform bewirken nur wenige <a href="https://www.wikiwand.com/de/Allel" target="_blank">Allele</a> (Genvarianten), die geographisch durch gleitende Übergänge miteinander verbunden sind. (Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/menschenrassen/42123" target="_blank">Menschenrassen</a>)<br /></li></ul></div><p></p><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>10.1.2 Lebensraum (Umwelt der Wahrnehmung)<br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Zum Lebensraum zählen<br /></div><ul style="text-align: left;"><li>geographische Struktur,</li><li>landschaftliche Struktur und Profil,</li><li>demografische Struktur, <br /></li><li>Siedlungsstruktur und Siedlungsgeographie,<br /></li><li>klimatische Bedingungen,</li><li>kulturelle Umgebung.</li></ul>Der
Lebensraum übt sicherlich relevanten Einfluss auf Ausprägungen
menschlicher Persönlichkeit und Verhaltensweisen aus, aber dieser
Zusammenhang findet in Wissenschaften kaum Beachtung. Einflüsse von
Lebensräumen auf kognitive Strukturen sind hoch komplex. Da die
Auflösung dieser Komplexität in messbare empirische Größen ungelöste
Schwierigkeit bereitet, ignorieren Wissenschaften weitgehend Einflüsse
des Lebensraum als Ganzes auf kognitive Strukturen und betrachten
lediglich isolierbare Einzelaspekte, in der Soziologie u.a. Einflüsse
von kulturellen Faktoren, Siedlungsstrukturen, Wohnverhältnissen etc..
Eine Ausnahme ganzheitlicher Betrachtung bildet die psychologische <a href="https://www.wikiwand.com/de/Feldtheorie_(Psychologie)" target="_blank">Feldtheorie</a> (Disziplin der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gestalttheorie" target="_blank">Gestalttheorie</a>),
deren Modell individuellen und sozialen Verhaltens den Lebensraum
explizit als Einflussgröße von Wahrnehmung und Verhalten berücksichtigt.
</div><div style="text-align: left;">Dorsch: Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/lebensraum" target="_blank">Lebensraum</a> - <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/feldtheorien-psychologische#search=c49d5e3179681e0d17281d165af6df3b&offset=0" target="_blank">Feldtheorien, psychologische</a><br /></div><div style="text-align: left;">Spektrum: Lexikon der Psychologie: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/lebensraum/8633" target="_blank">Lebensraum</a> - <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/feldtheorie/4894" target="_blank">Feldtheorie</a><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>10.1.3 Kulturelle Umgebung</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Unter
dem Einfluss von Kultur prägen Menschen Eigenschaften aus, die sie zu
Mitgliedern sozialer Kollektive machen. Die Übertragung kultureller
Werte, Sitten, Normen, Rollen etc. auf Individuen mittels <a href="https://www.wikiwand.com/de/Internalisierung_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Internalisierung</a> (Verinnerlichung) findet in Lernprozessen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialisation" target="_blank">Sozialisation</a> bzw. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erziehung" target="_blank">Erziehung</a> statt. Die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Enkulturation" target="_blank">Enkulturation</a>
(Einbindung bzw. Integration) von Individuen in eine Kultur setzt eine
lebenslange hohe Plastizität kognitiver Strukturen voraus und beginnt
wahrscheinlich unbewusst bereits pränatal. Bewusst setzt die
Enkulturation bei Neugeborenen ein und ist mit Erreichen des
Erwachsenenalters weitgehend abgeschlossen. Da die kognitive Plastizität
lebenslang erhalten bleibt, sind bewusste und unbewusste kulturelle
Lernprozesse in jedem Alter möglich. Prägungen nativer 'Mutterkultur'
bleiben lebenslang erhalten und üben den stärksten Einfluss auf die
Persönlichkeitsentwicklung aus. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kultur
hat keine unmittelbaren materiellen Eigenschaften sondern besteht aus
Symbolsystemen (mit Bedeutung belegte Zeichen wie Sprache, Texte,
Bilder, Gesten, Mimik, Laute, Klänge, Rhythmen, Musik, Tanz etc.) deren
Bedeutung mittels bewusster und unbewusster Lernprozesse vermittelt und
derart individuell verinnerlicht wird, dass der Zeichenvorrat des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kollektiven Gedächtnisses</a> eine Teilmenge des individuellen Gedächtnisses bildet. Das Modell des kollektiv gemeinsamen Gedächtnisses umfasst als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kommunikatives_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kommunikatives Gedächtnis</a> relativ schnell vergängliche personengebundene mündliche Überlieferung sowie als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturelles_Ged%C3%A4chtnis" target="_blank">kulturelles Gedächtnis</a> ein langlebiges, Zeit- und Geschichtsbewusstsein prägendes kulturelles Selbst- und Weltbild.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Kontext dieses Posts sind mehrere Sachverhalte von besonderer Bedeutung:<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Das
kulturelle Selbst- und Weltbild hat prägenden Einfluss auf das
individuelle Selbst- und Weltbild. Im kulturellen Gedächtnis verankerte
und mittels tradierter Mythen, symbolischer Zeichen, Rituale etc.
vererbte Symbolsysteme bilden vermeintlich alternativlose
Selbstverständlichkeiten des individuellen Gedächtnisses, das
Situationen ereignisabhängig assoziativ interpretiert und
Urteilsbildungen erzeugt, über die kein
expliziter Konsens hergestellt werden muss. in der Terminologie von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> handelt es sich um <i>doxisches </i>Verhalten (siehe Post: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitus und Doxa</a></i>). </li><li>Mit
zunehmender
Komplexität von Kulturen nimmt aufgrund von Ausdifferenzierung sozialer
Strukturen sowohl die Komplexität des persönlichen Lebensraums als auch
die Menge von Einflüssen auf das individuelle Selbst- und Weltbild zu.
Im Ergebnis entstehen Unverständnis und Fremdartigkeit gegenüber der
eigenen Kultur, die als 'Entfremdung' empfunden wird. <br /></li><li>Mit
zunehmender Distanz zwischen Kulturen nimmt zwischen Vertretern fremder
Kulturen intuitives wechselseitiges Verständnis ab und wird zunehmend
anfällig für Störungen und Missverständnisse, die bis zum völligen
Unverständnis reichen können. Fähigkeiten interkultureller Kompetenz
fehlen dem Alltagsdenken i.d.R., weil es dazu neigt, das eigene Selbst-
und Weltbild als universale Normalität anzunehmen. </li><li>Wer sich ernsthaft für fremde Kulturen interessiert, findet Schlüssel zum Verständnis von Kulturen in der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnologie" target="_blank">Ethnologie</a> und erweitert gleichzeitig sein Wissen über die eigene Kultur.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Biologische Notwendigkeiten Bedingungen von Lebensräumen üben selbstverständlich Einfluss auf kulturelle Ausprägungen sowie Denken und Verhalten von Menschen aus. Diese Einflüsse wirken jedoch nicht nur einseitig gerichtet, sondern entwickeln sich als interdependente Prozesse. Kulturellen entwickeln spezifische <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/stereotype/14836" target="_blank">Sterotype</a>, die das Denken von Menschen strukturieren und sich in der Gestaltung materieller und immaterieller Lebensräumen ausprägen. Auf diese Zusammenhänge macht der in Harvard lehrende kanadische Anthropologe und Psychologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Henrich" target="_blank">Joseph Henrich</a> in seiner jüngsten Veröffentlichung aufmerksam. Henrich weist anhand mehrerer Sachverhalte nach, dass Kulturräume Westeuropas und außerhalb Westeuropas kulturell unvereinbare Unterschiede von Stereotypen
in Denkweisen von Menschen entwickelt haben. Die
Essenz der Argumente fasst eine Rezension von Günter Renz zusammen: J<a href="https://ethik-und-anthropologie.de/2022/07/23/joseph-henrich/" target="_blank">oseph Henrich: Die seltsamsten Menschen der Welt</a>.<div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie die Menschen reichlich sonderbar und besonders reich wurden</i>. Berlin 2022 (Original: <i>The WEIRDest People in the World: How the West Became Psychologically Peculiar and Particularly Prosperous.</i> Farrar, Straus and Giroux, 2020)</div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Folgen der von Henrich beschriebenen Sachverhalte sind weitreichend. Sie machen nicht nur verständlich,
weshalb Menschen unterschiedlich denken und weshalb interkulturelle
Verständigung schwer fällt oder mitunter auch nicht möglich ist. Aus westeuropäischer Denkweise resultiert eine vergleichsweise höhere Produktivität und ein insgesamt größerer Wohlstand, was prinzipiell begrüßenswert wäre. Aber dieser Sachverhalt ist nicht harmlos, sondern er wirkt toxisch, weil er als Fortschritt ausgegeben wird und aus vermeintlich alternativlosen Überzeugungen der Überlegenheit westlicher Kultur schwere globale Krisen resultieren.<br /></div><br /><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>10.1.4 Soziale Faktoren<br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Unter
dem Einfluss von Kultur prägen Menschen (bzw. alle Lebewesen höherer
Arten) Eigenschaften aus, die sie zu Individuen machen und
ihnen Emotionen der Einzigartigkeit vermitteln. Mit Lebensphasen ändern
sich Einflussfaktoren. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nachfolgend
sind soziale Einflussfaktoren gruppiert nach Lebensphasen ohne
detaillierte Kommentierung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit
aufgelistet. Ein hoher Anteil der aufgeführten Faktoren kommt kontingent
zustande.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.1.4.1 Schwangerschaft und Geburt</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Neugeborene
können sich weder ihre Familie, noch ihre Kultur oder ihren Lebensraum
aussuchen. Bekanntlich haben bereits Einflüsse der pränatalen Phase
signifikante Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes. Unter
gewöhnlichen Lebensbedingungen sind planbare Einflüsse nur eingeschränkt
möglich und kontingente Einflüsse unvermeidbar. Jede Schwangerschaft
und Geburt begleiten nur eingeschränkt kontrollierbare Risiken, aus
denen weitere kontingente Einflüsse resultieren.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>10.1.4.2 Frühkindliche und juvenile Sozialisation</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jugendliche wachsen in Umgebungen auf, die sie ebenfalls nicht
ausgewählt haben. Zufällig zustande gekommene soziokulturelle und
soziographische Bedingungen bestimmen zwar den sozialen Rahmen, aber auf
welche qualitativen Ausprägungen von Schulen, Lehrern, Klassenkameraden
etc. sie treffen, ist nicht im Detail planbar.<b> <br /></b></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Kultureller und regionaler Lebensraum </li><li>Statur, Gesundheit, Robustheit <br /></li><li>Soziale Sicherheit und Wohlstand der Familie <br /></li><li>Familiäres Klima, Partner- und Rollenverhalten der Eltern</li><li>Familiäre Bildungsferne/Bildungsnähe <br /></li><li>Weltbild, Rollenverständnis, Erziehungsstil, pädagogische Kompetenz von Erziehern</li><li>Art und Umfang familiärer Zuwendung und Fürsorge<br /></li><li>Anzahl Geschwister, Stellung in der Geschwisterreihe, Konkurrenz und Akzeptanz unter Geschwistern</li><li>Schulkameraden, Freundeskreise, Peergroups, Cliquen<br /></li><li>Schulerfolg und berufliche Perspektiven </li><li>usw.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>10.1.4.3 Erwachsenenalter</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Erwachsene verfügen zwar über Entscheidungskompetenzen, aber
entscheidbare Optionen sind durch Kultur, Lebensbedingungen und
vorausgegangene Lebensphasen limitiert. Auf welche qualitativen
Ausprägungen von Arbeitgebern, Arbeitsbedingungen, Arbeitskollegen,
Partneroptionen, Wohnoptionen, Freundes- und Bekanntenkreise sie treffen
und wie sich der Nachwuchs, die wirtschaftliche Situation, das
politische Umfeld, die eigene Gesundheit etc. entwickeln, ist nur zu
einem geringen Anteil planbar und zu einem hohen Anteil
zufallsbestimmt. <b> <br /></b></div><ul style="text-align: left;"><li>Berufswahl und Berufserfolg</li><li>Freundeskreis und soziale Beziehungen</li><li>Partnerwahl, Erfolg oder Misserfolg von Partnerschaften</li><li>Sozialer Status und Wohlstand</li><li>Soziale Sicherheit und soziales Netzwerk</li><li>Nachwuchs, Erziehung, Erziehungserfolg</li><li>usw.<br /></li></ul><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>10.2 Lebensstil und Habitus </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Hier sei noch einmal auf den französischen Soziologen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> und sein Hauptwerk <i>Die feinen Unterschiede</i> verwiesen (Pierre
Bourdieu: <i>Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen
Urteilskraft </i>(französisch: <i>La distinction. Critique sociale
du jugement</i>. Paris 1979). Frankfurt am Main 1982<b>)</b>. Bourdieu postuliert, dass Positionen von Personen im sozialen Raum
differenzierter Sozialsysteme nicht allein durch verfügbares
ökonomisches Kapital determiniert sind, sondern das verfügbare <i>Kapitalvolumen</i> einer Person sich aus 3 <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalsorten" target="_blank">Kapitalsorten</a> zusammensetzt: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziales_Kapital" target="_blank">soziales Kapital</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96konomisches_Kapital" target="_blank">ökonomisches Kapital</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelles_Kapital" target="_blank">kulturelles Kapital</a>. Ihr persönlich verfügbares <i>Kapitalvolumen</i> nutzen Menschen zur Gewinnung von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Symbolisches_Kapital" target="_blank">symbolischem Kapital</a>, das sich im <i><a href="http://habitus/" target="_blank">Habitus</a></i> von Lebensstilen durch Merkmale sozialer <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Distinktion_(Soziologie)" target="_blank" title="Distinktion (Soziologie)">Distinktion</a> ausprägt (siehe Post: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitus und Doxa</a></i>). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bourdieus <i>Habitus</i>-Begriff bezeichnet das sozial vererbte Repertoire der Verhaltensdispositionen einer Person im
sozialen Raum. <i>Habitus</i> bezieht sich nicht auf isolierte
Handlungssequenzen, sondern umfasst das Auftreten einer Person, das
in sozialen Interaktionen mittels Sprache und Körpersprache,
Kleidung und Schmuck, Lebensstil, Vorlieben, Abneigungen,
Gewohnheiten etc. internalisierte Wahrnehmungs-, Denk-, Wertungs-
und Verhaltensmuster nach außen repräsentiert. <i>Habitus </i>manifestiert
sich u.a. in der Kleidung, in der Wohnungsausstattung, in Ernährungs-
und Essgewohnheiten, Reisezielen und Urlaubsvorlieben, im
Freizeitverhalten, in der Art der Kommunikation, in der Art kultureller
und sportlicher Interessen etc..<br />
<i> </i></div><div style="text-align: left;"><i>Habitus</i> bildet gemäß Bourdieu ein stabiles und nur schwer änderbares System von
Dispositionen, das nicht auf biologischen Voraussetzungen beruht,
sondern das sozial vermittelt und individuell angeeignet wird. Bourdieu versteht <i>Habitus</i> als eine Vermittlungsinstanz zwischen Sozialstrukturen der Makroebene und individueller Lebenspraxis auf der Mikroebene. <i>Habitus</i> vermittelt zwischen sozialen Strukturen von
Lebenswelten sozialer Akteure und deren individueller Lebenspraxis in
zweifacher Funktion, die Bourdieu als <i><b>Opus operatum</b></i>
sowie als <i><b>Modus Operandi</b></i> bezeichnet:
<br />
<ul><li>
Elementare Lebensbedingungen der
sozialen Lage von Individuen prägen mittels Lern- und
Anpassungsprozessen grundlegende Einstellungen und das Repertoire
von Verhaltensweisen einer Person im sozialen Raum. Als <i><b>Opus
operatum</b></i> (Werk, Handlung) ist <i>Habitus</i> „geronnene
Lebensgeschichte“ und „inkorporierte Kultur“, aus denen sich
Wahrnehmungs-, Denk-, Wert- und Verhaltensmuster ableiten. </li></ul>
<ul><li>Indem diese Wahrnehmungs-, Denk-, Wert- und
Verhaltensmuster steuernd und realisierend auf konkrete soziale
Aktionsfelder einwirken, bildet <i>Habitus</i> gleichzeitig ein
<span style="font-style: normal;">generatives Prinzip der Erzeugung
</span>praktischer Handlungsweisen. Als <i><b>Modus Operandi</b></i><span style="font-style: normal;">
</span>(Handlungsweise, Art des Handelns) hat <i>Habitus </i>gestaltende
Wirkung.</li></ul></div><div style="text-align: left;">In <i>Die feinen Unterschiede </i>weist Bourdieu empirisch nach, dass geschmackliche Distinktion sich nicht
zufällig oder beliebig ausbreitet. Soziale Strukturen generieren soziale Unterschiede. Soziale Unterschiede
etablieren <i>Geschmacksklassen</i>, deren Spitze ein von Eliten definierter
<i>legitimer Geschmack</i> ('Hochkultur') besetzt. Etablierte <i>Geschmacksklassen</i>
manifestieren und
stabilisieren soziale Unterschiede
(soziale Strukturierung) und verhelfen
asymmetrischer Verteilung von Macht und Ressourcen zur
Selbstreproduktion. Sozialisationsspezifische Verhaltensweisen (Denk-,
Sprach- und Handlungsmuster) und
Geschmacksrichtungen (Wohnmilieu und
Wohnungseinrichtung, Essen und Trinken, Kunst und Musik, Kleidungsstil,
Reisen etc.) weist Bourdieu für den
gesamten Lebensstil von Menschen innerhalb einer gemeinsamen Kultur
nach. </div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Als
Ausgangspunkt wählt Bourdieu eine Analyse des Kunstgeschmacks und zeigt auf der Basis von Erhebungen, <i>„dass <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Geschmack_(Kultur)" target="_blank">Geschmack</a>
nichts Individuelles darstellt, sondern dass dieser immer etwas von
der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_(Soziologie)" target="_blank">Gesellschaft</a>
Geprägtes ist. Geschmack sei also keine <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pers%C3%B6nlichkeitseigenschaft" target="_blank">Eigenheit</a>
des Menschen, die von Natur aus jeder hat, sondern rühre immer von
der Art her, wie jemand <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialisation" target="_blank">sozialisiert</a>
wurde und wie und in welchem sozialen Umfeld er sich bewegt. Daher
sei die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Herkunft" target="_blank">soziale Herkunft</a>, zu der immer ein bestimmter <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Habitus_(Soziologie)" target="_blank">Habitus</a>
gehöre, das Maßgebliche. </i><i>(…) Das Kulturelle ist demzufolge
nichts Autonomes oder Spontanes, sondern immer Ergebnis der
jeweiligen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialisation" target="_blank">Sozialisation</a>.“ </i>(Wikipedia: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Die_feinen_Unterschiede" target="_blank">Die feinen Unterschiede</a>)<b> </b><br /> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>10.3 Perspektiven von Leben<br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Lebensläufe
sind mit einer Vielzahl kontingenter Ereignisse konfrontiert.
Kontingenz unter nicht planbaren Bedingungen von Komplexität ist dafür
verantwortlich, dass Lebensläufe nur begrenzt vorhersagbar sind und
Leben nie risikofrei bleibt. Risiken können selten oder häufig auftreten
und klein oder groß ausfallen, aber sie sind
nicht planbar, sondern bestenfalls im Rahmen von Wahrscheinlichkeiten
vorhersagbar. Da Zustände der Welt sich in einem Prozess permanenter
Veränderung befinden und Dynamik dieses Prozesses zunimmt, nimmt auch
Komplexität des Lebens zu. Allerdings suggerieren Medien und
selbsternannte Gurus, dass durch technologische Innovationen alles
einfacher wird und die Welt sich insgesamt im Fortschritts-Modus
befindet.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Mentale
Mechanismen erzeugen Illusionen eines Bewusstseins, das sich als eine
kognitive Oberinstanz einer einzigartigen und weitgehend autonom
agierenden
individuellen Persönlichkeit versteht, die individuell spezifische
Verhaltensdispositionen ausprägen. Dispositionen können im Leben reifen, aber
vermeintlich resultieren sie aus individuellen Fähigkeiten, die eine
Persönlichkeit auszeichnen und das individuelle Leben
formen. Individuelle Denk- und Verhaltensmuster zeigen teilweise tatsächlich relativ
konstante Ausprägungen und sind daher z.T. vorhersagbar. Dieser
Sachverhalt resultiert aber nicht auf Fähigkeiten und Leistungen eines
autonomen Persönlichkeitskerns, sondern er beruht auf Plastizität bzw.
Lernfähigkeit des kognitiven Apparates, der sich in der Sozialisation per
Internalisierung kultureller Strukturen individuell ausprägt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Strukturen
und Fähigkeiten sind nicht in Stein gemeißelt, sondern passen sich im
begrenzten Rahmen veränderten Anforderungen an, wobei Grundmuster
erhalten bleiben. Individuelle <a href="https://www.wikiwand.com/de/Resilienz_(Psychologie)" target="_blank">Resilienz</a>
und Anpassungsfähigkeit beruhen auf funktionalen Leistungen
generalisierbarer Ressourcen, die sich in der Sozialisation entwickeln.
Ob oder in welchem Umfang individuelle genetische Ausstattungen beteiligt
sind, diskutiert die Anlage-Umwelt-Debatte kontrovers
(Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/anlage-umwelt-kontroverse/660" target="_blank"><i>Anlage-Umwelt-Kontroverse</i></a>). Aus dieser Perspektive betrachtet handelt es sich bei Biographien um Erzählungen, die mit literarischer
Phantasie ex post konstruierte
Sinnzusammenhänge innerhalb eines soziokulturellen Rahmens beschreiben und der Legendenbildung dienen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Seelengrund" target="_blank">Seelengrund</a> ist als Ort, an dem sich Gott im Menschen manifestiert, in der Gegenwart aus der Mode gekommen und als Gedanke nur noch bei tief religiösen Menschen präsent. In Vorstellungen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spiritualit%C3%A4t" target="_blank">Spiritualität</a> überdauern jedoch Anschauungen einer sinnlich nicht fassbaren und rational nicht erklärbaren transzendenten Realität, die hinter oder über der materiellen Welt liegt und aus der die materielle Welt hervorgeht. In Anbetracht emotionsfreier Prozesse der Evolution scheint dieser Gedanke vielen Menschen Trost zu spenden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>10.3.1 Denkordnungen: Wildes, wissenschaftliches, posthumanistisches Denken </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kosmogonische <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sch%C3%B6pfung" target="_blank">Schöpfungsmythen</a> erklären, wie aus Chaos, dem Nichts, einem Ei, dem Urstoff oder einem Urwesen die Welt entstand. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mythos" target="_blank">Mythen</a> erheben Anspruch auf Wahrheit. Schöpfungsmythen sind meistens religiöse Erklärungen:</div><ul style="text-align: left;"><li style="text-align: left;">Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie#Kosmogonischer_Mythos" target="_blank">Kosmogonische Schöpfungsmythen</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sch%C3%B6pfung#Typologie_von_Sch%C3%B6pfungsmythen" target="_blank">Typologie von Schöpfungsmythen</a> </li><li style="text-align: left;">MDR: <a href="https://www.mdr.de/wissen/antworten/schoepfungsmythen-weltweit-religion-schoepfung-mensch-100.html" target="_blank">Schöpfungsmythen der Menschheit</a>). </li></ul><div style="text-align: left;">Die Verwissenschaftlichung der Welt markiert einen Wendepunkt im Denken von Menschen. Aus sinnlicher Wahrnehmung abgeleitetes <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wildes_Denken" target="_blank"><i>wildes Denken</i></a> muss abstrakt gerechtfertigt werden können, um Gültigkeit zu beanspruchen. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> verdanken wir die Einsicht, </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Dass Mythen keine „primitiven“ Formen der Sinnbildung sind, sondern ausgefeilte Techniken, mit deren Hilfe eine Analogie zwischen Natur- und Sozialordnung begründet, stabilisiert und Sicherheit gestiftet werden kann, wird seit den Arbeiten von Claude Lévi-Strauss allgemein anerkannt. Sie haben eine epistemische (das Wissens- bzw. Glaubenssystem systematisch ordnende), soziale und anthropologische Funktion." </i>(Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mythos#Aspekte_des_Mythos_in_den_Wissenschaften" target="_blank">Mythos</a>)<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliches Denken folgt der gleichen inneren Logik, aber es fügt Abstraktion und empirische Beweisführung hinzu und navigiert damit in ein Dilemma: Wie aus anorganischer Materie Leben entstehen kann, ist nach Regeln von Wissenschaft nicht zu erklären, weshalb diese Frage als eines der großen
wissenschaftlichen Rätsel gilt. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der Tradition humanistischen Denkens wehren sich
zahlreiche Menschen gegen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Posthumanismus" target="_blank">posthumanistische</a> Kritik des Humanismus bzw. traditionelle Konzepte des Menschentums. Wahrscheinlich akzeptiert ihr <a href="https://www.wikiwand.com/de/Selbstwert" target="_blank">Selbstwertgefühl</a> nicht, dass der Prozess der Evolution Leben
aus anorganischer Materie hervorgebracht hat und Menschen als komplexe
biologische Maschinen aufzufassen sind. Darum glauben sie lieber an
Verknüpfungen zwischen göttlicher Transzendenz und einer unsterblichen
menschlichen Seele. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die italienisch-australische Philosophin <a href="https://www.wikiwand.com/de/Rosi_Braidotti" target="_blank">Rosi Braidotti</a>(*) macht darauf aufmerksam. dass die Ablehnung des Posthumanismus als relativistisch oder nihilistisch auf Missverständnissen beruht und Posthumanismus als eine kritische Theorie aufzufassen ist, in der es um die Auflösung scheinbar unauflösbarer Widersprüche geht, in die wir als Menschen verstrickt sind. </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Gesellschaftlich konstruktivistische, binäre Gegensätze wie Natur/Kultur oder menschlich/nichtmenschlich werden aufgelöst. Wir bewegen uns in Richtung einer dynamischen Art von materialistischem Vitalismus, der auf dem Gedanken beruht, dass Materie – einschließlich der menschlichen Verleiblichung – intelligent und selbstorganisierend ist. Das führt zu einer "vitalen Politik", die den Weg für eine nichthierarchische und daher stärker egalitäre Beziehung der Arten untereinander ebnet. An Stelle der Betonung des rationalen und transzendentalen Bewusstseins – eine der Säulen des Humanismus und der Schlüssel zu dessen implizitem Anthropozentrismus – tritt eine radikale Immanenz und Prozessontologie." <br /></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">[...] <i><br /></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Eines ist sicher: Um in Richtung vieler, differenzierter und nichtlinearer Wege für ein gemeinsames Eine-Welt-Werden zu arbeiten, müssen wir lernen, anders über uns zu denken." </i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">(*) Rosa Braidotti: <a href="https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/233470/jenseits-des-menschen-posthumanismus/" target="_blank"><i>Jenseits des Menschen: Posthumanismus</i></a>. </div><div style="text-align: left;">Braidottis Essay ist ein Beitrag der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Veröffentlichung <i><a href="https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/10247_Der_neue_Mensch_web.pdf" target="_blank">Der neue Mensch</a></i>.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>10.3.2 Ist die Welt noch zu retten?</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Antworten
auf diese Frage erlauben nur Vermutungen. Zeichen verdichten sich, dass eine Rettung extrem schwierig
oder auch unmöglich sein wird. Ist das wirklich tragisch? Für die Erde nicht. Die Erde braucht keine Menschen. Für Menschen
sicherlich. Menschen brauchen die Erde, aber sie verhalten sich nicht dementsprechend. Wir müssen uns sehr viel mehr anstrengen, als das
bisher der Fall ist. Ist diese Erwartung realistisch? Kaum! Evolution
kennt keine Emotionen. Evolution bringt ständig Spezies hervor, die bei nicht ausreichender Anpassungsfähigkeit wieder untergehen. Die Hauptlinie der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dinosaurier" target="_blank">Dinosaurier</a> hat die Erde immerhin 169 Millionen Jahre bevölkert. Dank höherer kognitiver Kompetenz dürfte Homo Sapiens deutlich schneller aussterben.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
Evolution hat die menschliche Spezies mit Bewusstsein ausgestattet, das
völlig neue Chancen eröffnet. Bisher haben wir diese Chancen vor allem
eigennützig genutzt und es ist nicht erkennbar, dass sich daran etwas
ändert und wir lernen werden, anders über uns zu denken. Daher ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die menschliche Spezies aufgrund von <a href="https://www.wikiwand.com/de/NIMBY" target="_blank">NIMBY</a>-Haltung und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trittbrettfahrerproblem" target="_blank">Trittbrettfahrerproblem</a> untergehen wird. Das ist die eigentliche Tragik. Dass Glauben und Gebete daran etwas ändern können, bleibt bis zum Beweis des Gegenteils eine Wahnvorstellung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Satellitenfotos menschlichen Wahns in einer Veröffentlichung der FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/erde-klima/die-wunden-der-erde-geschlagen-vom-hunger-der-energie-15934546.html" target="_blank">Wunden der Erde, geschlagen vom Hunger der Energie</a> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><br /><b>11 Änderungshistorie des Posts</b></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">26.10.2023: Kapitel 2.1: Inhaltliche Änderungen <br /></div><div style="text-align: left;">18.08.2023: Erweiterungen Kapitel 4.1<br /></div><div style="text-align: left;"> Neues Kapitel 4.2.3.2 <br /></div><div style="text-align: left;">12.08.2023: Neues Kapitel 1.4 <br /></div><div style="text-align: left;">25.05.2023: Kapitel 4.2.3: Ergänzung Aufzählung Punkt 2 <br /></div><div style="text-align: left;">23.05.2023: Kapitel 7.1.3: Ergänzung Verweis auf Joseph Henrich, <i>Die seltsamsten Menschen der Welt</i> <br /></div><div style="text-align: left;">20.05.2023: Kapitel 4.3.1: Ergänzung Heraklit-Zitat <br /></div><div style="text-align: left;">12.05.2023: Kapitel 6:8: Ergänzung Fake Science mit KI-Unterstützung <br /></div><div style="text-align: left;">05.05.2023: Kapitel 4.1.3: Ergänzung Mode <br /></div><div style="text-align: left;">03.05.2023: Kapitel 3.2: Verlinkung Artikel zur Ich-Illusion <br /></div><div style="text-align: left;">01.05.2023: Kapitel 4.1.2 neu eingefügt</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 6.8: Ergänzung Artikel zu Geoffrey Hinton<br /></div><div style="text-align: left;">30.04.2023: Kapitel 6.3.3: Ergänzung Bibelzitat <br /></div><div style="text-align: left;">29.04.2023: Verlinkungen: <br /></div><div style="text-align: left;"><i> </i>Kapitel 3.2: <i>Gibt es einen freien Willen?</i> </div><div style="text-align: left;"><i> </i>Kapitel 6.9: Was Machinen dürfen solle<i>n <br /></i></div><div style="text-align: left;"><i> </i>Kapitel 6.9: <i>Des Menschen Angst vor der Machine</i><br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 7.3:<i> Wunden der Erde</i> <br /></div><div style="text-align: left;">28.04.2023: Überarbeitung Kapitel 7.3.1 und 7.3.2 <br /></div><div style="text-align: left;">27.04.2023: Neue Kapitel 7.3.1 und 7.3.2 <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 4.3: Ergänzungen</div><div style="text-align: left;">26.04.2023: Ergänzung Schlussanmerkung </div><div style="text-align: left;"> Kapitel 4.4: Ergänzung Nomadentum<br /></div><div style="text-align: left;">25.04.2023: Überarbeitung der Einleitung<br /></div><div style="text-align: left;">24.04.2023: Veröffentlichung der Urversion</div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-70084460239747059312023-04-23T01:45:00.070+02:002023-05-23T06:31:55.834+02:00Grundfarbe Deutsch - individuelle Happiness - prekäres vs. lebenswertes Leben - Update: 23.05.2023<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhh-o5z6W-JPAFH8_HwHlwq144eYs6MYqDhmIKv19xtLN8jAysaF10e19T5x4McpSM3y1xew3P6d2AF0Cr2GljIFAMa6FSdr-G3wDkR6EJObaikqiKzP4XnuucEb-Lw-EWFwZytRkufQIaWOy0YrT54su1nzHl0VWLS3On3mMxyOAzVxsAx6RrvfitW/s809/Cover.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="809" data-original-width="520" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhh-o5z6W-JPAFH8_HwHlwq144eYs6MYqDhmIKv19xtLN8jAysaF10e19T5x4McpSM3y1xew3P6d2AF0Cr2GljIFAMa6FSdr-G3wDkR6EJObaikqiKzP4XnuucEb-Lw-EWFwZytRkufQIaWOy0YrT54su1nzHl0VWLS3On3mMxyOAzVxsAx6RrvfitW/s320/Cover.jpg" width="206" /></a>
<div style="text-align: left;">In seinem 3. Buch übt der Herzchirurg <a href="https://www.wikiwand.com/de/Umeswaran_Arunagirinathan" target="_blank">Dr. Umeswaran Arunagirinathan</a> (Umes) berechtigte Kritik an Fehlentwicklungen des deutschen Gesundheitssystems (Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/10/der-verlorene-patient-dr-umeswaran.html" target="_blank"><i>Der verlorene Patient – Dr. Umeswaran Arunagirinathan berichtet aus dem Maschinenraum des Medizinbetriebs</i></a>). Im April 2022 ist das jüngste Buch mit dem Titel <a href="https://www.rowohlt.de/buch/dr-med-umes-arunagirinathan-grundfarbe-deutsch-9783499009556" target="_blank"><i>Grundfarbe Deutsch</i></a>
erschienen. Der Haupttitel des Buchs ist
eine Metapher für typisch Deutsches, das der Autor ohne romantischen
Kitsch oder Lobhudelei mit einer Liebeserklärung würdigt. Der Untertitel
<i>"Warum ich dahin gehe, wo die Rassisten sind"</i>, kündigt aber auch Besorgnis an, die der Autor mit diesem Buch begründet. </div><div style="text-align: left;">Leben bietet zweifellos Stoff für spannende Erzählungen, aber darum geht es dem Autor nicht primär. Vor dem Hintergrund eines ehemals prekären Lebens beschreibt der Autor seine eigene gelungene Integration in eine zuvor völlig fremde Kultur, die er inzwischen als Heimatkultur angenommen hat, obwohl auch hier längst nicht nur heile Welt besteht. Seine Erfahrung verallgemeinert der Autor im Sinne exemplarischer Perspektiven der Ermöglichung oder Verhinderung guten Lebens. <br /></div><div style="text-align: left;">Der Autor berichtet in Sprache des <i>Alltagsdenkens</i>, ohne die soziales Leben einer Kultur nicht möglich wäre. Zwischen Kulturen konkurriert unterschiedliches <i>Alltagsdenken</i>. Offenbar bringen unterschiedliche Bedingungen nicht nur verschiedene Sprachen und Symbole hervor, sondern auch unterschiedliche Arten des Denkens mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und Verständnissen der Welt. Erklärungen von Ursachen dieses Sachverhalts erfordern über <i>Alltagsdenken</i> hinausgehendes Denken 2. Ordnung. <br /></div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span></div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht <br /></b><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">1 Worum geht es in diesem Post? <br /></div><div style="text-align: left;">1.1 Struktur dieses Posts </div><div style="text-align: left;">1.2 Motivation </div><div style="text-align: left;">1.3 Denkordnungen</div><div style="text-align: left;">1.3.1 Alltagsdenken (Denken 1. Ordnung)<br /></div><div style="text-align: left;">1.3.2 Wissenschaftliches Denken (Denken 2. Ordnung)</div><div style="text-align: left;">1.4 Anmerkungen zu Intentionen des Buchautors <br /></div><div style="text-align: left;">1.5 Schwimmen im Strom des Lebens </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">2 Meilensteine der biographischen Story </div><div style="text-align: left;">2.1 Leben in Sri Lanka und Flucht nach Deutschland<br /></div><div style="text-align: left;">2.2 Jugendzeit in Hamburg</div><div style="text-align: left;">2.3 Medizinstudium in Lübeck</div><div style="text-align: left;">2.4 Einbürgerung und Tätigkeit als Arzt </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">3 Soziale Makrostrukturen und universale Prinzipien sozialen Lebens <br /></div></div></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">3.1 Soziale Differenzierung </div><div style="text-align: left;">3.2 Bewusstsein in der Umgebung von Kultur <br /></div>3.3 Generalisierte Aussagen </div><div style="text-align: left;">3.4 Anmerkungen zu Sozialindikatoren </div> <div style="text-align: left;">4 Anmerkungen zum Leben in Deutschland </div><div style="text-align: left;">4.1 Soziale Differenzierung in Deutschland <br /></div><div style="text-align: left;">4.2 Warum ist das Leben in Deutschland lebenswert?</div><div style="text-align: left;">4.3 Welche Sorgen bereitet Leben in Deutschland?</div><div style="text-align: left;">4.3.1 Vorurteile und Rassismus</div><div style="text-align: left;">4.3.2 Bürokratie und bürokratisches Denken in Behörden<br /></div><div style="text-align: left;">4.3.3 Integrationswille von Migranten</div>4.3.4 Auswirkungen von Migrantenpolitik auf Sicht individuelle Happiness<div style="text-align: left;">4.3.5 Migrantenpolitik auf politischer Kollektivebene </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">5 Welche Sorgen bereitet Leben global?</div><div style="text-align: left;">5.1 Migrantenpolitik in globaler Betrachtung <br /></div><div style="text-align: left;">5.2 Dynamik, Stabilität, Trägheit, Intransparenz von Strukturen und Prozessen in Institutionen und formalen Organisation </div><div style="text-align: left;">5.3 Künstliche Intelligenz: Ist Optimismus eine relevante Option?<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> <br /></div>6 Änderungshistorie des Posts<br /></div> <div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>1 Worum geht es in diesem Post? </b> </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>1.1 Struktur dieses Posts</b><br /></div><ul style="text-align: left;"><li>Kapitel 1: Anmerkungen grundsätzlicher Art </li><li>Kapitel 2: Kurzfassung biographischer Meilensteine, die der Autor des Buchs <i>Grundfarbe Deutsch </i>als Ereignisketten eines großen Zusammenhangs beschreibt</li><li>Kapitel 3: Anmerkungen zu universalen sozialen Prinzipien im Kontext des Buchs<br /></li><li>Kapitel 4: Kritische Betrachtung von Aussagen des Buchs <i>Grundfarbe Deutsch </i>zu
Themenfeldern von Migration</li><li>Kapitel 5: Anmerkungen zu globalen Makrostrukturen im Kontext des Buches </li></ul><br /></div><div style="text-align: left;"><b>1.2 Motivation </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Dieser Post ist keine Nacherzählung des Buchs <i>Grundfarbe Deutsch</i>, sondern Teil 1 einer sich über 2
Posts erstreckenden Auseinandersetzung mit unterschiedlichen
Denkordnungen, die Unterschiede zwischen naivem Alltagsdenken und wissenschaftlichem Denken zu verstehen und zu beschreiben versucht: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Teil 1 (hier vorliegender Post) vermittelt anhand inhaltlicher Beispiele der im Buch <i>Grundfarbe Deutsch</i> ausgebreiteten Migrationsthematik,
wie unterschiedliche Denkweisen unterschiedliche Verständnisse
von Welt hervorbringen. </li><li>Teil 2 (<i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank">Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</a></i>) befasst sich mit dem abstrakten theoretischen
Gerüst eines auf Methoden rationaler Analyse beruhenden selbstreflexiven wissenschaftlichen <i>Denkens 2. Ordnung</i> und nutzt theoretische Erklärungsmodelle dieses Denken, um eine Reihe empirischer Mikro- und Makro-Phänomene kultureller Evolution zu deuten. </li></ul><p>Die beiden Teile sind nicht eng verzahnt und können daher auch für sich stehen.<br /></p></div><div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;"><b>1.3 Denkordnungen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Leben
ist ohne Verständnisse von Realität der uns umgebenden Welt nicht möglich. Verständnisse von
Realität entstehen mit Hilfe von Methoden des <i>Denkens 1. Ordnung</i>
(<i>Alltagsdenken</i>) und der <i>2.
Ordnung</i> (<i>wissenschaftliches Denken</i>). <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das Buch <i>Grundfarbe Deutsch</i>
beschreibt Ereignisse und emotionale Zustände als
empirische Phänomene überwiegend aus Sicht des
<i>Alltagsdenkens</i> (<i>Denken 1. Ordnung</i>) und benennt aus dieser Sicht Randbedingungen
von Ereignissen, identifiziert aber keine Ursachen des Zustandekommens
mentaler Zustände. <br /></div> <div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><i>Wissenschaftliches Denken</i> erschließt mittels analytischer Methoden komplexe Zusammenhänge von Denkordnungen und evoziert die Erkenntnis, dass <i>Alltagsdenken 1. Ordnung</i>
auf universalen biologischen Mechanismen des kognitiven Apparates beruht. Diese
verhindern, dass deterministische Prägungen nicht erkannt werden und
erzeugen im Bewusstsein </div><ul style="text-align: left;"><li>Wahrnehmungen eigener Kompetenz und Autonomie als individuelle
Fähigkeiten, </li><li>Illusionen subjektiver
Einzigartigkeit, </li><li>Verständnisse vermeintlich objektiver Realität, Kausalität und Sinnhaftigkeit.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Abgesehen von pathologischen Zuständen und relativ gering variierenden Genmustern sind biologische Strukturen und Prozesse menschlichen Denkens funktional einheitlich organisiert. Erst komplexe systemische Zusammenhänge erzeugen eine große Vielfalt kultureller Muster und individueller Denkweisen: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Fähigkeiten kognitiver Kompetenz ermöglichen als <i>Kultur</i> aufgefasste Gestaltungen von Lebensbedingungen. </li><li>Randbedingungen des Lebens bewirken anzutreffende Variationen von Kulturmustern.</li><li>Kulturmuster variieren individuelle kognitive Muster (Denkmuster). </li><li>Unterschiedliche Denkmuster bewirken, dass objektiv gleichartige Sachverhalte und Ereignisse subjektiv unterschiedliche Wahrnehmungen und Erinnerungen evozieren. </li><li>Aufgrund dieser systemischen Prozesse erleben sich Menschen als Selbst und können mentale Zustände anderer Menschen empathisch nachvollziehen. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Im vorliegenden Post ist <i>Denken 2. Ordnung</i> im Kapitel 1.3.2 lediglich aufgeführt, um Unterschiede zum <i>Alltagsdenken</i> zu verdeutlichen. Verständnisse der Bedeutung von Bewusstsein und Kultur betrachten die kürzlich veröffentlichten Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></i> und <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank"><i>Was ist Kultur?</i></a> ausführlicher.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>1.3.1 <i>Alltagsdenken (Denken 1. Ordnung)<br /></i></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Überleben und Reproduktion erfordert pragmatisches Denken, das sich im <i>Alltagsdenken</i> ausprägt und <i>Methoden 1. Ordnung</i> nutzt. <i>Denken 1. Ordnung</i> umfasst sowohl unbewusste Wahrnehmungs- und Deutungsmechanismen als auch bewusste, assoziativ und spontan stattfindende, auf Vergleichen von Mustern beruhende analoge Prozesse des kognitiven Apparates. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Alltagsdenken</i> ist die im sozialen Raum vorherrschende Denkweise. Die Verwissenschaftlichung des <i>Alltagsdenken</i> findet in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialwissenschaften" target="_blank">Sozialwissenschaften</a> und der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie" target="_blank">Philosophie</a> (<i>Liebe zur Weisheit</i>)
statt. Deren Disziplinen untersuchen und erklären Aspekte von
Strukturen, Prozessen, Funktionen der Wahrnehmung und des Verhaltens
einzelner Individuen sowie Zusammenhänge sozialer Verflechtungen
zwischen Individuen.<i><br /></i></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div></div></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><i>Alltagsdenken </i>nutzt<i> Methoden 1. Ordnung</i>, die mit begrenzten Ressourcen ein Überleben unter prekären Bedingungen ermöglichen, indem sie mittels Vereinfachungen und Filtervorgängen ein vermeintlich konsistentes Bild der Realität konstruieren, das schnelle Urteile (Entscheidungen) erlaubt, um pragmatische Handlungsfähigkeit herzustellen. <i>Methoden 1. Ordnung</i> basieren auf einer Reihe ohne Richtung und Ziel im Prozess der Evolution biologisch programmierter kognitiver Heuristiken:<div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Ein Kohärenzbedürfnis motiviert zur Erzeugung mentaler Zustände, die als kohärent empfunden werden (verstehbar, handhabbar, nützlich, sinnhaft) und zur Abwehr von Zuständen, die dem Kohärenzbedürfnis widersprechen.</li><li>Das Kohärenzbedürfnis bevorzugt soziale Kontakte, die emotionale Zustände von Kohäsion erzeugen.<br /></li><li>Entscheidungs- und Verhaltenssicherheit fördern mehrere <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heuristik" target="_blank">heuristische</a> Mechanismen, die trotz begrenztem Wissen und begrenzter Zeit praktikable Handlungsoptionen herstellen:</li><ul><li>Ordnungen zweiwertiger <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierungen</a> (wahr vs. unwahr, richtig vs. falsch, gut vs. böse, essbar vs. nicht essbar, Freund vs. Feind etc.) wahrgenommener Phänomene ermöglichen schnelle Entscheidungen. </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribuierung" target="_blank">Kausalattribuierung</a> (Annahmen unmittelbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen empirischen Phänomen) bezeichnet Ursachen wahrgenommener Phänomene. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalit%C3%A4t" target="_blank">Kausalität</a> beruht auf Wissen bzw. Erfahrungen und erwartet, das Gleiches dieselbe Ursache hat.<br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteilen</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotypen</a> (ungeprüft angewendete gespeicherte Bewertungsmuster) sowie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Verzerrung" target="_blank">kognitive Verzerrungen</a> (in Lebenspraxis bewährte systematische Denk- und Wahrnehmungsfehler) erzeugen Verhaltenssicherheit mittels Beurteilungsautomatismen.<br /></li></ul></ul></div>Tendenzen der Systematik des <i>Alltagsdenkens</i>:<br /><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Wahrnehmungsmuster analogen <i>Alltagsdenkens</i> beruhen auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naiver_Realismus" target="_blank">naivem Realismus</a>,
der eigene Wahrnehmung als objektive Sachverhalte auffasst, von denen
implizit angenommen wird, dass andere Menschen sie teilen. </li><li><i>Alltagsdenkens</i> nimmt an, dass evolutionäre Prozesse zielorientiert entweder in Richtung einer eschatologischen Endzeit oder als unendlicher Fortschritt verläuft. <br /></li><li>Denkprozesse zeichnen sich durch Selbstverständlichkeit und Automatismen aus und erklären, <b>was</b> man sieht und <b>was</b> man denkt. Da Selbstreflexion und kritische Distanz zur eigenen Wahrnehmung unüblich sind, können 'Denkfallen' entstehen, die aber erst erkannt werden, wenn erwarteter Nutzen sich nicht einstellt oder Schaden auftritt.<br /></li><li>Deutungsmuster
des <i>Alltagsdenkens</i> betrachten die Welt unter Aspekten von Nützlichkeit
oder Praxistauglichkeit ideologisch, d.h. mit vorgefertigten
Vorstellungen und Ideen, die Wertepluralismus und Toleranz nur in engen Grenzen bekannter und akzeptierter Rahmen zustimmen. Die Bereitschaft zum Ertragen von Widersprüchen ist gering. <ul><li>Gewöhnlich gelten mit individuellen Ansichten und Vorlieben harmonierende Sachverhalte als richtig bzw. 'normal' und als Bestätigungen vorgefertigter Weltanschauungen. </li><li>Das Bedürfnis eines positiven Selbstbilds verbucht günstige Resultate von Handlungsaktvitäten als Erfolge eigener Fähigkeiten und Leistungen und schreibt ungünstige
Ergebnisse Fremdverschulden zu. <br /></li><li>Von Ansichten und Vorlieben deutlich abweichende Werte und Verhaltensmuster stoßen auf ein breites Spektrum der Ablehnung, das von Ignoranz über Misstrauen bis zu massiver Bekämpfung reichen kann. </li><li>Erklärungen
sozialer Phänomene resultieren aus politisch,
religiös, spirituell konnotierten dogmatisch-fundamentalistischen
Anschauungen einer Realität, die scheinbar dichotomisch in Paaren von
Gegensätzen organisiert ist (Freund vs. Feind, gut vs. schlecht, nützlich vs. unbrauchbar, Nutzpflanzen/Unkraut, Nutztiere vs. Ungeziefer/Schädlinge etc.). </li><li>Weil Komplexität und Kontingenz unverstanden bleiben, werden prozesshafte empirische Phänomene mit Hilfe vereinfachender Konstrukte vermeintlich kausaler Linearität erklärt. </li><li>Außerhalb eigener Verständnisfähigkeiten liegende Sachverhalte werden ausgeblendet oder marginalisiert.<br /></li><li>Rational
nicht nachvollziehbaren Phänomenen der Realität wird Kausalität zugeschrieben, indem Ursachen des Auftretens dieser Phänomene mit universalen Gesetzmäßigkeiten oder transzendenten Mächten erklärt wird. </li></ul></li></ol></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.3.2 <i>Wissenschaftliches Denken (Denken 2. Ordnung)</i></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Wissenschaftliches Denken</i> wechselt vom <b>Was</b> zum <b>Wie</b>.
Es erklärt nicht Inhalte von Wahrnehmung und Denkprozessen (was),
sondern auf welche Art und Weise (wie) Inhalte zustande kommen. Diese
Denkweise bezieht sich nicht ausschließlich auf Fremdbeobachtung,
sondern kann sich auch selbstreflexiv auf sich selbst beziehen.<br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche
Methoden beruhen auf analytischem <i>Denken 2. Ordnung</i>, wenn sie rational begründbare modellhafte Erklärungen von
Realität entwickeln, die sich in empirischen Überprüfungen bewähren müssen. Durch
Vergleiche mit konkurrierenden Modellen kann die Leistungsfähigkeit von Erklärungen reifen, ohne
Realität jemals als gültig erklären zu können. <i>Methoden 2. Ordnung</i> verstehen
<i>Methoden 1. Ordnung</i> als nützliche Illusionen und erklären deren Nützlichkeit, Entstehung, Persistenz sowie deren Mechanismen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Wissenschaftliches Denken</i> ist sich bewusst, dass </div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>evolutionäre Prozesse kein Ziel haben und ungerichtet verlaufen, <br /></li><li>Wahrheit nur in formaler Logik möglich ist und hinsichtlich Realität auf Überzeugungen beruht, deren Gültigkeit nicht bewiesen werden kann,</li><li>gültige Aussagen über mentale Zustände prinzipiell nur für den eigenen Zustand möglich sind,</li><li>Komplexität von Realität nur unvollständig verstehbar ist,</li><li>Komplexität nicht vorhersagbare kontingente Ereignisse erzeugt,</li><li>Wissensvorräte endlich sind und Irrtümer enthalten,</li><li>die Menge nicht bekannten Wissens mit zunehmendem Wissensvorrat zu wachsen scheint,<br /></li><li>Verständnisse
von Realität auf sozialen Konstrukten beruhen, die sich über Zeit ändern,<br /></li><li>soziale Konstrukte keine objektive Realität beschreiben, sondern auf Konsens beruhen und unter Bedingungen von Komplexität und Kontingenz variieren, <br /></li><li>zur
Frage der Beschaffenheit und Erkenntnisfähigkeit von Realität
unterschiedliche Auffassungen konkurrieren, von denen keine alleinige Gültigkeit beanspruchen kann. Verbreitet ist die Position
des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kritischer_Realismus" target="_blank">Kritischen Realismus</a> (KR). Diese nimmt an, dass<br /></li><ol><li>eine vom Denken unabhängige Realität existiert,</li><li>Realität prinzipiell dem Denken zugänglich ist,</li><li>sicheres
Wissen über Realität nicht möglich ist und daher Aussagen über Realität
auf Annahmen resp. Vermutungen beruhen (weshalb Beschreibungen von
Zusammenhängen als Modelle oder Theorien bezeichnet werden).<br /></li></ol></ol></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.4 Anmerkungen zu Intentionen des Buchautors </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Laut Eintrag in Wikipedia, der ein als Spiegel+-Artikel veröffentlichtes Interview vom 9.04.2022 zitiert, hat <a href="https://www.wikiwand.com/de/Umeswaran_Arunagirinathan" target="_blank">Umeswaran Arunagirinathan</a> das </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Buch
Grundfarbe Deutsch [...] eigenen Angaben zufolge geschrieben, weil er
„Angst habe, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet und eine Spaltung
droht“, und um darauf aufmerksam zu machen, dass es für alle in
Deutschland lebenden Menschen die Verständigung auf einen „gemeinsamen
Nenner“ geben muss (laut Arunagirinathan auf „Werte. Etwa das deutsche
Grundgesetz, die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, all die Dinge, die
hier so oft selbstverständlich erscheinen, aber nicht selbstverständlich
sind.“).</i>"</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Diese
Aussage ist nachvollziehbar und rechtfertigt sympathisierende eigene
Zustimmung. Dass in Deutschland lebende Menschen für ein friedliches
Zusammenleben gemeinsame Werte benötigen, ist eine notwendige, aber
keineswegs triviale Selbstverständlichkeit. Zugleich sind weitere Fragen
relevant:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Wie
stark muss Konsens oder wie weit müssen Übereinstimmungen ausgeprägt
sein, damit ein notwendiges und für möglichst alle Menschen wünschbares
Gemeinschaftsgefühl vorhanden ist?</li><li>Wie groß ist der Spielraum
für individuelle Autonomie, Freiheit und Andersartigkeit von Menschen,
der Menschen positive Einstellungen zum Leben in einem Land vermittelt? <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Auf
diese Fragen sind keine einfachen Antworten möglich, aber es ist sicherlich
so, dass Konsens und Autonomie nicht unabhängig voneinander sind und ein
Land letztlich dann als lebenswert empfunden wird, wenn beide
Bedingungen eine Einheit bilden, der eine Mehrheit zustimmt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Umes ist in einem Land unter Bedingungen eines Bürgerkrieges
aufgewachsen. In Anbetracht dieser Erfahrung ist Angst vor zunehmenden
Konflikten bzw. "auseinanderdriftender Gesellschaft" und "Spaltung"
(Bürgerkrieg) verständlich. Diese auf der Ebene individueller Emotionen
spürbare Angst ist real. Ob sie auch realistisch ist, d.h. nicht nur
subjektiv zu spüren ist, sondern als Trend objektiver sozialer
Prozesse aufgefasst werden muss, der in einen Bürgerkrieg führen könnte,
ist eine Frage, die nachfolgende Kapitel betrachten. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Inhaltliche
Aussagen des Autors zu Erlebnissen und Themen der Sachebene sind
nachvollziehbar. Darüber hinaus verweist das Buch auf empirisch bestätigte Muster menschlicher Verhaltensweisen, die sich
erst auf einer Metaebene sozialpsychologischer Erklärung als universale
Muster menschlichen Verhaltens offenbaren. Ob
solche Aussagen vom Autor intendiert sind, ist unsicher. Möglicherweise
sind dem Autor in Erzählungen durchscheinende universale
Verhaltensmuster nicht bewusst. Vielleicht verzichtet der Autor aber
auch absichtlich auf Beschreibungen von Metastrukturen, weil sich das
Buch an ein breites Publikum wendet und darum wissenschaftliche
Betrachtungen vermeidet. Jedenfalls beabsichtigt dieser Post, universale
Muster zu identifizieren, die an der Entstehung individueller
Biographien beteiligt sind und maßgeblich
beeinflussen, wie Leben gelingt oder misslingt. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.5 Schwimmen im Strom des Lebens </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Im
Post formulierte abstrakt-analytische Argumente sind unanschaulich.
Anschaulichkeit ist hilfreich, weil sie das Verständnis komplexer
Zusammenhänge erleichtert. Andererseits haben metaphorische Bilder und
Vergleiche auch Schwächen. Diese werden hier in Kauf genommen, wenn
nachfolgend immer wieder metaphorische Bilder eingestreut sind. </div> </div><div style="text-align: left;">In <i>weiter
Perspektive</i> stellt sich Leben ähnlich wie ein großer Strom dar, der je
nach Bedingungen seiner Umgebung mal träge und mal wild, mal mit hohem
und mal mit niedrigem Wasserstand fließt. Sicher ist nur, dass der Strom
aufgrund von Gefälle fließt. Aufs Ganze betrachtet sind Bewegung,
Wassertiefe, Wassermenge und Verdunstungsgröße unvorhersehbar. Erst aus <i>naher Perspektive</i>
zeigen sich Details von Höhen, Tiefen, Turbulenzen, Überlagerungen,
Texturen, Granulierungen etc., die sich im mittleren Abstand als
Strukturen von Landschaften darstellen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Jede
Biographie verläuft anders. Das Bild eines in gefährlichen Gewässern
schwimmenden Menschen teilen alle Biographien. Mit dem durch die
Landschaft mäandernden Strom verändern sich Bedingungen des Schwimmens
ständig und oft unberechenbar. Nicht alle Menschen kommen mit sich
laufend ändernden Bedingungen zurecht. Bekannte Gefahren sind leichter
zu bewältigen als unbekannte Gefahren. In Gefahrensituation leisten
Rettungskräfte mitunter Hilfe, aber längst nicht immer. Die Menge der
Helfer reicht oft nicht aus und vorhandene Helfer sind manchmal
überfordert. Besser gelingt die Bewältigung von Gefahren, wenn man
eigenen Fähigkeiten vertrauen kann. Individuell fallen Fähigkeiten von
Menschen qualitativ unterschiedlich aus. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Es gibt gute Schwimmer, schlechte Schwimmer und Nichtschwimmer.</li><li>Menschen sind zunächst Nichtschwimmer. Schwimmen muss erlernt werden. <br /></li><li>Viele Nichtschwimmer lernen das Schwimmen.</li><li>Etliche Nichtschwimmer lernen das Schwimmen nie. Einige wollen nicht, andere können nicht. <br /></li><li>Schlechte Schwimmer bleiben i.d.R. lebenslang schlechte Schwimmer. Eine Minderheit entwickelt sich zu guten Schwimmern.</li><li>Wer schwimmen kann, behält diese Fähigkeit lebenslang.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">In
ähnlich wechselnden Perspektiven beschreibt der Autor des Buchs seine
durch das Leben mäandernde Biographie. Wenn der Autor auf Ereignisse des
eigenen Lebens fokussiert, reiht er in Naheinstellung mehr oder weniger
sich zufällig einstellende Ereignisse auf. Diese unterliegen der
eigenen Deutungshoheit, von der der Autor Gebrauch macht. In
Ferneinstellung zeigen sich vom Post kontrastreich nachgezeichnete
Strukturen biologischer und kultureller Verhaltensmuster, die der Autor
eher vorsichtig skizziert und bewertet. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2 Meilensteine der biographischen Story <br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /><div style="text-align: left;">Einige Details der Biographie beschreibt der Internetauftritt des Autors inkl. Fotos: <a href="https://dr-umes.de/meine-geschichte" target="_blank">Dr. Umeswaran Arunagirinathan: Meine Geschichte</a>. Eine Reihe online veröffentlichter Artikel geben weitere Details preis:</div><ul style="text-align: left;"><li>Buchauszüge in der Zeitschrift hlz 12/2017 der GEW Hamburg: <a href="https://www.gew-hamburg.de/sites/default/files/download/hlz/magazin_leseprobe_12-2017.pdf" target="_blank">Der fremde Deutsche</a> </li><li>Porträt im Deutschen Ärzteblatt 25/2009: <a href="https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=65101" target="_blank">Der Weltenläufer</a> </li><li>Tagesspiegel 28.12.2017: <a href="https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/vom-fluchtlingskind-zum-herzchirurgen-8417203.html" target="_blank">Aus Sri Lanka nach Franken: Vom Flüchtlingskind zum Herzchirurgen</a></li></ul><div style="text-align: left;">Im Buch <i>Grundfarbe Deutsch</i>
entfaltet Umes seine Story in 26 jeweils kurzen Kapiteln über 216
Textseiten des Buches. Bei der Abfassung des Buches stand ihm als
Ghostwriter <a href="https://www.mendlewitsch.de/" target="_blank">Doris Mendlewitsch</a> zur Seite (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Doris_Mendlewitsch" target="_blank">Doris Mendlewitsch</a>),
die in der Danksagung an erster Stelle genannt ist und zu dem Buch
wahrscheinlich mit einem hohen Anteil beigetragen hat. Über sein Buch
spricht der Autor in einem Interview vom 14.04.2022 mit der taz: <a href="https://taz.de/Autor-ueber-Rassismus-und-Integration/!5844872/" target="_blank">"Ich sehe meine Farbe nicht"</a><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.1 Leben in Sri Lanka und Flucht nach Deutschland</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die 5 ersten Kapitel berichten über das Leben in der Provinz von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sri_Lanka" target="_blank">Sri Lanka</a> sowie von Umes Flucht. Auslöser der Flucht war ein trotz demokratischer Verfassung seit 1983 im Land herrschender <a href="https://www.wikiwand.com/de/B%C3%BCrgerkrieg_in_Sri_Lanka" target="_blank">Bürgerkrieg</a> zwischen Ethnien einer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Buddhismus" target="_blank">buddhistisch</a>-<a href="https://www.wikiwand.com/de/Singhalesen" target="_blank">singalesischen</a> Majorität und einer nach Autonomie strebenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hinduismus" target="_blank">hinduistisch</a>-<a href="https://www.wikiwand.com/de/Tamilen" target="_blank">tamilischen</a> Minorität. Der Bürgerkrieg endete 2009 ohne Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen. Konflikte schwelen weiter.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Umes
Vater arbeitete während der Woche meistens außerhalb des Ortes. Als
ältester Junge unter 5 Geschwistern wuchs Umes in die Rolle des
traditionell designierten Familienoberhauptes auf und übernahm bereits
früh Mitverantwortung für die Versorgung der Familie. Umes trug gerne
Verantwortung, durch die er wichtig wurde. Mit Kreativität und Geschick
leistete er maßgebliche Beiträge zur Versorgung der Familie. Als Umes 10
Jahre alt war, verstarb die älteste Schwester wegen unzureichender
medizinischer Versorgung an einer Nierenerkrankung. Umes ging gerne zur
Schule und lernte eifrig. Unter Bürgerkriegsbedingungen endete die
Schule im Alter von 12 Jahren. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Umes
drohte die Gefahr, von tamilischen Rebellen zum Kindersoldaten gemacht
zu werden. Die Mutter entschied, dass Umes als 12jähriger unbegleitet
nach Deutschland flüchten müsse, wo in Hamburg bereits ein Bruder der
Mutter in einfachen, beengten Verhältnissen lebte. Unter dem Eindruck
mangelhafter medizinischer Versorgung trug ihm die Mutter auf, in
Deutschland Arzt zu werden. Außerdem musste er der Mutter versprechen,
niemals Alkohol zu trinken und sich nie als Spieler zu betätigen. Dass
Umes aus Deutschland zur finanziellen Unterstützung der Familie
beitragen würde, war eine kulturell verankerte Selbstverständlichkeit.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Schlepper
verlangten für die Flucht 15.000 €, die der Mutterbruder irgendwie
aufbrachte, aber Umes zurückzuzahlen hätte, falls er die Flucht
überlebt. Unbegleitet und völlig auf sich alleingestellt erreichte Umes
nach 8 Monaten lebensgefährlich-dramatischer Flucht über Afrika und auf
der Balkanroute tatsächlich Deutschland und wurde in der Familie des
Mutterbruders aufgenommen. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>2.2 Jugendzeit in Hamburg</b></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kapitel 6 bis 13 beschreiben das neue Leben in Deutschland. Die Familie lebt in der Großwohnsiedlung <a href="https://www.wikiwand.com/de/M%C3%BCmmelmannsberg" target="_blank">Mümmelmannsberg</a>,
ein sozialer Brennpunkt mit hohem Anteil Ausländer, Arbeitsloser und
Sozialhilfeempfänger, für Umes ein Paradies. Ohne zunächst auch nur ein
Wort deutsch oder englisch zu sprechen, besucht Umes die <a href="https://www.stadtteilschule-muemmelmannsberg.de/startseite.html" target="_blank">Stadtteilschule Mümmelmannsberg</a>.
Äußerst engagierte Lehrer der Schule verschaffen Kindern aus prekären
Verhältnissen mit großen Bemühungen Chancen eines lebenswerten Lebens.
Die Schule besucht Umes mit ernsthaftem Engagement und unermüdlichem
Fleiß. Unter Lehrern und Mitschülern genießt Umes Wertschätzung. Er
engagiert sich in der Schule und wird zum Landesschulsprecher gewählt.
Bereits während der Schulzeit verdient Umes in kleinen Jobs Geld, das er der Familie überweist. Umes schließt das Abitur mit der Note 1,8 ab.
Ein Lehrer seiner Schule übernimmt eine Bürgschaft, die Umes ein
Medizinstudium in Lübeck ermöglicht.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.3 Medizinstudium in Lübeck</b></div><br /></div><div style="text-align: left;">Kapitel
14 bis 20 umfassen den Zeitraum des Medizinstudiums, das Umes nach 8
Jahren mit Examen beendet. Er benötigte 2 Jahre länger als üblich, weil
er sein Studium ohne Anspruch auf BAföG selbst finanzieren muss, daher
wenig Zeit zum Lernen hat und mehrere Prüfungen wiederholen muss. Im
Studium wird Umes das riesige soziale Gefälle zwischen ihm und seinen
Kommilitonen bewusst, die durchgängig aus begüterten Familien stammen,
sorgenfrei leben und mit einem Habitus auftreten, der ihm völlig fremd
war. (Den vom französischen Soziologen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> entwickelten Begriff des Habitus erklärt der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitus und Doxa</a>).</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Umes
jüngere Geschwister sind inzwischen nach England, USA, Kanada migriert.
Während des Studiums werden nach vielen Jahren der Trennung erste
Treffen möglich, die jedoch enttäuschend verlaufen. Aufgrund ihrer total
unterschiedlichen Sozialisationen sind sich die Geschwister fremd
geworden und die Distanz zu den Eltern hat sich vergrößert.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>2.4 Einbürgerung und Tätigkeit als Arzt </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Die
letzten 6 Kapitel setzen zeitlich mit dem Abschluss des Studiums ein.
Am Ende des Studiums wird Umes eingebürgert, aber auch nur darum, weil er
über ein Netzwerk verfügt, das ihn unterstützt und Hürden beiseite
räumt. Die Einbürgerung ist für Umes der schönste Tag seines bisherigen
Lebens. Der formelle Akt bereitet jedoch eine große Enttäuschung. Die
Einladung teilt in Beamtendeutsch mit: <i>"Ihre Bestellung ist eingetroffen. Abholung werktags von 10 bis 12 Uhr."</i>
Die Übergabe der schmucklosen Einbürgerungsurkunde erfolgt absolut
emotionsfrei. Nach seiner Unterschrift wird Umes sogleich mit der
Floskel <i>"Herzlichen Glückwunsch"</i> verabschiedet. Umes empfindet
den formellen Einbürgerungsprozess als unwürdig. Trotzdem ist er jetzt
endlich das, als was er sich schon lange fühlt:
Deutscher. Tagelang schwebt Umes auf Wolke 7. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
letzten Kapitel berichten von Erlebnissen im Medizinbetrieb und im
Alltag. Als promovierter Arzt wird das Leben für Umes durchaus leichter,
aber dunkle Hautfarbe und ein fremdländischer Name begleiten nach wie
vor im Beruf und im Alltagsleben Vorurteile, die immer wieder neue
Enttäuschungen bereiten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3 Soziale Makrostrukturen und universale Prinzipien sozialen Lebens</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">In der Überschrift angekündigte Themen umfassen einen erheblichen größeren Raum als den hier beschriebenen. Diese Kapitel begrenzt Themen auf relevante Aspekte des Buchs.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.1 Universelle Prinzipien sozialen Lebens</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Denkweisen,
Bedürfnisse, Interessen, Emotionen und Verhalten von Menschen formen
kohärente soziale Strukturen, deren Menge und Art überschaubar sind
(Familie, Verwandtschaft, Gruppen, Vereine, Clans, Regierungen bzw.
Machtzentren etc.). (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4sion_(Psychologie)" target="_blank">Kohäsion</a> ist ein soziologischer Begriff für emotionale Zusammengehörigkeitsgefühle sozialer Gruppen.)</div><div style="text-align: left;"> </div>In kohärenten Strukturen interkulturell variierende verwobene Muster (Wertvorstellungen,
Glaubenssysteme, Symbolsysteme, Normensysteme) sind gewöhnlich dogmatisch
ausgeprägt und schließen sich daher wechselseitig aus. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im
Prozess kultureller Evolution erzeugte soziale Differenzierung bewirkt
innerhalb größerer Sozialsysteme Aufspaltungen von Kulturen in Subkulturen und Fragmentierungen von Werte-
und Glaubenssystemen.<br /><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.2 Bewusstsein in der Umgebung von Kultur</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Im Kontext des Buches relevante Zusammenhänge betrachtet Kapitel 3 abstrakt. Verständnisse der Bedeutung von Bewusstsein und Kultur vertiefen die beiden kürzlich veröffentlichten Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></i> und <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank"><i>Was ist Kultur?</i></a>. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Menschliches
Verhalten modellieren nicht nur biologische Mechanismen und rationale
Kalküle individueller Nützlichkeit. Handlungsmotive steuern insbesondere auch unbewusste
sozialpsychologische Mechanismen psychologischer
Grundbedürfnisse der Kohärenz und der Selbstbestimmung und erzeugen oder verhindern individuelles Verhalten. Zusätzlich üben als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4sion_(Psychologie)" target="_blank">Kohäsion</a>
bezeichnete emotionale Zusammengehörigkeitsgefühle sozialer Gruppen starke unbewusste Kräfte aus, die regulierend auf soziale Mechanismen in
Gruppenkontexten einwirken und Bindungen herstellen oder auflösen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Persönlichkeitsstrukturen entwickeln
sich in einem kulturellen Umfeld, das als primärer Verursacher von
Persönlichkeitsstrukturen zu verstehen ist. In
kulturellen Kontexten entstehen sinnstiftende Wert- und Regelsysteme,
die Menschen in individueller Sozialisation internalisieren. In
Lernprozessen internalisierte kulturelle Regelsysteme bleiben weitgehend
unbewusst und werden als normal übliche, selbstverständliche
Verhaltenskonventionen praktiziert. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In sozialer Realität ist das
Denken nahezu aller Menschen von Vorurteilen und Werturteilen geprägt.
Einige dieser Vorurteile sind rassistisch geprägt. Andere Vorurteile
enthalten keinen Rassismus, aber es sind trotzdem Vorurteile, die sich
über soziale Grenzen hinweg negativ auf ein friedliches Zusammenleben
auswirken. Mit zunehmender Stärke von Unterschieden zwischen Kulturen
und Subkulturen erschweren oder verhindern Vorurteile und Werturteile
ein friedliches Zusammenleben. Vorurteile und Werturteile resultieren
insbesondere aus
unterschiedlichen</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>biologischen Merkmalen, <br /></li><li>Werte- und Normensystemen sozialer resp. kultureller Herkünfte, </li><li>Geschlechtern und sexuellen
Orientierungen, </li><li>weltanschaulichen Einstellungen,</li><li>Bildungsgraden,</li><li>Lebensstilen.</li></ul></div></div><div style="text-align: left;">In
veränderten
kulturellen Kontexten halten Menschen an internalisierten und ihnen
vertrauten Kulturmustern fest, weil sie Handhabungen fremder
Kulturmuster nicht gelernt haben und diese als falsch empfinden. Aus
diesem Sachverhalt resultieren zwangsläufig oft schwere psychische
Konflikte bei Migranten und zusätzliche soziale Konflikte zwischen
Migranten und nativen Einwohnern. Sozialen Konflikten gehen Migranten
aus dem Weg, indem sie ihre sozialen Interaktionen auf Landsleute
beschränken, in vertrauter Sprache kommunizieren und Medien ihrer
Herkunftsregion konsumieren. Bezüglich ihrer psychischen Konflikte sind
sie weitgehend alleingelassen (Ärzteblatt: <a href="https://www.aerzteblatt.de/archiv/32425/Psychisch-kranke-Migranten-Interkulturelle-Kompetenz-immer-wichtiger" target="_blank">Psychisch kranke Migranten</a>). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Im Unterschied zu Umes leben Migranten gewöhnlich unter Bedingungen, in denen widersprüchliche
kulturelle Rollenanforderungen ständig miteinander konkurrieren.
Religiös legitimierte dominante patriarchalische Kulturmuster, die mit
Unterdrückung von Frauen und Kontrolle weiblicher Sexualität
einhergehen und sich in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tabu" target="_blank">Tabus</a>
ausprägen, beeinflussen das Denken beider Geschlechter unbewusst, aber
permanent. Die normierende Kraft dieser in der Sozialisation per
Internalisierung unbewusst angeeigneten Kulturmuster des Herkunftslandes
ist offensichtlich stärker als tolerantere Kulturmuster des
Aufenthaltslandes, die als falsch, verdorben, unwürdig wahrgenommen
werden und daher Verhalten keine Verbindlichkeit auferlegen, aber
aus Gründen von Nützlichkeit widerwillig in Kauf genommen werden. In
diesem Konfliktfeld bildet Sprachverhalten einen wichtigen
Faktor der Verstärkung eines als ethisch richtig bewerteten Verhaltens. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Migranten erster Generation verbinden ihre Emigration überwiegend mit Erwartungen besserer Lebensqualität, jedoch nicht mit
einer bewusst gewollten Integration in eine Kultur, die sie aufgrund
weltanschaulicher Überzeugungen ablehnen. Dass das eine nicht ohne das
andere realisierbar ist, bleibt Migranten i.d.R. unverständlich, weil es
ihnen nicht gelingt, unbewusst wirkende Mechanismen kultureller
Verknüpfung auf einer gedanklichen Meta-Ebene zu reflektieren. </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.3 Generalisierte Aussagen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Dieser Post beschreibt im Kontext des Buches eine Reihe prinzipieller Probleme generalisierter
Aussagen, ohne auf Methodenprobleme von Befragungen bzw. Studien einzugehen. <a href="https://home.uni-leipzig.de/methodenportal/potentielle-fehlerquellen/" target="_blank">Potentielle Fehlerquellen</a> von Befragungen nennt das Methodenportal der Uni Leipzig. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Menschen
neigen dazu, eigenen Ansichten zu vertrauen, diese als Überzeugungen zu
verfestigen und als unumstößliche Wahrheiten aufzufassen. (Ursachen
betrachtet der Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank">Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</a></i>) Privatmeinungen unterliegen der
Meinungsfreiheit und sind nicht zu beanstanden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zu beanstanden sind dagegen als generalisierte Aussagen formulierte Privatmeinungen </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>vom Typ Dogmatismus (typisch für Rassismus, Verschwörungstheorien, politische und religiöse Weltanschauungen),<br /></li><li>vom Typ Spiritualismus (typisch für religiöse Weltanschauungen, Esoterik), <br /></li><li>mit Schlüssen, die aus individuellen Ansichten, Meinungen, Überzeugen oder aus
individuellem Verhalten nicht sichtbare kognitive Strukturen erklären (Vorurteile, Stereotype).<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Bezüglich Zusammenhängen von Meinungsbildern und empirischen Phänomenen ist zu beachten:<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Wenn
eine in Relation zur Gesamtpopulation größere Anzahl von Menschen
aufgrund ähnlicher Überzeugungen empirische Phänomene gleichartig
versteht, können dafür objektive Sachverhalte verantwortlich sein, was
aber keineswegs sicher ist.</li><li>Ob Wahrnehmungen empirisch prüfbarer
Sachverhalte tatsächlich als objektiv aufzufassen sind (d.h. unabhängig
von individueller Wahrnehmung bestehen), kann nicht aus individueller
Anschauung abgeleitet werden. Antworten erlauben erst Prüfungen gemäß
wissenschaftlicher Standards. </li><li>Kollektive Meinungsbilder
konstruieren abstrakte Realitäten eigener Art. Ob diese Konstrukte real
sind oder ob es sich um eingebildete Realität handelt (Illusionen oder
Irrtümer) ist eine letztlich nicht entscheidbare Frage. <br />Als Beispiel
seien religiöse Überzeugungen genannt, die für überzeugte Anhänger
einer Religion unzweifelhaft wahr sind. Global konkurrieren etliche
Religionen miteinander, die vermeintliche Wahrheiten kennen und deren
Anhänger von jeweils unterschiedlichen Wahrheiten überzeugt sind, ohne
sich von Widersprüchlichkeit zu konkurrierenden Glaubenssystemen
beeindrucken zu lassen. </li><li>Jegliches Verständnis von Realität
beruht auf sozialen Konstrukten. Konkurrierende soziale Konstrukte
erzeugen in Verbindung mit Dogmatismus Konflikte, an denen in der Welt
kein Mangel besteht. <br /></li></ul></div></div></div><div style="text-align: left;">Besondere Beachtung verdienen aussagenlogische Probleme des Alltagsdenkens:</div><ul style="text-align: left;"><li>Vom individuellen Wahrnehmungssystem vermittelte Erlebnisse sind real, aber nicht allgemeingültig.</li><li>Obwohl
Skepsis und Zweifel oft angebracht wären, schützen persönliche
Überzeugungen vor ihnen. Mitunter stellen sich durchaus Selbstzweifel
ein, aber generell gelten Selbstzweifel eher als
Persönlichkeitsschwäche.</li><li>Das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Induktionsproblem" target="_blank">Induktionsproblem</a>
gestattet prinzipiell keine Ableitungen gültiger Gesetzmäßigkeiten aus
Einzelfällen. Wissenschaftlich betrachtet sind persönliche Erlebnissen
auch dann nicht verallgemeinerungsfähig, wenn Informationsmedien oder
andere Personen über ähnliche Erfahrungen berichten und persönliche
Erlebnisse bestätigen und verstärken.<br /></li><li>Das Induktionsproblem ermahnt uns zur Skepsis gegenüber eigener Wahrnehmung. </li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.4 Anmerkungen zu Sozialindikatoren</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div>Über Zusammensetzungen, Mess- und Bewertungsmethoden von
Indikatorensystemen kann man prinzipiell diskutieren. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_Indikatoren" target="_blank">Sozialindikatoren</a>
sollte man mit Skepsis betrachten (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_Indikatoren#Indikatorensysteme_und_deren_Probleme" target="_blank">Indikatorensysteme und deren Probleme)</a>.
Über
die gesamte Fläche von Deutschland (oder anderen Ländern) gebildete
Sozialindikatoren und wertende Aussagen sind je nach Art, Verwendung und
Verständnis generell problematisch und verleiten zu <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96kologischer_Fehlschluss" target="_blank">ökologischen Fehlschlüssen</a>. Andererseits
sind aus Indikatorensystemen abgeleitete Aussagen deutlich robuster als
Einzelbeobachtungen und als Instrument prüfbarer Aussagen auf
Aggregatebene alternativlos. Dabei sind jedoch Einschränkungen zu beachten: <br /><ul style="text-align: left;"><li>Klassifikationen, über die Daten aggregiert und Durchschnittswerte gebildet werden, entsprechen keiner Realität, sondern es
handelt sich um kategoriale soziale Konstrukte, die Vergleichbarkeit
herstellen und nichts über Individualwerte
aussagen. <br />Ein Beispiel für in zahlreichen Statistiken verwendete Konstrukte sind willkürlich gebildete <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_Schicht" target="_blank">soziale Schichtenmodelle</a> (Unter-, Mittel-, Oberschicht etc.) oder <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_Klasse" target="_blank">soziale Klassenmodelle</a>, die als Bezugsgrößen für Erklärungen sozialer Phänomene dienen, obwohl es sich lediglich um analytische Kategorien handelt.<br /></li><li>Bezugsgrößen wie Staaten, Länder, Länderverbunde sind ebenfalls Konstrukte,
in diesem Fall Konstrukte geopolitischer Art. Aus geopolitischen Konstrukten abgeleitete Aussagen über <a href="https://www.wikiwand.com/de/Nationalcharakter" target="_blank">National- oder Volkscharaktere</a> ("der" Deutsche, Franzose, Engländer, Russe etc.) beruhen auf inakzeptablen diskriminierenden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotypen</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteilen</a>. <br /></li><li>Über
geopolitische und soziale Konstrukte gebildete mathematische
Konstrukte von Zusammenhängen zwischen Variablen sind als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Korrelation" target="_blank">Korrelationen</a> keine Aussagen über <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalit%C3%A4t" target="_blank">Kausalzusammenhänge</a> der Realität, sondern Hinweise auf mögliche Kausalzusammenhänge, die aber erst zusätzliche Informationen ggf. bestätigen. <br /></li><li>Durchschnittsprofile
sind verflachende und
verzerrende Artefakte, die Profile der Realität einebnen und
Unterschiede unsichtbar machen. In verdichteten Betrachtungen sind
derartige Artefakte unvermeidbar und nicht notwendig problematisch,
solange bewusst ist, dass es sich um Artefakte handelt, die lediglich
kontextbezogene Annäherungen an die Realität darstellen. <br /></li><li>Aus
mehr oder weniger breit streuenden Einzelwerten zusammengesetzte
aggregierte Werte von Sozialindikatoren können
Wahrscheinlichkeitsaussagen über Chancen und Risiken
zutreffender Merkmale abgeleitet werden, aber keine gültigen Aussagen
über individuelle
Schicksale. Umgekehrt können aus Einzelschicksalen keine
allgemeingültigen Aussagen zu strukturellen empirischen Mustern
abgeleitet werden. </li></ul> </div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><b>4 Anmerkungen zum Leben in Deutschland <br /></b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Kapitel 4 betrachtet Kernthemen des Buchs <i>Grundfarbe Deutsch</i> und verweist zu mehreren Themen auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_Indikatoren" target="_blank">Sozialindikatoren</a>. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>4.1 Soziale Differenzierung in Deutschland</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div>Horizontale und vertikale
Differenzierungen von Aussagen über Populationen und <a href="https://de.statista.com/statistik/lexikon/definition/21/aggregatdaten/" target="_blank">Aggregatdaten</a> sind im Alltagsdenken keine
Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil tendiert Alltagsdenken von Menschen zu Pauschalisierungen, vor der auch akademische
Bildung nicht zuverlässig schützt, obwohl in Anbetracht fragmentierter deutscher Sozialstruktur jede auf Durchschnittlichkeit abgestellte Pauschalaussage als verfehlt zu werten ist. Deutschland ist kein Paradies, Baden-Württemberg ist kein <i>Musterländle</i> und Bayern ist keine <i>heile Welt</i>. Wohin
man schaut, sind Licht und Schatten anzutreffen, die sich aber nicht
homogen verteilen, sondern je nach Themenfeld zwischen
westlichen und östlichen sowie nördlichen und südlichen Bundesländern
unterschiedliche Muster zeigen. <div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Deutschland hat mehr als 84 Millionen
Einwohner, die sich auf 16 Bundesländer verteilen. Während
demographische Strukturen auf Länderebene ähnlich ausfallen,
unterscheiden sich <a href="https://www.deutschlandatlas.bund.de/DE/Karten/Wo-wir-leben/006-Bevoelkerungsdichte.html" target="_blank">Bevölkerungsdichte</a>, <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/73061/umfrage/bundeslaender-im-vergleich-bruttoinlandsprodukt/" target="_blank">Wirtschaftskraft</a>, <a href="https://www.umweltbundesamt.de/bild/flaechennutzung-in-den-bundeslaendern" target="_blank">Strukturen der Flächennutzung</a>, <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36651/umfrage/arbeitslosenquote-in-deutschland-nach-bundeslaendern/" target="_blank">Arbeitslosenquote</a>, <a href="https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/pro-kopf-einkommen-unterschiede-reiche-deutsche-101.html" target="_blank">Einkommenshöhen</a>, <a href="https://www.umweltbundesamt.de/bild/flaechennutzung-in-den-bundeslaendern" target="_blank">Armutsgefährdungsquoten</a>, <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168591/umfrage/kaufkraft-nach-bundeslaendern/" target="_blank">Kaufkraft</a>, <a href="https://www.deutschlandatlas.bund.de/DE/Karten/Wie-wir-wohnen/043-Baulandpreise.html" target="_blank">Baulandpreise</a>, <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1294363/umfrage/mietenniveau-in-deutschland-nach-bundeslaendern/" target="_blank">Kosten von Wohnungsmieten</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionen_in_Deutschland" target="_blank">Religiosität</a>, <a href="https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/" target="_blank">politische Einstellungen und Aktivitäten</a>, <a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61625/auslaendische-bevoelkerung-nach-bundeslaendern/" target="_blank">Anteile ausländischer Bevölkerung</a> etc. mehr oder weniger deutlich. Jedes der 16 Bundesländer setzt sich mit <a href="https://www.deutschland.de/de/topic/politik/deutschland-europa/laender" target="_blank">Besonderheiten</a> von den übrigen Bundesländern ab. Daten zu zahlreichen Auswahlkriterien bietet der <a href="https://regionalatlas.statistikportal.de/" target="_blank">Regionalatlas Deutschland</a> des gemeinsamen <a href="https://www.statistikportal.de/de" target="_blank">Statistikportals</a> des Bundes und der Länder. </div><div style="text-align: left;"> </div></div> <div style="text-align: left;"><b>4.2 Warum ist das Leben in Deutschland lebenswert?</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Umes
ist gerne Deutscher. Aufgrund politischer,
wirtschaftlicher, kultureller Strukturen sowie individueller
Freiheitsgrade, Meinungsvielfalt, Toleranz macht Deutschland hohe
Lebensqualität im Sinne von Menschenrechten möglich. In einem Interview
vom 14.04.2022 mit der taz erklärt der Autor seine Haltung (<a href="https://taz.de/Autor-ueber-Rassismus-und-Integration/!5844872/" target="_blank">"Ich sehe meine Farbe nicht"</a>):</div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Ich
fühle mich hier heimisch. Deutschland ist ein Ort, an dem ich frei sein
kann. Ein Ort, nach dem ich damals als Kind im Krieg gesucht habe. Wo
Grundwerte existieren, von denen ich profitiert habe. Ich bin auch im
Alltag eher deutsch, zum Beispiel beim Thema Pünktlichkeit. Das war
früher nicht so. Inzwischen ärgere ich mich, wenn Menschen zu spät
kommen. Und ich bin eher auf Sicherheit bedacht, gedanklich immer bei
morgen. Mein Bruder lebt eher in den Tag hinein. Was mein Bruder auch
nicht weiß: wie wichtig Toleranz ist und wie schön es ist, mit anderen
Kulturen zusammen zu wachsen. Ich bin auf Sri Lanka tamilisch geprägt
aufgewachsen und habe in Deutschland erst gelernt, mit anderen
Religionen, Kulturen und Sprachen umzugehen.</i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>[...]<br />Ich
habe manchmal das Gefühl, dass ich mich viel mehr mit Deutschland
identifiziere als viele andere, die hier geboren sind. Vielleicht hat es
auch etwas damit zu tun, dass ich einen Hunger nach Identität und Liebe
hatte. Die Heimat, in der ich geboren wurde, habe ich verloren.
Außerdem empfindet man im Krieg kein Gefühl von Heimat, dazu fehlt dort
die Sicherheit und Geborgenheit. Hier war nach meiner Ankunft auch erst
mal alles fremd. Heute sehe ich meine Farbe nicht, ich sehe nicht, dass
ich dunkelhäutig bin. Das ist mir nur dann bewusst, wenn entsprechende
Fragen gestellt werden. Ich bin dankbar und habe eine Wertschätzung für
diese Gesellschaft. Viele Grundwerte, die wir haben, sind für mich nicht
selbstverständlich."</i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nicht
jeder Einwohner vermag Lebensqualität im wünschenswerten Umfang zu
realisieren. Aussagen zu Lebensqualität sollten zwischen
kollektiver und individueller Lebensqualität trennen. Dieser Post
vergleicht kollektive Lebensqualität mit Aussagen des Autors Umes.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Deutschland ist ein demokratisch verfasstes Land, das sich verbindlich zu <a href="https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/menschenrechtsbildung/was-sind-menschenrechte" target="_blank">Menschenrechten</a>
bekennt. Hinsichtlich der Umsetzung und Einhaltung von Menschenrechten
steht Deutschland nicht an der Spitze aller Staaten, aber ein seit 2006
jährlich ausgewerteter <a href="https://www.wikiwand.com/de/Demokratieindex" target="_blank">Demokratieindex</a>
erlaubt eine Einordnung. Der Index bewertet 5 Bereiche mit Punkten in
einer Skala von 0,00 bis 10,00 und bildet über die Bereiche einen
Mittelwert, der in ein Gesamtranking eingeht. </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Laut <a href="https://www.wikiwand.com/de/Demokratieindex" target="_blank">Demokratieindex</a>
des Jahres 2021 zählt Deutschland unter 167 ausgewerteten Ländern
global zu 21 volldemokratischen Ländern und liegt im Ranking der 167
Länder mit 8,80 Punkten auf Rang 14 und damit im unteren Mittelfeld
aller volldemokratischen Länder. (Auf Rang 1 liegt Norwegen mit 9,81
Punkten.) Optimierungspotentiale sind offensichtlich vorhanden, aber
übertragen auf ein Schulnotensystem erlaubt das Ranking die Schulnote
"gut". </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Meinungsfreiheit,
Religionsfreiheit, Schutz von Persönlichkeitsrechten bzw.
Freiheitsrechten, Sicherheit im öffentlichen Raum und
Rechtsstaatlichkeit
sind politisch garantiert und weitgehend realisiert, aber diese Rechte
sind störanfällig und daher nicht an jedem Ort zu jeder Zeit
praktizierbar. Ähnliches gilt für soziale Netze, die Schutz in prekären
Lebenssituationen bieten, aber nicht immer verhindern können, dass
Menschen durch Maschen des Netzes fallen oder Sozialleistungen
betrügerisch missbrauchen. Per
Saldo machen individuelle Freiheitsrechte, hohe Wirtschaftskraft,
politische Stabilität und soziale Sicherheit Deutschland zum
Einwanderungsland.<div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;">Glücklicherweise (die Betonung liegt auf <i>Glück</i>)
leben wir in einer pluralistischen Kultur, die in einem weit gesteckten
Rahmen individuelle Autonomie gestattet und Freiheit von Meinungen,
Überzeugungen, Lebensstilen garantiert. Autonomie bedeutet nicht absolute Beliebigkeit oder individuelle Willkür, sondern Fähigkeiten einer individuell bereichernden und harmonischen
Lebensgestaltung gemäß sozialer, weltanschaulicher, ethischer
Prinzipien. In Autonomie stark einschränkenden kulturellen Umgebungen
verkümmern diese Fähigkeiten. Menschen, denen diese Fähigkeiten fehlen,
empfinden Autonomie als Falle und fordern verbindliche Regeln. Diese
Erfahrung betrifft nicht nur Migranten, aber für Migranten ist sie
typisch, weil sie nicht das <i>Glück</i> hatten, in einer Autonomie zulassenden Kultur aufzuwachsen.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der von den Vereinten Nationen
beauftragte <a href="https://www.wikiwand.com/de/World_Happiness_Report" target="_blank">World Happiness Report</a> unterscheidet nicht zwischen nativen Einwohnern und Einwohnern mit Migrationshintergrund. (Original: <a href="https://worldhappiness.report/ed/2022/happiness-benevolence-and-trust-during-covid-19-and-beyond/" target="_blank">World Hapiness Report 2022</a>
mit Download-Option des Reports; das Länder-Ranking ist auf Seiten
17-19 dokumentiert) Der Report bildet über 6 Lebensbereiche Punktwerte,
die in Summe ein Gesamtranking ergeben. Maximal können 10.000 Punkte
erreicht werden: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Im
Mittelwert der Jahre 2019-2021 belegte Deutschland unter 146 Ländern
mit 7.034 Punkten Rang 14 (auf Rang 1 liegt Finnland mit 7.841 Punkten).</li><li>2017 belegte Deutschland unter 155 Ländern mit 6.951 Punkten Rang 16 (auf Rang 1 liegt Norwegen mit 7.537 Punkten). <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Auch hier wäre in einem Schulnotensystem die Note "gut" angemessen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4.3 Welche Sorgen bereitet Leben in Deutschland?</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><b>4.3.1 Vorurteile und Rassismus</b> <br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Umes
berichtet in seinem Buch mehrfach über offenkundigen oder latenten
Rassismus, dem er aufgrund seiner dunklen Hautfarbe und seiner Herkunft
immer wieder ausgesetzt ist. Aggressiven Rassismus erlebte Umes in einem
Zeltlager in einem der östlichen Bundesländer. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Alltäglicher
Rassismus manifestiert sich nicht in aggressiven Bösartigkeiten,
sondern in Vorurteilen, Ablehnungen oder Geringschätzungen, die Umes in
unterschiedlichen Lebenssituationen erfährt:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>als wohnungssuchender Student,</li><li>als Kunde beim Einkauf,</li><li>als Besucher von Clubs,</li><li>als Arzt im Krankenhaus,</li><li>usw..<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Umes
berichtet, dass er rassistischen Ablehnungen, Unfreundlichkeiten und
Feindseligkeiten mit beharrlicher Freundlichkeit begegnet. Dass diese in
individuellen Begegnungen oft erfolgreiche Einstellung sich auf
Vorurteile nachhaltig auswirkt, ist eher unwahrscheinlich, aber trotzdem
die richtige Haltung, um Vorurteile nicht zu bestätigen. Auf in
Populationen verbreitete Vorurteile dürfte diese Haltung kaum Wirkung
haben.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Individuell
erlebte Ereignisse sind selbstverständlich real, sie erklären aber
keine Ursachen und gestatten hinsichtlich verbreiteter ethischer
Einstellungen eines Landes keine gültigen Verallgemeinerungen. Trotz
seiner Geschichte ist Deutschland nicht frei von rassistischem Denken.
Rassismus ist jedoch kein deutsches, sondern ein nur schwer
eliminierbares
globales Problem, das aus mentalen Strukturen resultiert, auf die der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank"><i>Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</i></a> eingeht. </div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Medienberichte über Aktivitäten radikaler politischer Gruppen am rechten politischen Rand, wie etwa die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Reichsb%C3%BCrgerbewegung" target="_blank">Reichsbürgerbewegung</a>,
vermitteln durchaus den Eindruck, dass Konfliktpotentiale zunehmen.
Medienberichte informieren nicht nur, sie erzeugen auch gewollt oder
ungewollt Meinungsbilder, die nicht unbedingt einer verbreiteten Realitätswahrnehmung
entsprechen, aber selbst Realität konstruieren und mit diesen Konstrukten zur Polarisierung von Meinungsbildern beitragen. Mit ihrer Auswahl von Themen und einer an Zielgruppen
angepasste Sprache erzeugen kommerzielle Medien eigenen Interessen
dienende Aufmerksamkeit. Zusätzlich oder alternativ sind Medien oft
politisch oder
weltanschaulich aufgeladen, was jedoch oft hinter einem Schein von Objektivität verborgen bleibt. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Aussagen
zu Medienpolitik beziehen sich auf unseriöse Medienberichte. Diese
bilden ein nicht zu verhinderndes Übel, aber im Vergleich zu Zensur sind sie das
kleinere Übel. Ein weit gesteckter
Rahmen des Rechts auf Meinungsfreiheit schützt auch unseriöse und
tendenziöse Medien, solange Grenzen von Legalität nicht überschritten
werden. Erfreulicherweise existieren neben unseriösen Medien auch
solche, die gemäß Prinzipien journalistischer Ethik und Redlichkeit
berichten. Diese Berichte werden von Sensationsmedien oft übertönt, was
aber letztlich Rezipienten vorzuwerfen ist, die Information aus
Sensationsmedien bevorzugen. Selbst
wenn Medien seriös und empirisch objektiv berichten, bedeutet das
nicht, dass sie Meinungsbilder von Menschen verändern. Meinungsbilder entstehen und
verfestigen sich über
längere Zeiträume weitgehend unbewusst unter Einflüssen
neurobiologischer Regulationssysteme, die der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank"><i>Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</i></a> betrachtet. </div></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In
Kapitel 3.4 zitierte Sozialindikatoren dokumentieren im Unterschied zu Medienberichten und individuellen Einzelwahrnehmungen keine
zunehmenden sozialen und politischen Probleme in Deutschland, sondern
im Gegenteil
deren allmählichen Abbau. </div></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4.3.2 Bürokratie und bürokratisches Denken in Behörden<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Demokratisch
verfasste Kulturen sind von einer Denkweise geprägt, die
von der Gleichheit aller Menschen ausgeht und individuelle Freiheiten
bzw. Autonomie von Menschen zum Programm macht. Regierungsformen, in
denen alle Macht
vom Volk ausgeht und Regierungsvollmachten nur temporär verliehen
werden, sind nur dann vertrauenswürdig, wenn Interaktionen zwischen
politisch
Verantwortlichen und der Bevölkerung auf Augenhöhe in flachen
Strukturen gestaltet sind. Gewaltenteilung, Kontrolle der Öffentlichkeit und Optionen der Abwahl zwingen Vertreter von Regierungen zur Einhaltung von Konventionen. Die Umsetzung
dieser Idee gelingt in der Praxis nicht immer, aber im
Großen und Ganzen ist diese Regelung wirksam. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Behördendenken
und Behördensprache sind in Zeiten entstanden, in denen
Gesellschaftssysteme als hierarchisch strukturierte Machtordnungen
organisiert waren, in denen Anführer über Untertanen herrschten. Große
Organisationen sind trotz allmählicher Veränderung von
Unternehmenskulturen nach wie vor streng hierarchisch strukturiert und
verteilen von oben nach unten abnehmende Vollmachten. Der Begriff
'Vollmacht' bringt zum Ausdruck, dass Machtverteilungen über Hierarchien
stattfinden. Gesetzlich verankerte Unternehmensmitbestimmung und
Personalvertretung sowie das Arbeitsrecht dienen Mitarbeitern als
schwächerem Vertragspartner von Arbeitsverhältnissen zum Schutz vor
Machtmissbrauch. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jede
Rechtsnorm beinhaltet Spielräume ihrer Auslegung. Im Wettbewerb
konkurrierende Unternehmen betrachten Mitarbeiter als ihre wichtigste
Ressource und behandeln Mitarbeiter daher pfleglich. Behörden stehen als
Monopolbetriebe in keinem Wettbewerb, was nicht nur im Interesse von
Mitarbeitern zahlreiche Nachteile bedingt, die im Rahmen der Thematik
dieses Posts lediglich erwähnt werden können. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Größere
Organisationen öffentlicher Einrichtungen sind nach wie vor streng
hierarchisch organisiert, d.h. Mitarbeiter von Behörden sind in
hierarchische
Strukturen eingebunden. Nach außen sind diese Mitarbeiter in Richtung
Bürgern zu kunden- und serviceorientiertem Verhalten angehalten. Das
bedeutet: Mitarbeiterrollen sind widersprüchlich ausgestattet.
Ineffiziente
Organisationsstrukturen, hohe Arbeitslasten, schlechte Bezahlungen,
stagnierende Laufbahnen und fehlende Leistungsanreize schwächen die
Arbeitsmotivation zusätzlich. Europäische Vergleiche zeigen, dass die deutsche Bürokratie schlecht aufgestell ist. - Artikel der FAZ vom 15.05.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schneller-schlau/buerokratie-kostet-die-deutschen-viel-geld-18882790.html" target="_blank">Bürokratie kostet die Deutschen viel Geld </a><br /><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;">Mitarbeiter
von Unternehmen und Behörden sind
Menschen, die wie alle Menschen unter dem Einfluss ihrer
Arbeitsbedingungen sowie unter Einfluss zahlreicher soziokultureller
Vorurteile denken und handeln. Trotz aller Bemühungen eines
Kulturwandels in Richtung Kundenorientierung manifestiert sich in
Behörden bereits gegenüber nativen Deutschen mitunter eine von
Ausstattung mit Macht beeinflusste Denkweise.
Dass sich diese Art des Denkens gegenüber Migranten noch stärker
auswirkt, ist zu erwarten. Behörden ist es bislang nur ansatzweise
gelungen, Inkonsistenzen im Sinne der Programmatik demokratisch
verfasster Staaten aufzulösen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kunden
der Post oder der Deutschen Bahn nehmen in der Kommunikation mit
Mitarbeitern durchaus einen Kulturwandel wahr. Kunden des Finanzamtes,
Arbeitsamtes, Sozialamtes oder anderer Ämter erfahren diesen
Kulturwandel oft weniger deutlich oder sie vermissen ihn. Eine
besonders unverständliche Peinlichkeit ist der von Umes beschriebene
Akt seiner seitens der Behörde völlig emotionsfrei und rein formell
vollzogenen Einbürgerung. Aus
eigener Erfahrung wissen wir, dass Mitarbeiter von Behörden mitunter
antiquierte Umgangsformen praktizieren. Eine
Beförderung in der Beamtenlaufbahn der eigenen Ehefrau wurde noch
deutlich liebloser und unwürdiger vollzogen.
Allerdings ging es hier nur um eine Beförderung und nicht um eine
Einbürgerung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine
weitere Hürde entsteht durch juristisch verklausulierte und historisch
antiquierte Behördensprache, die gegenüber Alltagssprache nicht nur
fremdartig, sondern auch unverständlich ausfällt, daher
erklärungsbedürftig ist und zwangsläufig Distanz vermittelt, die seitens
Mitarbeitern von Behörden vermutlich gar nicht beabsichtigt ist. Viel
beklagte Sprache von Behörden ist und
bleibt ein großes und offensichtlich bisher nicht eliminierbares
Ärgernis, mit
dem wir uns nie abfinden werden und auch nicht abfinden sollten. Diese
Art der Sprache resultiert aus historisch überkommenen Strukturen, in
denen Bürger als Untertanen, Bittsteller oder Befehlsempfänger behandelt
wurden. Diese Strukturen bestehen längst nicht mehr, aber in der
Verkehrssprache von Behörden sind sie konserviert.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Sprache
nimmt Einfluss auf das Denken. Als Folge der Verkehrssprache sind
Rollen der Mitarbeiter von Behörden mit tradierten Sprachregelungen
verwachsen. Bürger und Mitarbeiter sind
gleichermaßen Leidtragende, aber längst nicht in dem Maße wie Migranten,
die der Sprache nicht mächtig sind, Amtsprozesse nicht verstehen,
erforderliche Unterlagen nicht oder nur unvollständig beibringen können,
mehr oder weniger
traumatisiert sind und unter Qualen von Zukunftsängsten leiden. </div> <br /></div><div style="text-align: left;">In Privatgesprächen mit jüngeren Beamten wird deutlich, dass sie als Menschen nicht so
denken, wie es ihnen Amtshandlungen mit historisch geprägten
Denk- und Sprachtraditionen als Mitarbeiter von Behörden auferlegen. Solange Behörden nicht gelingt, ihre internen Strukturen und ihre Sprachgewohnheiten zeitgemäß anpassen, bleibt Kulturwandel von Behörden in Startlöchern stecken. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4.3.3 Integrationswille von Migranten</b></div><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Ein Eintrag in Wikipedia zitiert ein als Spiegel+-Artikel veröffentlichtes Interview vom 9.04.2022, in dem <a href="https://www.wikiwand.com/de/Umeswaran_Arunagirinathan" target="_blank">Umeswaran Arunagirinathan</a> die Haltung vieler Migranten kritisiert:<br /><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">"<i>Arunagirinathan
zufolge nehmen viele Immigranten eine Erwartungs- und Empfängerhaltung
ein; sie „wollen in erster Linie profitieren, sich aber nicht
integrieren“. Er verwies unter anderem darauf, dass er häufig erlebe,
dass Zugezogene auch nach vielen Jahren kaum Deutsch sprechen können,
weil sie „nur die Fernsehsender in ihrer Muttersprache“ schauen, „nur
bei Landsleuten“ einkaufen und keine deutschen Freunde haben, „sondern
nur mit ihresgleichen verkehren“.</i>" <br /></div><br /></div><div style="text-align: left;">Moderater äußert sich der Autor in einem Interview vom 14.04.2022 (<a href="https://taz.de/Autor-ueber-Rassismus-und-Integration/!5844872/" target="_blank">"Ich sehe meine Farbe nicht"</a>): <br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Ich
erwarte, dass die Ankommenden den Schlüssel nehmen, der ihnen hier
gereicht wird. Konkret heißt das, dass sie die Möglichkeiten für
Integration in Anspruch nehmen sollten: Sprachförderung, Schule, Arbeit.
Wenn sich jemand wehrt, bin ich kritisch." </i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i><br /></i></div><div style="text-align: left;">Konkret formuliert Umes seine Erwartung im Buch<i> Grundfarbe Deutsch</i> auf der Seite 168: <br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Migration bedeutet, mit dem zu brechen, woher man kommt. Ob man will oder nicht."</i> <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">In
ähnlicher Art kritisiert Umes die aus seiner Sicht unzureichenden
Integrationsbemühungen seiner ebenfalls emigrierten Geschwister, die
erheblich stärker als er an kulturellen Gewohnheiten festhalten. Diese
Beobachtungen besagen nichts über Ursachen ähnlicher oder
unterschiedlicher Verhaltensweisen bzw. individueller motivationaler
Strukturen. Gemäß Schwimmer-Metapher in Kapitel 1.5 haben Migranten auf
der Suche nach einem besseren Leben Schwimmen
gelernt und konnten daher ihr Land verlassen. Während Umes sich zu einem exzellenten Schwimmer entwickelt
hat, bleiben die meisten Migranten in den beiden ersten Generationen
schlechte Schwimmer und sind darüber sicherlich nicht glücklich.
Erklärungsbedürftig ist daher die Frage, weshalb einzelne Migranten zu
guten Schwimmern werden und Schwimmfähigkeiten der meisten Migranten
sich nur wenig bzw. langsam entwicklen. </div></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Auf Persönlichkeitsstrukturen verweisende Erklärungen sind zu kurz gesprungen. Umes
ist ein Einzelfall, dessen Entwicklung in der Tat beeindruckt. Er
selbst scheint sich als ein Vorbild zu sehen. Helden werden jedoch nicht
geboren und machen sich nicht selbst. Helden werden geschmiedet, d.h. sie entstehen durch Einwirkungen von
außen. Dass sich
Umes anders als die meisten Migranten entwickelt hat, ist eine Folge individueller Randbedingungen seiner Migration unter dem Einfluss
kontingenter Ereignisse. Nicht planbare kontingente Ereignisse (Zufälle)
können Erfahrungen erzeugen, die positiv oder negativ <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verst%C3%A4rkung_(Psychologie)" target="_blank">verstärkend</a>
auf Verhalten einwirken. Bürgerkrieg in Sri Lanka sowie Erkrankung und
Tod der ältesten Schwester zählen zu negativ verstärkenden Erfahrungen.
Umes berichtet aber auch von positiv verstärkenden Erfahrungen. Aktivitäten als Unterstützter der Familie in Sri Lanka und eine erfolgreiche Flucht vermitteln Selbstvertrauen und stärken Resilienz. In Deutschland besucht Umes eine Schule mit außergewöhnlich engagierten Lehrern. Die Saat ermöglicht eigene Schulerfolge, sportliche Erfolge, soziale Anerkennung.<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Schon
im Heimatland wurde Umes als ältestem Sohn Verantwortung übertragen,
die eine frühe persönliche Reife und Selbständigkeit des Jungen
bewirkten. Wie alle großen Religionen ist der Hinduismus patriarchalisch
ausgerichtet. Der älteste Sohn gilt als Wiedergeburt des Vaters.<br /></li><li>Als
unbegleitetes Flüchtlingskind und als Fremdling in der Familie des
Onkels fehlen Schutzräume der eigenen Herkunftskultur. Die Annahme
deutscher Kultur war daher alternativlos. Unter diesen Bedingungen
erfolgte eine 'Umprogrammierung' der Persönlichkeit, die das Selbstbild
deutscher Identität ausprägte. </li><li>Motivation benötigt Ziele.
Kulturell determinierte familiäre Verpflichtungen und der Auftrag der
Mutter, Arzt zu werden bilden verbindliche Zielvorgaben.<br /></li><li>Kulturelle
Konflikte zwischen Tamilen und Singhalesen sowie Bürgerkrieg und
Lebensbedingungen Sri Lanka verhindern Identifikation mit Sri Lanka als
Heimat. Mit der Migration der Geschwister lösen sich familiäre
Strukturen als potentieller Rückzugsraum auf und nimmt die
Verbindlichkeit hinduistischer Rollenmuster ab.</li><li>Soziale Anerkennung, die Menschen aufgrund eigener Leistungen erfahren,
verstärken generell die Leistungsmotivation. Umes durch Leistung und
Engagement außerhalb der Onkel-Familie erfahrene Anerkennung erleichtert
die Distanzierung von hinduistischen Rollenmustern und verstärkt emotional verspürte deutsche Identität. </li><li>Verstärkung erfährt das Selbstbild durch die Bewusstwerdung eigener Homosexualität, die in
Deutschland ein weitgehend 'normales' Leben gestattet, das nicht von religiös
und/oder patriarchalisch legitimierten kulturellen Rollenvorschriften eingeschränkt ist. <br /></li><li><div style="text-align: left;">Dass sich Lebensbedingungen in Sri Lanka seit dem Ende des <a href="https://www.wikiwand.com/de/B%C3%BCrgerkrieg_in_Sri_Lanka" target="_blank">Bürgerkrieges</a> im Jahr 2009 nicht verbessert, sondern verschlechtert haben, erzeugt zusätzlich emotionale Distanz:<br /></div></li><ul><li>Laut <a href="https://www.wikiwand.com/de/Demokratieindex" target="_blank">Demokratieindex</a>
gilt Sri Lanka als unvollständige Demokratie und liegt im Ranking des
Jahres 2022 mit 6,47 Punkten auf Rang 60 und damit noch unterhalb von
Werten, die zu Zeiten des Bürgerkriegs erhoben wurden. </li><li>Im Jahr 2022 liegt Sri Lanka im <a href="https://www.wikiwand.com/de/World_Happiness_Report" target="_blank">World Happiness Report</a>
mit 4.327 von max. 10.000 Punkten unter 153 Ländern auf Rang 130. 2017
lag Sri Lanka mit 4.440 Punkten auf Rang 120 von 155 Ländern. </li></ul></ul></div><div style="text-align: left;">Umes postuliert: <i>"Migration bedeutet, mit dem zu brechen, woher man kommt. Ob man will oder nicht."</i> (<i>Grundfarbe Deutsch</i>, S. 168). Er erwartet (oder verlangt?), dass Migration einen Austausch kultureller Werte
der Herkunft gegen kulturelle Werte des Ziellandes vollzieht. Selbst dem Autor gelingt die
Umsetzung des eigenen Anspruchs in der Realität nur
unvollständig. Auch nach der Migration dominieren in familiären
Kontexten tamilisch-hinduistische kulturelle Werte und aus ihnen
resultierende traditionelle Verpflichtungen:<ul style="text-align: left;"><li>In Deutschland lebte Umes lange Zeit außerordentlich bescheiden, weil er seine Familie finanziell unterstützte und noch immer unterstützt.<br /></li><li>Er bezahlt anlässlich der Heirat seiner Schwestern
Teile der Mitgift.</li><li>Als ältester Sohn entzündet er nach dem Tod des
Vaters das Feuer der Verbrennung seines Leichnams gemäß hinduistischer Tradition. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Umes
hat in Deutschland keine Chance, kohäsive Bedürfnisse in Enklaven
eigener Kultur zu befriedigen. Daher musste er zwangsläufig mit Menschen
anderer Kulturen kooperieren und mit ihnen emotionale Bindungen eingehen. Ein
Großteil der Migranten hätte zwar die gleiche Chance, aber Kosten dieser
Bemühungen wären deutlich höher als in relativ homogenen Gruppierungen
der gleichen Kultur. Daher ist rational nachvollziehbar, wenn Migranten
bevorzugt unter sich bleiben und es andererseits Umes gelungen ist, hinduistisch
geprägte Kulturmuster seiner Persönlichkeit abzuspalten und sein Selbst
an Kulturmustern deutscher Kultur neu auszurichten. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der in Harvard lehrende kanadische Anthropologe und Pychologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Henrich" target="_blank">Joseph Henrich</a> macht in seiner jüngsten Veröffentlichung(*) auf kulturell bedingte unvereinbare Unterschiede der <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/stereotype/14836" target="_blank">Sterotype</a> in Denkweisen von Menschen aufmerksam, deren Sozialisierung in westeuropäischen Kulturräumen oder außerhalb von ihnen stattfindet. (Die Essenz der Argumente fasst eine Rezension von Günter Renz zusammen: J<a href="https://ethik-und-anthropologie.de/2022/07/23/joseph-henrich/" target="_blank">oseph Henrich: Die seltsamsten Menschen der Welt</a>) Diese Unterschiede machen einerseits verständlich, weshalb Migranten gewöhnlich ein 'Umschalten' ihres Denkens nicht, aber andererseits Umes für Umes das 'Umschalten' seines Denkens alternativlos war. Aber vollständig kommt auch Umes aus kulturellen Rollen nicht heraus. Im
dominierenden Alltagsleben ist Umes Deutscher. In Ausnahmesituationen
des familiären Kontextes ist Umes Tamile. Diese Aufspaltung geschieht
weitgehend unbewusst und verschont das Selbst im Alltagsleben vor
kulturellen Konflikten. Bildlich gesprochen integriert Umes zwei
widersprüchliche
Persönlichkeiten, die sich aber nicht überlagern oder miteinander
konkurrieren, weil sie kontextbezogen trennbar sind. </div><div style="text-align: left;">(*) <i>Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie die Menschen reichlich sonderbar und besonders reich wurden</i>. Berlin 2022 (Original: <i>The WEIRDest People in the World: How the West Became Psychologically Peculiar and Particularly Prosperous.</i> Farrar, Straus and Giroux, 2020)</div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;">Um
unbewusst wirksame Mechanismen kultureller Verknüpfungen und
unterschiedliche biographische Entwicklungslinien zu verstehen, ist über
Alltagswissen hinausreichendes Wissen über komplexe abstrakte
Zusammenhänge erforderlich. Der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/04/jeder-mensch-erfindet-sich-fruher-oder.html" target="_blank"><i>Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält</i> </a>erklärt modellhaft, wie
Biographien als konkrete individuelle Ausprägungen universaler komplexer
biologischer Mechanismen in Wechselwirkungen mit sozialen Kontexten und
kontingenten Ereignissen zustandekommen und mehr oder weniger stark
variierende Persönlichkeitsstrukturen ausprägen. <br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><b>4.3.4 </b><b>Auswirkungen von Migrantenpolitik auf individuelle Happiness</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;">Umes
Aufenthalt war über etliche Jahre nur für jeweils kurze Zeiträume
geduldet, die ständig verlängert werden mussten
und Restriktionen auferlegten. In diesem Zeitraum war Umes
ständig von Abschiebung bedroht. Nach 6 Jahren Schulzeit entschied ein Oberlandesgericht die <i>endgültige Ablehnung des Asylantrages</i>, was
bedeutete, dass Umes innerhalb von 30 Tagen das Land zu verlassen hatte.
Eine Einreichung beim Petitionsausschuss und breite Unterstützung bewirkten schließlich eine
Sonderduldung bis zum Abitur.<div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ohne
Bürgschaft, die einer der Lehrer mit allen Risiken übernahm, wäre ein
Studium nicht möglich geworden. Auf Umwegen konnte mit Tricks eine
erweiterte Aufenthaltsmöglichkeit realisiert werden. Informationen
zur Einfädelung dieser Möglichkeit kamen von wohlwollenden Mitarbeitern
der Bürokratie, die mit offiziellen Regelungen nicht konform gingen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Als
Student mit geduldetem Aufenthalt musste Umes sich selbst finanzieren,
weil die Familie nichts beitragen konnte und er selbst keinen Anspruch
auf Fördermittel hatte. Verständlich ist diese Regelung nicht. Aus
öffentlichen Mitteln finanzierte durchschnittliche <a href="https://www.jobmensa.de/study/kosten-fr-deinen-studienplatz-so-viel-zahlt-deine-uni-fr-dich" target="_blank">Kosten eines Studienplatzes für Medizin lagen 2013 bei 31.000 € pro Jahr</a>.
Umes brauchte 2 Jahre länger als üblich, d.h. es entstanden über 2
Jahre zusätzliche
Studienplatzkosten von ca. 60.000 €. 500 € BAföG pro Monat hätten 6.000 €
pro Jahr und hätten über die Regelstudienzeit von 6 Jahren 36.000 €
gekostet. Bei kalkulatorischer Berücksichtigung des Einflusses von
längerer Studienzeit und kürzerer Lebensarbeitszeit auf den BIP, wäre
die Differenz deutlich größer als 24.000 €. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">An
der Rechtskonformität der Verfahren bestehen keine Zweifel.
Fragwürdigkeiten bereiten rational und ethisch kaum nachvollziehbare
Rechtsnormen, die wie Naturgesetze hingenommen und gehandhabt werden.
Politische Entscheidungen kommen offensichtlich nicht als wirtschaftlich
rationale Entscheidungen zustande. Rationalität politischer
Entscheidungen stellt sich in der Außenbetrachtung oft intransparent
dar.
Möglicherweise sind sie auch intransparent, weil rationale
Entscheidungen nicht möglich sind, wenn Entscheidungsparameter komplexer
politischer Themenfelder nicht auflösbar sind. Migrantenpolitik zählt
zu diesen Themenfeldern, an denen alle <a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20244/oeffentliche-gueter/" target="_blank">öffentlichen Güter</a> kranken (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96ffentliches_Gut" target="_blank">Öffentliche Güter</a>). </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>4.3.5 </b><b>Migrantenpolitik auf politischer Kollektivebene </b></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Es
gibt reichere Länder als Deutschland, aber im internationalen Vergleich
zählt Deutschland zu global reichen Ländern. Das bedeutet nicht, dass
alle Menschen in Deutschland reich sind. Vermögen sind ungleich verteilt
(<a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/516505/armut-in-deutschland-waechst/" target="_blank">BPB: Armut in Deutschland wächst</a>):<div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> 1 % der reichsten Deutschen besitzt 18 % der gesamten Vermögen. </li><li>Das obere Zehntel der reichsten Deutschen verfügt über 56,1 % der Vermögen.</li><li>Ca. 1/3 aller Haushalte hat keine Rücklagen.</li></ul></div></div><div style="text-align: left;">Lt. <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/244865/umfrage/von-armut-oder-sozialer-ausgrenzung-betroffene-bevoelkerung-in-deutschland/" target="_blank">Zahlen von Statista</a>
leben 20,7 % aller Menschen in Deutschland 2021 in prekären
Lebensverhältnissen, weil sie von Altersarmut oder sozialer Ausgrenzung
betroffen sind. Viele dieser Menschen sind erkrankt, leben in beengten
oder unwürdigen Wohnverhältnissen und haben keine Perspektive auf eine
bessere Zukunft. Von der gesamten Gemeinschaft zu tragende Lasten sind
immens und wirken sich negativ auf Sozialleistungen und auf Leistungen
der Versorgung mit öffentlichen Gütern aus:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Kosten des Gesundheitssystems explodieren. </li><li>Rücklagen des Rentensystems erodieren. </li><li>Die meisten Behörden sind personell unterbesetzt und erbringen Dienstleistungen oft nur unbefriedigend. </li><li>Für Kindertagesstätten, Bildungseinrichtungen, Verkehrsinfrastruktur etc. fehlen Haushaltsmittel. </li></ul></div><div style="text-align: left;">In defizitären Kollektivgütern verbergen sich <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosten_der_deutschen_Einheit" target="_blank">Kosten der Wiedervereinigung</a>.
Soziale Lasten und ökonomische Kosten der Wiedervereinigung sind längst
nicht abgetragen und belasten das Zusammenleben in Deutschland.
Forderungen nach mehr sozialer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerechtigkeit" target="_blank">Gerechtigkeit</a> sind absolut verständlich, aber auch naiv, weil sie i.d.R. übersehen, dass </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Gerechtigkeit nicht als individuelles Wunschkonzert realisierbar ist, </li><li>die Definition von Gerechtigkeit unlösbare Probleme stellt,</li><li>Gerechtigkeit als politische Programmatik mit Kontrolle einhergeht und Kontrolle individuelle Freiheiten beschneidet,</li><li>Gerechtigkeit
als Ziel politischer Gestaltung zwangsläufig unvollständig bleibt, wenn
individuelle Freiheiten gemäß Menschenrechte garantiert werden und
Kontrolle sich auf Verletzungen von Rechtsnormen beschränkt. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Trotz
aller Klagen ist ein Leben in Deutschland lebenswerter als in vielen
anderen Ländern, weshalb Deutschland für zahlreiche Migranten ein Zielland ist. Migranten besitzen bei ihrer Einreise meistens nur
das, was sie am Körper tragen, sind i.d.R. völlig vermögenslos, oft
bei kriminellen Schleppern verschuldet, haben keine
Unterkunft, keine Arbeit, keine Sozialversicherung, sind oftmals
krank, verletzt, traumatisiert. Aus Migrantensicht gilt vermutlich
ein erheblicher Anteil der 20,7 % in prekären Verhältnissen lebenden
Menschen als reich.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
meisten Migranten sind der deutschen Sprache nicht mächtig. Viele unter
ihnen haben ein niedriges Bildungsniveau. Deutsche Kultur und Lebensart
ist für zahlreiche Migranten nicht nur fremdartig, sondern gemäß
internalisierter Werte und Normen verabscheuungswürdig. Trotzdem möchten
sie in Deutschland leben, weil das Herkunftsland ein menschenwürdiges
Leben unmöglich macht, während ein Leben in Deutschland weit bessere
Perspektiven bietet und eigene Communities das soziale Leben erträglich
gestalten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zu
Zahlen einreisender Flüchtlinge sind keine belastbaren Daten zu finden.
Fehlende Grenzkontrollen verhindern Registrierungen. Längst nicht alle
Flüchtlinge wollen dauerhaft in Deutschland leben und bleiben nur
temporär. Personen, die keinen Anspruch auf Asyl haben und vor allem aus
wirtschaftlichen Gründen einreisen, lassen sich gar nicht erst
registrieren und werden in Schattenwirtschaften tätig, die Probleme
eigener Art schaffen. Abgrenzungen von Wirtschaftsflüchtlingen und
Flüchtlingen aus humanitären Gründen sind schwierig. Motive dürften sich
oft vermischen. Dunkelziffern von Flüchtlingen sind unbekannt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Belastbare Daten beziehen sich auf Personen mit Migrationshintergrund und auf Asylanträge: <br /></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>2021
hatten 22,3 Millionen Einwohner (27,2 %) einen Migrationshintergrund,
d.h. sie selbst oder mindestens einer der Eltern sind nicht in
Deutschland geboren. (Statistisches Bundesamt: <a href="https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_162_125.html" target="_blank">Gut jede vierte Person in Deutschland hatte 2021 einen Migrationshintergrund</a>)</li><li>Aktuell leben in Deutschland ca. 3 Millionen Schutzsuchende: FAZ 30.03.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/zahl-der-fluechtlinge-2022-sprunghaft-angestiegen-18788929.html" target="_blank">Gut eine Millionen Flüchtlinge mehr - von einem Jahr aufs nächste</a> <br /></li><li>Lt. einer Veröffentlichung der <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fluechtlinge-recht-auf-asyl-ist-nicht-mehr-unumstritten-18767701.html" target="_blank">FAZ vom 23.03.2023</a>
wurden 2022 in Deutschland fast 1,3 Millionen Flüchtlinge registriert,
darunter 1.045.000 aus der Ukraine. <br /></li><li>Eine <a href="https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-februar-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=3" target="_blank">Statistik des Bundeamtes für Migration und Flüchtlinge aus Februar 2023</a> dokumentiert auf den Seiten 5-17 Entwicklungen der jährlichen Asylantragszahlen:</li><ul><li>2022: 244.132 <br /></li><li>2021: 190.816<br /></li><li>2020: 122.170<br /></li><li>2019: 165.938<br /></li><li>2018: 185.853<br /></li><li>2017: 222.683<br /></li><li>2016: 745.545<br /></li><li>2015: 476.649</li></ul><li>2023 werden für Deutschland 350.000 Flüchtlinge und Migranten
vorhergesagt, von denen die meisten voraussichtlich bleiben wollen. Im Unterschied zu
anderen Ländern erwägt die deutsche Regierung aktuell aus humanitären
Gründen keine harten Einschränkungen (FAZ, 30.04.2023: <i>Deutsche
Asylpolitik: Auf dem Sonderweg zur Migration</i>). Wie absehbare Konflikte gelöst werden können, ist eine noch unbeantwortete Frage.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Unter
Migrationsbedingungen provoziert das Aufeinandertreffen von Kulturen
unvermeidbare Clashs, die beide Seiten treffen und individuell nicht
lösbare Probleme erzeugen, die in die Zuständigkeit von Politik fallen.
Ein Eintrag in Wikipedia zitiert ein als Spiegel+-Artikel
veröffentlichtes Interview vom 9.04.2022, in dem <a href="https://www.wikiwand.com/de/Umeswaran_Arunagirinathan" target="_blank">Umeswaran Arunagirinathan</a> deutsche Migrantenpolitik kritisiert und der Politik vorwirft, Migranten
zu erlauben, sich in Parallelgesellschaften in Deutschland
einzurichten, sodass diese „<i>eigentlich nie richtig angekommen</i>“
seien. Deutsche Gesetze gestatten keine Clan-Kriminalität, keine Gewalt-
oder Unrechtverherrlichung und auch nicht deren Darstellung in Medien.
Zitierte Kritik an deutscher Migrantenpolitik scheint jedoch zu
übersehen, dass sich Deutschland im Unterschied zu Ländern, aus denen
Migranten flüchten, rechtsverbindlich zur Einhaltung universaler <a href="https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf" target="_blank">Menschenrechte</a> bekennt. Artikel 18-20 lauten:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i>Artikel 18<br />Jeder
hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses
Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine
Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder
seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich
oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu
bekennen.</i></li><li><i>Artikel 19<br />Jeder hat das Recht auf
Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die
Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder
Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu
suchen, zu empfangen und zu verbreiten.</i></li><li><i>Artikel 20<br />1. Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.<br />2. Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.</i></li></ul>Migrationsproblematik
ist nicht nur ein hoch komplexes und sensibles politisches Themenfeld, sondern auch
ein unbeherrschbares politisches Minenfeld, das mit schlichten Aussagen
über politische Willensbildung nicht angemessen zu beschreiben ist.
Migrantenpolitik reagiert mit Krisenpolitik auf von globalen
Epizentren ausgelösten Ketten nicht planbarer, horizontal und
vertikal ausbreitender politischer Schockwellen, die in einer Reihe europäischer Länder
zusammenlaufen. Zielländer der EU sind globaler Migrationsproblematik
ohne positiver Gestaltungsmöglichkeit ausgeliefert und gezwungen, Krisen und Risiken einer unbeherrschbaren
Problematik mit unzulänglichen politischen Mitteln ohne Chance auf
Kontrollierbarkeit soweit einzugrenzen, dass politisch zu verantwortende
Räume nicht von Konflikten dieser Problematik zerrissen werden. Schuldfragen sind nicht mit persönlicher Verantwortlichkeit zu klären, sondern in ursächlich in strukturellen Zusammenhängen zu suchen, die weit in die Historie zurückreichen und die Gegenwart mit Problemen belasten, aus der kein Königsweg herausführt.<br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><p></p></div><div style="text-align: left;"><b>5 Welche Sorgen bereitet Leben global? </b><br /><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><b>5.1 Migrantenpolitik in globaler Betrachtung </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">In
diesem Kapitel geht es nicht darum, eine bestimmte Politik zu
rechtfertigen oder zu kritisieren oder vor Kritik in Schutz zu nehmen.
Es geht hier ausschließlich um Angemessenheit von Argumenten und um <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fairness" target="_blank">Fairness</a>.
Wer einen praktikablen Vorschlag auf die Frage anbieten kann, ob und
ggf. wie politische Willensbildung fair beurteilt werden kann, wenn
Komplexität und Chaos empirischer Sachverhalte auf komplexe oder
chaotische Anforderungen von Interessenlagen treffen und Komplexität
dieses Zusammenhangs jede geordnete Planbarkeit zur Unmöglichkeit
degradiert, hat mehrere Nobelpreise verdient. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In
China, Nordkorea und vielen anderen Ländern entstehen Fragen dieser Art
nicht, weil Autokraten und politische Kader vermeintliche universale
Wahrheiten verkünden, keine kritischen Zweifel zulassen und skeptisches
Denken, Meinungsfreiheit, Toleranz gegenüber von der offiziellen Linie
abweichenden Auffassungen brutal unterdrücken und unbequem denkende
Minderheiten als Terroristen bis hin zur Todesstrafe verurteilen. Das
sind jene Länder, aus denen Migranten flüchten und in wirtschaftlich
stabile Länder streben, in denen nicht nur Zweifel und Konfusion erlaubt
sind, sondern Meinungsfreiheit und Toleranz als kulturelle Werte
gelten. Nach ihrer Ankunft bemerken Migranten, dass sie sich ein
anderes Paradies vorgestellt haben und pluralistische Kultur mentale
Anforderungen stellt, denen sie nicht gewachsen sind. Wo liegen die
Fehler? Wer Fehler zu identifizieren vermag und praktikable Vorschläge
zu ihrer Beseitigung unterbreiten kann, sollte den Friedensnobelpreis erhalten. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Politische
Entscheidungen beruhen prinzipiell auf Kompromissen, die zwischen
partikular zersplitterten sozialen, ökonomischen, ökologischen,
ethischen Interessen von Mehrheiten, Minderheiten, Unternehmen,
Organisationen, Gemeinden, Städten, Kreisen, Ländern, Staaten, EU und
internationalen Bündnissen sowie global einen gemeinsamen Nenner
finden müssen, um nicht zuletzt auch Regierungsmandate zu rechtfertigen
und nicht zu verlieren. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Politische
Entscheidungen zur Migrantenpolitik bleiben unter genannten Bedingungen
immer angreifbar und sind nicht frei von Fehlentscheidungen und
Menschenrechtsverletzungen. Die föderale Struktur Deutschlands macht die
Aufgabe nicht einfacher. Medienberichte und zahlreiche
Veröffentlichungen machen Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit dieser
Problematik bekannt. Themenbezogene Zweifel an politischer Kompetenz und
an ethisch verantwortbarer politischer Willensbildung sind oft
verständlich und nachvollziehbar. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Auf strukturelle Probleme sozialer Institutionen und ihrer Prozesse macht das Kapitel 4.3 aufmerksam. Inhaltlich ist es jedoch im Rahmen dieses Posts nicht möglich, der komplexen Thematik politischer Willensbildung und Entscheidungen gerecht zu werden, weshalb Kapitel 5.1 mit einer Liste von Quellen vertiefender Informationen endet:</div><ul style="text-align: left;"><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Internationale%20Organisation%20f%C3%BCr%20Migration" target="_blank">Internationale Organisation für Migration</a> (IOM)</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verordnung_(EU)_Nr._604/2013_(Dublin_III)" target="_blank">Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III)</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Illegale%20Einwanderung%20und%20illegaler%20Aufenthalt" target="_blank">Illegale Einwanderer und illegaler Aufenthalt </a><br /></li><li>MIPEX: <br /></li><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Migrant_Integration_Policy_Index" target="_blank">Migrant Integration Policy Index (MIPEX)</a> (deutsch) <br /></li><li>Migrant Policy Group: <a href="https://www.migpolgroup.com/_old/diversity-integration/migrant-integration-policy-index/" target="_blank">Migrant Integration Policy Index</a> (englisch) </li><li>MIPEX-Portal: <a href="https://www.mipex.eu/key-findings" target="_blank">Migrant Integration Policy Index 2020: Main Findings</a> (englisch)</li><li>MIPEX-Portal: <a href="https://www.mipex.eu/germany" target="_blank">Migrant Integration Policy Index 2020: Germany</a> (englisch)</li><li>Pressemitteilung Mediendienst 10.06.2015: <a href="https://mediendienst-integration.de/artikel/deutschland-rueckt-mit-seiner-integrationspolitik-in-die-top-ten.html" target="_blank">Deutschlands Integrationspolitik rückt in die "Top Ten"</a></li></ul></ul></div><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.2 Dynamik, Stabilität, Trägheit, Intransparenz von Strukturen und Prozessen in Institutionen und formalen Organisationen </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Institutionen und formale Organisationen sind auf zeitliche Dauerhaftigkeit gestellte Einrichtungen. Nutzen der Persistenz ihrer Strukturen und Prozesse resultiert aus fixierten Handlungsmustern, die Verhaltenssicherheit herstellen, Prozesse beschleunigen und Stabilität verleihen. Mit Persistenz
von Strukturen geht zugleich der konstruktionsbedingte Nachteil von
Beharrlichkeit und Selbstgenügsamkeit einher, die Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen einschränken. Daher reagieren Institutionen und formale Organisationen auf veränderte Bedingungen eher träge, mitunter auch unvollständig oder unangemessen, manchmal auch
zu spät oder gar nicht. Mit zunehmender Größe wachsen sowohl Nutzen als auch Beharrlichkeit und Selbstgenügsamkeit persistenter Strukturen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Veränderungen, die in
kontinuierlichen Prozessen nachhaltige Wirksamkeit absehbar erzeugen, üben Anpassungsdruck auf Organisationen und ihrer Prozesse aus.</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> Organisationen, die unter Bedingungen von Wettbewerb agieren, sind aus Eigeninteresse darin geübt, Anpassungsdruck zu kompensieren und Selbstgenügsamkeit zu vermeiden. Märkte
und demokratisch organisierte Verfassungsstaaten funktionieren selbstregulierend, was nicht als Bewertung von Effizienz oder Qualität zu verstehen ist. Im Gegenteil muss wie in jedem komplexen System permanent nachreguliert werden, wobei sich typisch für große Systeme störende Trägheitsmomente bemerkbar machen. </li><li>Institutionen und Organisationen mit Monopolstrukturen sind geringerem Anpassungsdruck ausgesetzt und agieren daher schwerfälliger, z.B. Behörden sowie jede Art von auf weltanschaulich-fundamentalistischen Dogmen beruhenden Einrichtungen, wie planwirtschaftliche Ökonomien, politische Autokratien, religiöse Institutionen. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Wenn Fähigkeiten zur Anpassung sich als nicht ausreichend erweisen,
verlieren Organisationen ihre
Legitimation, sodass sie sich entweder auflösen oder aufgelöst werden. In dieser Situation befinden sich aktuell religiöse Institution protestantischer und katholischer Konfession (jedoch nicht in allen Ländern), aber auch andere Einrichtungen und ganze Berufsgruppen, die länger erfolgreich waren, aber als Spezialisten über keine ausreichende Anpassungsfähigkeit verfügen (z.B. Warenkaufhäuser, Buchläden, Laufmaschendienste, Internet-Cafés, Heißmangeln etc. oder Böttcher, Hufschmiede, Hutmacher, Schneider etc.) und daher verschwinden oder nur noch in kleinen Nischen überleben.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Sonderfälle bilden in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gemeingut" target="_blank">kollektiven Gütern</a> gebündelte Interessen des Gemeinwohls und deren Organisationen (z.B. Bildungseinrichtungen, Systeme sozialer Sicherung, Wohnungsbau,
Verkehrsinfrastruktur etc.), die prinzipiell unter Ineffizienz, Übernutzung und Missbrauch leiden (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Tragik_der_Allmende" target="_blank">Tragik der Allmende</a>). Diesen Sachverhalt dokumentiert eine endlose Reihe an Beispielen, u.a.:<ul style="text-align: left;"><li>Klimawandel erzwingt tiefgreifende
Veränderungen des gesamten Lebensraums, um die Erderwärmung und deren
Folgen aufzuhalten. Die Liste zielführender notwendiger Maßnahmen ist
bekannt und umfangreich. Umsetzungen erfolgen bestenfalls halbherzig
ohne erforderliche Konsequenzen und verschieben so das Problem an
nachfolgende Generationen. <br /></li><li>Ansteigende
Geburtenraten erlauben Bedarfsprognosen für benötigte Schulen und
Lehrer, ohne dass bedarfsgerechte Infrastrukturen zeitgerecht entstehen.</li><li>Demographischer
Wandel macht umfassende Veränderungen der Strukturen von
Gesundheitssystemen, der sozialen Absicherung, von Wohnverhältnissen,
von Verkehrsinfrastrukturen etc. erforderlich. Anpassungen erfolgen
überwiegend in homöopathischen Dosierungen, die bestenfalls Spitzen von
Eisbergen abschmelzen. </li><li>Kindergeldregelungen können dazu motivieren, Einkünfte aus Kindergeld zu beziehen, anstatt einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. </li><li>Sozialleistungen können dazu motivieren, diese als Basiseinkommen zu nutzen und zusätzliche Einkünfte mit Schwarzarbeit zu erzielen.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Zu berücksichtigen ist, dass politische Handlungsfähigkeit durch besondere Randbedingungen eingeschränkt oder verhindert sein kann: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Komplexität der Realität erzeugt nicht vorhersehbare kontingente Ereignissen (z.B. Kriege, Naturkatastrophen, Pandemien), die Krisen auslösen, für die keine Lösungen vorgehalten werden können und auf die oftmals auch nicht adäquat reagiert werden kann. </li><li>Kompetenzrahmen politisch Verantwortlicher beschränken sich auf Legitimationsräume, über die hinaus keine Handlungskompetenz besteht. Globale Problementwicklungen und Krisen stellen dagegen Aufgaben, die nur global lösbar sind und daher Konsens über globale Willensbildung erfordern. Aufgrund fundamental unterschiedlicher Interessenlagen ist die Herstellung von Konsens zur Lösung solcher Problemfelder in überschaubaren Zeiträumen nicht zu erwarten, weshalb eine Reihe globaler Probleme nicht lösbar sind. Die nachfolgende Liste von Problemfeldern ist sicherlich unvollständig:<br /></li><ul><li>Beachtung von Menschenrechten, </li><li>von Menschen verursachte Änderungen des Klimas,</li><li>Überbevölkerung, <br /></li><li>Verschmutzung und Überfischung der Weltmeere,</li><li>Artensterben,</li><li>Abholzung von Regenwäldern,</li><li>Vermüllung des erdnahen Weltraums,</li><li>Lichtverschmutzung,</li><li>Cyberkriminalität und Cyberterrorismus,</li><li>Verrohung und Verdummung von Menschen via elektronische Medien, <br /></li><li>usw. <br /></li></ul></ul></div></div>Kumulierungen dieser Problemfelder erhöhen globale Risikopotentiale beträchtlich und setzen unbeherrschbare Migrationsströme in Gang, die nur global lösbar wären, aber unter Bedingungen von Realpolitik nicht lösbar sind. Für politisch Verantwortliche eines Landes oder von Ländergemeinschaften sind derartige Problemfelder weder ethisch noch sozial oder ökonomisch adäquat beherrschbar. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.3 Künstliche Intelligenz: Ist Optimismus eine relevante Option?</b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Naives <i>Alltagsdenken</i> verbindet mit Innovationen <a href="https://www.wikiwand.com/de/K%C3%BCnstliche_Intelligenz" target="_blank">künstlicher Intelligenz</a>
(KI) als Fortschritt verstandene Erwartungen globaler Problemlösung.
Naiver Fortschrittsglaube ist längst als Mythos und Irrtum entlarvt
(siehe Post: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank">Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</a></i>),
weshalb KI keinen Fortschrittssegen entfalten wird, aber tiefgreifende
Veränderungen auslöst. Einige dieser Veränderungen werden nützlich oder
hilfreich sein. Ob zusätzlicher oder neuer Nutzen durch neue
Technologien entstehende Risiken zu rechtfertigen vermag, wird
unterschiedlich gesehen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">KI
beruht bisher auf Erkennen, Berechnen, Vergleichen von Mustern sowie
auf Lernfunktionen der Mustererkennung und auf Kreativfunktionen der
Mustererzeugung. Maschinelle Fähigkeiten beruhen nicht alleine auf
Algorithmen. Um hohe Qualität zu realisieren, werden riesige Datenmengen
und eine hohe maschinelle Performance benötigt. Aufgrund der
technischen Leistungsfähigkeiten aktueller maschineller Generationen
haben Maschinen bzgl. der beschriebenen Funktionen menschliche
Fähigkeiten längst überholt und werden sich weiter steigern. Erreichte
und zu erwartende Fähigkeiten können für Menschen durchaus beunruhigend
sein.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Menschen verfügen dagegen über Fähigkeiten, deren maschinelle Nachbildung noch nicht gelungen ist:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Menschen
sind in der Lage, Muster bereits mit sehr wenigen Daten zu erkennen,
wobei allerdings die Treffsicherheit von Aussagen bzw. die
Irrtumswahrscheinlichkeit von einigen Bedingungen abhängig ist. </li><li>Menschliche
Mustererkennung beruht auf Fähigkeiten der Hypothesen- und
Urteilsbildung mittels Wahrnehmung oder Vermutung kausaler Zusammenhänge
sowie auf Fähigkeiten der Identifizierung von Konsistenz und der
Bildung von Sinnkonstrukten.</li><li>Menschen verfügen über Emotionen
bzw. über selbstreflexive Bewusstseinszustände und können diese mit
Wahrnehmungen innerer und äußerer Zustände verknüpfen, um rationale
Urteile zu bilden. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">KI
ist in Wirklichkeit nicht intelligent, sondern dumm. KI verfügt über
keine Rationalität und vermag nämlich nur solche Probleme zu erkennen
und zu lösen, die als Muster angelernt wurden. KI kann sich nicht selbst
reflektieren und keine Urteile bilden. Ob und ggf. wann diese
Fähigkeiten maschinell beherrscht werden, ist unsicher, solange
menschliche Algorithmen der Urteilsbildung unverstanden bleiben.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Von
egoistischen Interessen verbreitete Fortschrittsnarrative sedieren
naives Denken. Wer ethisch denkt und seriös über Risiken nachdenkt,
sieht auf die Menschheit eine Welle globaler Bedrohungen mit bisher nur
unvollständig absehbaren Folgen zurollen. Artikel der FAZ beschreiben ein noch relativ harmloses
Experiment mit manipulierten Fotos (<i><a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ki-fotos-was-manipulierte-bilder-fuer-die-politik-bedeuten-18791867.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Alles, nur nicht die Wahrheit</a></i>), das ernst zu nehmen ist: <i><a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kuenstliche-intelligenz-gefaehrliche-deepfakes-18813881.html" target="_blank">Wie Lügenbilder die Demokratie bedrohen</a></i>. Defizite und Perspektiven von KI betrachten die FAZ-Artikel <i><a href="https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2023-04-14/wie-kuenstliche-systeme-lernen-sollten/882325.html" target="_blank">Wie künstliche Systeme lernen sollten</a></i> und <i><a href="https://zeitung.faz.net/fas/wissenschaft/2023-04-16/erdacht-oder-errechnet/882729.html" target="_blank">Radioaktive Texte</a></i>.
Um ethische Dammbrüche zu verhindern, benötigen wir Antworten auf die
Fragen, wie wir im Alltag echte von falschen Informationen unterscheiden
können und wie verhindert werden kann, dass falsche Informationen
soziales Leben manipulieren. Derzeit sind nur schwache Ideen für
praktikable Antworten erkennbar. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Menschen
sind biologische Maschinen, deren Leistungsfähigkeit sich von
technischen KI-Maschinen derzeit noch gravierend unterscheidet bzw. kaum
vergleichbar ist (Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/mensch-maschine-ki-100.html" target="_blank">Warum der Mensch-Machine-Vergleich hinkt</a>). KI beruht mit Hilfe von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mathematische_Statistik" target="_blank">Statistik</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stochastik" target="_blank">Stochastik</a>
auf der Erkennung von Mustern und ist darin leistungsfähiger als
Menschen. Menschliches Denken verfügt jedoch über die Fähigkeit, aus
wenigen Informationen kausale Zusammenhänge herzustellen oder zu
vermuten. KI fehlt diese Fähigkeit. Bisher ist nicht verstanden, wie die
Fähigkeit zum Erkennen von Kausalität zustande kommt und kann daher
nicht in Algorithmen nachgebildet werden (Max-Planck-Gesellschaft: <i><a href="https://www.mpg.de/17651253/ki-kausalitaet" target="_blank">Nicht ohne Grund!</a></i>).
Falls diese Hürde überwindbar ist, erfährt die Leistungsfähigkeit
menschlichen Denkens Nachteile, deren Auswirkungen heute noch nicht
vollständig zu bewerten sind, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit
schwerwiegend ausfallen werden.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Denkbar
sind bereits heute von KI zu politischen Zwecken manipulierte Szenen
vermeintlicher Terroraktionen, Kriege, Hinrichtungen etc.. Dabei geht
es nicht nur um Bilder oder auch um Lügentexte, die KI bei
entsprechenden
Anforderungen liefert und als vermeintliche Beweise ausgegeben werden
können, sondern auch um intransparentes sowie um unkontrollierbares
autonomes Handeln von Maschinen. Wieviele Arbeitsplätze verloren gehen
werden, was das für das soziale und politische Leben bedeuten wird und
welche Auswirkungen auf das Denken und Verhalten von Menschen zu
erwarten ist, vermag niemand seriös zu prognostizieren, aber
Größenordnungen werden voraussichtlich gewaltig ausfallen und
historische Transformationen sozialer und wirtschaftlicher Strukturen
deutlich übertreffen. Selbstverständlich geht es bisher
nur um Szenarien, die aufgrund fehlender Detailinformationen nicht
planbar sind, aber dennoch vorausgedacht werden sollten, um
Entwicklungen nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div>Was
möglich ist, wird genutzt, wenn es Interessen dient. Annahmen, dass KI
nur für gutartige nützliche Zwecke verwendet würde, wären absolut naiv in
Anbetracht der unkontrollierbaren Verflechtung von Interessen mit
politischer und ökonomischer Macht sowie in Anbetracht der
Schwierigkeit, ethisch gutes Handeln zu bestimmen. Für
die optimistische Annahme, dass über ethische Kriterien von
Technologien globaler politischer Konsens erzielt werden kann, sind
keine guten Gründe sichtbar. Im Gegenteil sprechen Erfahrungen zu
Entwicklungen des Klimas oder auch des öffentlichen Internets gegen eine
solche Annahme. Selbst wenn Konsens erzielt werden könnte, würde er mit
hoher Wahrscheinlichkeit an der Durchsetzbarkeit scheitern. IT-Konzerne
verbergen bereits in der Gegenwart ihre Algorithmen. In naher Zukunft
stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, welchen
Informationen wir noch trauen können, wie Vertrauenswürdigkeit
hergestellt werden kann oder wie sich soziales Leben ohne Vertrauen
entwickeln wird. Antworten auf diese Frage sind nicht zu erkennen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Mit wachsender sozialer Komplexität
nehmen auch normative Probleme von Antworten auf die Frage nach gutem
und richtigem Leben zu. Dass künstliche Intelligenz die Menschheit aus
dieser Falle befreien könnte, ist aus Sicht des Autors <a href="https://www.wikiwand.com/de/Roberto_Simanowski" target="_blank">Roberto Simanowski</a>
eine denkbare Option, aber ein Teufelspakt, in dem Menschen
Willensfreiheit gegen Effizienz eintauschen. Ansprüche auf Autonomie und
Souveränität, über die Menschen nur begrenzt verfügen (wenn überhaupt),
wären obsolet. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/roberto-simanowski-todesalgorithmus-die-selbstentmachtung-100.html" target="_blank"><i>Die Selbstentmachtung des Menschen</i></a> - <a href="https://www.deutschlandfunk.de/die-zukunft-des-menschen-das-versprechen-der-kuenstlichen-100.html" target="_blank"><i>Die Zukunft des Menschen. Das Versprechen der Künstlichen Intelligenz</i></a></li><li>Der Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> reklamiert in einem Gespräch des Deutschlandfunks: <i><a href="https://www.deutschlandfunk.de/kuenstliche-intelligenz-und-ethics-washing-wir-haben-keine-100.html" target="_blank">Künstliche Intelligenz und „Ethics Washing“. „Wir haben keine seriösen Experten für angewandte Ethik der KI“</a>. </i></li><li>KI-Ethiker teilen diese Ansicht: <i><a href="https://www.dw.com/de/ki-k%C3%BCnstliche-intelligenz-kulturbruch-vincent-m%C3%BCller/a-65317799" target="_blank">"Künstliche Intelligenz führt zu einem Kulturbruch"</a> </i></li><li><i>Der Standard, </i>28.12.2018:<i> <a href="https://www.derstandard.de/story/2000085354057/was-maschinen-duerfen-sollen" target="_blank">Künstliche Intelligenz: Was Maschinen dürfen sollen</a></i> </li></ul></div><div style="text-align: left;"> <br /></div></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b></b><div style="text-align: left;"><b>6 Änderungshistorie des Posts</b></div> </div><div style="text-align: left;">23.05.2023: Kapitel 3.3: Verlinkung Post aktiviert</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 4.3.3: Verweis auf <i>Die seltsamsten Menschen der Welt</i> von Joseph Henrich<br /></div><div style="text-align: left;">16.05.2023: Kapitel 4.3.2: Verlinkung FAZ-Artikel zur Bürokratie in Deutschland <br /></div><div style="text-align: left;">30.04.2023: Korrekturen und sprachliche Glättungen <br /></div><div style="text-align: left;">24.04.2023: Veröffentlichung der Urversion</div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-32892461499959657262023-03-04T05:43:01.072+01:002024-01-22T18:03:44.412+01:00Pathogenese vs. Salutogenese oder die Verwandlung von Chaos in mentale Ordnung (Update: 14.05.3023)<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEieV1iEU0Kk5atJQHHW0cafoPRjvxbxcFTiFFgldQPgNxCCGiwa9yia6ffe_NA0pnhCFsYj76AUJ-7J_7B59WZqSq_0XIIiYmd1R7BD2jtpmw4PQl0tizrXG3VwuQc0VDys8UtwRMiw6uzMIsXJHc06MWpB5jOT9Vv7z01oYppgBrBEzCjDInWrJlgG/s1670/Michael_Ancher,_Den_syge_pige,_1882,_KMS4002,_Statens_Museum_for_Kunst.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1570" data-original-width="1670" height="301" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEieV1iEU0Kk5atJQHHW0cafoPRjvxbxcFTiFFgldQPgNxCCGiwa9yia6ffe_NA0pnhCFsYj76AUJ-7J_7B59WZqSq_0XIIiYmd1R7BD2jtpmw4PQl0tizrXG3VwuQc0VDys8UtwRMiw6uzMIsXJHc06MWpB5jOT9Vv7z01oYppgBrBEzCjDInWrJlgG/s320/Michael_Ancher,_Den_syge_pige,_1882,_KMS4002,_Statens_Museum_for_Kunst.jpg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div class="info_title__oi9lK"><i><span style="font-weight: normal;">Den syge pige</span></i><span style="font-weight: normal;"> „Das sieche Mädchen“ </span><br /><span style="font-weight: normal;">(Ölgemälde von </span><a class="wl" href="https://www.wikiwand.com/de/Michael_Ancher" target="_blank" title="Michael Ancher"><span style="font-weight: normal;">Michael Ancher</span></a><span style="font-weight: normal;"> 1882)</span></div></td></tr></tbody></table><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhlOSKLGFpz_rfEuEVGScGS0xrrPLYrg8QUrd66CU2p9wSsPb6X2Yp0DXGr8gE2YOn2sEa_GNtw4ff5QXTwUtvmixjus_duY3NKaWQBsh91vdFQTCgtD12c7DsMjaPdyYuxaVtulfWr2MIZ53xWVMG0M_ZarQUnlGGFWuLhogibvua7Uyx5-PwV7rK2/s1075/Dreieck_der_Salutogenese.png" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="569" data-original-width="1075" height="169" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhlOSKLGFpz_rfEuEVGScGS0xrrPLYrg8QUrd66CU2p9wSsPb6X2Yp0DXGr8gE2YOn2sEa_GNtw4ff5QXTwUtvmixjus_duY3NKaWQBsh91vdFQTCgtD12c7DsMjaPdyYuxaVtulfWr2MIZ53xWVMG0M_ZarQUnlGGFWuLhogibvua7Uyx5-PwV7rK2/s320/Dreieck_der_Salutogenese.png" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div class="info_title__oi9lK"><span style="font-weight: normal;">Dimensionen und Einflussfaktoren nach <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aaron_Antonovsky" target="_blank">Aaron Antonovsky</a><br />(<a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0" target="_blank">CC BY-SA 4.0</a></span>)</div></td></tr></tbody></table><span style="font-weight: normal;"></span><div style="text-align: left;">
Vorliegender Post beschreibt das Modell der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese" target="_blank">Salutogenese</a>, das nicht als Alternative zur westlichen Medizin zu verstehen ist, sondern als ein sozialpsychologisches Modell, das aus einer alternativen Perspektive auf Gesundheit und Krankheit blickt und aufgrund des Perspektivwechsels zu Einsichten gelangt, die westlicher Medizin verschlossen bleiben. </div><div style="text-align: left;">In diesem Post geht es entgegen verbreiteter Überzeugungen um das Verständnis, dass<div style="text-align: left;">- Organismen weder autonom agieren noch isoliert reagieren, </div><div style="text-align: left;">- Organismen in komplex vernetzten systemischen Kontexten eingebunden sind,<br />- Annahmen linearer Kausalität auf Konstrukten von Artefakten beruhen,<br /></div><div style="text-align: left;">- in systemischen Kontexten eine unüberschaubare Menge von Einflussfaktoren miteinander interagieren und sich wechselseitig beeinflussen.<br />Nicht zuletzt geht es darum, dank eines verbesserten
Verständnisses der Komplexität systemischer Zusammenhänge Angebote und Leistungfähigkeit medizinischer Services einzuordnen sowie Nutzen
für den eigenen Organismus und dessen Umwelt zu erhöhen.(1)</div></div><div style="text-align: left;"><span></span> <br /></div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht <br /></b><br /><div style="text-align: left;">1 Pathogenetische Modelle der Medizin</div><div style="text-align: left;">1.1 Wissenschaftlich orientierte Medizin (<i>Schulmedizin</i>)</div><div style="text-align: left;">1.1.1 Disease Interception </div><div style="text-align: left;">1.1.2 Fakultät für Gesundheit an der Universität Witten/Herdecke</div><div style="text-align: left;">1.2 Alternativmedizin <br /></div><div style="text-align: left;">2 Perspektivenwechsel von der Krankheitsforschung zur Gesundheitsforschung </div>2.1 Salutogenetisches Modell der Sozialpsychologie <br /></div><div style="text-align: left;">2.2 Generalisierte Widerstandsressourcen im Modell der Salutogenese</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2.3 Widerstandsressourcen, Kohärenz, Selbstbestimmung, Kohäsion<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2.4 Wie entsteht Ordnung aus Chaos durch Kohärenz? </div><div style="text-align: left;">3 Metaperspektivische Betrachtung von Salutogenese und Kohärenz in Abgrenzung zu Pathogenese <br /></div><div style="text-align: left;">3.1 Widersprüchlichkeit und Komplementarität <br /></div><div style="text-align: left;">3.2 Salutogenetisches Modell <br /></div><div style="text-align: left;">3.3 Pathogenetisches Modell </div><div style="text-align: left;">4 Schlussbetrachtung im Kontext der Postserie<br /></div><div style="text-align: left;">5 Änderungshistorie des Posts</div><br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1 Pathogenetische Modelle der Medizin</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche und alternativmedizinische Konzepte unseres Gesundheitssystems beschäftigen sich mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pathogenese" target="_blank">Pathogenese</a>
und gehen davon aus, dass sich selbst regulierende homöostatische
Prozesse im Fall einer Krankheit gestört oder entgleist sind. Pathogenetische Konzepte suchen nach Mechanismen von Kausalketten, die
gesundheitliche Störungen und Erkrankungen bewirken und wollen dazu
verhelfen, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hom%C3%B6ostase" target="_blank">Homöostase</a> (Gleichgewicht) wiederherzustellen.(2) Bei beiden Modellen handelt es sich um <i>Kausalmedizin</i>. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">In
diesem Post geht es nicht darum, identifizierbare Auslöser von
Erkrankungen und offenkundige kausale Evidenzen abzustreiten oder
alternativmedizinische Angebote zu verurteilen. Erkenntnisse pathogenetischer Konzepte beschreiben einen Teil unserer Welt, der trotz aller
Defizite nicht zu leugnen ist. Möglicherweise handelt es sich jedoch um
einen nur kleinen Ausschnitt unserer Realität, was bedeuten würde, dass
Fokussierungen auf diesen Ausschnitt Blicke auf den Gesamthorizont verstellen. Am Horizont erkennbare Phänomene fügen sich keiner
linearen
Kausalität und sind mit Methoden wissenschaftlicher Rationalität nicht vollständig erklärbar. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Während Wissenschaftlich orientierte Medizin (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Schulmedizin" target="_blank"><i>Schulmedizin</i></a>) sich Kriterien klinischer Evidenz unterwirft und empirisch nicht nachvollziehbare Phänomene ausblendet, stellen sich alternativmedizinische
Programme keinen strengen Rationalitätsanforderungen. Alternativmedizin bespielt Lücken und Defizite von <i>Schulmedizin</i> und profitiert von auf Glauben und Vertrauen beruhenden
persönlichen Überzeugungen ihrer Klienten. Alternativmedizin basiert wie <i>Schulmedizin</i> implizit oder explizit auf Modellen pathogenetischer Art, die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hom%C3%B6ostase" target="_blank">Homöostase</a>-Störungen annehmen.</div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.1 Wissenschaftlich orientierte Medizin (<i>Schulmedizin</i>)</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /><div style="text-align: left;">Das
Krankheitsverständnis von <i>Schulmedizin</i> prägen
biomedizinische Vorstellungen pathologischer physiologischer Phänomene,
die genetisch bedingt sind oder von äußeren Einflüssen oder von
gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen ausgelöst werden. Um
medizinische Therapien anzuwenden, müssen kausal aufgefasste
Zusammenhänge analytisch untersucht werden. Dazu werden aus systemischen
Kontexten einer unüberschaubaren Vielfalt sich wechselseitig
beeinflussender Stoffwechselprozesse vermeintliche
Ursache-Wirkungs-Beziehungen isoliert. Der systemische Kontext
pathologischer Phänomene geht dabei verloren. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Krankheitspr%C3%A4vention" target="_blank">Krankheitsprävention</a>
zielt darauf ab, Krankheiten auslösende Faktoren möglichst zu
verhindern. Abgesehen von Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen zählen Präventionsstrategien nicht zu primären
medizinischen Aufgaben.(3) <i>Schulmedizin</i> wird i.d.R. aktiv, wenn Erkrankungen drohen oder eingetreten sind. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jeder
von uns weiß aus eigener Erfahrung intuitiv, dass
zwischen physiologischen Zuständen und psychologischen Prozessen
Interaktionen
stattfinden. In der klinischen Medizin bleiben diese Interaktionen
weitgehend ausgeblendet, weil es sich um subjektive Empfindungen
handelt, die nicht empirisch prüfbar sind und sich medizinischer
Diagnostik im Sinne klinischer Symptome weitgehend entziehen. Ein
Röntgenbild, MRT, CT oder Blutbild zeigt keine mentalen Zustände. Sie
lassen sich auch nicht von außen tasten, sondern nur durch Auskünfte
erfragen. In der <i>Schulmedizin</i> zählen letztlich jedoch nur objektiv
beobachtbare empirische Zustände (Evidenzen). Wenn
klinische Mediziner Zusammenhänge zwischen mentalen und somatischen
Zuständen ernst nehmen, delegieren
sie günstigenfalls Betroffene an benachbarte
Disziplinen der Psychologie oder Psychosomatik.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Selbstverständlich
sind bei Erkrankungen mitunter auch kausale Aulsöser identifizierbar in
Form von Bakterien, Viren, Parasiten, Vergiftungen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Ernährungsfehler bzw. Einflüsse des Lebensstils oder der Lebensumstände. Allerdings
zeigt sich, dass Ausstattungen mit Widerstandsressourcen individuell stark variieren. Manche Menschen
erkranken nur leicht und andere schwer oder gar nicht. Unterschiede werden gewöhnlich mit unterschiedlichen genetischen Ausstattungen begründet, die wahrscheinlich tatsächlich beteiligt, aber selten nachweisbar sind.
Schwieriger und auch fragwürdiger sind Erklärungen der großen "Killer"
Krebserkrankungen, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie
Erklärungen weiterer weniger prominenter Erkrankungen. Auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Autoimmunerkrankung" target="_blank">Autoimmunerkrankungen</a> reagiert das medizinische Pathologiemodell mit Kapitulation und beschränkt sich auf Diagnostik und auf symptomatische Behandlungen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.1.1 <i>Disease Interception</i> </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche Medizin kennt natürlich ihre Defizite und sucht nach neuen Konzepten als Erweiterungen ihres etablierten Paradigmas. Hierzu zählt der als <i>Disease Interception </i>oder als <i>Disease Interception </i><i>Program</i> (DMP) bezeichnete Ansatz.(4) Im <i>Disease-Interception-Konzept </i>geht es um individualisierte Vorsorgeuntersuchung in der präklinischen Phase (also vor einer eingetretenen Krankheit). Hierzu ist beabsichtigt, individuelle Risiken von Hochrisikopatienten mittels molekularer Diagnostik und mit Hilfe von Biomarkern zu detektieren.(5) Allerdings sind bisher für viele schwerwiegende Erkrankungen keine geeigneten Marker bekannt, was sich aber mit weiteren Forschungen ändern könnte. In der Diskussion befinden sich jedoch noch etliche bisher weitgehend ungeklärte Fragen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Welche Kriterien sind für die Bewertung von Risiken und die Selektierung von Risikopatienten maßgeblich? <br /></li><li>Welche Programme werden zur Detektierung von Markern medizinisch und organisatorisch benötigt?<br /></li><li>Wie sind diese Programme aus ethischer Sicht zu bewerten und handzuhaben? <br />(Exemplarisch sei auf kontroverse Diskussionen zu Schwangerschaftsabbrüchen, zur aktiven und passiven <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sterbehilfe" target="_blank">Sterbehilfe</a> sowie zu <a href="https://www.deutschlandfunk.de/angelina-jolies-brustamputation-wird-problembewusstsein-100.html" target="_blank">Angelina Jolies vorsorgliche Brustamputation</a> verwiesen.)<br /></li><li>Welche Handlungsoptionen können/sollen/müssen aus Markern abgeleitet werden? </li><li>Wie kann Nutzen solcher Programme bewertet werden?<br /></li><li>Wie können DM-Programme finanziert und wirtschaftlich betrieben werden? </li></ul></div><div style="text-align: left;">Das <i>Disease Interception</i> Konzept propagiert und sponsert insbesondere der Pharmakonzern <a href="https://www.janssen.com/germany/" target="_blank">Janssen-Cilag</a>, was sicher kein Zufall ist, sondern eine Zukunftstrategie des Konzern darstellt.(6) Zitat des Wikipedia-Artikels <a href="https://www.janssen.com/germany/" target="_blank">Janssen-Cilag</a>:<br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Des Weiteren forscht Janssen aktuell an den Möglichkeiten des Konzepts
Disease Interception. Mit diesem Ansatz will das Unternehmen
Möglichkeiten entwickeln, Krankheiten aufzuhalten, bevor sie entstehen.
Dabei unterscheidet sich das Konzept von klassischer Prävention: Während
Prävention auf das frühzeitige Erkennen von Symptomen abzielt, setzt
Disease Interception noch früher an: Das Ziel ist Krankheitsprozesse mit
Hilfe validierter Biomarker zu erkennen, bevor erste klinische Symptome
entstehen, um in einem sogenannten „Interception Window“ – dem Zeitraum
zwischen dem Erkennen des Krankheitsprozesses und der Bildung
klinischer Symptome – wirksam zu intervenieren. Intention von Disease
Interception ist, den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern, aufzuhalten
oder den Krankheitsprozess sogar umzukehren. </i><br /></div><div style="text-align: left;">Ein Geschäftsführer des Unternehmens spricht in einem Interview von einem <i>"echten Paradigmenwechsel"</i>.(7) Der Mann hat <i>Paradigmenwechsel</i> nicht verstanden. Tatsächlich geht es Janssen-Cilag um ein profitables neues Geschäftsmodells auf der Grundlage neuer Technologien und neuer Erkenntnisse im Rahmen des bestehenden pathogenetischen <i>Paradigmas</i>.(8) <br /></div> </div><div style="text-align: left;">Wenn das Konzept <i>Disease Interception </i>demnächst die Kinderstube verlässt, bedarf es keiner seherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass es als Fortschritt gefeiert wird, der natürlich teuer wird und den letztlich Kunden zahlen müssen, also wir. Vermutlich werden einzelne Kunden profitieren, vor allem Privatpatienten. In der Breite ist signifikanter Nutzen für alle eher fragwürdig, aber für die Pharmaindustrie, wahrscheinlich auch für Hochleistungs-Kliniken und ihr Management sowie für Karrieren etlicher Wissenschaftler ziemlich sicher. Warum sonst sollten sie diese Strategie forcieren?</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.1.2 Fakultät für Gesundheit an der Universität Witten/Herdecke</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Erwähnt sei, dass ein möglicherweise zukunftsweisendes alternatives Konzept medizinischer Versorgung an der <a href="https://www.uni-wh.de/" target="_blank">Universität Witten/Herdecke</a> seit 2019 mit dem <a href="https://www.uni-wh.de/gesundheit/department-fuer-humanmedizin/lehrstuehle-institute-und-zentren/integrative-gesundheitsversorgung-und-gesundheitsfoerderung/" target="_blank">Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF)</a> besteht:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Uniambulanz Witten: <a href="https://www.uniambulanz-witten.de/" target="_blank">Hausärztliche Versorung neu denken</a></li><li>Uniambulanz Witten: <a href="https://www.uniambulanz-witten.de/gesundheit-nachhaltig-staerken/" target="_blank">Gesundheit nachhaltig stärken</a></li><li>Folkwang Universität der Künste: <a href="https://www.folkwang-uni.de/landingpage/kuenstlerinnen-gesundheit/gesundheitsfoerderung/" target="_blank">Gesundheitsförderung</a> </li><li>FAZ 14.05.2023: <a href="https://zeitung.faz.net/fas/leben/2023-05-14/finde-den-arzt-in-dir/893087.html" target="_blank">Gesundheitsprävention: Finde den Arzt in dir</a> <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><b>1.2 Alternativmedizin</b> <br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Für unter Leidensdruck stehende Menschen, denen wissenschaftlich orientierte Medizin nicht wirksam helfen kann, sind Defizite von <i>Schulmedizin</i> schwer erträglich. Diese Situation öffnet Märkte, die
alternativmedizinische Angebote bespielen. Alternativmedizinische Angebote (wie z.B. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Traditionelle_chinesische_Medizin" target="_blank">TCM</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnomedizin" target="_blank">Ethnomedizin</a>, <a href="https://www.alteheilkunst.com/ueberschamanismus/" target="_blank">schamanische Heilkunde</a>, <a href="https://www.heilpraktiker.org/anthroposophie" target="_blank">anthroposohische Heilkunde</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naturheilkunde" target="_blank">Naturmedizin</a>, <a href="https://www.aerzteblatt.de/archiv/197167/Mind-Body-Medizin-Der-andere-Blickwinkel" target="_blank">Mind-Body-Medizin</a> oder vielfältige sonstige esoterische Medizinmodelle) profitieren von Nachfragen, die <i>Schulmedizin</i>
nicht zu befriedigen vermag.(9) Alternativmedizin ist ebenso wie <i>Schulmedizin</i> ein Geschäftsmodell, aber im Unterschied zur <i>Schulmedizin</i> unkontrolliert und zu keinem Qualitätsmanagement verpflichtet. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bemerkenswert ist, dass in den meisten naturheilkundlichen bzw.
alternativmedizinischen Modellen eine in der <i>Schulmedizin</i> verloren
gegangene ganzheitliche Sichtweise verbreitet ist, die Körper und Geist
als Einheit betrachten und behandelt. Allerdings kann auch Alternativmedizin nicht auf
Erklärungen zur Entstehung und Auflösung von
Krankheitszuständen verzichten. Alternativmedizinische Modelle
verzichten mehr oder weniger auf rationale Begründungen. Alternativmedizin, die mit spirituelle Erklärungen operiert, auf Überprüfungen mit wissenschaftlichen Methoden bzw. auf kontrollierte statistische Evidenz verzichtet, ist mit dogmatischen Glaubenssystemen verwandt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Anbieter verweisen
auf mit wissenschaftlichen Methoden nicht prüfbare Einzelerfolge und auf
unzuverlässige subjektive Empfindungen von Klienten. Man muss nicht Mediziner oder Wissenschaftler sein, um das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Induktionsproblem" target="_blank">Induktionsproblem</a> und das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia" target="_blank">Qualiaproblem</a> zu verstehen, die in alternativmedizinischen Modellen beharrlich ignoriert werden. Ersteres besagt,
dass aus Einzelfällen keine gültigen Gesetze abgeleitet werden können. Das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia" target="_blank">Qualiaproblem</a> resultiert aus dem Sachverhalt, dass der Erlebnisgehalt subjektiver mentaler Zustände nicht von außen beurteilt werden kann und sich daher der Prüfbarkeit entzieht. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Alternativmedizinische Angebote stellt dieser Post nicht pauschal unter Verdacht von Naivität oder betrügerischen Absichten, aber Relevanz dieser Angebote ist kaum zu beurteilen, weil methodische Standards wissenschaftlicher Prüfung unbeachtet bleiben und daher in Studien nachgewiesene statistische Evidenzen fehlen. Ob alternativmedizinische Angebote als ethisch redlich gelten können, lässt sich nur im Einzelfall bewerten. Rationalität ist kein Pflichtprogramm. Wer sich in spirituellen Sphären aufgehoben fühlt und alternativmedizinischen Angeboten vertrauen möchte, hat in einer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Offene_Gesellschaft" target="_blank">offenen Gesellschaft</a> die Freiheit, dies zu tun.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">-------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Soweit nicht anders vermerkt, basiert der Post auf folgenden Quellen:<br /> <ul><li>BZgA: <a href="https://shop.bzga.de/pdf/60606000.pdf" target="_blank">Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Band 06: Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese</a> (PDF 176 Seiten)</li><li>BZgA: <a href="https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/salutogenese/" target="_blank">Salutogenese</a> </li><li>BZgA: <a href="https://leitbegriffe.bzga.de/systematisches-verzeichnis/kernkonzepte-und-entwicklungen-der-gesundheitsfoerderung/lebensweisenlebensstile/" target="_blank">Lebensweisenkonzept</a></li><li>Coachinglovers: <a href="https://coachinglovers.com/resilienz/salutogenese/" target="_blank">Die drei Säulen der Gesundheit</a> <br /></li><li>Dorsch Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kohaerenzgefuehl" target="_blank">Kohärenzgefühl</a> </li><li>Dorsch Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/salutogenese" target="_blank">Salutogenese</a></li><li>Nordseeklinik Westfalen: <a href="https://nordseeklinik-westfalen.de/wp-content/uploads/2019/03/Jochheim_veroeffentlicht.pdf" target="_blank">Schlüssel zu mentaler Stärke: Kohärenzgefühl und Resilienz</a> <br /></li><li>Resilienzakademie: <a href="https://www.resilienz-akademie.com/salutogenese/" target="_blank">Solutogenese</a> <br /></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/kohaesion/7927" target="_blank">Kohäsion</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aaron_Antonovsky" target="_blank">Aaron Antonovsky</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese" target="_blank">Salutogenese</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4sion_(Psychologie)" target="_blank">Gruppenkohäsion (Psychologie)</a></li></ul></li><li><div style="text-align: left;">Der
Post einer Buchbesprechung vermittelt Einblicke in den Maschinenraum des
deutschen Gesundheitssystems, das international als eines der besten
gilt: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/10/der-verlorene-patient-dr-umeswaran.html" target="_blank">Der verlorene Patient – Dr. Umeswaran Arunagirinathan berichtet aus dem Maschinenraum des Medizinbetriebs </a></div></li><li>Laut
Informationen des Statistischen Bundesamtes betrugen im Jahr 2020 die
Gesundheitsausgaben 441 Mrd € (5.298 € je Einwohner), was einem Anteil
von 13,1 % des BIP entspricht. <br />Der Anteil für
Prävention/Gesundheitsschutz belief sich 2020 auf 14,6 Mrd € und
entsprach einem Anteil von 3,3 € an den Gesamtausgaben.<br />Gegenüber 2018 stiegen im Jahr 2020 die Gesundheitsausgaben insgesamt um 12 %, der Anteil für Prävention aber nur um 10 %.<br />Statistisches Bundesamt: <a href="https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/Tabellen/leistungsarten.html" target="_blank">Gesundheitsausgaben nach Leistungsarten</a><br /></li><li>Disease, engl. für <i>Krankheit</i>; Interzeption bzw. engl. Interception steht für <i>Verhinderung, Wegnahme</i> <br /></li><li>Quellen zu DMP:<br /><ul><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/asv/disease-interception/disease-interception-was-bedeutet-dieser-forschungstrend-15799714.html#void" target="_blank">Disease Interception – was bedeutet dieser Forschungstrend?</a></li><li>ÄrzteZeitung: <a href="https://www.aerztezeitung.de/Politik/Wie-geht-Krankheiten-bekaempfen-bevor-sie-ausbrechen-254499.html" target="_blank">Disease Interception - Krankheiten früh bekämpfen – Wie geht das?</a></li><li>Portal Monitor Versorgungsforschung: <a href="https://www.monitor-versorgungsforschung.de/education/buecher/disease-interception/?cookie-state-change=1678016746887#1672775831008-bcfaac33-5117" target="_blank">Disease Interception</a></li><li>Portal Monitor Versorgungsforschung, Artikel zur Einführung von DM-Programmen in Deutschland: <a href="https://www.monitor-versorgungsforschung.de/wp-content/uploads/2023/02/0308_Neeter_Disease_Management.pdf" target="_blank">Disease Management 2.0 & Morbi-RSA 1.0 – Medical Management für Krankenkassen unter den Bedingungen des Morbi-RSA</a> (PDF) <br /></li><li>Herausforderungen von DSM-Programmen behandeln eine Reihe von Artikeln in einem Sammelband der Schriftenreihe Monitor Versorgungsforschung: <a href="https://www.monitor-versorgungsforschung.de/education/buecher/disease-interception/#1672775831008-bcfaac33-5117" target="_blank">Disease Interception - Implikationen einer frühen Diagnose und Krankheitsunterbrechung für Medizin und Gesellschaft</a> (Open access, kostenlos)<br /></li></ul></li><li>Janssen: <a href="https://www.janssen.com/germany/innovation/disease-interception" target="_blank">Disease Interception – Krankheiten erkennen und aufhalten, bevor klinische Symptome entstehen</a></li><li>ÄrzteZeitung: <a href="https://www.aerztezeitung.de/Politik/Eine-Chance-Medizin-neu-zu-denken-254313.html" target="_blank">Eine Chance, Medizin neu zu denken</a></li><li>Die Paradigmen-Thematik betrachtet der <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank"><i>Post Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</i></a> in Kapitel 2.2. </li><li>Apotheken-Umschau: <a href="https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/warum-die-naturmedizin-so-erfolgreich-wurde-943411.html" target="_blank">Warum die Naturmedizin so erfolgreich wurde</a> <br /></li></ol></div></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2 Perspektivenwechsel von der Krankheitsforschung zur Gesundheitsforschung</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Der US-amerikanische-israelische Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aaron_Antonovsky" target="_blank">Aaron Antonovsky</a> (1923 - 1994) untersuchte ehemalige Häftlinge von Konzentrationslagern. Seine Erfahrung, dass 29 % der überlebenden Häftlinge trotz des erlebten Terrors und Horrors über eine gute psychische Gesundheit verfügten sowie die Frage, wie bei diesen Menschen psychische Gesundheit möglich ist, lösten bei Antonovsky ein Umdenken aus.(1) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Antonovsky vollzog einen
Perspektivenwechsel von der Krankheitsforschung zur Gesundheitsforschung
und entwickelte in den 1970er Jahren das Konzept der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese" target="_blank">Salutogenese</a>. In einer berühmten Metapher hat Antonovsky Gesundheit und Leben mit einem Fluss verglichen:(2)</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Die
Menschen schwimmen in einem Fluss voller Gefahren, Strudeln, Biegungen
und Stromschnellen. Der Arzt, so erklärt Antonovsky, könne mit seiner
pathogenetisch orientierten Medizin versuchen, den Ertrinkenden aus dem
Strom zu reißen. In der Salutogenese geht es aber um mehr: Es gilt, den
Menschen zu einem guten Schwimmer zu machen. Was also hilft ihm, ohne
ärztliche Hilfe Strudel und Stromschnellen zu meistern?"</i><i> </i></div> </div><div style="text-align: left;">Antonovsky verabschiedet sich vom Homöostase-Modell pathogenetischer Medizin und nimmt <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trainingsprinzip#Das_Modell_der_Hom%C3%B6ostase_und_Superkompensation" target="_blank">Heterostase</a> (Ungleichgewicht), Unordnung und ständigen Druck in Richtung zunehmender <a href="https://www.wikiwand.com/de/Entropie" target="_blank">Entropie</a> (Prozess der Auflösung von Ordnung in Richtung Chaos) als Normalzustand für lebende Organismen an. Gesundheit und Krankheit versteht Antonovsky nicht als
Gegensätze oder als Störungen von Homöostase, sondern
als relative Zustände eines Kontinuums heterostatischer Zuständen,
in denen Prozesse des Lebens stattfinden. Gesundheit und Krankheit
bezeichnen Endpunkte dieses Kontinuums. Höhere Lebewesen, von denen hier
nur Menschen betrachtet werden, sind sowohl gesund als auch
krank. Kranke Menschen sind weniger gesund als gesunde Menschen und
gesunde Menschen sind weniger
krank als kranke Menschen.(3) </div><div style="text-align: left;"> </div><br /></div><div style="text-align: left;"><b>2.1 Salutogenetisches Modell der Sozialpsychologie </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Das Konzept der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese" target="_blank">Salutogenese</a> ist nicht als Modell einer Alternativmedizin zu verstehen, sondern resultiert aus Überlegungen zur Überwindung von Grenzen und Schwächen westlicher <i>Schulmedizin</i>, ohne deren Leistungen infrage zu stellen. Salutogenese kehrt die pathogenetische Sicht auf Zustände von Leben um und fragt danach, was Menschen
gesund macht und gesund erhält. Mit der Wahl des Begriffs
<i>Salutogenese</i> grenzt sich das Konzept bewusst von medizinischen Konzepten der <i>Pathogenese</i>
ab und lenkt den Blick auf generalisierte
Widerstandsressourcen, die bisher jedoch wenig erforscht und verstanden sind. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Prozesse des Lebens sind prinzipiell vulnerabel. Dass trotzdem Leben, dessen Reproduktion und evolutionäre Entwicklung möglich sind, ist Widerstandsressourcen zu verdanken, die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vulnerabilit%C3%A4t" target="_blank">Vulnerabilität</a> reduzieren. Widerstandsressourcen umfassen nicht nur das physiologische Immunsystem,
sondern auch als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Resilienz_(Psychologie)" target="_blank">Resilienz</a>
bezeichnete mentale Fähigkeiten der Bewältigung psychischer
Belastungen, Störungen, Traumata sowie die Fähigkeit zur Regulierung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4renz_(Psychologie)" target="_blank">Kohärenz</a> (siehe Kapitel 2.2). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gemäß salutogenetischem Modell ist Gesundheit kein passiver Gleichgewichtszustand (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Hom%C3%B6ostase" target="_blank">Homöostase</a>), sondern ein aktives Geschehen (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Trainingsprinzip#Das_Modell_der_Hom%C3%B6ostase_und_Superkompensation" target="_blank">Heterostase</a>). Pathogenese ist nicht auszuschließen. Antonovsky fragt aber vor allem danach, was Menschen gesund hält und beantwortet diese Frage mit Hinweisen auf generalisierte Widerstandsressourcen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.2 Generalisierte Widerstandsressourcen im Modell der Salutogenese</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Als Widerstandsressourcen versteht Antonovsky nicht nur körpereigene Abwehrkräfte des Immunsystems, sondern insbesondere auch durch kulturelle und soziale Vermittlung entwickelte individuelle Fähigkeiten, Möglichkeiten, Optionen zur aktiven Lebensgestaltung und zu Problemlösungen. <i>Generalisierung</i> besagt, dass Widerstandsressourcen nicht als Instrumente oder Werkzeuge zu verstehen sind, die auf besondere Situationen spezialisiert sind, sondern als Potentiale, die in Situationen aller Art nutzbar sind.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In metaphorischer Sprache sind Widerstandsressourcen als angesammelte Zinsen des individuellen Gesundheitskontos darstellbar. Analog verbreiteter Sozialisationsmodelle und psychoanalytischer Modelle nahm Antonovsky zunächst an, dass Widerstandsressourcen und deren Defizite in Kindheit und Jugend entwickelt werden und sich ab dem 30. Lebensjahr nicht mehr grundlegend verändern. Operationalisierung und Messbarkeit von Widerstandsressouren stellen schwierige Aufgaben, die keine einfachen Antworten zulassen. Studien liefern jedoch Hinweise, dass sich Widerstandsressourcen entlang der gesamten Lebenslinie verändern, Frauen bis zum 50. Lebensjahr stärkere Widerstandsressourcen als Männer entwickeln und sich die Verhältnisse ab dem 50. Lebensjahr umkehren.(4)</div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><b>2.3 Widerstandsressourcen, Kohärenz, Selbstbestimmung, Kohäsion</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Antonovsky fragte sich, warum Menschen mit ähnlich ausgesetztem Stress und ähnlichen Ressourcen grundverschieden reagieren, eine Person krank wird, während die andere
Person gesund belbt. Als Schlüssel zur Erklärung fasste Antonovsky den unterschiedlich stark
ausgeprägten „Sense of Coherence“ (SOC) von Personen auf, der sowohl den Sinn für Kohärenz als auch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4renz_(Psychologie)" target="_blank">Kohärenzgefühl</a> umfasst. Den Kohärenzsinn versteht Antonovsky als menschliche Fähigkeit zur gesundheitsdienlichen Nutzung von Ressourcen. Bezüglich Kohärenz im Sinne von SOC unterscheidet Antonovsky drei motivational wirksam werdende individuell empfundene Ausprägungen:(5) <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Verstehbarkeit:<br />auf Kogniton/Erfahrung beruhende Fähigkeiten zur Abstraktion, die Zusammenhänge des Lebens verständlich machen <br /></li><li>Handhabbarkeit:<br />auf persönlicher Erfahrung und Überzeugung beruhende Fähigkeit der Kontrollierbarkeit und Gestaltbarkeit des eigenen Lebens<br /></li><li>Sinnhaftigkeit:<br />persönliche Gewissheit, dass das Leben Sinn hat. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Antinovskys SOC-Modell ist mit anderen sozialpsychologischen Theorien verwandt, u.a. mit Modellen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Resilienz_(Psychologie)" target="_blank">Resilienz</a> (Fähigkeit der Bewältigung psychischer
Belastungen, Störungen, Traumata) und der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Selbstbestimmungstheorie" target="_blank">Selbstbestimmungstheorie</a> (SDT). Interessant ist der Sachverhalt, dass erwähnte Modelle auf ähnlichen Annahmen psychischer Grundbedürfnisse beruhen und aus ihnen motivationales Verhalten ableiten. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Antinovskys SOC-Modell und das von <a href="https://www.wikiwand.com/en/Richard_M._Ryan" target="_blank">Richard M. Ryan</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/en/Edward_L._Deci" target="_blank">Edward L. Deci</a> entwickelte SDT-Modell unterscheidet, dass Kohärenz primäre mentale Zustände psychischer Gesundheit erklärt, während die SDT primär prozesshaftes motivationales Verhalten im sozialen Kontext erklärt. Gemäß der empirisch abgesicherten SDT sind für effektives Verhalten und psychische Gesundheit kulturübergreifend 3 permanente psychologische Grundbedürfnisse verantwortlich:(6) <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Kompetenz<br /> im Sinne eigener Fähigkeiten, um gewünschte Resultate zu erzielen (analog Verstehbarkeit und Handhabbarkeit bei Antonovsky)</li><li>Autonomie<br /> im Sinne von Freiwilligkeit und Notwendigkeit (analog Sinnhaftigkeit bei Antonovsky)</li><li>soziales Eingebundenheit<br /> im Sinne positiver Wechselseitigkeit in sozialen Interaktionen <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Als wesentlichen Faktor für das Ausmaß selbstbestimmten Verhaltens nimmt das SDT-Modell Zuschreibungen von Verhaltensursachen im Sinne von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribuierung" target="_blank">Kausalattribuierung</a> an, die ebenso zentrale Bedeutung für Kohärenzstiftung hat.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aus soziologischer Sicht verweisen sowohl das SOC-Modell als auch das SDT-Modell auf die Bedeutung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4sion_(Psychologie)" target="_blank">Kohäsion</a> (emotionale Zusammengehörigkeitsgefühle sozialer Gruppen), deren Qualität das realisierbare Maß individueller Kohärenz und Selbstbestimmung maßgeblich beeinflusst. Der Zusammenhalt ähnlich gesinnter sozialer Gruppen (Familien, Freundeskreise, positive Zusammenarbeit in Berufsteams, Sportteams, karitative Gruppen, politische Gruppen, militärische Gruppen etc.) erzeugt und stärkt Bindungen, reduziert oder vermeidet Angst und ist ein wesentlicher Faktor für individuelle Gesundheit und Krankheit. Die Art und Weise der Entstehung und Bedeutung von Kohäsion variiert jedoch über soziale Kontexte.(7) <br /><div style="text-align: left;"> </div></div><br /><div style="text-align: left;"><b>2.4 Wie </b><b>entsteht </b><b>Ordnung aus Chaos </b><b>durch Kohärenz</b><b>? </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Komplexe Organismen vermögen scheinbar unendlich chaotische biochemische Prozesse in Interaktionen mit einer noch komplexeren und chaotischeren Umwelt zu regulieren. Neurophysiologisch ist anzunehmen, dass Regulationsprozesse von genetisch codierten Kohärenz erzeugenden neurobiologischen Mechanismen gesteuert werden. Gemäß Annahme messen neurobiologische Kohärenzmechanismen permanent sinnliche Wahrnehmungen und physiologische Zustände, gleichen sie mit lebensnotwendigen Grundbedürfnissen und Sollzuständen ab und regulieren sie im Fall von Abweichungen steuernd. Als Resultat dieser Prozesse der Selbstregulation entstehen konstruierte kohärente Zusammenhänge von Kultur, Familie, Freundschaften, Gemeinschaften, Religion, Gesellschaften etc..(8)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Mediziner <a href="https://www.wikiwand.com/de/Theodor_Dierk_Petzold" target="_blank">Theodor Dierk Petzold</a> identifiziert drei relevante motivationale Prozesse der Selbstregulation:</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Ein mit dem inneren Belohnungssystem
in Verbindung stehendes „Annäherungssystem“ belohnt bei einer Annäherung an
ein gewünschtes Ziel mit Lustgefühlen (Dopamin-Ausschüttung).</li><li>Ein mit dem
Angstzentrum verbundenes „Abwendungs-/Vermeidungssystem“ aktiviert bei Gefahr das sympathische Nervensystem.</li><li>Das übergeordnete "Kohärenzsystem" reguliert Affekthandlungen
des „Annäherungssystem“ sowie des „Abwendungs-/Vermeidungssystems“ und entfaltet im "Kohärenzmodus" Gelassenheit. </li></ol></div></div><div style="text-align: left;">Weitere Wissenschaftler nehmen ebenfalls einen genetisch codierten Kohärenzsinn an, der ein Grundbedürfnis der Stimmigkeit aktiviert. Dieses Grundbedürfnis motiviert zu Kohärenzgefühle hervorrufenden Verhaltensweisen, die in sozialen Interaktionsprozessen erzeugt werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">------------------------------- </div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aaron_Antonovsky" target="_blank">Aaron Antonovsky</a> <br /></li><li>BZgA:<i> </i><a href="https://shop.bzga.de/pdf/60606000.pdf" target="_blank">Was erhält Menschen gesund?</a>, S. 141 </li><li>Deutsches Ärzteblatt 8/2019: <a href="https://www.aerzteblatt.de/archiv/209251/Aaron-Antonovsky-Vater-der-Salutogenese" target="_blank">Aaron Antonovsky: Vater der Salutogenese</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese#Kritik_der_Salutogenese" target="_blank">Kritik der Salutogenese</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese#Koh%C3%A4renzgef%C3%BChl_nach_Antonovsky" target="_blank">Kohärenzgefühl nach Antonovsky</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Selbstbestimmungstheorie" target="_blank">Selbstbestimmungstheorie</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Koh%C3%A4sion_(Psychologie)" target="_blank">Gruppenkohäsion (Psychologie)</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Salutogenese#Chaos_und_Ordnung" target="_blank">Salutogenese.Chaos und Ordnun</a>g <br /></li></ol></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3 </b><b>Metaperspektivische Betrachtung von </b><b>Salutogenese und Kohärenz in Abgrenzung zu Pathogenese</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Dieses Kapitel betrachtet auf der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Metaebene" target="_blank">Metaebene</a>
Prinzipien und Strukturen zu erklärender
Gegenstandsbereiche der Sachebene, hier das salutogenetische und das pathogenetische
Modell. Deren jeweilige Perspektiven vermitteln die Kapitel 1 und 2. Trotz
überschneidender Gemeinsamkeiten besteht zwischen den beiden
Perspektiven wenig Übereinstimmung. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplementarit%C3%A4t" target="_blank">Komplementarität</a> im Sinn von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erkenntnistheorie" target="_blank">Erkenntnistheorie</a> liegt nicht vor. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Vergleich der beiden Modelle läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass die Modelle aus drei Hauptgründen inkommensurabel sind:</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Die beiden Modelle vertreten gegensätzliche Auffassung der Integration und Dynamik organischer Systeme. Kennzeichnend für die unterschiedlichen Positionen sind die Begriffe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hom%C3%B6ostase" target="_blank">Homöostase</a> (pathogenetisches Modell) und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Trainingsprinzip#Das_Modell_der_Hom%C3%B6ostase_und_Superkompensation" target="_blank">Heterostase</a> (solutogenetisches Modell). <br /></li><li>Die beiden Modelle unterscheiden sich in ihrem primären Erkenntnisinteresse:<br /></li><ul><li>Das
pathogenetische Modell betrachtet und betreibt Medizin primär als
Reparaturwerkstatt. Es stellt wissenschaftliche Forschung auf
Reparaturziele ab und organisiert den Werkstattbetrieb.</li><li>Das sozialpsychologische Modell der Salutogenese entwickelt ein Verständnis von Interaktionen komplexer organischer
Systemprozesse im Austausch mit einer sozialen Umwelt. Sozialpsychologie betreibt Erkenntnisprozessen dienende Grundlagenforschung. Diese ist nicht anwendungsorientiert. Starke Erklärungen des Modells motivieren zu dessen Weiterentwicklung und Umsetzung in Konzepten der Gesundheitsprävention (siehe 3.2). <br /></li></ul><li>Die beiden Modelle vertreten unterschiedliche Verständnisse von Krankheit, auf die nachfolgende Kapitel eingehen. <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>3.1 Widersprüchlichkeit und Komplementarität </b><br /></div> </div><div style="text-align: left;">Philosophische <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erkenntnistheorie" target="_blank">Erkenntnistheorie</a> bezeichnet "<i>zwei
(scheinbar) widersprüchliche, einander ausschließende, nicht
aufeinander reduzierbare Beschreibungsweisen oder Versuchsanordnungen,
die aber in ihrer wechselseitigen Ergänzung zum Verständnis eines
Phänomens oder Sachverhaltes im Ganzen notwendig sind</i>" als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplementarit%C3%A4t" target="_blank">Komplementarität</a> (Wikipedia). Komplementäre Gegensätze bilden <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dichotomie" target="_blank">Dichotome</a>, eine aus zwei Teilen bestehende einheitliche Struktur (Wikipedia). Das
salutogenetische Modell und das pathogenetische Modell bilden keine
Dichotome, weil sie sich nicht auf denselben Erklärungsgegenstand
beziehen. </div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;">Annahmen eines evolutionär
entstandenen, mentale Ordnung erzeugenden biologischen Kohärenzsystems haben spekulativen Charakter und sind empirisch nur begrenzt prüfbar. Diese Annahmen sind nicht irrational, sondern sie öffnen Zugänge zum Verständnis nicht operationalisierbarer komplexer Zusammenhänge. Annahmen eines mentale Ordnung erzeugenden biologischen Kohärenzsystems machen Funktionen dieses Systems verständlich. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Psychische Grundbedürfnisse nach Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit, Angstreduzierung sowie basale soziale Strukturen (soziale Gruppen, Symbolsysteme, abstrakte Glaubenssysteme) regulieren mentale Ordnungskonstrukte, die im Chaos der Welt erst Überleben und evolutionäre Entwicklung möglich machen. Diese Annahme ist nicht so harmlos, wie sie vielleicht auf den ersten Blick ausschaut. Sie impliziert nämlich, dass nicht nur subjektives Denken und Handeln, sondern auch Gesundheit und Krankheit von Lebensbedingungen beeinflusst sind. Pauschale Aussagen über Stärke dieses Determinismus hätten abzulehnenden dogmatischen Charakter. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jedenfalls bedeutet dieser Zusammenhang, dass Diagnosen subjektiver Befindlichkeit (Standardmethode pathogenetischer Konzepte) prinzipiell unvollständig sind und einen verzerrten Blick erzeugen. So gesehen stellen sich <i>Schulmedizin</i> und Alternativmedizin als unterschiedliche Ausprägungen eines paradigmatischen Glaubenssystems pathogenetischer Medizin dar, in der sich Wissenschaftler, Ärzte und Therapeuten als humane Leistungshelden inszenieren und Patienten die Rolle eines Klientels zuweisen, dessen Leistungswürdigkeit mit Zahlungskraft zunimmt.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Schulmedizin</i> und Alternativmedizin operieren innerhalb des Paradigmas eines pathogenetischen Glaubensmodells, aber sie nutzen unterschiedliche Methoden. Alternativmedizin verzichtet auf Evidenzen, operiert unverstellt auf der Glaubensebene und ist damit letztlich ehrlicher. <i>Schulmedizin</i> operiert mit teiweise fragwürdigen Evidenzen, erzeugt aber per Saldo den größeren Nutzen und konnte trotz immenser Kosten und trotz aller Fragen Dominanz entfalten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Modelle der Salutogenese und Pathogenese erklären Störungen unterschiedlich und unterscheiden sich darüber hinaus bzgl. ihrer Auffassung des Störungen umfassenden
Rahmens. Nach
außen sichtbar sind nur Störungen des Organsystems. Störungen des
Organsystems können von vier typischen Quellen verursacht sein, die<ol style="text-align: left;"><li>angeboren sind, </li><li>traumatisch auftreten,<br /></li><li>als physische Mikroeinflüsse von außen auf das Organsystem einwirken (Viren, Bakterien, Parasiten, Pilze, Vergiftungen etc.), <br /></li><li>von psychischen Störungen ausgelöst werden.</li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.2 Salutogenetisches Modell</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Das salutogenetische Modell berücksichtigt als Krankheit nur Funktionsstörungen
des Typs 4 und erklärt nicht, ob oder wie eine gestörte Architektur
repariert werden kann. Das Modell inspiriert jedoch neue Konzepte wie das <a href="https://leitbegriffe.bzga.de/systematisches-verzeichnis/kernkonzepte-und-entwicklungen-der-gesundheitsfoerderung/lebensweisenlebensstile/" target="_blank">Lebensweisenkonzept</a>
und geht in große wissenschaftliche Untersuchungen zur gesundheitlichen
Lage in Deutschland ein, auf deren Grundlage neue Strategien der
Gesundheitsprävention entwickelt werden.(1,2,3,4) Wikipedia nennt 6
Forschungsgruppen, die sich mit Konzepten der Salutogenese befassen.(5) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ungleichgewicht und permanente
Störeinflüsse versteht das
salutogenetische Modell als Normalzustand. Vom Kohärenzsystem gesteuerte fitte
Regulierungsmechanismen des Organsystems werden mit Ungleichgewicht und
Störungen fertig. Wenn Krankheiten auftreten, sind Ursachen im
Kohärenzsystem zu suchen. Vom Kohärenzsystem ausgelöste Störungen des Typs
4 entwickeln sich über
längere Zeiträume in nicht umkehrbaren komplexen Prozessen. Die
prinzipielle Plastizität von Organsystemen ermöglicht deren Überleben
unter veränderten Umweltbedingungen durch Anpassungen, aber sie vermag
keine Prozesse umzukehren. <br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das Modell basiert auf einem ganzheitlich-systemischem Verständnis von Organsystemen. Vom Kohärenzsystem regulierte mentale Ordnung und vom Organsystem regulierte Funktionalität bilden eine interagierende Einheit im Sinne von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplementarit%C3%A4t" target="_blank">Komplementarität</a>. Generell erklärt das Modell die Entstehung von Gesundheit und Krankheit
im Sinne von Bauplänen einer evolutionär entstandenen Gesamtarchitektur.
Architekturannahmen des pathogenetischen Medizinparadigmas sind gemäß dieser Perspektive mindestens fragwürdig.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.3 Pathogenetisches Modell</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das pathogenetische Modell versteht als Krankheit im engeren Sinn nur Funktionsstörungen
des Typs 3. Es betätigt sich aber als Reparaturwerkstatt für Störungen der Typen 1 bis 3 und erklärt sich für Störungen vom Typ 4 als nicht zuständig. <br /><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;">Gesundheit fasst das pathogenetische Modell als Gleichgewicht eines
sich selbst regulierenden Systems auf und Krankheit als Ungleichgewicht
erzeugende pathologische Störprozesse, die auf das System einwirken. Mit Gesundheit muss sich das
pathogenetische Modell nicht beschäftigen, weil sich Gesundheit vermeintlich als
selbstregulierender Normalzustand gewöhnlich einstellt. Handlungsbedarf
besteht erst, wenn der Normalzustand gestört ist. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Konzepte des pathogenetischen Medizinparadigmas basieren auf keinem
ganzheitlichen Verständnis von Organsystemen. Sie operieren nicht mit Annahmen von Komplementarität und zielen nicht primär auf
den Schutz von Organsystemen, sondern sie fokussieren auf
empirisch beobachtbare Funktionsstörungen von Organsystemen. Störungen bearbeiten sie mit
Methoden des pathogenetischen Medizinparadigmas nicht immer erfolgreich,
aber oftmals hilfreich. Das bedeutet: das pathogenetische Modell ist
nützlich, obwohl dessen Architektur unvollständig ist und einige
Konstrukte schief oder falsch zusammengesetzt sind. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">------------------------------- </div><ol style="text-align: left;"><li>BZgA: <a href="https://leitbegriffe.bzga.de/systematisches-verzeichnis/kernkonzepte-und-entwicklungen-der-gesundheitsfoerderung/lebensweisenlebensstile/" target="_blank">Lebensweisenkonzept</a> </li><li>Bundesministerium für Gesundheit: <a href="https://medizinsoziologie-reha-wissenschaft.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc01/medizinsoziologie-reha-wissenschaft/Dateien_Mitarbeiter/begenau/frauengesundheitsbericht.pdf" target="_blank">Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen in Deutschland</a> (PDF, 772 Setien)</li><li>Pressemeldung Bundesministerium für Gesundheit: <a href="https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2020/4-quartal/frauengesundheit.html" target="_blank">Wie steht es um Frauengesundheit?</a></li><li>RKI: <a href="https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/Gesundheitliche_Lage_der_Frauen_2020.pdf?__blob=publicationFile" target="_blank">Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland</a> (PDF, 394 Seiten)</li><li>Wikipedia: <a href="http://Solutogenese.Forschungskonzepte">Solutogenese.Forschungskonzepte</a><br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4 Schlussbetrachtung im Kontext der Postserie<br /></b></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Grenzen von Erkenntnisfähigkeit verpflichten zu Bescheidenheit. Erkenntnistheoretisch ist nicht entscheidbar ist, ob Allgemeinbegriffe (Universalen) tatsächlich existieren (Position des
Realismus) oder ob es sich um gedachte abstrakte begriffliche Konstrukte handelt
(Position des Nominalismus). Immerhin haben wir in einer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Offene_Gesellschaft" target="_blank">offenen Gesellschaft</a> die Wahl, ob wir irrationalen Glaubenssystemen vertrauen möchten oder ob wir bereit sind, mit rationaler Ungewissheit zu leben.(1) Fraglich ist, wieweit sich Menschen dieser Alternativen bewusst sind und sich im positiven Fall für eine der Alternativen entscheiden oder vorzugsweise keine Entscheidung treffen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a>, einer der renommiertesten deutschsprachigen Vertreter der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a>,
beschäftigt sich intensiv mit Themen des Bewusstseins. Metzinger nimmt
an, dass sich in prähistorischen Kulturen Glaubenssysteme entwickelt
haben, aus denen Religionen hervorgegangen sind. Metzinger beruft sich
auf das in Experimenten überprüfte sozialpsychologische Modell der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Terror-Management-Theorie" target="_blank">Terror Management Theorie</a>,
wenn er Einsicht in die eigene Sterblichkeit bzw. Todesangst als
Hauptproblem menschlicher Spezies postuliert, aus dieser Annahme
sozialpsychologische Erklärungen der Genese und des Managements Kultur
erzeugender universeller Verhaltensmuster ableitet und aus diesem
Zusammenhang die Entstehung von Glaubenssystemen erklärt.
Glaubenssysteme verhelfen zur kulturellen Verfestigung von
Verhaltensweisen, die Menschen Angst vor dem Tod nehmen und den
Zusammenhalt
von Gruppen wesentlich verstärken.(2)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ausführlichere Betrachtungen zu Themen der Philosophie des Bewusstseins
sowie der Evolution von Bewusstsein, Kultur und Religion trägt eine
Postserie zum Themenkomplex <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/search/label/Evolution%20Kultur%20und%20Relgion" target="_blank"><i>Bewusstsein, Kultur, Religion</i></a><i> </i>zusammen<i>. </i>Aufgrund der Beschäftigung mit dem Themenkomplex dieser Postserie ist
der Autor dieses Posts auf das Modell der Salutogenese aufmerksam
geworden. Recherchen suchten nach Erklärungen für Sinnstiftungs-Bedürfnisse und fanden Hinweise auf ein als Kohärenzsystem bezeichnetes Meta-Regulationssystem. Gemäß eigenem modellhaftem Verständnis sind in der Sinnkomponente des Kohärenzsystem mentale Ordnungskonstrukte des <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">kategorialen Denkens</a>, der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a> und der Angstbewältigung (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Terror-Management-Theorie" target="_blank">Terror Management Theorie</a>) verwoben.(3) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine im Prozess der biologischen Evolution entwickelte, kognitiv operierende mentale Sinnkomponente ist mutmaßlich an der Entstehung von Glaubenssystemen und deren symbolischen Repräsentationen beteiligt. Glaubenssysteme entstehen im Kontext von Wechselwirkungen mit Wertesystemen. Aus symbolisch repräsentierten Glaubenssystemen sind Religionen
hervorgegangen. Wie sich dieser Prozess entwickelt hat, ist eine an
anderer Stelle betrachtete Thematik.(4) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Prozess kultureller Evolution erzeugte soziale Differenzierung bewirkt die Fragmentierung von Werte- und Glaubenssystemen, sodass soziales Verhalten keinen einheitlichen Regeln folgt, sondern sich weitgehend unbewusst als Ausprägung der jeweiligen Werte- und Glaubenssysteme manifestiert. Zusammenhänge dieser Art belegte der französische Soziologe <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> mit den Begriffen Habitus und Doxa und wies deren Einfluss auf das Denken und Verhalten von Menschen in empirischen Studien nach.(5) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">------------------------------- </div><div style="text-align: left;"><ol><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Universalienproblem" target="_blank">Universalienproblem</a></li><li>Thomas Metzinger: <a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a> (PDF) </li><li>Auf mentale Ordnungskonstrukte des kategorialen Denkens und der Kausalattribuierung geht der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></i> in den Kapiteln 3.1 und 3.2 ein. </li><li>Ein Post über die Evolution von Religionssystemen befindet sich in Bearbeitung. </li><li>Siehe Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank">Pierre Bourdieu, Habitas und Doxa - Machteliten und Machtstrukturen</a> <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><b>4 Änderungshistorie des Posts</b><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">14.05.2023: Kapitel 1.1.2 eingefügt<br /></div><div style="text-align: left;">11.05.2023: Erweiterung des Begriffs <i>Schulmedizin </i> <br /></div><div style="text-align: left;">17.03.2023: Überarbeitung Kapitel 2.3, Ergänzungen zur Selbsbbestimmungstheorie <br /></div><div style="text-align: left;">07.03.2023: Überarbeitung Kapitel 3 und 4 <br /></div><div style="text-align: left;">06.03.2023: Neues Kapitel 4 </div><div style="text-align: left;"> Vollständige Überarbeitung Kapitel 3<br /></div><div style="text-align: left;"> Ergänzung Sterbehilfe in Kapitel 1.1.1 </div><div style="text-align: left;"> Anpassung Inhaltsverzeichnis<br /></div><div style="text-align: left;">05.03.2023: Überarbeitung Kapitel 1.1, 1.2, 3<br /></div><div style="text-align: left;"> Neues Kapitel 1.1.1 aufgenommen<br /> Überschrift Kapitel 2.4 geändert<br /></div><div style="text-align: left;"> Verweise auf alternativmedizinische Modelle umgestellt und erweitert</div><div style="text-align: left;"> Zusätzliche Anmerkungen aufgenommen</div><div style="text-align: left;"> Anmerkungen vom Ende des Posts zu Kapitelenden übertragen</div><div style="text-align: left;"> Kapitelnummerierung und Inhaltsverzeichnis angepasst</div><div style="text-align: left;"> Bildunterschriften und Rechte nachgetragen<br /></div><div style="text-align: left;">04.03.2023: Veröffentlichung der Urversion </div><br />potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-68177310062434044922023-01-16T07:30:00.102+01:002024-01-22T18:04:13.679+01:00Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt (Update 22.08.2023)<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/50610390867/in/album-72157716916800777/" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Nourlangie Rock, Kakadu NP, Australien 1997"><img alt="Nourlangie Rock, Kakadu NP, Australien 1997" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/50610390867_738801a5e8_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/50609533873/in/album-72157716916800777/" title="Himba People der Marienfluss Conservancy, Namibia 2016"><img alt="Himba People der Marienfluss Conservancy, Namibia 2016" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/50609533873_f763b1df2e_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/52630586295/in/album-72177720305268911/" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Rathausturm, Groß St. Martin und Kölner Dom von Deutzer Brücke"><img alt="Rathausturm, Groß St. Martin und Kölner Dom von Deutzer Brücke" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/52630586295_84888a1121_n.jpg" width="280" /></a>
</div>
<div style="text-align: left;"><b><div style="text-align: left;"> </div></b><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Links: Ca. 20.000 Jahre alte Aboriginal Felsmalerei am <a href="https://www.wikiwand.com/de/Nourlangie" target="_blank">Nourlangie Rock</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kakadu_National_Park" target="_blank">Kakadu NP</a>, mit Darstellung mythischer Wesen der</span></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> Traumzeit: Namondjok, Namarrgon (Blitzmann), Barrginj (Namarrgons Frau), Kinder und Ahnen (eigene Aufnahme 1997)<br /></span></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Mitte: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Himba" target="_blank">Himba People</a> der <a href="https://www.nacso.org.na/sites/default/files/Brochure%20Marienfluss%20FPis.pdf" target="_blank">Marienfluss Conservancy</a>, Namibia (eigene Aufnahme 2016)</span></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Rechts: Kölner Altstadt-Rheinpanorama mit Rathausturm, Groß St. Martin, Kölner Dom (eigene Aufnahme 2012 von Deutzer Brücke) <br /></span></div></div></b><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div></b><div style="text-align: left;">Dieser Post über die <i>Konstruktion und Dekonstruktion des Narrativs vom Fortschritt </i>ist ein Ausschnitt des Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">3 Was ist Kultur?</a></i>.<br /></div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht</b><br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">1 Konstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</div><div style="text-align: left;">1.1 Entstehung des Fortschrittsparadigmas westlicher Kulturen <br /></div>2 Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt </div><div style="text-align: left;">2.1 Grenzen des Wachstums</div><div style="text-align: left;">2.2 Struktur wissenschaftlicher Revolutionen</div><div style="text-align: left;">2.2.1 Normalwissenschaft<i> </i></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2.2.2 Paradigmenwechsel<i> </i><br /></div></div><div style="text-align: left;">2.3 Von Kuhn angestoßene Veränderungen des wissenschaftlichen Weltbildes <br /></div><div style="text-align: left;">3 Änderungshistorie des Posts</div><div style="text-align: left;"> </div><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;">1 Konstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</div></b><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div>Die große Erzählung vom Fortschritt geht ungefähr so:<div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px;"><div style="text-align: left;"><i>"Der
wissenschaftliche Fortschritt erzeugt den technischen Fortschritt. Der
technische Fortschritt erzeugt den ökonomischen Fortschritt. Der
ökonomische Fortschritt erzeugt den sozialen Fortschritt. Der soziale
Fortschritt erzeugt den individuellen Fortschritt. Der individuelle
Fortschritt erzeugt – durch die Befreiung von niederer Arbeit durch
Bildung und Wissen – den kulturellen Fortschritt. Der kulturelle
Fortschritt wiederum erzeugt weiteren wissenschaftlichen Fortschritt.
Und so weiter, bis irgendwann das Paradies der Vollkommenheit in einer
Welt des ewigen Fortschritts erreicht wäre."</i>(1) </div>
<div style="text-align: left;"> </div></div><div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">In der Welt monotheistischer Religionen prägten und prägen teilweise noch immer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eschatologie" target="_blank">eschatoligische</a> Vorstellungen eines endzeitlichen Geschehens das Denken von Menschen. Christliche Kulturen kannten bis zum Ende des ausgehenden Mittelalters keinen kulturellen Fortschritt. Die wahrgenommene Welt hatte Gott vermeintlich so eingerichtet, wie sich darstellt, also richtig und gut. Aufgrund des Versagens der Menschheit war der Tag des Weltengerichts unausweichlich und in Kürze zu erwarten. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Seit dem ausgehenden Mittelalter bewirken imperialer Kolonialismus, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäische Expansion</a>, rationalistische Verwissenschaftlichung der Welt und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Industrielle_Revolution" target="_blank">industrielle Revolution</a> ein Umdenken. Zunächst gegen
Widerstand traditioneller Denkweise setzten sich im westeuropäischen
Kulturraum Überzeugungen der universalen Überlegenheit europäischer
Werte durch. Mit wachsender politischer und
wirtschaftlicher Macht breitet sich Deutungsmacht westlicher Denkweise
global aus. Von christlichem
Gedankengut infizierte wissenschaftliche Vorstellungen linearer
Evolution rechtfertigen im Kern dieser Deutungsmacht diskriminierende Auffassungen <i>unzivilisierter <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naturvolk" target="_blank">Naturvölker</a></i>, die es zu <i>zivilisieren</i>
gilt. Dieses Denkmuster versteht kulturelle Evolution als
Prozess kontinuierlicher <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zivilisation" target="_blank"><i>Zivilisierung</i></a>, mit dem sich zunehmender Fortschritt dank Überlegenheit europäischer Werte sukzessive global ausbreitet. </div> <br /></div><div style="text-align: left;">Seit 1867 veranstaltete <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltausstellung" target="_blank"><i>Weltausstellungen</i></a>
präsentieren mit großer Zustimmung aufgenommene öffentliche
Leistungsschauen des Fortschritts. Zunehmender Wohlstand, Verbesserung von Gesundheit und sozialer Sicherheit, Verlängerung
der Lebenserwartung, Ausdehnung individueller
Freiräume und Handlungsoptionen gelten als verdiente Früchte eigener Anstrengungen. Dass
diese Früchte mit Sklaverei, Ausbeutung und Unterdrückung weiter Teile
der Menschheit erkauft sind, bereitet keine Skrupel, sondern gilt als natürliche Selektion der Fitness von <i>Kulturen</i>. An der Spitze einer kulturellen Fortschrittspyramide entfalten vermeintlich fittere Kulturen Dominanz über rückständige heidnische Kulturen, deren Mitglieder über Jahrhunderte als keine vollwertigen Menschen galten (woran Rassisten noch immer festhalten). Naiven Fortschrittsglauben begründen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziokulturelle_Evolution" target="_blank">soziale Evolutionstheorien</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Empirismus" target="_blank">Empirismus</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Positivismus" target="_blank">Positivismus</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Liberalismus" target="_blank">Liberalismus</a> mit vermeintlich wissenschaftlichen sowie von christlicher und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Utilitarismus" target="_blank">utilitaristischer Ethik</a> gestützten Argumenten. Konträre Auffassungen eines kleinen Kreises Ethnologen galten als wissenschaftlich und politisch irrelevante Positionen von Außenseitern.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Spirituelles, magisches, esoterisches Denken und mit ihm verknüpfte traditionelle Verhaltensweisen sind tief verwurzelt. Der Wandel von eschatologischen zu optimistischen Weltanschauungen verdrängt dogmatische religiöse Lehren erst zeitlich
verzögert. Einsetzende <a href="https://www.wikiwand.com/de/S%C3%A4kularisierung" target="_blank">Säkularisierungsprozesse</a> verursachen Legitimationskrisen marginalisierter religiöser Institutionen. Säkularisierungsprozesse lösen ehemals religiös konnotierte Spiritualität keineswegs auf. Spiritualität heftet sich mit Fortfall religiöser Glaubens-Verbote und -Gebote an alternative metaphysische Sinngefüge. Das Spektrum fundamentalistischer Überzeugungen wird nicht kleiner,
sondern breiter und irrationaler. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.1 Entstehung des Fortschrittsparadigmas westlicher Kulturen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Alle höheren biologischen Arten entwickeln in der Auseinandersetzung mit
ihrer Umwelt Strategien des Überlebens, der Reproduktion und des
existenziellen Krisenmanagements. Einige höhere Arten verfügen in einem weiten Verständnis des Begriffes über <i>Kultur</i>
im Sinne der Fähigkeit, Strategien individuell zu lernen und zu teilen.
Kulturelle Strategien bevorraten Praktiken der Weltbewältigung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit
der evolutionären Entwicklung der menschlichen Art entwickeln sich im
mentalen System primäre Bedürfnisse kohärenter Sinnhaftigkeit. Auf
Lebensrisiken reagiert das mentale System mit Alarmmeldungen, die
als Aufmerksamkeit erzeugende emotionale Angstzustände empfunden werden
und Aktivität erfordern. Die Etablierung externer Kohärenzsysteme
ermöglicht und unter prekären Bedingungen relative Entscheidungs- und
Verhaltenssicherheit und erhöht Lebenschancen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Nicht
erklärbare empirische Phänomene können auf unbekannte Risiken hinweisen
und erzeugen daher Alarmzustände. Wenn nicht erklärbare empirische
Phänomen regelmäßig auftreten, ohne dass Risiken zu erkennen sind,
stören sie das Koheränzbedürfnis des mentalen Systems und erzeugen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Dissonanz" target="_blank">kognitive Dissonanzen</a>,
die das mentale System mit Hilfe kausaler Erklärungskonstrukte auflöst.
Narrative der Erklärung von Kausalität befriedigen Bedürfnisse
kohärenter Sinnhaftigkeit, indem sie rational nicht erklärbare
empirische
Phänomene verständlich machen und Ängste vor Risiken des Lebens
reduzieren. </div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;">Fähigkeiten
zur evolutionären Kumulierung kultureller Strategien sind eine
spezielle Eigenschaft von Homo sapiens, die ihn von anderen
biologischen Arten absetzt. In diesem Kontext entstanden religiöse
Deutungsmuster und Handlungsvorschriften für kausal nicht erklärbare
empirisch wahrnehmbare Zustände und Ereignisse.
Menschen bevorzugen prägnante Begriffe als Anker eigener abstrakter
Vorstellungen. Die begriffliche Verdichtung einer speziellen Klasse
kultureller Phänomene auf den Begriff <i>Religion</i> vermittelt
implizit Vorstellungen relativ gleichartiger kultureller Deutungsmuster
mit relativ ähnlichen Praktiken. Tatsächlich handelt es sich um einen
vielgestaltigen kulturellen Komplex, der zeitlich, räumlich, ethnisch,
geschlechtlich eine große Bandbreite an Strategien und Praktiken
ausprägt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nach mehr als 1000 Jahren setzte um das Jahr 1700 in westlichen Kulturen mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a>
und der beginnenden Industrialisierung eine Umkehrung von
Zukunftsvisionen ein. Die Kumulierung von Wissen und Fähigkeiten im
Prozess kultureller Evolution verdrängte zuvor als sicher geltende
Vorstellungen apokalyptischer Eschatologie zugunsten optimistischer
Erwartungen evolutionären Fortschritts. Narrative rechtfertigten
Irrtümer und Kollateralschäden als unvermeidbare Begleiterscheinungen
iterativer Prozesse kulturellen Fortschritts und erwarten mit wachsendem
Fortschritt die Minimierung von Irrtümern und Kollateralschäden gegen
Null. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Im
Kontext der Umwelt kooperierte Homo sapiens 99 % des Zeitraums
seiner Existenz in kleinen Gruppen unter egalitären Bedingungen
weitgehend friedlich und gendergerecht. Vor ca. 10.000 Jahren entstanden
mit der Neolithisierung (Übergang zur Sesshaftigkeit) soziale
Ungleichheit und Ausbeutung und verdrängten egalitäre Kultur. Die Frage, ob diese Wende als Katastrophe oder als Erfolgsstory zu
werten ist, wird kontrovers diskutiert. Erfolge westlicher
Kulturen geben der optimistischen Weltsicht dieser Kulturen scheinbar
Recht. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Innerhalb westlicher Kulturen reklamieren insbesondere
Kulturwissenschaftler Einwände gegen diese Ansichten. Diese bleiben
überwiegend ungehört oder unverstanden. Attraktiv und
sympathisch ist die westliche Perspektive vor allem für Menschen, die
als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/WEIRD" target="_blank">WEIRD</a></i>
gelten. Global
sind das ca. 12 %. Menschen der <i>WEIRD</i>-Kulturen
ignorieren gerne, dass Wohlstand auf Fundamenten von
Imperialismus, Dogmatismus, Rassismus errichtet ist, die Ausbeutung und
Unterdrückung rechtfertigen. Außerhalb westlicher Kulturen
teilen längst nicht alle Menschen westliche Weltsichten und deren Werte.
Daher erzeugt die globale
materielle Überlegenheit westlicher Kultur terroristischen
Widerstand, dessen Ethik nicht weniger problematisch ist. </div><div style="text-align: left;"> </div></div></div><div style="text-align: left;">Das <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/WEIRD" target="_blank">WEIRD</a></i>-Modell hat der in Harvard lehrende kanadische Anthropologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Henrich" target="_blank">Joseph Henrich</a> In einer jüngeren Veröffentlichung entwickelt.(1,2) <i>WEIRD</i> ist ein englisches Akronym für <i><u>w</u>estern</i> (westlich), <i><u>e</u>ducated</i> (gebildet), <i><u>i</u>ndustrialized</i> (industrialisiert), <i><u>r</u>ich</i> (wohlhabend, reich) und <i><u>d</u>emocratic</i> (demokratisch) und zugleich ein Wortspiel. Im Englischen bedeutet <i>weird</i>
seltsam, sonderbar, merkwürdig. Als Ethnologe hat Henrich aufgrund
zahlreicher zitierter empirischer Studien erkannt, dass westliche
Verhaltensmuster, Werte und Normen in weiten Teilen der Welt als seltsam
und sonderbar gelten. Anhand
sozialpsychologischer und soziologischer Studien verweist Henrich auf
Unterschiede bei Menschen westlicher Kulturen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Sie fallen auf optische Täuschungen herein und können sich Gesichter schlecht merken.</li><li>Sie wertschätzen analytisches Denken, Individualismus, Freiheit, Fleiß, Vertrauenswürdigkeit, Geduld, Selbstbeherrschung.</li><li>Sie bevorzugen Rechtsstaatlichkeit und Institutionen der Gewaltenteilung sowie Marktwirtschaft gegenüber Cliquenwirtschaft.</li><li>Ein von Schuldnormen integriertes Gemeinwesen ist ihnen wichtiger als von Normen der Scham regierte Verwandtschaftssysteme.</li><li>Während Menschen westlicher Kulturen Vetternwirtschaft, Korruption,
Clans, arrangierte Ehen überwiegend verurteilen und Rechtssysteme oder <a href="https://www.wikiwand.com/de/Compliance_(BWL)" target="_blank">Compliance</a>-Regeln Verstöße ahnden, verlangt Moral des
Stammesdenkens nicht-westlicher Kulturen gegenüber der Familie und Verwandtschaftsbeziehungen Loyalität und gegenseitige Unterstützung sowie gegenüber Fremden einen Vertrauensvorschuss an Fairness, der in westlichen Kulturen unüblich ist.</li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Henrich
nimmt an, dass sich westliche Kulturen mit allen positiven und
negativen Begleiterscheinungen aufgrund dieser Unterschiede gegenüber
Kulturen durchsetzen konnten, in denen Risiken prekärer
Lebenssituationen signifikant größer sind. Westliche Kulturen haben
dank höhere Produktivität vergleichsweise größeren Wohlstand sowie Schutzmechanismen gegen prekäre
Lebenssituationen entwickelt, die als Fortschritt empfunden werden und
zur Ausprägung von Ideologien des Fortschrittsdenken geführt haben. Ob
Menschen in westlichen Kulturen zufriedener oder glücklicher werden, ist
eine andere Frage.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unstrittig ist, dass soziale Normen kulturell vermittelt werden. Erklärungsbedarf besteht jedoch bezüglich der Fragen:</div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Warum konnten sich diese Unterschiede in der kulturellen Evolution ausprägen?</li><li>Welche
Bedingungen bewirken, dass sich westliche Kulturen in der Gegenwart
gegenüber autokratischen Systemen zunehmend in der Defensive befinden?</li><li>Welche
Sachverhalte bewirken, dass sich innerhalb westlicher Kulturen
reaktionäre populistische Bewegungen zunehmend ausbreiten? <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;">Henrichs zentrale These greift <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Weber" target="_blank">Max Webers</a>
Annahmen zur protestantischen Ethik als Motor des Kapitalismus auf (3),
er sieht aber die Entwicklung deutlich früher einsetzen und nimmt an,
dass die Ausbreitung christlicher Religion ab ca. dem Jahr 500 die
entscheidende Veränderung des Austauschs tribaler Schamkultur gegen
westliche Schuldkultur bewirkt. Normen christlicher Religion verdrängten
tribale Strukturen mit persönlichen Verpflichtungen in Clans und
Verwandtschaftssystemen zugunsten unpersönlicher
Prosozialität, mit der sich von Moraltheologie und Rechtssystemen
gerechtfertigte Schuldsysteme ausbreiten. Ab ca. dem Jahr 1000 sind in
Westeuropa Clans zugunsten von Kernfamilien aufgelöst. Kernfamilien verbinden sich in
Städten, Klöstern, Universitäten und entwickeln Individualität jenseits
von Clan- und Verwandtschaftsstrukturen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Moraltheologie und Rechtssysteme regulieren unpersönlichen Wettbewerb
zwischen Individuen und motivieren Individuen zu eigenen Leistungen. Als eher zufällig wirksame Katalysatoren der Zerschlagung verwandtschaftsbasierter Institutionen identifiziert Henrich Gebote der Monogamie und der Neolokalität als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Residenzregeln" target="_blank">Residenzregel</a> von Kernfamilien sowie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heiratsregeln" target="_blank">Heiratsregeln</a>
mit Verbot der Vetternehe.(4) Indem die christliche Religion das Denken
von Europäern veränderte, verursacht sie unbeabsichtigt Aufklärung,
industrielle Revolution, Demokratie, Individualismus, ökonomisches und
rationales Denken und bewirkt als Konsequenz dieser Entwicklung ihre
Selbstzerstörung durch säkulares Denken. </div><p></p><p>Dass westliches Denken zunehmend in die Defensive gerät, Demokratien erodieren, weil Krisen als Regierungsversagen verstanden werden und Clanstrukturen in westlichen Kulturen wieder stärker werden,
erklärt Henrichs in einem Interview als Folge unkontrollierbarer
globaler Krisen. In kultureller Evolution entwickelte Strukturen können
verdrängt oder überlagert werden, aber sie bleiben im kollektiven
Bewusstsein erhalten. Unter dem Einfluss globaler Krisen suchen Menschen Schutz in kulturhistorisch bewährten überschaubaren und kontrollierbaren Clanstrukturen.(5) </p></div><div style="text-align: left;">--------------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Joseph Henrich: <i>Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie die Menschen reichlich sonderbar und besonders reich wurden</i>. Berlin 2022 (Original: <i>The WEIRDest People in the World: How the West Became Psychologically Peculiar and Particularly Prosperous.</i> Farrar, Straus and Giroux, 2020)</li><li>Rezensionen des Buchs:<br /><ul><li>Günter Renz, Ethik und Anthroplogie: <a href="https://ethik-und-anthropologie.de/2022/07/23/joseph-henrich/" target="_blank">Joseph Heinrich</a> <br /></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/psychologie-westen-individualismus-joseph-henrich-weird-100.html" target="_blank">Warum westliche Menschen "weird" sind</a></li><li>WELT: <a href="https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article237722759/Das-Geheimnis-westlicher-Zivilisation-Joseph-Henrich-ueber-WEIRD.html" target="_blank">Warum sich Westler keine Gesichter merken können</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/joseph-heinrich-schreibt-buch-menschen-im-westen-sind-die-besten-17984513.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Die Menschen im Westen sind die Besten</a></li></ul></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_protestantische_Ethik_und_der_Geist_des_Kapitalismus" target="_blank">Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus</a></li><li>NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/wie-die-katholische-kirche-wider-willen-den-gesellschaftlichen-fortschritt-des-westens-beschleunigte-ld.1412848" target="_blank">Wie die katholische Kirche wider Willen den gesellschaftlichen Fortschritt des Westens beschleunigte </a><br /></li><li>NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/ehe-und-erben-joseph-henrich-erklaert-den-aufstieg-des-westens-ld.1440752" target="_blank">Anthropologe Joseph Henrich: «Es schadet dem Zusammenleben, wenn Männer mehrere Frauen haben dürfen»</a></li></ol> </div><div style="text-align: left;"></div></div><div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2 Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div></div></div></div><div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Globale Entwicklungen des letzten Jahrhunderts deformieren Narrative naiven Fortschrittsglaubens nachhaltig und entlarven sie als Mythen.(2) Aus der langen Liste von Irritationen sind hier lediglich einige prägnante Beispiele genannt, mit denen sich Skepsis im kollektiven Bewusstsein ausbreitet: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> Zwei Weltkriege mit Faschismus, Holocaust, Atombombenabwürfe auf Japan, </li><li>Koreakrieg, Vietnamkrieg, Rhodesienkrieg, Afghanistankrieg, Russland-Ukraine-Krieg und zahllose weitere Kolonialkriege, Genozide, Bürgerkriege, </li><li>globale Abahme des Anteils nach demokratischen Regeln regierter Staaten
und Zunahme des Anteils unkontrollierbarer autokratischer
Regierungsformen, <br /></li><li>politischer und religiöser Terrorismus, <br /></li><li>Auslaugung, Überdüngung und Vergiftung land- und forstwirtschaftlicher Nutzflächen,</li><li>Überfischung und Verschmutzung der Weltmeere,</li><li>Abholzung von Regenwäldern, <br /></li><li>Abnahme der Biodiversität, <br /></li><li>eskalierende Luftverschmutzung und Klimakrisen, </li><li>an keinem Ort der Welt können Menschen sich noch sicher fühlen, <br /></li><li>usw..</li></ul></div><div style="text-align: left;">Obwohl sich das Versprechen der großen Erzählung vom Fortschritt zumindest als Irrtum, vielleicht auch als Lüge erweist, gibt die politisch und ökonomisch dominante Elite das Fortschrittsnarrativ aus nachvollziehbaren Gründen des Eigennutzes nicht auf. Experten der
wissenschaftlichen Welt identifizieren Kriege unterschiedlicher Art
sowie physische und symbolische Gewalt als ubiquitäre kulturelle
Phänomene. Auf Fragen nach Ursachen und Zusammenhängen kultureller Disruption und auf der Suche nach geeigneten Maßnahmen einer
globalen Befriedung finden sie jedoch weder plausible noch
praktikable Antworten. Allerdings ist zu beachten, dass Wissenschaften von politischen und ökonomischen Interessen beeinflusst sind und Verknüpfungen zwischen Interessenlagen der verschiedenen Sphären überwiegend intransparent bleiben und schwer zu entschlüsseln sind.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Allmählich wird bewusst, dass die Aufteilung der Welt unter
europäischer Dominanz nicht als linearer kulturevolutionärer
Prozess erklärbar ist, sondern als eine Folge der Konzentration kontingenter
Bedingungskonstellationen zu verstehen ist, die mehr oder weniger zufällig europäischer
<i>Kultur</i> auf Kosten nicht-europäischer <i>Kultur</i> zur Dominanz verhalfen und weitere Entwicklungen anstoßen: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Vertrauen von Menschen in Kompetenzen politischer, ökonomischer und wissenschaftlicher Leader erodiert. </li><li>Mit Prozessen beschleunigter Globalisierung nimmt ohnehin nur unvollständige Kontrollierbarkeit von Makroprozessen ab. </li><li>Als Ergebnis dieser Entwicklung geraten Fortschrittsnarrative in Krisen. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">In Teilen der wissenschaftlichen Welt setzen tiefgreifende Veränderungen des Denkens ein.(3) Avantgarde dieser Veränderungen bilden die Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a>. In jüngerer Zeit erkennen der Kulturanthropologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Graeber" target="_blank">David Graeber</a> und der Prähistoriker <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Wengrow" target="_blank">David Wengrow</a> Bedarf für eine <i>"konzeptionelle Transformation"</i> des vorherrschenden <i>"großen Bildes"</i>
der Geschichte, das entstanden sei, um bestehende Verhältnisse zu
rechtfertigen, aber den Fakten nicht standhalte und in weiten Teilen
falsch sei. Mit ihrer Veröffentlichung <i>Anfänge</i>
unternehmen Graeber/Wengrow den Versuch, die Diskussion kultureller Disruption zu
ordnen, Ursachen zu identifizieren, auf fehlerhafte Abzweigungen
aufmerksam zu machen und fatalistische Alternativlosigkeit aufzuweichen.(4) Im Rahmen dieses Posts ist <i>Anfänge</i>
nicht angemessen zu würdigen. Verwiesen sei auf eine Betrachtung an anderer Stelle.(5)
Nachfolgende Beispiele skizzieren lediglich exemplarische Veränderungen
wissenschaftlichen Denkens. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>2.1 Grenzen des Wachstums</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das 1968 gegründete Expertengremium <a href="https://www.wikiwand.com/de/Club_of_Rome" target="_blank"><i>Club of Rome</i></a> veröffentlichte 1972 die Studie <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_Grenzen_des_Wachstums" target="_blank">Die Grenzen des Wachstums</a></i>,
die eine nachhaltig wirksame Diskussion zur Lage der Menschheit und zur
Zukunft der Weltwirtschaft auslöste, zur Spaltung politischer Lager
sowie zur Polarisierung zwischen fundamentalistischen Positionen von
Fortschrittsgegnern und Fortschrittsgläubigen beitrug und nicht zuletzt
eine Rehabilitierung von zuvor aus Wissenschaften verbannten ethischen
Fragestellungen bewirkte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.2 Struktur wissenschaftlicher Revolutionen</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der US-amerikanische Wissenschaftstheoretiker <b><b><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn" target="_blank">Thomas S. Kuhn</a></span></b></b> präsentierte 1962 in seinem Hauptwerk <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/The_Structure_of_Scientific_Revolutions" target="_blank">The Structure of Scientific Revolutions</a> </i>das theoretische Fundament für ein Verständnis von Fortschrittsdenken, das mit periodischer Etablierung, Konkurrenz und Abfolge universeller Erklärungsmodelle zu- und abnimmt. Kuhns Werk schlug in der wissenschaftlichen Welt wie eine Bombe ein.(6)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gegen herkömmliche Auffassungen wissenschaftlichen Fortschritts als Ergebnis objektiver Qualitätsvergleiche wendet Kuhn ein, dass Erkenntnisse und Fortschritte im Wissenschaftsbetrieb mittels sozialer Prozesse auf zwei unterschiedlichen
Wegen zustande kommen, wobei Deutungshoheit über Relevanz und Legitimität von
Wissenschaft sowie Ausrichtungen von Forschungsprogrammen und Verwendung von
Forschungsmitteln von Machtverteilungen beeinflusst sind.(7) Die Abfolge universeller Erklärungsmodelle erklärt Kuhn als einen sozial
determinierten kontingenten Prozess, der keine Annahmen der Annäherung
an transzendente Ziele gestattet. Eindrücke der Dynamik von Forschungsprozessen vermitteln einige verlinkte Artikel.(8)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kuhn dekonstruiert die Erzählung vom wissenschaftlichen Fortschritt und zeigt auf, dass der Wissenschaftsprozess in zwei Prozesse zerfällt, die er als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn#Normalwissenschaft" target="_blank"><i>Normalwissenschaft</i></a> und als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn#Wissenschaftliche_Revolutionen" target="_blank"><i>wissenschaftliche Revolutionen</i></a> bezeichnet. Für Weltbilder von <i>Normalwissenschaft</i> führt Kuhn den Begriff <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Paradigma" target="_blank">Paradigma</a></i> ein, der mittlerweile auch in Alltagssprache gebräuchlich ist. <i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><b>2.2.1 Normalwissenschaft</b><i> <br /></i></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i>Paradigmen</i> bestehen in ihrem Kern aus <a href="https://www.wikiwand.com/de/Axiom" target="_blank">Axiomen</a>,
d.h. grundlegende Aussagen bzw. Gesetzmäßigkeiten, die nicht aus
anderen Aussagen abgeleitet sind und als wahr angenommen oder behauptet
werden, ohne dass der Anspruch auf Wahrheit beweisbar ist. Aus dieser
Sicht wird verständlich, wenn der Wissenschaftsphilosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Paul_Hoyningen-Huene" target="_blank">Paul Hoyningen-Huene</a> anlässlich des 100. Geburtstages von Thomas S. Kuhn einen Artikel der FAZ mit der Aussage überschreibt <i>"Die Normalwissenschaft weiß alle Antworten"</i>.(9) <i> <br /></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i> </i><br /></div><div style="text-align: left;">Innerhalb
dominierender Lehrmeinungen und Wissenschaftsprogramme entfaltet sich
kontinuierlicher wissenschaftlicher Fortschritt per
sozialer Mechanismen der Professionalisierung. Als Stand des Wissens
geltende <i>Paradigmen</i> haben einen hohen Verbindlichkeitsgrad und sind
ähnlich wie Dogmen gegen Kritik von außen immun. Mit <i>Paradigmen</i> nicht
vereinbare
Erkenntnisse werden unterdrückt bzw. als Irrtümer oder Unsinn abgelehnt,
sofern sie Gehör finden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.2.2 Paradigmenwechsel</b><i> </i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Den von <i>wissenschaftlichen Revolutionen</i> ausgelösten Übergang zwischen <i>Normalwissenschaften</i> nennt Kuhn <a href="https://www.wikiwand.com/de/Paradigmenwechsel" target="_blank"><i>Paradigmenwechsel</i></a>. Kuhns Erklärung des <i>Paradigmenwechsel</i>s
löste kontroverse wissenschaftliche Diskussionen aus, die jedoch im
Kontext dieses Posts nicht relevant sind und nachfolgend referierte Erklärung Kuhns nicht
beschädigen.<i> <br /></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i> </i><br /></div><div style="text-align: left;">Erst wenn Wissenschaftsprogramme aufgrund
zunehmender Anomalien in Krisen geraten, gewinnen konkurrierende
Programme Anhänger. Krisen von <i>Paradigmen</i> resultieren aus Krisen
ihrer Axiome. Krisen von Axiomen entstehen, wenn Annahmen ihrer Wahrheit
bzw. Gültigkeit aufgrund der Zunahme nicht erklärbarer Phänomene oder
aufgrund von Widersprüchen neuer Erkenntnisse in Frage gestellt werden.
Derartige Krisensituation leiten <i>wissenschaftliche Revolutionen</i> ein, die einen Austausch von Axiomen bewirken und als <i>Paradigmenwechsel</i> bezeichnet werden.<br /><br /><i>Paradigmenwechsel </i>sind
jedoch nicht
allein mit formalen oder objektiven Qualitätskriterien von
Wissenschaften erklärbar, sondern sie werden aufgrund sozialer Kriterien
und Interessen verhindert oder auch beschleunigt. <i>Paradigmenwechsel </i>
finden erst bei ausreichendem kritischem Verdrängungspotential statt.
Verdrängungspotential resultiert aus der Bündelung von Interessen
konkurrierender wissenschaftlicher Aufsteiger. Wenn die Bündelung von
Community-Interessen eine kritisch Größe erreicht, verdrängen
wissenschaftliche Aufsteiger die Vertreter bislang vorherrschende
Lehrmeinungen und setzen neue Paradigmen durch, bis sie selbst von der
nächsten
<i>wissenschaftlichen Revolution</i> abgelöst werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.3 Von Thomas Kuhn angestoßene Veränderungen des wissenschaftlichen Weltbildes</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kuhns Werk <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/The_Structure_of_Scientific_Revolutions" target="_blank">The Structure of Scientific Revolutions</a></i> gilt als Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte, der nicht nur Einfluss auf die Wissenschaftstheorie ausübte. Aus der
metatheoretischen Diskussion resultiert seit Kuhn eine Neuordnung wissenschaftlicher Denkweisen, mit der sich Blicke auf das wissenschaftliche Weltbild insgesamt nachhaltig verändert haben. Wissenschaftler streiten die
Modellhaftigkeit ihrer Ansichten nicht länger ab, sondern räumen sie ein
und erklären Modellhaftigkeit wissenschaftlicher Annahmen
zum Prinzip wissenschaftlicher Theorien. Allerdings ist Kuhns Haltung hinsichtlich wissenschaftlichem Fortschritt ambivallent und lässt Raum für Deutungen.(10) Erwähnt sei, dass Kuhns auf einer Analogie mit der Mathematik beruhende Konzept der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Inkommensurabilit%C3%A4t_(Wissenschaftstheorie)" target="_blank">Inkommensurabilität</a> von Paradigmen in der Wissenschaftstheorie umstritten ist und diskutiert wird.(11)<br /> </div><div style="text-align: left;">Seit Kuhn erweisen sich Aufteilungen zwischen vermeintlich
<i>weichen</i> Geisteswissenschaften und <i>faktengesättigten exakten </i>
Naturwissenschaften als sozial erzeugte hartnäckige Mythen, die der Legitimierung politischer und wirtschaftlicher Ziele dienen. Beharren auf diese nicht länger glaubwürdige Ansicht stellt kein Vertrauen in Wissenschaft her, sondern zerstört es.(12)<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>(Sozial-) <a href="https://www.wikiwand.com/de/Konstruktivismus_(Philosophie)" target="_blank">Konstruktivismus</a><br />Wissenschaftliche Modelle werden als gedankliche
Konstrukte aufgefasst, die in sozialen Prozessen zustande gekommene Annahmen über Zusammenhänge zwischen
empirisch beobachteten Objekten einer wie auch immer gearteten Welt beschreiben. Da Modelle keine Beschreibungen objektiver Realität darstellen, haben sie immer nur vorläufigen Charakter. Unter konkurrierenden Modellen setzen sich in iterativen Endlosschleifen zeitweilig jene Modelle durch, die sich vorübergehend mit höherer Erklärungskraft bewähren. <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturrelativismus" target="_blank">Kulturrelativismus</a><br />Bekämpfte kulturrelativistische Positionen
der Ethnologie, die zuvor Außenseiter in wissenschaftlichen Randdisziplinen
vertraten, wurden mit der Neuordnung wissenschaftlicher Denkweisen in kurzer Zeit zu wissenschaftlichem Allgemeingut
und bilden mittlerweile den Stand der Wissenschaft in Philosophie,
Soziologie, Psychologie.(13) </li><li>Bedeutungsverlust und Einordnung wissenschaftlicher Narrative<br />In der Ethnologie identifizierten und analysierten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a> Kultur als Text bzw. Literatur.(43) In ähnlicher Art und Weise betrachtete der US-amerikanische Historiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hayden_White" target="_blank">Hayden White</a> Geschichtsschreibung, die er mit Kategorien der Literaturwissenschaft analysierte. In seinem Opus magnum <a href="https://www.wikiwand.com/en/Metahistory:_The_Historical_Imagination_in_Nineteenth-century_Europe" target="_blank"><i>Metahistory</i></a> demontiert Hayden White den Historiker-Anspruch auf objektive Geschichtsschreibung als sinnstiftende Poesie, die zu Unrecht Übereinstimmung mit der Vergangenheit beansprucht. (15,16)</li></ul></div></div><div style="text-align: left;">--------------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li> Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/wissenschaft-zwischen-fortschrittshoffnung-und-skepsis-100.html" target="_blank">Zwischen Fortschrittshoffnung und Skepsis</a><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></li><li>Zum Verständnis von Mythen siehe Kapitel 2.5 des Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">3 Was ist Kultur?</a>.</i></li><li>Probleme der Begriffe <i>Fortschritt</i> und <i>Entwicklung</i> als Konzepte der Analyse von Globalgeschichte erläutert der Historiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Speich_Chass%C3%A9" target="_blank">Daniel Speich Chassé</a> in einem Beitrag von Docupedia-Zeitgeschichte: <a href="https://docupedia.de/zg/Fortschritt_und_Entwicklung" target="_blank">Fortschritt und Entwicklung</a> <br /></li><li>David Graeber, David Wengrow, <i>Anfänge: Eine neue Geschichte der
Menschheit</i>, Stuttgart 2022 (Original: <i>The Dawn of Everything. A New
History of Humanity</i>, London, New York 2021) <b><b><span style="font-weight: normal;"><br /></span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Siehe Post: </span></b></b><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2022/02/der-gang-der-geschichte-und-ihre.html" target="_blank">Der Gang der Geschichte und ihre Anfänge - Anmerkungen zum Buch 'Anfänge' von David Graeber und David Wengrow</a><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Thomas S. Kuhn</span></b></b>: <i>The Structure of Scientific Revolutions</i> (International Encyclopedia of Unified Science. Band 2, Nr. 2). University of Chicago Press, Chicago 1962. Deutsche Übersetzung: <i>Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen,</i> 1967<i>.</i> </li><li>Kuhn bemerkte, dass viele seiner Gedanken bereits vom polnischen Philosophen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwik_Fleck" target="_blank">Ludwik Fleck</a> (1896-1961) formuliert waren und erwähnte Fleck im Vorwort des eigenen
Hauptwerks. Damit stieß Kuhn eine Rezeption Flecks an, die nach 1980
einsetzte. In der Gegenwart gilt Flecks Werk als Klassiker der
Wissenschaftsgeschichte, -soziologie und -theorie.<br />Vor Ludwik Fleck machte bereits <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Semmelweis">Ignaz Semmelweis</a> (1818-1865) als Chirurg die Erfahrung, dass seine lebensrettenden Erkenntnisse zu Hygienemaßnahmen von Kollegen als <i>spekulativer Unfug</i>
abgelehnt wurden. Während Semmelweis
Erkrankungen und Todesraten dank Hygiene signifikant reduzieren konnte, hielten viele Ärzte Sauberkeit für unnötig und
wollten nicht wahrhaben, dass sie aufgrund mangelnder Hygiene
Krankheiten mit hohen Todestaten verursachten.
Kollegen feindeten Semmelweis an und bezeichneten ihn als <i>Nestbeschmutzer</i>.
Der Sachverhalt, dass neue wissenschaftliche Entdeckungen von
Vertretern verbreiteter Lehrmeinungen ohne Überprüfung erst einmal
abgelehnt und Entdecker bekämpft werden, wird <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Semmelweis-Reflex"><i>Semmelweis-Reflex</i></a> genannt.</li><li>FAZ-Artikel zur Dynamik von Forschungsprozessen:<br /><ul><li>Dietmar Dath: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/logik-der-forschung-ueber-den-erkenntnisgewinn-16726433.html" target="_blank">Erst raten, dann testen</a></li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/krise-in-naturwissenschaft-verfuehrte-physiker-15667988.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Krise der Physik: Verführte Physiker</a> </li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/anke-te-heesen-ueber-thomas-kuhns-interviews-mit-veteranen-der-quantenphysik-17951909.html?premium" target="_blank">Man kann nicht immer wissen, was man gemessen hat</a></li><li> Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/david-kaiser-ueber-die-physik-der-nachkriegszeit-16936777.html" target="_blank">Gleichungen sind einfach nicht alles</a></li><li>Sibylle Anderl: FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/physiker-und-philosophen-suchen-die-weltformel-15671404.html" target="_blank">Quantenkosmologie: Wenn die Daten fehlen, bleibt die Metaphysik</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/zum-tod-von-john-wheeler-zwischen-schwarzen-loechern-und-der-atombombe-1540699.html" target="_blank">Zum Tod von John Wheeler: Zwischen Schwarzen Löchern und der Atombombe</a></li></ul></li><li>Paul Hoyningen-Huene: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/100-jahre-thomas-kuhn-wie-man-die-wissenschaft-revolutioniert-18182523.html?premium" target="_blank">100 Jahre Thomas Kuhn. Die Normalwissenschaft weiß alle Antworten</a> <br /></li><li>Philoclopedia (Blog von Johannes Heinle): <a href="https://www.philoclopedia.de/2019/10/12/thomas-kuhn-%C3%BCber-wissenschaftlichen-fortschritt/" target="_blank">Thomas Kuhn über wissenschaftlichen Fortschritt </a><br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn" target="_blank">Thomas S. Kuhn</a> <br /></li><li>Artikelsammlung zu physikalischen Mythen (verlinkte FAZ-Artikel liegen teilweise hinter einer Bezahlschranke):<br /><ul><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/weltraum/urknall-die-naturwissenschaft-stoesst-an-eine-erkenntnisgrenze-18077496.html?premium#void" target="_blank">Am Urknall: Chaos und Kosmos</a> <br /></li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/fruehphase-der-letzte-horizont-11571561.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Frühphase: Der letzte Horizont</a> </li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/experimentelle-quantengravitation-14514580.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Quantengravitation: Die letzte Theorie</a> <br /></li></ul><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie#Kosmogonischer_Mythos" target="_blank">Kosmogonie.Kosmogonischer Mythos</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltformel" target="_blank">Weltformel </a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Quantengravitation" target="_blank">Quantengravitation</a> </li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/wissen/die-10-groessten-physikalischen-raetsel-unserer-zeit/1315500" target="_blank">Die 10 größten physikalischen Rätsel unserer Zeit</a><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></li></ul></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Vorlesungsfolien einer Lehrveranstaltung an der LMU zu wissenschaftshistorischen und wissenschaftsphilosophische Grundlagen: <a href="https://statsoz-neu.userweb.mwn.de/lehre/2013_WiSe/historische_und_philosophische_grundlagen/Vorlesung_3.pdf" target="_blank">Was ist wissenschaftlicher Fortschritt?</a></span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Siehe Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">Was ist Kultur?</a>, Kapitel 2.4.2 und 2.4.3 <br /></span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Nachrufe auf Hayden White </span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;"><br /></span></b></b><ul><li><b><b><span style="font-weight: normal;">FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/hayden-white-gestorben-revolutionaer-wie-marx-und-freud-15480933.html" target="_blank">Zum Tod von Hayden White: Da ist Muse drin</a></span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">ZEIT: <a href="https://www.zeit.de/1991/42/wie-es-gewesen-sein-koennte?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F" target="_blank">Wie es gewesen sein könnte</a> </span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">WELT: <a href="https://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article174408684/Prolegomena-Der-Abschied.html" target="_blank">Der Abschied</a></span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></li></ul></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Christine Gerwin: <a href="https://gtw.hypotheses.org/6614" target="_blank">Postkoloniale Entwürfe einer dichtenden Klio</a></span></b></b></li></ol><div style="text-align: left;">----------------------------------------- <br /></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>3 Änderungshistorie des Posts</b></div> </div><div style="text-align: left;">22.08.2023: Kapitel 2.3: Ergänzung Anmerkung 10 <br /></div><div style="text-align: left;">17.08.2023: Kapitel 1.1: Überarbeitung und Ergänzungen<br /></div><div style="text-align: left;">25.05.2023: Kapitel 1.1: Anmerkung 2 ergänzt, Anmerkung 4 eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;">20.05.2023: Kapitel 1.1: neu eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;">18.02.2023: Kapitel 2: Anmerkung 2 eingefügt<br /></div><div style="text-align: left;">10.02.2023: Kapitel 2.1: Überarbeitung<br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 2.2: Ergänzungen zum Paradigmenbegriff und Untergliederung des Kapitels<br /></div><div style="text-align: left;">04.02.2023: Inhaltsübersicht ergänzt <br /></div><div style="text-align: left;">18.01.2023: Kapitel 2: Inhaltliche Ergänzungen und Anmerkung mit Fußnote 6 aufgenommen <br /></div><div style="text-align: left;">17.01.2023: Überarbeitung Kapitel 2 und Korrektur Fußnoten<br /></div><div style="text-align: left;">16.01.2023: Veröffentlichung der Urversion</div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b><br /><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b><br /><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div> </div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-40185892021906870152023-01-15T07:08:00.036+01:002024-01-22T18:04:33.339+01:001 Aufstellungen der Postreihe "Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion" (Update: 05.02.2023)<div style="text-align: left;">Wachsender Umfang der Texte und neue Überlegungen zu Inhalten motivieren aus Praktikabilitätsgründen zu einer stärkeren Modularisierung der Postreihe <i>Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</i>. Nachfolgende Listen informieren über veröffentlichte Posts (verlinkt) und unveröffentlichte Posts in Bearbeitung. Diese Posts sind intellektuell herausfordernd. Wer in Social Media übliche unterhaltsame, leicht verdauliche Kosts erwartet, wird enttäuscht und sollte Aufrufe vermeiden. <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1. Veröffentlichte Posts</b><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>16.01.2023: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/aufstellung-der-postreihe-beobachtungen.html" target="_blank">1 Aufstellungen der Postreihe Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</a> </i> </li><li>16.01.2023:<i> <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">2 Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion - Anmerkungen zur Postreihe</a></i></li><li>16.01.2023:<i> <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank">3 Was ist Bewusstsein? </a></i></li><li>16.01.2023:<i> <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">4 Was ist Kultur?</a></i></li><li>16.01.2023: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/die-groe-erzahlung-vom-fortschritt-und.html" target="_blank">Konstruktion und Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</a></i>
</li></ul></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2. Unveröffentlichte Posts in Bearbeitung </b><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i>5 Was ist Religion? </i></li><li><i>6 Annahmen zur Evolution von Religion im Kontext von Kultur </i>
</li></ul></div></div><div style="text-align: left;">----------------------------------------- <br /></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>Änderungshistorie des Posts</b></div>05.02.2023 Überarbeitung der Einleitung<br /></div><div style="text-align: left;">29.01.2023 Korrektur der Post-Nummerierung<br /></div><div style="text-align: left;">16.01.2023 Veröffentlichung der Urversion<br /></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-48778914884536458542023-01-14T07:10:00.215+01:002024-01-22T18:04:50.865+01:002 Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion - Anmerkungen zur Postreihe (Update: 07.03.2023)
<div style="text-align: left;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj_qa6mg1eGhc_IBnnRxr36FrvD8y2m3XouwupbvaZDuvrk4JVf0MC03Bnlm8jxto2hgFHMtOlAecZEjBiIO1oTi6hbxacUHtnzjDeDSR5kPzDxzSUXJO0XYW8EPWz30igd4nyPTPjUnnasEr-B33Oj7BM10e3Ls6Rz8TctKI9xbZBqRSEwQY3MdFIt/s1600/The%20Meeting%20von%20Wang%20Chugang%20in%20Vancouver.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="728" data-original-width="1600" height="293" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj_qa6mg1eGhc_IBnnRxr36FrvD8y2m3XouwupbvaZDuvrk4JVf0MC03Bnlm8jxto2hgFHMtOlAecZEjBiIO1oTi6hbxacUHtnzjDeDSR5kPzDxzSUXJO0XYW8EPWz30igd4nyPTPjUnnasEr-B33Oj7BM10e3Ls6Rz8TctKI9xbZBqRSEwQY3MdFIt/w640-h293/The%20Meeting%20von%20Wang%20Chugang%20in%20Vancouver.jpeg" title="The Meeting von Wang Chugang in Vancouver" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><a href="The Meeting von Wang Shugang" target="_blank">The Meeting</a> von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wang_Shugang" target="_blank">Wang Shugang</a> (Installation in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vancouver" target="_blank">Vancouver</a> BC, Kanada)<br /></td></tr></tbody></table><div style="text-align: left;">Dieser einleitende <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">Post mit Vor- und Randbemerkungen</a></i> befasst sich mit Metaperspektiven einer <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/search/label/Evolution%20Kultur%20und%20Relgion" target="_blank">Postreihe über die Evolution von Kultur und Religion</a></i>. <i>Kultur </i>und <i>Religion</i> bilden grenzenlose Themenfelder.
Verschriftlichungen von Gedanken über diese Themenfelder erzwingen
Grenzen zwischen vermeintlich vorrangig wichtigen und weniger
bedeutenden Aspekten. Entscheidungen über Eingrenzungen resultieren aus
volatilen Ständen eigenen Wissens, das notwendig begrenzt ist, sich in
Schritten ungewisser Größe verändert und zur Bescheidenheit ermahnt. Posts dieser Serie sind temporäre Betrachtungen eines sich entwickelndes <i>Work in Progress</i>. An Posts jeweils angefügte
Veränderungshistorien informieren über Inhalte und Zeitpunkte von
Änderungen. Vielfalt und Unbestimmtheit der inhaltlichen Bedeutung von <i>Bewusstsein, Kultur, Religion</i> ruft in den Posts die kursive
Schreibweise der Begriffe in Erinnerung. <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> <span><a name='more'></a></span></div></div><div style="text-align: left;">Eigene soziologische Anmerkungen zum Themenfeld <i>Religion</i> streuen bisher über ältere Posts und Korrespondenz. Blicke auf einige Themen haben sich in der Zwischenzeit verändert. Die <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/search/label/Evolution%20Kultur%20und%20Relgion" target="_blank"><i>Postreihe über kulturelle Evolution</i></a> verdichtet Kernfragen der <i>Evolution von Kultur und Religion </i>und fügt dieses Konvolut mit Ergänzungen zu einer Momentaufnahme ohne Anspruch auf Dauerhaftigkeit, deren Beschreibung
sich aus Praktikabilitätsgründen über mehrere Posts verteilt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Vorliegender Post identifiziert basale Annahmen relevanter
kulturwissenschaftlicher Perspektiven, benennt das eigene Verständnis
von Wissenschaft, Erkenntnis, Fortschritt und erklärt eigene Motive der
Entstehung dieser Reihe. Eine<i> <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/aufstellung-der-postreihe-beobachtungen.html" target="_blank">Aufstellungen der Postreihe Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</a> </i>zeigt Übersichten aller veröffentlichten sowie vorgesehener, aber noch nicht veröffentlichter Post. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div></div></div><div style="text-align: left;">Gemäß persönlicher Ansichten verstellen Fortschrittsnarrative den Blick auf mäandernde Entwicklungen, die keinen Regeln linearer Prozesse folgen und von naiver Logik nicht erkannt oder als unsinnig abgelehnt werden. Kulturelle Evolution besteht bei genauerer Betrachtung aus zahlreichen Sub-Prozessen, deren Dynamiken und Richtungen keinen gemeinsamen Regeln folgen. Einige Sub-Prozesse scheinen mehr oder weniger durch Zeit und Raum zu mäandern. Die Identifizierung mäandernder Prozesse und deren Treiber motiviert neben weiteren Motiven Posts dieser Serie. <br /></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><b>Inhaltsübersicht </b><br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">1 Wissenschaftliche Aussagen und zwischen wissenschaftlichem Denken und Alltagsdenken mäandernde Prozesse </div><div style="text-align: left;">1.1 Aussagearten </div><div style="text-align: left;">1.1.1 Statistische Aussagen und Wahrscheinlichkeiten, wissenschaftliches Denken und Alltagsdenken<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2 Struktur und Reichweite wissenschaftlicher Aussagen </div><div style="text-align: left;">3 Perspektiven der Analyse von <i>Kultur</i></div><div style="text-align: left;">3.1 <i>Kulturelle</i> Pluralisierung und Fragmentierung </div><div style="text-align: left;">3.2 Naturalismus (Physikalismus) vs. Metaphysik vs. Konstruktivismus (Kulturalismus) </div><div style="text-align: left;">3.3 Funktionalismus </div><div style="text-align: left;">3.4 Strukturalismus </div>
</div><div style="text-align: left;">4 Basale Annahmen zu <i>Religion</i></div></div></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">5 Perspektiven ethnologischer Theorien</div><div style="text-align: left;"><b></b><div style="text-align: left;">5.1 Theorien auf der Suche nach Universalien</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">5.1.1 Funktionale Erklärungen </div>5.1.2 Strukturalistische Erklärungen <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">5.2 Theorien und Probleme der Vielfalt von <i>Kulturen</i> </div><div style="text-align: left;">5.2.1 Kulturrelativistische Theorien <br /></div>5.2.2 Interpretative Ethnologie <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">5.3 Positionen der Ethnologie in der Gegenwart<b></b></div><div style="text-align: left;">6 Konstruierte Realität</div><div style="text-align: left;">6.1 Sozialkonstruktivismus</div><div style="text-align: left;">6.2 Ethnomethodologie und radikaler Konstruktivismus </div></div></div><div style="text-align: left;">7 Statements zum eigenen Verständnis von Wissenschaft und Erkenntnisfortschritt</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">7.1 Persönliche Motivation</div><div style="text-align: left;">8 Änderungshistorie des Posts<br /></div><br /></div><b></b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>1 Wissenschaftliche Aussagen und zwischen wissenschaftlichem Denken und Alltagsdenken </b><b>mäandernde Prozesse </b><b> </b></div><div style="text-align: left;"> </div>Perspektiven des Erfahrungshorizonts praktischen Alltagsdenkens
teilen zwar mit wissenschaftlichen Perspektiven Schnittmengen gemeinsamen Wissens, aber prinzipiell schauen sie auf unterschiedliche Welten: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Alltagsdenken betrachtet die Welt aus Sicht individueller Lebensbewältigung subjektiv und innerhalb des Horizonts eigener Erfahrung global. Art und Qualität von Fragestellungen und Antworten variieren über individuelle Erfahrungsräume.<br /></li><li>Wissenschaften suchen in Ausschnitten der Realität zu ausgewählten Einzelfragen objektive Erkenntnis mit universaler Bedeutung. Da objektive Erkenntnis nicht mit rationalen Argumenten bewiesen werden kann, ist jegliches Wissen Vermutungswissen bzw. vorläufiges Wissen und mit Unsicherheit behaftet.(1)<br /><br />Als wissenschaftlich werden nur solche Aussagen akzeptiert, die mittels
von der Community vereinbarten Methodenstandards zustande kommen. Um
wissenschaftliche Fragestellungen formulieren und bearbeiten zu können,
ist von wissenschaftlicher Community anerkannte Expertise erforderlich. </li></ul></div><div style="text-align: left;">In der sozialen Realität sind Menschen sich selten bewusst, dass die Welt des Alltagsdenkens von Erfahrungshorizonten individueller Wahrnehmung begrenzt ist und sich Alltagsdenken prinzipiell vom wissenschaftlichen Denken unterscheidet.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Alltagsdenken
sind zahlreiche wissenschaftliche Fragestellungen unbekannt. Wenn Informationen über
wissenschaftliche Fragestellungen und Aussagen kursieren, erschließen sie sich dem Alltagsdenken
oftmals nicht oder nur unvollständig und bleiben häufig unverstanden oder werden angezweifelt. Umgekehrt beschäftigt sich Wissenschaft mit Fragestellungen, die gewöhnlich außerhalb des Erfahrungshorizonts praktischen Alltagsdenkens liegen und teilweise für praktisches Alltagsdenken irrelevant sind. Wenn mitunter wissenschaftliche Erkenntnis aus Sicht des Alltagsdenkens abwertend als <i>Idiotenwissen</i> bezeichnet wird (gemeint ist wahrscheinlich für Alltagspraxis irrelevantes Schmalspurwissen), verweist dieser Sachverhalt auf eine tiefe Kluft zwischen unterschiedlichen Denkweisen. <br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Daten und Methoden sprechen nicht. Daten können methodisch gut oder schlecht erhoben sein, aber sie beantworten keine Fragen. Antworten beruhen auf Deutungen von Daten zu wissenschaftlichen Fragestellungen und müssen sich an der Qualität von Methoden ihrer Erhebung messen lassen. Aussagen liegen nicht auf der Hand und benötigen über Expertise hinaus
Phantasie und Kreativität sowie ein geeignetes Umfeld für ihre
Verbreitung. Mitunter erfordern wissenschaftliche Aussagen auch Mut, wenn
nämlich wissenschaftliche Domänen besetzt sind und gegen neue Erkenntnisse verteidigt werden. Bei aller Expertise und Bemühung bleibt jedoch auch Wissen
über Gegenstände wissenschaftlicher Forschung unsicher, weil wissenschaftliche Erkenntnisse und die Beweisbarkeit wissenschaftlicher Argumente prinzipiell
unvollständig sind. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche Aussagen sind regelmäßig Gegenstand strittiger Diskurse. Wünschenswerter sachlicher Streit über
wissenschaftliche Ansichten verhilft zu vertiefenden Erkenntnissen ohne Wahrheits-
und Ewigkeitsanspruch. Wissenschaftliche Aussagen über Sachverhalte der
Welt beruhen auf in Theorien verpackte Deutungen bzw. Ansichten, die
immer nur vorläufiger Art sind, aber zumindest prinzipiell empirisch
überprüfbare Aussagen enthalten müssen, die methodischen
Kriterien gemäß Konsens der wissenschaftlichen Community genügen. Die
Unterscheidung von richtig oder falsch ist nicht immer einfach, oftmals
strittig und mitunter unmöglich. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Vermeintlich
korrekte Deutungen scheinbar harter Daten können auf Irrtümern
beruhen oder fehlerhaft sein und sind oftmals strittig. Selbst wenn über
wissenschaftliche Aussagen
Konsens besteht, ist Konsens kein Kriterium für die Gültigkeit von
Aussagen, sondern lediglich ein Indikator für ihre Belastbarkeit. Erklärungsversuche sind bei
unsicherer Datenlage und nur unvollständig verstandenen Sachverhalten
der Welt hinsichtlich der Erfüllung
wissenschaftlicher
Kriterien deutlich schwieriger zu begründen als Deutungen harter Daten.
In Richtung mikro- und makroskopischer Randbereiche der
physikalischen Welt werden auch empirische Daten zunehmend
weicher und
wissenschaftliche Erklärungen spekulativer. Komplexe abstrakte Phänomene
wie <i>Bewusstsein, Kultur, Religion</i> provozieren schwierige wissenschaftliche Fragestellungen, die zwar benannt werden
können, aber bisher nur unvollständig verstanden und nicht gelöst sind. Im
Post referierte Ansichten verdanken wir außerordentlich klugen Köpfen
mutiger Wissenschaftler. Deren kontrovers diskutierte Beobachtungen, Theorien, Vermutungen
spenden keinen unmittelbaren
praktischen Nutzen, sondern dienen dem Verständnis unserer
Lebenswelt und damit zugleich unserem Selbstverständnis.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im Unterschied zu Wissenschaften verkünden <i>Religionen</i> ewige Wahrheiten, über die man nicht streiten kann. Man kann sie nur akzeptieren oder ablehnen. An der Entstehung von <i>Religionen</i> sind vermutlich unbewusste Muster menschlicher Denkweise der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung</a> und der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>
beteiligt, auf die der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein?</i></a> eingeht. Das kognitive Muster der Kategorisierung erzeugt Ordnungen. Kausalattribuierung weist wahrgenommenen Ereignissen Bedeutung zu, indem es Ereignisse selbst dann mit angenommen Ursachen verknüpft, wenn Auslöser von
Ereignissen unsicher oder unbekannt sind.(2) Vermutlich sind diese Denkmuster auch ein
unbewusster Antrieb für die Ermittlung, Bewahrung und Weitergabe von Wissen
und daher für die Entstehung von <i>Kultur</i> sowie für die Evolution
von Wissenschaften als neuartiges Wissen
produzierende Forschungswerkstätte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit der evolutionären Entwicklung von Prozessen der Abstrahierung, Intellektualisierung und Rationalisierung entfaltet sich eine kumulativ wachsende Wissensproduktion. Verwissenschaftlichung erzeugt einen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Weber" target="_blank">Max Weber</a> als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Entzauberung_der_Welt" target="_blank">Entzauberung der Welt</a></i>
umschriebenen, Magie zerstörenden, dystopisch anmutenden Prozess, mit dem sich ein dem
Alltagsdenken widersprechendes doppeltes Paradoxon einstellt:<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> Wachsender verfügbarer
Wissensvorrat vergrößert die Distanz zu Zielen absoluter Wahrheiten. Hinsichtlich der großen Rätsel der Realität nehmen Ungewissheit zu und Gewissheit ab. Annahmen der Erreichbarkeit letzter Gewissheit erweisen sich als naiv. Den Genuss der Früchte vom Baum der Erkenntnis zahlten Adam und Eva mit
der Vertreibung aus dem Paradies. In der <i>Genesis</i> entsteht <i>Kultur</i> als Strafe, die Gott den Menschen aufgrund ihrer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erbs%C3%BCnde" target="_blank">Erbsünde</a> mit der Vertreibung aus dem Paradies auferlegt.(3)<br />Wissenschaftliche Suche nach Wahrheit
zerstört, wonach sie sucht. Anlässlich des 100. Geburtstages von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn" target="_blank">Thomas S. Kuhn</a> schreibt der Wissenschaftsphilosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Paul_Hoyningen-Huene" target="_blank">Paul Hoyningen-Huene</a> in einem Artikel der FAZ:<i> <br />"</i><i><a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/100-jahre-thomas-kuhn-wie-man-die-wissenschaft-revolutioniert-18182523.html?premium" target="_blank">Die Normalwissenschaft weiß alle Antworten</a></i><i>."</i> (...) <i>"Wir
sollten die Wissenschaftsentwicklung als einen Prozess verstehen, der
nicht auf ein Ziel hinstrebt („die“ Wahrheit), sondern sich vom
gegenwärtigen Zustand durch steigende Differenzierung wegbewegt, genau
wie die darwinsche Evolution."</i> </li><li>Trotz Verwissenschaftlichung der Welt ist der über lange evolutionäre Prozesse entstandene kognitive Mechanismus der Kausalattribuierung weiter aktiv und bewirkt, dass der Prozess des Wissenszuwachses
Menschen von tröstlicher Gewissheit spendenden religiösen metaphysischen Wahrheiten entfremdet, Menschen der Wissenschaft misstrauen und alternative irrationale metaphysische Sinnkonstrukte an Attraktivität gewinnen.</li></ul></div><div style="text-align: left;">Unbewusste kognitive Denkmuster ermöglichen durch Filter, Vereinfachungen und sprachliche Ordnungssysteme schnelle Entscheidungen in komplexen Situationen und haben sich darum evolutionär erfolgreich bewährt. Vereinfachungen sind nützlich. Sie reduzieren Komplexität und vermitteln Verhaltenssicherheit. Der Preis für Sicherheit des Verhaltens besteht in Verfälschungen und Verzerrungen der Wahrnehmung, die u.a. komplexe netzwerkartige Beziehungsmuster als vermeintlich
lineare Kausalbeziehungen erkennt und Kausalbeziehungen auch dort identifiziert, wo sie nicht vorhanden oder unsicher ist. Diese Sachverhalte bilden den Rahmen für den Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein?</i></a>. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Preis für Sicherheit erzeugende soziale Sachverhalte besteht in Kontrolle des Denkens und Verhaltens. Kontrolle erfordert Wissen und erzeugt Dominanz. In kollektive Kontrollmechanismen eingebundenes geteiltes Wissen produziert einen als <i>Kultur </i>bezeichneten symbolisch vermittelten Rahmen des Verhaltens. Ausprägungen von <i>Kultur</i> variieren ethnisch, räumlich, zeitlich über konkurrierende Verständnisse von <i>Kultur</i>, die der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank"><i>Was ist Kultur?</i></a><i> </i>betrachte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Unbewusste kognitive Denkmuster erschweren Menschen das Ertragen von
Ungewissheit und erzeugen Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit. Erkenntnisse der
Ungewissheit eigener Existenz und Suchen nach Wahrheit treiben die
evolutionäre Dynamik von <i>Kultur</i> und <i>Religion</i>. Gemäß <a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">soziologisch-funktionaler</a>
Perspektive entstanden mit der kulturellen Evolution <i>Religionen</i>
aufgrund
sinnstiftender, integrierender, stabilisierender Funktionen
zwangsläufig. In einer Welt voller Ungewissheit und Risiken produzieren <i>Religionen</i> gedankliche und soziale Ordnung stiftende Gewissheit und damit Sicherheit. Qua <i>Kultur </i>entstandene Prozesse der Verwissenschaftlichung der Welt dekonstruieren jedoch traditionelle religiöse Systeme und bewirken als unbeabsichtigte Folge einen Verlust an Kontrolle und eine Renaissance irrationaler Denkweise.<i> </i>Dieses Themenfeld<i> </i>sichtet der Post <i>Was ist Religion?<br /></i></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.1 Aussagearten </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Im Unterschied zur Alltagssprache unterscheiden Sprachphilosophie und Sprachwissenschaften aus gutem Grund sprachliche Äußerungen aufgrund ihres inhaltlichen Gehalts. Klassifikationen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aussageart" target="_blank">Aussagearten</a> verhelfen zur Unterscheidung der Art und des Gehalts von wissenschaftlichen Aussagen im Vergleich zu Aussagen anderer Art.(4) <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Deskriptive Aussagen liefern Beschreibungen (Protokollsätze) von Sachverhalten (wie etwas ist). Als wissenschaftliche Aussage müssen deskriptive Aussagen überprüfbar sein. Deskriptive Aussagen gelten als wahrheitsfähig.<br /></li><li>Explikative Aussagen dienen der Erklärung kausaler Zusammenhänge unter Bezugnahme auf Gesetzmäßigkeiten, Theorien, Hypothesen, Vermutungen. Explikative Aussagen gelten als wahrheitsfähig.</li><li>Normative (präskriptive) Aussagen beschreiben, wie etwas sein sollte und umfassen Entscheidungen, Wünsche, Wertvorstellungen, Vorschriften. Normative Aussagen sind nicht empirisch überprüfbar und daher nicht wahrheitsfähig. Wissenschaften sind nicht frei von normativen Aussagen:</li></ul></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Wissenschaften benötigen Regeln ihrer Methoden. </li><li>Wissenschaften finden in wertgeladenen kulturellen Kontexten statt. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Anforderungen der Prüfbarkeit sowie die Art und Weise der Verwendung von Werturteilen in normativen Aussagen unterscheiden wissenschaftliche von nicht-wissenschaftlichen Aussagen (siehe auch Kapitel 2):<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>An Wissenschaften wird die Anforderung gestellt, dass ihre Aussagen wertneutral und überprüfbar sein sollen. </li><li>Lehrmeinungen weltanschaulicher <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dogma" target="_blank">Dogmen</a> religiöser oder politischer Art produzieren definitorische Festlegungen und nicht prüfbare normative Aussagen. </li><li>Dogmen können sich verbreiten, weil übliches Alltagsdenken ebenfalls dogmatischen Charakter hat. Alltagsdenken unterscheidet nicht zwischen Aussagearten und macht Wertneutralität und Prüfbarkeit gewöhnlich nicht zum Prinzip von Behauptungen. Wenn mangels Kriterien Fähigkeiten zur Beurteilung der Qualität von Aussagen fehlen, werden fremde Ansichten prinzipiell bezweifelt, während eigene Überzeugungen als ausreichende Begründung für persönliche Ansichten gelten. Fundamentalistische, extremistische, esoterische persönliche Ansichten sowie kollektive Weltanschauungen und
Verschwörungstheorien beruhen auf dogmatisch strukturierter Denkweise.</li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>1.1.1 Statistische Aussagen und Wahrscheinlichkeiten, wissenschaftliches Denken und Alltagsdenken</b>(5)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Unter
1.1 benannte Aussagearten beziehen sich auf Aussagen, die aus
Wahrnehmung und Wissen über epistemische Einzelphänome bzw. Ereignisse
gewonnen werden, von denen bekannt ist, dass sie auftreten bzw. möglich
sind oder für möglich gehalten werden. Um zu ermitteln, wie variable
Eigenschaften von Einzelphänomenen (z.B. Größe oder Gewicht) sich in
einer Gesamtheit darstellen, sind mathematische Verfahren der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Statistik" target="_blank">Statistik</a> erforderlich. Die Auswahl geeigneter Verfahren ist abhängig von Fragestellungen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Beispielsweise
ist der Erkenntniswert der durchschnittlichen Körpergröße oder des
durchschnittlichen Körpergewichts aller Deutschen gering. Wenn man
Vergleiche zwischen Nationen zieht, nimmt der Erkenntniswert zu.
Vergleiche von Veränderungen über Zeitreihen steigern den
Erkenntniswert, weil sich zeigt, dass die Körpergröße seit Jahrhunderten
und das Körpergewicht seit Jahrzehnten zunehmen. Solche Befunde sagen
jedoch nichts über Ursachen von Veränderungen über Zeit oder über lokale
Schwankungen aus. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Bi- und <a href="Eine im Prozess der biologischen Evolution entwickelte, kognitiv operierende mentale Sinnkomponente ist mutmaßlich an der Entstehung von Glaubenssystemen und deren symbolischen Repräsentationen beteiligt. Glaubenssysteme entstehen im Kontext von Wechselwirkungen mit Wertesystemen. Aus symbolisch repräsentierten Glaubenssystemen sind Religionen hervorgegangen. Wie sich dieser Prozess entwickelt hat, ist eine an anderer Stelle betrachtete Thematik.(4) Im Prozess kultureller Evolution erzeugte soziale Differenzierung bewirkt die Fragmentierung von Werte- und Glaubenssystemen, sodass soziales Verhalten keinen einheitlichen Regeln folgt, sondern sich weitgehend unbewusst als Ausprägung der jeweiligen Werte- und Glaubenssysteme manifestiert. Zusammenhänge dieser Art belegte der französische Soziologie Pierre Bourdieu mit den Begriffen Habitus und Doxa und wies deren Einfluss auf das Denken und Verhalten von Menschen in empirischen Studien nach.(5) " target="_blank">multivariate Statistik</a> vermag Stärken von Zusammenhängen zwischen Variablen als mathematische Größe darzustellen. Hierbei handelt es sich um <a href="https://www.wikiwand.com/de/Korrelation" target="_blank">Korrelationen</a>. Ob eine Korrelation einen zufälligen (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Stochastisch" target="_blank">stochastischen</a>) oder einen kausalen Zusammenhang zeigt, ist einer Zahl nicht anzusehen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Um kausale Zusammenhänge zu ermitteln, sind Hypothesen
erforderlich. Hypothesen machen keine Aussagen über empirische Phänomene, sondern über
vermutete Zusammenhänge zwischen empirischen Phänomenen. In Wissenschaften müssen sich Hypothesen
empirisch bewähren. Hierzu werden sie mit Methoden gemäß Regeln
wissenschaftlicher Arbeitsweise untersucht und zur Überprüfung gegen
statistische Daten abgeglichen. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Relevanz
bestätigter Hypothesen entsteht erst in Kontexten ihrer Aussagen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Beispielsweise haben statistische Aussagen über durchschnittliche
Körpergrößen und durchschnittliches Körpergewicht sowie Hypothesen über
Ursachen ihrer Veränderung und Verteilung nur geringen oder keinen
Praxisnutzen. Z.B. benötigen Kleiderfabrikanten Daten zu Verteilungen
individueller Merkmale über Variablen wie Geschlecht und Alter. Mit
geeigneten Methoden liefern statische Verfahren Aussagen und auch
Vorhersagen zur Verteilung von Merkmalen über Zeitreihen (z.B. Alter)
und in Teilmengen (Geschlecht). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gewöhnlich
erfolgt die Ermittlung von Daten nicht über Gesamtmengen (weil das bei
großen Gesamtmengen schwierig, teuer, zeitaufwendig oder mit begrenzten
Zeit- und Kostenbudgets unmöglich wäre), sondern mit Hilfe von
Stichproben (Panels). In besonderen Fällen finden auch Erhebungen von
Daten in Gesamtmengen oder großen Ausschnitten von Gesamtmengen statt,
z.B. im Rahmen von Volkszählungen oder Schulleistungserhebungen (<a href="https://www.wikiwand.com/de/PISA-Studien" target="_blank">PISA</a>).<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Statistische Aussagen sind <a href="https://www.wikiwand.com/de/Induktion_(Philosophie)" target="_blank">Induktionsschlüsse</a>, die von einer begrenzten Menge an Beobachtungen (Stichprobe) auf eine Gesamtheit schließt. Bekanntlich besagt das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Induktionsproblem" target="_blank">Induktionsproblem</a>, dass aus Einzelfällen keine gültigen Gesetzte abgeleitet werden können. Statistische Aussagen sind daher prinzipiell Wahrscheinlichkeitsaussagen, die keine zu 100 % gültigen Aussagen liefern können, aber
immerhin Aussagen von ausreichender Genauigkeit mit verbleibender
Restunsicherheit gestatten. Die Bestimmung von Genauigkeiten erfolgt mit
mathematischen Methoden der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wahrscheinlichkeitstheorie" target="_blank">Wahrscheinlichkeitstheorie</a>.
Je nach Bedarf an Genauigkeit werden aufgrund von Methoden der
Wahrscheinlichkeitstheorie geeignete Parameter von Erhebungen bestimmt. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kategoriale Unterschiede von Aussagearten sind im
Alltagsdenken gewöhnlich ebenso unbekannt oder unverstanden wie das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Induktionsproblem" target="_blank">Induktionsproblem</a> oder das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Universalienproblem" target="_blank">Universalienproblem</a>, in dem es um die nicht entscheidbare Frage geht, ob Allgemeinbegriffe (Universalen) tatsächlich existieren (Position des Realismus) oder ob es sich um gedachte abstrakte Konstrukte handelt (Position des Nominalismus).(6) Im Gegenteil verstehen Menschen die Welt gewöhnlich im Sinne des Realismus und neigen zu Induktionsschlüssen, d.h. sie verallgemeinern Eigenschaften von Einzelbeobachtungen im Sinne von Gesetzmäßigkeiten. Im Alltagsdenken ist daher schwer nachvollziehbar, dass aus statistischen Aussagen über Verteilungen von Merkmalen in Mengen keine exakten Aussagen über
individuelle Merkmale ableitbar sind und umgekehrt
individuelle Merkmale keine gültigen Widersprüche zu statistischen Aussagen darstellen. </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Beispielsweise
ist statistisch bestimmbar, welche Körpergröße Männer und Frauen in
welchem Alter durchschnittlich erreichen. Daraus lässt sich keine
Aussage darüber ableiten, wie groß eine Person X oder Y tatsächlich ist.
Aufgrund wahrscheinlichkeitstheoretischer Methoden lässt sich jedoch
bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person wie groß, wie
schwer, wie alt etc. ist oder wird. Diese Wahrscheinlichkeit ist immer kleiner
als 1 bzw. 100 %. Abweichungen von Maximalwerten in Verteilungen werden
als <a href="Induktionsproblem" target="_blank">Streuung</a> bezeichnet. Statistische Aussagen über Verteilungen von
Merkmalen haben immer eine Streuung, die je nach Untersuchungsbereich
und verwendeten Methoden größer oder kleiner ausfällt. Weil
Zusammenhänge zwischen statistischen Werten und individuellen
Ausprägungen nur mit Wahrscheinlichkeit bestimmbar sind, widerlegen
individuelle Ausprägungen keine statistischen Aussagen. Statistiken zeigen u.a. prognostisch den Einfluss von Lebensstilen auf Zeiträume von Lebenserwartungen, können aber keine individuellen Lebenserwartungen vorhersagen. Dass der ehemalige Bundeskanzler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Helmut_Schmidt" target="_blank">Helmut Schmidt</a> als Kettenraucher fast 97 Jahre alt wurde, beweist daher nicht die Ungefährlichkeit des Rauchens. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Im
Alltagsdenken verbreitete unsinnige Behauptungen wie <i>"jede Statistik lügt"</i> oder Ansichten über unglaubwürdige Statistiken (<i>"glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast"</i>) zeugen von
Missverständnissen, die aus mehreren Sachverhalten resultieren, aber auch einen wahren Kern enthalten:</div><ul style="text-align: left;"><li>Die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsaussagen bleibt unverstanden:<br />Alltagsdenken bezieht sich gewöhnlich auf extern beobachtete oder intern verspürte Wahnehmungen von Sinnesempfindungen. Ähnlich wie Zahlen sind Wahrscheinlichkeiten jedoch keine Eigenschaften wahrnehmbarer Phänomene, sondern Bezeichnungen für abstrakte Konstrukte mathematischer Art. <br /></li><li>Erklärungen zu Ursachen der Verteilung von Merkmalen werden missverstanden:
Statistische Daten bzw. Größen und Verteilungen statistischer Merkmale
sind nicht selbsterklärend. Erklärungen kausaler Ursachen von Größen und
Verteilungen statistischer Merkmale beruhen auf Annahmen und Deutungen
(Theorien, Hypothesen) die mehr oder weniger korrekt, aber auch
fehlerhaft sein können. Deutungen enthalten prinzipiell Unsicherheiten.
Weitere Unsicherheiten resultieren aus dem Design von Studien. Seriöse
Studien benennen Unsicherheiten. </li><li>Erklärungen zu Ursachen
statistischer Verteilungen von Daten können <a href="https://www.wikiwand.com/de/Artefakt_(Diagnostik)" target="_blank">Artefakte</a> produzieren. Das
Alltagsdenken kennt jedoch keine Artefakte und versteht sie daher nicht. <br /></li><li>Ein bedeutender Grund für Zweifel an
statistischen Aussagen entsteht aufgrund von unseriös
manipulierten Aussagen auf Seiten der Produzenten von Aussagen.
Unseriöse Aussagen nutzen Statistiken, um eigene Interessen oder
Interessen von Auftraggebern mit Hilfe verfälschter Deutungen
statistischer Verteilungen durchzusetzen. Mehrere Taktiken ermöglichen
das Verbergen von Manipulation: <br /><ul><li>Auswahl unbrauchbarer Studiendesigns,</li><li>Intransparenz von Studiendesigns,</li><li>Verschleierung oder Eliminierung unerwünschter Daten,</li><li>manipulierte Deutungen von Studienergebnissen mit Hilfe interessengeleiteter Hypothesenbildungen.</li></ul></li></ul><div style="text-align: left;">Erwähnt
sei, dass Statistik neben zuvor beschriebenen Methoden für Laien schwer verständliche komplementäre
Methoden der mathematischen Modellierung zufälliger Ereignisse umfasst, die aus zufällig auftretenden empirischen Ereignissen Vorhersagemodelle ableiten. Verwendung finden
solche Verfahren z.B. in der </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Klimaforschung,
Qualitätskontrolle, Wettervorhersagen (es regnet mit Wahrscheinlichkeit
70%), Versicherungswesen (Prämienkalkulation), Verkehrswesen (Studium
von Warteschlangen - Ampelsteuerung), Epidemiologie (Modelle für die
Ausbreitung von Krankheiten), Meinungsforschung, Bankwesen
(Portfolio-Analyse, Marketing Strategien), Telekommunikation
(Modellierung von Verteilungen von Gesprächsdauern) oder Quantenphysik."</i>(7)</div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div></div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Ein von Daniel Lommes veröffentlichtes Vorlesungsskript, verdichtet erkenntnistheoretische Positionen in einer Übersicht: <a href="https://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Daniel.Lommes/pub/LOMMES_theophilo_summary_SA.pdf" target="_blank">Zusammenfassung WS08-09 “Einführung in die theoretische Philosophie” (Daniel Lommes)</a> (PDF)<br /></li><li>Unbewusste kognitive Muster des Entscheidungsverhaltens betrachtet der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></i> <br /></li><li>Bibelserver Einheitsübersetzung 2016: <a href="https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU84/GEN.3/1.-Mose-3" target="_blank">1. Mose 3</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aussageart" target="_blank">Aussagenart </a></li><li>Weiterführende Quellen:<br /><ul><li>Götz Rohwer: <a href="file:///Users/kellert50/Downloads/59170.pdf" target="_blank">Probleme der Generalisierung statistischer Aussagen</a> (PDF)</li><li>Prof. Dr. Zakhar Kabluchko, WWU Münster, Institut für Mathematische Stochastik: <a href="https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/Stochastik/skript_einf_wtheorie.pdf" target="_blank">Anschauliche Wahrscheinlichkeitstheorie</a> (PDF)</li><li>Ruhr-Universität Bochum: <a href="https://www.ruhr-uni-bochum.de/mathematik3/lehrstuhl/index.html" target="_blank">Was ist Stochastik?</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stochastik" target="_blank">Stochastik</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wahrscheinlichkeitstheorie" target="_blank">Wahrscheinlichkeitstheorie</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mathematische_Statistik" target="_blank">Mathematische Statistik<br /></a></li></ul></li><li>Vgl. Kapitel 3.1 des Posts <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein?</i></a> <br /></li><li>Ruhr-Universität Bochum: <a href="https://www.ruhr-uni-bochum.de/mathematik3/lehrstuhl/index.html" target="_blank">Was ist Stochastik?</a> </li></ol> </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2 </b><b>Struktur und Reichweite wissenschaftlicher Aussagen</b><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Empirische Sachverhalte
erklären sich nicht selbst. Zum Sprechen bringen sie Zuweisungen von
Bedeutungen. Deutungen mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit sind von
kulturellen Kontexten beeinflusst, die selbst als Ergebnisse von
Deutungsprozessen aufzufassen sind. Diese Gemengelage sowie die Qualität
von Objekten, Untersuchungsmethoden und fachlicher Expertise bringen
zwangsläufig
unterschiedliche wissenschaftliche Verständnisse von Welt und konkurrierende Theorien hervor. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche
Aussagen verkünden keine Wahrheiten, sondern Erkenntnisse, die unter
nachvollziehbaren Bedingungen (Theorien, Versuchsanordnungen,
Messmethoden etc.) zustande kommen. Wissenschaftliche vs.
nicht-wissenschaftliche Aussagen unterscheiden sich nicht notwendig
inhaltlich, sondern methodisch:</div><ul style="text-align: left;"><li>Wissenschaftliche
Aussagen sind Überprüfungen verpflichtet und benennen Bedingungen,
unter denen sie zustande gekommen sind, um Nachvollziehbarkeit zu
ermöglichen.</li><li>Wissenschaftliche Veröffentlichungen sind
verpflichtet, von außen auf Untersuchungen einwirkende Interessen zu
benennen (Auftraggeber und Sponsoren).</li><li>Weil wissenschaftliche Aussagen keine Dogmen sind, müssen sie sich gegenüber Kritik öffnen und bewähren.</li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Als wissenschaftlich betrachtet diese Postserie Aussagen, </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>die sich auf empirische Sachverhalte beziehen, </li><li>Phänomene der realen Welt ausschließlich physikalisch erklären, </li><li>formal-logische Anforderungen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deduktiv-nomologisches_Modell" target="_blank">deduktiv-nomologischen Modells</a>
wissenschaftlicher Erklärung berücksichtigen, gemäß der
wissenschaftliche Aussagen empirisch überprüfbar und prinzipiell
widerlegbar sein müssen. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Naturwissenschaftler vertreten überwiegend ein strenges empirisch-analytisches
Verständnis von Wissenschaft. In sog. Geisteswissenschaften bestehen
zwei Hauptlager, zwischen denen die Kommunikation oft schwierig ist:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Das eine Lager vertritt die beschriebene empirisch-analytische Position.</li><li>Das
andere Lager vertritt phänomenologische Positionen und nimmt an, dass
ein angemessenes Verständnis von Phänomenen nicht-materieller Art nur
deskriptiv möglich ist.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Vertreter
der empirisch-analytischen Positionen lehnen phänomenologische Aussagen
nicht ab, sondern nutzen sie ebenfalls zur Bildung von Hypothesen,
Modellen, Theorien. Solange diese Aussagen nicht gemäß Anforderungen
analytischer Wissenschaft überprüfbar sind, handelt es sich um
Narrative. Als wissenschaftlich werden Aussagen erst dann aufgefasst,
wenn sie überprüfbar sind. Für Vertreter dieser Position genügen
Aussagen über Entstehung, Dynamik und Relevanz von <i>Bewusstsein</i>, <i>Kultur,</i> <i>Religion</i> mangels empirischer Evidenz nicht den Anforderungen wissenschaftlicher Erklärungen und sind daher im
strengen Sinn keine wissenschaftlichen Aussagen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Verständnisse von <i>Bewusstsein</i>, <i>Kultur,</i> <i>Religion</i>
stützen sich zwar auf wissenschaftlich bewährten
evolutionstheoretischen
Erkenntnissen und nutzen kulturelle Artefakte als Indizien für die
Formulierung dynamischer Gesetzmäßigkeiten von Prozessen, aber
sie bleiben spekulativ. <i>Spekulativ</i> bedeutet <u>nicht</u> <i>nutzlos</i> oder <i>sinnlos</i>,
sondern besagt, dass eine empirisch nicht überprüfte oder nicht
prüfbare Aussage als Vermutung zu betrachten ist, diese nicht als
wissenschaftliche Aussagen gelten, aber der wissenschaftlichen
Erkenntnis dienen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Allerdings
stellt sich der Sachverhalt nicht so klar da, wie es den Anschein hat.
Seit der Diskussion über wissenschaftliche Paradigmen (Vgl. Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank"><i>Was ist Kultur?</i></a>, Kapitel 3.3.2) hat sich ein
Verständnis von Wissenschaft durchgesetzt, gemäß dem wissenschaftliche
Aussagen ebenfalls auf nicht prüfbaren Axiomen basieren. Innerhalb von
Normalwissenschaft bleiben Axiome jedoch unhinterfragt und gelten als
wahr.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ob <i>Bewusstsein</i>
(Geist) als eine eigenständige Entität oder als eine in der Evolution
entstandene komplexe Funktion physikalischer Prozesse aufzufassen ist,
bildet als Frage den Kern der Leib-Seele-Diskussion zwischen Vertreten
von zwei Hautlagern mit jeweils mehreren Unterlagern. Aus Sicht der
materialistisch-physikalischen Position entstehen Fähigkeiten des <i>Bewusstseins</i>
und Erkenntnis als nützliche Illusionen. Von einer
Entscheidung ist diese Diskussion weit entfernt und es ist fraglich, ob eine Entscheidung
prinzipiell möglich ist. Trotzdem sollte diese Diskussion nicht
ignoriert werden, weil unterschiedliche Auffassungen über Axiome
wissenschaftlicher Erklärung auf wissenschaftliche Aussagen einwirken.<br /></div></div><b></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Je
weiter Erklärungen zeitlich zurückreichen, desto dürftiger sind
empirische Belege zur Evolution des Menschen und seiner Fähigkeiten und
umso spekulativer geraten sich auf dürftige Belege stützende Annahmen
und
Deutungen. Zahlreiche archäologische Funde des 19. und 20.
Jahrhunderts legen Spuren in die Vergangenheit, die aber erst mit
aktuellen technischen Methoden verlässlich datiert werden können. Dank
Genanalysen fallen neuerdings Datierungen fossiler Funde und
Überprüfungen von Theorien zu empirischen Sachverhalten erheblich
genauer aus. Zahlreiche Theorien sind inzwischen
verworfen, weil sie neueren Erkenntnissen nicht standhalten. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ein
detaillierter Nachvollzug dieses wissenshistorischen Prozesses ist kein
Anliegen
dieser Reihe. Der wissenshistorische Prozess macht jedoch Unsicherheiten und die Vergänglichkeit wissenschaftlicher
Erkenntnis deutlich. Was heute als Stand von Wissenschaft gilt, ist
morgen historischer wissenschaftlicher Stand. Dieser Situation
entkommt niemand, auch nicht diese Postreihe, die den aktuellen Stand
der Erkenntnis zur Evolution von <i>Kultur</i> und <i>Religion</i>
sichtet und zu ordnen versucht. Erst mit der Identifizierung und
Beschreibung struktureller Zusammenhänge entsteht ein Bild, das den
Prozess der
Evolution von <i>Religion</i> im Kontext der Evolution von <i>Kultur</i>
plausibel macht, jedoch nicht beweist. Irrtümer sind
nicht nur möglich, sie sind wahrscheinlich. Neue Erkenntnisse werden
voraussichtlich Korrekturen dieses Bildes einfordern. Vielleicht muss es
auch neu gezeichnet werden.</div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3 Perspektiven der Analyse von <i>Kultur</i></b></div>
</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wahrnehmung
von Welt sowie implizite und explizite Bewertungen der Wahrnehmung von
Welt beruhen auf evolutionär entwickelten Fähigkeiten eines biologischen
kognitiven Apparates, der bei höheren Arten komplexe soziale Funktionen
wie sprachliche Kommunikation und soziale Kooperation herausgebildet
hat. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Als
sich selbst organisierende offene Systeme verfügen lebende biologische
Organismen über Fähigkeiten der Plastizität, die biologischen Organismen
über die gesamte individuelle Lebenszeit im Austausch
mit der Umwelt Anpassungen an dynamische Lebensbedingungen ermöglichen.
Biologische Funktionen des kognitiven Apparates entwickelten sich über
lange Zeiträume in Jahrmillionen.<br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Kognitive Apparate ermöglichen Verhalten und Überleben in chaotischen
Lebensumgebungen, indem sie Komplexität einer chaotischen Welt
reduzieren. Die Reduzierung von Komplexität gelingt mittels unbewusster
mechanischer Wahrnehmungsfilter von Sinnesorganen sowie mittels
intelligenter Wahrnehmungsfilter des kognitiven Apparates, die unbewusst
Muster bilden und Verhaltensoptionen erzeugen.(1) <br /><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;">Soziale
Funktionen sind ebenfalls allmählich entstanden, aber in erheblich
kürzeren evolutionären Prozessen und unterscheiden sich hinsichtlich
ihrer
Reproduktionsgeschwindigkeit deutlich von biologischen Funktionen.
Aufgrund kurzer Reproduktionszyklen mutieren soziale Funktionen unter
veränderten Lebensbedingungen schnell und bilden in kurzer Zeit nicht
nur veränderte Funktionen, sondern erzeugen durch Ausdifferenzierung
zusätzliche Varianten.<br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Soziales
Verhalten ist kein Privileg von Menschen. Alle höhere Tierarten
verfügen über erlerntes soziales Verhalten. In Verbänden lebende
Tierarten zeigen Verhaltensweisen, die ebenfalls auf kollektiven Mustern
beruhen und als rudimentäre <i>Kulturen</i> gelten können. Die Spezies
Mensch benötigt für ihr Überleben soziale Funktionen höherer
Komplexität. Diese kommen mit Hilfe durch Symbole (Bedeutungsträger von
Zeichen und Sprache) repräsentierte einvernehmliche Verständnisse über
Sinnhaftigkeit zustande. Um
sinnhafte Verhaltensprinzipien zu entwickeln und diese zum Zweck ihrer
Anwendung mit Symbolen zu repräsentieren und kommunizieren,
sind Fähigkeiten abstrakten Denkens erforderlich, über die in dieser
Qualität keine höheren Tierarten verfügen. Menschliches soziales
Verhalten beruht auf einer Mischung von genetisch
programmierten Verhaltensweisen mit Mustern kulturell geprägter
kollektiver Verständnisse von Welt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Da <i>Kultur</i> lokal oder regional entsteht, besteht und mutiert, unterscheidet sich <i>Kultur</i>
zwangsläufig interkulturell hinsichtlich Bedeutungen ihrer Kategorien,
begrifflichen
Ordnungen, Symbolen, Traditionen, Narrativen sowie hinsichtlich deren
Verbindlichkeitsgrade. Kulturwissenschaften wie Soziologie,
Sozialanthropologie und Ethnologie erschließen diese Sachverhalte
analytisch. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.1 <i>Kulturelle </i>Pluralisierung und Fragmentierung </b><br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">In der Gegenwart haben sich komplexe Sozialsysteme zu pluralistischen <i>Kulturen</i> mit zahlreichen <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Subkultur" target="_blank">Subkulturen</a></i>
ausdifferenziert, die sich hinsichtlich Wertvorstellungen und sozialer
Normen mehr oder weniger stark unterscheiden. Pluralisierung von <i>Kultur</i> resultiert aus der Fragmentierung in <i>Subkulturen</i>. Pluralisierung ermöglicht Persistenz fragmentierter <i>Kulturen</i>. Allerdings haben Pluralisierung und Fragmentierung einen Preis. Sie schwächen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Resilienz_(Soziologie)" target="_blank">Resilienz</a> und erhöhen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vulnerabilit%C3%A4t" target="_blank">Vulnerabilität</a> sozialer Ordnungen.</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Pluralisierung erhöht Komplexität sozialer Ordnungen und vermindert deren Transparenz. <br /></li><li>Fragmentierung erweitert den Umfang individueller und kollektiver Freiheiten auf Kosten von Konfliktpotentialen. </li><li>Handlungsoptionen nehmen zu. Gleichzeitig nehmen Orientierung und
Verhaltenssicherheit ab. Lebenszusammenhänge werden undurchschaubarer. <br /></li><li>Relativierung
und Pluralisierung kultureller Werte reduzieren Verbindlichkeiten
sozialer Normen. Mechanismen der Verhaltenskontrolle werden schwächer.</li><li>Mit abnehmender Stabilität beschleunigt sich die Dynamik sozialer Ordnungen.</li><li>Harmonisierungsbedarf
von Konfliktpotentialen stellt hohe Anforderungen an die
Integrationsfähigkeit und Resilienz sozialer Ordnungen und erfordert
konsensfähige Supermuster eines ebenso stabilen wie flexiblen
kulturellen Rahmens.</li><li>Etablierung und Pflege konsensfähiger Supermuster sind vordringliche Aufgaben des politischen Systems pluralistischer Kulturen. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.2 Naturalismus (Physikalismus) vs. Metaphysik vs. Konstruktivismus (Kulturalismus)<br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Dieses
Kapitel skizziert Grundannahmen gegensätzlicher wissenschaftlicher
Positionen, ohne Feinheiten und Varianten zu berücksichtigen.(2)<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_%28Ontologie%29" target="_blank">Physikalistische</a> Positionen fassen die Welt im Sinne von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naturalismus_(Philosophie)" target="_blank">Naturalismus</a> als Geschehen der Natur auf und nehmen eine vom Menschen unabhängige Realität an, die mit wissenschaftlichen Methoden
erforscht und erklärt werden kann. Ihrem Handwerk nachgehende Naturwissenschaftler beschäftigen sich i.d.R. vermeintlich ausschließlich mit Fakten und nehmen an, dass in der
Realität auftretende Sachverhalte auf natürlichen Ursachen beruhen, deren
Ursachen mit Mitteln empirischer Forschung erklärt werden können. Die
Existenz <a href="https://www.wikiwand.com/de/Metaphysik" target="_blank">metaphysischer</a> Entitäten schließen sie implizit oder explizit
aus.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Da Naturalismus alle Objekte und Prozesse
der Welt auf Materie und deren physikalische Gesetzmäßigkeiten
zurückführt, wird er auch als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Materialismus" target="_blank">Materialismus</a> oder als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_(Ontologie)" target="_blank">Physikalismus</a> bezeichnet. Diese Position kennt nur eine Substanz und gilt daher als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a>,
von dem sich dualistische oder pluralistische Position unterscheiden. Die Perspektive des Naturalismus erklärt Denken
und Emotionen als Prozesse von Materie. <i>Geist</i> und <i>Bewusstsein</i> gelten als Fiktionen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der postulierte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Reduktionismus" target="_blank">Reduktionismus</a>
gelingt bisher jedoch nicht oder nur unbefriedigend. Bei genauer Betrachtung sind Operationen wie Beobachten, Experimentieren, Erklären und Überprüfungen von Theorien jedoch nicht metaphysisch voraussetzungsfrei möglich. Da aus wissenschaftstheoretischer Sicht jegliches Wissen Vermutungswissen bzw. vorläufiges Wissen ist, bestehen gegen
Naturalismus gewichtige Einwände. Versuche der Auflösung kontroverser Positionen werden als metaphysischer Naturalismus diskutiert (siehe Verweise der Anmerkung 2).</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Während <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deduktiv-nomologisches_Modell" target="_blank">analytisch-nomologische Wissenschaftsauffassung</a> von der Existenz universaler Naturgesetze ausgehen, fassen interpretativ-interaktionistische Wissenschaftsauffassungen Erkenntnis als Konstrukte sozialer Deutungsprozessen auf.(3) Damit ist nicht behauptet, dass keine Realität existiert, sondern
lediglich ausgesagt, dass keine beweisbaren Aussagen über Realität
möglich sind. In ihrer radikalen Version nehmen Positionen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Konstruktivismus_(Philosophie)" target="_blank">Konstruktivismus</a> nehmen, dass über objektive Realität keine logisch sinnvollen Aussagen möglich sind und Annahmen über Realität auf Konstrukten des kognitiven Apparates beruhen, die in sinnstiftenden Prozessen zustandekommen. Kontroverse Positionen des Monismus und Dualismus beruhen aus dieser Sicht auf unterschiedlichen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachspiel" target="_blank">Sprachspielen</a>, von denen keines Gültigkeit beanspruchen kann (siehe Kapitel 6).<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.3 </b><b>Funktionalismus </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Funktionale Erklärungen suchen nicht nach speziellen Eigenschaften bzw. dem Wesen oder der Substanz eines Phänomens, sondern beschreiben die nicht nur zufällig oder singulär auftretende Existenz eines erklärungsbedürftigen Phänomens durch seinen Zweck (funktionale Notwendigkeit), den es für ein übergeordnetes Ganzes erfüllt. Funktionale Erklärungen sind aufgrund ihres impliziten kausalen Musters und ihrer empirischen Zugänglichkeit für das Verständnis systemischer Zusammenhänge hilfreich und daher in etlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen verbreitet und ebenso in geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen der Soziologie, Ethnologie, Psychologie und Philosophie anzutreffen.(4)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Funktionalistische Positionen gehören zum physikalischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a>.(5) Aus monistischer Perspektive sind eine wie ein
menschliches
Gehirn denkende Maschine bzw. <a href="https://www.wikiwand.com/de/K%C3%BCnstliche_Intelligenz" target="_blank">Künstliche Intelligenz</a>
prinzipiell möglich. Wissenschaftlich ist diese Annahme strittig.
Allerdings ist einzuräumen, dass sich der Zuwachs an Wissen in
vergangenen Jahrzehnten enorm beschleunigt hat und weiter beschleunigt.
Da wir nicht wissen, wohin dieser Wissenszuwachs führt, ist die
Möglichkeit vollwertiger KI nicht auszuschließen.<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Materialismus" target="_blank"> </a><br /><ul style="text-align: left;"><li>Für
monistische Annahmen spricht das allgemeine Verständnis des Anspruchs von
Wissenschaft, gemäß dem Naturgesetze für die gesamte Realität gelten und
frei von Widersprüchen sind.</li><li>Gegen monistische Annahmen spricht, dass bedeutende theoretische Modelle der Physik (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Quantenmechanik" target="_blank">Quantenmechanik</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Allgemeine_Relativit%C3%A4tstheorie" target="_blank">allgemeine Relativitätstheorie</a>) und der Philosophie (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes#Das_Leib-Seele-Problem" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a>) bisher nicht widerspruchsfrei vereint werden können und darum vermutlich fehlerhaft sind. <br /></li></ul>Als Klassiker der Soziologie und Begründer des soziologischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Funktionalismus</a> gilt der französische Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%89mile_Durkheim" target="_blank">Èmile Durkheim</a>
(1858-1917). Durkheim nahm an, </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>dass soziale Ordnungen strukturiert sind, </li><li>Strukturen funktionale Bedeutung für den Erhalt der sozialen Ordnung
haben, </li><li>Strukturen von außen auf Denken und Verhalten von Menschen unbewusst
einwirken,</li><li>Strukturen durch ihre sich im Verhalten von Menschen
ausprägenden Funktionen identifiziert und analysiert werden können. </li></ul></div></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.4 Strukturalismus </b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Begriff <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturalismus" target="_blank">Strukturalismus</a> bezeichnet Forschungsprogramme, die davon ausgehen, dass menschliches Denken und Handeln von Regelwerken kultureller Symbolsysteme beeinflusst ist. Strukturalistische Erklärungen analysieren und klassifizieren Strukturen und Mechanismen dieser als Systeme aufgefassten Regelwerke. Zeichensysteme der Sprache verstehen Strukturalisten als Grundtyp jeder Ordnung von Realität. Als Begründer strukturalistischer Denkweise gilt der Sprachwissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ferdinand_de_Saussure" target="_blank">Ferdinand de Saussure</a> (1857-1913), der Sprache als eine systemische Struktur beschreibt, die zur Verständigung Kontinuität in der Zeit erfordert (synchronische Perspektive) und zugleich permanenter Transformation unterworfen ist (diachronische Perspektive). Darüber hinaus zeigen sprachliche Symbolsysteme gleichzeitig soziale wie auch individuelle Ausprägungen, deren Analyse kulturelle Weltverständnisse erschließen.(6,7) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Vgl. Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/03/architektur-von-erinnerung-wissen.html" target="_blank">Architektur von Erinnerung, Wissen, Wahrheit - interdisziplinär betrachtet</a>, Kapitel 5: Individualismus, Identität und Persönlichkeit</li><li>Aussagen des Kapitels 3.2 stützen sich auf 2 Rezensionen einer Veröffentlichung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Martin_Mahner" target="_blank">Martin Mahner</a>: <i>Naturalismus. Die Metaphysik der Wissenschaft, Aschaffenburg 2018</i><br /><ul><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-naturalismus/1623132" target="_blank">Braucht die Naturforschung eine metaphysische Grundlage?</a></li><li><a href="https://www.ag-evolutionsbiologie.de/" target="_blank">AG EvoBio</a>: <a href="https://www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2019/martin-mahner-naturalismus-metaphysik-der-wissenschaft.pdf" target="_blank">Naturalismus. Die Metaphysik der Wissenschaft</a> (PDF) <br /></li></ul></li><li>Uni Oldenburg: <a href="https://viles.uni-oldenburg.de/navtest/viles0/kapitel01_Methodologische~~lGrundlagen~~lder~~lempirischen~~lForschung/modul02_Wissenschafts-~~lund~~lerkenntnistheoretische~~lGrundlagen/ebene01_Konzepte~~lund~~lDefinitionen/01__02__01__01.php3?jbt=/navtest/viles0/kapitel01_Methodologische~~lGrundlagen~~lder~~lempirischen~~lForschung/modul02_Wissenschafts-~~lund~~lerkenntnistheoretische~~lGrundlagen/ebene02_Beispiele~~lund~~lAufgaben/01__02__02__01.php3" target="_blank">Konzepte und Definitionen im Modul Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundlagen</a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Funktionalismus in Sozialwissenschaften</a> ist nicht identisch mit Positionen in der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a>, die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mentaler_Zustand" target="_blank">mentale Zustände</a> als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_%28Philosophie%29" target="_blank">funktionale Zustände</a> verstehen. Dieser Post bezieht sich auf Funktionalismus in Sozialwissenschaften. </li><li>Einen Überblick über wissenschaftstheoretisch konkurrierende grundlegende Positionen gibt Anmerkung 1 zu Kapitel 1 des Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/01/evolution-kognitive-revolution-und-die.html" target="_blank">Evolution, kognitive Revolution und die Folgen</a></i>.</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturalismus" target="_blank">Strukturalismus</a></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/strukturalismus/7766" target="_blank">Strukturalismus</a> <br /></li></ol></div></div><div style="text-align: left;"><br />
</div><div style="text-align: left;"><br />
</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>4 Basale Annahmen zu <i>Religion</i><br /></b></div><ol><li>Mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hominisation" target="_blank">Homonisation</a> und der kognitiven Evolution des frühen Homo sind <i>Kultur </i>und <i>Religion</i> entstanden. <i>Kultur </i>und <i>Religion</i> beschreiben als Begriffe Dispositionen von Eigenschaften, die sich in der Evolution des Homo sapiens als komplexes soziales Verhalten entfalten. <i>Kultur </i>und <i>Religion</i> ermöglichen kausal die Entstehung und das Überleben als biologische Art. </li><li>Gemäß <a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">funktionalistischer</a> Denkweise ist <i>Religion</i> als eine notwendig entstandene Ausprägung von <i>Kultur</i> aufzufassen. <br /></li><li>Phänotypen von <i>Religion</i> variieren kontingent über Ausprägungen von Kultur. </li><li>Ausprägungen von <i>Kultur</i> variieren kontingent. Über Treiber kultureller Kontingenz und Dynamik besteht kein Konsens. </li><li><i>Kultur</i> und <i>Religion</i> stellen sich analytisch diffus und vielgestaltig
dar und sind weder im allgemeinen noch im wissenschaftlichen Denken
exakt bestimmbar. Definitionen und Verständnisse dieser sozialen
Sachverhalte streuen intra- und interkulturell über ein breites
Spektrum. Offenbar manifestieren <i>Kultur</i> und <i>Religion</i> ihre kausale Rolle für das Überleben der Art Homo sapiens nicht auf eine bestimmte, sondern auf unterschiedliche und nicht unmittelbar einsichtige Arten. <br /></li></ol><div style="text-align: left;">Die Annahme, dass <i>Kultur</i> und <i>Religion</i> für die Entstehung und das Überleben von Homo sapiens kausale Bedeutung haben, wäre aussagenlogisch eine <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pseudo-Erkl%C3%A4rung" target="_blank">Pseudoerklärung</a>, solange nicht kausale Mechanismen unabhängig vom zu erklärenden Phänomen beschrieben werden können. Fragestellungen nach der Art kausal wirksamer Mechanismen geht der Post <i>Was ist Religion?</i> nach.</div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5 Perspektiven ethnologischer Theorien</b>(1)<b><br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> In einer unüberschaubaren Vielfalt verbreitete ethnologische
Theorien können hier
nicht im Detail vorgestellt werden. Wie auch immer sich
ethnologische Theorien unterscheiden, lassen sie sich zwei Hauptrichtungen zuordnen:(2)</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Theorien, die trotz Vielfalt menschlicher <i>Kulturen</i> auf einheitliche Prinzipien verweisen (Universalien),</li><li>Theorien, die Gründe für eine vermeintliche unendliche Vielfalt menschlicher <i>Kulturen</i> aufzeigen oder darüber hinaus aufgrund der Vielfalt menschlicher <i>Kulturen</i> eine prinzipielle Unvergleichbarkeit von<i> Kulturen</i> postulieren.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>5.1 Theorien auf der Suche nach Universalien</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Abgesehen von historisch überholten oder speziellen Blüten sind aktuell zwei ernstzunehmende Modelle relevant.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.1.1 Funktionale Erklärungen</b> </div> <div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Bronis%C5%82aw_Malinowski" target="_blank">Bronisław Malinwoski</a> (1884-1942), in England und USA lebender polnischer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialanthropologie" target="_blank">Sozialanthropologe</a>,
orientierte sich an naturwissenschaftlichen Konzepten des biologischen
Organismus und des physikalischen Systems und entwickelte das
funktionalistische Modell zunächst zu einem empirisch-methodischen
Konzept seiner Feldforschungen, das er später zu einer allgemeinen
Theorie von <i>Kultur</i> ausbaute. <i>Kultur</i> betrachtete Malinowski
als eine sekundäre Umwelt, die Menschen als Mittel zum Zweck der
Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse erschaffen.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Da die Natur des Menschen im Wesentlichen biologisch determiniert ist, konnte Malinowski erklären, warum unterschiedliche <i>Kulturen</i> im Großen und Ganzen ähnliche Institutionen ausbilden, die insgesamt den gleichen Grundbedürfnissen dienen. Die Vielfalt von <i>Kulturen</i> löste Malinowski durch biologischen Fundamentalismus auf. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Alfred_Radcliffe-Brown" target="_blank">Alfred Radcliffe-Brown</a> (1881-1955) britischer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialanthropologie" target="_blank">Sozialanthropologe</a> und Mitbegründer des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturfunktionalismus" target="_blank">Strukturfunktionalismus</a>
argumentierte ebenfalls funktionalistisch, er fokussierte jedoch auf
soziale Beziehungen und ihren Wechselwirkungen. Institutionen und
kulturelle Traditionen dienen gemäß Radcliffe-Brown der Persistenz
sozialer Ordnungen in unterschiedlichen funktional relevanten
Ausprägungen.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><a href="https://www.wikiwand.com/de/Talcott_Parsons" target="_blank">Talcott Parsons</a> (1902-1979), Schüler von Malinowski, leistete wesentliche Beiträge zur Entwicklung des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturfunktionalismus" target="_blank">Strukturfunktionalismus</a> sowie der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziologische_Systemtheorie" target="_blank">soziologischen Systemtheorie</a> und übte bis Ende der 1970er Jahre großen Einfluss auf die Soziologie insgesamt aus. Zu Parsons Schülern zählen u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Niklas_Luhmann" target="_blank">Niklas Luhmann</a>.
Aus Sicht empirisch orientierter Soziologen hat Parsons einen
begrifflich-kategorialen Bezugsrahmen entwickelt, der nicht als
Soziologie, sondern als Sozialphilosophie aufzufassen ist. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>5.1.2 Strukturalistische Erklärungen<br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> (1908-2009) französischer Ethnologe und Begründer des ethnologischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturalismus" target="_blank">Strukturalismus</a>
vertrat ein konstruktivistisches Verständnis sozialer Realität.
Lévi-Strauss betrachtete soziale Realität nicht empirisch, sondern er
suchte auf einem höheren Abstraktionsniveau nach Regelwerken zur
Konstruktion von Modellen der Realität. Lévi-Strauss nahm an, dass
unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen <i>Kulturen</i> über
gleichartige kognitive Kompetenz verfügen und daher zur Bewältigung der
Komplexität ihrer Umwelt gleichartige Regelwerke nutzen. Diese
Regelwerke sind nicht in empirischen Objekten zu finden, sondern in
abstrakten Regelsystemen. Da Sprache das grundlegende menschliche
Regelsystem bildet und linguistische Methoden Strukturähnlichkeiten von
Sprachen aufzudecken vermögen, nutzte Lévi-Strauss linguistische
Methoden für seine Analysen sozialer Regelsysteme und fand in
unterschiedlichen <i>Kulturen</i> gleichartige Regelsysteme, die aus gleichartigen unbewussten kognitiven Strukturen resultieren.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Methodisch
üben von Lévi-Strauss entwickelte strukturalistische Verfahren noch
immer großen Einfluss auf Kulturwissenschaften aus. Seine Annahmen zu
Universalien menschlichen Denkens sind jedoch umstritten und konnten
sich nicht durchsetzen.(3)</div><br /><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>5.2 Theorien und Probleme der Vielfalt von <i>Kulturen</i> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>5.2.1 Kulturrelativistische Theorien </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Franz_Boas" target="_blank">Franz Boas</a> (1858-1942), deutsch-amerikanischer Ethnologie, gilt als Begründer des methodischen <a href="1 Theorien auf der Suche nach Universalien" target="_blank">Kulturrelativismus</a>, der wie Funktionalismus vorgeht, aber unterstellt, dass unterschiedliche <i>Kulturen</i> nicht vergleichbar sind und daher jede<i> Kultur</i>
als einzigartig aufzufassen ist. Fragen interkultureller Ähnlichkeiten
oder Gemeinsamkeiten treten in den Hintergrund oder gelten aufgrund von
Inkommensurabilität als irrelevant. Aussagenlogisch zählen
kulturrelativistische Theorien zu pluralistischen Positionen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.2.2 Interpretative Ethnologie</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der Anspruch kulturwissenschaftlicher Theorien, Gesetzmäßigkeiten
aufzudecken und Erklärungen methodisch an Naturwissenschaften zu
orientieren, erwies sich zunehmend als brüchig. Wissenschaftliche Krisen der Ethnologie schuf Raum für neue
Konzepte, die <i>Kulturen</i> nicht erklären, sondern verstehen wollen und als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Interpretative_Ethnologie" target="_blank">interpretative, symbolische oder reflexive Ethnologie</a> bezeichnet werden. Interpretative Ethnologie bezweifelt eine von
außen wahrnehmbare objektive Realität ihrer Forschungsgegenstände und
postuliert, dass Bedeutungen von Gegenständen sich erst in einem
Kommunikations- und Handlungskontext erschließen.(4,5) <i>Kultur</i>
versteht interpretative Anthropologie als ein selbstgesponnenes
Bedeutungsgewebe und sucht daher nicht nach
Gesetzmäßigkeiten, sondern nach Bedeutungen. Aussagenlogisch zählen
Konzepte der interpretativen Ethnologie zu pluralistischen Positionen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ein Hauptprotagonist der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hermeneutik" target="_blank">hermeneutischen</a> Forschungsrichtung war der US-amerikanische Ethnologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a> (1926-2006). Geertz fasste <i>Kulturen</i>
als geschlossene Bedeutungssysteme auf, die er wie literarische Texte
zu lesen, zu analysieren und zu interpretieren versuchte. Schlüssel des
Verstehens bildeten für Geertz Symbole, die in
Kommunikationsprozessen auf Weltsichten, Wertvorstellungen und
Handlungsmotive verweisen.(6) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Als Vertreter einer reflexiven Ethnologie setzte sich Clifford Geertz
mit der eigenen Rolle, der eigenen Autorität, dem eigenen Anspruch sowie
der Art und Weise der Repräsentation fremder <i>Kulturen</i>
auseinander. Geertz forderte, dass Ethnologen nicht bei der Beschreibung
des empirisch Vorgefundenen bleiben dürfen, sondern Tiefenstrukturen
innerer Logik von Handlungen interpretativ erschließen sollen. Um fremde
Lebensformen, Vorstellungen und Handlungen zu verstehen, sollen sich
Wissenschaftler nicht in der Rolle des Subjekts der Forschung und ihre
Forschungsgegenstände nicht als Untersuchungsobjekte sehen, sondern eine
partnerschaftliche Zusammenarbeit anstreben, in der die Beteiligten
sich und ihre Handlungen ernst nehmen. Eine adäquate Beschreibung fremder <i>Kulturen</i> muss lokales Wissen und
lokale Deutungen einbeziehen.(7)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Clifford Geertz vertrat kulturrelativistische Postionen: </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Natur und
Wissen begreift er als „lokales Wissen“. Universalistische
Moralvorstellungen, wie das Konzept der Menschenrechte, treten gegenüber
Ethiken der unterschiedlichen Kulturen in den Hintergrund. Der Mensch
muss lernen, sich zwischen den Kulturen zurechtzufinden, die
Wissenschaft sollte komplexe gegensätzliche Strukturen durchschauen und
insbesondere die „turns“, d. h. die Wendungen, herausarbeiten.</i>(8)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ohne zweifelsfrei identifizierbare Objekte als Gegenstände von
Wissenschaft sind nicht nur Ansprüche auf wissenschaftliche Erklärungen
hinfällig, sondern darüber hinaus jeder Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit von Beobachtungen und ihren Deutungen. Konsequenterweise verstand Geertz ethnografische Texte als
fiktionale Literatur, die literarischen und rhetorischen
Gestaltungskriterien gehorcht.(9) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.3 Positionen der Ethnologie in der Gegenwart</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nach
dem Ende des Kolonialismus verlor Ethnologie als wissenschaftliches
Fach in Europa an Bedeutung, Einfluss sowie Ausstattung mit Finanzmitteln
und erodierte. Die Political-correctness-Bewegung der USA sowie Bewegungen wie
Feminismus, Gender, Queer begünstigten insbesondere in den USA die
Formierung eine kulturkritischen, postkolonialen und postmodernen
Ethnologie, die Interessen von Minderheiten unterstützt.
Vertreter einer postmodernen skeptischen Ethnologie führten einen
Paradigmenwechsel herbei und übernahmen
im Fach die Macht. Vertreter einer 'klassischen' Wissenschaftsauffassung traten den Rückzug
an. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Methodischer
Kulturrelativismus, den ursprünglich <a href="https://www.wikiwand.com/de/Franz_Boas" target="_blank">Franz Boas</a> und Schüler im 20. Jahrhundert gegen vorherrschenden
Evolutionismus und Rassismus dominanter westlicher <i>Kulturen</i> in Stellung brachten, mutierte im 21. Jahrhundert zu einem doktrinären
Kulturrelativismus. Dieser immunisiert sich gegen jede Kritik von außen mit Hinweisen auf einen essenziellen Werterelativismus, der Optionen universaler Menschenrechte ausschließt. In aktueller globaler Politik praktizieren China, Russland und einige islamische Staaten diesen Werterelativismus exemplarisch. Aber auch zahlreiche weniger prominente Minoritäten, Sekten, Subkulturen berufen sich auf prinzipiellen Werterelativismus. Sie verweigern die Anerkennung universaler Werte und geißeln diese als getarnte Versuche europäischer Politik, politisch nicht mehr durchsetzbare Dominanz ehemals imperialer und kolonialer Politik in ethische Verpackung zu kleiden, um sie nicht aufgeben zu müssen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aufblühender doktrinärer Werterelativismus
bildet eine <i>Achillesferse</i>
des ethnologischen Kulturrelativismus, an der sich Kritik entzündet und dazu führte, dass sich die Ethnologie inzwischen vom Begriff <i>Kultur</i> distanziert.(10,11) Postmoderne
Skepsis von Ethnologen gegenüber Aussagen mit Anspruch
auf Wissenschaftlichkeit verdrängte szientistische
Ansätze der Ethnologie an den Rand. Mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Indigenisierung" target="_blank">Indigenisierung</a> der Ethnologie setzte
eine <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnizit%C3%A4t" target="_blank">ethnizistische</a> Aufsplitterung des Fachs bei gleichzeitig
neuen Betätigungsfeldern ein. Die Beschäftigung mit Minoritäten und ein weltweiter Trend zur
Erforschung und Rettung bedrohter Kulturen sowie zur Wiederbelebung
nahezu vergessener <i>Kulturen</i> und Traditionen verhalfen der
Ethnologie als Fach zu Erfolg und ebneten Grenzen zu Nachbarfächern ein.
Unstrittig
ist die Bedeutung des Kulturrelativismus als methodisches Prinzip ethnologischer
Forschung. Inzwischen gelten methodische Ansätze, Fragestellungen und Sichtweisen
der Ethnologie fachübergreifend als Standards für die Analyse von <i>Kulturen</i>.(12)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Die
beschriebene Entwicklung entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie.
Ethnologie zahlt ihren Erfolg der Gegenwart mit der Aufgabe
wissenschaftlicher Ansprüche und kann im engeren Sinn nicht mehr als
Wissenschaft gelten. Damit stellt sich die Frage, wie Ethnologie
einzuordnen ist. Clifford Geertz hat bereits die Konsequenzen gesehen
und eine Antwort formuliert, als er Ethnologie als Literatur
bezeichnete. Heute würde man eher von Narrativen sprechen. Welches Licht
oder welche Schatten dieses Verständnis von Ethnologie auf Wissenschaft
allgemein und auf Kulturwissenschaften speziell wirft, ist eine tief in
wissenschaftstheoretische Diskussionen führende Fragestellung, deren
Thematik über diesen Post weit hinausreicht. Offensichtlich ist jedoch,
dass die Ausbreitung von Denkweisen ethnologischer Theorie eine
Diskussion in Gang gesetzt hat, die an Fundamenten der Architektur von
Wissenschaft rüttelt. Einen stark verkürzten Blick auf diese Diskussion
wirft das nachfolgende Kapitel 6.<br /></div><br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Anmerkungen dieses Kapitels basieren auf einer Veröffentlichung des Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl-Heinz_Kohl" target="_blank">Karl-Heinz Kohl</a>: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung. München 1993; 3. Auflage 2012.</li><li>Karl-Heinz Kohl: Ethnologie, a.a.O., S. 133</li><li>Karl-Heinz Kohl: Ethnologie, a.a.O., S. 146</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Interpretative_Ethnologie" target="_blank">Interpretative Ethnologie</a></li><li>Enzyklopädie Wiki: <a href="https://wiki.edu.vn/wiki17/2021/01/02/symbolische-anthropologie-wikipedia/" target="_blank">Symbolische Anthropologie </a><br /></li><li>Siehe Post: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">Was ist Kultur?</a>, Kapitel 2.4.4 <br /></li><li>Portal de-academic.com/dic.nsf/dewiki: <a href="https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/269793" target="_blank">Clifford James Geertz</a> <br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a></li><li>FU Berlin, Sozial- und Kulturanthropologie: <a href="https://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Reflexive+Anthropologie" target="_blank">Reflexive Anthropologie</a> <br /></li><li>Karl-Heinz Kohl: Ethnologie, a.a.O., S. 186ff.</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziokulturelle_Evolution" target="_blank">Soziokulturelle Evolution</a></li><li>Karl-Heinz Kohl: Ethnologie, a.a.O., S. 168ff.</li></ol></div> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>6 Konstruierte Realität</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In
Kapitel 5.2 vorgestellte kulturrelativistische Positionen beschränken
sich nicht auf Ethnologie, sondern strahlen auf kulturwissenschaftliche
Fächer aus, in denen sie etablierte Ansichten dekonstruierten und
paradigmatische Diskussionen auf Metaebenen provozieren. Aus der
metatheoretischen Diskussion geht eine Neuordnung von Denkweisen
insbesondere in Philosophie, Psychologie und Soziologie hervor, die
Modellhaftigkeit ihrer Ansichten nicht länger abstreitet, sondern
einräumt und schließlich Modellhaftigkeit wissenschaftlicher Annahmen
zum Prinzip wissenschaftlicher Theorien erhebt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Modelle
sind keine Beschreibungen objektiver Realität, sondern gedankliche
Konstrukte von Annahmen über Zusammenhänge zwischen
empirisch beobachteten Objekten einer wie auch immer gearteten Welt.
Wenn Modelle keine objektive Realität beschreiben, sondern Realität
konstruieren, entsteht auf Metaebene Erklärungsbedarf hinsichtlich
Methoden der Entstehung von modellhaft dargestellten Erkenntnissen.
Diese als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Konstruktivismus_(Philosophie)" target="_blank">Konstruktivismus</a>
bezeichneten Erklärungen auf Metaebene haben sich in mehreren Varianten
ausgeprägt, die sich hinsichtlich axiomatischer Annahmen
unterscheiden.(1,2) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Auf Details von Unterschieden muss dieser Post nicht
eingehen. Interessant ist jedoch, dass
kulturrelativistisch-interpretative Positionen der Ethnologie nicht nur
maßgeblich Einfluss auf Entwicklungen soziologischer Theorie in Form des
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Symbolischer_Interaktionismus" target="_blank">Symbolischen Interaktionismus</a> und der <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/ethnomethodologie" target="_blank">Ethnomethodologie</a>
ausübten, sondern auch auf erkenntnistheoretische Diskussionen, aus
denen konstruktivistische Ansätze der Philosophie und Psychologie sowie
der <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/sozialkonstruktivismus" target="_blank">Sozialkonstruktivismus</a> der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wissenssoziologie" target="_blank">Wissenssoziologie</a> hervorgehen.(3,4,5,6) </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>6.1 Sozialkonstruktivismus</b>(7)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Konsequent weitergedacht führt Kulturrelativismus zum Sozialkonstruktivismus. Beide Modelle positionieren sich als Gegenmodelle zum Absolutheitsanspruch universalistischer politischer und religiöser Doktrin, deren Glaubwürdigkeit und Akzeptanz politische und soziale Realität aushöhlen.(8) Konstruktivistische Positionen betonen die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz_(Soziologie)" target="_blank">Kontingenz</a>
sozialer Ordnung, die prinzipiell offen ist, immer auch anders sein
kann und zur gleichen Zeit von unterschiedlichen individuellen oder
kollektiven Akteuren unterschiedlich wahrgenommen werden kann, ohne dass
einer der Akteure die eigene Wahrnehmung als die einzig richtige
behaupten kann und ohne dass die Wahrnehmung anderer Akteure mit
Sicherheit gedeutet werden kann. Das Nebeneinander von Subwelten macht
die Relativität von Welten bewusst.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Schlüsselwerk des Sozialkonstruktivismus ist eine Veröffentlichung der Soziologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Peter_L._Berger" target="_blank">Peter L. Berger</a> (1929-2017) und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Luckmann" target="_blank">Thomas Luckmann</a> (1927-2016), die 1966 in den USA mit dem Titel <i>The Social Construction of Reality</i> sowie 1969 in der deutschen Übersetzung als <i>Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit</i>
erschien und wie eine Bombe einschlug.(9) Berger und Luckmann beschäftigen sich in der Tradition der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenssoziologie" target="_blank">Wissenssoziologie</a> mit der Frage, wie Alltagswissen zustande kommt. Sie reklamierten, dass die klassische Wissenssoziologie die
Realität der Alltagswelt nicht erfasse. Das Bewusstsein alltäglicher
Menschen bestimme nicht Geistesgeschichte, Wissenschaft,
Kunst, Religion, sondern die Realität der Alltagswelt, die
subjektiv sinnhaft, funktional, intentional und objektbezogen auf das
Hier und Jetzt sei und durch alltägliche Interaktionen
strukturiert werde. </div> </div><div style="text-align: left;">Berger und Luckmann argumentieren, dass gesellschaftliche
Ordnung und kultureller Wissensbestand nicht <i>a priori</i> existieren sondern <i>ex post</i> durch menschliche Konstruktionsleistung produziert werden.(10)<b> </b>Gesellschaftliche Ordnungen verstehen Berger und Luckmann
als mehr oder weniger fragmentierte, sozial
konstruierte Sinnwelten, die mittels Zeichen, Symbolen, Sprache
Sinnordnungen bilden sowie Mythen, Religion, Wissenschaft als jeweils
spezifische Sinnweltstützen konstruieren und sich als soziale Rollen in
subjektiven Sinnwelten manifestieren.(11)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Sozialkonstruktivismus deutet Zusammenhänge zwischen sozial
konstruierter Realität und individuellen
Bewusstseinszuständen nicht als kausale Beziehung, sondern als
wechselseitig aufeinander bezogene interdependente Vernetzung. Soziale
Konstruktionen der Realität nehmen
Einfluss auf das Denken von Menschen und auf ihre Lebensbedingungen.
Änderungen von
Lebensbedingungen bewirken Anpassungen des Denkens und der
Vorstellungen von sozialer Realität, die wiederum modellierenden
Einfluss auf
Institutionen und Traditionen nehmen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2 Ethnomethodologie und radikaler Konstruktivismus</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Konstruktivistische
Theorien galten vor ca. 50 Jahre aufgrund ihrer dekonstruktiven Impulse
als subversive Avantgarde. In der Gegenwart scheint sich mit
Kulturkämpfen ein Epochenumbruch anzudeuten. In diesen
Auseinandersetzungen vermag Konstruktivismus aufgrund von
Verschleißerscheinungen nicht mehr zu vermitteln.(12)<br /></div><p></p><div style="text-align: left;">Während
Kulturrelativismus und Sozialkonstruktivismus die Möglichkeit einer
objektiven Welt offen lassen, negieren <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/ethnomethodologie" target="_blank">Ethnomethodologie</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Radikaler_Konstruktivismus" target="_blank">radikaler Konstruktivismus</a> diese Möglichkeit.</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Ethnomethodologie
geht davon aus, dass Menschen unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft
sich fremd gegenüberstehen und soziale Normen bzw. soziale Realität im
Interesse wechselseitiger Verständigung erst durch interaktive und
kommunikative Praktiken in Prozessen sozialer Interaktionen sinnhaft
konstruiert werden und daher prinzipiell einzigartig sind. <i>Kultur</i>
ist gemäß dieser Denkweise keine genutzte Ressource, sondern ein
pragmatisches Ergebnis der Erzeugung sozialer Wirklichkeit, das aber
prinzipiell vage bleibt.(13) </li><li>Radikaler Konstruktivismus
postuliert, dass Realität als kognitive Konstruktion subjektiver
Wahrnehmung zu verstehen ist, weshalb Objektivität und Realität
prinzipiell unmöglich sind.(14) <br />Abgesehen von
erkenntnistheoretischen und wissenssoziologischen Positionen wendet sich
radikaler Konstruktivismus insbesondere gegen naiven Realismus, der als
naive Anschauung nicht nur Alltagsdenken, gesunden Menschenverstand und
Commen Sense dominiert, sondern in der Gegenwart auch eine prominent
besetzte philosophische Position einnimmt.(15) Für naiven Realismus
ist die Realität der Welt so, wie sie wahrgenommen wird, weil
Wahrnehmung ein vermeintlich objektives Bild der Welt zeigt.
Aufgrund genetischer und sozialer Programmatik versteht sich Wahrnehmung
des naiven Realismus als passiv-rezipierend, während die Welt scheinbar
ein objektives Bild ihrer selbst mittels Sinnesreizen vermittelt und
vermeintliche Kausalitäten darstellt.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Konstruktivismus_(Philosophie)" target="_blank">Konstruktivismus (Philosophie)</a><br /></li><li>socialnet Lexikon: <a href="https://www.socialnet.de/lexikon/Konstruktivismus-Philosophie" target="_blank">Konstruktivismus (Philosophie)</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Symbolischer_Interaktionismus" target="_blank">Symbolischer Interaktionismus</a> <br /></li><li>Dorsch Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/ethnomethodologie" target="_blank">Ethnomethodologie</a> <br /></li><li>Dorsch Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/sozialkonstruktivismus" target="_blank">Sozialkonstruktivismus</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wissenssoziologie" target="_blank">Wissenssoziologie</a> </li><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialkonstruktivismus" target="_blank">Sozialkonstruktivismus</a> setzt sich vom <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Realismus_(Philosophie)" target="_blank">philosophischen Realismus</a> ab und teilt Annahmen mit dem <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus_(Philosophie)" target="_blank">philosophischen Konstruktivismus</a> bzw. dem <a href="https://www.wikiwand.com/de/Radikaler_Konstruktivismus" target="_blank">radikalen Konstruktivismus</a> (Positionen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wissenschaftstheorie" target="_blank">Wissenschaftstheorie</a>), ohne diese zwingend zu implizieren. <br />- <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kersten_Reich" target="_blank">Kersten Reich</a> zu konstruktivistischen Positionen: <a href="http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/aufsatze/reich_34.pdf" target="_blank">Konstruktivistische Ansätze in den Sozial- und Kulturwissenschaften</a> (PDF).<br />- Einordnung und Abgrenzung von Positionen des Konstruktivismus und des philosophischen Realismus:<br /><ul><li>Sozialkonstruktivismus macht keine Aussagen über philosophische
Positionen, sondern bezieht sich auf soziale Interaktionen und soziale
Praktiken und versteht Varianten des Alltagswissen als Ausprägungen
sozialer Subkulturen. </li><li>Philosophischer Konstruktivismus hat verschiedene Varianten herausgebildet, die gemeinsam hinsichtlich des philosophischen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Universalienproblem" target="_blank">Universalienproblems</a> nominalistische Positionen beziehen. Nominalismus wendet sich als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnistheorie" target="_blank">erkenntnistheoretischer</a> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Idealismus" target="_blank">Idealismus</a> in verschiedenen Ausprägungen gegen den philosophischen Realismus. Das Universalienproblem ist gemäß Regeln <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophische_Logik">philosophischer Logik</a> empirisch nicht entscheidbar und daher der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Metaphysik_(Aristoteles)" target="_blank">Metaphysik</a> zuzuordnen.</li><li>Philosophischer Realismus geht auf die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ideenlehre" title="Ideenlehre">Ideenlehre</a> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Platon" title="Platon">Platons</a>
zurück und nimmt die Existenz einer von Menschen unabhängig bestehenden
Realität an. In der Gegenwart ist die Existenz einer Welt außerhalb des
menschlichen Bewusstseins weitgehend unstrittig (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Realismus_(Philosophie)#Ontologischer_Realismus" target="_blank">ontologischer Realismus</a>). Ob oder in welchem Umfang Realität der Welt menschlicher Erkenntnis zugänglich ist, diskutiert die philosophische <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnistheorie" target="_blank">Erkenntnistheorie</a>
mit unterschiedlichen Positionen. Allgemeinbegriffe betrachtet
philosophischer Realismus als von Menschen gebildete Abstraktionen (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Universalienproblem#Begriff_der_Universalien" target="_blank">Universalien</a>), über deren Bestimmung jedoch keine Einigkeit besteht. </li></ul>
</li><li><div style="text-align: left;">Durch vermeintlich universalistische Werte legitimierte Machtkonzentrate
vernichten menschliche Leben, bringen labile soziale Gefüge zum
Einsturz und provozieren Massenfluchten in Richtung wohlhabenderer und
sozial stabilerer Staaten, die ihrerseits mit der Bewältigung der
Flüchtlingsströme überfordert sind und mühsam austarierte sensible
Balancen verlieren.</div><div style="text-align: left;">Zu den historisch bedeutendsten, mit universalistischen Ideen
legitimierten sowie mit machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen
verwobenen Sündenfällen zählen zahlreiche <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Heiliger_Krieg" target="_blank">Heilige Kriege</a> bzw. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Religionskrieg" target="_blank">Religionskriege</a> (u.a. christliche <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzzug" target="_blank">Kreuzzüge</a>), europäischer <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kolonialismus" target="_blank">Kolonialismus</a> in Afrika, Amerika, Asien, Australien, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismus" target="_blank">Faschismus</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialismus" target="_blank">Nationalsozialismus</a> und sich auf Ideen des <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunismus" target="_blank">Kommunismus</a>
berufende Terror- und Gewaltherrschaften. Europäischer Kolonialismus
suchte nicht nur die Unterstützung von Missionaren, sondern auch von
Anthropologen, mit deren Hilfe die Überlegenheit der weißen Rasse
gegenüber farbigen Menschen und der europäischen Kultur im Vergleich zu
'primitiven Kulturen' und zu 'Naturvölkern' vermeintlich
wissenschaftlich belegt und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnozentrismus" target="_blank">ethnozentristische</a> sowie <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Eurozentrismus" target="_blank">eurozentristische</a> Denkweise legitimiert wurde (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/White_Supremacy" target="_blank">White Supremacy</a>). </div></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_gesellschaftliche_Konstruktion_der_Wirklichkeit" target="_blank">Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit</a> <br /></li><li>tabularasa - Zeitung für Gesellschaft & Kultur, Susanne Weiss: <a href="https://www.tabularasamagazin.de/der-sozialkonstruktivistische-ansatz-von-peter-l-berger-und-thomas-luckmann/" target="_blank">Der sozialkonstruktivistische Ansatz von Peter L. Berger und Thomas Luckmann</a> <br /></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/sozialer-konstruktivismus/14541" target="_blank">Sozialer Konstruktivismus</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://zeitung.faz.net/fas/wissenschaft/2022-11-06/naht-das-ende-des-buergerlichen-zeitalters/822957.html" target="_blank">Naht das Ende des bürgerlichen Zeitalters?</a> <br /></li><li>Meyer, Christian (2019):<a href="https://www.researchgate.net/publication/334480107_Meyer_Christian_2019_Ethnomethodologie_als_Kultursoziologie_In_Handbuch_Kultursoziologie_Hg_v_St_Moebius_F_Nungesser_u_K_Scherke_Wiesbaden_Springer_VS_3-27" target="_blank">
Ethnomethodologie als Kultursoziologie. In: Handbuch Kultursoziologie.
Hg. v. St. Moebius, F. Nungesser u. K. Scherke. Wiesbaden: Springer VS.
3-27.</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Radikaler_Konstruktivismus" target="_blank">Radikaler Konstruktivismus</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naiver_Realismus" target="_blank">Naiver Realismus</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neurealismus" target="_blank">Neurealismus</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spekulativer_Realismus" target="_blank">Spekulativer Realismus</a> </li></ol></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>7 Statements zum eigenen Verständnis von Wissenschaft und Erkenntnisfortschritt<br /></b></div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Wissenschaftliche
Erkenntnisse beschreiben keine objektiven Sachverhalte, sondern es
handelt sich um Deutungen der Welt, die aus kulturellen Zusammenhängen
entstehen und in Feedback-Schleifen auf kulturelle Zusammenhänge
zurückwirken.</li><li>Aussagen über zielorientierten linearen Fortschritt können aus Sicht von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erkenntnistheorie" target="_blank">Erkenntnistheorie</a> keine Gültigkeit beanspruchen.</li><li>Fortschritt wissenschaftlicher Art kommt mittels sozialer Prozesse auf zwei unterschiedlichen Wegen zustande: <br /><ul><li>Innerhalb dominierender Lehrmeinungen und Wissenschaftsprogramme (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Paradigma" target="_blank">Paradigmen</a>) ist wissenschaftlicher Fortschritt per
sozialer Mechanismen der Professionalisierung möglich. Als Stand des Wissens
geltende Paradigmen haben einen hohen Verbindlichkeitsgrad und sind
ähnlich wie Dogmen gegen Kritik von außen immun. Mit Paradigmen nicht
vereinbare
Erkenntnisse werden unterdrückt bzw. als Irrtümer oder Unsinn abgelehnt,
sofern sie Gehör finden.</li><li>Erst wenn Wissenschaftsprogramme aufgrund
zunehmender Anomalien in Krisen geraten, gewinnen konkurrierende
Programme Anhänger. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Paradigmenwechsel" target="_blank">Paradigmenwechsel</a> setzen sich aber nicht
allein aufgrund objektiver Qualitätskriterien durch, sondern erhalten
zusätzliches Gewicht durch Bündelung von Community-Interessen
wissenschaftlicher Aufsteiger. Diese verdrängen bislang vorherrschende
Lehrmeinungen 'revolutionär' und besetzen frei gewordene Plätze
verdrängter Paradigmen, bis sie selbst von der nächsten
wissenschaftlichen Revolution abgelöst werden. </li></ul></li></ol><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>7.1 Persönliche Motivation</b></div> <div style="text-align: left;">Nachkommen
ostpreußischer Migranten, die im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert
Arbeit in der Schwerindustrie des Ruhrgebiets fanden, importierten aus
ihrer ehemaligen Heimat <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pietismus" target="_blank">pietistische</a>
Überzeugungen und Praktiken, die sie in vernetzten
protestantisch-freikirchlichen Gemeinden sektiererisch religiös
pflegten. Mitglieder pietistischer Gemeinden waren bewusste soziale
Außenseiter. Ihr Außenseitertum kompensierte ein intensives
Gemeindeleben, in dem Wissen um den richtigen Weg eine vorbehaltlose
Ausrichtung des Lebens an
pietistische Dogmen rechtfertigte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ein Bild von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Charlotte_Reihlen" target="_blank">Charlotte Reihlen</a>
visualisiert die Metapher vom mühsamen schmalen Weg, auf dem die
Himmelspforte erreicht wird, während der komfortable breite Weg in die
ewige Verdammnis führt. Das Bild stellt Leitmotive pietistischen Denkens
und Verhaltens dar. Es hing als Druck und meistens einziges Wandbild in
zahlreichen Wohnungen von Gemeindemitgliedern und mahnte ständig zu
rechtschaffendem Verhalten, das kleine Broschüren
erläuterten. Selbst wenn das Bild nicht aufgehängt war, praktizierten
Familien bis zur Großelterngeneration den schmalen Weg mit karger, jeden
Komfort und jede moderne Technik vermeidenden Wohnungsausstattungen.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
pietistische Lebensweise ist für Außenstehende kaum
nachvollziehbar und sicherlich nicht attraktiv. Daher formten sich junge
neue Familien nahezu ausschließlich aus Gemeindemitgliedern, sodass
sich über mehrere Generationen bis in Nachkriegszeit des 2. Weltkriegs
eine engmaschig vernetzte Subkultur reproduzieren konnte, die zusätzlich
ein verwandtschaftliches Netz verband. Diese Subkultur dominierte das
soziale Leben der Gemeindemitglieder und prägte die religiöse
Sozialisation des Autors dieses Blogs. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Persönliche
Zweifel motivierten zur Abwendung vom pietistischen Lebensmodell und
religiösen Lebensauffassungen. Erwartungen eines tieferen Verständnisses
von Sozialisationserfahrungen beeinflussten die Entscheidung des
Studiums von Sozialwissenschaften. Nach dem Studium führte der
berufliche Weg durch Gelände der digitalen Welt. Im
beruflichen Ruhestand gewinnen Fragen der Kinder- und Jugendzeit erneut
an Intensität und rufen nach Antworten. Interesse am Themenfeld <i>Religion</i>
ist persönlichen Sozialisationserfahrungen
und der Beantwortung verbliebener Fragen geschuldet. Posts dieser Reihe
gehen jedoch über die pietistische Perspektive hinaus und betrachten
Entstehung, Bedeutung und Veränderung von <i>Religion</i> im Kontext von <i>Kultur</i> als universelles soziales Phänomen.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>8 Änderungshistorie des Posts</b></div><div style="text-align: left;">07.03.2023: Ergänzungen in Kapitel 1.1.1 <br /></div><div style="text-align: left;">28.02.2023: Überarbeitung Kapitel 1.1 <br /></div><div style="text-align: left;">27.02.2023: Überarbeitung Kapitel 1.1 und 1.1.1 <br /></div><div style="text-align: left;">26.02.2023 Neues Kapitel 1.1.1 über statistische Aussagen<br /> Überabeitung Kapitel 1.1</div><div style="text-align: left;"> Anpassung der Inhaltsübersicht </div><div style="text-align: left;">25.02.2023 Überarbeitung Kapitel 1 <br /></div><div style="text-align: left;"> Neues Kapitel 1.1 über Aussagnarten </div><div style="text-align: left;"> Überarbeitung Kapitel 3.2 und Änderung der Kapitelüberschrift</div><div style="text-align: left;"> Anpassung der Inhaltsübersicht </div><div style="text-align: left;">13.02.2023 Überarbeitung Kapitel 4 und als Kapitel 2 eingeordnet</div><div style="text-align: left;">08.02.2023 Überarbeitung der Einleitung <br /></div><div style="text-align: left;">31.01.2023 Umbenennung Post <br /></div><div style="text-align: left;">27.01.2023 Überarbeitung Kapitel 1 <br /></div><div style="text-align: left;">26.01.2023 Überarbeitung und Aufgliederung Kapitel 6 <br /></div><div style="text-align: left;">21.01.2023 Überarbeitung Kapitel 2; Übertragung von 3 Unterkapiteln an Kapitel 2 des Posts <i>Was ist Bewusstsein? </i></div><div style="text-align: left;">20.01.2023 Überarbeitung Kapitel 1 </div><div style="text-align: left;">19.01.2023 Überarbeitung der Einleitung und Kapitel 1</div><div style="text-align: left;"> kleinere Änderungen und Korrekturen im gesamten Post <br /></div><div style="text-align: left;">16.01.2023 Veröffentlichung Version 2 auf Basis der überarbeiteten Vorgängerversion 1<br /></div><br /><p></p>
</div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-52722253894177114442023-01-13T03:29:00.171+01:002024-01-22T18:05:13.054+01:003 Was ist Bewusstsein? - Evolution von Kultur und Religion (Update: 15.08.2023)<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgmNRDIrLZpAKwfC_60VREJslvrPqPgq2_0jWs8ASXTSO8mxY6svcJBR5q8rPMIKx_nxfvIPp3fuXq1KsRDex-mNYtW9xbplRYhfMXhvfqty2Xn8Kuo_rS-bhVUUTpdlIQwvbuBJixqzNHmhTVLNnyX3DTe8aYOqUeajcc7oHyjvor4ABi5hnue_0ad/s1345/RobertFuddBewusstsein17Jh.png" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1345" data-original-width="926" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgmNRDIrLZpAKwfC_60VREJslvrPqPgq2_0jWs8ASXTSO8mxY6svcJBR5q8rPMIKx_nxfvIPp3fuXq1KsRDex-mNYtW9xbplRYhfMXhvfqty2Xn8Kuo_rS-bhVUUTpdlIQwvbuBJixqzNHmhTVLNnyX3DTe8aYOqUeajcc7oHyjvor4ABi5hnue_0ad/s320/RobertFuddBewusstsein17Jh.png" width="220" /></a></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhkDykzTjYxYXNLjzrLHB0weW2Y1U-lm4B8QbgyXKk0yPr1OLls5-hJeLRctH4BTvR4n6xKHpb6z8xixi_ioa1x2xSyhT8w8rp8q38yo0hZeru6kYaRVe6CuVXH9HufJ7Tb3UKIz-MBQXSNgY_wPADxvbQcV6hoALc_olfwIIDKRmVSWnYo_5M1Thg2/s1200/Triumph%20des%20Bewusstseins.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img alt="" border="0" data-original-height="1200" data-original-width="816" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhkDykzTjYxYXNLjzrLHB0weW2Y1U-lm4B8QbgyXKk0yPr1OLls5-hJeLRctH4BTvR4n6xKHpb6z8xixi_ioa1x2xSyhT8w8rp8q38yo0hZeru6kYaRVe6CuVXH9HufJ7Tb3UKIz-MBQXSNgY_wPADxvbQcV6hoALc_olfwIIDKRmVSWnYo_5M1Thg2/s320/Triumph%20des%20Bewusstseins.jpg" /></a>
Dieser Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein?</i></a> betrachtet in der <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/search/label/Evolution%20Kultur%20und%20Relgion" target="_blank"><i>Postreihe über kulturelle Evolution</i></a> Kernfragen sozialer Evolution von<i> Kultur </i>und<i> Religion</i>. Einen Überblick über die Reihe und Anmerkungen zu basalen Perspektiven bieten 2 Posts: </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> <br /></div><div style="margin-left: 120px; text-align: left;">Der Post<i> <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/aufstellung-der-postreihe-beobachtungen.html" target="_blank">1 Aufstellungen der Postreihe Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</a> </i>zeigt Übersichten aller veröffentlichten sowie vorgesehener, aber noch nicht veröffentlichter Post. <br /></div><div style="text-align: left;">Der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">2 Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion - Anmerkungen zur Postreihe</a></i> benennt aus persönlicher Sicht relevante kulturwissenschaftliche Perspektiven und das eigene Verständnis von Wissenschaft, Erkenntnis, Fortschritt sowie die
Motivation zur Entstehung dieser Reihe. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Posts dieser Serie sind keine abgeschlossenen Betrachtungen, sondern ein sich entwickelndes <i>Work in Progress</i>. An Posts jeweils angefügte
Veränderungshistorien informieren über Inhalte und Zeitpunkte von
Änderungen. An Vielfalt und Unbestimmtheit der inhaltlichen Bedeutung von <i>Bewusstsein, Kultur, Religion</i> erinnert die kursive
Schreibweise der Begriffe in den Posts<i>. </i></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht</b><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">1 Was ist <i>Bewusstsein</i>?</div><div style="text-align: left;">1.1 Evolution kognitiver Kompetenz </div><div style="text-align: left;">1.1.1 Evolution zentraler Nervensysteme</div><div style="text-align: left;">1.1.2 Evolution von <i>Bewusstsein</i></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2 Evolution des menschlichen Gehirns </div><div style="text-align: left;">2.1 Wachstum tertiärer Areale und kognitiver Fähigkeiten in der Evolution des Gehirns <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2.2 Soziabilität, kognitive Kapazität, Dunbar-Zahl </div><div style="text-align: left;">2.3 Naturalismus (Physikalismus) vs. Konstruktivismus (Kulturalismus) </div></div></div><div style="text-align: left;">3 Unbewusste Anteile des <i>Bewusstseins</i> verstehen <br /></div><div style="text-align: left;">3.1 Kategoriales Denken <br /></div><div style="text-align: left;">3.1.1 Kategoriales Epochendenken </div><div style="text-align: left;">3.1.2 <span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Kategorien-Blindheit wissenschaftlicher Erklärungen</span></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">3.2 Kausalattribuierung <br /></div>3.3 Somatische Marker </div><div style="text-align: left;">3.4 Kognitive Dissonanzen</div><div style="text-align: left;">3.5 Soziales Lernen <br /></div><div style="text-align: left;">3.5.1 Kollektive Deutungsmuster <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">3.5.2 Prozesse der Internalisierung </div><div style="text-align: left;">3.6 Stereotype und Vorurteile <br /></div></div><div style="text-align: left;">4<span> <i>Bewusstsein</i> verstehen</span></div><div style="text-align: left;"><span>4.1 Leib-Seele-Problem </span> <br /></div><div style="text-align: left;">4.2 Rätsel der <i>Qualia</i></div><div style="text-align: left;">4.3 Problem der <i>Intentionalität</i></div><div style="text-align: left;">4.4 <i>Monistische</i> Positionen<i><br /></i></div><div style="text-align: left;">4.5 Libet-Experimente: Wie deterministisch ist menschliches Verhalten?</div><div style="text-align: left;">5 Anlage-Umwelt-Interaktion, metabolische Prozesse, neuronale Korrelate, mentale Zustände </div><div style="text-align: left;">5.1 Kognitive Kontrollprozesse der Verhaltenssteuerung: Exekutive Funktionen und intrinsische Belohnungen und </div><div style="text-align: left;">5.2 Exekutive Funktionen</div><div style="text-align: left;">5.2.1 Ambivalenzkonflikte und Delay Discounting</div><div style="text-align: left;">5.2.2 Selbstregulation und Selbstkontrolle<br /></div><div style="text-align: left;">5.2.3 Resilienz und Vulnerabilität <br /></div><div style="text-align: left;">5.3 Selbstmotivation und intrinsische Belohnungen</div><div style="text-align: left;">5.3.1 Glückshormone, Motivation, Hedonismus, Ethik <br /></div><div style="text-align: left;">5.3.2 <i>Flow</i></div><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">5.4 Produktion von Bedürfnissen und von hedonistischem Glück </span><i> </i> </div><div style="text-align: left;">6 Wolfgang Prinz und das Rätsel <i>Bewusstsein</i> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">6.1 Wie gelangt Subjektivität in ein subjektloses Universum?</div><div style="text-align: left;">6.2 <i>Bewusstsein</i> definieren <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">6.3 Was müssen Erklärungen von <i>Bewusstsein</i> leisten?</div>6.4 Mechanismen der Entstehung des <i>Ich</i></div><div style="text-align: left;">6.4.1 Duale (symbolische) Repräsentation</div><div style="text-align: left;">6.4.2 Personale Attribution <i> </i></div><div style="text-align: left;">6.5 Schlussfolgerungen des Erklärungsmodells</div><div style="text-align: left;">6.5.1 Politische Implikationen <br /></div><div style="text-align: left;">6.5.2 Psychologische Implikationen <br /></div><div style="text-align: left;">6.5.3 Soziale Implikationen <br /></div><div style="text-align: left;">7 Julian Jaynes' Theorie der Erfindung des Selbst<i> <br /></i></div><div style="text-align: left;">7.1 Mentales Modell der <i>bikameraler Psyche</i> </div>7.2 Annahmen der Entstehung <i>bikameraler Psyche</i> <br /></div><div style="text-align: left;">7.3 Annahmen der Auflösung <i>bikameraler Psyche</i></div><div style="text-align: left;">8 Merlin Donalds Theorie kognitiver Evolution</div><div style="text-align: left;">8.1 Theorie und Narrativ bei Merlin Donald </div><div style="text-align: left;">9 Haben Tiere <i>Bewusstsein</i>? </div>10 Revolution oder Evolution kognitiver Kompetenz? </div><div style="text-align: left;">11 Änderungshistorie des Posts <br /></div><p></p><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1 Was ist <i>Bewusstsein?</i></b></div><div style="text-align: left;"><b><i> </i></b> <br /></div><div style="text-align: left;">Der Begriff <i>Bewusstsein</i> adressiert ein schwer durchdringbares diffuses Themenfeld. Einige der renommiertesten Philosophen nehmen an, dass das <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Hard_problem_of_consciousness" target="_blank"><i>harte Problem des Bewusstseins</i> </a>naturwissenschaftlich mit dem heutigen Stand von Wissenschaft noch nicht zu erklären (u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Nagel_(Philosoph)" target="_blank">Thomas Nagel</a>) oder grundsätzlich nicht lösbar ist (u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Colin_McGinn" target="_blank">Colin McGinn</a>)
oder als Gegenstand objektiver Wissenschaft ein unbrauchbarer Begriff
sei, weil es sich um einer leere Begriffshülse handle, die verlustlos
abgeschafft werden könne (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia#Qualiaeliminativismus" target="_blank">Qualiaeliminativismus</a>) und daher als Problem nicht existiere (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Dennett" target="_blank">Daniel Dennett</a>).(1) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Hans-Dieter_Mutschler" target="_blank">Hans-Dieter Mutschler</a> teilt diesen Skeptizismus nicht. Er fasst die verschiedenen Ansätze der Erklärung von Bewusstsein als <i>"komplementäre Wahrheiten"</i> auf und kommt zu dem Ergebnis,<i> "dass die verschiedenen Versuche,
sich dem Bewusstsein zu nähern, alle etwas Wahres enthalten, ohne dass
diese Teilwahrheiten sich zu einem kohärenten Gesamtbild integrieren
lassen."</i>(2)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Angesichts verschiedener Verwendungsweisen von <i>bewusst</i> und <i>Bewusstsein</i>
in Alltagssprache und in Wissenschaften sowie des vollständigen
Fehlens eines äquivalenten Konzeptes in vielen Sprachen hält der
Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> für fraglich, ob <i>Bewusstsein</i> als ein einheitliches Phänomen aufzufassen ist. Metzinger vertritt die Auffassung, dass das erlebte Ichgefühl eine Illusion des Gehirns ist, die dadurch zustande kommt, dass Menschen das vom Gehirn konstruierte Selbstmodell nicht als Modell erkennen, sondern sich selbst als ein einheitliches Selbst erfahren.(3) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a>
(1927-2012) bekennt sich in seiner Evolutionsgeschichte von <i>Religion</i>, auf die ein separater Post dieser Reihe eingeht, zu Konzepten des Neuroanthropologen und kognitiven Neurowissenschaftlers <a href="https://www.wikiwand.com/en/Merlin_Donald" target="_blank">Merlin Donald</a> (*1939).(4) Donald vertritt in seinem Entwurf einer Theorie der Evolution von
<i>Bewusstsein</i> eine <a href="https://www.wikiwand.com/en/Mimetic_theory_of_speech_origins" target="_blank">mimetische Theorie der Sprachentstehung</a> und beschreibt ein im deutschen Sprachraum selten diskutiertes Modell
der Evolution.(4,5) Kerngedanken dieser Theorie referiert Kapitel 8 dieses Posts. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Annäherungen an das von Bellah und Donald ausgebreitete weite Themenfeld erfordern ein Verständnis darüber, was <i>Bewusstsein</i> ist, warum es so schwierig ist, <i>Bewusstsein</i> zu erklären und weshalb unterschiedliche Verständnisse von <i>Bewusstsein</i> miteinander konkurrieren. Der Autor dieses Posts stellt sich dieser Aufgabe, obwohl er sich in aller Bescheidenheit der Unzulänglichkeit eigener Expertise völlig <i>bewusst</i>
ist. Wenn Texte des Posts unbefriedigend ausfallen, ist das kein Grund für Scham, solange
selbst kluge Köpfe der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a> <i>Bewusstsein </i>als ein bisher weitgehend ungelöstes und darum <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Hard_problem_of_consciousness" target="_blank"><i>hartes bzw. schwieriges Problem</i></a> kontrovers diskutieren.(7) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> erklärt in einem Interview: "<i>Wir haben keine konsistente Theorie darüber, was genau Bewusstsein ist.</i>"(8) In einem Essay über <a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank"><i>Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</i></a> beantwort Thomas Metzinger die Frage <i>"Was ist Bewusstsein?"</i> mit zwei Aussagen: (Endnote 14, S. 36)</div><ul style="text-align: left;"><li><i>"Es ist genau das, wodurch man erkennt, dass man jetzt gerade denkt."</i></li><li><i>"Dabei
geht es (...) nicht um eine bestimmte kognitive Fähigkeit, nicht bloß
um eine Form des höherstufigen Denkens, eine durch Begriffe vermittelte
Form der Metakognition, sondern um etwas wesentlich Subtileres, nämliche
das „Achthaben auf die Veränderungen der Seele“ – eine Form von innerer
Aufmerksamkeit, die uns dann auch unmittelbar mit der Welt verbindet."</i></li></ul></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Hans-Dieter_Mutschler" target="_blank">Hans-Dieter Mutschler</a> stellt sich in einem Essay der Frage: <i><a href="https://www.herder.de/thph/hefte/archiv/92-2017/1-2017/was-ist-bewusstsein/" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></i> In dem Essay skizziert Mutzinger bezüglich der Erklärung von <i>Bewusstsein</i> 4 Hauptrichtungen, die sich wechselseitig kaum zur Kenntnis nehmen und kein Ganzes, sondern eher eine Collage bilden: 1) Naturalismus, 2) Phänomenologie, 3) Sprachphilosophie, 4) Bewusstseinsphilosophie. Hinsichtlich naturalistischer Ansätze identifiziert Mutschler zwei Fraktionen: (a) praktizierende Neurowissenschaftler, die konkret-experimentell arbeiten (u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerhard_Roth_(Biologe)" target="_blank">Gerhard Roth</a>), (b) mehr spekulativ-materialistisch eingestellte Philosophen (u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a>). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nachfolgende Zitate sind Mutzingers Essay entnommen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i>"‚Bewusstsein‘ ist eines der schwierigsten Themen überhaupt, weil es im Grunde unfassbar ist. Man nennt es auch gerne ‚durchsichtig‘. Das heißt, dass wir zwar mittels des Bewusstseins erkennen, nicht aber dieses selbst. Zudem ist Bewusstsein privat. Habe ich Zahnschmerzen, so habe ich Zahnschmerzen, und niemand kann wissen, wie es sich für mich anfühlt, Zahnschmerz zu haben. Man nennt das auch ‚qualitatives Erleben‘ oder kurz ‚Qualia‘. Zu unseren eigenen Bewusstseinszuständen haben wir einen privilegierten Zugang, der unkorrigierbar ist, das heißt, für solche Zustände ergibt die Differenz zwischen Wesen und Erscheinung keinen Sinn mehr."</i></li><li><i>"Es gibt keinen Ansatz, der das Rätsel des Bewusstseins einfach nur ‚lösen‘ würde, ohne gravierende Einwände auf sich zu ziehen."</i> </li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>1.1 Evolution kognitiver Kompetenz</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wenn <i>Bewusstsein</i>
als wissenschaftlicher Sachverhalt
ernst genommen wird, sind die Entstehung von kognitiver
Kompetenz und von Subjektivität in einem subjektlosen Universum
erklärungsbedürftige Fragen. Da gültige Antworten auf diese Frage bisher
nicht gefunden wurden, treffen Wissenschaften auf das <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Hard_problem_of_consciousness" target="_blank"><i>harte bzw. schwierige Problem des Bewusstsein</i></a>, dessen Begriff der australische Philosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Chalmers" target="_blank">David Chalmers</a> prägte. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Chalmers entwickelte eine Klassifikation verschiedener Positionen in der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a> und legt dar, weshalb aus seiner Sicht weder <a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a> noch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dualismus_(Ontologie)" target="_blank">Dualismus</a> Gültigkeit beanspruchen können. Chalmers selbst vertritt die Position eines <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eigenschaftsdualismus" target="_blank">Eigenschaftsdualismus</a>. Er lehnt beide Positionen ab und erklärt, dass sich Erlebnisgehalte von Menschen nicht aus physikalischen Eigenschaften ableiten lassen, weshalb die materialistische Positionen falsch sei. Stattdessen sei anzuerkennen, dass Personen zwar aus einer Substanz bestehen (Materie), dieser Monismus aber nicht nur physische, sondern auch nichtmaterielle Eigenschaften habe und beide Eigenschaften sich wechselseitig beeinflussen. Dass ein aus logischen Argumenten abgeleiteter Eigenschaftsdualismus verifizierbar ist, bezweifeln auch Vertreter dieser Positionen. Darin besteht das <i>harte Problem des Bewusstsein</i>.<br /></div><br /><div style="text-align: left;">Bezüglich der Evolution kognitiver Kompetenz bestehen immerhin
gesicherte Erkenntnisse über die Zeitachse der Entstehung. <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Gemäß Standardmodell der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kosmologie" target="_blank">Kosmologie</a> entstand das <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Universum" target="_blank">Universum</a> mit dem <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Urknall" target="_blank">Urknall</a>
und mit diesem Zeit, Raum und Materie. Den Urknall selbst und Fragen
danach, ob das Universum singulär ist und was außerhalb des Universums
liegt, vermögen Naturwissenschaften nicht zu beantworten. Lücken füllen
Narrative <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie" target="_blank">kosmogonischer</a> Mythen.(9)</li><li>Das Alter des Universums hat das <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Planck-Weltraumteleskop" target="_blank">Weltraumteleskop Planck</a>
präzise gemessen: 13,81 ± 0,04 Milliarden Jahre. Das Sonnensystem,
zu dem die Erde gehört, entstand vor ca. 4,6 Milliarden Jahren. </li><li>Vor ca.
4,1 Milliarden Jahren setzte auf der Erde die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Evolution" target="_blank">Evolution</a> von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Lebewesen" target="_blank">Lebewesen</a>
ein. </li><li>Vor ungefähr 800 Millionen Jahren spalteten sich nicht mehr sesshafte Zweiseitentiere (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Bilateria" target="_blank">Bilateria</a>) von den übrigen Tieren ab. Alle Bilateria verfügen über ein <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zentralnervensystem" target="_blank">Zentralnervensystem</a>. Das ZNS reguliert Stoffwechselprozesse des Organismus, integriert innere und äußere Reize und koordiniert dessen Bewegung. Diese Entwicklung hat wahrscheinlich mit der Aufgabe von Sesshaftigkeit und räumlicher Bewegung eingesetzt. In der Gegenwart gehören ca. 95 % aller vielzelligen Lebewesen, darunter alle höheren Arten, zur Bilateria, d.h. sie haben einen symmetrischen zweiseitigen Bauplan mit einer durch ein Vorder- und Hinterende verlaufenden Hauptachse in Körperlängsrichtung und bewegen sich meistens in Richtung der Vorderseite ihrer Hauptachse. <br /></li><li>Vor ca. 541 Millionen Jahren setzte in der sog. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kambrische_Explosion" target="_blank">kambrischen Explosion</a> über einen geologisch kleinen Zeitraum eine fast explosionsartige
Entwicklung mehrzelliger Tiere mit neuen Körperbauplänen ein und bildete die Ausgangsbasis der
Vielfalt komplexer Lebewesen. </li><li>Älteste Funde menschenähnlicher Lebewesen werden mit ca. 2,5 Millionen Jahren datiert. </li><li>Die <a href="https://www.scinexx.de/news/archaeologie/29-millionen-jahre-alte-werkzeuge-entdeckt/" target="_blank">ältesten Funde von Steinwerkzeugen</a> werden der <a href="https://www.evolution-mensch.de/Anthropologie/Oldowan" target="_blank">Oldowan</a>-Kultur zugeordnet und in die Zeit von etwa 2,9 bis 1,5 Millionen Jahren vor heute datiert. Unsicher ist jedoch, ob die <a href="https://www.spektrum.de/news/gehoerten-die-fruehesten-werkzeugmacher-nicht-zur-gattung-homo/2106945" target="_blank">frühesten Werkzeugmacher zur Gattung Homo</a> gehörten.<br /></li><li>Die ältesten bekannten Funde
anatomisch moderner <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Mensch" target="_blank">Menschen</a> sind ca. 315.000 Jahre alt. <br /></li><li>Die Entstehung symbolischen Denkens und des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachursprung" target="_blank">Sprachursprungs</a>
fallen mangels empirischer Voraussetzungen in einen nicht datierbaren
Zeitraum, der spekulativ um ca. 150.000 v. Chr. vermutet wird. </li><li>Die ältesten bekannten Formen von Bestattungen mit Grabbeigaben werden auf ca. 120.000 v. Chr. datiert. Die ältesten bekannten <a href="https://www.wikiwand.com/de/H%C3%B6hlenmalerei" target="_blank">Höhlenmalerien</a>
entstanden ca. 40.000 Jahre v. Chr.. Bestattungen und Höhlenmalereien
dieser Zeit sind nach allgemeiner Auffassung als Artefakte mit
symbolischen Bedeutungen aufzufassen. Das Alter der Artefakte ist mit
zuverlässigen Methoden relativ genau datierbar. Funktionen und
Botschaften der Symbole sind jedoch unklar. Spekulative Deutungen weisen
in unterschiedliche Richtungen. Vermutungen über <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religion_im_Pal%C3%A4olithikum" target="_blank">Religion im Paläolithikum</a> (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Pal%C3%A4olithikum" target="_blank">Altsteinzeit</a>) werden strittig diskutiert.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Vermutungen über <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religion_im_Pal%C3%A4olithikum" target="_blank">Religion im Paläolithikum</a> (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Pal%C3%A4olithikum" target="_blank">Altsteinzeit</a>) werden strittig diskutiert. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> vertritt die Auffassung:(10)</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Religion
entstand (...) historisch gesehen (...) zuerst aus Bestattungsriten,
aus Grabbeigaben und dem Ahnenkult, das heißt aus systematischen Formen
der Sterblichkeitsverleugnung – Coping-Strategien in Bezug auf die
eigene Endlichkeit. Wenn man von adaptiven Wahnsystemen redet, spricht
man indirekt natürlich auch von geistiger Gesundheit und Krankheit. Eine
interessante neue Einsicht könnte also sein, dass die Evolution
insbesondere auch auf der psychologischen und soziokulturellen Ebene
allem Anschein nach erfolgreiche Formen von geistiger Krankheit
hervorgebracht hat. </i><br /></div><br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>1.1.1 Evolution zentraler Nervensysteme</b></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Die
ersten Nervensysteme entstanden vermutlich vor 600 bis 700 Millionen
Jahren mit nicht mehr sesshaften neuen
Lebensformen, die auf der
Suche nach Nahrung und Fortpflanzungspartnern ihre Umwelt
durchstreiften. Komplexitätsanforderungen von Bewegung erfordern
schnelle Informationsübertragungen, denen bis dahin entstandene
neuronale Übertragungsmechanismen nicht gewachsen waren. Dieser Druck
ließ
spezialisierte Sinnesorgane und Nervenzellen entstehen. Wo Sinnesorgane
sitzen, besteht Bedarf zur schnellen Verarbeitung und Weiterleitung von
Informationen. In Nähe von Sinnesorganen konzentrieren sich
Nervenzellen, aus denen sich mit zunehmender Komplexität evolutionär
Gehirne als
Kommandozentrale entwickelten, die mit dem Rest des Körpers über
Nervensysteme kommuniziert.(11)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">
<b>1.1.2 Evolution von <i>Bewusstsein</i></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit zunehmender Komplexität von Leben entwickelten sich evolutionär
Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung, des Denkens und der Deutung von
Erlebnisinhalten, die der Begriff des <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstseins</a></i> implizit umschreibt.(12,13) </div><div style="text-align: left;"><ul><li>Die ältesten menschenähnlichen Lebewesen werden mit ca. 2,5 Millionen Jahren datiert. </li><li>Die ältesten Funde
anatomisch moderner <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Mensch" target="_blank">Menschen</a> sind ca. 315.000 Jahre alt.</li><li>Die Entstehung symbolischen Denkens und des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachursprung" target="_blank">Sprachursprungs</a> fallen mangels empirischer Voraussetzungen in einen nicht datierbaren Zeitraum. </li><li>Prozesse der evolutionären Entstehung von <i>Bewusstsein</i> sind wissenschaftlich ungeklärt. Ab wann
<i>Bewusstsein</i> und Vernunft auftraten ist so wenig bekannt wie
Auslöser und Ablauf dieser Entwicklung. Mehrere Theorien bieten
spekulative Antworten, von
denen dieser Post in den Kapiteln 1.3 bis 1.6 eine Auswahl skizziert. <br /></li><li>Vor
ca. 120.000 Jahren begannen Formen von Bestattungen mit Grabbeigaben.
Zu dieser Zeit waren symbolisches Denken und Sprache bereits entwickelt.
Ob diese Bestattungen auf religiöse Vorstellungen hinweisen, ist
wissenschaftlich strittig. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> macht darauf aufmerksam, dass die Evolution kognitiver Kompetenz nicht nur zu immer intelligenteren Formen von Bewusstsein befähigt:(14)<br /></div><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"In der Evolution des Bewusstseins sind nämlich nicht einfach nur immer bessere</i><i> </i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Wahrnehmungen und immer bessere Formen von Denken und Intelligenz entstanden. Es</i><i> sind auch nützliche falsche Überzeugungen, positive Illusionen und komplette Wahnsysteme</i><i> aufgetaucht, die sich möglicherweise deshalb erhalten haben, weil sie letztendlich dazu ge</i><i>führt haben, dass der Fortpflanzungserfolg der betreffenden Wesen anstieg, dass sie also</i><i> mehr Gene erfolgreich in die nächste Generation kopieren konnten."</i></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;">---------------------------------------<ol style="text-align: left;"><li>Nachzulesen in mehreren Quellen: <br /><ul><li>Thomas Metzinger: <a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophieengl/files/2013/07/55_farbe.pdf" target="_blank">Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität</a> (PDF)</li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/das-raetselhafte-selbst-100.html" target="_blank">Das rätselhafte Selbst</a></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/sendereihe-philosophie-im-hirnscan-manuskript-es-denkt-also-100.html" target="_blank">Es denkt, also bin ich</a></li><li>Portal <i>Das Gehirn</i>: <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/was-ist-bewusstsein?language=en" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a> <br /></li><li>Portal <i>Das Gehirn</i>: <a href="https://www.dasgehirn.info/wahrnehmen/ich/mein-tunnel-durch-die-wirklichkeit" target="_blank">Mein Tunnel durch die Wirklichkeit</a></li></ul></li><li>Hans-Dieter Mutschler: <a href="https://www.herder.de/thph/hefte/archiv/92-2017/1-2017/was-ist-bewusstsein/" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein?</i></a>, Vierteljahresschrift Theologie und Philosophie, Jahrgang 92, Heft 1 2017, S. 1-37 </li><li>Thomas Metzinger: Bewusstsein, In: Hans Jörg Sandkühler:
Enzyklopädie der Philosophie. überarbeitete Fassung. Meiner, Hamburg
2009. <br /></li><li>Robert Bellah: <i>Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit</i>. Freiburg 2021, Seite 23 (Original: Robert N. Bellah: <i>Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the Axial Age</i>. Cambridge Mass. 2011) <br /></li><li>Mimetische Theorien beziehen sich begrifflich auf <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mimesis" target="_blank">Mimesis</a>
und erklären Lernprozesse als Aneignung durch Nachahmungen. Sie nehmen
an, dass in der Frühphase menschlicher Evolution diese Lernprozesse
ausschließlich symbolisch durch Gestik, Mimik, Körperhaltungen und
Bewegungen vermittelt wurden. Gemäß mimetischer Theorie entstanden mit
erweiterter Kapazität des Gehirns Sprache als Abstraktion von Mimik und
Gestik sowie in einer weiteren Abstraktionsstufe Schriftsysteme als
externe Wissensspeicher.<br />Da bisher keine zuverlässigen
Forschungsergebnisse vorliegen, unterscheiden sich theoretische
Erklärungsansätze deutlich hinsichtlich der Art und des Zeitraums der Entstehung. - Quellen:<br /><ul><li>BR24: <a href="https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/mensch-natur-umwelt/sprache-entstehung-thema100.html" target="_blank">Die Entstehung der Sprache</a></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/pdf/gug-08-10-s022-pdf/967221?file" target="_blank"><i>Sprachevolution. Mensch, du alte Plaudertasche</i></a> (PDF)</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachursprung" target="_blank">Sprachursprung</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachentwicklung" target="_blank">Sprachentwicklung</a></li></ul></li><li>Merlin Donald: <i>Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes</i> (2008 bei <a href="https://www.klett-cotta.de/buch/Psychologie_/_Lebenshilfe/Triumph_des_Bewusstseins/5706" target="_blank">Klett-Cotta</a> erschienen, aktuell vergriffen, aber antiquarisch verfügbar). (Original: <i>A Mind So Rare: The evolution of human consciousness</i>, Norton, 2001)<br /></li><li>Im neuzeitlichen Diskurs der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a> über das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes#Das_Leib-Seele-Problem" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a>, das sich auf den als Rätsel von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia" target="_blank">Qualia</a> diskutierten subjektiven Inhalt mentaler Zustände bezieht (siehe Kapitel 4.1), identifiziert <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> neun verschiedene Modelle zur Lösung des Leib-Seele-Problems (<a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a>, S. 23). Das <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Hard_problem_of_consciousness" target="_blank">harte bzw. schwierige Problem des Bewusstsein</a> (siehe Kapitel 1.1) betrachten wissenschaftstheoretische Positionen aus drei grundlegenden Richtungen, die nicht in Übereinstimmung
gebracht werden können: <br /><ul><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Monismus" target="_blank">Monistische</a> Modelle nehmen in verschiedenen Varianten an, dass die gesamte Realität aus einem Stoff besteht. Populäre <a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">funktionalistische</a>
Theorien der Soziologie, Ethnologie und Psychologie beruhen auf physikalischem Monismus und nehmen an, dass
geistige Phänomene unabhängig vom Material auf funktionale Mechanismen
reduzierbar sind. Somit wären eine wie ein menschliches
Gehirn denkende Maschine bzw. <a href="https://www.wikiwand.com/de/K%C3%BCnstliche_Intelligenz" target="_blank">Künstliche Intelligenz</a> prinzipiell möglich.<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Materialismus" target="_blank"> </a><br />Für
monistische Annahmen spricht das allgemeine Verständnis von
Wissenschaft, gemäß dem Naturgesetze für die gesamte Realität gelten und
frei von Widersprüchen sind. <br />Gegen monistische Annahmen spricht, dass bedeutende theoretische Modelle der Physik (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Quantenmechanik" target="_blank">Quantenmechanik</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Allgemeine_Relativit%C3%A4tstheorie" target="_blank">allgemeine Relativitätstheorie</a>) und der Philosophie (Leib-Seele-Problem) bisher nicht widerspruchsfrei vereint werden können und darum vermutlich fehlerhaft sind. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Materialismus" target="_blank"><br /></a><ul><li>Unter monistischen Modellen am weitesten verbreitet ist <a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_(Ontologie)" target="_blank">Physikalismus</a>,
der alle Phänomene von Welt auf Materie und physikalische
Gesetzmäßigkeiten zurückführt und Bewusstsein zur reinen Illusion
erklärt. Gegen Physikalismus spricht das <a href="https://de.frwiki.wiki/wiki/Probl%C3%A8me_difficile_de_la_conscience" target="_blank">harte bzw. schwierige Problem des Bewusstsein</a>.</li><li>Den Mangel des radikalen Physikalismus behebt die in mehreren Varianten diskutierte Annahme eines Zwei-Aspekte-Monismus (<a href="https://de.frwiki.wiki/wiki/Th%C3%A9orie_du_double_aspect" target="_blank">Dual-Aspekt- oder Doppelaspekt-Monismus</a>), der physikalische und phänomenologische Eigenschaften als extrinsische und intrinsische Eigenschaften von Materie versteht.</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Panpsychismus" target="_blank">Panpsychismus</a> ist eine radikale Variante dieser Erklärung,
gemäß der alle Objekte geistige Eigenschaften besitzen und der
intrinsische Aspekt von Objekten als Bewusstsein zu verstehen ist. <br />Moderne
Varianten des Panpsychismus betrachten als Möglichkeit, dass
Bewusstsein den konkrete Stoff von Realität im Sinne einer
fundamentalen Hardware bildet, die die Software physikalischer Theorien
implementiert. Trotz der unplausibel und merkwürdig scheinenden
Umkehrung des allgemeinen Verständnisses von Hardware und Software
gewinnt die radikale Idee in der Gegenwart an Boden, weil Panpsychismus
die härtesten Probleme der Naturwissenschaft und der Philosophie auf
einen Schlag löst. <br />(FAZ, Hedda Hassel Mørch: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/eine-loesung-fuer-das-harte-problem-des-bewusstseins-15397757.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Rätselhaftes Bewusstsein: Wie kommt der Geist in die Natur?</a>)<br />Der US-amerikanische Neurowissenschaftler <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Christof_Koch" target="_blank">Christof Koch</a> betrachtet das Modell der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Giulio_Tononi#Integrated_Information_Theory" target="_blank">Integrierten Informationstheorie</a> als wissenschaftliche Form des Panpsychismus.<br /></li></ul></li><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ontologischer_Dualismus" target="_blank">Dualismus</a>
postuliert physische Materie und mentalen Geist als sich ausschließende
materielle und immaterielle Entitäten. Gegen Dualismus spricht das
allgemeine Verständnis von Wissenschaft.<br /></li><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pluralismus_(Philosophie)" target="_blank">Pluralistische Erklärungen</a>
nehmen an, dass neben physischen Phänomenen (Objekte, Eigenschaften,
Ereignisse) nichtphysische Entitäten mit jeweils spezifischen
Eigenschaften existieren (Bewusstsein, Zahlen, Normen, Symbole etc.). <br />Pluralistische Erklärungen korrespondieren mit Konzepten starker <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz" target="_blank">Emergenz</a>, gemäß der sich Eigenschaften eines <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie" target="_blank">Systems</a> nicht vollständig aus Eigenschaften seiner Komponenten erklären lassen. <br /><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Innovation_(Evolution)" target="_blank">Evolutionäre Innovationen</a>
werden als Entwicklungssprünge der Komplexität lebender Systeme
aufgefasst, durch die neue emergente Phänotypen entstehen. Erklärt
werden Innovationen mit rekursiven Prozessen der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis" target="_blank">Autopoiesis</a>, d.h. der Fähigkeit lebender Systeme zur emergenten <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstorganisation#Selbstorganisation_in_der_Systemtheorie" target="_blank">Selbstorganisation</a> (Selbsterschaffung und Selbsterhaltung). <br /><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Humberto_Maturana" target="_blank">Humberto Maturana</a> und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Francisco_Varela" target="_blank">Francisco Varela</a> beschreiben in ihrem Werk <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Baum_der_Erkenntnis" target="_blank">Der Baum der Erkenntnis</a></i>, wie auf Basis dieser Konzepte die Evolution von Leben spekulativ erklärbar ist.</li></ul>
In <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitionswissenschaft" target="_blank">Kognitionswissenschaften</a>
waren und sind Annahmen vom Computermodell des Gehirns verbreitet,
gemäß der das Gehirn als informationsverarbeitendes System wie ein
Computer
operiere und Gehirn und Geist analog Hardware und Software aufzufassen
seien. Geist galt als abbildungsähnliche mentale Repräsentation von
Umweltinformationen. Mit dem Wissenszuwachs von Neurowissenschaften
wurde deutlich, dass mentale Prozesse des Gehirns nicht als symbolische
Repräsentation von Objekten der Welt zu verstehen und im Gehirn
gespeicherte Informationen nicht <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Bin%C3%A4rcode" target="_blank">binär codiert</a> sind. Dynamische Modelle <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neuronales_Netz" target="_blank">neuronaler Netze</a> haben das Computermodell verdrängt. Die Suche nach <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neuronales_Korrelat_des_Bewusstseins" target="_blank">neuronalen Korrelaten</a>
bewussten Erlebens hat begonnen und befindet sich in einem noch sehr
frühen Stadium. <br />Ob der neuronale Code zu knacken ist und sich
Erklärungslücken zwischen bewusstem Erleben und biologischen Prozessen
schließen lassen, ist unsicher. Vertreter der <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Integrated_information_theory" target="_blank">Integrierten Informationstheorie</a> (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Giulio_Tononi#Integrated_Information_Theory" target="_blank">Giulio Tononi</a>, <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Christof_Koch" target="_blank">Christof Koch</a>) sind sich sicher, "<i>dass
keine noch so ausgereifte Computersimulation eines menschlichen Gehirns
Bewusstsein erlangen kann – selbst, wenn sich ihre Antworten nicht von
denen eines Menschen unterscheiden lassen</i>" (Spektrum, <a href="https://www.spektrum.de/news/kognition-was-ist-bewusstsein/1681458" target="_blank">Christof Koch: Was ist Bewusstsein?</a>). Aussichten auf Validität einer Integrierten Informationstheorie sind eher unsicher. Gewisser ist dagegen die Erwartung, dass die
Entschlüsselung des neuronalen Codes nicht frei von Missbrauch bleiben
würde. </li><li>hpd: <a href="https://hpd.de/artikel/wir-haben-keine-konsistente-theorie-darueber-genau-bewusstsein-20671" target="_blank">"Wir haben keine konsistente Theorie darüber, was genau Bewusstsein ist."</a> </li><li>Artikelsammlung zu physikalischen Mythen (verlinkte FAZ-Artikel liegen teilweise hinter einer Bezahlschranke):<ul><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/100-jahre-thomas-kuhn-wie-man-die-wissenschaft-revolutioniert-18182523.html?premium" target="_blank">100 Jahre Thomas Kuhn. Die Normalwissenschaft weiß alle Antworten</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/weltraum/urknall-die-naturwissenschaft-stoesst-an-eine-erkenntnisgrenze-18077496.html?premium#void" target="_blank">Am Urknall: Chaos und Kosmos</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/fruehphase-der-letzte-horizont-11571561.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Frühphase: Der letzte Horizont</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/physiker-und-philosophen-suchen-die-weltformel-15671404.html" target="_blank">Quantenkosmologie: Wenn die Daten fehlen, bleibt die Metaphysik</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/experimentelle-quantengravitation-14514580.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Quantengravitation: Die letzte Theorie</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/krise-in-naturwissenschaft-verfuehrte-physiker-15667988.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Krise der Physik: Verführte Physiker</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie#Kosmogonischer_Mythos" target="_blank">Kosmogonie.Kosmogonischer Mythos</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltformel" target="_blank">Weltformel </a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Quantengravitation" target="_blank">Quantengravitation</a> <br /></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/wissen/die-10-groessten-physikalischen-raetsel-unserer-zeit/1315500" target="_blank">Die 10 größten physikalischen Rätsel unserer Zeit</a></li></ul></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a>: <a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a> (PDF, S. 21f.) <br /></li><li>Die beiden Posts <i><a href="https://laufglueck.blogspot.com/2021/02/laufgluck-oder-laufsucht-teil-1-wie.html" target="_blank"><br /></a></i><ul><li><i><a href="https://laufglueck.blogspot.com/2021/02/laufgluck-oder-laufsucht-teil-1-wie.html" target="_blank">Laufglück oder Laufsucht? - Teil 1: Wie es begann: Kurze Geschichte menschlicher Bewegung bis zum Sport der Gegenwart</a></i> </li><li><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/01/evolution-kognitive-revolution-und-die.html" target="_blank"><i>Evolution, kognitive Revolution und die Folgen</i></a></li></ul>beschreiben mit Quellenangaben Wissen und Annahmen über die Evolution von <i>Leben und Bewusstsein. </i> <i><br /></i></li><li>Quellen zum Themenfeld <i>Bewusstsein</i>:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstsein</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution_des_Denkens" target="_blank">Evolution des Denkens</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia" target="_blank">Qualia</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Dennett" target="_blank">Daniel C. Dennett</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Nagel_(Philosoph)" target="_blank">Thomas Nagel</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Giulio_Tononi#" target="_blank">Giulio Tononi</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ant%C3%B3nio_R._Dam%C3%A1sio" target="_blank">Antonio R. Damasio</a> </li><li>Wikibrief: <a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Integrated_information_theory" target="_blank">Integrierte Informationstheorie</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerhard_Roth_(Biologe)" target="_blank">Gerhard Roth</a>: <a href="https://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth-gerhard-wie-das-gehirn-die-seele-macht-lindauer-psychotherapiewochen2001.pdf" target="_blank">Wie das Gerhirn die Seele macht</a> (PDF) <br /></li><li>Portal <i>Das Gehirn</i>: <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/was-ist-bewusstsein" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a><i> -</i> <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/das-raetselhafte-bewusstsein" target="_blank">Das rätselhafte Bewusstsein</a> - <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/auf-der-suche-nach-dem-geist-im-gehirn" target="_blank">Auf der Suche nach dem Geist im Bewusstsein</a></li><li>Spektrum, <a href="https://www.spektrum.de/news/kognition-was-ist-bewusstsein/1681458" target="_blank">Christof Koch: Was ist Bewusstsein?</a> </li><li>Hedda Hassel Mørch, FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/eine-loesung-fuer-das-harte-problem-des-bewusstseins-15397757.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Rätselhaftes Bewusstsein. Wie kommt der Geist in die Natur?</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/warum-sich-bewegung-und-geist-nur-zusammen-denken-lassen-13310072.html" target="_blank">Warum sich Bewegung und Geist nur zusammen denken lassen</a></li><li>Daniel C. Dennett: <i>Von den Bakterien zu Bach - und zurück. Die Evolution des Geistes</i>, Berlin 2018</li><li>FAZ Buchbesprechung zu Daniel C. Dennett: <i>Von den Bakterien zu Bach - und zurück. Die Evolution des Geistes</i>: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-geist-kommt-nicht-von-oben-sachbuch-ueber-die-entstehung-des-bewusstsein-15732036.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Entstehung des Bewusstsein. Der Geist kommt nicht von oben</a></li><li>FAZ Buchbesprechung zu Hugo Lagercrantz: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/wann-setzt-das-menschliche-bewusstsein-ein-15906961.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Die Geburt des Ich</a></li><li>Wolfgang Prinz in <i>Denkströme</i>, Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften: <a href="http://www.denkstroeme.de/heft-2/s_49-63_prinz" target="_blank">Wie das Bewusstsein erfunden wurde</a></li><li>Wolfgang Prinz: <i>Bewusstsein erklären</i>, Berlin 2021</li><li>Antonio Damasio: <i>Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins</i>, München 2021 </li></ul></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/bewusstsein-das-geheimnis-hinter-der-intelligenz-100.html" target="_blank">Bewusstsein: Das Geheimnis hinter der Intelligenz</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a>: <a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a> (PDF, S. 19) </li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2 Evolution des menschlichen Gehirns</b><b>(1)<br /></b></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><span class="mw-parser-output">Wissenschaftliche Erklärungen der Evolution des Gehirns (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Zerebralisation" target="_blank">Zerebralisation</a>), sowie des <a href="https://www.mpg.de/8953555/mpi_evan_jb_2014" target="_blank">menschlichen Gehirns</a>, seiner <a href="https://www.kenhub.com/de/library/anatomie/einfuhrung-ins-gehirn-aufbau-abschnitte-und-funktion" target="_blank">Anatomie (Gehirn)</a>, seiner Struktur der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gro%C3%9Fhirnrinde" target="_blank">Großhirnrinde</a> sowie der funktionalen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hirnkartierung" target="_blank">Kartierung von Hirnfunktionen</a>
sind strukturell breit akzeptiert. </span><span class="mw-parser-output">Für die </span><span class="mw-parser-output">im Prozess der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hominisation" target="_blank">Hominisation</a> </span><span class="mw-parser-output">im Vergleich zum Körpervolumen überproportionale Zunahme des Hirnvolumens</span><span class="mw-parser-output"> kursieren verschiedene Szenarien: <br /></span></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><span class="mw-parser-output"><i>"Die
meisten Autoren nehmen drastische Umweltveränderungen, z.B.
Versteppung, und entsprechend notwendig gewordene Anpassungen der
Hominiden an, z.B. das Leben in der Savanne und die damit verbundene
Notwendigkeit, in Gruppen zu jagen und in diesem Kontext bestimmte
Sozial- und Kommunikationsformen auszubilden. Da sich aber im Zeitraum
von 4 Mio. Jahren in Afrika, Europa und Asien die Umweltbedingungen
viele Male drastisch veränderten, die Gehirngröße unserer Vorfahren aber
gleichzeitig über lange Zeiträume mehr oder weniger konstant blieb,
sind Zweifel an einem direkten Zusammenhang zwischen Umweltbedingungen
und Gehirnevolution angebracht. Viele für den Menschen als typisch
angesehenen Merkmale wie aufrechter Gang und Werkzeuggebrauch bildeten
sich weit vor einer signifikanten Vergrößerung des Gehirns über das
Menschenaffenniveau aus."</i>(2)<br /></span></div><div style="text-align: left;"><span class="mw-parser-output"> </span></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span class="mw-parser-output"> </span></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2.1 </b><b>Wachstum tertiärer Areale und kognitiver Fähigkeiten in der Evolution des Gehirns</b><span class="mw-parser-output">(3</span><span class="mw-parser-output">)</span><b><span class="mw-parser-output"><br /></span></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Die modellhafte Kartographie des Gehirns <span class="mw-parser-output">lokalisiert im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gro%C3%9Fhirnrinde" target="_blank">Cortex</a> (Großhirnrinde) funktional unterscheidbare primäre, sekundäre und tertiäre Zentren oder Areale:</span></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><span class="mw-parser-output">Primäre Zentren sind der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Somatosensorischer_Cortex" target="_blank">sensorische Cortex</a> der Sinneswahrnehmung und der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Motorcortex" target="_blank">motorische Cortex</a></span><span class="mw-parser-output"> der Bewegungssteuerung, die Schnittstellen zur Außenwelt und zur eigenen Körperwahrnehmung bilden und die Ausführung von </span><span class="mw-parser-output"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Exekutive_Funktionen" target="_blank">Exekutivfunktionen</a></span><span class="mw-parser-output"> kontrollieren.</span></li><li><span class="mw-parser-output">Sekundäre
Zentren sind nicht direkt mit der Außen- oder Innenwelt verbunden,
sondern empfangen Signale aus primären Zentren. Sekundäre Zentren
integrieren Informationen aus primären Zentren. Sie speichern per
Lernprozess erworbene Muster und ermöglichen die Anwendung von Mustern. </span><span class="mw-parser-output">Evolutionär hat sich </span><span class="mw-parser-output">die
Gewichtung verteilter Cortex-Areale bei Menschenaffen in Richtung
sekundärer Zentren verschoben und korrespondiert mit zunehmender
Abstraktion von Wahrnehmung und Differenzierung von Bewegungsabläufen.</span></li><li><span class="mw-parser-output">Tertiäre
Zentren verarbeiten Ergebnisse sekundärer Zentren, stellen
Verschaltungen zu weiteren Arealen des Gehirns her und integrieren deren
Leistungen mittels Abstraktion zu einem Gesamtbild. Bei Menschen sind
tertiäre Zentren im Vergleich zu Menschenaffen deutlich vergrößert und
bilden die größten Strukturen des menschlichen Gehirns. </span><a href="https://www.wikiwand.com/en/Merlin_Donald" target="_blank">Merlin Donald</a> beschreibt <span class="mw-parser-output">tertiäre Zentren als Areale, die zu erweiterten menschlichen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Exekutive_Funktionen" target="_blank">Exekutivfunktionen</a> des Gehirns und zur Erzeugung abstrakter mentaler Modelle </span><span class="mw-parser-output">befähigen</span><span class="mw-parser-output">. Das Metamodell aller Modelle </span><span class="mw-parser-output">versteht Donald </span><span class="mw-parser-output">als oberste kognitive Hierarchie, die die </span><span class="mw-parser-output">eigene Person repräsentiert sowie </span><span class="mw-parser-output">die Ich-Mitte der Wahrnehmung und das eigene Körperbild</span><span class="mw-parser-output"> erzeugt.</span></li></ul></div></div><div style="text-align: left;">Zunehmende Leistungsfähigkeit des Gehirns korreliert mit einer
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution_des_Denkens" target="_blank">Evolution des Denkens</a>. Die Evolution des Denkens verdeutlicht ein
mehrstufiges Modell von Intentionalität im Sinne von selbstregulierter
kognitiver Art und Weise des Umgangs mit Anforderungen. Dieses Modell
unterscheidet <div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i>individuelle Intentionalität</i>, zu der Menschenaffen fähig sind, </li><li>von <i>geteilter Intentionalität</i> bei Menschen, die sich in 2 Arten ausprägt:<br /><ul><li><i>Gemeinsame Intentionalität</i> bildet bereits bei Frühmenschen die Basis für Sozialverhalten.</li><li><i>Kollektive Intentionalität</i>
bezieht sich auf die Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten über
Generationen hinweg und setzt die Entwicklung von Sprache und Symbolen
voraus.</li></ul></li></ul></div><div style="text-align: left;">Mit intentionalem Verhalten, das sich auf Motive des Verhaltens bezieht, hat sich zugleich die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mentalisierung" target="_blank">Mentalisierung</a>
bezeichnete Art des Denkens im Sinne der Fähigkeit entwickelt,
mentale Zustände in sich selbst wahrzunehmen und zu verstehen oder zu
vermuten, was und wie andere Menschen denken sowie die Fähigkeit, diese Denkweisen in Beziehung
zu setzen, um daraus eigenes Verhalten abzuleiten. Als Mentalisierung
bezeichnete Fähigkeiten des Denkens konkretisieren sich als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstsein</a></i>. <span class="mw-parser-output">Unverstanden ist jedoch bisher, wie Erlebnisse von
Gedächtnis und Bewusstsein zustande kommen und in Sprache übersetzt
werden.</span></div><div style="text-align: left;"><span class="mw-parser-output"> </span></div>Die
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution_des_Denkens#Theorie_des_sozialen_Gehirns" target="_blank">Theorie des sozialen Gehirns</a> nimmt an, dass soziale Umgebungen und
Gruppengrößen Einfluss haben auf die Evolution von Volumen, Strukturen,
Funktionen des Gehirns sowie auf die Art des Denkens. Demnach
verstärkten Bevölkerungswachstum und Klimabedingungen in den letzten 2
Millionen Jahren den Selektionsdruck und führten zum Zwang zunehmender
Gruppengrößen mit evolutionären Vorteilen, wodurch größere Gehirne mit
komplexerem Denkvermögen selektiert wurden.(4) </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.2 </b><b>Soziabilität,</b><b> </b><b>kognitive Kapazität, </b><b>Dunbar-Zahl</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziabilit%C3%A4t" target="_blank">Soziabilität</a> bezeichnet die Fähigkeit von Individuen, sich in soziale Gemeinschaften einfügen und kooperieren zu können. Der Psychologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robin_Dunbar" target="_blank">Robin Dunbar</a>
nahm an, dass diese Fähigkeit nicht ausschließlich kulturell via
Sozialisation vermittelt wird, sondern mit der kognitiven Kapazität von
Lebewesen variiert. Dunbar unternahm Untersuchungen über Zusammenhänge
zwischen dem Gehirnaufbau von Säugetieren und der Gruppengröße, in denen
Arten jeweils leben. Aufgrund von Vergleichen mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_K%C3%B6rperpflege" target="_blank">Social Grooming</a> bei Primaten nahm Dunbar an, dass kognitive Sozialfähigkeiten eine Funktion des <a href="https://www.dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/der-cortex" target="_blank">Neocortex</a>
sind und aus dem Volumen der Hirnregion abgeleitet werden können. In
einer 1992 veröffentlichten Studie erklärte Dunbar die Zahl 150 als
theoretische kognitive Grenze der Anzahl von Menschen, in der Individuen
enge soziale Beziehungen unterhalten können. <br /></div> <div style="text-align: left;">Per Saldo sind Zusammenhänge zwischen kognitiven Fähigkeiten und
Soziabilität gewiss. Gruppengrößen indigener Ethnien
scheinen Dunbars Theorie zu bestätigen. Das Muster dieser Zahl ging als vielfach reproduzierte <a href="https://de.frwiki.wiki/wiki/Nombre_de_Dunbar" target="_blank">Dunbar-Zahl</a> in wissenschaftliche und populäre Literatur ein. U.a. bezieht sich das populärwissenschaftliche Magazin <a href="https://www.quarks.de/gesellschaft/darum-haben-nicht-alle-menschen-in-deinem-leben-platz/" target="_blank">Quarks</a> in einem Artikel auf dieses Muster, lässt aber nicht unerwähnt, dass neuere Studien auf höhere Zahlen kommen.(5) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
Dunbar-Zahl ist ein aus empirischen Beobachtungen abgeleitetes
Konstrukt, das möglicherweise Richtwerte für Grenzen optimal
funktionierender Gruppengrößen angibt. So einfach wie gedacht, verhält
sich jedoch die Realität nicht. Bei Überprüfungen zeigte sich, dass die
Dunbar-Zahl auf fehlerhaften
Annahmen, Vereinfachungen und statistischen Artefakten beruht. Grenzen
von Gruppengrößen sind nicht scharf und als Indikator (für was auch
immer) ist jede Dunbar-Zahl fragwürdig.(6) Soziabilität ist keine durch
einen konstanten Einzelfaktor
kausal erklärbare Variable, sondern eine in linearen Skalen nicht
messbare, multifaktoriell zusammengesetzte Variable. Orchestrierungen
von Einflussgrößen variieren stück- und fallweise. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol><li>Soweit nicht anders angemerkt, basiert Kapitel 3 auf folgenden Quellen:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution_des_Denkens#" target="_blank">Evolution des Denkens</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstsein</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mentalisierung" target="_blank">Mentalisierung</a> </li></ul></li><li>Lexikon der Neurowissenschaften, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerhard_Roth_(Biologe)" target="_blank">Gerhard Roth</a>: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/evolution-der-nervensysteme-und-gehirne/3758" target="_blank">Evolution der Nerensysteme und Gehirne</a></li><li>Quellen Kapitel 3.1<br /><ul><li>Merlin Donald: <i>Triumph des Bewusstseins</i>, a.a.O., S. 183ff.</li><li>Das Gehirn: <a href="https://www.dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/der-cortex?gclid=EAIaIQobChMI0cisqIro9wIVgaZ3Ch0e9wBYEAAYASAAEgIoyPD_BwE" target="_blank">Der Cortex</a></li><li>Kenhub: <a href="https://www.kenhub.com/de/library/anatomie/grosshirnrinde-cortex-cerebri" target="_blank">Großhirnrinde</a> - <a href="https://www.kenhub.com/de/library/anatomie/einfuhrung-ins-gehirn-aufbau-abschnitte-und-funktion" target="_blank">Einführung in die Anatomie des Gerhirns</a> </li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/neocortex/8286" target="_blank">Neocortex</a> </li><li>Max-Planck-Gesellschaft: <a href="https://www.mpg.de/8953555/mpi_evan_jb_2014" target="_blank">Die Evolution des menschlichen Gehirns</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Geschichte_der_Hirnforschung" target="_blank">Geschichte der Hirnforschung</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gro%C3%9Fhirnrinde" target="_blank">Großhirnrinde</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hirnkartierung" target="_blank">Hirnkatierung</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lokalisation_(Neurologie)" target="_blank">Lokalisation (Neurologie)</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Assoziationskortex" target="_blank">Assoziationskortex</a></li></ul></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/magazin/hirngroesse-und-menschliche-evolution/822523" target="_blank">Hirngröße und menschliche Evolution</a> <br /></li><li>Quarks: <a href="https://www.quarks.de/gesellschaft/darum-haben-nicht-alle-menschen-in-deinem-leben-platz/" target="_blank">Darum haben nicht alle Menschen in deinem Leben Platz</a></li><li>Darstellungen und Diskussionen der Dunbar-Zahl: <br /><ul><li>Stangl Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik: <a href="https://lexikon.stangl.eu/12337/dunbar-zahl" target="_blank">Dunbar-Zahl</a></li><li>Scinexx: <a href="https://www.scinexx.de/news/biowissen/mythos-von-maximal-150-freundschaften-widerlegt/" target="_blank">Mythos von maximal 150 Freundschaften widerlegt</a></li><li>Jutta Eckstein in Heise online: <a href="https://www.heise.de/blog/Dunbar-wird-ueberbewertet-3490977.html" target="_blank">Zu oft missverstandenes Konzept: Dunbar wird überbewertet</a> <br /></li></ul></li></ol></div></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3 Unbewusste Anteile des <i>Bewusstseins</i> verstehen</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bewusste
mentale Prozesse der Wahrnehmung, des Erlebens und des Nachdenkens
enthalten Anteile, die der Selbstwahrnehmung verborgen
bleiben.(1) Für das Alltagsdenken haben Bedeutung und Stärke von Einflüssen
unbewusster Prozesse auf Prozesse bewussten Erlebens keine bzw.
nur geringe Relevanz, aber sie werden unterschätzt und übersehen. Erst mit
Hilfe von Wissenschaften werden unbewusste Prozesse aufgrund ihrer
Wirkung erkannt, sie bleiben aber ähnlich wie Elektrizität unsichtbar.
Trotz Unsichtbarkeit sind Wirkungen und Einflüsse unbewusster Prozesse
bedeutend und im Kontext von <i>Kultur</i> und <i>Religion</i> von
besonders hoher Relevanz, weshalb sie nicht ignoriert werden dürfen.
Allerdings können sie im Rahmen dieses Posts lediglich in Ausschnitten
skizziert werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zusammenhänge
zwischen bewussten und unbewussten Erlebnisanteilen kennt jeder von uns
aus Erfahrungen in Lernprozessen. Das Erlernen neuer Bewegungsmuster,
Sprachen, Musikinstrumente, fachlichem Wissen bzw. generell neuer Fähigkeiten erfolgt bewusst und ist mit Anstrengung verbunden. Mit Erlernen von
Abläufen, Zusammenhängen, Bedeutungen etc. werden neu erworbene
Fähigkeiten als kognitive Muster auf bisher nur unvollständig
verstandene Art und Weise im Gehirn gespeichert und bei Bedarf
willkürlich ohne große Mühe oder längere Überlegung als Automatismen
abgerufen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Beispielsweise entstehen Bewegungen durch elementar
einfaches Strecken und Zusammenziehen von Muskeln im Zusammenspiel
willkürlicher Aktionen und unwillkürlicher <a href="https://www.wikiwand.com/de/Muskelkontraktion#Beschreibung_des_Kontraktionsmechanismus" target="_blank">Kontraktionsmechanismen</a>.
An komplexen Bewegungsabläufen wie Gehen, Laufen, Schwimmen, Radfahren
etc. sind eine Vielzahl unterschiedlicher Muskeln beteiligt, deren
Koordination komplex ist und darum erlernt werden muss. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewegungslernen" target="_blank">Motorisches Lernen</a> verändert kognitive Strukturen im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Motorcortex" target="_blank">Motorcortex</a> der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gro%C3%9Fhirnrinde" target="_blank">Großhirnrinde</a>. (Auf Details des motorischen Lernens
wird hier verzichtet.) Wenn der Bewegungsablauf erlernt ist, wird er
intuitiv praktiziert und erfordert bei der Ausübung kein Nachdenken.(2)
Im Gegenteil können sogar durch Nachdenken über Details einer Bewegung
Störungen im Ablauf auftreten.</div><p></p><p>Neben individuell bewusst
erlernten Fähigkeiten verfügen Lebewesen über artspezifisch evolutionär
erworbene und genetisch codierte Fähigkeiten. Einige individuell zu
erlernende Fähigkeiten sind Erweiterungen genetisch codierter
Fähigkeiten. Hierzu zwei Beispiele:<br /></p><ul style="text-align: left;"><li>Zahlreiche
Lebewesen verfügen über numerische Kompetenz, die in gewissen Grenzen
intuitives Abschätzen von Mengen oder auch einfaches Zählen ermöglicht,
ohne dass diese Fähigkeit individuell erlernt werden muss. Rechnen muss
dagegen individuell erlernt werden und ist höherer kognitiver Kompetenz
vorbehalten, die<i> Bewusstsein</i> voraussetzt.(3,4) </li><li>Unstrittig
ist, dass Sprachfähigkeit auf evolutionär erworbenen biologischen
Strukturen beruht. Ob Spracherwerb und Sprachverwendung auf einer
genetisch codierten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Universalgrammatik" target="_blank">Universalgrammtik</a> beruhen und Annahmen einer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Generative_Transformationsgrammatik" target="_blank">generativen Transformationsgrammtik</a> gerechtfertigt sind, wird jedoch seit den 1950er Jahren in der Linguistik kontrovers diskutiert. </li></ul><div style="text-align: left;">Vertiefungen dieser spannenden Themen würde den Rahmen des Posts
sprengen und sind an anderer Stelle beschrieben.(5) Dieses Kapitel beschränkt sich mit
Blick auf Kontexte dieser Postserie auf eine Auswahl genetisch codierter
unbewusster Fähigkeiten, die für die Themenfelder <i>Kultur</i> und <i>Religion</i> relevant sind.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.1 Kategoriales Denken</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das Prinzip der Zweiseitigkeit scheint sich über den biologischen Bauplan hinaus (siehe Kapitel 1.1) in kognitiven Strukturen fortzusetzen. Von Sinnesorganen wahrgenommene Phänomene verarbeitet der kognitive Apparat oftmals mit binären Denkmustern. Kategoriales Denken von Menschen bevorzugt ebenfalls wertende Zweiseitigkeit und ordnet Dinge und Begriffe in bilateralen Gegensätzen (schwarz – weiß, innen – außen, oben – unten, essbar – nicht essbar, gefährlich - ungefährlich etc.). Ohne den Tag gäbe es keine Nacht, ohne Feinde keine Freunde, ohne Fremdheit keine Vertrautheit, ohne Unwissen kein Wissen, ohne Lüge keine Wahrheit, ohne das Böse nicht das Gute. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bedingungen
unvollständiger Informationen einer komplexen Umwelt erfordern schnelle
Entscheidungen. Intuitive Entscheidungsheuristiken (‚Bauchgefühle‘)
befähigen zu
effizienten und überwiegend erfolgreichen Entscheidungen. Mittels vom kognitiven Apparat erzeugten Kategorien und begrifflichen
Ordnungen entstehen Deutungsmuster von Kategorien und begriffliche
Ordnungen als Fundamente sozialen Verhaltens. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategoriales Denken</a> ist in der Interaktion mit Umwelt ein überwiegend unbewusster
elementarer Vorgang von Entscheidungsprozessen der Deutung, Bewertung
und Sortierung wahrgenommener Sinneseindrücke. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Vom
kognitiven Apparat erzeugte binäre Denkmuster
vereinfachen wahrgenommene Phänomene und sortieren sie dualistisch.
Trotz
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Verzerrung" target="_blank">kognitiver Verzerrungen</a> haben sich diese Denkmuster evolutionär bewährt.(6) Bilaterale Einordnungen
wahrgenommener Objekte ermöglichten erfolgreiches Verhalten. Wie real diese Vorstellungen des Alltagsdenkens
tatsächlich sind und ob sie logischen Überprüfungen standhalten, zeigen
erst wissenschaftliche Betrachtungen. Bei kritischer Betrachtung zeigt
sich oftmals, dass Vereinfachungen kategorialen Denkens fehlerhaft sind
oder in die Irre führen können, weil sie </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Extremwerte betrachten und Abstufungen zwischen ihnen eliminieren,</li><li>Abgrenzungen bzw. Eingrenzungen vornehmen, obwohl Übergänge tatsächlich fließend sind, <br /></li><li>Vernetzungen und Interdependenzen zwischen Phänomenen nicht erfassen,</li><li>vermeintliche Eindeutigkeit herstellen, die tatsächlich nicht besteht. </li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.1.1 Kategoriales Epochendenken </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Kategoriales
Denken umfasst über Objekte hinaus auch gedankliche Konstrukte
unterschiedlicher Art. Objekte und gedankliche Konstrukte, die sich über
Zeit via mutierender vererbbarer Merkmale verändern, werden als
Zeitreihen evolutionärer Prozesse aufgefasst. Um
Veränderungen über lange Zeitreihen analytisch erfassen zu können,
werden lange Zeitreihen evolutionärer Prozessketten üblicherweise in
markante Abschnitte untergliedert, die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zeitalter" target="_blank">Epochen</a> bezeichnet werden. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Epochen bezeichnen keine objektiven Sachverhalte. Jede
Art von Ordnung beruht auf gedanklichen Konstrukten von
Ordnungsprinzipien aus Sicht von Perspektiven, die ebenfalls keine
Objektivität beanspruchen können, weil sie auf subjektiven Ansichten
bzw. auf Konsens einer wissenschaftlichen Community über gemeinsame
subjektive Ansichten zu vermeintlich relevanten Ordnungsprinzipien
beruhen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In Anlehnung an biologische
Entwicklungsprozesse haben mehrere wissenschaftliche Disziplinen
Gliederungen dieser Art für Gegenstandsfelder entwickelt, deren
Veränderungsprozesse als evolutionäre Abfolgen temporärer Phänomene
verstanden werden. Neben
Kulturwissenschaften (Geschichte, Politik, Kunst,
Architektur, Literatur) stellen auch Sprachwissenschaften, Geologie und
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmologie" target="_blank">Kosmologie</a> Zeitreihen evolutionärer Prozesse als Epochen dar. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Epochenkonstrukte
langfristiger evolutionärer Prozesse umfassen Ketten zeitlich
abgrenzbarer Zeiträume, die aufgrund als prägend geltender Merkmale als
Zusammenhänge verstanden werden (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Zeitalter" target="_blank">Zeitalter</a>),
die in Summe eine strukturierte Abfolge unterscheidbarer Abschnitte
einer Zeitreihe darstellen. Wie Epochen skaliert werden, welche Merkmale
als konstituierend für Epochenabschnitte gelten, welche Ursachen
Epochenumbrüche auslösen und wie zeitliche Abfolgen einzuordnen sind,
beschäftigt wissenschaftliche Diskurse. Über Ordnungen
wissenschaftlicher Gegenstandsbereiche,
Identifizierungen ihrer Strukturen und Prozesse, Treiber ihrer
Veränderungen sowie Bewertungen ihrer Relevanz bestehen oftmals
unterschiedliche Auffassungen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Übereinstimmung besteht hinsichtlich der Ansicht, dass <a href="https://www.wikiwand.com/de/Periodisierung" target="_blank">Periodisierungen</a>
von Zeitreihen ein unentbehrliches Hilfsmittel sind, um Prozesse und
Strukturen zu verstehen. Wie weit diskutierte Ordnungen der Realität
entsprechen, ist eine Frage wissenschaftlicher Diskurse der Philosophie,
denen dieser Post nur andeutungsweise nachgeht. Im gegenwärtigen Verständnis von
Wissenschaften besteht ebenfalls Übereinstimmung hinsichtlich der
Auffassung, dass jedes Verständnis von Welt auf Annahmen aus Sicht
bestimmter
Perspektiven beruht und daher kommunikative Prozesse des
wissenschaftlichen Diskurses keine Entscheidungen über objektive
Realität treffen, sondern lediglich wissenschaftliche Aussagen
vergleichend auf ihre
Belastbarkeit überprüfen.<b><i> </i></b></div><div style="text-align: left;"><b><i> </i></b></div><div style="text-align: left;">Methoden
der Kategorisierung von Objekten und der Gliederung von Zeitreihen sind
jedoch nicht als bewusste Techniken in Domänen von Wissenschaft
misszuverstehen. Wissenschaften thematisieren sie lediglich. Originär
handelt es sich um evolutionär erworbene Strukturen von Denkprozessen,
die unwillkürlich angewendet werden, aber durch kognitiv kontrollierte
Denkprozesse modifizierbar sind. Im Alltagsdenken sind diese Denkmuster als unbewusste <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotype</a> allgegenwärtig (siehe Kapitel 3.6). Genetisch codierte Denkmuster haben sich als
nützliche kognitive Strategien evolutionär entwickelt, weil sie in komplexen
Situationen schnelle Entscheidungen und vermeintlich angemessenes
Verhalten ermöglichen. </div></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.1.2 <span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Kategorien-Blindheit wissenschaftlicher Erklärungen</span></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Neurowissenschaften und Psychologie nehmen an, dass Menschen nur
begrenzt rational entscheiden und Entscheidungen eher von Emotionen
beeinflusst sind. Handlungsmodelle der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftswissenschaft" title="Wirtschaftswissenschaft">Wirtschaftswissenschaft</a> (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Homo_oeconomicus" title="Homo oeconomicus">Homo oeconomicus</a>) und teilweise auch der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Mikrosoziologie" title="Mikrosoziologie">Mikrosoziologie</a> (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/RREEMM" title="RREEMM">RREEMM</a>) basieren auf <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung">Theorien der rationalen Entscheidung</a>,
die Entscheidungen von Akteuren mit Erwartungen der Nutzenmaximierung
bzw. Kostenminimierung erklärt. </span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Nutzen
ist kein Synonym für Emotionen. Emotion ist keine ökonomische oder
soziologische Kategorie. Individuelle Befindlichkeiten, Emotionen, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kognition">Kognitionen</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Stoffwechsel">organischer Stoffwechsel</a> und Hirnaktivitäten liegen außerhalb des Gegenstandsbereichs von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftswissenschaft">Ökonomie</a> und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziologie">Soziologie</a>.(7)</span></div><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"> </span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><br /></span>
<span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziologie">Soziologie</a> (insbesondere <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Makrosoziologie" title="Makrosoziologie">Makrosoziologie</a>) macht <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialer_Tatbestand">soziale Tatbestände</a> und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialstruktur">Sozialstrukturen</a> sowie die ihnen zugrunde liegenden sozialen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Wertvorstellung">Wertvorstellungen</a> und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Norm">Normen</a>
zum Untersuchungsgegenstand. Soziologische Gegenstände dieser Art
existieren unabhängig vom Einzelnen. Sie werden unbewusst wahrgenommen
und üben trotzdem
Einfluss auf Verhalten aus. </span></div><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"> </span></div><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Bedingungen soziologischer
Verhaltenserklärung liegen außerhalb des Horizonts wissenschaftlicher
Disziplinen der Biologie,
Physiologie, Neurowissenschaften, Psychologie, Informatik.</span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kognition">Kognitionen</a>
umfassen, was Individuen über sich selbst, andere Menschen und ihre
Umwelt wissen und denken. Kognitionen sind individuelle Konstrukte,
mit denen Menschen die Welt erkennen und erklären. Jeder
Wahrnehmungsvorgang hat einen kognitiven und einen emotionalen Anteil.
Kognitionen und Stimmungslagen bzw. Emotionen beeinflussen sich
wechselseitig und enthalten Anteile nicht bewusster Wahrnehmung. Selbst
wenn wir über soziale Strukturen informiert wären, bleiben sie
unsichtbar und hinterlassen dennoch Spuren in <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kognition">Kognitionen</a>,
beeinflussen unbewusst Wahrnehmung, filtern Informationsverarbeitung
und bilden Randbedingungen für Entscheidungen und Verhalten.</span><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.2 Kausalattribuierung </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das kognitive Muster der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>
weist wahrgenommenen
Ereignissen Bedeutung zu, indem es Ereignisse mit angenommenen
Ursachen verknüpft. Kausalattribuierung ist ein angeborenes Denkmuster
der Erzeugung von Wissen. Verknüpfungen von Ereignissen und Ursachen
finden unbewusst und selbst dann statt, wenn Auslöser von
Ereignissen unsicher oder unbekannt sind. Für Muster der
Kausalattribuierung ist typisch, dass Personen im Fall positiv
gewerteter Ereignisse Ursachen des Erfolges bei sich selbst sehen, aber
Ursachen für negativ gewertete Ereignisse und Erklärungen für Ursachen
von Misserfolgen bei anderen Personen oder externen Faktoren suchen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im
Unterschied zu kontrollierten rationalen Denkprozessen sind
Urteilsheuristiken und Kausalattribuierung automatisch ablaufende
unbewusste Denkprozesse, die intuitiv schnelle Entscheidungen
ermöglichen. Typisch ist für Denkmuster die Reduzierung komplexer
systemisch vernetzter Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf wenige lineare
Kausalfaktoren als vermeintliche Verursacher von Ereignissen. Da Zuschreibungen von Ursachen zu Ereignissen von kognitiven Automatismen ausgelöst werden, sind <a href="https://www.wikiwand.com/de/Urteilsheuristik" target="_blank">Urteilsheuristiken</a> anfällig für <a href="https://www.wikiwand.com/de/Attributionsfehler" target="_blank">Attributionsfehler</a> (irrtümliche Zuschreibungen), d.h. sie erzeugen häufig<a href="https://www.wikiwand.com/de/Illusorische_Korrelation" target="_blank"> illusorische Korrelationen</a>, die vermeintlich deutlich wahrnehmbare kausale Zusammenhänge erkennen, obwohl diese objektiv nicht vorhanden sind.
Kontrolliertes Denken kann automatische Denkprozesse unterbrechen und
korrigieren. Umgekehrt können automatische Denkprozesse unbewusste
Hintergrundeinflüsse auf kontrolliertes Denken ausüben. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.3 Somatische Marker</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der portugiesische Neurowissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ant%C3%B3nio_Dam%C3%A1sio" target="_blank">António Damásio</a> entwickelte die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hypothese_der_somatischen_Marker" target="_blank">Somatische Marker Hypothese</a>
(SMH), welche besagt, dass an Erfahrungen haftende Emotionen analog zum
Wissen im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pr%C3%A4frontaler_Cortex" target="_blank">präfrontalen Cortex</a> des Gehirn gespeichert sind und mit
Stimulus-Situationen assoziieren. Unterschieden wird dabei zwischen
primären und sekundären Auslösern. Primäre Auslöser sind Sinneswahrnehmungen (Stimuli),
die unmittelbare emotionale Zustände bewirken. Sekundäre Stimuli sind
Erinnerungen an primäre Auslöser, die entsprechende Reaktionen
bewirken.(8,9) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Damásio nimmt an, dass der evolutionäre Vorteil <i>somatischer Marker</i> von Erfahrungen in der Unterstützung von Entscheidungen besteht, die mit Hilfe der Einbindung kognitiver Ressourcen des emotionalen Gedächtnisses mit deutlich höherer Geschwindigkeit zustande kommen. Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen Körper und <i>Bewusstsein</i> bekennt sich Damásio zum <a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a> und nimmt an, dass Geist und Materie untrennbar miteinander verbunden sind.(10,11)<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.4 Kognitive Dissonanzen<br /></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Auf mentale Ereignisse, die unvereinbare Kognitionen enthalten (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche, Absichten etc.) reagieren Menschen mit <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz" target="_blank">kognitiver Dissonanz</a> (als unangenehm empfundene Spannungszustände), aus der prinzipielle Handlungsbereitschaft zur Auflösung dieser Spannungszustände resultiert. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.5 Soziales Lernen </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Gemäß <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialkonstruktivismus" target="_blank">sozialkonstruktivistischer</a> Perspektive sind Lebenswelten von Menschen keine objektive Realität, sondern soziale Konstrukte. Diese werden durch Sprache und
Interaktion
produziert bzw. reproduziert oder modifiziert und in menschlicher Wahrnehmung im Sinne eines naiven Realismus als objektive Realität aufgefasst (siehe Kapitel 6). Bewusstseinsinhalte
und Aussagen von Bobachtern zur Realität sind von variierenden,
insbesondere
kulturellen Bedingungen und Deutungsmustern abhängig, in die Menschen durch unbewusste
Prozesse der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Enkulturation" target="_blank">Enkulturation</a>
hineinwachsen. Durch Enkulturation vermittelte soziale Lernprozesse beruhen überwiegend auf unbewusster Nachahmung (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Mimesis" target="_blank">Mimesis</a>). Enkulturation bestimmt weitgehend die Art und Weise des
Erkennens der Welt. Im Vorgang des Erkennens konstruieren Betrachter
erkannte
Gegenstände durch Deutungen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b> <br /></b></div><div style="text-align: left;"><b>3.5.1 Kollektive Deutungsmuster</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Mentale Strukturen sind keine Serienprodukte mit statischer
Architektur, sondern sie entwickeln sich generisch auf kollektiv
gemeinsamer Basis und verändern sich dynamisch gemäß Anforderungen
oder Einfluss volatiler individueller Lebensbedingungen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gemäß
dieser Perspektive bildet eine kollektiv gemeinsame Basis von Werten,
Regelsystemen, Mustern und Deutungen von Informationen eine symbolische
Architektur, die Zusammenleben und Kooperation von Menschen ermöglicht
oder auch verhindert. Die Kodifizierung von Verbindlichkeit gelingt
mittels Symbolen, Normen, Traditionen, Narrativen. Die Architektur
dieser Basis ist nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt, aber um
kollektive Wirkung zu entfalten, benötigt sie Persistenz.
Einvernehmlichen Konsens über einen Grad verlässlicher Verbindlichkeit
erzeugt Persistenz. In Maßstäben menschlicher Lebenserwartung verändert
sich diese Architektur i.d.R. langsam über Generationen, aber in
Ausnahmen auch sprunghaft (revolutionär). Wenn Veränderungen
stattfinden, müssen von ihnen betroffene Menschen informiert sein, damit
sich kognitive Strukturen und Verhaltensmuster an Änderungen anpassen
können.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kollektive Verständnisse von Welt erzeugen persistente symbolische Modelle
der Repräsentation von Welt, die als <i>Kultur</i> unbewusste Deutungsmuster hervorbringt und persistiert. <i>Kultur</i>
ermöglicht und strukturiert Kommunikation und Kooperation im Sinne
sozialer Interaktionen und verleiht Handlungssicherheit
unter
Bedingungen unvollständiger Informationen einer chaotischen Welt.
Soziale Differenzierung bewirkt sozial desintegrierenden Zerfall und
Zersplitterung ehemals relativ einheitlicher <i>Kulturen</i>.(12) Die Herausbildung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Staatsmodell" target="_blank">Staatsmodellen</a> wirkt diesem Zerfall mit Instrumenten und Methoden von Politik mit unterschiedlichem Erfolg entgegen.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.5.2 </b><b>Prozesse der Internalisierung</b> </div><div style="text-align: left;"> </div>Dominanz von Individuen in Face-to-Face-Beziehungen entfaltet kurzlebige
extrinsische Persistenz, die an Kontrollen durch anwesende dominante
Individuen (oder Stellvertreter) gebunden ist (typisch für Primaten).
Reproduktionsprozesse menschlichen Lebens erfordern jedoch auf Dauerhaftigkeit
abgestellte kooperative Verhaltensmuster, die auf Vertrauen basieren und
nicht an körperliche Anwesenheit von Kooperationspartnern gebunden
sind. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Prozesse der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Internalisierung_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Internalisierung</a> übertragen den kulturell geprägten Rahmen kollektiver Denk- und
Verhaltensmuster, indem sie langlebige intrinsische Muster
kollektiver Verbindlichkeit erzeugen, die als Kontrollmechanismen kognitiver Instanzen auf
individuelles Verhalten einwirken. Internalisierung verhilft mittels Übertragung durch Verinnerlichung zur
individuellen Aneignung gesellschaftlicher Werte, Sitten, Normen,
sozialer Rollen und vermittelt so den kulturell geprägten Rahmen des
Verhaltens individueller Persönlichkeiten. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Die individuelle Aneignung kollektiver Muster von Weltverständnis erfolgt in komplexen Lernprozessen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialisation" target="_blank">Sozialisation</a>,
in denen kollektive Muster modellierend auf individuelle kognitive
Strukturen einwirken und auf diesem Wege kollektive Muster individuell
übertragen.
Prozesse der Sozialisation und
Internalisierung erzeugen kulturell kompatible individuelle
Persönlichkeitsstrukturen, die Individuen mit mehr oder weniger großen
Chancen einer erfolgreichen Anpassung an ihre Lebenswelt ausstatten. Lebensläufe von Menschen, in
deren Sozialisation sich diese Fähigkeiten nicht ausreichend entwickeln
konnten, verlaufen weniger erfolgreich oder prekär.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Verschiedene
Menschen erleben und erinnern identische Sachverhalte nicht
unbedingt gleichartig, sondern im Gegenteil oft unterschiedlich.
Differenzen machen deutlich, dass individuelle Wahrnehmungen nicht
normiert sind. Über Sinnesreize aufgenommene Wahrnehmungen treffen auf
individuell gespeicherte kognitive Strukturen und modellieren diese
dynamisch zu Informationen, aus denen
sich individuelle Verhaltensoptionen ableiten. <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Wertvorstellungen
und mit ihnen verbundene Regelwerke bleiben als Fundamente sozialen
Verhaltens der Alltagspraxis innerhalb kultureller Biotope überwiegend
unbewusst. Verhaltenskontrollen kognitiver Instanzen werden nicht als
externer
Zwang, sondern als eigenmotivierte Intentionen empfunden. Menschen, die
sich im öffentlichen Raum bewegen, müssen sich nicht
ständig über Regeln der kollektiven Basis informieren oder diese in
Erinnerung rufen. Die kollektive Basis bleibt im Hintergrund und übt
kontrollierenden Einfluss auf Verhalten aus, ohne dass Menschen
explizites Wissen über die kollektive Basis und ihre funktionale
Bedeutung benötigen. Im regulären Betrieb erleben Menschen sich ähnlich
wie Akteure auf einer Bühne in Rollen, die soziale Kontext ähnlich
Drehbüchern vorgeben. In der Rolle vergessen oder übersehen Akteure bei
ihrem Spiel
die Umgebung ihres Theaters mit dessen Infrastruktur,
Betriebsbedingungen, Voraussetzungen, Historie der Entstehung. <br />
<br />
Beispielsweise müssen Verkehrsteilnehmer Vorfahrtsregeln nicht erst
aushandeln. Gewöhnlich wissen sie, wer gehen oder fahren darf und wer
warten muss. Im Fall von Regelverletzungen ist bekannt, dass falsches
Verhalten nicht per Faustrecht bestraft werden darf, sondern dass nur
rechtsstaatliche Institutionen Sanktionsmaßnahmen veranlassen dürfen.
Darüber hinaus wissen Verkehrsteilnehmer i.d.R., auf welchen
Kommunikationswegen rechtsstaatliche Institutionen zu erreichen sind,
und sie kennen zumindest grob die Qualität drohender Sanktionsmaßnahmen.
Erst wenn Menschen als individuelle Akteure bewusst oder grob
fahrlässig
kollektiv geltende Vereinbarungen verletzen, rückt der vorher
unbewusste Hintergrund in den bewussten Vordergrund. Störungen des
Gleichgewichts können auch von Institutionen und Organisationen als
kollektive Akteure ausgehen. Wenn normsetzende Veränderungen der
kollektiven Basis auf Ablehnung stoßen, drohen Konflikte, die in für
Änderungen verantwortlichen Institutionen und Organisationen zu Krisen
eskalieren können.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>3.6 Stereotype und Vorurteile</b><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Wie Persönlichkeiten entstehen, sich verhalten und verändern, untersucht die Psychologie. Unabhängig davon, ob das Selbst einer
Persönlichkeit als Fiktion des Bewusstseins oder als Entität aufzufassen
ist, entsteht dieses Selbst aus der Kombination zahlreicher Bedingungen
in variablen
Ausprägungen. Bedingungen und ihre Ausprägungen bilden keine konstanten
Merkmale, sondern
sie variieren prozesshaft. Als Resultat entsteht eine kaleidoskopartige
unendliche
Vielfalt komplexer Persönlichkeiten, die begrifflich nicht fassbar ist
und sich jeder universellen Beschreibung entzieht. Kein Versuch der
Kategorienbildung kann dieser Vielfalt gerecht werden. Daher beschreiben von der Psychologie entwickelte theoretische Modelle der Typisierung (z.B. <a href="https://www.resilienz-akademie.com/resilienzmodelle-im-vergleich/" target="_blank">Resilienzmodell</a>) lediglich verallgemeinernde Richtungen der
Persönlichkeitsentwicklungen. <br /><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Dennoch
neigen Menschen in sozialen Interaktionen zu Typisierungen in Form von
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotypen</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteilen</a>. Unbewusste Mechanismen der Typisierungen
haben sich evolutionär als nützliche Wahrnehmungsfilter herausgebildet.(13)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit
der Verdichtung von Lebensräumen aufgrund exponentieller Zunahme
des Bevölkerungswachstums verändert sich dieses Wahrnehmungsmusters
zunehmend toxisch und verhindert friedliches Zusammenleben der Weltbevölkerung.(14) Vor 10.000 Jahren lebten 5 - 10 Millionen Menschen auf der Erde. Um das
Jahr 0 knapp 200 Millionen. 1650 rund 500 Millionen. 2013 ca. 8.02
Milliarden. Prognosen über die weitere Entwicklung sind strittig.
Immerhin verlangsamt sich das Wachstum:</div><div style="text-align: left;">- Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bev%C3%B6lkerungsentwicklung" target="_blank">Bevölkerungsentwicklung</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltbev%C3%B6lkerung" target="_blank">Weltbevölkerung</a> </div><div style="text-align: left;">- Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: <a href="https://www.dsw.org/weltbevoelkerung/" target="_blank">Weltbevölkerungsuhr</a><br /></div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Unterscheidung zwischen Bewussten und Unbewussten mentalen Inhalten: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gerhard_Roth_(Biologe)" target="_blank">Gerhard Roth</a>: <a href="https://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth-gerhard-wie-das-gehirn-die-seele-macht-lindauer-psychotherapiewochen2001.pdf" target="_blank">Wie das Gerhirn die Seele macht</a> (PDF) </li><li>Inzwischen weiß man, dass für die Steuerung willkürlicher Bewegungen ein als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Motorcortex" target="_blank">Motorcortex</a> bezeichneter Bereich des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neocortex" target="_blank">Neocortex</a>
verantwortlich ist, der seit 150 Jahren erforscht wird und der
Wissenschaft immer wieder neue Rätsel aufgibt. (Vgl.: Das Gehirn: <a href="https://www.dasgehirn.info/handeln/motorik/kommandozentrale-fuer-bewegungen" target="_blank">Kommandozentrale für Bewegung</a> sowie Das Gehirn: <a href="https://www.dasgehirn.info/handeln/motorik/das-raetsel-der-bewegung" target="_blank">Das Rätsel der Bewegung</a>)</li><li>FAZ, Sibylle Anderl: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/warum-zahlenkompetenz-evolutionaer-von-vorteil-ist-16704375.html" target="_blank">Zahlenkompetenz als Überlebensfaktor</a><br /></li><li>Dissertation Franco Calouri: <a href="https://core.ac.uk/download/pdf/237445441.pdf" target="_blank">Die numerische Kompetenz von Vorschulkindern – Theoretische Modelle</a> (PDF, 278 Seiten)<br />und empirische Befunde </li><li>Kognitive Funktionen und mentale Strukturen allgemeiner Art sind Themen des Posts <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/03/architektur-von-erinnerung-wissen.html" target="_blank">Architektur von Erinnerung, Wissen, Wahrheit - interdisziplinär betrachtet</a> im Kapitel 3. Unbewusste (implizite) Kognitionen referiert das Kapitel 3.2.<br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_kognitiven_Verzerrungen" target="_blank">Liste kognitiver Verzerrungen</a> <br /></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Empirische_Sozialforschung">Empirische Sozialforschung</a> verwendet als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Indikatoren">Sozialindikatoren</a> auch <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BCcksindikator">Glücksindikatoren</a>,
um mittels Befragungen zu ‚messen’, unter welchen Bedingungen der
Lebensbewältigung Menschen mehr oder weniger glücklich, zufrieden oder
unzufrieden sind. Indikatorensysteme sind nicht problemfrei und
vergleichende ‚Glücksmessungen’ über Bevölkerungsgruppen (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kohorte_(Sozialwissenschaft)">Kohorten</a>) gelten als besonders problematisch.<br /></span><ul><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Wikipedia:<span style="font-weight: normal;"><span style="font-weight: normal;"><span style="font-weight: normal;"><span style="font-weight: normal;"> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Indikatoren#Indikatorensysteme_und_deren_Probleme">Soziale Indikatoren: Indikatorensysteme und deren Probleme</a></span></span></span></span></span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Wikipedia</span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"><span style="font-weight: normal;">: </span></span><span style="font-weight: normal;"><span style="font-weight: normal;"><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BCck#Demoskopische_Erhebungen">Glück: Demoskopische Erhebungen</a></span></span></span></li></ul></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hypothese_der_somatischen_Marker" target="_blank">Hypothese der somatischen Marker</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ant%C3%B3nio_Dam%C3%A1sio#Die_Theorie_der_somatischen_Marker" target="_blank">António R. Damásio: Die Theorie der somatischen Marker</a><br /></li><li>Der
Philosoph Ulf Hlobil erklärt in seiner Magisterarbeit psychologische Handlungserklärungen aus Sicht des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Deduktiv-nomologisches_Modell" target="_blank">deduktiv-nomologischen Modells</a> wissenschaftlicher Erklärung (<i>HO-Schema</i>)
generell zu Aussagen, die
Anforderungen des analytischen Wissenschafts-Paradigmas nicht erfüllen,
weil psychologische Handlungserklärungen keine
Kausalerklärungen
menschlicher Handlungen seien. Aufgezeigte Zusammenhänge seien nicht
empirischer, sondern begrifflicher Art und daher redundant. <br />(Ulf
Hlobil: Eine theoretische Kritik der Somatischen Marker Hypothese von
Antonio Damasios, PsychArchives: <a href="https://doi.org/10.23668/psycharchives.8507" rel="noreferrer" target="_blank">https://doi.org/10.23668/psycharchives.8507</a>)<br />Allerdings ist das <i>HO-Schema</i> nicht problemfrei (vgl. Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/hempel-oppenheim-modell/866" target="_blank">Hempel-Oppenheim-Modell</a>). Lt. dem Wikipedia-Eintrag zur <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hypothese_der_somatischen_Marker" target="_blank">Hypothese der somatischen Marker</a> ist die SMH mit Angabe von Quellen empirisch bestätigt.<br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ant%C3%B3nio_Dam%C3%A1sio" target="_blank">António R. Damásio</a></li><li>Bzgl. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dualismus_(Ontologie)" target="_blank">Dualismus</a>
siehe: Anmerkung 5 zu Kapitel 1 dieses Posts sowie Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">1 Vor- und
Randbemerkungen zur Postreihe "Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur
Evolution von Kultur und Religion"</a>, Kapitel 2. </li><li>Siehe Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">1 Vor- und
Randbemerkungen zur Postreihe "Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur
Evolution von Kultur und Religion"</a>, Kapitel 2.1. </li><li> Bundeszentrale für politische Bildung: <a href="https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/M%2001.06_stereotyp-vorurteil_1.pdf" target="_blank">Stereotypen und Vorurteile</a> (PDF)</li><li><div style="text-align: left;">Auf der Erde lebten vor 10.000 Jahren 5 - 10 Millionen Menschen, um das
Jahr 0 knapp 200 Millionen, 1650 rund 500 Millionen, 2013 ca. 8.02
Milliarden. Prognosen über die weitere Entwicklung sind strittig.
Immerhin verlangsamt sich das Wachstum:</div><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bev%C3%B6lkerungsentwicklung" target="_blank">Bevölkerungsentwicklung</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltbev%C3%B6lkerung" target="_blank">Weltbevölkerung</a> </li><li>Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: <a href="https://www.dsw.org/weltbevoelkerung/" target="_blank">Weltbevölkerungsuhr</a></li></ul></li></ol></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>4 <i>Bewusstsein</i> Verstehen</b><br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Der Begriff des <i>Bewusstseins</i> assoziiert mit dem Begriff des <i>Wissens</i> im Sinne von <i>Wissen über etwas haben</i>. Bei genauerer Betrachtung ist diese Bedeutung zu eng gefasst. <i>Bewusstsein</i> ist keine binäre Eigenschaft, sondern bezeichnet mentale Prozesse, an denen unbewusste Emotionen beteiligt sind, die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hypothese_der_somatischen_Marker" target="_blank">somatische Marker</a>
(siehe 3.1) filternde und bewertende Einflüsse auf Situationen und Entscheidungen
ausüben. Philosophie und Naturwissenschaften unterscheiden
je nach
Kontext zwischen verschiedenen Arten von <i>Bewusstsein</i>. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mentale Prozesse der Erzeugung von <i>Bewusstsein </i>ermöglichen
Entscheidungen und intentionales Handeln, indem sie Weltbilder
generieren, die als reale Bedingungen für Verhalten wahrgenommen werden.
Wahrnehmungen von Welt entstehen in
Feedbackschleifen, die extrinsische Umwelt-Parameter mit intrinsischer
Wahrnehmung eigenen Wissens (oder
Unwissens) und eigener Emotionen verknüpfen. Parameter dieses Prozesses
sowie Art und
Menge von Feedbackschleifen variieren kontextabhängig. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Rätselhaft ist, wie <i>Bewusstsein</i>
es schafft, Sinneswahrnehmungen so zu integrieren, dass Menschen das
Gefühl haben, nicht in vielen Welten, sondern in einer einheitlichen
Welt zu leben und (abgesehen von pathologischen Zuständen) das Gefühl
haben, nicht viele Personen, sondern eine einheitliche Person zu
sein. Bekannt und empirisch nachweisbar ist jedoch auch, dass bewusst
wahrgenommene Zustände von Welt und von der eigenen Person
unzuverlässig sind und sich oft häufig als Irrtümer herausstellen.
Homogenität und Kohärenz wahrgenommener phänomenaler Räume sind von
Mechanismen des <i>Bewusstseins</i> erzeugte Illusionen, an deren Erklärung sich Wissenschaften bisher die Zähne ausbeißen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Definitionen von <i>Bewusstsein</i> korrespondieren eng mit nachfolgend skizzierten Kernproblemen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a>, die nach der Natur mentaler Zustände und ihrem Verhältnis zu physischen Zuständen fragt.</div><div style="text-align: left;"> <br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b><span>4.1 <i>Leib-Seele-Problem</i></span></b>(1) </div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Das <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes#Das_Leib-Seele-Problem" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a></i> (auch <i>Körper-Geist-Problem</i>) bildet das Kernproblem der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a>,
das sich um Frage der Beziehung zwischen mentalen Zuständen (bzw.
Seele, Geist) zu physischen Zuständen (bzw. Leib, Körper, Materie)
dreht:</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Sind
Geist und Körper 2 verschiedene Substanzen? Wenn ja, wie sind sie
miteinander verbunden? Wenn nein, ist der Geist etwas Körperliches, oder
ist der Körper eine Form des Geistes? Oder sind Körper und Geist
verschiedene Manifestationen einer einzigen neutralen Substanz?"</i>(2)<i> </i><br /></div><div style="text-align: left;"><br /> </div><div style="text-align: left;">Im
Alltagsdenken verstehen mehr als 90 % aller Menschen Körper und Geist
als getrennte Substanzen und nehmen an, dass das Gehirn (Körper) den
Geist nicht vollständig erklären kann.(3) Traditionelle
wissenschaftliche Antworten auf diese Fragen basieren auf zwei
als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Dualismus_(Ontologie)" target="_blank">Dualismus</a></i> sowie als <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a></i> bezeichnete gegensätzlichen Positionen, die Wissenschaften der Gegenwart aufzulösen
versuchen. Im neuzeitlichen Diskurs der Philosophie des Geistes über das Leib-Seele-Problem identifiziert <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Metzinger" target="_blank">Thomas Metzinger</a> neun verschiedene Modelle zur Lösung des Leib-Seele-Problems und stellt fest, dass der <i>Dualismus</i> nur noch extrem wenige Vertreter hat (<a href="https://www.blogs.uni-mainz.de/fb05philosophie/files/2014/04/TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf" target="_blank">Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit</a>, S. 23).</div><ul style="text-align: left;"><li><i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Dualismus_(Ontologie)" target="_blank">Dualismus</a></i> betrachtet in verschiedenen Varianten Materie und Geist als 2 verschiedene Substanzen (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Dualismus_(Ontologie)#Substanzdualismen" target="_blank">Substanzdualismus</a>) oder als 2 verschiedene Eigenschaften eines Objekts (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Dualismus_(Ontologie)#Eigenschaftsdualismen" target="_blank">Eigenschaftsdualismus</a>), zwischen denen Wechselwirkungen bestehen oder zumindest möglich sind. Für den <i>Dualismus</i> sprechen <i>Quali</i>a-Argumente. Gegen den <i>Dualismus</i> spricht, dass er Wechselwirkungen zwischen physischen und mentalen Zuständen nicht kausal erklären kann. <br /></li><li><i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Monismus" target="_blank">Monismus</a></i>
führt in verschiedenen Varianten alle Phänomene von Welt auf ein
einheitliches Grundprinzip zurück und postuliert, dass nur eine Substanz
existiert, entweder Geist oder Materie oder eine unbekannte neutrale
Substanz. Gegen materialistische Positionen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_(Ontologie)" target="_blank">Physikalismus</a> sprechen kritische Eigenschaften von<i> Qualia</i> und <i>Intentionalität</i>, die nicht in Begriffen der Physik als Objekte beschrieben werden können.<br />In der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitionswissenschaft" target="_blank">Kognitionswissenschaft </a>ist
ein 'Computermodell des Geistes' verbreitet, dass analog Software und
Hardware das Gehirn als ein informationsverarbeitendes System versteht
und mit <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Künstliche_Intelligenz" target="_blank">Künstlicher Intelligenz (KI)</a></i>
das Ziel verfolgt, menschliche kognitive Fähigkeiten in Maschinen zu
realisieren.(Siehe Anmerkung 4) Zahlreiche Philosophen bezweifeln, dass
sich Erklärungslücken zwischen bewusstem Erleben mentaler Zustände und
biologischen Prozessen im Sinne <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neuronales_Korrelat_des_Bewusstseins" target="_blank">neuronaler Korrelate des Bewusstseins</a>
schließen lassen. Eine Gruppe von Kognitionswissenschaftlern teilt
Skepsis gegenüber technischen KI-Architekturen der Gegenwart, nimmt aber
ein, dass mit veränderten Architekturen in der Zukunft starke
KI-Systeme möglich sind, die menschlicher Intelligenz ähnlicher werden.
Wann das sein wird und wie stark solche Systeme sind, bleibt reine
Spekulation.(4)<br /></li></ul><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">Während Monismus mentale Zustände und
kognitive Prozesse nicht befriedigend erklären kann, vermag Dualismus
nicht zu erklären, wie Geist als Substanz aus Materie entsteht. </span></span>Beide Positionen belasten Erklärungsprobleme, die weitere Positionen aufzulösen versuchen (siehe auch Anmerkung 5 zu Kapitel 1):</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Philosophie)" target="_blank">Funktionalismus</a></i>
in der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosphie des Geistes</a>, der nicht identisch ist mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Funktionalismus_(Sozialwissenschaften)" target="_blank"><i>Funktionalismus in Sozialwissenschaften</i></a>, erklärt mentale Zustände als funktionale Zustände, die nicht von
der Art physischer Realisierung abhängen, weshalb nicht nur Lebewesen, sondern
auch Robotern oder Computern mentale Zustände zugestanden werden. Die Annahme
der multiplen Realisierbarkeit mentaler Zustände macht <i>Funktionalismus</i>
zum bevorzugten Erklärungsmodell für <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitionswissenschaft" target="_blank">Kognitionswissenschaften</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/K%C3%BCnstliche_Intelligenz" target="_blank">Künstliche Intelligenz</a>. Da die Gleichsetzung mentaler und
funktionaler Zustände jedoch kein <i>Bewusstsein</i> zu erklären vermag, bestehen
gewichtige Einwände. <br /></li><li>Eine als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pluralismus_(Philosophie)" target="_blank"><i>Pluralismus</i></a>
bezeichnete Postion jüngerer Zeit erklärt mehrere unterschiedliche
Perspektiven für legitim und lehnt einheitliche grundlegende
Perspektiven bzw. jeden Dogmatismus ab. </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes#Sprachphilosophische_Kritik_am_Leib-Seele-Problem" target="_blank">Sprachphilosophische Positionen</a> betrachten das <i>Leib-Seele-Problem</i> als ein von sprachlogischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorienfehler" target="_blank">Kategorienfehlern</a> verursachtes wissenschaftliches Scheinproblem.</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Panpsychismus" target="_blank"><i>Panpsychismus</i></a> bietet einen nicht-materialistischen monistischen Lösungsvorschlag des <i>Leib-Seele-Problems</i> mit der Annahme<i>, </i>dass Vorstufen des Geistigen oder Mentalen in der Grundstruktur der materiellen Welt enthalten sind.(Siehe Anmerkung 4)<br /></li></ul></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4.2 Rätsel der <i>Qualia</i></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia#Das_R%C3%A4tsel_der_Qualia" target="_blank"><i>Rätsel von Qualia</i></a>
(subjektive Erlebnisinhalte mentaler Zustände) diskutiert Philosophie
aus unterschiedlichen Perspektiven Zusammenhänge zwischen subjektiven
Inhalten mentaler Zustände und auslösenden physiologischen Reizen.
Erklärungsprobleme resultieren aus dem Sachverhalt, dass Phänomene der
Innenperspektive (Emotionen und generell sensorische Wahrnehmungen wie
Gerüche, Farben, Töne etc.) als intrinsische Kerne von <i>Bewusstsein</i>
keine abstrahierbare innere Struktur haben und für Beschreibungen von
außen unzugänglich sind. Der Sachverhalt, dass die subjektive
Perspektive von <i>Qualia</i> nicht in naturwissenschaftlichen Begriffen beschrieben werden kann, begründet dualistische Annahmen.</div><div style="text-align: left;"><i> </i><br /></div><div style="text-align: left;"> <br /> <b>4.3 Problem der <i>Intentionalität</i></b>(5)</div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Intentionalit%C3%A4t" target="_blank">Intentionalität</a></i>
(kognitiv durch Absichten gesteuertes zielorientiertes Handeln)
bezeichnet die menschliche Fähigkeit, eigenes mentales Erleben und
Verhalten zielgerichtet auf reale oder imaginierte Objekte oder auf
wahrgenommene Zustände zu beziehen. Intentionaler Realismus vertritt die
Ansicht, dass alle mentalen
Zustände intentional sind und menschliche Absichten aus der
Repräsentation natürlicher Indikatoren bestehen. Sozial vermittelte
innerpsychische Vorstellungen repräsentieren lediglich Wahrnehmungen von
Welt als real, ohne dass aus diesen Vorstellungen Aussagen über reale
Zustände von Welt abgeleitet werden können. Der Sachverhalt von außen
nicht zugänglicher intentionaler mentaler Zustände begründet
dualistische Annahmen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4.4 <i>Monistische </i>Positionen</b><br /></div> <div style="text-align: left;">In der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a> vertritt eine Gruppe von Philosophen ein <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalismus_(Philosophie)" target="_blank">naturalistisches</a> bzw. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_(Ontologie)" target="_blank">physikalistisches</a> Weltbild, das sämtliche Phänomene von Welt auf Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten zurückführt. Naturalistische Ansätze verstehen <i>Kultur</i> als Ausprägung von <i>Natur</i>
und soziokulturelle Evolution als Entwicklung der biologischen
Evolution.(6)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gemäß dieser Denkweise sind mentale Zustände aus
physischen Zuständen zu erklären. <i>Qualia</i> gilt als ein wissenschaftlich nicht existentes Problem (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia#Qualiaeliminativismus" target="_blank">Qualiaeliminativismus</a>). <i>Intentionale</i>
Aussagen werden nicht
als Tatsachenbeschreibung verstanden, sondern als Erklärungen, die
Verhalten von Menschen verständlich machen, ohne dass daraus auf kausale
Gesetzmäßigkeiten geschlossen werden kann. Annahmen über <i>Intentionalität</i> des Denkens gelten als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCtzliche_Fiktion" target="_blank">nützliche Fiktion</a>.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Um soziokulturelle Evolution erklären zu können, bedarf es jedoch der
Annahme zusätzlicher Entitäten als Replikationseinheiten, die in Anlehnung an den Begriff <i>Gene</i> als <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Mem" target="_blank">Meme</a></i> bezeichnet werden.(7) <i>Meme</i>
werden als Bewusstseinsinhalte aufgefasst, die mittels Kommunikation
als Informationen weitergegeben bzw. vervielfältigt (repliziert) werden
und wie biologische Vererbung von Genen soziokulturell vererbbar sowie
durch soziokulturelle Evolution veränderbar sind.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4.5 Libet-Experiment: Wie deterministisch ist menschliches Verhalten?</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der US-amerikanische Physiologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Benjamin_Libet" target="_blank">Benjamin Libet</a>
führt 1979 eine Reihe von Experimenten durch, in denen er zeitliche
Abfolgen bewusster Handlungsentscheidungen und ihrer motorischen
Umsetzung maß. In den Experimenten zeigen Messungen mittels <a href="https://www.wikiwand.com/de/Elektroenzephalografie" target="_blank">EEG</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Elektromyografie" target="_blank">EMG</a>,
dass das motorische Zentrum des Gehirns bereits 0,35 s vor einer
bewussten Bewegungsabsicht mit der Vorbereitung der Bewegung beginnt und
weitere 0,2 s bis zur Ausführung der Bewegung vergehen, also
Hirnaktivitäten insgesamt 0,55 s vor der Bewegung einsetzen. Da die
bewusste Willensentscheidung zur Bewegungsabsicht 0,35 s hinter der
einleitenden Nervenaktivität liegt, besagt dieser Sachverhalt
vermeintlich, dass die Aktivierung von Hirnaktivitäten nicht kausal von
der Willensentscheidung verursacht ist und Annahmen eines freien Willens
eine Illusion sind. Offenbar trifft nicht das Ich Entscheidungen,
sondern das Gehirn und vermittelt dem Ich Illusionen von
Willensentscheidungen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">1980 veröffentlichte Ergebnisse der Versuchsreihen erregten großes Aufsehen und lösten kontroverse Diskussionen über das sog. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Libet-Experiment" target="_blank">Libet-Experiment</a>
sowie über Fragen menschlicher Willensfreiheit aus. Spätere
Überprüfungen der Experimente zeigten gemäß wissenschaftlicher Standards
eine nur schwache Evidenz der Ergebnisse aufgrund der kleinen Anzahl
von Probanden. Außerdem konnten von Libet gemessene Zeitintervalle nicht
repliziert und Messfehler der ursprünglichen Experimente nachgewiesen
werden. Veränderte Versuchsbedingungen führten zu weniger eindeutigen
Ergebnissen, sodass die Frage aufkam, was das Experiment tatsächlich
gemessen hat und wie Hirnaktivitäten zu deuten sind. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In
veränderten Versuchsanordnungen erwies sich, dass gemessene
Bereitschaftspotentiale der Handlung keineswegs als Ursache einer
Entscheidung oder Handlung zu verstehen sind, sondern als einer unter
vielen Faktoren, die Einfluss auf Absichten ausüben und die Durchführung
von Handlungen erleichtern, aber nicht verursachen. Gemessene
Bereitschaftspotentiale zeigten deutlich streuende Stärken und schlugen
in einem Drittel der Durchgänge entgegen der erwarteten Richtung aus.
Instruierte Probanden konnten die Stärke von Bereitschaftspotentialen
bewusst verändern.(8) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Abgesehen von methodischen Fehlern wertet Merlin Donald das ursprüngliche
Libet-Experiment im Ergebnis ein Deutungsartefakt mit nicht
belastbaren Schlussfolgerungen. Donald versteht die Architektur des <i>Bewusstsein</i>
als ein hierarchisches Schichtenmodell. Reizangebote experimenteller
Laborsituationen sprechen unter restriktiven Bedingungen der
Situation lediglich
das funktional eingeschränkte und nur über ein Intervall von ca. 15
Sekunden aktive Kurzzeitgedächtnis an. Diese Reize beschäftigen in einem
engen Aufmerksamkeitsfenster das <i>Bewusstsein</i>, sie aktivieren aber nur eine schmale Schicht eines breit angelegten mehrschichtigen Regulierungssystems, als das Donald <i>Bewusstsein</i> auffasst. Donald bezweifelt, dass Daten aus Laborexperimenten allgemeingültige Aussagen über <i>Bewusstsein</i> erlauben.(9)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Andererseits machen die Libet-Experimente aber auch deutlich, dass </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>an bewussten Entscheidungen unbewusste Prozesse beteiligt sind, die nicht immer mit bewussten Absichten übereinstimmen,</li><li>freier
Wille nicht binär zu verstehen ist, sondern als eine Ausprägung, deren
bewusste und unbewusste Anteile situationsspezifisch variieren,</li><li>Mechanismen dieser Verteilung und die Rolle des <i>Bewusstseins</i> bisher nur unvollständig verstanden sind.(19)</li></ul></div><div style="text-align: left;">---------------------------------------<br /></div><div style="text-align: left;"><ol><li>Artikelsammlung zum Leib-Seele-Problem:<br /><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Ansgar_Beckermann" target="_blank">Ansgar Beckermann</a>, Artikel <a href="https://core.ac.uk/download/pdf/15986337.pdf" target="_blank">„Leib-Seele-Problem“</a> (PDF) in: Enzyklopädie der Philosophie, Band 1, hg. von H.J. Sandkühler. Hamburg: Meiner 1999, 766-774. <br /></li><li>Dorsch, Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/leib-seele-problem" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a> <br /></li><li>Spektrum, Lexikon der Psychologie: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/leib-seele-problem/8687" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a></li><li>Stangl, Online-Lexikon für Psychologie & Pädagogik: <a href="https://lexikon.stangl.eu/8548/leib-seele-problem" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a> <br /></li><li>Telepolis: <a href="https://www.heise.de/tp/features/Das-kleine-Einmaleins-des-Leib-Seele-Problems-4769110.html" target="_blank">Das kleine Einmaleins des Leib-Seele-Problems</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes#Das_Leib-Seele-Problem" target="_blank">Das Leib-Seele-Problem </a> <br /></li></ul></li><li>Spektrum, Lexikon der Biologie: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/leib-seele-problem/38680" target="_blank">Leib-Seele-Problem</a> <br /></li><li>Stangl Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik: <a href="https://lexikon.stangl.eu/2013/dualismus" target="_blank">Dualismus</a> <br /></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/kolumne/kuenstliche-intelligenz-was-ki-ueber-menschliche-intelligenz-lehrt/1747320" target="_blank">Was KI über unsere Intelligenz lehrt</a><br /></li><li>Spektrum, Metzler Lexikon der Philosophie: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/intentionalitaet/993" target="_blank">Intentionalität</a> <br /></li><li>Protagonisten dieser Richtung: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Dawkins" target="_blank">Richard Dawkins</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Dennett" target="_blank">Daniel Dennett</a></li><li>Wissenschafts-Magazin Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/magazin/die-macht-der-meme/827031" target="_blank">Evolution: Die Macht der Meme</a> <br /></li><li>Scinexx: <a href="https://www.scinexx.de/news/biowissen/warum-unser-wille-freier-ist-als-gedacht/" target="_blank">Warum unser Wille freier ist als gedacht</a></li><li>Merlin Donald: <i>Triumph des Bewusstseins</i>, a.a.O., S. 76 <br /></li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/news/die-wiederentdeckung-des-willens/1341194" target="_blank">Libet-Experimente: Die Wiederentdeckung des Willens</a><br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"> <b> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>5 </b><b>Anlage-Umwelt-Interaktion, metabolische Prozesse, neuronale Korrelate, mentale Zustände <br /></b></div><div style="text-align: left;"><b><i> </i></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Jedes
Lebewesen verfügt über eine genetische Ausstattung bzw. Anlagen und lebt in einer von Kultur geprägten Umwelt. Völlig unstrittig ist,
dass ererbte Anlagen und Umweltbedingungen von Lebensräumen miteinander
interagieren. Kontrovers und teilweise auch ideologisch wird jedoch
diskutiert, zu welchem Anteil Merkmale, Fähigkeiten, Verhalten von
Menschen biologisch oder kulturell determiniert, dominiert oder
beeinflusst sind und wie Anlagen und Umwelt miteinander interagieren.
Diese Frage gehört zu den bisher nur unzureichend beantworteten großen
wissenschaftlichen Fragen. Die Diskussion über die Verteilung von
Einflussfaktoren betrifft vor allem Fähigkeiten (Begabungen,
Intelligenz etc.), individuelles Verhalten sowie Chancen und Risiken
erfolgreicher oder gescheiterter Sozialisation aufgrund sozialer
Herkunft (Milieu) und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gender" target="_blank">Gender</a>. In der Vergangenheit fand die Diskussion zwischen zwei Hauptrichtungen statt:(1,2)</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Für Nativisten spielt das Erbgut die Hauptrolle. Vertreter dieser Position sind vor allem in Naturwissenschaften zu finden.<br /></li><li>Geisteswissenschaftler
vertreten eher empiristische bzw. environmentalistische Positionen und tendieren zur Auffassung einer Vorherrschaft von Umweltbedingungen. </li></ul></div>Inzwischen
schlägt diese Diskussion eine andere Richtungen ein, die biologische und
soziokulturelle Evolution nicht als Widerspruch betrachtet,
sondern als zwei interagierende Ressourcenpools. Gemäß dieser Auffassung variiert die Herausbildung von
Fähigkeiten und Verhaltensoptionen über die soziokulturell geprägte Weite von Grenzen,
innerhalb der diese beiden Pools interagieren. <br /> </div><div style="text-align: left;"><b><i> </i></b></div></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div><b>5.1 </b><b>Kognitive Kontrollprozesse der Verhaltenssteuerung:</b><b> Exekutive Funktionen und </b><b>intrinsische Belohnungen</b><b> </b></div><div><br />Höhere
Lebewesen verfügen über Fähigkeiten der kognitiven Kontrolle, die ihnen
ermöglichen, ihr eigenes Verhalten an Umweltsituationen anzupassen, um
ein für sie möglichst günstiges Verhaltensergebnis zu erzielen. Psychologie erklärt die Umsetzung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Motivation" target="_blank">Handlungsmotiven</a> (Beweggründe und Ziele) in Entscheidungen und
Handlungen mit zwei Quellen,
die als extrinsisch (aufgrund äußerer Anreize) und intrinsisch (aufgrund
der Sache selbst) bezeichnet werden.(3,4) Hirnforschung bzw. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neuropsychologie">Neuropsychologie</a> untersucht <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neuronales_Korrelat_des_Bewusstseins" target="_blank">neuronale Korrelate</a> der als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Exekutive_Funktionen">exekutive Funktionen</a>
bezeichneten Kontrollprozesse der Selbstregulation und des zielgerichteten Handelns. Exekutive Funktionen sind vor allem dann aktiv, wenn automatisiertes Handeln oder routiniertes Verhalten
einer Situation nicht gerecht wird und aufmerksames, konzentriertes
Handeln notwendig ist.(5)</div><div> </div><div> </div><div><b>5.2 Exekutive Funktionen </b><br /></div><div> </div><div>Exekutive Funktionen umschreiben psychische
Fähigkeiten, die der Durchführung von Handlungen vorausgehen und
Handlungen kontrollierend begleiten. Zu den exekutiven Funktionen
zählen: Selbstmotivation, Willensbildung, Initiative, Setzen von Zielen,
strategische Planung, Entscheidungsfindung, Steuerung von
Aufmerksamkeit, Handlungsplanung, Selbstkontrolle und Selbstdisziplin. Exekutive Funktionen werden in überwiegend unbewussten Lernprozessen
kulturell vermittelt und individuell durch Nachahmung angeeignet.</div><div> </div><div>Komplexe systematische Lernprozesse erfordern in einem hohen Maß
individuelle Fähigkeiten exekutiver Funktionen.(6) Wer in der persönlichen Sozialisation bzgl. der Ausstattung mit exekutiven Funktionen im Vergleich zu kulturellen Standards benachteiligt ist, ist auch in komplexen systematischen Lernprozesse benachteiligt und lebt mit reduzierten Chancen einer erfolgreichen Sozialisation. Wie Erfahrungen bzw. Lernprozesse die
Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten hinsichtlich <a href="https://flexikon.doccheck.com/de/Impulskontrolle" target="_blank">Impulskontrolle</a> (siehe
Kapitel 5.2.2) und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie)">Resilienz</a> (siehe Kapitel 5.2.3) formen, erläutert der
<a href="https://www.wikiwand.com/de/Neurowissenschaften" target="_blank">Neurowissenschaftler</a> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Roth_(Biologe)">Gerhard Roth</a> in einem bemerkenswerten Artikel.(7) </div><div> </div><div> </div><div><div><b>5.2.1 Ambivalenzkonflikte und Delay Discounting</b></div><div><br />In
Entscheidungssituationen bestehen oftmals gleichzeitig vorliegende und
sich widersprechende Gedanken, Wünsche und Gefühle, die als Spannung und
Zerrissenheit empfundene innere Konflikte bewirken (in der Psychologie
als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ambivalenz">Ambivalenzkonflikte</a>
bezeichnet). Menschen, deren Persönlichkeitsentwicklung belastbare
exekutive Funktionen (interne Kontrollprozesse) ausprägen konnten, sind
in der Lage, solche Situationen zu ertragen und Konflikte zu lösen.
Weniger reife Persönlichkeiten sind in ihrer Entscheidung gehemmt und
empfinden derartige Situationen als Dilemma ohne situationsgerechten
Ausweg. <br /> </div><div>Das psychologische Modell des Delay Discounting
(Abwertung zeitlich verzögerter Belohnungen) betrifft den speziellen
Fall von Entscheidungen zwischen zeitlich auseinanderliegenden
Belohnungen vom Typ <i>Spatz in der Hand oder Taube auf dem Dach</i>.
Derartige Entscheidungen erfordern Abwägungen zwischen kurzfristigen
kleinen Belohnungen versus langfristig größere Vorteile versprechendes
Verhalten unter Verzicht auf kurzfristig verfügbare kleine Belohnungen.
Während die zeitnahe kleine Belohnung garantiert ist, enthält die
zeitlich entferntere Zukunft immer Unsicherheiten. Z.B. verschafft eine
Pizza sofort Genuss, aber der Genuss unterläuft langfristige Bemühungen
um Gewichtsreduzierung, Gesundheit, schlanke Figur, Sparsamkeit etc.,
deren Erreichbarkeit nicht garantiert ist. <br /> </div><div>Delay
Discounting verdeutlicht Auswirkungen unterentwickelter exekutiver
Funktion und macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass Entscheidungen
und Verhaltensmuster nicht alleine auf rationalen Bewertungen beruhen,
sondern im Fall zeitlicher Verzögerung von der nicht bewusst
kontrollierbaren Konkurrenz zwischen Hirnsystemen des <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4frontaler_Cortex">präfrontalen Cortex</a> und des <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Limbisches_System">limbischen Systems</a>
beeinflusst sind. </div><ul style="text-align: left;"><li>Präfrontale Hirnstrukturen bewerten Bedingungen für
eine situationsangemessene Handlungssteuerung und regulieren emotionale
Prozesse. </li><li>Das limbische System steuert unter Beteiligung anderer
Hirnregionen insbesondere Emotionen sowie das Triebverhalten und
arbeitet nach dem Prinzip der Maximierung von Lust und Minimierung von
Schmerz. </li></ul><div>Bei Entscheidungen zwischen zeitlich auseinanderliegenden
Belohnungen bewirken Konflikte zwischen den beiden Hirnregionen eine
stärkere neuronale Aktivierung von Hirnregionen des limbischen Systems,
wodurch rationale Erwägungen des präfrontalen Cortex eine Abwertung
erfahren und sich triebhaftes Verhalten oftmals durchsetzen kann.(8)
Delay Discounting macht verständlich, weshalb in
wohlhabenden Ländern trotz besseren Wissens Bewegungsarmut und
unvernünftiges Ernährungsverhalten verbreitet sind und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zivilisationskrankheit" target="_blank">Zivilisationskrankheiten</a> ausbreiten. </div><div> </div><div><br /></div><div><b>5.2.2 Selbstregulation und Selbstkontrolle<br /></b></div><div><br />Aus
der Falle des Delay Discounting ist Entkommen möglich. Um langfristig
individuellen Erfolg zu ernten, müssen Menschen lernen, dass Erfolg in
der Zukunft ausdauerndes Engagement verlangt und erst Verzicht auf
sofort und anstrengungslos zu erhaltende kleine Belohnungen in der
Zukunft größere Belohnungen ermöglicht. Anders gesagt: Um das eigene
Leben in den Griff zu bekommen und nachhaltige Zufriedenheit zu
erreichen, müssen Menschen ihre exekutiven Funktionen entwickeln. In oft
mit Unlust und Anstrengung verbundenen Lernprozessen der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialisation">Sozialisation</a> entwickeln Menschen Fähigkeiten der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstregulation_(Psychologie)">Selbstregulation</a> durch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Selbstkontrolle" target="_blank">Selbstkontrolle</a> bzw. der <a href="https://flexikon.doccheck.com/de/Impulskontrolle" target="_blank">Impulskontrolle</a>, des <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Belohnungsaufschub">Gratifikationsaufschubs</a> und der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstmotivation">Selbstmotivation</a>,
die sich erst längerfristig als Kompetenzen einer erfolgreichen
Sozialisation und Lebensbewältigung bewähren.(9) <br /><br />Gewöhnlich bewirkt die Höhe
der Anstrengung, die für das Erreichen einer Belohnung erforderlich ist,
eine Steigerung des Wertes einer Belohnung. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Verkaufspsychologie">Verkaufspsychologie</a> und <a href="https://lexikon.stangl.eu/19225/verhaltensoekonomik">Verhaltensökonomik</a>
zeigen jedoch auch, dass kostenlose Angebote Impulskontrolle,
Selbstregulation und rationales Denken reduzieren oder ausschalten.(10)<b> </b><br /></div><div><br /></div><div><br /></div><div><b>5.2.3 Resilienz und Vulnerabilität</b>(11)</div><div> </div><div>Das Konzept der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie)">Resilienz</a> beruht als Erklärungsmodell der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Differentielle_und_Pers%C3%B6nlichkeitspsychologie">Persönlichkeitspsychologie</a> auf der Beobachtung, dass psychische Verwundbarkeit (<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Vulnerabilit%C3%A4t">Vulnerabilität</a>)
sowie psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Menschen
individuell unterschiedlich ausgeprägt sind und die Stärke der Ausprägung
sowie Strategien der Krisenbewältigung durch eine Reihe von
Einflussfaktoren bestimmt werden, die das <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_(Psychologie)">Big-Five-Modell</a>
beschreibt. Resiliente Menschen haben gelernt, dass sie selbst ihr
eigenes Schicksal bestimmen. Sie haben ein realistisches Bild ihrer
Fähigkeiten, hoffen nicht auf Glück oder Zufall und nehmen Dinge selbst
in die Hand. Resiliente Menschen bewältigen Krisen nicht nur leichter
als andere Menschen, sondern sie nutzen Krisen als Anstoß für
Entwicklungen ihrer Persönlichkeit. <br /></div> </div></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>5.3 </b><b>Selbstmotivation und </b><b>intrinsische Belohnungen</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Stoffwechselprozesse und ihre Interaktionen mit Auslösern und mentalen
Zuständen sind zwar noch nicht vollständig entschlüsselt, aber
Wissenschaften erkennen Zusammenhänge zwischen Aktivitäten, Stoffwechselprozessen, beteiligten neuronalen Strukturen und beginnen zu verstehen, wie Stoffwechselprozesse Einfluss auf
das Gefühlsleben nehmen. Für die biologische Erklärung von Empfindungen wie Freude, Lust, Motivation hat im Gehirn von Wirbeltieren das <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Mesolimbisches_System">mesolimbische System</a> zentrale Bedeutung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Stoffwechselprozesse erzeugen temporäre mentale
Zustände zunächst situationsspezifisch. Wer sich z.B. in Tätigkeiten vertieft, die gerne und mit
Kompetenz betrieben werden, provoziert Ausschüttungen von Botenstoffen
wie <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Serotonin">Serotonin</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Dopamin">Dopamin</a>, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Adrenalin">Adrenalin</a> und <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Noradrenalin">Noradrenalin</a>,
die als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gl%C3%BCckshormone" target="_blank">Glückshormone</a> gelten, weil sie vorübergehend als belohnend
empfundene mentale Zustände evozieren. Über Zeit betrachtet wird
das weitreichende Potential dieser Prozesse verständlich. Sie wirken
nämlich nicht nur temporär auf Verhalten und Empfinden von Menschen ein,
sondern sie verfestigen neuronale Strukturen, erzeugen Motivation und wirken formend, modellierend, verändernd
auf das als individuelle <i>Persönlichkeit</i> umschriebene Konstrukt ein.(12) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wenn sich Denkmuster und Verhaltensweisen unter dem Einfluss interner Belohnungssysteme zu Gewohnheiten entwickeln,
verändern und verfestigen sich kognitive und neuronale
Strukturen und prägen Verhaltensmuster. Die Erzeugung oder Veränderung von Verhaltensmustern geschieht überwiegend relativ mühelos durch Nachahmung. Mehr Mühe und Anstrengung erfordern in expliziten Lernprozessen neu anzueignende oder zu verändernde Verhaltensmuster. Besondere Mühe erfordert die Umprogrammierung von Verhaltensmustern des Lebensstils, die nur mit großer Mühe und
starker Selbstdisziplin gelingt, wenn über Fähigkeiten der Selbstregulation und der Resilienz in ausreichender Qualität verfügt wird, um Quellen intrinsischer Belohnung zu erschließen. Dieser Sachverhalt macht verständlich, weshalb es zahlreichen Menschen trotz besseren Wissens nicht gelingt, Verhaltensweisen eines ungesunden Lebensstils zu ändern. <br /> <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>5.3.1. Glückshormone, Motivation, Hedonismus, Ethik </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gl%C3%BCckshormone" target="_blank">Glückshormone</a> bezeichnete biochemische Botenstoffe metabolischer Prozesse erzeugen mentale Zustände, die als belohnend empfunden werden. Glückshormone aktivieren Verhaltensdispositionen, die der Begriff <a href="https://www.wikiwand.com/de/Motivation" target="_blank">Motivation</a> umschreibt und sind Treiber <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hedonismus" target="_blank">hedonistischer</a> Handlungsprinzipien. In <i>Kulturen</i> ausgeprägte ethische Handlungsprinzipien verhindern ungehemmten Hedonismus, indem sie durch kulturelle Symbolsysteme vermittelte reglementierende Normen exekutiver Verhaltenskontrolle verbindlich machen. Quantität und Qualität des normativ regulierten Hedonismus und der vorgeschriebenen Verhaltenskontrolle variieren kulturspezifisch und provozieren daher interkulturelle Missverständnisse und Unverständnisse, wie wir sie in Diskussionen über Migrantenpolitik und Integrationsprobleme täglich erleben.<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>5.3.2 <i>Flow</i></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Flow_(Psychologie)" target="_blank">Flow</a></i> ist ein psychologisches Modell eines mentalen Grenzzustands zwischen bewusstem und unbewusstem Erleben, das spezielle Prozesse und positiv emotionale Phänomene <a href="https://www.wikiwand.com/de/Motivation#Intrinsische_Quellen" target="_blank">intrinsischer Motivation</a> erklärt.(13,14,15) <span class="topline">Intrinsische Belohnungen werden als Wechselwirkungen zwischen
psychologischen und </span><span class="topline">neurophysiologischen
Prozesse aufgefasst. </span>Neurobiologische Mechanismen von <i>Flow</i>-Erlebnissen und beteiligte Botenstoffe sind nicht
abschließend geklärt.</div> </div><div style="text-align: left;">Sozialpsychologe Johannes Keller identifiziert 5 Elemente der Entstehung von <i>Flow</i> (Uni-Ulm: <a href="https://www.uni-ulm.de/in/psy-soz/forschung/forschung/flow-erleben/" target="_blank">Flow-Erleben</a>):<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>verändertes Zeiterleben (Einschränkung oder Verlust des Zeitgefühls), <br /></li><li>Kontrollerleben (das Gefühl, den Ablauf der Tätigkeit unter Kontrolle zu haben),</li><li>intrinsische Motivation, </li><li>hohe Konzentration (eine Art Tunnelblick),</li><li>stark reduzierte Selbstaufmerksamkeit (die sich nachteilig auswirken kann).<br /></li></ul><div style="text-align: left;"><div><i>Flow</i>
ist <u>nicht</u> identisch mit euphorischen Zuständen, die ausgeschüttete
körpereigene Opiate auslösen. Vermutlich können insbesondere körpereigene <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neurotransmitter">Neurotransmitter</a> wie <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Cannabinoide#Endocannabinoide">Endocannabinoide</a> Menschen in rauschhafte Zustände versetzen, das Wohlbefinden
steigern und Schmerzempfindlichkeit sowie Ängstlichkeit reduzieren. Strittig ist, ob <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Endorphine">Endorphine</a> (körpereigene <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Opioidpeptid">Opioidpeptide</a>, die in der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Hypophyse">Hypophyse</a> und im <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Hypothalamus">Hypothalamus</a>
von Wirbeltieren produziert werden) zu den Hauptverdächtigen zählen,
weil Endorphine vor allem Schmerzen unterdrücken und damit
Extremsituationen erträglicher machen.</div></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bedingungen für das Auftreten von <i>Flow</i>: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Hohe intrinsische Motivation,</li><li>bei der Tätigkeit vermischen sich Inhalte einer Aufgabe (was zu tun ist) mit dem Prozess der Aufgabe (wie es zu tun ist),</li><li>Aufgaben werden um ihrer selbst willen bewältigt, ohne eine externe Belohnung oder Bestrafung zu erwarten, <br /></li><li><span class="topline">die Tätigkeit erzeugt maximale </span><span class="topline">intrinsische
Belohnung. </span></li></ul><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span class="topline">Maximale </span><span class="topline">intrinsische
Belohnung </span><span class="topline">wird erzielt, wenn Anspruchsniveau einer Aufgabe und
Fähigkeitsniveau einer Person ohne körperliche oder mentale Unter- oder
Überforderung so zueinander passen, dass in einem relativ schmalen
Fenster der Passung ein Gleichgewicht zwischen Anforderung der Aufgabe
und Kompetenz der Person entsteht. </span><span class="topline"></span><span class="topline">In diesem Gleichgewichtszustand entsteht <i>Flow</i> als Belohnung des intrinsischen Motivationssystems.</span><span class="topline"> </span></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die
Belohnung der Aufgabenbewältigung besteht im Erreichen eines als
angenehm, beglückend oder auch als tranceartig bis rauschhaft
empfundenen mentalen
Zustands völliger Vertiefung und Weltvergessenheit, bei der Akteure
völlig in ihrer Aufgabe aufgehen und die Tätigkeit scheinbar mühelos wie
ein Automatismus abläuft. <span class="topline"></span>An der Entstehung
tranceartiger Zustände scheinen neben Art und Stärke von Anforderungen Entspannung und gleichbleibende rhythmische Bewegungen beteiligt zu sein.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Das Erlebnis von <i>Flow</i>-Zuständen bedingt klare Zielsetzungen, volle
Konzentration auf das Tun, Harmonie und Kontrolle von Anforderung und Fähigkeit jenseits von Angst oder
Langeweile. </span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Scheinbare Mühelosigkeit bewirkt ‚Weltvergessenheit’, in der
Gefühle für Zeit und Raum oder für Bedürfnisse wie Essen und Trinken
vorübergehend suspendiert sind und Erschöpfung oder Schmerzen nicht
wahrgenommen werden. </span>Das Modell macht verständlich, warum Menschen
Freude empfinden, wenn sie Tätigkeiten ausüben, denen Dritte nichts abgewinnen können oder die sie als unnötig, überflüssig, scheinbar sinnlos werten. <span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><i>Flow</i>-Erlebnisse
können bei vielen Tätigkeiten
auftreten, wenn sie dank Kompetenz beherrscht werden sowie freiwillig und gerne (mit Autonomie) ausgeübt werden:</span>
</div><ul><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Kreative Tätigkeiten (Musizieren, Malen, Schauspielen, Tanzen, Basteln, Handarbeit, Editieren von Texten, Fotos, Filmen etc.)</span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Spielerische Tätigkeiten (Brettspiele, Kartenspiele, Computer-Spiele, Ballspiele etc.) </span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Ausübung
von Hobbys (Gartenarbeit, Modelleisenbahn, Briefmarkensammeln bzw.
Sammeln generell etc.), die genannte kreative Tätigkeiten umfassen
können <br /></span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Ausdauer-Sport
(Laufen, Wandern, Bergsteigen, Klettern, Segeln, Surfen, Skifahren,
Radfahren, Tanz, Kanu/Kajak, Rudern, Schwimmen, Tauchen etc.)</span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Meditation, Yoga, autogene Übungen etc. </span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Eintauchen in Großveranstaltungen von Konzerten, Sport-Events, Demos etc.</span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Teilnahme an religiösen Riten wie Messen, Gottesdienste, Prozessionen etc. </span></li><li><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">selbst </span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">berufliche Aufgaben können bei geeigneten Bedingungen <i>Flow</i>-Erlebnisse vermitteln, wenn sie nicht als fremdbestimmt empfunden werden (z.B. im Rahmen persönlich motivierender Projekte)</span></li></ul><div style="text-align: left;"><div><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">An allen Formen von Leben sind steuernde molekulare
</span></span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">biochemische Prozesse beteiligt. </span></span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">Ohne diese Prozesse ist keine Art von Leben möglich. Wissenschaftlich strittig ist, ob Leben vollständig durch Materie und </span></span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">molekulare
</span></span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">biochemische
Prozesse erklärt werden kann (Monismus) oder ob die Erklärung von Leben
eine weitere geistige Substanz erfordert (Dualismus). Auf diese Fragen geht </span></span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;">Kapitel 4 ein.</span></span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"> Zusätzlich wirken Umwelt- bzw.
Lebensbedingungen als <i>Kultur</i> auf kognitive Strukturen und auf organische Prozesse
ein. Zusammenhänge zwischen mess- und
darstellbaren
Stoffwechselprozessen auf der Molekularebene einerseits sowie mentalen
Zuständen des individuellen
<i>Bewusstseins</i> andererseits bilden unter dem Einfluss von <i>Kultur</i> ein komplexes, schwer durchschaubares Bedingungsgeflecht.</span></span></div><div><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"> </span></span></div><div><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"> </span></span></div><div><b><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">5.4 Produktion von Bedürfnissen und von hedonistischem Glück </span></b></div><div><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></span></div><div><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Unbewusste
biochemische Prozesse, die als emotionale und
motivationale Impulse wahrgenommen werden, steuern Aktivierung und
Sättigung von Bedürfnissen. Bedürfnisse resultieren nicht allein aus
unmittelbaren Lebensanforderungen, wie sie Ernährung, biologische
Reproduktion, soziale Selektion, Kooperationsanforderungen
etc. darstellen. Zusätzlich wirken kognitive Fähigkeiten, Kommunikation
und Interaktion modellierend auf Bedürfnisse ein und ermöglichen
Plastizität von
Bedürfnissen.</span><br />
<span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><br /></span>
<span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif">Die Koppelung elementarer neurophysiologischer
Mechanismen mit kognitiven Strukturen weist deutlich über individuelle Befindlichkeiten hinaus. Sie bildet
die Voraussetzung für die Entwicklung kultureller Lebensräume und lässt
Systeme entstehen, die ihre Dynamik aus selbst kreierten Bedürfnissen
speist. Hedonistisches Glücksstreben treibt marktwirtschaftlich
organisierte Kulturen an, in denen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Marketing">Marketing</a> und Werbung Gegenstände
(Objekte, Symbole und Aktivitäten) des Konsums mit Glücksattributen oder
Glücksversprechen ausstattet. Ein hoher Anteil zirkulierender Waren
und Dienstleistungen dient der
Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse gegen Geld. Ob Menschen
durch Konsum tatsächlich glücklich werden, wie lange dieses Glück ggf.
anhält und welcher Preis dafür zu zahlen ist, sind keine verbotenen, aber offenbar eher irrelevante Fragen. </span><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"> </span></span></div><div><span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></span></div></div></div></div><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/anlage-umwelt-diskussion/3670" target="_blank">Anlage-Umwelt-Diskussion</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Umwelt#Anlage-Umwelt-Interaktion" target="_blank">Anlage-Umwelt-Interaktion</a></li><li>Landeszentrale für politische Bildung: <a href="https://www.lpb-bw.de/fileadmin/Abteilung_III/jugend/pdf/ws_beteiligung_dings/2017/ws6_17/intrinsische_extrinsische_motivation.pdf">Intrinsische und extrinsische Motivation</a> (PDF) <br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Motivation#Varianten_der_intrinsischen_Motivation">Varianten der intrinsischen Motivation</a><br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Exekutive_Funktionen">Exekutive Funktionen</a> </li><li>Am <a href="https://www.znl-ulm.de/">TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen Ulm</a>
und ähnlichen Einrichtungen durchgeführte wissenschaftliche Studien
zeigen, dass exekutive Funktionen nicht nur kognitiv entwickelt und
trainiert werden, sondern in jeder Lebensphase auch von körperlicher
Aktivität profitieren.<br /><ul><li>Zeitschrift Sportwissenschaft 2009, Sabine Kubesch, Laura Walk:
<a href="https://www.km-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Dienststellen/lis-in-bw/pdf/Kubesch_Walk_2009_Sportwissenschaft.pdf">Körperliches und kognitives Training exekutiver Funktionen in Kindergarten und Schule</a> (PDF) </li><li>Zeitschrift für Erwachsenenbildung 2011, Laura Walk: <a href="https://www.die-bonn.de/zeitschrift/12011/walk1001.pdf">Bewegung formt das Gehirn</a> (PDF)</li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/studie-der-uniklinik-ulm-laufen-macht-schlau-und-verbessert-die-stimmung-1548687.html">Laufen macht schlau und verbessert die Stimmung</a></li><li>Dissertation Sanna Stroth am Universitätsklinikum Ulm 2009: <a href="https://oparu.uni-ulm.de/xmlui/bitstream/handle/123456789/1994/vts_7022_9802.pdf?sequence=1&isAllowed=y">Einfluss
eines Ausdauerlauftrainings auf exekutive Funktionen und deren
hirnelektrische Korrelate unter Berücksichtigung eines genetischen
Polymorphismus</a> (PDF) </li></ul></li><li>Vortrag Gerhard Roth im Portal <a href="https://www.dasgehirn.info/">Das Gehirn</a>: <a href="https://www.dasgehirn.info/entdecken/grosse-fragen/wie-das-gehirn-die-seele-formt">Wie das Gehirn die Seele formt</a> <br /></li><li>Corinna Nüsser, TU Dresden: <a href="https://tud.qucosa.de/landing-page/?tx_dlf%5Bid%5D=https%3A%2F%2Ftud.qucosa.de%2Fapi%2Fqucosa%253A25073%2Fmets">Neuronale Korrelate von Delay Discounting</a> <br /></li><li>Prozesse der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Internalisierung_(Sozialwissenschaften)">Internalisierung</a> verhelfen zur
Aneignung und Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte, Sitten, Normen,
sozialer Rollen, die im Sozialisationsprozess inkl. konnotierter Fähigkeiten erlernt werden.
Internalisierung vermittelt den kulturell geprägten Rahmen des
Verhaltens individueller Persönlichkeiten. Lebensläufe von Menschen, in
deren Sozialisation sich diese Fähigkeiten nicht ausreichend entwickeln
konnten, verlaufen weniger erfolgreich oder prekär. <br /></li><li>Das als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Zero-Price-Effekt">Zero-Preis-Effekt</a> bekannte Phänomen nutzen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Marketing">Marketing</a> und auch
vermeintlich kostenlose <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Social_Media">Social Media</a>, was Nutzer letztlich teuer
bezahlen. Ein ähnliches Phänomen besteht bei frei zugänglichen
<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentliches_Gut">öffentlichen Gütern</a>, deren Qualität und Verfügbarkeit potentiell vom
<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Trittbrettfahrerproblem">Trittbrettfahrerproblem</a> und von der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Tragik_der_Allmende">Tragik der Almende</a> bedroht sind.
Unkontrollierte Nutzung scheinbar kostenlos vorhandener Natur führt zu
Naturverlusten, die uns alle teuer zu stehen kommt. - FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/was-nichts-kostet-kann-nicht-viel-wert-sein-16433320.html">Was nichts kostet, kann nicht viel Wert sein?</a></li><li>Übersichtsartikel Wikipedia:<br /><ul><li> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Differentielle_und_Pers%C3%B6nlichkeitspsychologie">Persönlichkeitspychologie</a></li><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie)">Resilienz</a></li><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_(Psychologie)">Big-Five-Modell</a></li><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Vulnerabilit%C3%A4t">Vulnerabilität</a></li></ul></li><li>Quellen zum Thema Persönlichkeit:<br /><ul><li>Dorsch, Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/persoenlichkeit">Persönlichkeit</a></li><li>Spektrum, Lexikon der Psychologie: <a href="https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/persoenlichkeit/11379">Persönlichkeit</a></li><li>Springer Lehrbuch Psychologie: <a href="https://lehrbuch-psychologie.springer.com/psychologie-der-pers%C3%B6nlichkeit">Sechs Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pers%C3%B6nlichkeit">Persönlichkeit</a></li></ul></li><li>Den Begriff für das zuvor bereits bekannte Phänomen und die
<i>Flow</i>-Theorie prägte der in den USA lehrende ungarische Psychologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mih%C3%A1ly_Cs%C3%ADkszentmih%C3%A1lyi" target="_blank">Mihály Csíkszentmihályi</a>.</li><li>Quellen zum Thema <i>Flow</i>-Theorie:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Motivation">Motivation</a> - <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Flow_%28Psychologie%29">Flow (Psychologie)</a></li><li>Biologie-Seite: <a href="https://www.biologie-seite.de/Biologie/Flow_(Psychologie)">Flow (Psychologie)</a> </li><li>Dorsch Lexikon der Psychologie: <a href="https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/flow-theorie-csikszentmihalyi" target="_blank">Flow-Theorie (Csikszentmihalyi)</a> </li><li>Lernpsychologie: <a href="https://laufglueck.blogspot.com/2021/02/die sehr aufwendige Therapie der genetisch veränderten Stammzellen bei Peter einen Durchbruch erzielt">Intrinsische Motivation</a></li><li>Stangl Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik: <a href="https://lexikon.stangl.eu/303/flow/">Flow</a></li><li>WPGS: <a href="https://wpgs.de/fachtexte/flow-erleben/" target="_blank">Flow erleben: Theorie von Csikszentmihalyi </a> </li></ul></li><li>Zwei Posts beschreiben das <i>Flow</i>-Phänomen in anderen Kontexten:<br /><ul><li>Laufglück oder Laufsucht? - <a href="https://laufglueck.blogspot.com/2021/02/laufgluck-oder-laufsucht-teil-1-wie.html" target="_blank">Teil
1: Wie es begann: Kurze Geschichte menschlicher Bewegung bis zum Sport
der Gegenwart in Kapitel 5.3.5: Flow als mentaler Zustand</a></li><li>Nachgefragt: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2018/04/was-ist-gluck-und-was-macht-menschen.html" target="_blank">Was ist Glück und was macht Menschen glücklich?</a>, Kapitel 1.2.3 und 2.3<br /></li></ul></li></ol> <br /></div><span class="topline"></span></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>6 Wolfgang Prinz und das Rätsel <i>Bewusstsein</i> </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Kognitionswissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wolfgang_Prinz" target="_blank">Wolfgang Prinz</a> unternimmt den kühnen Versuch, das Rätsel des <i>Bewusstseins</i> durch Nachfragen einzukreisen und Antworten auf Fragen nach der Erklärung von <i>Bewusstsein</i> zu formulieren:(1,2) <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Wie gelangt Subjektivität in ein subjektloses Universum?</li><li>Was müssen Erklärungen von <i>Bewusstsein</i> leisten?</li><li>Wie entsteht individuelles <i>Bewusstsein</i>?<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.1 Wie gelangt Subjektivität in ein subjektloses Universum?</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_(Ontologie)" target="_blank">Physikalistische</a> Perspektiven betrachtet <i>Bewusstsein</i>
als eine Eigenschaft von Materie, die man Lebewesen zuschreibt, ohne
jedoch anzunehmen, dass diese Eigenschaft tatsächlich als Gegenstand
objektiver Wissenschaft existiert, weshalb sie als Gegenstand von
Wissenschaft ausscheidet. Wer <i>Bewusstsein</i> als Gegenstand wissenschaftlicher Erklärung ernst nimmt, trifft auf das <i><a href="https://de.wikibrief.org/wiki/Hard_problem_of_consciousness" target="_blank">harte bzw. schwierige Problem des Bewusstsein</a></i>.(Siehe 1.1)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.2 <i>Bewusstsein</i> definieren</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Eine Erklärung von <i>Bewusstsein</i> muss zunächst den Begriff inhaltlich definieren. Prinz bezieht <i>Bewusstsein</i>
auf einen Zustand bewusster mentaler Inhalte, die wir im Unterschied zu
unbewussten, vorbewussten oder zu nicht bewusstseinsfähigen Inhalten
wahrnehmen und beschreiben können. Mit den Worten von Prinz erzeugen
Gegenstände im Zustand des <i>Bewusstseins</i> eine bewusste
Repräsentanz der Situation und ihres Inhaltes. Wie diese Aussage zu
verstehen ist, erklärt Prinz anhand eines Beispiels:</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Wenn
wir etwa während eines Spaziergangs in ein Gespräch verwickelt sind,
das unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht, ist unsere bewusste
Wahrnehmung auf den Inhalt des Gesprächs und auf die Gesprächssituation
selbst konzentriert. (…) Andere Merkmale der Situation – nämlich die
Szenerie, die wir durchschreiten – nehmen wir mit Bewusstsein nicht zur
Kenntnis. Natürlich kann kein Zweifel darin bestehen, dass diese
Informationen verarbeitet werden, denn andernfalls wäre nicht zu
erklären, dass wir, obwohl ins Gespräch vertieft, voll in der Lage sind,
unsere Schritte umgebungsgerecht zu steuern. Die Verarbeitung erzeugt
aber keine bewusste Repräsentation, die auf das implizit anwesende Ich
bezogen ist.</i></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>563 Was müssen Erklärungen von <i>Bewusstsein</i> leisten?</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Eine Theorie des <i>Bewusstseins</i> muss die Rolle des implizit anwesenden <i>Ich</i>
erklären. Erklärungen dieser Art erfordern Zweierlei: die Spezifikation
von Leistungen (d.h. Nutzen bzw. Vorteile, von denen ein Individuum
durch die ein implizit anwesendes <i>Ich</i> profitiert) sowie die Spezifikation von Mechanismen (d.h. die Art und Weise, in der diese Leistungen erbracht werden). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Da sich das <i>Ich</i>
und dessen Arbeitsweise empirischer Beobachtung entziehen und daher
in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Physikalismus_(Ontologie)" target="_blank">physikalistischen</a> Perspektiven nicht als Gegenstände objektiver
Wissenschaft gelten, beruhen Antworten auf Fragen
nach Leistungen und Mechanismen des <i>Ich</i> auf plausiblen Narrativen,
die erklären, wann in nicht exakt zu spezifizierender Zeit aufgrund welcher Nutzenvorteilen das mentale <i>Ich</i> entstanden ist. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Die Frage nach den Leistungen des <i>Ich</i> wird üblicherweise funktionalistisch mit der Annahme beantwortet, dass <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mensch" target="_blank">Homo sapiens</a> mit der evolutionären Hervorbringung einer solchen Instanz Fitnessvorteile gewinnt. <br /></li><li>Auf Fragen nach der zeitlichen Entstehung des <i>Ich</i>
sind keine belastbaren Antworten möglich, weil menschliche
Frühgeschichte anhand fragmentarischer Fossilien nur unvollständig
rekonstruierbar ist. Es können jedoch Voraussetzungen benannt werden.<ul><li>Als
notwendige Bedingung müssen über einfache Lautartikulierung hinaus
Fähigkeiten zur Abstraktion mittels Zeichensystemen und deren Codierung
in Sprache ausgebildet sein. Der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachursprung" target="_blank">Sprachursprung</a> fällt mangels empirischer Voraussetzungen in einen nicht datierbaren Zeitraum. </li><li>Der Philosoph und Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Georg_Simmel" target="_blank">Georg Simmel</a>
(1858-1918) nimmt an, dass Individualität erst unter Bedingungen
sozialer Differenzierung, also in komplexeren sozialen Gemeinwesen
entsteht und erklärt diesen Zusammenhang in seinem <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Kreis" target="_blank">Modell sozialer Kreise</a>.
In sozial differenzierten Gemeinwesen sind Menschen Angehörige
verschiedener sozialer Kreise (z.B. Familie, Beruf,
Religionsgemeinschaft, Bürger, Käufer, Verkäufer, Verkehrsteilnehmer,
Vereinsmitglied etc.), die unterschiedliche Verhaltensanforderungen
stellen und daher Fähigkeiten zur Übernahme situationsspezifisch
wechselnder und sich mehr oder weniger stark unterscheidender Rollen
erfordern. Innerhalb einer Person gelingt die Integration
unterschiedlicher und möglicherweise auch widersprechender Anforderungen
und Verhaltensmuster mit der Ausbildung von Individualität, durch die
sich das <i>Ich</i> als eine eigene Instanz versteht.<br /></li></ul></li><li>Kapitel 5 beschreibt ein alternatives Erklärungsmodell. Von
Wolfgang Prinz identifizierte erforderliche Mechanismen für die
Entstehung des Ich-Bewusstseins beschreiben die nachfolgenden Kapitel 4.4 und 4.5.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.4 Mechanismen der Entstehung des <i>Ich </i></b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Evolution von <i>Bewusstsein</i> erfordert als Voraussetzung zwei aufeinander aufbauende Entwicklungsschritte, die Prinz als <i>duale Repräsentation</i> und als <i>personale Attribution</i> bezeichnet. </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Als <i>duale Repräsentation</i> definiert Prinz die Fähigkeit zur symbolischen Repräsentation abwesender Sachverhalte mittels Sprache (von Prinz als <i>Vergegenwärtigung</i> bezeichnet), die es ermöglicht, Wahrnehmungen von Situationen von ihrer symbolischen Repräsentation zu trennen. <br /></li><li>Im zweiten Schritt entsteht als <i>personale Attribution</i> die Fähigkeit, selbsterzeugte Vergegenwärtigungen als Kommunikationshandlungen zu interpretieren. </li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.4.1 <i>Duale (symbolische) Repräsentation</i></b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kognitive
Mechanismen der Entstehung bewusster Inhalte beschreiben
Erklärungsmodelle unterschiedlich. Konsens besteht jedoch darüber, dass
hierzu eine Struktur mit mindestens zwei Repräsentationsebenen
vorausgesetzt ist und dazu befähigt, situativ wahrgenommene Inhalte von
gegenwärtig nicht wahrnehmbaren symbolisch repräsentierten sprachlichen
Inhalten zu unterscheiden und funktional getrennt parallel zu
verarbeiten. </div><div style="text-align: left;"><i><br /></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Die Entwicklung dieser Fähigkeit <i>"(...)
macht eine tiefgreifende Erweiterung der kognitiven
Verarbeitungsarchitektur erforderlich. Erforderlich wird jetzt eine
Architektur, die zwischen Vordergrund- und Hintergrundverarbeitung
unterscheidet und die es erlaubt, vorübergehend vergegenwärtigte
Information im Vordergrund zu verarbeiten und gleichzeitig im
Hintergrund die Verarbeitung der aktuellen Wahrnehmungsinformation
fortzusetzen – jedenfalls so weit, dass elementare Grundfunktionen
intakt bleiben, wie z. B. die Bewegungssteuerung oder auch
Orientierungsreaktionen, mit denen der Organismus auf überraschende
Reize reagiert."</i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.4.2 <i>Personale Attribution</i></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Auf
der Basis einer dualen Repräsentationsarchitektur entwickelt sich als
Erweiterung die Fähigkeit, sprachliche Inhalte nicht nur von außen
(extrinsisch) zu empfangen, sondern auch von innen (intrinsisch) als
Gedanken, Erinnerung, Phantasien symbolisch zu repräsentieren. Während
von außen angestoßene sprachliche Mitteilungen im Rahmen wahrgenommener
Kommunikationshandlungen ausgetauscht werden, sind intern erzeugte
Gedanken nicht notwendig mit Kommunikationshandlungen verknüpft. Mit
diesem Sachverhalt entsteht das Attribuierungsproblem der Erklärung
einer Instanz, die Gedanken erzeugt und diese mit wahrgenommenen
Situationen verknüpft. Prinz identifiziert zwei Lösungsoptionen des
Attribuierungsproblems:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Gedanken
werden als Stimmen personaler Autoritäten aufgefasst (Götter, Priester,
Könige, Ahnen, Geister etc.), die in der Situation vermeintlich
unsichtbar anwesend sind und zum Akteur sprechen.</li><li>Gedanken sind Stimmen des <i>eigenen Ich</i>, das als eine eigenständige personale Instanz wahrgenommen wird.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Evolutionsgeschichtlich
ist anzunehmen, dass die erste Lösung älter ist. Wann und wie der
Übergang zur zweiten Lösung stattfand, ist nur spekulativ erklärbar.
Eine solche Spekulation entwickelte der US-amerikanische Psychologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Julian_Jaynes" target="_blank">Julian Jaynes</a> (1920-1997), dessen Theorie das Kapitel 1.5 betrachtet.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.5 Schlussfolgerungen des Erklärungsmodells</b><br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>6.5.1 Politische Implikationen </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aus den beiden Lösungen des Problems personaler Attribution resultieren unterschiedliche politische Implikationen: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Soziale
Gemeinschaften, in denen Verhalten aus Stimmen weltlicher oder
überweltlicher personaler Autoritäten abgeleitet wird, bringen Eliten
hervor, die für sich die Rolle natürlicher Autoritäten in Anspruch
nehmen und daraus die Legitimation von Herrschaft beziehen. </li><li>Wenn das<i> Ich</i>
zur personalen Autorität wird, verlieren autoritäre Konstruktionen von
Göttern und Eliten ihre Legitimation und werden von Organisationsformen
abgelöst, die Quellen des Handelns als moralische Prinzipien in Akteuren
verankern. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.5.2 Psychologische Implikationen </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Prinz deutet das <i>Ich</i> als eine Erfindung zur Lösung des Attribuierungsproblems. Nachdem das <i>Ich</i>
konstituiert ist, manifestiert es sich in mentalen Prozessen als
Bewusstsein seiner selbst. Erst mit der Entwicklung eines Ich-Konzepts
verstehen sich Individuen als Personen mit kohärenter Biografie. Wenn
das <i>Ich</i> erst einmal als personale Quelle konstituiert ist, nimmt
es über Zeit und Raum hinweg als vermeintlich identische Autorität an
sozialen Situationen teil. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aus diesem Szenario folgt als Konsequenz, dass das <i>Ich</i>
keine fundamentale mentale Instanz ist, als das es Menschen
vermeintlich wahrnehmen und wertschätzen, sondern ein in Lernprozessen
gebildeter und in sozialen Interaktionen geformter mentaler Inhalt. Das <i>Ich</i> agiert jedoch wie eine mentale Instanz, die in sozialen Interaktionen mentale Inhalte erzeugt. Das <i>Ich</i> entsteht als ein kulturell
geprägtes soziales Konstrukt! Die soziale und kulturelle Umwelt eines
Individuums bestimmen vermutlich nicht absolut, aber mit dominanten
Anteilen, welches <i>Ich</i> ein Individuum ausprägt. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>6.5.3 Soziale Implikationen </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> In kulturell modellierten Prozessen des sozialen Austausch wird das subjektive <i>Ich</i>
durch Zuweisung ich-förmiger mentaler Strukturen mittels
Fremdzuschreibung und Selbstzuschreibung erzeugt (was <a href="https://www.wikiwand.com/de/Georg_Simmel" target="_blank">Georg Simmel</a>
weniger eloquent, aber leichter verständlich mit anderen Worten ähnlich
beschreibt). Modellierende Ergänzungen und Erweiterungen erfahren die
Rolle und der Status von Bewusstsein durch wissenschaftliche Reflexion.
Aus diesen Überlegungen folgt: <br /></div><div style="text-align: left;"><i><span> </span></i></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Die Ich-Förmigkeit unserer mentalen Organisation </i>(ist)<i>
kein Naturphänomen (...), sondern ein kulturelles Artefakt, das in
Attributionsprozessen konstituiert wird. (...) Einheitlichkeit und
Konsistenz des Ich sind keine natürliche Notwendigkeit, sondern eine
kulturelle Üblichkeit</i>." <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Vor
diesem Hintergrund sind nicht normgerechte Ich-Konstruktionen
psychischer Erkrankungen als Ich-Konstruktionen zu verstehen, die, aus
welchem Grund auch immer, den kulturell normalen Weg der
Ich-Konstitution nicht gefunden haben: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>(Schizophrene) <i>"Wahnpatienten
leiden darunter, dass ihnen das genormte Attributionsschema nicht zur
Verfügung steht, welches die Quellen der Gedanken im Ich lokalisiert.
Deshalb sind sie darauf angewiesen, den Ursprung ihrer Gedanken,
Vorstellungen und Wünsche auf andere Weise zu erklären. Sie führen sie
dann auf personale Quellen zurück, die unsichtbar anwesend sind – wie
Angehörige, Ärzte, berühmte Personen oder Außerirdische. Oft
konstruieren sie auch Wirkungsmechanismen, die plausibel machen, wie die
von diesen Quellen ausgehenden Gedanken übertragen werden, etwa durch
Stimmen oder Bilder, die über Strahlen oder Drähte weitergeleitet
werden, neuerdings auch oft über Telefone, Funkgeräte oder Computer."</i></li><li>Während Wahnpatienten das <i>Ich</i>
fehlt, haben multiple Persönlichkeiten mehrere unabhängige
Persönlichkeiten gebildet, von denen jede ein Eigenleben führt, sodass
sich die Persönlichkeit aufspaltet. <i><br /></i></li></ul></div><div style="text-align: left;">Abschließend betrachtet Wolfang Prinz die Frage, <i>"ob und wie weit andere Lebewesen als Menschen</i><i>
über ichförmige mentale Organisation und Bewusstsein verfügen und ob es
auch sein kann, dass es Menschen gibt, die nicht darüber verfügen" </i>und kommt zu zwei Ergebnissen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Auch
wenn Menschen z.B. Hunde so behandeln, als seien sie Menschen,
entwickeln Hunde keine ichförmige mentale Organisation, weil ihnen die notwendige Voraussetzung der dualen
Repräsentation fehlt.</li><li>Wenn Menschen ohne soziale Interaktionen
aufwachsen, können sie keine personale Attribution entwickeln, d.h. sie
leben ohne Ich-Bewusstsein.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Wolfgang_Prinz" target="_blank">Wolfgang Prinz</a>, <i>„Wie das Bewusstsein erfunden wurde“</i>, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 2 (2009), <a href="http://www.denkstroeme.de/heft-2/s_49-63_prinz">http://www.denkstroeme.de/heft-2/s_49-63_prinz</a> <br />Aussagen und Zitate des Kapitels 1.3 beziehen sich auf den angegebenen Text und sind teilweise um eigene Anmerkungen ergänzt. <br /></li><li>Eine detaillierte Darstellung unter Berücksichtigung neuerer Veröffentlichungen bietet Wolfgang Prinz' Buch: <i>Bewusstsein erklären</i>, Berlin 2021</li></ol> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7 Julian Jaynes' Theorie der Erfindung des Selbst</b>(1)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Die allgemeine Idee eines 'geteilten
Selbst' (im Gegensatz zu einem 'einheitlichen Selbst') findet Unterstützung durch psychologische und neurologische Studien. <i>Bewusstsein</i> im Sinne von Selbst- oder Ich-Brewusstsein hält der US-amerikanische Psychologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Julian_Jaynes" target="_blank">Julian Jaynes</a>
(1920-1997) für eine rein kulturelle Erfindung aus jüngerer
Zeitgeschichte. Wie sich der evolutionäre Übergang von einem geteilten
Selbst zu einem einheitlichen Selbst vollzogen hat, beschreibt Jaynes in
einem mentalen Modell mit der neurowissenschaftlichen Hypothese einer <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Bikamerale_Psyche" target="_blank">bikameralen Psyche</a></i> (Zweikammernverstand).(2) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der Fachwelt ist dieses Modell umstritten.<a href="https://www.wikiwand.com/de/Wolfgang_Prinz" target="_blank">Wolfgang Prinz</a>
bekennt sich nicht explizit zu diesem Modell, aber er nimmt es ebenso
ernst wie der kanadische Neuroanthropologe und kognitive
Neurowissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/en/Merlin_Donald" target="_blank">Merlin Donald</a> und wie der Philosoph <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Dennett" target="_blank">Daniel Dennett</a>, der als einer der
führenden Vertreter der Philosophie des Geistes gilt. Bemerkenswert ist, dass Jaynes den Zusammenbruch der <i>bikameralen Psyche</i> in einem Zeitraum verortet, der einem als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Achsenzeit" target="_blank"><i>Achsenzeit</i></a> bezeichneten angenommenen Epochenumbruch unmittelbar vorausgeht und als Auslöser dieses Umbruchs aufgefasst werden kann.(3) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.1 Mentales Modell der </b><b><i>bikameraler Psyche</i></b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jaynes rekonstruiert die evolutionäre Entwicklung des menschlichen <i>Bewusstseins</i> anhand der zentralen Hypothese einer <i>bikamerale Psyche</i>, die er als eine hypothetische Vorstufe des menschlichen <i>Bewusstseins</i> im Sinne des <i>Ich-Bewusstseins</i> versteht.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das mentale Modell der <i>bikameralen Psyche</i>
unterscheidet kognitive Funktionen des Gehirns zwischen einem
sprechenden und ausführenden sowie einem zuhörenden und gehorchenden
Teil, die das Verhältnis zwischen <i>Gott</i> (befehlender Teil) und <i>Mensch</i>
(abhängiger Teil) realisieren. In diesem Zustand denken und handeln
Menschen
ähnlich wie Schizophrene und treffen in Situationen keine bewusste
eigene Entscheidungen, sondern halluzinieren die Stimme einer nicht
physisch, aber vermeintlich mental anwesenden Autorität, die
verbindliche Ratschläge oder Befehle erteilt.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>7.2 Annahmen der Entstehung </b><b><i>bikameraler Psyche</i></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jaynes fasst <i>bikamerale Psyche</i>
als Endstadium der Entwicklung von Sprache auf, den Jaynes als
vermeintlichen Epochenwechsel versteht, der vor ca. 9000 Jahren in
Mesopotamien als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neolithische_Revolution" target="_blank">neolithische Revolution</a> den Übergang von Jäger-Sammler-Kleingruppen zu Ackerbau- und Stadtkulturen einleitete.(4)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Bikamerale Psyche </i>versteht
Jaynes als einen funktionalen Mechanismus sozialer Kontrolle, der mit
dem Übergang zu Ackerbau- und Stadtkulturen als göttliche
Kontrollinstanzen religiöser Systeme entstanden ist bzw. diese
kulturelle Entwicklung als <i>bikameraler Zivilisation</i> erst möglich
machte und ihr mittels religiöser Institutionen soziale Stabilität
verschaffte. Jaynes nimmt an, dass in dieser Phase kultureller Evolution
halluzinierte Stimmen von Königen und Göttern das Entstehen und
Funktionieren komplexerer sozialer
Gemeinschaften, in denen nicht mehr jeder jeden kennt, notwendige
Voraussetzungen bildeten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das Aufkommen von Schrift als fixierter Sprache nimmt Jaynes funktional als Resultat <i>bikameralen</i> Denkens an. Komplexe <i>Kulturen </i>erzeugen unter Anonymität Freiheiten von Denk- und Verhaltensweisen, die im Interesse der Persistenz von <i>Kulturen</i>
eingehegt werden müssen. Das Festhalten von zuvor nur gehörten Geboten
und Weisungen und deren Umwandlung in Gesetzen erhöht den
Verbindlichkeitsgrad von Verhaltensnormen.<br /></div> <div style="text-align: left;">Spuren dieser mentalen Struktur identifiziert Jaynes an der Schwelle zur Entstehung menschlichen <i>Bewusstseins</i> bei <a href="https://www.wikiwand.com/de/Homer" target="_blank">Homer</a> in der <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Ilias" target="_blank">Ilias</a></i> sowie im Alten Testament der Bibel. Religion, Hypnose,
Besessenheit, Schizophrenie sowie das Bedürfnis nach externer
Autorität bei Entscheidungsfindungen versteht Jaynes als Relikte
des <i>Zweikammergeistes</i> in der Gegenwart. (Ergänzen ließe sich ein bunter Strauß mentaler Modelle wie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spiritualit%C3%A4t" target="_blank">Spiritualität</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Esoterik" target="_blank">Esoterik</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aberglaube" target="_blank">Aberglaube</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Verschw%C3%B6rungstheorie" target="_blank">Verschwörungstheorien</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Magisches_Denken" target="_blank">magisches Denken</a> etc..)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div> <div style="text-align: left;"><b>7.3 Annahmen der</b><b> Auflösung <i>bikameraler Psyche</i></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Vor ca. 3000 Jahren datiert Jaynes die Auflösung <i>bikameraler Zivilisation</i>, mit der die Entstehung des menschlichen <i>Ich-Bewusstseins</i> einsetzte. Die Abkehr vom <i>Bikameralismus</i> versteht Jaynes als den Beginn der Selbstbeobachtung und des <i>Bewusstseins</i>, wie wir es heute kennen. Das <i>bikamerale</i>
Modell begann zu versagen, weil sich mit zunehmender sozialer Dynamik
und mit ihr sich ausbreitender sozialer Komplexität eine
Zweikammer-Denkweise nicht länger bewährte.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Massenmigrationen
des zweiten Jahrtausends v. Chr. und Interaktionen mit wandernden
Stämmen schufen eine Flut neuer Anforderungen, die im Interesse des
kulturell-sozialen Überlebens flexibleres, kreativeres und schnelleres
Denken verlangte. Ebenso wie sich zuvor <i>Bikameralität</i> als
neurologische Anpassung an soziale Komplexität entwickelte, zwang
kulturelle Notwendigkeit erneut zur Entwicklung neuer Lösungen in Form
von <i>Ich-Bewusstsein</i> und Selbsterkenntnis. <i>Bewusstsein</i> fasst Jaynes nicht als biologische, sondern als kulturelle Evolution auf. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Bedeutung des eigenen <i>Bewusstseins</i> deutet Jaynes im
praktischen Alltag eines Individuums als Nebenrolle und oftmals auch als
Störquelle, wenn es um die routinierte Praktizierung eingeübten
Verhaltens geht. Bei routinierten Tätigkeiten wie Gehen, Schwimmen,
Radfahren, Singen, Musizieren etc. sind Kontrollen des <i>Bewusstseins</i> weitgehend ausgeschaltet, weil sie stören würden. Eingeschaltet ist das <i>Bewusstsein</i> dagegen in Lernprozessen oder bei Konzentration verlangenden anspruchsvollen Aufgaben, die keiner Routine unterliegen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jaynes nimmt an, das <i>Bewusstsein</i>
die Illusion umfassender
Erkenntnis produziert, was insbesondere für das eigene Seelenleben und
Vorstellungen von Kontinuität und Identität des Selbst gilt.
Verständlich macht Jaynes diesen Sachverhalt am Beispiel einer
Taschenlampe, die in einen dunklen Raum gerichtet ist. Ein Betrachter
kann nur Objekte im Lichtkegel der Taschenlampe sehen. Objekte außerhalb
des Lichtkegels sind für das wahrnehmende <i>Bewusstsein</i> nicht lediglich unsichtbar, sondern ohne Vorwissen nicht existent. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jaynes Hauptthese besagt, dass sich die Auflösung <i>bikameraler</i> Strukturen und die Entwicklung des <i>Ich-Bewusstseins</i> zwischen den Jahren 1300 und 700 v. Chr. vor der klassisch-griechischen Hochkultur in den sog. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Dunkle_Jahrhunderte_(Antike)" target="_blank"><i>dunklen Jahrhunderten</i></a> vollzogen haben. Den Übergang macht Jaynes literaturwissenschaftlich an den homerischen Epen <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Ilias" target="_blank">Ilias</a></i> und <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Odyssee" target="_blank">Odyssee</a></i> fest. Helden der <i>Ilias</i>
hatten kein Selbst und erlebten ihre Gedanken, Gefühle, Absichten nicht
als Produkte eines eigenen Ich, sondern als Anweisungen von Göttern.
Dagegen verfügte Odysseus über ein denkendes und handelndes Ich, das
sich an die Stelle von Göttern setzte. Genau diesen Übergang
beschreiben Vorstellungen einer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Achsenzeit" target="_blank"><i>Achsenzeit</i></a>, mit der sich der Post <i>Evolution von Religion im Kontext von Kultur </i>[<b>Link nachtragen! KK</b>] befasst.<i><br /></i></div><div style="text-align: left;"><i><br /></i></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol><li>Soweit nicht anders angemerkt, basiert Kapitel 7 auf folgenden Quellen:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Julian_Jaynes" target="_blank">Julian Jaynes</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bikamerale_Psyche" target="_blank">Bikamerale Psyche </a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstsein</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Denken" target="_blank">Denken</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution_des_Denkens" target="_blank">Evolution des Denkens</a> <br /></li><li>Wolfgang Prinz, <i>„Wie das Bewusstsein erfunden wurde“</i>, a.a.O</li><li>Wolfgang Prinz: <i>Bewusstsein erklären</i>, a.a.O.</li><li>Ingo-Wolf Kittel: <a href="http://www.jean-gebser-gesellschaft.ch/Dokumente/Kittel_Jaynes_2006.pdf" target="_blank">Julian Jaynes: Ein moderner Blick auf die Mutation vom mythischen zum mentalen Bewusstsein</a> (PDF)</li></ul></li><li>Julian Jaynes Society: <a href="https://www.julianjaynes.org/resources/books/ooc/de/" target="_blank">Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der Bikameralen Psyche</a> - Original: The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind. Boston/New York 1976</li><li>Annahmen einer <i>Achsenzeit</i> betrachtet der Post <i>Evolution von Religion im </i><i>Kontext von Kultur </i>[<b>Link nachtragen! KK</b>] im Kapitel 1.4: Umbrüche der <i>Achsenzeit</i></li><li>Zeitliche
Datierung und revolutionärer Charakter dieser Entwicklung sowie
Epochenkonstrukte resultieren aus spekulativen Vorstellungen linearer
kultureller Evolution, die wissenschaftlich vielfach widerlegt sind.</li></ol></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><b>8 Merlin Donalds Theorie kognitiver Evolution</b>(1)<b> <br /></b></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution_des_Denkens#Theorie_des_sozialen_Gehirns" target="_blank">Merlin Donald</a> versteht <i>Bewusstsein </i>
systemisch als Hybridprodukt einer Symbiose von Gehirn (Organ eines
Lebewesens) und <i>Kultur</i> (von Menschen erschaffene Netzwerke von
Artefakten). Vermutlich entstand diese Symbiose als eine Mutationen, die
Veränderungen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pr%C3%A4frontaler_Cortex" target="_blank">präfrontalen Cortex</a> bewirkte und sich aufgrund von 4 Voraussetzungen evolutionär zu dem entwickeln konnte, was als<i> Bewusstsein</i> bezeichnet wird:<ul style="text-align: left;"><li>hohe neuronale Plastizität des Gehirns</li><li>hohe Kapazität des Gedächtnisses</li><li>erweiterte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Exekutive_Funktionen" target="_blank">exekutive Funktionen</a> des Gehirns</li><li>neuartige kognitive Strategie in Form einer Symbiose zwischen
individueller interner Hirnaktivität und kollektiver externer <i>Kultur</i> <br /></li></ul></div>Diese
vier Bedingungen befähigen in einer dynamischen Umwelt zur
Selbstregulation, zielgerichteten Handlungssteuerung, Willensbildung und
Selbstmotivation sowie zum symbolischen Denken und zur kollektiven
Kooperation. Unter diesen Voraussetzungen erschafft kollektives
<i>Bewusstsein</i> <i>Kultur</i>, die ihrerseits <i>Bewusstsein</i> formt. <i>Kultur</i> und
<i>Bewusstsein</i> treiben im Sinne reziproker Co-Evolution die Dynamik sich
selbst erzeugender und verändernder Entwicklungsprozesse von <i>Kultur</i> und
<i>Bewusstsein</i>.(2) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Evolutionäre Entwicklungsprozesse dieser
Fähigkeiten entfalten sich gemäß Merlin Donalds Modell in vier
kulturellen Phasen, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern
ergänzende Erweiterungen darstellen, bei denen Fähigkeiten früherer
Phasen erhalten bleiben und neben neu hervorgebrachten Fähigkeiten
weiter bestehen und relevant bleiben:</div><ol style="text-align: left;"><li>Die lt. Donald vor 5 Millionen Jahren beginnende früheste kulturelle Phase bezeichnet Donald als <i>episodische Kultur</i>,
in der alle höheren Säugetiere und frühe Menschen gelernt haben,
unmittelbare Situationen ihrer Umwelt zu verstehen und darauf zu
reagieren.</li><li>Vor ca. 2,5 Millionen Jahren entstand eine vorsprachliche, aber nicht unbedingt vorstimmliche <i>mimetische Kultur</i>,
in der Individuen unter Einsatz ihres Körpers und unter Verwendung
expressiver Gesten im Sinne des Austauschs von Signalen miteinander kommunizieren. In der Phase <i>mimetischer Kultur</i> entwickelten sich vorsprachliche Ausdrucksformen wie
Rituale und Tanz sowie Gesten wie Händeschütteln, Kopfschütteln,
Kopfnicken, Lächeln etc. oder auch symbolische Körperhaltungen, die
Unterlegenheit, Überlegenheit, Freundlichkeit, Feindlichkeit,
Zugewandtheit, Gemeinsamkeit etc. symbolisch kommunizieren und bis
heute genutzt und universell verstanden werden. <br /></li><li>Mit der Entwicklung von Sprache entstand vor ca. 150.000 Jahren (gemäß Donalds spekulativer Annahme) durch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Spracherwerb" target="_blank">Spracherwerb</a> und mit der Erfindung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Symbol" target="_blank">Symbolen</a> <i>mythische Kultur</i>,
die Donald als ein kollektives System erklärender und regulativer
Metaphern beschreibt, das über episodische Wahrnehmungen von Ereignissen
und mimetische Rekonstruktionen von Episoden hinausgeht. Mythen
durchdringen alle Lebensbereiche und vermitteln via oralem Austausch von
Metaphern und Narrativen ein umfassendes Verständnis des Lebens.(3)
Mythen operieren nicht mit rationalen Argumenten, sondern erzählen
Geschichten, die empirisch nicht prüfbar (falsifizierbar) sind.(4)<br /></li><li>Die vierte Stufe bezeichnet Donald als <i>theoretische Kultur</i>.
Schlüsselelemente dieser <i>Kultur</i> bilden grafische Darstellungen (Körperbemalungen, Sandbilder, Höhlenmalerei, Petroglyphen etc.), mit denen
Grundlagen für externe symbolische Gedächtnisse durch Verschriftlichung
von Sprache (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Literalit%C3%A4t" target="_blank">Literalität</a>) und Voraussetzungen für Theoriebildung entstehen. Wenn sich Gehirne mit
externen Gedächtnisnetzwerken verknüpfen, werden sie vorübergehend Teil
dieses Netzwerkes, das die individuelle Gedächtnisstruktur verändert und
die kognitive Steuerung übernimmt. <i>Mimetische, mythische</i> und
<i>theoretische</i> <i>Kultur</i> schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie bilden auf
der vierten Stufe kultureller Evolution eine Synthese, in der sie nicht
verschmelzen, sondern kontextabhängig ihre Bedeutung bewahren.(5)</li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>8.1 Theorie und Narrativ bei Merlin Donald </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Den Begriff <i>Theorie</i> verwendet Donald als Unterscheidung vom <i>Narrativ</i>
(Geschichte, Erzählung, Storytelling), das Informationen mit Emotionen verknüpft und der sozialen Kartierung dient. In Abgrenzung von Narrativen <i>mythischer Kultur</i>
bezeichnet <i>theoretische Kultur</i> die Fähigkeit zum analytischen und
schlussfolgernden Denken im Sinne eines Denkens zweiter Ordnung, das
Grundlagen seiner Darlegungen berücksichtigt, widersprüchliche
Erfahrungen auf einer höheren Abstraktionsebene kritisch reflektiert und
sich Kritik von Außen stellt. Den von einigen Autoren als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Achsenzeit" target="_blank"><i>Achsenzeit</i></a> diskutierten Durchbruch dieses Denkens zweiter Ordnung verorten Donald und andere Autoren in der frühen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Antikes_Griechenland" target="_blank">griechischen Antike</a>
vor ca. 800 Jahren v. Chr..(6) Gemäß diesem Verständnis resultiert die
theoretische Haltung dieses Denkens auf einer Transformation von
Bewusstseinsstrukturen, die den Keim einer neuen Evolutionsstufe
rationaler <i>Kultur</i> sowie von erweiterter menschlicher Kognition als Basis
neuzeitlichen wissenschaftlichen Denkens bildet.</div><div style="text-align: left;"><br />Mit
der Erfindung von Grafik, Bemalungen und Schriftsystemen entstehen
externe Gedächtnisspeicher außerhalb des Gehirns. Externe
Gedächtnisspeicher sind Voraussetzung einer <i>theoretischen Kultur</i>,
die zum analytischen Denken, zum Nachdenken über das Denken, zum Denken
auf Metaebene, zur Säkularisierung des Denkens und zur Theoriebildung
befähigt. <i>Theoretische Kultur</i> setzt sich jenseits des menschlichen Alltagsdenkens als fachspezifische Errungenschaft im Sinne von Wissenschaft durch. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Rationales
analytisches Denken mindert zwar die Glaubwürdigkeit von Mythen, es
verdrängt jedoch nicht narratives Denken, sondern ergänzt es.
Mythenspekulationen bleiben erhalten und werden unter dem
Rechtfertigungsdruck analytischen Denkens durch Radikalisierung
immunisiert. Menschen bleiben weiterhin episodische, mimetische und
mythische
Geschöpfe, die ihr Alltagsleben wie zuvor mit Face-to-Face-Interaktionen
und Face-to-Face-Ritualen gestalten, die bereits in
stammesgeschichtlicher Zeit entstanden sind und in ähnlicher Art und
Weise bis heute fortbestehen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Theorien
können Narrative kritisch analysieren. In Naturwissenschaften ersetzen
Theorien zuvor als real angenommene Geschichten. Theorien können
Narrative jedoch nicht in allen Lebensbereichen ersetzen. Ethische,
politische, religiöse Fragen nach dem Guten und Richtigen basieren auf
Narrativen. Narrative beschreiben die Art und Weise, wie wir Leben sowie
persönliche und kollektive Identität verstehen. Theoretische und
mythische (narrative) <i>Kultur</i> bezeichnen zwei grundlegende,
unverzichtbare Denkweisen. Theorien erzählen keine Geschichten.
Geschichten erzählen Narrative, die den Bezug zur Welt herstellen,
Persönlichkeiten von Menschen konstituieren sowie wechselseitige
Verständnisse von Persönlichkeiten erzeugen und so Kooperation
ermöglichen. Theorien
und Narrative interagieren miteinander. Auch Theorien benötigen
Narrative, um sich durchsetzen zu können. Umgekehrt können Theorien an Narrativen
scheitern. <br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Merlin Donald: <i>Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes</i> (2008 bei <a href="https://www.klett-cotta.de/buch/Psychologie_/_Lebenshilfe/Triumph_des_Bewusstseins/5706" target="_blank">Klett-Cotta</a> erschienen, aktuell vergriffen, aber antiquarisch verfügbar). (Original: <i>A Mind So Rare: The evolution of human consciousness</i>, Norton, 2001)<br />Rezensionen:<br /><ul><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/rezension/triumph-des-bewusstseins/1006675" target="_blank">Das menschliche Bewusstsein ein Hybrid aus Evolution und Kultur</a></li><li>socialnet: <a href="https://www.socialnet.de/rezensionen/6541.php" target="_blank">Merlin Donald: Triumph des Bewusstseins</a> </li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/warum-das-bewusstsein-in-der-kultur-verankert-ist-100.html" target="_blank">Warum das Bewusstsein in der Kultur verankert ist</a></li><li>WELT:<a href="https://www.welt.de/welt_print/article3002572/Dein-Gehirn-das-andere-Ich.html" target="_blank"> Dein Gehirn, das andere Ich</a></li></ul></li><li>Zeitliche
Datierung und revolutionärer Charakter dieser Entwicklung sowie
Epochenkonstrukte resultieren aus spekulativen Vorstellungen linearer
kultureller Evolution, die wissenschaftlich vielfach widerlegt sind.</li><li><i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstsein</a></i>
ist ein diffuser, schwer bestimmbarer Begriff, der auf mentale Zustände
verweist, die sich objektiver Beobachtung von außen entziehen und mit
dem intuitiven subjektiven Erleben der eigenen Persönlichkeit
korrespondieren. Wissenschaftlich gilt <i>Bewusstsein</i> als ein noch nicht entschlüsseltes Rätsel, das in der Gegenwart 'künstlicher Intelligenz' Grenzen aufzeigt. <br />Das komplexe Themenfeld Bewusstsein betrachten Kapitel 1 dieses Posts.<br /></li><li>Der Begriff <i>Mythos</i> ist je nach Kontext mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt (Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mythos" target="_blank"><i>Mythos</i></a>). Robert Bellah übernimmt eine abstrakte Definition des deutschen Altphilologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Walter_Burkert" target="_blank">Walter Burkert</a> (1931-2015): "<i>Mythen sind traditionelle Erzählungen, die sich sekundär und partiell auf etwas von kollektiver Bedeutsamkeit beziehen.</i>" (Bellah: <i>Der Ursprung der Religion</i>, a.a.O., S. 480)<br />Bellah weist darauf hin, dass sich Bedeutungen der Begriffe Erzählung, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Narrativ_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Narrativ</a>
(sinnstiftende Erzählung), Mythos und Geschichtsschreibung überlappen.
Wenn Narrative mit kollektiven Bedeutungen aufgeladen sind, handelt es
sich um Mythen. Während Mythen Erzählungen über Interaktionen zwischen
Menschen und überirdischen Mächten enthalten können, die keiner
zeitlichen Einschränkung unterliegen, erzählt Geschichtsschreibung
menschliches Handeln und deren Folgen in der Vergangenheit. (Bellah: Der Ursprung der Religion, a.a.O., S. 480) <br /></li><li>Bellah: <i>Der Ursprung der Religion</i>, a.a.O., S. 548f.</li><li>Bellah: <i>Der Ursprung der Religion</i>, a.a.O., S. 545ff. </li></ol></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>9 Haben Tiere <i>Bewusstsein</i>? </b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Aus
psychologischen Experimenten ist bekannt, dass etliche Tierarten auch
ohne Sprachkompetenz über numerische Kompetenz im Sinne eines
Schätzalgorithmus verfügen, jedoch über keine diskreten Repräsentationen
von Zahlen. Kleinkinder verfügen über einen vergleichbaren
Schätzalgorithmus. Offensichtlich ist dieser Schätzalgorithmus als
numerische Repräsentation der Umwelt für das Überleben einer Art von
Bedeutung und hat sich daher evolutionär entwickelt.(1,2) Möglicherweise
können einige Tierarten sogar zählen, aber sie können ebenso wie
Kleinkinder nicht rechnen. Offenbar bedarf es hierzu höherer kognitiver
Kompetenzen, die <i>Bewusstsein</i> voraussetzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch Tiere über <i>Bewusstsein</i> verfügen können. <i>Bewusstsein</i> ermöglicht mentale Zustande, die sich evolutionär in unterschiedlicher Qualität entwickelt haben.(3) Methodischer Standard für Untersuchungen zu <i>Bewusstsein</i> bei Tieren ist der Spiegeltest. Einige Ergebnisse dieser Tests sind bemerkenswert. Sie werden aber auch kritisch diskutiert.(4)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Bezüglich der Frage, ob und wie weit andere Lebewesen als Menschen
über ichförmige mentale Organisation und <i>Bewusstsein</i> verfügen,
kommt Wolfgang Prinz zu dem Ergebnis, dass Tieren eine ichförmige
mentale Organisation abzusprechen sei, weil Tieren die notwendige
Voraussetzung der <i>dualen
Repräsentation</i> fehle [gemeint ist die Fähigkeit zur Symbolbildung]. Diese Aussage besagt nicht, dass Tiere kein <i>Bewusstsein</i> haben. Im Gegenteil erklärt Wolfgang Prinz:</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>Von diesen Tieren </i>[gemeint sind Wirbeltiere, KK]<i>
glauben wir nämlich, dass mit den Mitteln dieser Wissenschaften nicht
alles gesagt werden kann, was über sie zu sagen ist. Wir schreiben ihnen
ein darüber hinausgehendes Innenleben zu, abgestuft vielleicht, aber im
Prinzip ähnlich und verwandt mit unserem eigenen bewussten Erleben.</i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Tier-Psychologen und Neurowissenschaftler sind sich aufgrund experimenteller Nachweise zu Fragen des <i>Bewusstseins</i> bei Tieren sicher, dass Wirbeltiere ein <i>Ich-Bewusstsein</i>
haben, das sich jedoch artenspezifisch in unterschiedlicher Komplexität
stufenweise ausprägt. Diese Annahme ist plausibel, weil mit hoher
Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sich <i>Bewusstsein</i>
nicht erst sprunghaft bei Menschen, sondern evolutionär bei vielen
biologischen Arten in unterschiedlicher Qualität entwickelt hat. Im
Sinne von Architektur des Gehirns und mentaler Zustände verfügen Tiere
je nach Lebensraum über artspezifisch unterschiedlich ausgeprägtes <i>Bewusstsein</i>.
Tiere sind lernfähig und können Erlerntes situationsgerecht anwenden.
Fähigkeiten zu aufgeschobenen Anwendungen mentaler Zustände haben aber
nur höhere Arten entwickelt, die in sich schnell verändernden komplexen
Umgebungen leben.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Primaten
werden sich vermutlich ihrer selbst und ihres Handelns bewusst. Bei
Hunden und Elefanten konnte ein Körperbewusstsein nachgewiesen werden.
Höhere soziale Tiere scheinen Gefühle für Peinlichkeit zu haben.(5) Rabenvögel verfügen über bemerkenswerte Fäigkeiten.(6) <i>Bewusstsein</i>
im Sinne der Fähigkeit zur Symbolbildung bzw. der symbolischen
Repräsentationen scheint sich jedoch nur Menschen entwickelt zu haben.<br /></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div><div style="text-align: left;"></div><ol style="text-align: left;"><li>Sibylle Anderl: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/warum-zahlenkompetenz-evolutionaer-von-vorteil-ist-16704375.html" target="_blank">Zahlenkompetenz als Überlebensfaktor</a><br /></li><li>Dissertation Franco Calouri: <a href="https://core.ac.uk/download/pdf/237445441.pdf" target="_blank">Die numerische Kompetenz von Vorschulkindern – Theoretische Modelle</a> (PDF, 278 Seiten9)<br />und empirische Befunde <br /></li><li>Merlin Donald: <i>Triumph des Bewusstseins</i>, a.a.O., S. 140ff.<br /></li><li>Artikel zum Spiegeltest:<br /><ul><li>Spiegel: <a href="https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/ich-bewusstsein-bei-affen-makaken-erkennen-sich-im-spiegel-a-1011876.html" target="_blank">Makaken erkennen sich im Spiegel</a></li><li> Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunk.de/ich-bewusstsein-bei-tieren-rhesusaffen-koennen-sich-doch-im-100.html" target="_blank">Ich-Bewusstsein bei Tieren: Rhesusaffen können sich doch im Spiegel erkennen</a> </li><li>FAZ, 9.02.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/intelligenz-von-fischen-sich-im-spiegel-und-auf-fotos-erkannt-18663631.html" target="_blank">Intelligenz von Fischen</a> </li></ul></li><li>Quellen zu Tierbewusstsein:<br /><ul><li>Das Gehirn: <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/tierisch-bewusst" target="_blank">Tierisch bewusst</a> </li><li>Süddeutsche Zeitung: <a href="https://www.sueddeutsche.de/wissen/bewusstsein-tiere-spiegeltest-selbstbewusstsein-fische-delfine-kraehen-1.4325127" target="_blank">Kognitionsforschung: Selbstbewusste Tiere</a></li><li>Welt: <a href="https://www.welt.de/kmpkt/article226898721/Hunde-besitzen-Bewusstsein-fuer-eigenen-Koerper.html" target="_blank">Das hat dein Hund mit einem Elefanten gemein</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein#Bewusstsein_bei_Tieren" target="_blank">Bewusstsein bei Tieren</a> <br /></li><li>ZEIT: <a href="https://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/03/tiere-bewusstsein-peinlichkeit?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F" target="_blank">Kann Tieren etwas peinlich sein?</a></li></ul></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/thomas-bugnyars-buch-raben-diese-voegel-sind-hintersinnige-trickser-18675231.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Intelligente Raben: Diese Vögel sind hintersinnige Trickser</a> <br /></li></ol><b></b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>10 Revolution oder Evolution kognitiver Kompetenz?</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div>Nach
mehr als 13,8 Milliarden Jahre Vorgeschichte zeigen Funde des
afrikanischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Middle_Stone_Age" target="_blank">Middle Stone Age</a>,
dass vor ca. 75.000 Jahren Veränderungen
des Denkens stattgefundenen haben müssen, die einige Autoren als
kognitive Revolution verstehen.(1) Künstlerische Artefakte wie
Schmuckstücke,
gemahlene
Farbpigmente und Knochenflöten belegen erstmals abstraktes
künstlerisches Denken, das in Malerei und Musik Ausdruck fand.(2) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Auffassungen einer <i>kognitiven Revolution</i> implizieren eine sprunghafte
Zunahme der Komplexität kognitiver Fähigkeiten (Lernfähigkeit,
Gedächtnis, komplexe Sprache, kommunikative Kompetenz), die mit der
Entwicklung von Intelligenz einhergeht und Vorstellungen des
<i>Bewusstseins</i> von sich selbst sowie Fähigkeiten zur Selbstreflexion
voraussetzt.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Annahme einer kognitiven Revolution findet keine ungeteilte Zustimmung. <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Kaube" target="_blank">Jürgen Kaube</a> nimmt mit anderen Wissenschaftlern an, dass kulturelle
Innovationen nicht über evolutionäre Umbrüche entstanden sind, sondern
sich wegen funktionaler Überlegenheit über lange Zeiträume allmählich
ausbreiteten. Kaubes Erzählung über <i>Die Anfänge von allem</i> setzt
die Entwicklung von Sprache deutlich früher an.(3) Über die
erforderliche anatomische Ausstattungen verfügte bereits der in
Südafrika gefundene Schädelknochen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Florisbad_1" target="_blank">Florisbad 1</a>,
dessen Alter auf 259.000 +/- 35.000 Jahre datiert wird. Die ersten
anatomisch modernen Menschen brachten vor etwa 190.000 bis 130.000
Jahren Mittel und Techniken der symbolischen Kommunikation hervor und
haben demnach über die erforderliche kognitive Ausstattung und über
Sprache verfügt.(4) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ergebnisse einer groß angelegten interdisziplinären Untersuchung in der <a href="Panga ya Saidi Höhle" target="_blank">Panga ya Saidi Höhle</a>
nahe der kenianischen Küste sprechen ebenfalls gegen eine vor ca.
70.000 Jahren stattgefundene kognitive oder kulturelle Revolution. In
älteren Bodenschichten wurden sorgfältig gefertigte Steinwerkzeuge
gefunden, deren Alter auf mehr als 78.000 Jahre datiert wird. Bis zu
67.000 Jahre alte Funde jüngerer Bodenschichten machen durchaus
Innovationen deutlich, die jedoch keinen radikalen Wandel von Verhalten
zeigen, sondern allmähliche Verbesserungen von Werkzeugen und
Anpassungen an veränderte Lebensbedingungen.(5,6)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol><li><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Yuval_Noah_Harari" target="_blank">Yuval Noah Harari</a> setzt in seinem international stark beachteten Buch<i> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Eine_kurze_Geschichte_der_Menschheit" target="_blank">Sapiens: Eine kurze Geschichte der Menschheit</a></i> die kognitive Revolution vor 70.000 Jahren an und entfaltet von diesem Startpunkt eine Geschichte kultureller Evolution.</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Middle_Stone_Age" target="_blank">Middle Stone Age</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Blombos-H%C3%B6hle" target="_blank">Blombos-Höhle</a> <br /></li><li>Jürgen Kaube: <i><a href="https://www.rowohlt.de/hardcover/juergen-kaube-die-anfaenge-von-allem.html" target="_blank">Die Anfänge von allem</a></i>, Berlin 2017 <br /></li><li>Die Evolution des Menschen: <a href="https://www.evolution-mensch.de/Thema/Die_menschliche_Sprache_-_Wie,_wann,_und_warum.html" target="_blank">Wie, wann und warum entstand Sprache?</a> <br /></li><li>FAZ, 12.05.2018: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/archaeologie-altertum/ausgrabung-78-000-jahre-alte-steinzeit-fundstuecke-in-ostafreika-entdeckt-15583619.html" target="_blank">Spektakuläre Steinzeit-Funde in Ostafrika</a><br /></li><li>Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte: <a href="https://www.shh.mpg.de/915667/78000-years-panga-ya-saidi" target="_blank">Archäologische Ausgrabungen in der Panga ya Saidi Höhle</a></li></ol> </div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>11 Änderungshistorie des Posts</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">15.08.2023 Kapitel 5.3.2: Ergänzung 5 Elemente von <i>Flow</i> <br /></div><div style="text-align: left;">14.04.2023 Kapitel 1: Anmerkung 8 eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;">01.03.2023 Kapitel 3.6: neu eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;">20.02.2023 Kapitel 1: Überarbeitung; Ergäzung von Anmerkungen zu Hans-Dieter Mutschler <br /></div><div style="text-align: left;">10.02.2023 Kapitel 1.1: Ergänzung Bilateria und Zeitleiste<br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 3.1: Ergänzungen zum Prinzip der Zweiseitigkeit </div><div style="text-align: left;"> Kapitel 9: Ergänzung Artikel FAZ in Fußnote 5 <br /></div><div style="text-align: left;">08.02.2023 Kapitel 1: Ergänzungen zu Thomas Metzinger im 1. Absatz und in Anmerkung 1 <br /></div><div style="text-align: left;">04.02.2023 Kapitel 1: Überarbeitung Anmerkung 5</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 3.5.2: Korrektur Anmerkung 2</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 4.1: Textergänzungen</div><div style="text-align: left;"> Korrektur Linkfehler Monismus <br /></div><div style="text-align: left;">03.02.2023 Kapitel 1, 1.1, 1.1.2: Ergänzung Zitate von Thomas Metzinger <br /></div><div style="text-align: left;">26.01.2023 Kapitel 3.1: Verlinkung <i>kognitive Verzerrung</i> </div><div style="text-align: left;"> Kapitel 3.1.2: <span face=""arial" , "helvetica" , sans-serif"><i>Kategorien-Blindheit wissenschaftlicher Erklärungen</i> eingefügt</span> <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 3.4: <i>Kognitive Dissonanzen</i> eingefügt und Inhaltsübersicht angepasst</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 3.5.2: <i>Internalisierung</i> überarbeitet <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 5: grundlegende Bearbeitung, <i>Flow</i> integriert <br /></div><div style="text-align: left;">22.01.2023 Kapitel 5.3.2: <i>Flow</i> eingefügt <br /> Kapitel 9: Ergänzungen: Haben Tiere <i>Bewusstsein</i>? <b><br /></b></div><div style="text-align: left;">21.01.2023 Kapitel 3: neu eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitelreihenfolge geändert und Inhaltsübersicht angepasst</div><div style="text-align: left;"> Überarbeitung der Einleitung und Foto hinzugefügt </div><div style="text-align: left;"> Neues Kapitel 5 für das Thema <i>Flow</i> reserviert <br /></div></div><div style="text-align: left;">18.01.2023 Überarbeitung der Einleitung und Kapitel 1<br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitelreihenfolge 7 und 8 vertauscht<br /></div><div style="text-align: left;"> Ergänzung 'numerische Kompetenz' in Kapitel 7<br /></div></div><div style="text-align: left;">16.01.2023 Veröffentlichung der Version 2 auf Basis der Vorgängerversion 1<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div></div></div></div></div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-86389361679527872242023-01-12T07:06:00.162+01:002024-01-22T18:05:33.506+01:004 Was ist Kultur? - Evolution von Kultur (Update: 18.08.2023) (in Bearbeitung!)<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/51504016518/in/album-72157719890603206/" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Palisaden im inneren Bezirk"> <img alt="Palisaden im inneren Bezirk" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/51504016518_9594172318_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/47120819654/in/album-72157708723698524/" title="Abstieg Christi in die Vorhölle, Figurengruppe des umfriedeten Pfarrbezirks der Kirche Saint-Germain l'Auxerrois in Pleyben, Finistère"><img alt="Abstieg Christi in die Vorhölle, Figurengruppe des umfriedeten Pfarrbezirks der Kirche Saint-Germain l'Auxerrois in Pleyben, Finistère" height="186" src="https://live.staticflickr.com/65535/47120819654_b2e491e1fe_n.jpg" width="280" /></a>
<a data-flickr-embed="true" href="https://www.flickr.com/photos/raumzeitde/45435497182/in/album-72157702521686884/" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;" title="Registan Samarkand, Medresen Ulugʻbek, Tilya-Kori, Sher-Dor"> <img alt="Registan Samarkand, Medresen Ulugʻbek, Tilya-Kori, Sher-Dor" height="186" src="https://live.staticflickr.com/1978/45435497182_5f375fc5a8_n.jpg" width="280" /></a>
</div>
<div style="text-align: left;"> </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Links: Palisaden (Rekonstruktion) im inneren Bezirk des vorgeschichtlichen Ritualortes <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kreisgrabenanlage_von_P%C3%B6mmelte" target="_blank"><i>Ringheiligtum Pömmelte</i></a><br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Mitte: <i>Abstieg Christi in die Vorhölle</i>, Figurengruppe im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Umfriedeter_Pfarrbezirk" target="_blank">umfriedeten Pfarrbezirk</a> Saint-Germain l'Auxerrois in Pleyben, Bretagne<br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;">Rechts: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Registan_(Samarqand)" target="_blank">Registan in Samarkand</a>, Usbekistan: Medresen Ulugʻbek, Tilya-Kori, Sher-Dor<br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div>Dieser Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-kultur-evolution-von-kultur.html" target="_blank">Was ist Kultur?</a> </i>befasst sich innerhalb der <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/search/label/Evolution%20Kultur%20und%20Relgion" target="_blank"><i>Postreihe über kulturelle Evolution</i></a> mit Kernfragen der Definition von <i>Kultur</i>. Einen Überblick über die Reihe und Anmerkungen zu basalen Perspektiven bieten weitere Posts:<div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/aufstellung-der-postreihe-beobachtungen.html" target="_blank">1 Aufstellungen der Postreihe Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</a> </i>zeigt Übersichten aller veröffentlichten sowie vorgesehener, aber noch nicht veröffentlichter Post.<i><br /></i></li><li>Relevante kulturwissenschaftliche Perspektiven und das
eigene Verständnis von Wissenschaft, Erkenntnis, Fortschritt sowie die
Motivation zur Entstehung dieser Reihe identifiziert der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">2 Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion - Anmerkungen zur Postreihe</a></i><i>.</i></li><li>Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>3 Was ist Bewusstsein?</i></a> betrachtet Kernfragen sozialer Evolution von<i> Kultur </i>und<i> Religion</i>. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Posts dieser Serie sind keine abgeschlossenen Betrachtungen, sondern ein sich entwickelndes <i>Work in Progress</i>. An Posts jeweils angefügte
Veränderungshistorien informieren über Inhalte und Zeitpunkte von
Änderungen. An Vielfalt und Unbestimmtheit der inhaltlichen Bedeutung von <i>Bewusstsein, Kultur, Religion</i> erinnert die kursive
Schreibweise der Begriffe in den Posts<i>. </i></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><span><a name='more'></a></span></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Inhaltsübersicht</b><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> <br /></div></div><div style="text-align: left;">1 Was ist <i>Kultur</i>? <br /></div><div style="text-align: left;">1.1 <i>Kultur </i>im allgemeinen Sprachgebrauch <br /></div><div style="text-align: left;">1.2 <i> </i><i>W</i>issenschaftliche Betrachtungen <br /></div><div style="text-align: left;">2 Komplexität, Chaos, Kontingenz, Ordnung, Kausalität, Leben, Evolution, <i>Kultur</i></div><div style="text-align: left;">2.1 Biologisch programmierte kognitive Heuristiken <br /></div><div style="text-align: left;">2.2 Symbolisches Denken und Lernfähigkeit</div><div style="text-align: left;">2.3 Sprache, Kooperation und Kumulierung kultureller Strategien</div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;">2.3.1 Evolution von Sprache </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">2.3.2 Entstehung von <i>Kultur</i> <br /></div>2.3.3 Ausbreitung von <i>Kultur</i><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;">2.4 Erklärungsmodelle soziokultureller Evolution von <i>Kultur</i> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
2.5 Kulturelle Vielfalt und Diversität soziologisch betrachtet</div></div><div style="text-align: left;">3 Paradigmen kultureller Modelle in der Ethnologie<br /></div><div style="text-align: left;">3.1 'Klassische' unilineare evolutionistische Definition von <i>Kultur</i> </div><div style="text-align: left;">3.2 Neoevolutionistisch-multilineare Definition von <i>Kultur</i></div><div style="text-align: left;">3.3 Pluralistisch-kulturrelativistische Definition von <i>Kultur </i><br /></div><div style="text-align: left;">
3.4 Konzepte analytischer und interpretativer Definition von <i>Kultur </i> <div style="text-align: left;">3.4.1 <i>Kultur</i> als System: Talcott Parssons und Niklas Luhman <br /></div></div><div style="text-align: left;">3.4.2 <i>Kultur</i> als Text: Claude Lévi-Strauss, kalte und heiße Kulturen, wildes und modernes Denken<br /></div><div style="text-align: left;">3.4.3 <i>Kultur</i> als Symbolsystem: Clifford Geertz<br /></div><div style="text-align: left;">4 Mythen der Entstehung von <i>Kultur</i></div><div style="text-align: left;">4.1 Was sind Mythen? <br /></div><div style="text-align: left;">4.2 Typen und Gliederungen von Mythen<i> </i> </div><div style="text-align: left;">5 Kategoriales Denken und Ordnung der Welt </div><div style="text-align: left;">5.1 Kategoriales Denken und vermeintliche Gegensätzlichkeit von <i>Natur</i> und <i>Kultur</i> </div><div style="text-align: left;">5.2 Konstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</div><div style="text-align: left;">5.2.1 Annahmen zur Entstehung des Fortschrittsparadigmas westlicher Kulturen <br /></div><div style="text-align: left;">5.3 Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt <br /></div><div style="text-align: left;">5.3.1 Grenzen des Wachstums <br /></div><div style="text-align: left;">5.3.2 Struktur wissenschaftlicher Revolution</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">5.3.3 Von Thomas S. Kuhn angestoßener Wandel des wissenschaftlichen Weltbildes</div></div><div style="text-align: left;">5.4 Kultureller Essentialismus oder Beliebigkeit? </div><div style="text-align: left;">5.5 Wahrnehmung, Denken, <i>Kultur </i>reloaded<i><br /></i></div><div style="text-align: left;">6 Änderungshistorie des Posts <br /></div><p></p> <div style="text-align: left;"><b>1 Was ist <i>Kultur</i>?</b>(1,2) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Jenseits fundamentalistischer Überzeugungen besteht weitgehende Einigkeit hinsichtlich der Auffassung, dass <i>Kultur</i> in biologischer Evolution entstanden ist. Ob die Evolution von <i>Kultur</i> biologischen Prinzipien oder eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, ist eine strittig diskutierte Frage. Sicher ist jedoch, dass sich Verständnisse von <i>Kultur</i> je nach Perspektive unterscheiden. <i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i>Kultur</i> wird oft als Gegenbegriff zu einer nicht von Menschen geschaffenen <i>Natur</i> verstanden.(Sehe 3.1). Abhängig vom Kontext sind Definitionen von <i>Kultur </i>enger oder weiter gefasst und transportieren in volkstümlichen, mythologischen und wissenschaftlichen Auffassungen unterschiedliche Vorstellungen der
Bedeutung sowie der Entstehung und der Dynamik von <i>Kultur. </i>Über Zeit sich verändernde Bedeutungen von <i>Kultur</i>
steigern die Vielzahl an Definitionen. Trotz großer Vielfalt an Erklärungen besteht Einigkeit, dass <i>Religion</i> und <i>Kultur</i> miteinander verwoben sind und <i>Religion</i> immer im Kontext von <i>Kultur</i> gedacht werden muss. Dieser Post sichtet, ordnet, vergleicht Aspekte und Auffassungen von <i>Kultur</i>, ehe sich der Blick in einem korrespondierenden Post auf <i>Religion</i> richtet. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br />
<b>1.1 <i>Kultur</i> im allgemeinen Sprachgebrauch</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Im allgemeinen Sprachgebrauch ist <i>Kultur</i>
nichts, was alle Menschen in gleicher Art und Weise gemeinsam haben. <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Weitgehend unreflektiert bilden soziale Geschlechter, Altersgruppen, sexuelle Orientierungen,
Ernährungsstile, Armut, Wohlstand, Bildung, Berufsstand, Lebensstil etc.
Merkmale kultureller Identifizierung und Abgrenzung. <br /></li><li>Durch Ausgrenzung vom kulturellen Mainstreams entstandene Außenseiterkulturen identifizieren sich häufig mit ihrer eigenen <i>Kultur</i> und betrachten diese nicht nur
als wertvoll, sondern oftmals als Ausdruck des wahren Lebens und
der richtigen Lebensweise. </li><li>Strömungen des rechten politischen Rands markieren mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Nationalsozialismus" target="_blank">Nationalsozialismus</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/White_Supremacy" target="_blank">White Supremacy</a>
und ähnlichen Ideologien extreme Ausprägungen negativer Wertschätzungen des kulturellen Mainstreams ihres Lebensraums. </li><li>Dominierende Eliten verstehen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hochkultur_(Soziologie)" target="_blank"><i>Hochkultur</i></a>, also ihre eigene <i>Kultur</i>, als elaboriert, wertvoll, vorbildlich, zivilisiert und grenzen <i>Hochkultur</i> von vermeintlich restringierter und minderwertiger <i>Alltagskultur</i>, <i>Volkskultur, Massenkultur, Populärkultur, Subkultur</i> etc. der nicht zur Elite gehörenden Populationen ab.<br /></li></ul></div><br /><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>1.2 Wissenschaftliche Betrachtungen</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">In wissenschaftlichen Fachkreisen gelten alltagssprachliche Vorstellungen von <i>Kultur</i> als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Emisch_und_etisch" target="_blank">etische</a> Perspektive (durch Beobachter von außen vorgenommene Fremdzuschreibungen),
die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Emisch_und_etisch" target="_blank">emische</a> Perspektiven (Selbstzuschreibungen) der so bezeichneten Menschen vernachlässigt
und auf verzerrten Auffassungen beruht oder solche erzeugt und
festschreibt. Mechanismen dieser Zuschreibungsprozesse bezeichnen
Sozialwissenschaften als <i>Etikettierung</i> oder <i>Labeling</i>.(3)</div> </div><div style="text-align: left;">Ein neutraler Kulturbegriff bezeichnet ein Bündel von Merkmalen, das Besonderheiten bestimmter Gruppen von
Menschen markiert, die Unterscheidungen von anderen Gruppen und
Abgrenzungen ermöglichen. Im Plural bezeichnet <i>Kulturen</i> Gruppen
von Menschen, die aufgrund gemeinsamer Merkmale als zusammengehörig und
damit
als unterscheidbar von anderen Gruppen identifiziert werden.
Anforderungen wertfreier Beschreibungen stellen inhaltliche
Klassifikationen und Abgrenzungen kultureller Merkmalsgruppen jedoch vor
kaum
lösbare Aufgaben. <br /></div> </div><div style="text-align: left;">Der Begriff <i>Kultur</i> ist ein begriffliches Konstrukt, das implizite Vorstellungen über Wahrnehmung, Denken, <i>Bewusstsein</i>
von Menschen sowie modellhafte Vorstellungen über die soziale Welt
enthält. Hier skizzierte Grundzüge dieses Modells lassen
unberücksichtigt, dass Auffassungen von Bedeutung und Zusammensetzung
des Modells je nach wissenschaftlicher Perspektive variieren können.<br /></div><ul style="text-align: left;"><li>Soziale
Ordnungen sind nicht allein durch die Menge beteiligter Akteure
beschreibbar, sondern sie manifestieren sich in Interaktionsprozessen
zwischen Akteuren.</li><li>Interaktionsprozesse zwischen sozialen
Akteuren verlaufen nicht chaotisch oder beliebig, sondern in mehr oder
weniger geordneten bzw. regelbasierten Relationen. </li><li>Ordnungen
und Regelwerke sozialer Relationen verknüpfen Wertvorstellungen und aus
ihnen abgeleitete Verhaltensvorschriften (Normen) mittels strukturierter
Symbolsysteme. </li><li>Symbolsysteme bilden Sinngefüge, die soziale
Ordnungen konstituieren, indem sie Kommunikationsprozesse der
Interaktionen sozialer Akteure modellieren und begrenzen.</li><li>In <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialisation" target="_blank">Sozialisationsprozessen</a> vermittelte soziale Sinngefüge sind individuell <a href="https://www.wikiwand.com/de/Internalisierung_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">internalisiert</a>.
Sie bleiben daher als soziale Konstrukte weitgehend unbewusst und
werden von Akteuren als natürliche Gegebenheiten ihres Lebensraums
wahrgenommen.<br /></li><li>Relativ stabile und weitgehend vorhersagbar
verlaufende Prozesse bilden räumlich und zeitlich ausgedehnte komplexe
strukturierte Kontexte mit netzwerkartigen und/oder hierarchischen
Strukturen. </li><li>Ordnende Strukturen sind empirisch nicht direkt
beobachtbar. Theorien schließen aus Interaktionen auf die Existenz bzw.
auf Wirkungen von Strukturen und verknüpfen diese mit
Annahmen über Topografien struktureller Muster und der Semantik von
Symbolsystemen.</li><li>Ordnende Strukturen beruhen auf Kategoriensystemen. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorien</a> dienen der Klassifizierung (Eingrenzung und Unterscheidung) fundamentaler Sinngefüge.</li><li>Der Begriff <i>Kultur</i> verweist auf eine Metakategorie, die Wert- und Symbolsysteme und auf ihnen beruhende Denkmuster ordnet und verdichtet. <i>Kulturen</i> erlegen Menschen kategoriale Zwänge auf. <br /></li><li>Da <i>Kulturen</i>
mehr oder weniger stark sich unterscheidende
und teilweise inkommensurable Kategoriensysteme nutzen, mit der sie die
Welt begrifflich erfassen und beschreiben, ist fraglich, ob <i>Kultur</i> ein kategorialer Begriff ist<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div></div><ol><li>Mehrerer Aspekte dieses Kapitels betrachtet der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2022/10/die-ordnung-des-himmels-dauert-nicht_23.html" target="_blank"><i>Vor- und Randbemerkungen zur Postreihe über Evolution von Kultur und Religion</i></a> detaillierter.</li><li>Soweit nicht anders angegeben, basieren Aussagen dieses Kapitels <br /><ul><li>auf einer Veröffentlichung des Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl-Heinz_Kohl" target="_blank">Karl-Heinz Kohl</a>: <a href="https://www.chbeck.de/kohl-heinz-ethnologie-wissenschaft-vom-kulturell-fremden/product/7765469" target="_blank">Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung</a>. München: C. H. Beck, 1993; 3. Auflage 2012 </li><li>auf den Wikipedia-Artikeln <br /><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Mensch" target="_blank">Mensch</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Hominisation" target="_blank">Homonisation</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Stammesgeschichte_des_Menschen" target="_blank">Stammesgeschichte des Menschen</a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Ausbreitung_des_Menschen" target="_blank">Ausbreitung des Menschen</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Out-of-Africa-Theorie" target="_blank">Out-of-Africa-Theorie</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kultur" target="_blank">Kultur</a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturelle_Vielfalt" target="_blank">Kulturelle Vielfalt</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturareal" target="_blank">Kulturareal</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Diversit%C3%A4t_(Soziologie)" target="_blank">Diversität (Soziologie)</a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Sch%C3%B6pfung" target="_blank">Schöpfung</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Genesis_(Bibel)" target="_blank">Genesis</a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturheros" target="_blank">Kulturheros</a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie" target="_blank">Kosmogoni</a> </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung (Kognitionswissenschaft)</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kultur#Entgegensetzung_von_Kultur_und_Natur" target="_blank">Kultur.Entgegensetzung von Kultur und Natur</a></li></ul></li></ul></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Emisch_und_etisch" target="_blank">Emisch und etisch</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Etikettierungsansatz" target="_blank">Etikettierungsansatz</a> <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>2 Komplexität, </b><b>Chaos, </b><b>Kontingenz, </b><b>Ordnung, Kausalität, </b><b>Leben, Evolution, <i>Kultur</i></b></div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;">Aussagen über <a href="https://www.wikiwand.com/de/Komplexit%C3%A4t" target="_blank">Komplexität</a>, Ordnung (systematische Strukturen), <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalit%C3%A4t" target="_blank">Kausalität</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kontingenz_(Soziologie)" target="_blank">Kontingenz</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Chaos" target="_blank">Chaos</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Leben" target="_blank">Leben</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolution" target="_blank">Evolution</a> gelten
für die gesamte materielle Welt einschließlich organischer Systeme. <br /></div><ul style="text-align: left;"><li>Evolution verläuft ohne Ziel oder Richtung, jedoch scheint Komplexität der Realität nicht umkehrbar zu sein und zuzunehmen. <br /></li><li>Leben
ist umgeben von einer kontingenten Welt. Kontingenz ist nicht immer spontan
erkennbar und zeigt sich oft erst bei genauerer Betrachtung. </li><li>Kontingenz erzeugt Zustände, die möglich sind, aber mangels erkennbarer Kausalität nicht notwendig,
sondern zufällig auftreten. <br /></li><li>Kontingenz
im Sinne von Zufallsereignissen resultiert aus Komplexität der Realität. </li><li>Komplexität von Zusammenhängen der Realität ist nur in engen Grenzen kausal verständlich.</li><li>Von
Kontingenz erzeugte Zustände werden im Alltagsdenken als Chaos im Sinne
vollständiger Unordnung wahrgenommene. Tatsächlich handelt es sich um
Zustände mit begrenzter Vorhersagbarkeit. </li><li>Chaos
ist prinzipiell lebensfeindlich. Trotzdem sind in evolutionären Prozessen komplex organisierte Lebensformen
entstanden, deren Funktionsfähigkeit ein Minimum an Ordnung ihrer
Umgebung voraussetzt.</li><li>Leben organischer Systeme der uns
bekannten Art benötigt ein nicht genau bestimmbares bzw. über organische
Lebensformen variierendes Maß an Ordnung, um Funktionsfähigkeit
des Organismus zu ermöglichen, eine regelmäßige Energieversorgung
zu gewährleisten, relativen Schutz vor Feinden zu bieten, Reproduktion zu gestatten. <br /></li><li>Da
komplexe Organismen im Chaos nicht überleben können, haben sie
evolutionär interne organische sowie auf die Umwelt bezogene
ordnungsstiftende Mechanismen herausgebildet, die Überleben ermöglichen.</li><li>Neurobiologische
Mechanismen der Ordnungsstiftung erzeugen in höheren Formen des Lebens
als Kohärenzsystem bezeichnete mentale Ordnungsstrukturen.
Kohärenzsysteme ordnen Sinneswahrnehmung hinsichtlich Verstehbarkeit,
Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit mittels <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierung</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribution" target="_blank">Kausalattribuierung</a>.(1) <br /></li><li>Kognitive Kompetenz höherer Art (Intelligenz) verfügt über Lernfähigkeit. Diese besteht aus den Prozessschritten</li><ul><li>Übertragung mentaler Ordnungsstrukturen auf Deutungsmuster des Wahrnehmungssystems,<br /></li><li>Bildung von Kognitionsmustern gemäß regulatorischem Kohärenzsystem,<br /></li><li>Speicherung von Kognitionsmustern. </li></ul><li>Mentale Ordnungsmuster und Ordnungskonstrukte der Lebensumgebung beeinflussen sich wechselseitig. <br /></li><ul><li>Kognitive
Kompetenz verhilft zur Übertragung kategorialer mentaler Ordnungsmuster
des regulatorischen Kohärenzsystems auf kulturelle Ordnungskonstrukte
von Lebensumgebungen. </li><li>Internalisierungsprozesse transformieren kulturelle Ordnungskonstrukte von Lebensumgebungen in mentale Ordnungsmuster.</li></ul><li>Individuelle
Biographien und ihre mentalen Zustände entstehen aus Vermengungen von
universalen biologischen Gesetzmäßigkeiten mit Kontingenzen ihrer
Lebensumgebung: <br /></li><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96kosystem" target="_blank">Ökosysteme</a>,</li><li>räumliche Umgebung, <br /></li><li>Kulturmuster,</li><li>individuelle Ereignisse wie Geburt, zwischenmenschliche Beziehungen, Tod, Erbschaft etc.,</li><li>individuelle Fähigkeiten, Chancen, Risiken.</li></ul></ul> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.1 Biologisch programmierte kognitive Heuristiken<br /></b></div><div style="text-align: left;"><b><i> </i></b></div><div style="text-align: left;">Im Prozess der Evolution sind eine Reihe biologisch-genetische codierte kognitiver Heuristiken entstanden, die Einfluss auf Wahrnehmung, Denken, Verhalten nehmen:<div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Kohärenzzwang erzeugt Kohärenzbedürfnisse. Diese motivieren zur
Herbeiführung mentaler Zustände, die als
kohärent empfunden werden (verstehbar, handhabbar, nützlich, sinnhaft)
sowie zur Abwehr von Zuständen, die dem Kohärenzbedürfnis widersprechen.</li><li>Das Kohärenzbedürfnis bevorzugt soziale Kontakte, die emotionale Zustände von Kohäsion erzeugen.<br /></li><li>Entscheidungs- und Verhaltenssicherheit fördern <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heuristik" target="_blank">heuristische</a> Mechanismen, die praktikable Handlungsoptionen bei begrenztem Wissen und begrenzter Zeit herstellen:</li><ul><li>Ordnungen zweiwertiger <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorisierungen</a>
(wahr vs. unwahr, richtig vs. falsch, gut vs. böse, essbar vs. nicht
essbar, Freund vs. Feind etc.) wahrgenommener Phänomene ermöglichen
schnelle Entscheidungen. </li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalattribuierung" target="_blank">Kausalattribuierung</a>
(Annahmen unmittelbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen
empirischen Phänomen) bezeichnet vermeintliche Ursachen wahrgenommener Phänomene. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kausalit%C3%A4t" target="_blank">Kausalität</a> beruht auf vermeintlichem Wissen bzw. Erfahrungen und erwartet, das Gleiches dieselbe Ursache hat.<br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Vorurteil" target="_blank">Vorurteilen</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stereotyp" target="_blank">Stereotypen</a> (ungeprüft angewendete gespeicherte Bewertungsmuster) sowie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Verzerrung" target="_blank">kognitive Verzerrungen</a>
(in Lebenspraxis bewährte systematische Denk- und Wahrnehmungsfehler)
erzeugen Verhaltenssicherheit mittels Beurteilungsautomatismen.(2) </li></ul></ul></div><b><i></i></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.2 Symbolisches Denken und Lernfähigkeit</b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Alle höheren biologischen Arten entwickeln in der Auseinandersetzung mit
ihrer Umwelt Strategien des Überlebens, der Reproduktion und des
existenziellen Krisenmanagements. Einige höhere Arten verfügen in einem weiten Verständnis des Begriffes über <i>Kultur</i>
im Sinne der Fähigkeit, Strategien individuell zu lernen und kommunikativ zu teilen.
<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Evolution von <i>Kultur</i> erfordert Fähigkeiten abstrakten Denkens als
Voraussetzung zur Entstehung von Mustern symbolischer Weltbezüge. Symbolisches Denken befähigt durch Abstraktion zu Deutungen von Sinneseindrücken
und zu deren Speicherung als vergleichbare kognitive Muster. Als <i>Wissen</i> und <i>Erfahrung</i> verfügbare kognitive Muster verhelfen zu erlernten Fähigkeiten und
ergeben in
Summe Vorstellungen einer Realität der Lebenswelt. Der Abgleich von
Sinneseindrücken mit gespeicherten kognitiven Mustern beeinflusst
Verhalten. Erlernte Fähigkeiten (<i>Wissen</i> und <i>Erfahrung</i>) ermöglichen gestaltende Einflussnahme
auf Lebenswelten. Kulturelle Strategien bevorraten Praktiken der Weltbewältigung. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.3 Sprache, Kooperation und Kumulierung kultureller Strategien</b> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Fähigkeiten
zur evolutionären Kumulierung kultureller Strategien der Bevorratung von Praktiken der Weltbewältigung sind eine
spezielle Eigenschaft von Homo sapiens, die ihn von anderen
biologischen Arten absetzt und eine höher entwickelte Sprache voraussetzt, deren Zeichen und Symbole kommunizierbare Sinnstrukturen bilden. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"><b>2.3.1 Evolution von Sprache</b> <br /></span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;">Zwischen
der genetischen und der linguistischen Evolution bestehen Parallelen.
Die Entwicklung von Sprache als ein über Signalfunktionen weit
hinausreichendes symbolisches Zeichensystem scheint bei der Ausbreitung
des Menschen ein
bedeutender Faktor gewesen zu sein. Im Unterschied zur relativ geringen
genetischen Vielfalt von Menschen sind die sprachliche und kulturelle
Vielfalt hoch. Die Ausbreitung dieser Vielfalt wird auf sich wechselseitig beeinflussende
und überlagernde Ursachen zurückgeführt. Als Treiber kultureller Innovativen gilt kognitive Kompetenz, die Anpassungen an
dynamische
Lebensumgebungen ermöglicht. </span></b></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Als
Sprache befähigt symbolisches Denken zur
Kommunikation kognitiver Muster und erweitert
Optionen der Kooperation. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Merlin_Donald" target="_blank">Merlin Donald</a> verortet die Entstehung von
Fähigkeiten des symbolischen Denkens und der Sprache spekulativ vor ca.
150.000
Jahren in <i>mythischer Kultur.</i>(3) Der Sprachwissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Christian_Lehmann_(Linguist)" target="_blank">Christian Lehmann</a> vertritt <i>"mit einem gehörigen Maß an Spekulation (...) die Hypothese"</i>, dass die <i>"Monogenese der menschlichen Ursprache"</i>
nach zeitlich weit vorausgegangener (vor 1.800.000 bis 400.000 Jahren)
Etablierung einer zweifachen Gliederung der Sprachstruktur in <i>"signifikative Einheiten"</i> sowie in <i>"distinktive Einheiten"</i> (...) einen Qualitätssprung bewirkte, der <i>"etwa 150.000 begann"</i>.(4)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nach überwiegender Auffassung von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Pal%C3%A4olinguistik" target="_blank">Paläolinguisten</a> ist der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachursprung" target="_blank">Sprachursprung</a>
(Zeitraum, in dem Menschen lernten, sich sprachlich zu artikulieren)
mangels empirisch prüfbarer Hinweise mit Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit nicht datierbar. Aufgrund von Rekonstruktionen
empirisch nachvollziehbarer Veränderungsprozesse in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Genetische_Verwandtschaft_(Linguistik)" target="_blank">genetisch verwandten</a> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachsystem" target="_blank">Sprachsystemen</a> vertreten einige Linguisten die Hypothese, dass sich bekannte Sprachen aus einer oder aus wenigen Ursprachen ausdifferenziert haben. Rekonstruktionsversuche von Ursprachen mittels statistischer Verfahren
stoßen jedoch unter Linguisten überwiegend auf Ablehnung.(5,6)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.3.2 Entstehung von <i>Kultur</i></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Um als Art zu überleben, muss Home sapiens in Gruppen kooperieren. Kooperation
erfordert Synchronisierung des Denkens und Verhaltens der Mitglieder
einer sozialen Gemeinschaft. Synchronisierung basiert auf Systemen
generalisierter Symbole (Laute,
Sprache, Gesten, Zeichen, Bilder, Musik, Riten etc.), über die ein
gemeinsames Verständnis besteht. Um Ressourcen zu schonen, ist es
sinnvoll, Symbole
stück- und fallweise nicht bei Bedarf immer wieder neu zu erfinden.
Bewährte Symbole, über deren Semantik Konsens besteht, verfestigen sich
zu Vorräten an Symbolsystemen, die bei Bedarf effiziente Kommunikation
und Kooperation ermöglichen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das gesamte Bündel bevorrateter Symbolsystemen einer sozialen Gemeinschaft bildet eine <i>Kultur</i>. <i>Kultur</i>
erzeugt eine virtuelle soziale
Systemebene, auf der primäre Ressourcen der Reproduktion,
Nahrungsversorgung, Sicherheit und ggf. weitere sekundäre Ressourcen in
sozialen Verbänden gemeinschaftlich synchronisiert und organisiert
werden. Symbolsysteme werden in Lernprozessen mimetisch (durch
Nachahmung) und episch (durch Sprache) sozial vererbt.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Kultur
entsteht in
Bewusstseinsprozessen. Kognitive Kompetenz nutzt Elemente des
kulturellen Vorrats bestehender Symbolsysteme weitgehend unbewusst als
Selbstverständlichkeit, um Lebensbedingungen zu organisieren. Im Fall
veränderter oder neuer Lebensbedingungen erfolgen Anpassungen von<i> Kultur</i>, indem neue oder veränderte Symbole bewusst modelliert und in bestehende Symbolsysteme integriert werden. <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Zwischen
volatilen Umweltbedingungen und intendierten Handlungen ihrer
Bewältigung bestehen Dynamik erzeugende Wechselwirkungen.
Unbeabsichtigte Nebeneffekte absichtsvoller Handlungen tragen zur
Kontingenz von Umweltbedingungen bei und
verändern oder erhöhen Chaos von Realität und
bewirken Zunahme prekärer Lebensbedingungen. Da Chaos lebensfeindlich
ist, erfordert es Anstrengungen zur Reduzierung von
Lebensfeindlichkeit</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Regulierungsbedarf
von Kooperation und Organisation benötigt und verbraucht Ressourcen,
die in anderen
Kontexten fehlen, obwohl sie dort ebenfalls benötigt werden.
Regulierungsbedarf erzeugt unvermeidbare Ineffizienz, die für den Gewinn
verbesserter
Handlungsfähigkeit in Kauf genommen wird. </div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Nicht
erklärbare empirische Phänomene können auf unbekannte Risiken hinweisen
und erzeugen daher Alarmzustände. Wenn nicht erklärbare empirische
Phänomen regelmäßig auftreten, ohne dass Risiken zu erkennen sind,
stören sie das Koheränzbedürfnis des mentalen Systems und erzeugen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kognitive_Dissonanz" target="_blank">kognitive Dissonanzen</a>,
die das mentale System mit Hilfe kausaler Erklärungskonstrukte auflöst.
Narrative der Erklärung von Kausalität befriedigen Bedürfnisse
kohärenter Sinnhaftigkeit, indem sie rational nicht erklärbare
empirische
Phänomene verständlich machen und Ängste vor Risiken des Lebens
reduzieren. </div><div style="text-align: left;"><br /></div></div>In enger
Koinzidenz zur Evolution von <i>Kultur</i> entstanden für kausal nicht erklärbare
empirisch wahrnehmbare Zustände und Ereignisse religiöse Deutungsmuster
und Handlungsvorschriften. Vor 120.000 Jahren beginnende Formen der
Bestattungen und deren Grabbeigaben werden als Zeichen religiöser
Vorstellungen gedeutet. Mit dem Auftreten künstlerischer Artefakte
(Skulpturen, Malerei, Musikinstrumente, Schmuck) sind Hinweise auf
religiöse Vorstellungen deutlicher zu erkennen. Inhalte bleiben
unklar. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Menschen bevorzugen prägnante Begriffe als Anker eigener abstrakter
Vorstellungen. Die begriffliche Verdichtung einer speziellen Klasse
kultureller Phänomene auf den Begriff <i>Religion</i> vermittelt
implizit Vorstellungen relativ gleichartiger kultureller Deutungsmuster
mit relativ ähnlichen Praktiken. Tatsächlich handelt es sich um einen
vielgestaltigen kulturellen Komplex, der zeitlich, räumlich, ethnisch,
geschlechtlich eine große Bandbreite an Strategien und Praktiken
ausprägt. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das
Auftreten künstlerischer Artefakte markiert unabhängig davon, wie
sprunghaft sich diese Entwicklung vollzogen hat, wie auch immer
Bewusstsein zu verstehen ist und mit welchen Bedeutungen Symbole belegt
waren, das Einsetzen eines beschleunigten kulturellen Wandels, der nicht
zielorientiert verläuft und ungeplant weitere Entwicklungen anstößt. </div><div style="text-align: left;"><b><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;">2.3.3 Ausbreitung von <i>Kultur</i> </div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div></b></b><b><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Mit Größe sozialer
Verbänden nimmt Regulierungsbedarf zu. Arbeitsteilige Organisation und
die Etablierung sozialer Institutionen minimieren entstehende Ineffizienz. Soziale Institutionen wie
Familien, Verwandtschaftssysteme, Erziehungssysteme,
Herrschaftsstrukturen etc. legen in verschiedenen Handlungsfeldern
Organisationsregeln fest, erzeugen Verbindlichkeit, schränken Willkür
und Beliebigkeit ein. Soziale Institutionen entlasten individuelle
Verantwortung mittels verteilter Verantwortung und stärken die
Gemeinschaft mittels Kohäsion. In formalen Organisationen von
Bürokratien,
Produktionsbetrieben und Serviceunternehmen sind diese Prinzipien
umgesetzt und optimiert. </span><b><b><span style="font-weight: normal;"> <br /></span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;">Der Erfolg einer Art erhöht die Populationsdichte und verengt territorale Lebensräume. Evolutionärer Erfolg, Ernährunganforderungen und klimatische Bedingungen zwingen zur Ausdehnung von Lebensräumen. Archäologische Funde und
genetische Untersuchungen sowie Rekonstruktionen genetischer
Stammbäume machen wahrscheinlich, dass die Ausbreitung des <i>Homo sapiens</i> in mehreren Migrationswellen und auf mehreren Migrationsrouten vor ca. 60.000 Jahren aus Afrika einsetzte und <i>Homo sapiens </i>dabei auf andere Arten der Gattung <a href="https://www.wikiwand.com/de/Homo" target="_blank"><i>Homo</i></a> traf. 1-2 % des menschlichen Genoms stammen von archaischen Verwandten des <i>Homo sapiens</i>. Zum Schicksal von Vor- und Frühmenschen des <i>Homo sapiens</i> wird Vermischung vs. Verdrängung diskutiert. Genetische Analysen des Menschen stützen die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Out-of-Africa-Theorie" target="_blank"><i>Out-of-Africa-Theorie</i></a>, die weitgehend akzeptiert ist. Die Hypothese eines multiregionalen
Ursprungs des Menschen gilt als widerlegt.</span></b></b><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;">Die ältesten <i>Homo sapiens</i>
zuzuordnenden Funde stammten bis kürzlich aus dem heutigen Äthiopien und sind ca.
160.000 Jahre alt. Die ältesten Funde außerhalb von Afrika sind ca.
110.000 Jahre alt und stammen aus dem heutigen Israel. Daraus lässt sich
auf frühe Migrationsbewegungen schließen, die aufgrund von
Klimaveränderungen episodisch blieben. An der Belastbarkeit dieser
Annahmen rüttelt der Fund eines 315.000 Jahre alten Schädelknochens im
heutigen Marokko.(7) Über Ursachen und Motive der
Migration können nur Vermutungen angestellt werden. </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Dunkle
Hautfarbe
entstand mit reduziertem Haarwuchs als UV-Schutz. Ein Wechsel der
Hautfarbe von dunkel nach hell
oder umgekehrt ist unter veränderten
Lebensbedingungen in 100-200 Generationen möglich ist. Hautfarbe hat
daher keine Aussagekraft für genetische Stammbäume langer Zeitreihen. </span></div></b><b><b><span style="font-weight: normal;"><br /></span></b></b></div></b></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>2.4 Erklärungsmodelle soziokultureller Evolution von <i>Kultur</i></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Wissenschaftliche Theorien erklären Entwicklungsprozesse soziokultureller Evolution modellhaft mit kontrovers diskutierten Mechanismen und Ausrichtungen. In der Evolution wissenschaftlicher Disziplinen haben sich drei hier lediglich skizzierte und in Kapitel 2 ausführlicher beschriebene paradigmatische Hauptlinien herausgebildet.(8) <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Unilineare
evolutionistische Theorien fassen sozialen und kulturellen Wandel in Anlehnung an die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolutionstheorie" target="_blank">biologische Evolutionstheorie</a>
als Evolution auf und postulieren eine stufenweise Entwicklung von niedrigen zu
höheren Formen als <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%9Cber_den_Prozess_der_Zivilisation" target="_blank"><i>Prozess der Zivilisation</i></a>. <br /><a href="https://www.wikiwand.com/de/Norbert_Elias" target="_blank">Norbert Elias</a> beschreibt diesen Prozess als einen um das Jahr 800 einsetzenden Wandel, den Wechselwirkungen zwischen Dynamiken von Sozialstrukturen (Soziogenese) und Persönlichkeitsstrukturen (Psychogenese) treiben. <br />Während Elias' Beschreibung auf Westeuropa eingeschränkt ist, deuten andere Konzepte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zivilisation" target="_blank"><i>Zivilisation</i></a> als einen mit imperialem Kolonialismus <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäischer Expansion</a> einsetzenden Fortschrittsprozess, dem Ideen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> zu wissenschaftlicher Rationalität und politischer Vernunft verhelfen. Im 19. Jahrhundert beansprucht diese Perspektive, mit vermeintlich wissenschaftlichen Theorien einen von Europa ausgehenden Fortschritt kultureller Entwicklung nachzuweisen.<br /></li><li>Die Hybris evolutionistischer Sozialtheorien wurde erst im 20. Jahrhundert erkannt und als politisch motivierte <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnozentrismus" target="_blank">ethnozentristische</a> Mythen entlarvt, die dem Eigennutz westlicher Kulturen
dienten. Allerdings entfalten diese Mythen noch immer ein zähes Eigenleben in vulgärwissenschaftlichen Überzeugungen.<br />Übergangsweise verbreiteten sich im 20. Jahrhundert <a href="https://www.wikiwand.com/de/Neoevolutionismus" target="_blank">neoevolutionistische Modelle</a>, die empirisch belegbaren gerichteten Wandel in wiederkehrenden Mustern
von einfachen zu komplexeren Stadien multilinear annehmen und beschreiben, ohne diese Veränderungen mit
Vorstellungen sozialen Fortschritts zu verbinden. <br /></li><li>Stand der Wissenschaft sind <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturrelativismus" target="_blank">kulturrelativistische Modelle</a>, die sich <b><b><span style="font-weight: normal;">gegen auch in der Wissenschaft
verbreiteten </span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Universalismus_(Philosophie)" target="_blank">Universalismus</a>,</span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;"> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnozentrismus" target="_blank">Ethnozentrismus</a>,
Rassismus sowie gegen religiöse oder ethische Wertungen wenden, aus denen
Hierarchien von <i>Kulturen</i> abgeleitet werden. </span></b></b>In
kulturrelativistischer Sicht ist eine <i>Kultur</i> anhand einer anderen
<i>Kultur</i> nicht erklärbar, sondern kann nur aus einer
Innenperspektive heraus verstanden werden. Demnach folgt jede Kultur
eigenen Gesetzmäßigkeiten. K<b><b><span style="font-weight: normal;">ulturelle Evolution versteht </span></b></b>ethnologischer Kulturrelativismus <b><b><span style="font-weight: normal;">als
kontingente, </span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;">in Richtung nicht vorherbestimmbarer Stadien sich entwickelnde </span></b></b><b><b><span style="font-weight: normal;">Antworten auf </span></b></b>zunehmende Komplexität sozialer Systeme.<b><b><span style="font-weight: normal;"> <br /></span></b></b></li></ul></div><div style="text-align: left;">Der Essentialismus kulturrelativistischer Perspektive gerät in der Gegenwart zunehmend unter Kritik, was dazu führte, dass sich die Ethnologie mittlerweile vom Begriff <i>Kultur </i>distanziert. <br /></div><i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i> <br /></div><div style="text-align: left;"><b>2.5 Kulturelle Vielfalt und Diversität soziologisch betrachtet<b> <br />
</b></b><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Mit
Prozessen sozialer Differenzierung entfalten sich zugleich Vielfalt und
Heterogenität als Bündel kultureller Attribute, die generell der
Markierung von Zusammengehörigkeit und Unterschiedlichkeit
sozialer Gruppen und partiell der Rechtfertigung vermeintlicher sozialer
Werthierarchien dienen. Offensichtlich dienen kulturelle Label als
notwendige Wegweiser, die mittels Identifizierung und Abgrenzung zur
Orientierung im Dschungel des sozialen Raums verhelfen. Zwangsläufig
bilden unterschiedliche, teilweise auch disparate oder sich
widersprechende Perspektiven, Orientierungen, Wertungen zugleich auch
einen Nährboden für soziale Konflikte. Zunehmende Vielfalt vergrößert
einerseits den Horizont individueller Verhaltensoptionen und
andererseits inhärentes Konfliktpotential sozialer Ordnungen.</div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;">Globalisierungsprozesse scheinen trotz
steigendem Bevölkerungswachstum das Wachstum von Soziodiversität zu
stoppen oder umzukehren. Ob innovative Fähigkeiten
ausreichen, um Auswirkungen des Bevölkerungswachstums zu bewältigen, ist eine Frage mit unsicherem Ausgang.(9)</span></b></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Politische Programme beabsichtigen die Bewältigung von
Kollektivaufgaben, die politische Auftraggeber als dringlich wahrnehmen. Im politischen Diskurs vermitteln <i><a href="https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320732/leitkultur/" target="_blank">Leitkulturen</a></i> als Meta-<i>Kultur</i> zwischen unterschiedlichen Vorstellungen von Kultur. Um friedliches soziales Zusammenleben zwischen
heterogenen kulturellen Gruppen zu realisieren und um gleichzeitig
begrenzte Ressourcen durch nachhaltiges Wirtschaften zu schonen, ist ähnlich wie über immaterielle <a href="https://www.wikiwand.com/de/%C3%96ffentliches_Gut" target="_blank">öffentliche Güter</a>
Konsens erforderlich. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Definition, Umsetzung und Durchsetzung von <i>Leitkulturen</i> sind
äußerst anspruchsvolle politische Aufgaben. Randbedingungen
von
Politik sind jedoch volatil, weshalb politische Programme nicht in
Stein gemeißelt sind, sondern Flexibilität benötigen, zugleich aber
auch Verbindlichkeit und Vertrauenswürdigkeit vermitteln müssen, um
politischen Mandaten gerecht zu werden. In
Anbetracht dieser Herausforderungen müssen Programme
politischer <i>Leitkultur</i> hohe Hürden überwinden. In der Realität scheitern
sie regelmäßig mehr oder weniger an der Herstellung von Konsens über politische
Programmatik.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zum Verständnis von Zusammenhängen zwischen sozialen Milieus und Lebensstilen hat der renommierte französische Soziologe <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu">Pierre Bourdieu</a>
(1930 - 2002) international beachtete Arbeiten beigetragen. Bourdieu
zeigt anhand empirischer Daten, dass subkulturelle Lebensstile nicht als
Ergebnis willkürlicher individueller Planung entstehen und daher
individuelle Lebensstile bestenfalls partiell als Ergebnisse geplanter
Lebensgestaltung aufzufassen sind.(10) <br /> <div style="text-align: left;">Zusammenhänge
von Lebensbedingungen, ihrer subjektiven Wahrnehmung und individuellen
Bedeutung sowie ihres sichtbaren Ausdrucks als Lebensstil definiert
Bourdieu als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Habitus_(Soziologie)">Habitus</a>.
Habitus versteht Bourdieu als ein System verinnerlichter sozialer
Muster, die Menschen als vermeintlich individuell selbstbestimmt
auffassen, tatsächlich aber von sozialstrukturellen Kontexten erzeugt
oder beeinflusst sind und darum von vielen Menschen geteilt werden.
Neben Alter und Geschlecht einer Person identifiziert Bourdieu 3 Arten
von Kapital, die maßgeblichen Einfluss auf die Herausbildung sozialer
Milieus und ihrer Lebensstile nehmen, d.h. Habitus modellieren:<ul style="text-align: left;"><li>Soziales Kapital (soziale Schicht der Herkunft)</li><li>Ökonomisches Kapitel (Ausbildung, Beruf, Einkommen)</li><li>Kulturelles bzw. symbolisches Kapital (Bildung) </li></ul></div></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div></div><div style="text-align: left;"><ol><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Rainer_M._Holm-Hadulla" target="_blank">Rainer M. Holm-Hadulla</a>: <i><a href="https://www.researchgate.net/publication/343921531_Neuro-Biologie_der_Kreativitat_Strukturaufbau_und_Strukturabbau" target="_blank">Neuro-)Biologie der Kreativität: Strukturaufbau und Strukturabbau</a></i> <br /></li><li>Siehe Kapitel 8 des Posts <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/3-was-ist-bewusstsein-evolution-von.html" target="_blank"><i>Was ist Bewusstsein?</i></a> <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Christian_Lehmann_(Linguist)" target="_blank">Christian Lehmann</a>: <a href="https://www.christianlehmann.eu/ling/ling_theo/index.html?https://www.christianlehmann.eu/ling/ling_theo/vorwort.php" target="_blank">Sprachtheorie</a>, Kapitel 13: Evolution der Sprache</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sprachentwicklung" target="_blank">Sprachentwicklung</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/sprachgeschichte-sprechen-sie-nostratisch-14239589.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Sprachgeschichte: Sprechen Sie Nostratisch?</a> <br /></li><li>Nature, 7.06.2017: <a href="https://www.nature.com/articles/nature.2017.22114" target="_blank">Oldest Homo sapiens fossil claim rewrites our species’ history</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziokulturelle_Evolution" target="_blank">Soziokulturelle Evolution</a> <br /></li><li>Diese Problematik betrachtet der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/01/evolution-kognitive-revolution-und-die.html" target="_blank"><i>Evolution, kognitive Revolution und die Folgen</i></a></li><li>Siehe Post: <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html">Pierre Bourdieu, Habitus und Doxa – Machteliten und Machtstrukturen</a></i> </li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><b>3 Paradigmen kultureller Modelle in der Ethnologie</b> <div style="text-align: left;"><b><b><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Das
kulturell Fremde ist der eigentliche Gegenstand ethnologischer
Forschung und Theoriebildung, was Ethnologen vor die Aufgabe stellt,
<i>Kultur</i> im wissenschaftlichen Sinn ethnologisch zu definieren. In
der Wissenschaftsgeschichte haben sich paradigmatische Grundtypen
soziokultureller Evolutionsmodelle herausgebildet.(1) Der nachfolgende Überblick dient der Einordnung soziologischer
Theoriebildung, die Teil 2 dieser Reihe referiert.</span></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.1 'Klassische' unilinear-evolutionistische Definition von Kultur </b><br /> </div><div style="text-align: left;"> </div><span style="font-weight: normal;">In einem vom Christentum geprägten Weltbild mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eschatologie" target="_blank">eschatologischen</a> Zeitvorstellungen erkennen 'klassische' Vorstellungen eines <a href="https://www.wikiwand.com/de/Evolutionismus" target="_blank">unilinearen Evolutionsmus</a>
eine vermeintlich zielgerichtete Entwicklung von zunächst einfachen zu
immer höheren und komplexeren kulturellen Stadien. Höhere Stufen werden
als Verbesserungen primitiver älterer Stufen verstanden. Unilineare Evolutionsmodelle basieren auf stereotypen Werturteilen und
Vermutungen. Bedeutende Vertreter dieses Modells sind <a href="https://www.wikiwand.com/de/Charles_Darwin" target="_blank">Charles Darwin</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lewis_Henry_Morgan" target="_blank">Lewis Henry Morgan</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/James_George_Frazer" target="_blank">James George Frazer</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Herbert_Spencer" target="_blank">Herbert Spencer</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Friedrich_Engels" target="_blank">Friedrich Engels</a>. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">'Klassische' Definitionen verstehen <i>Kultur</i>
als von Menschen hervorgebrachte Artefakte, die das Überleben in einer
Umwelt ermöglichen. Im Unterschied zu genetisch determinierter
Verhaltenssteuerung verfügen Menschen über Gestaltungsspielräume, deren Nutzung in unbewussten Prozessen der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Enkulturation" target="_blank">Enkulturation</a>
erlernt wird und deren Potential letztlich Menschen als eine eigene
biologische Spezies ausmacht. Biologisch ist jedoch die Grenze zwischen
Tieren und Menschen weniger scharf als oft angenommen. Nicht-genetisches
kulturelles Lernen tritt auch in der Tierwelt auf (z.B. Gesang von
Singvögeln, Werkzeuggebrauch, Erkennen von Mustern).<br /></span></div><span style="font-weight: normal;"> </span></div><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">In der Ethnologie geht unilineares evolutionistisches Verständnis von <i>Kultur</i> auf den britischen Ethnologen und Religionssoziologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Edward_B._Tylor" target="_blank">Edward B. Tylor</a> zurück, der als Begründer evolutionistischer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialanthropologie" target="_blank">Sozialanthropologie</a> gilt, die im 19. Jahrhundert Stand der Wissenschaft war. Tylor definierte <i>Kultur</i> 1871 als <i>"jenes
komplexe Ganze, welches Wissen, Glaube, Kunst, Moral, Recht, Sitte und
Brauch und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten einschließt, welche
der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat."</i>(2)</span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.2 Neoevolutionistisch-multilineare Definition von <i>Kultur</i> </b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Neoevolutionismus" target="_blank">Neoevolutionistische Modelle</a>
nehmen ebenfalls zielgerichtete Entwicklungen zu höheren 'modernen'
Stadien an, sie wenden sich aber gegen deterministische Vorstellungen
sozialen Fortschritts und postulieren deutlich differenziertere
mehrlinige Entwicklungen, deren Richtung nicht vorherbestimmbar ist.
Analysen neoevolutionistischer Modelle basieren auf empirischen
Beobachtungen und prüfbaren Daten. Bedeutende Vertreter dieses Modells
sind u.a. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Talcott_Parsons" target="_blank">Talcott Parsons</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Norbert_Elias" target="_blank">Norbert Elias</a>.</span></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.3 Pluralistisch-kulturrelativistische Definition von <i>Kultur</i> </b> </div><div style="text-align: left;"> </div><span style="font-weight: normal;"></span><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Pluralisierungen des Kulturbegriffes gehen auf den Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Franz_Boas" target="_blank">Franz Boas</a> und dessen Schüler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ruth_Benedict" target="_blank">Ruth Benedict</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Margaret_Mead" target="_blank">Margaret Mead</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Alfred_L._Kroeber" target="_blank">Alfred Kroeber</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Edward_Sapir" target="_blank">Edward Sapir</a> zurück. Boas fasste <i>Kultur</i> als Produkte nicht vergleichbarer unterschiedlicher Entwicklungsprozesse auf und sah in jeder Ethnie eine eigene <i>Kultur</i>, sodass <i>Kulturen</i> nicht universell, sondern nur relativ und spezifisch zu verstehen seien. Boas' Sicht eines <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturrelativismus" target="_blank">Kulturrelativismus</a> setzte
sich in der Ethnologie und Soziologie durch und führte zu einer starken
Betonung kultureller Andersartigkeit bei Vernachlässigung von Gemeinsamkeiten. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Die Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Alfred_L._Kroeber" target="_blank">Alfred Kroeber</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clyde_Kluckhohn" target="_blank">Clyde Kluckhohn</a>
haben mehr als 160 Definitionen von <i>Kultur</i> gesichtet und aus ihnen eine
synthetische Definition abgeleitet, die mit Begriffen jüngerer Wissenschaftsverständnisse angereichert ist, aber über Tylors
Definition kaum hinausgeht:<i> „Kultur besteht aus expliziten und impliziten
Mustern (patterns) des erworbenen Verhaltens, die durch Symbole
übermittelt werden und die unterschiedlichen Errungenschaften
(achievements) verschiedener menschlicher Gruppen einschließlich ihrer
Verkörperung in Artefakten begründen; der wesentliche Kern der Kultur
besteht in traditionellen (d. h. historisch hergeleiteten und
ausgewählten) Ideen und insbesondere den daran geknüpften Werten;
Kultursysteme können einerseits als Produkte von Handlungen und
andererseits als konstitutive Elemente künftiger Handlungen angesehen
werden.“</i>(3) <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>3.4 Konzepte analytischer und interpretativer Definition von <i>Kultur</i></b> <div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Bei aller Vielfalt von <i>Kulturen</i> suchen </span><b><b><span style="font-weight: normal;">aufgrund gleichartiger Bedürfnisse und
ähnlicher Lebensbedingungen </span></b></b><span style="font-weight: normal;">auch wertrelativistischer Haltung
verpflichtete Ethnologen nach von <i>Kulturen </i>
hervorgebrachten einheitlichen Prinzipien und Innovationen. Ab den 1970er
Jahren setzte ein
Umdenken ein, das kulturrelativistische Sicht nicht aufkündigte,
aber verstellte Blicke auf strukturell-funktionale Gemeinsamkeiten in
zwei sich gegenseitig abgrenzenden Hauptrichtungen freilegte:(4)</span></div></div></div></b></b></div></div></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Analytische_Ethnologie" target="_blank">Analytische Ethnologie</a> versucht, Gesetzmäßigkeiten (Universalien) insbesondere in
Techniken und Objekten materieller <i>Kultur</i>
sowie in Strukturen immaterieller <i>Kultur</i> aufzudecken und erklärt diese Gesetzmäßigkeiten in
Anlehnung an organische Systeme der Biologie funktionalistisch oder
strukturalistisch kausal als Systeme.</li><li>Das Paradigma <a href="https://www.wikiwand.com/de/Interpretative_Ethnologie" target="_blank">interpretativer Ethnologie</a> (auch als symbolische, semantische, reflexive Ethnologie oder Ethnographie bezeichnet) bezweifelt eine von außen wahrnehmbare objektive Realität
ihrer Forschungsgegenstände und nimmt an, dass Bedeutungen von Objekten,
Verhalten und Aussagen erst in einem Handlungs- und
Kommunikationskontext entstehen, aber in der Selbstwahrnehmung
sozialer Akteure oft unbewusst bleiben, jedoch durch interpretative
Fremdwahrnehmung erschlossen werden können. Interpretativer Ethnologie
geht es um das Erkennen und Verstehen von
Bedeutungen (Sinn) sozialer Phänomene, die ähnlich wie Texte gelesen
werden. Das kulturrelativistische Paradigma <a href="https://www.wikiwand.com/de/Interpretative_Ethnologie" target="_blank">interpretativer Ethnologie</a> entwickelten <a href="Claude Lévi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a>, die beiden 'Päpste' zeitgenössischer Ethnologie, in funktionalistischer Tradition <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bronislaw_Malinowski" target="_blank">Bronisław Malinowskis</a>. Schlüssel des Verständnisses bilden Strukturen von Sprache und
Verwandtschaftssystemen (Claude Lévi-Strauss) sowie Sinnmuster von
Symbolen
(Clifford Geertz).(5,6,7) </li></ul></div><div style="text-align: left;">Im wissenschaftlichen Diskurs ist strittig, ob
interpretative Ethnologie einem methodischen Verständnis von
Wissenschaft
im engeren Sinn entspricht oder eher als Literatur einzuordnen ist.(8)
Ebenfalls umstritten ist die wertrelativistische Haltung des
Kulturrelativismus, der vermeintlich die
Gültigkeit allgemeiner
Menschenrechte infrage stellt.(Siehe 3.2) Dieses Argument übersieht,
dass
Kulturrelativismus kein politisches Programm ist und die Rolle eines
Wissenschaftlers neutrale Redlichkeit verlangt, die sich
weder von
Politik noch von Wirtschaft instrumentieren bzw. vereinnahmen lassen
sollte (was in der Realität nicht immer so ist). In Rollen als soziale
Akteure dürfen auch Wissenschaftler selbstverständlich politisch Stellung beziehen. Daher liegt kein Widerspruch vor, wenn Lévi-Strauss als Wissenschaftler
Kulturrelativist ist, aber als politisch-sozialer Akteur 'modernes'
Denken 'heißer' westlicher <i>Kultur</i> pessimistisch kommentiert und 'wildes'
Denken 'kalter' <i>Kulturen</i> über Zeit als überlegen auffasst. (Siehe 3.3.2)<br /></div> <div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;"><b>3.4.1 <i>Kultur</i> als System: </b><b>Talcott Parsons und Niklas Luhmann</b>(9)</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziologische_Systemtheorie" target="_blank">Soziologische Systemtheorien</a>
haben den Anspruch, die soziale Welt von der Mikro- bis zur Makroebene
in einer umfassenden universellen Theorie zu erklären und entwickeln zu
diesem Zweck kategoriale Begriffsapparate.(10) In soziologischer
Systemtheorie geht es nicht darum, Handlungsmotive von Menschen oder das
Zustandekommen konkrete Ereignisse zu erklären, sondern zu verstehen,
wie soziale Systeme funktionieren, Komplexität bewältigen, Stabilität
erzeugen und sich selbst generieren. Bedeutende Vertreter soziologischer
Systemtheorie sind <a href="https://www.wikiwand.com/de/Talcott_Parsons" target="_blank">Talcott Parsons</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Niklas_Luhmann" target="_blank">Niklas Luhmann</a>.</div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><i>"Ausgangspunkt
von Parsons’Bestimmung des Kulturbegriffs war die Hobbes’sche Frage
nach der Entstehung sozialer Ordnung. Als Antithese zu utilitaristischen
Modellen erklärte Parsons (1937) die Möglichkeit sozialer Ordnung mit
einem Orientierungsrahmen aus Werten und Normen, der von der
Gesellschaft mit (positiven und negativen) Sanktionen gestützt wird und
den Akteur bei seiner Handlungswahl anleitet. Diesen Orientierungsrahmen
bezeichnet Parsons als ‚Kultur‘. Parsons’ sozialer Akteur verfolgt also
prinzipiell kulturell vorinterpretierte und bewertete Ziele und wählt zu
ihrer Umsetzung kulturell gebilligte Mittel. Zwar sind seine Handlungen
freiwillig, aber durch ein Feld kulturell bedeutsamer, normativer
Möglichkeiten umgrenzt. Teil des kulturellen Orientierungsrahmens sind
komplementäre Rollenerwartungen, die von den sozialen Akteuren –ebenso
wie allgemeine gesellschaftliche Werte –im Rahmen ihrer Sozialisation
verinnerlicht wurden."</i>(11)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Soziale
Systeme (Institutionen und Organisationen) konstituieren sich durch
Interdependenzen ihrer von handelnden Akteuren angetriebenen Elemente.
Soziale Akteure agieren nicht primär im Interesse ihrer eigenen
Motivationen, sondern sie erbringen aufgrund normativer
Verhaltensvorschriften, die zu notwendigen Systemelementen zählen,
unbewusst (wie Rädchen einer Maschine) Leistungen, die der Persistenz
von Systemen dienen. Das kulturelle System ist für sozialen Wandel ohne
Bedeutung und übernimmt Funktionen der Strukturerhaltung und
Systemintegration. Sozialer Wandel kommt ausschließlich über
Systemdifferenzierung zustande.(12) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Während
bei Parsons Strukturbegriffe Vorrang vor Funktionen haben und
Funktionen strukturellen Bedürfnissen dienen, dreht Luhmann das
Verhältnis um. Bei Luhmann dienen Strukturen funktionalen Anforderungen.
Entsprechend dieser Umkehrung unterscheidet sich auch das Verständnis
von Systemen. Für Luhmann geht es darum, wie Systeme und der Austausch
zwischen ihnen funktionieren.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Eine <i>Theorie</i>, die alles erklärt, erklärt letztlich nichts. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hartmut_Esser" target="_blank">Hartmut Esser</a> bezeichnet soziologische Systemtheorie als ein "<i>Arsenal von Begriffen und Konzepten</i>",
die soziologische Gegenstände sortieren und Bücher gliedern, ohne dass
sich aus ihnen Hypothesen ableiten ließen, weshalb sie sich zu Unrecht
als <i>Theorie</i> bezeichnet. Als besonders verhängnisvoll kritisiert
Esser die unter Soziologen verbreitete Meinung, dass mit der
Kategorisierung in begrifflichen Systemen auch bereits
Erklärungsprobleme gelöst seien.(13) In der Gegenwart haben
soziologische Systemtheorien als Perspektive soziologischer Forschung
ausgedient.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>3.4.2 <i>Kultur</i> als Text: </b><b>Claude Lévi-Strauss, </b><b>kalte und heiße <i>Kulturen</i>, wildes und modernes Denken</b></div><div style="text-align: left;"><br />Der französische Ethnologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a>
hat maßgeblich die Erforschung des symbolischen Denkens und seiner
Grundstrukturen als wissenschaftliches Konzept des ethnologischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturalismus" target="_blank">Strukturalismus</a>
begründet. Der Einfluss von Lévi-Strauss auf Kulturwissenschaften,
Ethnologie und Religionssoziologie ist kaum zu überschätzen. Ethnologie
war für Lévi-Strauss Anthropologie von Kommunikation. <i>Kultur</i>
betrachtete er wie Sprache, deren Semantik (inhaltliche Bedeutung)
linguistisch via Syntax (Regelsysteme) und Semiotik (Zeichensysteme)
variiert. Gemäß strukturalistischer Denkweise werden Symbole und Objekte
erst durch ihren Bezug zur Welt mit Bedeutung aufgeladen. Wenn sich
Weltbezüge ändern, verändern sich damit auch Bedeutungen. Soziales Leben
versteht Lévi-Strauss als Lesen von Symbolen und Austausch von
Zeichen.(14)</div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><span class="mw-parser-output">Indigene
<i>Kulturen</i> betrieben ursprünglich traditionelle
Subsistenzwirtschaft.
Die unmittelbare Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt bewirkte
die Entstehung von Wissen über natürliche Ordnungen, Rhythmen
und Kreisläufe. Dieses Wissen schlug sich im religiösen Repertoire von
Mythen und Riten dieser <i>Kulturen</i> nieder. Sakralisierung, mythische
Spiritualisierung, Tabuisierung von Naturphänomenen dienen der Bewahrung
einer natürlichen Ordnung bzw. der Vermeidung von Kulturwandel. </span> Claude Lévi-Strauss schlug in seinem Werk <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wildes_Denken" target="_blank"><i>Das wilde Denken</i></a> vor, <i>Kulturen</i> nach ihrer Einstellung zum <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Wandel" target="_blank">Kulturwandel</a> in <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kalte_und_hei%C3%9Fe_Kulturen_oder_Kulturelemente" target="_blank"><i>kalte</i> <i>und</i> <i>heiße</i> <i>Kulturen</i></a> zu unterscheiden. Je <i>kälter</i>
eine <i>Kultur</i> ist, desto stärker ist ihr Bestreben, mittels komplexer
Verhaltenssysteme ihre traditionellen Kulturmuster zu bewahren und
Veränderungen zu vermeiden. Eine <i>Kultur</i> gilt als umso <i>heißer</i>, je stärker ihr Bestreben zu schneller und umfassender Modernisierung ist.(15)<br /></div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der logischen
Struktur sah Lévi-Strauss zwischen
vermeintlich primitivem "wildem Denken" (Denkweisen indigener <i>Kulturen</i>)
und vermeintlich "modernem Denken" (Denkweisen westlicher <i>Kulturen</i>) keinen wesentlichen qualitativen Unterschied. Beide Denkweisen
beruhen auf Prinzipien einer gemeinsamen Grundstruktur, mit der die Welt
universell geordnet wird. <i>Wildes</i> und <i>modernes</i> Denken
folgen der gleichen inneren Logik und ordnen das Chaos mit Hilfe
widerspruchsfreier Klassifikationssyteme. Unterschiede zwischen "wildem und modernem Denken" entstehen durch
verschiedene Bezüge zur Welt, die Einfluss auf die Wahrnehmungen von
Welt nehmen (vergleichbar der Unterschiede zwischen wissenschaftlichem
Denken und Alltagsdenken). </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der Art der Wissenserzeugung sind jedoch Unterschiede zu erkennen. <i>Wildes Denken</i>
gelangt zu universalem Verständnis, indem es Ordnungen über sichtbare
Ähnlichkeiten herstellt und in Klassifikationsschemen unterbringt, die
ein ganzheitliches Verständnis von Welt ermöglichen. <i>Modernes Denken</i>
schafft Ordnungen eher über Abstraktion und rationale Prinzipien wie
Kausalität, aus denen keine Rückschlüsse auf ein Gesamtsystem möglich
sind. Für beide Modelle gilt, dass sich ihre Denkweisen in ihrer jeweiligen Umgebung bewähren müssen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In der unmittelbaren Konfrontation der Modelle scheint <i>modernes Denken</i> gegenüber <i>wildem Denken</i> effizienter und darum überlegen zu sein. Lévi-Strauss widerspricht. Er sieht eine Überlegenheit des <i>wilden Denkens</i>,
die im Sinne einer kosmischen Ordnung aus der engeren Verwobenheit mit
der Natur resultiert. Vor dem Hintergrund profunder wissenschaftlicher
Erfahrung diagnostiziert Lévi-Strauss <i>moderner </i>westlicher <i>Kultur</i> einen Zustand der
Erschöpfung ihrer Reserven. Westliche <i>Kultur</i> zahle die Siegerkultur ihrer Ordnung mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Entropie_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">sozialer Entropie</a>
und Orientierungslosigkeit, ohne dass eine Regenerierung aus eigener
Kraft möglich zu sein scheint.(16,17)</div><span class="mw-parser-output"></span><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div></div><div style="text-align: left;"><b>3.4.3 Clifford Geertz: <i>Kultur</i> als Symbolsystem</b>(18)<b><br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Das Verständnis von <i>Kultur</i> als ein symbolisches Symbolsystem hat der US-amerikanische Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a> verbreitet, dessen Definition von <i>Religion</i> u.a. der Religionssoziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a> übernahm und die auch den Autor dieses Post überzeugt. Geertz vertritt ein offenes, relativistisches Konzept von <i>Kultur</i> und verwendet einen auf zeichenhafte Bedeutungen beruhenden 'semiotischen Kulturbegriff'. <i>Kultur</i>
versteht Geertz als ein von Menschen gesponnenes dynamisches
'Bedeutungsgewebe', das als kulturelles Symbolsystem ständigen
Veränderungen unterliegt und niemals objektiv ist. Für in diesem
'Bedeutungsgewebe' lebende Menschen, ist deren Verständnis von <i>Kultur</i> unbewusst und untrennbar mit der jeweiligen <i>Kultur</i> ihrer Lebensumgebung verknüpft. Ethnologen, die <i>Kultur</i> mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ethnographie" target="_blank">ethnographischen</a> Methoden von außen betrachten, müssen dagegen den symbolischen Gehalt von <i>Kultur</i> entschlüsseln und <i>Kultur</i> wie einen Text lesen, weshalb diese ethnologische Ausrichtung als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Interpretative_Ethnologie" target="_blank">interpretative, symbolische oder reflexive Ethnologie</a>
bezeichnet wird. Ethnografische Texte versteht Clifford Geertz nicht
als Beschreibungen objektiver Wirklichkeiten, sondern als
fiktionale Literatur, die literarischen und rhetorischen
Gestaltungskriterien gehorcht.(19,20)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Eine differenziertere Betrachtung dieses Themenfeldes bietet der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/03/architektur-von-erinnerung-wissen.html" target="_blank"><i>Architektur von Erinnerung, Wissen, Wahrheit - interdisziplinär betrachtet</i></a>.<br /></li><li>FAZ: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/natur-und-wissenschaft/2023-04-26/der-einfache-weg-denkfehler-zu-vermeiden/886765.html" target="_blank">Psychologische Biases</a> <br /></li><li>Zitat aus K.-H. Kohl, Ethnologie, a.a.O., S. 131</li><li>Zitat aus Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kultur#Begriffsvielfalt" target="_blank">Kultur.Begriffsvielfalt</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kultur#Kulturen:_Die_Pluralisierung_des_Kulturbegriffs" target="_blank">Kultur.Kulturen:Die Pluralisierung des Kulturbegriffes </a></li><li>Ein berühmtes Beispiel für interpretative Ethnologie bietet Clifford Geertz' Essay <a href="https://www.wikiwand.com/en/Deep_Play:_Notes_on_the_Balinese_Cockfight" target="_blank">"Deep Play: Notes on the Balinese Cockfight"</a>
über den balinesischen Hahnenkampf. Der Ethnologe Volker Gottowik
analysiert den Geertz-Text in einem Essay über interpretative
Ethnologie: <a href="https://www.uni-frankfurt.de/43801936/Gottowik_Verstehensbegriff__2004.pdf" target="_blank">Clifford Geertz und der Verstehensbegriff in der interpretativen Ethnologie</a> (PDF). <br />Bebilderter Artikel der FAZ vom 25.11.2022: <a href="https://www.faz.net/aktuell/fotografie/hahnenkampf-auf-den-philippinen-blutige-spektakel-18430104.html" target="_blank">Hahnenkampf auf den Philippinen</a><br /></li><li>Harald Klinke: Kulturbegriff heute. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 2000: <a href="http://legacy.harald-klinke.de/archiv/texte/sa/GEERTZ.htm" target="_blank">legacy.harald-klinke.de /archiv/texte/sa/GEERTZ.htm</a><br /></li><li>TAZ, 3.11.2006: <a href="https://taz.de/Der-beschreibende-Dichter/!357039/" target="_blank">Der
beschreibende Dichter. Wie der Blick des Beobachters fremde Kulturen
definiert: Zum Tod des großen Anthropologen Clifford Geertz</a></li><li>FU Berlin, Sozial- und Kulturanthropologie: <a href="https://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Reflexive+Anthropologie" target="_blank">Reflexive Anthropologie</a></li><li>Anmerkungen dieses Kapitels basieren auf den Veröffentlichungen:<br /><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Annette_Treibel-Illian" target="_blank">Annette Treibe</a>l: Einführung in die soziologische Theorie der Gegenwart, 7. Auflage, Wiesbaden 2006</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Hartmut_Esser" target="_blank">Hartmut Esser</a>: Soziologie. Allgemeine Grundlagen, 3. Auflage, Frankfurt 1999</li></ul></li><li>Was unter wissenschaftlicher Theorie verstanden wird, erklärt ein Artikel im englischen Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/en/Scientific_theory" target="_blank">Scientific theory</a> <br /></li><li>Meyer, Christian (2019):<a href="https://www.researchgate.net/publication/334480107_Meyer_Christian_2019_Ethnomethodologie_als_Kultursoziologie_In_Handbuch_Kultursoziologie_Hg_v_St_Moebius_F_Nungesser_u_K_Scherke_Wiesbaden_Springer_VS_3-27" target="_blank">
Ethnomethodologie als Kultursoziologie. In: Handbuch Kultursoziologie.
Hg. v. St. Moebius, F. Nungesser u. K. Scherke. Wiesbaden: Springer VS.
3-27.</a> <br /></li><li>Jan Künzler: Talcott Parsons' Theorie der symbolisch generalisierten Medien in ihrem<br />Verhältnis zu Sprache und Kommunikation, Zeitschrift für Soziologie, Jg. 15, Heft 6, Dezember 1986, S. 422-437</li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Hartmut_Esser" target="_blank">Hartmut Esser</a>: Soziologie, a.a.O., S. 401</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a>
- <a href="https://www.wikiwand.com/de/Strukturalismus" target="_blank">Strukturalismus</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionsethnologie" target="_blank">Religionsethnologie</a> <br /></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Wandel" target="_blank">Sozialer Wandel</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wildes_Denken" target="_blank">Wildes Denken</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kalte_und_hei%C3%9Fe_Kulturen_oder_Kulturelemente" target="_blank">Kalte und heiße Kulturen</a> </li><li>FAZ, 18.07.2012: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/claude-levi-strauss-anthropologie-in-der-modernen-welt-der-westen-ist-erschoepft-11824359.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Der Westen ist erschöpft</a></li><li>WELT, 16.08.2018: <a href="https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article181196376/Zeitgeist-Warum-ist-unsere-Gesellschaft-so-erschoepft.html" target="_blank">Warum ist unsere Gesellschaft so erschöpft?</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a> - <a href="https://www.wikiwand.com/de/Religionsethnologie" target="_blank">Religionsethnologie</a> </li><li>FU Berlin, Sozial- und Kulturanthropologie: <a href="https://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Reflexive+Anthropologie" target="_blank">Reflexive Anthropologie</a> <br /></li><li>Siehe Kapitel 5.2.2 des Posts <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2022/10/die-ordnung-des-himmels-dauert-nicht_23.html" target="_blank">Vor- und Randbemerkungen zur Postreihe über Evolution von Kultur und Religion</a> </i> <br /></li></ol> </div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><b>4 Mythen der Entstehung von <i>Kultur</i> </b><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>4.1 Was sind Mythen? </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kulturelle Mythen bilden innerhalb von <i>Kulturen</i> ein Reservoir
historisch entstandener und in der Gegenwart nicht mehr hinterfragbarer
Narrative, die man nicht für wahr halten muss, aber gewöhnlich als
kulturelle Identität stiftende Erzählung anerkennt, ohne ihre Bedeutung
tatsächlich zu verstehen. Verständnisse
stellen sich nicht aus naivem Interesse oder teilnehmenden Erlebnissen intuitiv ein. Mythen sind Schlüssel, die Zugänge zu Verständnissen von <i>Kulturen</i>
erschließen, wenn man diese Schlüssel zu nutzen weiß. Bedeutungen von Mythen erschließen sich erst jenseits des Alltagsdenkens auf analytischen Metaebenen.</div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Mythos" target="_blank">Mythen</a> entstehen aus mit kollektiver Gültigkeit ausgestatteten Narrativen (sinnstiftende Erzählungen) vom Typ Heldenerzählung (kulturell bedeutende heroische Taten). Mythen und Narrative vermengen emotional angereicherte Beobachtungen empirischer oder vermeintlich empirischer Phänomene mit Wertvorstellungen und nicht prüfbaren Behauptungen kausaler Ursachen. Wertvorstellungen bestätigende und Wissenslücken füllende Mythen sind tief in menschlicher <i>Kultur</i> wurzelnde Träger kollektiver Sinnvermittlung und bilden Fundamente kultureller Architekturen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Als Erzählung ist die Identifizierung von Mythen einfach. Das rhetorische Muster des Storytellings ist aber auch ein weniger offensichtliches Kommunikationsmuster, das mit Hilfe mythischer Strukturen zu kollektiv vermittelbaren bildhaften Vorstellungen abstrakter Zusammenhänge verhilft. Überwiegend unbewusst wirksam werdende Mythen des Storytellings bilden Katalysatoren der Modellierung von <i>Kultur</i>, erzeugen unbewusste Deutungsmuster der Wahrnehmung von Welt und setzen Rahmen legitimer Verhaltensweisen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kulturelle Sphären von Politik, Wirtschaft, Kunst, Literatur, <i>Religion</i> etc. sind mythengesättigt. Romane, Kinofilme, Computerspiele und andere Arten von Kunst und <i>Kultur</i> wären ohne mythische Strukturen nicht möglich. Selbst Wissenschaften sind keine mythenneutrale Reservate. Den Kern zahlreicher wissenschaftlicher Paradigmen bilden Mythen (siehe Kapitel 3.3.2). Wissenschaftshistorie und Geschichtsschreibung betreiben systematische Mythenbildung. Zeitlich und räumlich variierende Inhalte und Ausdrucksformen kultureller Sinnvermittlung bilden den Gegenstandsbereich von Ethnologie. Analytisch beschreibt <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu" target="_blank">Pierre Bourdieu</a> von kulturellen Mythen erzeugte Effekte der Sinnvermittlung als Habitus und Doxa.(1)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>4.2 Typen und Gliederungen von Mythen</b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Animismus_(Religion)" target="_blank">Animistische</a> Urmythen projizieren mittels
Anthropomorphisierung menschliche Eigenschaften und menschliches
Verhalten auf eine Welt, in der Tiere, Pflanzen und nicht lebende Objekte entsprechend einer menschlichen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Seele" target="_blank">Seele</a> beseelt sind.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Religiöse Mythen verknüpfen die Welt der Menschen mit der Welt von Göttern. In vielen <i>Kulturen</i> bestehen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie" target="_blank">kosmogonische</a>
Mythen, die den Ursprung des Kosmos und der Erde erklären, Sinn stiften
und eine Urordnung festlegen, die Menschen zu bestimmten
Verhaltensweisen verpflichten. Die Entstehung einzelner <i>Kulturen</i> oder kultureller Techniken wird oft mit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturheros" target="_blank">Kulturhelden</a> erklärt (z.B. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Prometheus" target="_blank">Prometheus</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gilgamesch" target="_blank">Gilgamesch</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Mose" target="_blank">Mose</a>).</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Die <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Genesis_(Bibel)" target="_blank">Genesis</a></i>
traditioneller christlicher Lehre besteht aus 2 Teilen, Erschaffung der
Welt und Erschaffung der Menschen. Teil 1 der Erschaffung der Welt
knüpft an ältere Schöpfungsmythen und Kosmogonien an, die im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Fruchtbarer_Halbmond" target="_blank">Fruchtbaren Halbmond</a> der Arabischen Halbinsel verbreitet waren. In der <i>Genesis</i> entsteht <i>Kultur</i> als Strafe, die Gott den Menschen aufgrund ihrer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erbs%C3%BCnde" target="_blank">Erbsünde</a> mit der Vertreibung aus dem Paradies auferlegt. In Genesis 3.23 heißt es: <i>"Da schickte Gott, der HERR, ihn aus dem Garten Eden weg, damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war."</i>(2) Andere <i>Kulturen</i> kennen andere Mythen der Kulturentstehung.(3)</div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Grenzen zwischen
animistischen, religiösen und rationalen Entstehungsmythen sind fließend. Das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmologie" target="_blank">kosmologische</a> <a href="https://www.wikiwand.com/de/Lambda-CDM-Modell" target="_blank">Standardmodell</a>
der Entstehung und Ausbreitung des Universums basiert auf
kosmogonischen Mythen und überstülpt ihnen rationale physikalische
Erklärungen. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Singularit%C3%A4t_(Astronomie)#Anfangssingularit%C3%A4t" target="_blank">Anfangssingularität</a> des kosmischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Urknall" target="_blank">Urknalls</a> hat keinen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ereignishorizont" target="_blank">Ereignishorizont</a>
und liegt außerhalb des Gültigkeitsbereichs physikalischer Gesetze. Das
Narrativ des Urknalls als Entstehung von Materie, Raum, Zeit und
physikalischer Gesetze aus einer ursprünglichen Singularität ist ein
rationaler kosmogonischer Mythos. </div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a>
erkannte, dass Kataloge tradierter Mythen immer in 6 Abschnitten
untergliedert sind. Die erste Erzählung berichtet, wie die Welt aus der
monistischen Instanz einer <i>Urkultur</i> entspringt (dem Nichts, dem
Chaos, einem Fluss, einem Meer, einem Früchte tragenden Weltenbaum, der
Regenbogenschlange, einer astronomischen Singularität etc.), zu der alle
nachfolgenden Erzählungen in Beziehung gesetzt werden. In
kosmogonischen Mythen gilt der erste Zustand immer als ein Zustand, in
dem Glück und Harmonie in Vollkommenheit bestehen (Paradiese).
Nachfolgende mythische Erzählungen beschreiben Konflikten, aus denen die Zerstörung ursprünglicher
Vollkommenheit resultiert.</div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Siehe Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2019/11/pierre-bourdieu-habitas-und-doxa.html" target="_blank"><i>Pierre Bourdieu, Habitas und Doxa - Machteliten und Machtstrukturen</i></a> <br /></li><li>Bibelserver Einheitsübersetzung 2016: <a href="https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU84/GEN.3/1.-Mose-3" target="_blank">1. Mose 3</a> <br />Bemerkenswert
ist, dass der Grund für die Vertreibung aus dem Paradies nicht
Ungehorsam von Adam und Eva ist, sondern Gottes Befürchtung, dass die
beiden, nachdem sie Früchte vom <a href="https://www.wikiwand.com/de/Baum_der_Erkenntnis" target="_blank">Baum der Erkenntnis</a> gegessen haben, nun auch Früchte vom <a href="https://www.wikiwand.com/de/Baum_des_Lebens_(Bibel)" target="_blank">Baum des ewigen Lebens</a> essen könnten und damit gottgleich würden.</li><li>MDR: <a href="https://www.mdr.de/wissen/antworten/schoepfungsmythen-100.html" target="_blank">Schöpfungsmythen der Menschheit</a></li></ol></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><b>5 </b><b>Kategoriales Denken und </b><b>Ordnung der Welt</b>(1)<br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)" target="_blank">Kategorien</a> bilden Systeme einer unbewussten begrifflichen Ordnung der Welt. Kategorien
beruhen auf Abstraktionen, die Chaos ordnen, um in prinzipiell
unendlicher Welt Kontrollierbarkeit herzustellen.(2) Ob gedachte
Ordnungen einer Realität entsprechen, ist eine seit ca. 2.500 Jahren in
philosophischer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Erkenntnistheorie" target="_blank">Erkenntnistheorie</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Ontologie" target="_blank">Ontologie</a> kontrovers diskutierte Frage.(3) Für das Alltagsdenken
und die wissenschaftliche Praxis ist diese Frage irrelevant. In der Lebenspraxis ist entscheidend, ob begriffliche
Ordnungen für das Überleben in einer chaotischen Welt tauglich sind. Vermeintliche Gegensätzlichkeit von <i>Natur</i> und <i>Kultur </i>zeigt exemplarisch den Charakter begrifflicher Kategorien als ordnende soziale Konstruktionen.(Siehe 3.1) Das Beispiel der Fossilienlagerstätte <a href="https://www.biologie-seite.de/Biologie/Burgess-Schiefer" target="_blank">Burgess-Schiefer,</a> die im kurzen Zeitraum der <a href="https://www.biologie-seite.de/Biologie/Kambrische_Explosion" target="_blank">kambrischen Explosion</a> entstandene neue Arten mit völlig veränderten Bauplänen zeigt, macht Problematiken kategorialer Denkweise anschaulich. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kategorien und begriffliche
Ordnungen des Alltagsdenkens repräsentieren Modelle von
Welt, deren Systeme sich als <i>Kultur</i> manifestieren. <i>Kulturen</i> entwickeln Mechanismen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Autopoiesis" target="_blank">autopoietischer</a> Prozesse der Selbsterzeugung. Obwohl
Phänomene der Welt häufig nicht eindeutig und oft nur relativ zu
bewerten sind (z. B.: Freund - Feind, gut - böse, warm - kalt, feucht -
trocken, groß - klein, reich - arm, fröhlich - traurig, dumm - klug,
billig - teuer etc.), erzeugen Kategorien vermeintlich Eindeutigkeit
sowie klare Grenzen und Dichotomie auch dort, wo sie in der Realität
unsicher sind oder nicht existieren. Vereinfachungen ermöglichen in komplexen
Situationen schnelle Entscheidungen und befähigen zu Handlungskompetenz. Sie
verursachen jedoch Verzerrungen von Wahrnehmungen und Urteilen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unterschiedliche Ethnien deuten die Welt intrakulturell mit ihren spezifischen begrifflichen Ordnungssystemen jeweils vermeintlich richtig. Da <i>Kulturen</i> sich interkulturell hinsichtlich Bedeutungen ihrer Kategorien und begrifflichen
Ordnungen unterscheiden, deuten sie die Welt jedoch unterschiedlich. Aufgrund divergierende Modelle des
Verständnisses von Welt sind interkulturelle Interaktionen für Missverständnisse und Irrtümer anfällig. Mit dynamischen Prozessen der Welt
ändern sich begriffliche Ordnungen und Bedeutungen von Kategorien über Zeit sowohl intrakulturell als auch interkulturell und
werden als Kulturwandel wahrgenommen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust lehnt die Ethnologie
auf unterschiedlichen
Selbstverständnissen beruhende diskriminierende Ansichten über fremde <i>Kulturen</i> ab und betrachtet <i>Kultur</i> pluralistisch in Systemen der jeweiligen begrifflichen Ordnung einer <i>Kultur</i>. Im Alltagsdenken westlicher <i>Kulturen</i> zirkulieren jedoch nach wie vor diskriminierende Vorstellungen der Überlegenheit eigener <i>Kultur</i> und der Rückständigkeit fremder <i>Kulturen</i>. Die Eliminierung der Rückständigkeit fremder <i>Kulturen</i>
mittels Entwicklungsmaßnahmen und die Vereinheitlichung globaler
Denkweise nach westlichem Vorbild gelten als vornehme Aufgabe in der
Verantwortung westlicher <i>Kultur</i>. Dass auf diesem Weg globaler Frieden hergestellt werden kann, ist nicht absehbar, und dass globale <i>Kultur</i> mit abnehmender kultureller Diversität reicher wird, kann niemand ernsthaft behaupten. Vermeintlich kulturelle Ordnung stiftende Narrative vom Fortschritt zeichnen die Kapitel 3.2 und 3.3 nach.<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> <div style="text-align: left;"><b>5.1 Kategoriales Denken und vermeintliche Gegensätzlichkeit von <i>Natur</i> und <i>Kultur</i></b> <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Natur</i> und <i>Kultur</i> bilden in Prozessen des Denkens Leitkategorien, über die in unterschiedlichen Sozialsystemen verschiedene Auffassungen bestehen. Im
westlich-europäischen Denken ist der Mensch 'Verursacher'. Gemäß diesem
Verständnis erzeugt eine nicht von Menschen geschaffene <i>Natur</i> in evolutionären Prozessen Leben und Menschen, die ihre Lebensumgebung als <i>Kultur</i> gestalten. Westliche <i>Kulturen</i> verstehen sich als 'Kulturvolk'. <i>Natur</i> und <i>Kultur</i> bilden ein Antonym. In vielen Ethnien bestehen dagegen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Chthonismus" target="_blank">chthonische</a>
(erdverbundene) Weltanschauungen, gemäß der Menschen sich als untrennbare
Bestandteile ihres Lebensraums verstehen und sich nicht als 'Verursacher',
sondern als 'Kontrolleure' ihres Lebensraums sehen. Solche Ethnien
gelten in der Fremdbetrachtung aus Sicht westlicher <i>Kultur</i> als 'Naturvolk'.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gegen Annahmen einer scheinbar scharfen Abgrenzung von <i>Natur</i> und <i>Kultur</i> sprechen 2 Argumente:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Von Menschen unbeeinflusste Naturlandschaft existiert als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wildnis" target="_blank">Wildnis</a>
nur noch in lebensfeindlichen weiten Wüstenlandschaften sowie in
polaren Regionen. Der große Rest ist Kulturlandschaft, die aber
fälschlich als Naturraum bezeichnet wird. </li><li>Menschen können <i>Natur</i> nur durch Kulturtechniken wahrnehmen. Damit verschwimmen Grenzen und Vorstellungen einer <i>Natur an sich</i>. Letztlich scheint alles entweder <i>Kultur</i> oder alles <i>Natur</i> zu sein. In der Genesis übergibt Gott den Menschen die Herrschaft über die Erde. Damit wird die Erde zur <i>Kultur</i>. Die gegenteilige Annahme, dass alles <i>Natur</i> ist, bildet den Kern der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Gaia-Hypothese" target="_blank">Gaia-Hypothese</a>.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">Eine stark vereinfachende Einteilung der Menschheit in die Kategorien
'Naturvolk' und 'Kulturvolk' ist so fragwürdig wie ein vermeintlicher
Gegensatz von <i>Natur</i> und <i>Kultur</i>. </div><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> <i>"Natur
und Kultur schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern markieren
lediglich die gedachten Enden einer Skala mit fließend ineinander
übergehenden Mischungszuständen (<a href="https://www.wikiwand.com/de/Hemerobie" target="_blank">Hemerobie</a>)</i>."(4) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Ethnien mit vom westlichen
Denken abweichenden Weltanschauungen sind ebenfalls 'Kulturvölker'. Allerdings bestehen unterschiedliche Leitkategorien,
deren Übertragung von einer <i>Kultur</i> auf eine andere zu fehlerhaften
Aussagen und Irrtümern führt. Kulturvergleiche erfordern hohe interkulturelle
Kompetenz, die im
Alltagsdenken gewöhnlich nicht vorhanden ist und erst mit wissenschaftliche Bildung vermittelt wird. Claude Lévi-Strauss und
anderen zeitgenössischen Ethnologen ist die Erkenntnis zu verdanken,
dass vermeintliche Unterschiede zwischen <i>Kulturen</i> vor allem durch unzulässige Kategorienübertragungen zustande kommen und Unterschiede zwischen <i>Kulturen</i> in der Realität deutlich kleiner sind, als gemeinhin angenommen wird. <br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b><div style="text-align: left;">5.2 Konstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</div></b><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div>Die große Erzählung vom Fortschritt geht ungefähr so:<div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px;"><div style="text-align: left;"><i>"Der
wissenschaftliche Fortschritt erzeugt den technischen Fortschritt. Der
technische Fortschritt erzeugt den ökonomischen Fortschritt. Der
ökonomische Fortschritt erzeugt den sozialen Fortschritt. Der soziale
Fortschritt erzeugt den individuellen Fortschritt. Der individuelle
Fortschritt erzeugt – durch die Befreiung von niederer Arbeit durch
Bildung und Wissen – den kulturellen Fortschritt. Der kulturelle
Fortschritt wiederum erzeugt weiteren wissenschaftlichen Fortschritt.
Und so weiter, bis irgendwann das Paradies der Vollkommenheit in einer
Welt des ewigen Fortschritts erreicht wäre."</i>(5) </div>
<div style="text-align: left;"> </div></div><div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">In der Welt monotheistischer Religionen prägten und prägen teilweise noch immer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eschatologie" target="_blank">eschatoligische</a> Vorstellungen eines endzeitlichen Geschehens das Denken von Menschen. Seit dem ausgehenden Mittelalter bewirken imperialer Kolonialismus, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">europäische Expansion</a>, rationalistische Verwissenschaftlichung der Welt und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Industrielle_Revolution" target="_blank">industrielle Revolution</a> ein Umdenken. Zunächst gegen
Widerstand traditioneller Denkweise setzten sich im westeuropäischen
Kulturraum Überzeugungen der universalen Überlegenheit europäischer
Werte durch. Mit wachsender politischer und
wirtschaftlicher Macht breitet sich Deutungsmacht westlicher Denkweise
global aus. Von christlichem
Gedankengut infizierte wissenschaftliche Vorstellungen linearer
Evolution rechtfertigen im Kern dieser Deutungsmacht diskriminierende Auffassungen <i>unzivilisierter <a href="https://www.wikiwand.com/de/Naturvolk" target="_blank">Naturvölker</a></i>, die es zu <i>zivilisieren</i>
gilt. Dieses Denkmuster versteht kulturelle Evolution als
Prozess kontinuierlicher <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zivilisation" target="_blank"><i>Zivilisierung</i></a>, mit dem sich zunehmender Fortschritt dank Überlegenheit europäischer Werte sukzessive global ausbreitet. </div> <br /></div><div style="text-align: left;">Seit 1867 veranstaltete <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltausstellung" target="_blank"><i>Weltausstellungen</i></a>
präsentieren mit großer Zustimmung aufgenommene öffentliche
Leistungsschauen des Fortschritts. Zunehmender Wohlstand, Verbesserung von Gesundheit und sozialer Sicherheit, Verlängerung
der Lebenserwartung, Ausdehnung individueller
Freiräume und Handlungsoptionen gelten als verdiente Früchte eigener Anstrengungen. Dass
diese Früchte mit Sklaverei, Ausbeutung und Unterdrückung weiter Teile
der Menschheit erkauft sind, bereitet keine Skrupel, sondern gilt als natürliche Selektion der Fitness von <i>Kulturen</i>.
An der Spitze einer kulturellen Fortschrittspyramide entfalten
vermeintlich fittere Kulturen Dominanz über rückständige heidnische
Kulturen, deren Mitglieder über Jahrhunderte als keine vollwertigen Menschen galten (woran Rassisten noch immer festhalten). Naiven Fortschrittsglauben begründen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziokulturelle_Evolution" target="_blank">soziale Evolutionstheorien</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Empirismus" target="_blank">Empirismus</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Positivismus" target="_blank">Positivismus</a>, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Liberalismus" target="_blank">Liberalismus</a> mit vermeintlich wissenschaftlichen sowie von christlicher und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Utilitarismus" target="_blank">utilitaristischer Ethik</a>
gestützten Argumenten. Konträre Auffassungen eines kleinen Kreises
Ethnologen galten als wissenschaftlich und politisch irrelevante
Positionen von Außenseitern.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Spirituelles,
magisches, esoterisches Denken und mit ihm verknüpfte traditionelle
Verhaltensweisen sind tief verwurzelt. Der Wandel von eschatologischen
zu optimistischen Weltanschauungen verdrängt dogmatische religiöse
Lehren erst zeitlich
verzögert. Einsetzende <a href="https://www.wikiwand.com/de/S%C3%A4kularisierung" target="_blank">Säkularisierungsprozesse</a> verursachen Legitimationskrisen marginalisierter religiöser Institutionen. Säkularisierungsprozesse lösen ehemals religiös konnotierte Spiritualität keineswegs auf. Spiritualität heftet sich
mit Fortfall religiöser Glaubens-Verbote und -Gebote an alternative
metaphysische Sinngefüge. Das Spektrum fundamentalistischer
Überzeugungen wird nicht kleiner,
sondern breiter und irrationaler. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.2.1 Annahmen zur Entstehung des Fortschrittsparadigmas westlicher Kulturen <br /></b></div><div style="text-align: left;"><b><br /></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Der in Harvard lehrende kanadische Anthropologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Joseph_Henrich" target="_blank">Joseph Henrich</a> vertritt in einer jüngeren Veröffentlichung die Auffassung, gemäß der Menschen westlicher Kulturen <a href="https://www.wikiwand.com/de/WEIRD" target="_blank">WEIRD</a> sind.(6,7) WEIRD ist ein englisches Akronym für <i><u>w</u>estern</i> (westlich), <i><u>e</u>ducated</i> (gebildet), <i><u>i</u>ndustrialized</i> (industrialisiert), <i><u>r</u>ich</i> (wohlhabend, reich) und <i><u>d</u>emocratic</i> (demokratisch) und zugleich ein Wortspiel. Im Englischen bedeutet <i>weird</i>
seltsam, sonderbar, merkwürdig. Als Ethnologe hat Henrich aufgrund
zahlreicher zitierter empirischer Studien erkannt, dass westliche
Verhaltensmuster, Werte und Normen in weiten Teilen der Welt als seltsam
und sonderbar gelten. Anhand
sozialpsychologischer und soziologischer Studien verweist Henrich auf
Unterschiede bei Menschen westlicher Kulturen:</div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Sie fallen auf optische Täuschungen herein und können sich Gesichter schlecht merken.</li><li>Sie wertschätzen analytisches Denken, Individualismus, Freiheit, Fleiß, Vertrauenswürdigkeit, Geduld, Selbstbeherrschung.</li><li>Sie bevorzugen Rechtsstaatlichkeit und Institutionen der Gewaltenteilung sowie Marktwirtschaft gegenüber Cliquenwirtschaft.</li><li>Ein von Schuldnormen integriertes Gemeinwesen ist ihnen wichtiger als von Normen der Scham regierte Verwandtschaftssysteme.</li><li>Während Menschen westlicher Kulturen Vetternwirtschaft, Korruption,
Clans, arrangierte Ehen überwiegend verurteilen und Rechtssysteme oder <a href="https://www.wikiwand.com/de/Compliance_(BWL)" target="_blank">Compliance</a>-Regeln
Verstöße ahnden, verlangt Moral des
Stammesdenkens nicht-westlicher Kulturen gegenüber der Familie und
Verwandtschaftsbeziehungen Loyalität und gegenseitige Unterstützung
sowie gegenüber Fremden einen Vertrauensvorschuss an Fairness, der in
westlichen Kulturen unüblich ist.</li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Henrich
nimmt an, dass sich westliche Kulturen mit allen positiven und
negativen Begleiterscheinungen aufgrund dieser Unterschiede gegenüber
Kulturen durchsetzen konnten, in denen Risiken prekärer
Lebenssituationen signifikant größer sind. Westliche Kulturen haben
dank höhere Produktivität vergleichsweise größeren Wohlstand sowie Schutzmechanismen gegen prekäre
Lebenssituationen entwickelt, die als Fortschritt empfunden werden und
zur Ausprägung von Ideologien des Fortschrittsdenken geführt haben. Ob
Menschen in westlichen Kulturen zufriedener oder glücklicher werden, ist
eine andere Frage.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unstrittig ist, dass soziale Normen kulturell vermittelt werden. Erklärungsbedarf besteht jedoch bezüglich der Fragen:</div></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>Warum konnten sich diese Unterschiede in der kulturellen Evolution ausprägen?</li><li>Welche
Bedingungen bewirken, dass sich westliche Kulturen in der Gegenwart
gegenüber autokratischen Systemen zunehmend in der Defensive befinden?</li><li>Welche
Sachverhalte bewirken, dass sich innerhalb westlicher Kulturen
reaktionäre populistische Bewegungen zunehmend ausbreiten? <br /></li></ol></div><div style="text-align: left;">Henrichs zentrale These greift <a href="https://www.wikiwand.com/de/Max_Weber" target="_blank">Max Webers</a>
Annahmen zur protestantischen Ethik als Motor des Kapitalismus auf (8),
er sieht aber die Entwicklung deutlich früher einsetzen und nimmt an,
dass die Ausbreitung christlicher Religion ab ca. dem Jahr 500 die
entscheidende Veränderung des Austauschs tribaler Schamkultur gegen
westliche Schuldkultur bewirkt. Normen christlicher Religion verdrängten
tribale Strukturen mit persönlichen Verpflichtungen in Clans und
Verwandtschaftssystemen zugunsten unpersönlicher
Prosozialität, mit der sich von Moraltheologie und Rechtssystemen
gerechtfertigte Schuldsysteme ausbreiten. Ab ca. dem Jahr 1000 sind in
Westeuropa Clans zugunsten von Kernfamilien aufgelöst. Kernfamilien verbinden sich in
Städten, Klöstern, Universitäten und entwickeln Individualität jenseits
von Clan- und Verwandtschaftsstrukturen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Moraltheologie
und Rechtssysteme regulieren unpersönlichen Wettbewerb
zwischen Individuen und motivieren Individuen zu eigenen Leistungen. Als
eher zufällig wirksame Katalysatoren der Zerschlagung
verwandtschaftsbasierter Institutionen identifiziert Henrich Gebote der
Monogamie und der Neolokalität als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Residenzregeln" target="_blank">Residenzregel</a> von Kernfamilien sowie <a href="https://www.wikiwand.com/de/Heiratsregeln" target="_blank">Heiratsregeln</a>
mit Verbot der Vetternehe.(9) Indem die christliche Religion das Denken
von Europäern veränderte, verursacht sie unbeabsichtigt Aufklärung,
industrielle Revolution, Demokratie, Individualismus, ökonomisches und
rationales Denken und bewirkt als Konsequenz dieser Entwicklung ihre
Selbstzerstörung durch säkulares Denken. </div><p></p><p>Dass westliches Denken zunehmend in die Defensive gerät, Demokratien
erodieren, weil Krisen als Regierungsversagen verstanden werden und Clanstrukturen in westlichen Kulturen wieder stärker werden,
erklärt Henrichs in einem Interview als Folge unkontrollierbarer
globaler Krisen. In kultureller Evolution entwickelte Strukturen können
verdrängt oder überlagert werden, aber sie bleiben im kollektiven
Bewusstsein erhalten. Unter dem Einfluss globaler Krisen suchen Menschen
Schutz in kulturhistorisch bewährten überschaubaren und
kontrollierbaren Clanstrukturen.(10) </p></div></div></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div></div><div style="text-align: left;"></div></div><div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.3 Dekonstruktion der großen Erzählung vom Fortschritt</b> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div></div></div></div><div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Globale Entwicklungen des letzten Jahrhunderts deformieren Narrative naiven Fortschrittsglaubens nachhaltig und entlarven sie als Mythen. Aus der langen Liste von Irritationen sind hier lediglich einige prägnante Beispiele genannt, mit denen sich Skepsis im kollektiven Bewusstsein ausbreitet: <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li> Zwei Weltkriege mit Faschismus, Holocaust, Atombombenabwürfe auf Japan, </li><li>Koreakrieg, Vietnamkrieg, Rhodesienkrieg, Afghanistankrieg, Russland-Ukraine-Krieg und zahllose weitere Kolonialkriege, Genozide, Bürgerkriege, </li><li>globale Abahme des Anteils nach demokratischen Regeln regierter Staaten
und Zunahme des Anteils unkontrollierbarer autokratischer
Regierungsformen,</li><li>politischer und religiöser Terrorismus, <br /></li><li>Auslaugung, Überdüngung und Vergiftung land- und forstwirtschaftlicher Nutzflächen,</li><li>Überfischung und Verschmutzung der Weltmeere,</li><li>Abholzung von Regenwäldern, <br /></li><li>Abnahme der Biodiversität, <br /></li><li>eskalierende Luftverschmutzung und Klimakrisen, </li><li>an keinem Ort der Welt können Menschen sich noch sicher fühlen, <br /></li><li>usw..</li></ul></div><div style="text-align: left;">Obwohl sich das Versprechen der großen Erzählung vom Fortschritt
zumindest als Irrtum, vielleicht auch als Lüge erweist, gibt die
politisch und ökonomisch dominante Elite das Fortschrittsnarrativ aus
nachvollziehbaren Gründen des Eigennutzes nicht auf. Experten der
wissenschaftlichen Welt identifizieren Kriege unterschiedlicher Art sowie physische und symbolische Gewalt als ubiquitäre kulturelle Phänomene. Auf Fragen nach Ursachen und Zusammenhängen
kultureller Disruption und auf der Suche nach geeigneten Maßnahmen einer
globalen Befriedung finden sie jedoch weder plausible noch
praktikable Antworten. Allerdings ist zu beachten, dass Wissenschaften
von politischen und ökonomischen Interessen beeinflusst sind und
Verknüpfungen zwischen Interessenlagen der verschiedenen Sphären
überwiegend intransparent bleiben und schwer zu entschlüsseln sind.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Allmählich wird bewusst, dass die Aufteilung der Welt unter
europäischer Dominanz nicht als linearer kulturevolutionärer
Prozess erklärbar ist, sondern als eine Folge der Konzentration kontingenter
Bedingungskonstellationen zu verstehen ist, die mehr oder weniger zufällig europäischer
<i>Kultur</i> auf Kosten nicht-europäischer <i>Kultur</i> zur Dominanz verhalfen und weitere Entwicklungen anstoßen: <br /></div><ul style="text-align: left;"><li>Vertrauen von Menschen in Kompetenzen politischer, ökonomischer und wissenschaftlicher Leader erodiert. </li><li>Mit Prozessen beschleunigter Globalisierung nimmt ohnehin nur unvollständige Kontrollierbarkeit von Makroprozessen ab. </li><li>Als Ergebnis dieser Entwicklung geraten Fortschrittsnarrative in Krisen. <br /></li></ul></div><div style="text-align: left;">In Teilen der wissenschaftlichen Welt setzen tiefgreifende Veränderungen
des Denkens ein.(11) Avantgarde dieser Veränderungen bilden die Ethnologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a>. In jüngerer Zeit erkennen der Kulturanthropologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Graeber" target="_blank">David Graeber</a> und der Prähistoriker <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Wengrow" target="_blank">David Wengrow</a> Bedarf für eine <i>"konzeptionelle Transformation"</i> des vorherrschenden <i>"großen Bildes"</i>
der Geschichte, das entstanden sei, um bestehende Verhältnisse zu
rechtfertigen, aber den Fakten nicht standhalte und in weiten Teilen
falsch sei. Mit ihrer Veröffentlichung <i>Anfänge</i>
unternehmen Graeber/Wengrow den Versuch, die Diskussion kultureller Disruption zu
ordnen, Ursachen zu identifizieren, auf fehlerhafte Abzweigungen
aufmerksam zu machen und fatalistische Alternativlosigkeit aufzuweichen.(12) Im Rahmen dieses Posts ist <i>Anfänge</i>
nicht angemessen zu würdigen. Verwiesen sei auf eine Betrachtung an anderer Stelle.(13)
Nachfolgende Beispiele skizzieren lediglich exemplarische Veränderungen
wissenschaftlichen Denkens. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.3.1 Grenzen des Wachstums</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das 1968 gegründete Expertengremium <a href="https://www.wikiwand.com/de/Club_of_Rome" target="_blank"><i>Club of Rome</i></a> veröffentlichte 1972 die Studie <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_Grenzen_des_Wachstums" target="_blank">Die Grenzen des Wachstums</a></i>,
die eine nachhaltig wirksame Diskussion zur Lage der Menschheit und zur
Zukunft der Weltwirtschaft auslöste, zur Spaltung politischer Lager sowie zur Polarisierung zwischen fundamentalistischen Positionen von
Fortschrittsgegnern und Fortschrittsgläubigen beitrug und nicht zuletzt eine Rehabilitierung von zuvor aus Wissenschaften verbannten ethischen Fragestellungen bewirkte. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.3.2 Struktur wissenschaftlicher Revolutionen</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der US-amerikanische Wissenschaftstheoretiker <b><b><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn" target="_blank">Thomas S. Kuhn</a></span></b></b> präsentierte 1962 in seinem Hauptwerk <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/The_Structure_of_Scientific_Revolutions" target="_blank">The Structure of Scientific Revolutions</a> </i>das
theoretische Fundament für ein Verständnis von Fortschrittsdenken, das
mit periodischer Etablierung, Konkurrenz und Abfolge universeller
Erklärungsmodelle zu- und abnimmt. Kuhns Werk schlug in der wissenschaftlichen Welt wie eine Bombe ein.(14)</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Gegen
herkömmliche Auffassungen wissenschaftlichen Fortschritts als Ergebnis
objektiver Qualitätsvergleiche wendet Kuhn ein, dass Erkenntnisse und
Fortschritte im Wissenschaftsbetrieb mittels sozialer Prozesse auf zwei
unterschiedlichen
Wegen zustande kommen, wobei Deutungshoheit über Relevanz und
Legitimität von
Wissenschaft sowie Ausrichtungen von Forschungsprogrammen und Verwendung
von
Forschungsmitteln von Machtverteilungen beeinflusst sind.(15) Die Abfolge
universeller Erklärungsmodelle erklärt Kuhn als einen sozial
determinierten kontingenten Prozess, der keine Annahmen der Annäherung
an transzendente Ziele gestattet. Eindrücke der Dynamik von Forschungsprozessen vermitteln einige verlinkte Artikel.(16)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div>Kuhn dekonstruiert die Erzählung vom wissenschaftlichen Fortschritt und
zeigt auf, dass der Wissenschaftsprozess in zwei Prozesse zerfällt, die
er als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn#Normalwissenschaft" target="_blank"><i>Normalwissenschaft</i></a> und als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn#Wissenschaftliche_Revolutionen" target="_blank"><i>wissenschaftliche Revolutionen</i></a> bezeichnet. Für Weltbilder von <i>Normalwissenschaft</i> führt Kuhn den Begriff <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Paradigma" target="_blank">Paradigma</a></i> ein, der mittlerweile auch in Alltagssprache gebräuchlich ist. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.3.2.1 Normalwissenschaft</b><i> </i><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><i>Paradigmen</i> bestehen in ihrem Kern aus <a href="https://www.wikiwand.com/de/Axiom" target="_blank">Axiomen</a>, d.h. grundlegende Aussagen bzw. Gesetzmäßigkeiten, die nicht aus anderen Aussagen abgeleitet sind und als wahr angenommen oder behauptet werden, ohne dass der Anspruch auf Wahrheit beweisbar ist. Aus dieser Sicht wird verständlich, wenn der Wissenschaftsphilosoph <a href="https://www.wikiwand.com/de/Paul_Hoyningen-Huene" target="_blank">Paul Hoyningen-Huene</a> anlässlich des 100. Geburtstages von Thomas S. Kuhn einen Artikel der FAZ mit der Aussage überschreibt <i>"Die Normalwissenschaft weiß alle Antworten"</i>.(17) </div><div style="text-align: left;"><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Innerhalb
dominierender Lehrmeinungen und Wissenschaftsprogramme entfaltet sich
kontinuierlicher wissenschaftlicher Fortschritt per
sozialer Mechanismen der Professionalisierung. Als Stand des Wissens
geltende <i>Paradigmen</i> haben einen hohen Verbindlichkeitsgrad und sind
ähnlich wie Dogmen gegen Kritik von außen immun. Mit <i>Paradigmen</i> nicht
vereinbare
Erkenntnisse werden unterdrückt bzw. als Irrtümer oder Unsinn abgelehnt,
sofern sie Gehör finden.(18) <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>5.3.2.1 </b><b>Paradigmenwechsel</b><i> </i><i> </i></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Den von <i>wissenschaftlichen Revolutionen</i> ausgelösten Übergang zwischen <i>Normalwissenschaften</i> nennt Kuhn <a href="https://www.wikiwand.com/de/Paradigmenwechsel" target="_blank"><i>Paradigmenwechsel</i></a>. Kuhns Erklärung des <i>Paradigmenwechsel</i>s
löste kontroverse wissenschaftliche Diskussionen aus, die jedoch im
Kontext dieses Posts nicht relevant sind und nachfolgend referierte Erklärung Kuhns nicht
beschädigen.<i> </i></div><div style="text-align: left;"><i> </i><br />Erst wenn Wissenschaftsprogramme aufgrund
zunehmender Anomalien in Krisen geraten, gewinnen konkurrierende
Programme Anhänger. Krisen von <i>Paradigmen</i> resultieren aus Krisen ihrer Axiome. Krisen von Axiomen entstehen, wenn Annahmen ihrer Wahrheit bzw. Gültigkeit aufgrund der Zunahme nicht erklärbarer Phänomene oder aufgrund von Widersprüchen neuer Erkenntnisse in Frage gestellt werden. Derartige Krisensituation leiten <i>wissenschaftliche Revolutionen</i> ein, die einen Austausch von Axiomen bewirken und als <i>Paradigmenwechsel</i> bezeichnet werden.<br /><br /><i>Paradigmenwechsel </i>sind jedoch nicht
allein mit formalen oder objektiven Qualitätskriterien von Wissenschaften erklärbar, sondern sie werden aufgrund sozialer Kriterien und Interessen verhindert oder auch beschleunigt. <i>Paradigmenwechsel </i> finden erst bei ausreichendem kritischem Verdrängungspotential statt. Verdrängungspotential resultiert aus der Bündelung von Interessen
konkurrierender wissenschaftlicher Aufsteiger. Wenn die Bündelung von Community-Interessen eine kritisch Größe erreicht, verdrängen wissenschaftliche Aufsteiger die Vertreter bislang vorherrschende
Lehrmeinungen und setzen neue Paradigmen durch, bis sie selbst von der nächsten
<i>wissenschaftlichen Revolution</i> abgelöst werden. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div> <div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.3.3 Von Thomas S. Kuhn angestoßener Wandel des wissenschaftlichen Weltbildes</b></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Kuhns Werk <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/The_Structure_of_Scientific_Revolutions" target="_blank">The Structure of Scientific Revolutions</a></i>
gilt als Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte, der nicht nur
Einfluss auf die Wissenschaftstheorie ausübte. Aus der
metatheoretischen Diskussion resultiert seit Kuhn eine Neuordnung
wissenschaftlicher Denkweisen, mit der sich Blicke auf das
wissenschaftliche Weltbild insgesamt nachhaltig verändert haben.
Wissenschaftler streiten die
Modellhaftigkeit ihrer Ansichten nicht länger ab, sondern räumen sie ein
und erklären Modellhaftigkeit wissenschaftlicher Annahmen
zum Prinzip wissenschaftlicher Theorien. <br /> </div><div style="text-align: left;">Seit Kuhn erweisen sich Aufteilungen zwischen vermeintlich
<i>weichen</i> Geisteswissenschaften und <i>faktengesättigten exakten</i>
Naturwissenschaften als sozial erzeugte hartnäckige Mythen, die der
Legitimierung politischer und wirtschaftlicher Ziele dienen. Beharren
auf diese nicht länger glaubwürdige Ansicht stellt kein Vertrauen in
Wissenschaft her, sondern zerstört es.(19)<br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>(Sozial-) <a href="https://www.wikiwand.com/de/Konstruktivismus_(Philosophie)" target="_blank">Konstruktivismus</a><br />Wissenschaftliche
Modelle werden als gedankliche
Konstrukte aufgefasst, die in sozialen Prozessen zustande gekommene
Annahmen über Zusammenhänge zwischen
empirisch beobachteten Objekten einer wie auch immer gearteten Welt
beschreiben. Da Modelle keine Beschreibungen objektiver Realität
darstellen, haben sie immer nur vorläufigen Charakter. Unter
konkurrierenden Modellen setzen sich in iterativen Endlosschleifen zeitweilig jene Modelle durch, die sich vorübergehend mit höherer Erklärungskraft bewähren. <br /></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kulturrelativismus" target="_blank">Kulturrelativismus</a><br />Bekämpfte kulturrelativistische Positionen
der Ethnologie, die zuvor Außenseiter in wissenschaftlichen Randdisziplinen
vertraten, wurden mit der Neuordnung wissenschaftlicher Denkweisen in kurzer Zeit zu wissenschaftlichem Allgemeingut
und bilden mittlerweile den Stand der Wissenschaft in Philosophie,
Soziologie, Psychologie.(20) </li><li>Machtverlust wissenschaftlicher Narrative<br />In der Ethnologie identifizierten und analysierten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Clifford_Geertz" target="_blank">Clifford Geertz</a>
Kultur als Text bzw. Literatur (siehe 2.4.2 und 2.4.3). In ähnlicher
Art und Weise betrachtete der US-amerikanische Historiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Hayden_White" target="_blank">Hayden White</a> Geschichtsschreibung, die er mit Kategorien der Literaturwissenschaft analysierte. In seinem Opus magnum <a href="https://www.wikiwand.com/en/Metahistory:_The_Historical_Imagination_in_Nineteenth-century_Europe" target="_blank"><i>Metahistory</i></a>
demontiert Hayden White den Historiker-Anspruch auf objektive
Geschichtsschreibung als sinnstiftende Poesie, die zu Unrecht
Übereinstimmung mit der Vergangenheit beansprucht.(21,22)</li></ul></div></div><br /></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div><div style="text-align: left;"><b><b><div style="text-align: left;">5.4 Kultureller Essentialismus oder Beliebigkeit? <span style="font-weight: normal;"> <br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Analysen und Deutungen
von Mustern ethnischer Diversität liegen in Domänen von
Kulturwissenschaften. Aus kulturvergleichender Forschung abgeleitete
Konstrukte kultureller Netze, Knoten und Prozesse sind unvermeidbar
perspektivisch verzerrt, weshalb Erklärungen nur eingeschränkt belastbar sind.
Kulturelle Modelle gelten als heuristische Hilfsmittel, die kritischen
Betrachtungen nicht standhalten. Definitorische Schwierigkeiten
verdeutlichen, dass der
Begriff <i>Kultur</i> keine kategoriale Bedeutung beanspruchen kann, sondern als ein konstruiertes Klassifikationsschema zu verstehen ist. </span><b><b><span style="font-weight: normal;">In jüngerer Zeit hat sich in der Ethnologie die Auffassung durchgesetzt, dass abgrenzende Unterscheidungsmerkmale gedankliche
und sprachliche Konstrukte darstellen, die von Wertungen beeinflusst sind und Blicke auf Gemeinsamkeiten
und fließende Übergänge verstellen. Daher distanziert sich die Ethnologie inzwischen vom Begriff <i>Kultur</i>.(23,24) </span></b></b></div></b></b><b><b><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Unbeabsichtigt beigetragen hat zu dieser Entwicklung methodischer
Kulturrelativismus </span><b><b><span style="font-weight: normal;">der Ethnologie</span></b></b><span style="font-weight: normal;">, den ursprünglich <a href="https://www.wikiwand.com/de/Franz_Boas" target="_blank">Franz Boas</a> und Schüler im 20. Jahrhundert gegen vorherrschenden
Evolutionismus und Rassismus dominanter westlicher <i>Kulturen</i> in
Stellung brachten. Im 21. Jahrhundert mutierte </span><b><b><span style="font-weight: normal;">jedoch methodischer
Kulturrelativismus</span></b></b><span style="font-weight: normal;"> zu
einem
doktrinären
Kulturrelativismus. Dieser immunisiert sich gegen jede Kritik von außen
mit Hinweisen auf einen essenziellen Werterelativismus, der Optionen
universaler Menschenrechte ausschließt. In aktueller globaler Politik
praktizieren China, Russland und einige islamische Staaten </span><b><b><span style="font-weight: normal;">exemplarisch</span></b></b><span style="font-weight: normal;"> diesen
Werterelativismus. Intrakulturell berufen sich zahlreiche Minoritäten, Sekten, Subkulturen ebenfalls auf prinzipiellen
Werterelativismus. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Jenseits politischer Perspektiven sind evolutionäre Prozesse und unterscheidbare Merkmale von Personen und
Personengruppen so real wie kognitive Mechanismen der Bewältigung
von Komplexität. Bevor von Merlin Donald beschriebene Entwicklungen zu
höherer kognitiver Kompetenz einsetzten, haben sich in
der Evolution höherer Lebewesen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Exekutive_Funktionen" target="_blank">exekutive Funktionen</a>
kognitiver Kontrolle herausgebildet. Kognitive Wahrnehmungsfilter und
Mechanismen der Mustererkennung und Kategorisierung erzeugen
strukturierte Ordnungskonstrukte, die Orientierung in einer chaotischen Welt
ermöglichen. </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"> </span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Welchen Einfluss begriffliche Ordnungskonstrukte auf globale Ordnungen der materiellen Welt ausüben, ist eine hier nicht kompetent diskutierbare andere Frage. </span><b><b><span style="font-weight: normal;">Universale Werte markieren keine politisch neutrale Zone. Wer die Anerkennung </span><b><b><span style="font-weight: normal;">universaler Werte</span></b></b><span style="font-weight: normal;"> verweigert und sie als unerträgliche ethisch verkleidete Tarnung </span><b><b><b><b><span style="font-weight: normal;">politisch nicht mehr durchsetzbarer </span></b></b></b></b><b><b><b><b><span style="font-weight: normal;">ehemaliger imperialer und kolonialer </span></b></b></b></b><span style="font-weight: normal;">Machtpolitik verklagt, </span><span style="font-weight: normal;">sollte </span><b><b><span style="font-weight: normal;">gangbare Wege aus globalen Sackgassen </span></b></b><span style="font-weight: normal;">für die gesamte Menschheit aufzeigen können. Alternativen sind jedoch nicht zu erkennen.</span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;"> </span></b></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>5.5 </b><b>Wahrnehmung, Denken, <i>Kultur </i>reloaded </b><br /></div>
</div></b></b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Wahrnehmung
von Welt sowie implizite und explizite Bewertungen der Wahrnehmung von
Welt beruhen auf evolutionär herausgebildeten Fähigkeiten eines
biologischen kognitiven Apparates. Biologische mentale Funktionen des kognitiven Apparates entwickelten
sich über lange Zeiträume in Jahrmillionen. Kognitive
Apparate ermöglichen Verhalten und Überleben in chaotischen
Lebensumgebungen, indem sie Komplexität einer chaotischen Welt
reduzieren. Die Reduzierung von Komplexität gelingt mittels unbewusster
mechanischer Wahrnehmungsfilter von Sinnesorganen sowie mittels
intelligenter Wahrnehmungsfilter des kognitiven Apparates, die unbewusst
Muster bilden und Verhaltensoptionen erzeugen. Deutungsmuster entstehen
mittels vom kognitiven Apparat erzeugten Kategorien und begrifflichen
Ordnungen. Mentale und soziale Funktionen sind in
evolutionären Prozessen allmählich entstanden, aber sie unterscheiden
sich deutlich hinsichtlich ihrer Reproduktionsgeschwindigkeit. Unter sich verändernden Lebensbedingungen mutieren soziale Funktionen. Wenn sich Lebensbedingungen schnell verändern, mutieren
soziale Funktionen aufgrund kurzer Reproduktionszyklen
ebenfalls schnell und bilden in kurzer Zeit nicht nur veränderte Varianten, sondern sie erzeugen
durch Ausdifferenzierung neue Verhaltensmuster, die traditionelles Verhalten verdrängen oder als zusätzliche Verhaltensoptionen zur Verfügung stehen.</div></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Soziales
Verhalten ist kein Privileg von Menschen. Höhere Arten verfügen über komplexe Lernfähigkeiten, die zu mehr oder weniger komplexen sozialen Funktionen befähigen, wie
Kommunikation,
Interaktion, Kooperation. Höhere Tierarten verfügen
ebenfalls über erlerntes soziales Verhalten. In Verbänden lebende
Tierarten zeigen Verhaltensweisen, die auf kollektiven Mustern beruhen
und als rudimentäre <i>Kulturen</i> gelten können. Die Spezies Mensch
benötigt für ihr Überleben jedoch soziale Funktionen höherer
Komplexität. Diese kommen mit Hilfe einvernehmlicher Verständnisse über
Sinnhaftigkeit zustande, die durch Symbole repräsentiert werden. Um
sinnhafte Verhaltensprinzipien zu entwickeln und diese zum Zweck der Erzeugung von Mustern und Verbindlichkeiten unterschiedlicher Grade mit Symbolen zu repräsentieren und zu kommunizieren,
sind Fähigkeiten abstrakten Denkens erforderlich, über die in dieser
Qualität keine höheren Tierarten verfügen. Symbolische Zeichensysteme schaffen
Rahmenbedingungen, die kollektives Verhalten ermöglichen und individuelles Handeln mit Verhaltenssicherheit ausstatten.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Menschliches
soziales Verhalten beruht auf kollektiven Verständnissen von Welt in
Form persistenter Modelle (Deutungsmuster), die Welt repräsentieren. Kollektive Verständnisse von Welt
erzeugen Welt repräsentierende persistente Modelle als Deutungsmuster
und ersetzen Dominanz von Face-to-Face-Beziehungen, deren Persistenz
kurzlebig ist, weil sie an der Anwesenheit dominanter Individuen
gebunden ist. Persistenz entsteht, wenn Kategorien und begriffliche
Ordnungen mit überindividueller Verbindlichkeit ausgestattet sind. Die
Kodifizierung von Verbindlichkeit gelingt mittels Symbolen, Normen,
Traditionen, Narrativen. Identifikation erfordert Abgrenzung. Sets persistenter Deutungsmuster bevorraten als
<i>Kultur</i> bezeichnete kollektive und individuelle Verhaltensrahmen und Verhaltensmuster. <i>Kulturen</i> erzeugen zugleich nach innen eingrenzende sowie nach außen abgrenzende Rahmen ihrer Gültigkeitsräume. <i>Kulturelle Zeichensysteme</i> unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Semiotik, sondern zwangsläufig auch hinsichtlich der Semantik ihrer begrifflichen
Ordnungen, Wertsysteme, Symbole, Traditionen, Narrative sowie hinsichtlich deren Verbindlichkeitsgrade.<br /></div></div><div style="text-align: left;"><br /></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">
---------------------------------------</div><ol style="text-align: left;"><li>Anmerkungen dieses Kapitels basieren auf den Wikipedia-Artikeln: <br /><ul><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)#%E2%80%9ENatur_und_Kultur%E2%80%9C:_Leitkategorie(n)_mit_Konfliktpotential" target="_blank">Kategorisierung (Kognitionswissenschaft). „Natur und Kultur“: Leitkategorie(n) mit Konfliktpotential</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Kultur#Entgegensetzung_von_Kultur_und_Natur" target="_blank">Kultur.Entgegensetzung von Kultur und Natur</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Naturvolk" target="_blank">Naturvolk</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Hemerobie" target="_blank">Hemerobie</a> </li></ul></li><li>Siehe Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2022/10/die-ordnung-des-himmels-dauert-nicht_23.html" target="_blank"><i>Vor- und Randbemerkungen zur Postreihe über Evolution von Kultur und Religion</i></a>, Kapitel 2.1<br /></li><li>Fragen nach Voraussetzungen von Wissen sowie dessen Sicherheit und Grenzen sind in der sogenannten <i><a href="https://www.wikiwand.com/de/Achsenzeit" target="_blank">Achsenzeit</a></i> vor ca. 2.500 Jahren aufgekommen und bilden seit dieser Zeit Hauptthemen in Meta-Diskursen der Philosophie. Auf die <i>Achsenzeit</i> geht Teil 2 dieser Reihe ein. <br /></li><li>Zitat aus Wikipedia <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kategorisierung_(Kognitionswissenschaft)#Die_allgemeine_Auffassung" target="_blank">Kategorisierung (Kognitionswissenschaft). Die allgemeine Auffassung</a> <br /></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/wissenschaft-zwischen-fortschrittshoffnung-und-skepsis-100.html" target="_blank">Zwischen Fortschrittshoffnung und Skepsis</a></li><li>Joseph Henrich: <i>Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie die Menschen reichlich sonderbar und besonders reich wurden</i>. Berlin 2022 (Original: <i>The WEIRDest People in the World: How the West Became Psychologically Peculiar and Particularly Prosperous.</i> Farrar, Straus and Giroux, 2020)</li><li>Rezensionen des Buchs:<br /><ul><li>Günter Renz, Ethik und Anthroplogie: <a href="https://ethik-und-anthropologie.de/2022/07/23/joseph-henrich/" target="_blank">Joseph Heinrich</a> <br /></li><li>Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/psychologie-westen-individualismus-joseph-henrich-weird-100.html" target="_blank">Warum westliche Menschen "weird" sind</a></li><li>WELT: <a href="https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article237722759/Das-Geheimnis-westlicher-Zivilisation-Joseph-Henrich-ueber-WEIRD.html" target="_blank">Warum sich Westler keine Gesichter merken können</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/joseph-heinrich-schreibt-buch-menschen-im-westen-sind-die-besten-17984513.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Die Menschen im Westen sind die Besten</a></li></ul></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Die_protestantische_Ethik_und_der_Geist_des_Kapitalismus" target="_blank">Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus</a></li><li>NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/wie-die-katholische-kirche-wider-willen-den-gesellschaftlichen-fortschritt-des-westens-beschleunigte-ld.1412848" target="_blank">Wie die katholische Kirche wider Willen den gesellschaftlichen Fortschritt des Westens beschleunigte </a></li><li>NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/ehe-und-erben-joseph-henrich-erklaert-den-aufstieg-des-westens-ld.1440752" target="_blank">Anthropologe Joseph Henrich: «Es schadet dem Zusammenleben, wenn Männer mehrere Frauen haben dürfen»</a></li><li>Probleme der Begriffe <i>Fortschritt</i> und <i>Entwicklung</i> als Konzepte der Analyse von Globalgeschichte erläutert der Historiker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Daniel_Speich_Chass%C3%A9" target="_blank">Daniel Speich Chassé</a> in einem Beitrag von Docupedia-Zeitgeschichte: <a href="https://docupedia.de/zg/Fortschritt_und_Entwicklung" target="_blank">Fortschritt und Entwicklung</a> <br /></li><li>David Graeber, David Wengrow, <i>Anfänge: Eine neue Geschichte der
Menschheit</i>, Stuttgart 2022 (Original: <i>The Dawn of Everything. A New
History of Humanity</i>, London, New York 2021) <b><b><span style="font-weight: normal;"><br /></span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Siehe Post: </span></b></b><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2022/02/der-gang-der-geschichte-und-ihre.html" target="_blank">Der Gang der Geschichte und ihre Anfänge - Anmerkungen zum Buch 'Anfänge' von David Graeber und David Wengrow</a></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;"><a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_S._Kuhn" target="_blank">Thomas S. Kuhn</a></span></b></b>: <i>The Structure of Scientific Revolutions</i>
(International Encyclopedia of Unified Science. Band 2, Nr. 2).
University of Chicago Press, Chicago 1962. Deutsche Übersetzung: <i>Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen,</i> 1967<i>.</i> <br /></li><li>Kuhn bemerkte, dass seine Gedanken bereits vom polnischen Philosophen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwik_Fleck" target="_blank">Ludwik Fleck</a> (1896-1961) formuliert waren und erwähnte Fleck im Vorwort des eigenen
Hauptwerks. Damit stieß Kuhn eine Rezeption Flecks an, die nach 1980
einsetzte. In der Gegenwart gilt Flecks Werk als Klassiker der
Wissenschaftsgeschichte, -soziologie und -theorie.<br />
Vor Ludwik Fleck machte bereits <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Semmelweis">Ignaz Semmelweis</a> (1818-1865) als Chirurg die Erfahrung, dass seine lebensrettenden Erkenntnisse zu Hygienemaßnahmen von Kollegen als <i>spekulativer Unfug</i>
abgelehnt wurden. Während Semmelweis
Erkrankungen und Todesraten dank Hygiene signifikant reduzieren konnte, hielten viele Ärzte Sauberkeit für unnötig und
wollten nicht wahrhaben, dass sie aufgrund mangelnder Hygiene
Krankheiten mit hohen Todestaten verursachten.
Kollegen feindeten Semmelweis an und bezeichneten ihn als <i>Nestbeschmutzer</i>.
Der Sachverhalt, dass neue wissenschaftliche Entdeckungen von
Vertretern verbreiteter Lehrmeinungen ohne Überprüfung erst einmal
abgelehnt und Entdecker bekämpft werden, wird <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Semmelweis-Reflex"><i>Semmelweis-Reflex</i></a> genannt. <br /></li><li>FAZ-Artikel zur Dynamik von Forschungsprozessen:<br /><ul><li>Dietmar Dath: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/logik-der-forschung-ueber-den-erkenntnisgewinn-16726433.html" target="_blank">Erst raten, dann testen</a></li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/krise-in-naturwissenschaft-verfuehrte-physiker-15667988.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Krise der Physik: Verführte Physiker</a> </li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/anke-te-heesen-ueber-thomas-kuhns-interviews-mit-veteranen-der-quantenphysik-17951909.html?premium" target="_blank">Man kann nicht immer wissen, was man gemessen hat</a></li><li> Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/david-kaiser-ueber-die-physik-der-nachkriegszeit-16936777.html" target="_blank">Gleichungen sind einfach nicht alles</a></li><li>Sibylle Anderl: FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/physiker-und-philosophen-suchen-die-weltformel-15671404.html" target="_blank">Quantenkosmologie: Wenn die Daten fehlen, bleibt die Metaphysik</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/zum-tod-von-john-wheeler-zwischen-schwarzen-loechern-und-der-atombombe-1540699.html" target="_blank">Zum Tod von John Wheeler: Zwischen Schwarzen Löchern und der Atombombe</a></li></ul></li><li>Paul Hoyningen-Huene: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/100-jahre-thomas-kuhn-wie-man-die-wissenschaft-revolutioniert-18182523.html?premium" target="_blank">100 Jahre Thomas Kuhn. Die Normalwissenschaft weiß alle Antworten</a> <br /></li><li>Ein Artikel der FAZ des Soziologen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Andr%C3%A9_Kieserling" target="_blank">André Kieserling</a> macht am Beispiel der Berufung von Nachwuchswissenschaftlern deutlich, wie Mechanismen wirksam werden: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/jobsuche-interdisziplinaere-forscher-haben-es-schwerer-18616596.html" target="_blank">Spezialisten bevorzugt</a> <br /></li><li>Artikelsammlung zu physikalischen Mythen (verlinkte FAZ-Artikel liegen teilweise hinter einer Bezahlschranke):<br /><ul><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/weltraum/urknall-die-naturwissenschaft-stoesst-an-eine-erkenntnisgrenze-18077496.html?premium#void" target="_blank">Am Urknall: Chaos und Kosmos</a> </li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/fruehphase-der-letzte-horizont-11571561.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Frühphase: Der letzte Horizont</a> </li><li>Ulf von Rauchhaupt: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/experimentelle-quantengravitation-14514580.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Quantengravitation: Die letzte Theorie</a> </li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kosmogonie#Kosmogonischer_Mythos" target="_blank">Kosmogonie.Kosmogonischer Mythos</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Weltformel" target="_blank">Weltformel</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Quantengravitation" target="_blank">Quantengravitation</a> </li><li>Spektrum: <a href="https://www.spektrum.de/wissen/die-10-groessten-physikalischen-raetsel-unserer-zeit/1315500" target="_blank">Die 10 größten physikalischen Rätsel unserer Zeit</a></li></ul></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Vorlesungsfolien einer Lehrveranstaltung an der LMU zu wissenschaftshistorischen und wissenschaftsphilosophische Grundlagen: <a href="https://statsoz-neu.userweb.mwn.de/lehre/2013_WiSe/historische_und_philosophische_grundlagen/Vorlesung_3.pdf" target="_blank">Was ist wissenschaftlicher Fortschritt?</a></span></b></b></li><li><div style="text-align: left;"><b><b><span style="font-weight: normal;">Nachrufe auf Hayden White:<br /></span></b></b></div><ul><li><b><b><span style="font-weight: normal;">FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/hayden-white-gestorben-revolutionaer-wie-marx-und-freud-15480933.html" target="_blank">Zum Tod von Hayden White: Da ist Muse drin</a><br /></span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">ZEIT: <a href="https://www.zeit.de/1991/42/wie-es-gewesen-sein-koennte?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F" target="_blank">Wie es gewesen sein könnte</a> </span></b></b></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">WELT: <a href="https://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article174408684/Prolegomena-Der-Abschied.html" target="_blank">Der Abschied</a></span></b></b></li></ul></li><li><b><b><span style="font-weight: normal;">Christine Gerwin: <a href="https://gtw.hypotheses.org/6614" target="_blank">Postkoloniale Entwürfe einer dichtenden Klio</a><br /></span></b></b></li><li>Karl-Heinz Kohl: Ethnologie, a.a.O., S. 186ff.</li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziokulturelle_Evolution" target="_blank">Soziokulturelle Evolution</a></li></ol></div></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>6 Änderungshistorie des Posts</b></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">18.08.2023: Vollständige Überarbeitung des Posts <br /></div><div style="text-align: left;">17.08.2023: Änderung der Überschrift <br /></div><div style="text-align: left;">25.05.2023: Kapitel 3.2.1: Anmerkung 7 ergänzt, Anmerkung 9 eingefügt, Änderungshistorie korrigiert <br /></div><div style="text-align: left;">20.05.2023: Kapitel 3.2.1: neu eingefüg <br /></div><div style="text-align: left;">18.02.2023: Kapitel 1: Sprachliche Ergänzungen <br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel 2.5: Überarbeitung mit Untergliederung</div><div style="text-align: left;"> Anpassung Gliederungsstruktur</div><div style="text-align: left;">10.02.2023: Kapitel 3.3.1: Überarbeitung<br /> Kapitel 3.3.2: Ergänzungen zum Paradigmenbegriff und Untergliederung des Kapitels <br /></div><div style="text-align: left;">08.02.2023: Überarbeitung der Einleitung <br /></div><div style="text-align: left;">01.02.2023: Kapitel 3: Ergänzungen zum kategorialen Denken <br /></div><div style="text-align: left;">27.01.2023: Kapitel 1.2.3: Ergänzung Pierre Bourdieu <br /></div><div style="text-align: left;">24.01.2023: Anmerkung 12 in Kapitel 3 eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;">18.01.2023: Überarbeitung der Einleitung und Kapitel 1<br /></div><div style="text-align: left;"> Kapitel zur Gegensätzlichkeit von <i>Natur</i> und <i>Kultur</i> verschoben<br /> Anpassung Gliederungsstruktur</div><div style="text-align: left;"> Kapitel 3: Inhaltliche Überarbeitung mit Ergänzungen <br /> Kapitel 3.3: Inhaltliche Ergänzungen und Anmerkung mit Fußnote 9 eingefügt <br /></div><div style="text-align: left;"> Korrektur Fußnoten-Nummerierung<br /></div><div style="text-align: left;">17.01.2023: Überarbeitung Kapitel 3.2, Korrektur Fußnoten <br /></div><div style="text-align: left;">16.01.2023: Veröffentlichung der Version 2 auf Basis der Vorgängerversion 1<br /></div><div style="text-align: left;"> </div></div></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-33881666557170221652022-10-23T14:08:00.151+02:002023-01-17T16:03:47.873+01:00Vor- und Randbemerkungen zur Postreihe über Evolution von Kultur und Religion (Update: 16.01.2023)<div style="text-align: left;">Wachsender Umfang dieses und anderer Posts der Reihe hat zu einem Relaunch motiviert, mit dem der Post umgezogen ist. Mit überarbeitetem und ergänzten Inhalt ist der Post hier verlinkt: <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/2-vor-und-randbemerkungen-zur-postreihe.html" target="_blank">Vor- und Randbemerkungen zur Postreihe über Evolution von Kultur und Religion</a></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;"><br /></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-78249009433737875012022-10-22T18:52:00.401+02:002023-01-17T16:05:13.759+01:00Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion - Teil 1: Basale Konzepte (Update: 16.01.2023)<div style="text-align: left;">Wachsender Umfang dieses und anderer Posts der Reihe hat zu einem
Relaunch motiviert, mit dem dieser Posts in 3 Posts aufgeteilt wurde, die inhaltlich überarbeitet und ergänzt sind. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Der Post <i><a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2023/01/aufstellung-der-postreihe-beobachtungen.html" target="_blank">Aufstellung der Postreihe Beobachtungen, Theorien, Vermutungen zur Evolution von Kultur und Religion</a> </i>zeigt Übersichten aller veröffentlichten sowie vorgesehener, aber noch nicht veröffentlichter Post.<i><br /></i> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-63350189007226878982022-07-24T22:22:00.105+02:002023-01-26T18:10:07.165+01:00Warum unternimmt Papst Franziskus eine Bußreise nach Kanada? - Update: 26.01.2023<div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjkAoGscarz2HfWs5H5rnHBdIikTN61VrDE86R8CYZcnEIDLONBGtil5P-JL4x3ndH_In0I74D4AfAiB7As9X4q-xz6StcizycWC-Y6ngmSqU_O_FN8StKicZNRe2r-aA1DiK0KohSw2NXkzinHo9Io0cU4WasBFZfuQkSaPrPH7FpKgWDCZ5IFEdda/s2880/Kamloops,_British_Columbia,_CA_-_panorama.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="597" data-original-width="2880" height="166" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjkAoGscarz2HfWs5H5rnHBdIikTN61VrDE86R8CYZcnEIDLONBGtil5P-JL4x3ndH_In0I74D4AfAiB7As9X4q-xz6StcizycWC-Y6ngmSqU_O_FN8StKicZNRe2r-aA1DiK0KohSw2NXkzinHo9Io0cU4WasBFZfuQkSaPrPH7FpKgWDCZ5IFEdda/w640-h133/Kamloops,_British_Columbia,_CA_-_panorama.jpg" width="800" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Kamloops-Panaroma, originally posted to <a class="extiw" href="https://en.wikipedia.org/wiki/Flickr" title="en:Flickr">Flickr</a> by Murray Foubiste <br />licensed under the <a class="extiw" href="https://en.wikipedia.org/wiki/en:Creative_Commons" title="w:en:Creative Commons">Creative Commons</a> <a class="external text" href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en" rel="nofollow">Attribution-Share Alike 2.0 Generic</a> </td></tr></tbody></table></div><p></p><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh-59HYHPGwtozFkAeb5o9Vgcysug4ovyilFaccpsz3ETrBnddHadYfCioRfeaM_UFTF_fDoH9jTMcrm4QWEJuHrtQGv39UtXPa9Z91CLVNdCvfRrfdn4-NIgxet3I2exwifuYEQwTAjkYF60TngXBJTjT1eooij80uET4QVRy2XCXj2mB963XnD2fa/s940/Franziskus%20bittet%20Indigene%20Kanadas%20um%20Entschuldigung.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="627" data-original-width="940" height="213" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh-59HYHPGwtozFkAeb5o9Vgcysug4ovyilFaccpsz3ETrBnddHadYfCioRfeaM_UFTF_fDoH9jTMcrm4QWEJuHrtQGv39UtXPa9Z91CLVNdCvfRrfdn4-NIgxet3I2exwifuYEQwTAjkYF60TngXBJTjT1eooij80uET4QVRy2XCXj2mB963XnD2fa/s320/Franziskus%20bittet%20Indigene%20Kanadas%20um%20Entschuldigung.jpg" width="320" /></a></div>Auf einer Reise von den kanadischen Rocky Mountains an die Westküste British Kolumbiens haben wir 2010 <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kamloops" target="_blank">Kamloops</a>
durchquert, eine größere Kleinstadt am Zusammenfluss von North und
South <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thompson_River_(Fraser_River)" target="_blank">Thompson River</a>. Unsere einzige Erinnerung ist eine bei einem
Zwischenstop empfundene bedrückende Atmosphäre (Post: 30. Juli 2010: <a href="https://raumzeitde.blogspot.com/2010/09/blog-post.html" target="_blank">Kanada 2010: Ein langer Ritt von den Rocky Mountains nach Whistler</a>). Diese Erinnerung weckt erst die aktuelle Berichterstattung zahlreicher Medien über eine Bußreise, die Papst Franziskus nach Kanada und u.a. nach Kamloops führt. Wenn Papst Franziskus im Alter von 85 Jahren und trotz seiner gesundheitlichen Handicaps eine Bußreise nach Kanada unternimmt, um sich bei der indigenen Bevölkerung zu entschuldigen (was er 2018 noch ablehnte), rechtfertigt dieser Sachverhalt einen Blick auf die Umstände. </div></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Medienberichte Juli - August 2022: Papst bittet Ureinwohner um Vergebung</b></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/international/papst-bittet-um-vergebung-in-kanada-ld.1695223" target="_blank">Papst Franziskus bittet die kanadischen Inidigenen um Vergebung</a> <br /></li><li>Süddeutsche Zeitung: <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/papst-kanada-1.5627512" target="_blank">Wenn Buße nicht genügt</a> <br /></li><li>Tagesschau: <a href="https://www.tagesschau.de/ausland/papst-kanada-besuch-101.html" target="_blank">Franziskus auf Entschuldigungstour</a></li><li>Tagesschau: <a href="https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/kanada-papst-indigene-101.html" target="_blank">Franziskus bittet Indigene um Vergebung</a><br /></li><li>ZEIT: <a href="https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-07/papst-franziskus-entschuldigung-indigene-kanadareise?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F" target="_blank">Papst entschuldigt sich bei Inigenen für "kulturelle Zerstörung"</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/papst-franziskus-bittet-ureinwohner-in-kanada-um-vergebung-fuer-unrecht-18198843.html#void" target="_blank">Papst bittet Ureinwohner um Entschuldigung für erlittenes Unrecht</a></li><li>FAZ: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/politik/2022-07-27/die-kirche-kniet-nieder-vor-gott-und-bittet-um-vergebung/785775.html" target="_blank">Die Kirche kniet nieder vor Gott und bittet um Vergebung</a></li><li>FAZ: <a href="https://zeitung.faz.net/faz/politik/2022-08-09/die-versaeumnisse-des-papstes/790627.html" target="_blank">"Das Wort Genozid ist mir nicht in den Sinn gekommen"</a></li><li>taz: <a href="https://taz.de/Kanada-Reise-des-Papstes/!5871151/" target="_blank">Mehr Worte als Taten</a> <br /></li><li>ZDF: <a href="https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/katholische-kirche-folter-vergewaltigung-ureinwohner-kanada-100.html" target="_blank">Kanadas historische Schande : Wie die Kirche Ureinwohner-Kinder folterte</a><br /></li><li>Sehr zurückhaltend textet katholisch.de das Ereignis: <a href="https://www.katholisch.de/artikel/40331-papst-in-kanada-eingetroffen-begegnung-mit-indigenen" target="_blank">Papst in Kanada eingetroffen - Begegnung mit Indigenen</a></li><li>Ausführlicher und offener für kritische Äußerungen berichtet das Kölner Domradio:<br /><ul><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/papst-wird-ex-schueler-von-indigenen-internaten-treffen" target="_blank">Franziskus auf "Bußreise" in Kanada</a></li><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/papst-beginnt-kanada-reise" target="_blank">Begegnung mit Indigenen</a></li><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/kanada-experte-sieht-papstreise-essenziellen-schritt" target="_blank">"Für viele ist es auch zu spät"</a></li><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/indigene-bevoelkerung-kritisiert-papst-entschuldigung" target="_blank">Erwartungen der Indigenen in Kanada</a></li><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/papst-entschuldigung-kanadas-indigene-stoesst-auf-kritik" target="_blank">Forderungen nicht erfüllt </a></li><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/franziskus-ruft-katholiken-kanada-zu-aufarbeitung-auf" target="_blank">Wunden der Vergangenheit heilen</a></li><li><a href="https://www.domradio.de/artikel/kirche-arbeite-erklaerung-zu-kolonialgeschichte" target="_blank">"Doktrin der Entdeckung"</a> <br /></li></ul></li></ul></div><div style="text-align: left;"><b>Neuere Medienberichte:</b></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>FAZ, 26.01.2023: <a href="https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/abermals-dutzende-indigener-kindergraeber-in-kanada-entdeckt-18630664.html" target="_blank">Noch mehr Beweise für „den Horror und das Leiden“ indigener Kinder</a><br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;"><b>Was ist vorgefallen</b><b>?</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhP_GLpmOI6zUIZ-LqJ4MkoR7H3E0ViforEqnG9D4bN59KNzTawtZevKrAh7vLGBfBWbYobbBet-CQGxOrXzI4CNm7JZlXhJthW3l1gsVGpwMguDkMZw9jepRr_AxAygdqUVo9YNel3kw34VufHdFJD1AyyTCX1wbfvBF3DyWkj3CsPoJCBB7k7eQWG/s804/Kamloops-indian-residential-school-1930.png" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="421" data-original-width="804" height="167" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhP_GLpmOI6zUIZ-LqJ4MkoR7H3E0ViforEqnG9D4bN59KNzTawtZevKrAh7vLGBfBWbYobbBet-CQGxOrXzI4CNm7JZlXhJthW3l1gsVGpwMguDkMZw9jepRr_AxAygdqUVo9YNel3kw34VufHdFJD1AyyTCX1wbfvBF3DyWkj3CsPoJCBB7k7eQWG/w320-h167/Kamloops-indian-residential-school-1930.png" width="320" /></a></div>Die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kamloops_Indian_Residential_School" target="_blank">Kamloops Indian Residential School</a>
war von 1890 bis 1969 als katholisches Internat eine von insgesamt ca.
3000 Internaten verschiedener religiöser Institutionen, die im
Residential School-System Kanadas für Kinder indigener Abstammung
bestanden. 2/3 der Einrichtungen befanden sich lt. SZ in katholischer Hand (SZ: <a href="https://www.sueddeutsche.de/meinung/katholische-kirche-franziskus-phil-fontaine-kanada-first-nations-missbrauch-terror-kinder-1.5627864" target="_blank">Der Mann, der den Papst nach Kanada brachte</a>). Im Frühjahr 2021 fanden auf dem Gelände der Kamloops Indian
Residential School Bodenuntersuchungen statt, bei der 215 verscharrte
Kinderleichen gefunden wurden. Internationale Medien machten den Fund
als „Massengrab“ publik (FAZ, 29.05.2021: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kanada-ueberreste-von-215-kindern-der-ureinwohner-entdeckt-17364304.html" target="_blank">Überreste von 215 Kindern kanadischer Ureinwohner entdeckt</a>). Namen Verstorbener konnten nur unvollständig dokumentiert werden. Gräber blieben anonym. Aufgrund
gezielter Suche wurden kurz darauf mehr als 1000 weitere Gräber
indigener Kinder in der Nähe ehemaliger Internate entdeckt: FAZ,
14.07.2021: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kanada-160-weitere-graeber-indigener-kindern-entdeckt-17436648.html#void" target="_blank">160 weitere Kindergräber in Kanada entdeckt</a>.
Insgesamt werden 3200 - 6000 Todesfälle vermutet. Immerhin stellt sich
Kanada diesem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit durch Aufarbeitung
und Entschädigungen: FAZ, 15.12.2021: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kanada-stellt-milliarden-fuer-indigene-heimkinder-bereit-17684993.html" target="_blank">Kanada stellt Milliarden für indigene Heimkinder bereitet</a>.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi-WKx_SlvdOb4S--Tt3D8w5FLxx1a5DgCP3G8gI71vzpOGeWQBDhbSicGYPT3N8H8Yct-0mn_eMtjmfv16d-MQE7cSQ6w9PjA6Di7rkg7cETixRwhKwdl7dYKwEm7FfKxW9TAb6FoDWWxoSzR2OpHMIXcYVXTIuhbrm8q3324smRXjG1foRv1Y9a5e/s1920/World%20Press%20Foto%20Award%202022.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1080" data-original-width="1920" height="180" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi-WKx_SlvdOb4S--Tt3D8w5FLxx1a5DgCP3G8gI71vzpOGeWQBDhbSicGYPT3N8H8Yct-0mn_eMtjmfv16d-MQE7cSQ6w9PjA6Di7rkg7cETixRwhKwdl7dYKwEm7FfKxW9TAb6FoDWWxoSzR2OpHMIXcYVXTIuhbrm8q3324smRXjG1foRv1Y9a5e/s320/World%20Press%20Foto%20Award%202022.jpg" width="320" /></a></div>Zur
Erinnerung an die Kinder wurden Kreuze mit Kinderbekleidung
aufgestellt. Ein 2021 in der New York Times veröffentlichtes Foto eines
dieser Kreuze der kanadischen Fotografin <a href="https://www.wikiwand.com/en/Amber_Bracken" target="_blank">Amber Bracken</a> ist als <a href="https://www.ndr.de/kultur/kunst/hamburg/World-Press-Photo-Award-geht-an-Kanadierin-Amber-Bracken,worldpressfoto142.html" target="_blank">Pressefoto des Jahres 2022</a>
ausgezeichnet. Im Zeitalter digitaler Medien ist die Verbreitung
solcher Nachrichten nicht zu verhindern. Die Kirche muss reagieren.
Papst Franziskus übernimmt als Pontifex Maximus der katholischen Kirche
persönlich die Aufgabe einer kaum Erfolg versprechenden
Schadensbegrenzung durch eine Entschuldigung. Um welche Schäden geht es? Schäden der Opfer oder Schäden der Kirche?</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Schuldeingeständnis, Bußreise und Entschuldigung des Papstes sind Symbolik ohne juristische oder materielle Konsequenzen. Welchen Wert hat diese Symbolik, solange die Kirche aufgrund vermeintlicher Heiligkeit nicht irren kann und 'Bodenpersonal' nur unter erdrückender Beweislast Fehler eingesteht? Einblick in Archive hat der Vatikan zu dieser Thematik bisher nicht zugestanden. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Alexander_VI." target="_blank">Papst Alexander VI.</a> (1431-1506), dessen fragwürdiger Lebenswandel bereits zu dessen Lebzeiten anrüchig war, hat aus politischen Erwägungen Aufteilungen der <i>Neuen Welt</i> vorgenommen und Missionsaufträge ausgesprochen. Aus diesen Dekreten leiteten Kolonialmächte das Recht ab, indigene Einwohner zu entrechten und zu verdrängen. Die Gültigkeit dieser Dekrete hat die Kirche bis heute nicht aufgehoben.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"> </div></div><div style="text-align: left;"><b>Wie sind die Vorfälle einzuordnen? </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Religion ist ein ubiquitäres Phänomen in mannigfaltigen Ausprägungen, das prinzipiell keiner Institutionen (Kirchen) bedarf, um als universeller <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Tatbestand" target="_blank">sozialer Tatbestand</a> individuellen und kollektiven Nutzen zu spenden. Der Soziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a> vermittelt in seinem phänomenalen Hauptwerk <i>„Der Ursprung der Religion.</i><i><i>Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit</i>" </i>(Freiburg
2021), dass die Monopolisierung von Religion durch religiöse
Institutionen auf Interessen politischer Machtstrukturen zurückgeht und
religiöse Institutionen im eigenen Interesse mit politischer Macht
kollaborieren. (Bezüglich Deutungen der Entstehung von Religion und religiösen Institutionen sei auf Kapitel 3 des Posts <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/01/evolution-kognitive-revolution-und-die.html" target="_blank"><i>Evolution, kognitive Revolution und die Folgen</i></a> verwiesen.)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Richtig und zugleich falsch ist von Papst Franziskus vorgetragener Einwand, für die Vorfälle trage nicht alleine die Kirche Schuld, sondern auch damalige Regierungsbehörden (Spiegel: <a href="https://www.spiegel.de/panorama/kanada-papst-franziskus-weist-alleinige-schuld-der-kirche-zurueck-a-9fa5fc61-acb2-46dd-99b7-210d53bc79fe" target="_blank">Papst weist alleinige Schuld der Kirche zurück</a>). Richtig ist der implizite Verweis auf Kollaboration zwischen politischen Institutionen und der Kirche. Falsch ist die Bereitschaft der Kirche, sich politisch nützlich zu machen. Aus dieser Falle gibt es kein Entkommen.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">In den USA, Australien und Kanada, ehemalige Kolonien des britischen Empire, zeigen Strategien der Assimilierung und 'Zivilisierung' indigener Bevölkerung einheitliche Muster ‚legalisierter Gesetzlosigkeit‘ auf Basis von Kollaborationen zwischen staatlichen und kirchlichen Institutionen. Ähnliche Muster nutzten auch andere Kolonialmächten in ihren Kolonien, jedoch weniger strategisch konsequent. Kernaspekte der Strategie: </div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li>Indigene Bevölkerung wird in Reservate umgesiedelt und zur Sesshaftigkeit gezwungen.</li><li>Kulturelle Identität der indigenen Bevölkerung wird durch Trennung von Eltern und Kindern sowie Umerziehung der Kinder in Internaten zu englisch oder französisch sprechenden „zivilisierten Christen“ zerstört (je nach Träger der Einrichtung mit katholischer, anglikanischer, presbyterianischer, methodistischer etc. Ausrichtung). </li><li>Traditionelles Brauchtum und native Sprachen sind verboten und werden in Umerziehungs-Internaten brutal bestraft. </li></ul></div><div style="text-align: left;">Versuche, Verantwortliche und Mitläufer von Schuld zu befreien, argumentieren, dass die immigrierte weiße Bevölkerung es nicht besser wusste und im guten Glauben gehandelt habe, während ihr Verhalten erst im Rückblick als Fehler erkannt wird. Einer solchen Sicht stehen jedoch ‚legalisierte Gesetzlosigkeit‘, kruder Rassismus und mit christlicher Ethik nicht vereinbares Verhalten im Wege. Menschen nicht assimilierter nativer indigener Bevölkerung wurden als 'Wilde' bzw. 'Barbaren' betrachtet, die nur durch Umerziehung in repressiven Einrichtungen zu vollwertigen Menschen aufsteigen können. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Unfolgsame Kinder wurden mit schweren Prügelstrafen und durch sexuellen
Missbrauch übel misshandelt, so dass Kindersterblichkeit und Suizide in
Internaten mehrfach höher waren als in der weißen Bevölkerung. Dieser
Sachverhalt war nie ein Geheimnis. Fehlverhalten und Perversionen dominanter weißer Pädagogen waren vielleicht nicht gebilligt, sie wurden aber auch nicht sanktioniert, sondern verschwiegen. Aus Sicht des weißen Suprematismus sind unappetitliche Begleiterscheinungen in Übergangsphasen als unvermeidbare Risiken und Nebenwirkungen hinzunehmen.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Historikerin <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Caroline_Elkins?oldformat=true" target="_blank">Caroline Elkins</a> dekonstruiert die britische Selbsttäuschung eines vermeintlich liberalen, aufgeklärten, gutartigen Imperialismus des britischen Empire und belegt in ihren Untersuchungen <i>(</i>zuletzt in<i> Legacy of Violence. A History of the British Empire, New York 2022)</i> am Beispiel von Zentralafrika "liberalen Imperialismus" als Ideologie mit rassistischem Überlegenheitsanspruch, der Eroberung, Repression, eklatante Gewalt und Gesetzlosigkeit vermeintlich rechtfertigt. Die <i>New York Times</i> rezensiert <i>Legacy of Violence</i> als <i>Dunkle Wahrheiten über Großbritanniens imperiale Vergangenheit</i> (<a href="https://www.nytimes.com/2022/03/29/books/review/caroline-elkins-legacy-of-violence.html" target="_blank"><i>Dark Truths about Britain's Imperial Past</i></a>). <i>The Guardian</i> fasst die Rezension zu <i>Legacy of Violence </i><span>als </span><i>brutale Wahrheit über die Vergangenheit Großbritanniens</i> zusammen (<a href="https://www.theguardian.com/books/2022/mar/13/legacy-of-violence-a-history-of-the-british-empire-by-caroline-elkins-review-the-brutal-truth-about-britains-past" target="_blank"><i>Legacy of Violence: A History of the British Empire by Caroline Elkins review – the brutal truth about Britain’s past</i></a>). <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Die Saat dieser Ideologie ist in ehemaligen Kolonien des britischen Empire aufgegangen. Das 'christliche Abendland' hat sich gegenüber der außer-europäischen Welt zutiefst versündigt und Keile zwischen die Menschheit getrieben, die sich nur schwer wieder entfernen lassen, wenn überhaupt. Unsere Reisen durch grandiose Landschaften Nordamerikas, Australiens und
Afrikas sind von derartigen Erfahrungen überschattet. Kanada und Australien betreiben immerhin aktive Aufarbeitung dieser
unrühmlichen Geschichte, was jedoch nicht immer allen Nachfolgern europäischer Immigranten gefällt, wie wir aus eigener Erfahrung wissen. Im Gegenteil bestehen aufgrund des europäischen kulturellen Erbes nicht nur in den USA, sondern auch in Australien massive Rassismusprobleme gegenüber indigenen Einwohnern und nicht-europäischen Zuwanderern. In den USA, Erben des britischen Imperialismus, hat die Aufarbeitung der Problematik nicht einmal begonnen. Großbritannien, Mutterland des Empire, vernichtete belastende Akten und tut Elkins Untersuchungen als Übertreibungen ab. Über Donald Trump mag man den Kopf schütteln und ihn für einen Idioten halten, aber auch 60 % der Briten stimmten bei einer Umfrage im Jahr 2014 der Aussage zu, das britische Empire sei im Allgemeinen <i>„etwas, auf das man stolz sein kann“</i> (Zitat aus der Rezension in <i>The Guardian</i>, s.o.)<br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Rassistische Denkweise und Hass gegenüber fremden Ethnien bildeten den Nährboden für den Holocaust. Deutschlands
hinreichend bekannte unrühmliche Geschichte bedarf keiner besonderen
Erwähnung, weil sich Deutschland zu seiner Schuld bekennt. Als bedrückend empfinden wir jedoch, dass historische Lektionen
selbst in Deutschland am rechten politischen Rand auf Ignoranz stoßen
und Fakten abgestritten werden. Über Deutschland hinaus sind rassistische Denkmuster weltweit in Köpfen vieler Menschen verbreitet und besonders ausgeprägt in Ländern, die unter dem Einfluss des ehemaligen britischen Empire und seines verlogenen „liberalen Imperialismus“ standen und teilweise noch immer stehen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Quellen </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Zum aktuellen Post regen Artikel des von uns wertgeschätzten Nordamerika-Korrespondenten der FAZ und weitere Artikel der FAZ an, die jedoch hinter einer Bezahlschranke liegen:</div><ul style="text-align: left;"><li>24.07.2022, Majid Sattar: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/papstbesuch-in-kanada-indigene-hoffen-auf-schuldanerkenntnis-18192285.html?printPagedArticle=true&premium#void" target="_blank">Der Papst und die vermissten Kinder</a> </li><li>23.07.2022, Matthias Rüb: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/reise-nach-kanada-papst-bittet-indigene-um-vergebung-18192360.html?premium" target="_blank">Der Papst muß Buße tun</a> </li><li>19.04.2022, Matthias Rüb: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indigene-voelker-in-kanada-papst-bittet-um-verzeihung-fuer-genozid-17965721.html?premium" target="_blank">Der kulturelle Genozid an Kanadas Indigenen</a></li><li>15.06.2021, Frauke Steffens: <a href="https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/staatliche-umerziehung-fuer-ureinwohnerkinder-in-kanada-17384898.html?premium" target="_blank">„Den Indianer im Kind töten</a>"</li></ul><p></p>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-88842850953288637832022-02-27T21:56:00.222+01:002022-11-17T18:00:00.065+01:00Der Gang der Geschichte und ihre Anfänge - Anmerkungen zum Buch 'Anfänge' von David Graeber und David Wengrow <div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgMEt_0wXPMN1b9Qx0IWvACvpTbcizydpx0zdgTcWLmOCb50SJm7KRC8DzMooQxxpSTewbN_NmEOLPO_RbcPWIWvOTC4FZDxiXd77fgMSIpJ0xR--rLdAlYKQQFjMWK5BWTUd7IHkWKtcTefcA0LZgrBu0RfjWREwZOE7L2ex0Ezetv01ZJdMWnZwgC=s1147" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1147" data-original-width="768" height="300" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgMEt_0wXPMN1b9Qx0IWvACvpTbcizydpx0zdgTcWLmOCb50SJm7KRC8DzMooQxxpSTewbN_NmEOLPO_RbcPWIWvOTC4FZDxiXd77fgMSIpJ0xR--rLdAlYKQQFjMWK5BWTUd7IHkWKtcTefcA0LZgrBu0RfjWREwZOE7L2ex0Ezetv01ZJdMWnZwgC=s320" width="214" /></a></div><div style="text-align: left;">Kulturanthropologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Graeber" target="_blank">David Graeber</a> (1961-2020) und Prähistoriker <a href="https://www.wikiwand.com/de/David_Wengrow" target="_blank">David Wengrow</a> (*1972) führen in ihrer Veröffentlichung <i>Anfänge: Eine neue Geschichte der Menschheit</i> zahlreiche Belege gegen religiöse Mythen und wissenschaftliche Narrative kultureller Evolution an, die geopolitische Konstellationen als Stadien linearer evolutionärer Prozesse einer Zivilisationsgeschichte beschreiben.(1,2) Diese narrativen Muster entstanden in der Neuzeit mit der <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aufkl%C3%A4rung" target="_blank">Aufklärung</a> als modellhafte Ideen einer Zivilisationsgeschichte, die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Thomas_Hobbes" target="_blank">Thomas Hobbes</a> (1588-1679) als Fortschritt und <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jean-Jacques_Rousseau" target="_blank">John-Jacques Rousseau</a> (1712-1778) als Rückschritt auffassten. Narrative linearer Evolution von Kultur sind noch immer populär. U.a. ist hier <a href="https://www.wikiwand.com/de/Yuval_Noah_Harari" target="_blank">Yuval Noah Hararis</a> (*1976) Weltbestseller <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eine_kurze_Geschichte_der_Menschheit" target="_blank"><i>Sapiens: Eine kurze Geschichte der Menschheit</i></a> einzuordnen.(3) In Anbetracht neuerer empirischer Befunde archäologischer Forschungen beabsichtigen Graeber und Wengrow, Geschichtsschreibung als große Erzählung zu dekonstruieren und durch <i>Geschichte von unten</i> in Form kontingent verlaufender <i>petites histoires</i> zu ersetzen, die in kein Standardmodell passen.(4) </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Nachfolgende Anmerkungen beschränken sich nicht auf Aussagen zu <i>Anfänge</i>; sie beziehen eigene und fremde Gedanken ein. </div><div style="text-align: left;"> </div><span><a name='more'></a></span><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><b>Status Quo </b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Prähistorische Forschungen und Modelle kultureller Evolution stoßen an universelle Gewissheiten ausschließende Grenzen. Interpretationen von Artefakten und ihr Verständnis als Ausprägungen von Kulturmustern erfordern ergänzende Annahmen, die verbleibende Leerstellen füllen, Spektren von Möglichkeiten aufzeigen und Wertungen enthalten, die je nach Perspektive unterschiedlich ausfallen können und bei den Autoren <a href="https://www.wikiwand.com/de/Anarchismus" target="_blank">anarchistisch</a> grundiert sind.(5,6) <i>Anfänge</i> spricht ein interessiertes Publikum an, ohne Expertise vorauszusetzen. Inhaltliche Details des Buchs sind strittig, aber Leseerfahrungen sind selbst dann bereichernd, wenn Leser der Message oder Details nicht zustimmen. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Das Paradigma linearer Evolution ist wahrscheinlich geprägt durch <a href="https://www.wikiwand.com/de/Eschatologie" target="_blank">eschatoligische</a> Zeitvorstellungen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Abrahamitische_Religionen" target="_blank">abrahamitischer Religionen</a>, die Zeit als eine lineare Abfolge postulieren, die von der Schöpfung der Welt bis zu einer <a href="https://www.wikiwand.com/de/Endzeit" target="_blank">Endzeit</a> reicht und in einer zeitlosen Ewigkeit eingebettet ist. Jenseits traditionell monotheistischer Kulturräume sind alternative religiöse Zeitvorstellungen verbreitet. In der Antike wurde Zeit als Wiederholungssequenz gedacht. Hinduismus und Buddhismus fassen Zeit als zyklische Kreisläufe auf. Indigene <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kalte_und_hei%C3%9Fe_Kulturen_oder_Optionen"><i>kalte Kulturen</i></a> verstehen Zeit als eine in Riten und Mythen lebendig werdende 'Allzeit', in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen oder zweidimensional, wenn sie Unterscheidungen treffen zwischen einer die Welt strukturierenden mythischen <i>Traumzeit</i>, in der die Welt erschaffen oder geformt wurde sowie einer zukunftsfreien gegenwärtigen Welt, die Menschen mit dem Auftrag ererbt haben, sie in ihren Grundstrukturen zu bewahren. <i>Traumzeit</i> ist keine Vergangenheit im Sinne von Historie. <i>Traumzeit</i> strukturiert die Welt und bleibt in Ritualen und Mythen stets gegenwärtig. Das in diesen Kulturen typische Zeitbewusstsein ist zyklischer Art und spiritualisiert mythisch und rituell den Rhythmus der Jahreszeiten.(7,8) Als physikalische Größe bildet <i>Zeit</i> ein bisher ungelöstes Rätsel. Vermutlich ist <i>Zeit</i> eng mit dem Phänomen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank"><i>Bewusstseins</i></a> verknüpft, das sich wie <i>Zeit</i> einer physikalischen Erklärung entzieht. <i>Zeit</i> und <i>Bewusstsein</i> zählen zu den großen Rätseln von Naturwissenschaft und Philosophie.(9,10)</div><div style="text-align: left;"><b> </b><br /></div><div style="text-align: left;">Einen kühnen, bemerkenswerten Entwurf zu einer Theorie der Evolution menschlichen Bewusstseins entwickelte der kanadische Neuroanthropologe, kognitive Neurowissenschaftler und Vertreter der <a href="https://www.wikiwand.com/en/Mimetic_theory_of_speech_origins" target="_blank">mimetischen Theorie der Sprachentstehung</a> <a href="https://www.wikiwand.com/en/Merlin_Donald" target="_blank">Merlin Donald</a> (*1939). Donald versteht Bewusstsein systemisch als Hybridprodukt einer Symbiose von
Gehirn (Organ eines Lebewesens) und Kultur (von Menschen erschaffene
Netzwerke von Artefakten) und Kultur und ordnet den Entwicklungsprozess des Bewusstseins in vier kulturelle Phasen ein. Den von Donald entwickelten Entwurf skizziert der Post <a href="https://soziologenkram.blogspot.com/2020/01/evolution-kognitive-revolution-und-die.html" target="_blank">Evolution, kognitive Revolution und die Folgen</a> in Kapitel 2.1.<br /><br /></div><div style="text-align: left;">In europäischer Kultur dominieren religiös grundierte Vorstellungen linearer Evolution, die vermeintlich in einer apokalyptische Katastrophe enden. Mit Prozessen globaler Expansion europäischer Kultur setzte im 15. Jahrhundert eine Gegenbewegung ein. Europäische Kultur entwickelte gegenüber historischen Kulturen sowie gegenüber als primitiv oder barbarisch verstandenen alternativen Kulturen der Gegenwart ein scheinbar universal gültiges Selbstverständnis der Überlegenheit <a href="https://www.wikiwand.com/de/Utilitarismus" target="_blank">utilitaristischer</a> Ethik, die dystopische Ängste verdrängte und Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus legitimierte. Politische Programme europäischer Kultur korrespondieren mit vermeintlich wissenschaftlich zu begründenden Überzeugungen, die Zivilisation als kontinuierlichen Fortschritt verstehen, an dem zwar nicht alle Menschen im gleichen Umfang partizipieren, von dem aber alle in Form zunehmenden Wohlstands und verbesserter Lebensqualität zu profitieren scheinen.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Kulturmuster
europäischer Prägung sind über historisch lange Zeiträume aus
zusammenhanglosen Einflüssen und Prozessen zu einem kaum zu entwirrenden
Konglomerat zusammengewachsen, das gegenüber alternativen Kulturmustern
Dominanz entfalten konnte. Prägenden Einfluss auf dieses Konglomerat
hatten und haben <br /></div><ul style="text-align: left;"><li>patriarchalische Herrschaft,</li><li>das <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_(Soziologie)" target="_blank">Patriarchat</a> legitimierende monotheistische Religion,</li><li>Herausbildung
eines Rechtsverständnisses von Privateigentum, das unfreie Menschen,
Tiere, Land und die gesamte Natur als Objekte betrachtet und Macht über
diese Objekte legitimiert,</li><li>Ideen der Aufklärung, die einerseits
Einflüsse von Religion zugunsten von Verwissenschaftlichung der Welt
zurückdrängen und andererseits Vorstellungen von Fortschritt und
Naturbeherrschung durch Kultur entstehen lassen,</li><li>revolutionäre technologische Entwicklungen, <br /></li><li>Prozesse der
Digitalisierung, die mit Hilfe intransparenter Algorithmen
Kontrolle von Verhalten, Entscheidungen und Handlungen von menschlichen
Interaktionen unabhängig machen. Digitalisierung ermöglicht neuartige
Verfahren unsichtbarer Machtausübung, die sich menschlicher Kontrolle
entziehen, indem sie Schaltstellen individueller Motivation besetzen.<br /></li></ul></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Mit
dem Erfolg europäischer Kulturen wuchs deren Macht. Wenn Kontrolle über
politische Macht fehlt oder verloren geht, legitimiert politische Macht
sich selbst und erzeugt Narrative ihrer Legitimation. Trotz und
entgegen aller empirischer Erfahrung von Machtmissbrauch durch
Imperialismus, Kolonialismus, Nationalismus, Rassismus, Religion und nicht zuletzt
auch Technologie, gelang europäischer Kultur auf Feldern wie Erziehung, Bildung, Wissenschaft,
Ökonomie, Konsum etc. im Denken von Menschen eine individuelle und kollektive Internalisierung
von Narrativen, die Fortschritt und zivilisatorische Überlegenheit mit europäische Kultur gleichsetzt und europäischer Kultur den Spitzenplatz im Ranking einer von ihr selbst definierten Zivilisation verschaffte.</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Graebers und Wengrows Fragestellung und Alternative</b><br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Graeber und Wengrow erkennen Bedarf für eine <i>"konzeptionelle Transformation"</i> des vorherrschenden <i>"großen Bildes"</i>
der Geschichte, das entstanden ist, um bestehende Verhältnisse zu
rechtfertigen, aber den Fakten nicht standhält und in weiten Teilen
falsch ist. In <i>Anfänge</i> setzen die Autoren Teile eines Puzzles zusammen <i>"in
dem vollen Bewusstsein, dass noch kein Mensch über ein auch nur
annähernd vollständiges Set verfügt. Die Aufgabe ist gewaltig und die
Themen sind so wichtig, dass es Jahre der Forschung und der Diskussion
brauchen wird, um die Folgen des Bildes, das wir zu sehen beginnen, auch
nur ansatzweise zu verstehen." </i>(<i>Anfänge</i>, S. 17) Graeber und Wengrow suchen nach Antworten auf die Frage,
<i>"ob wir die Freiheiten wiederentdecken
können, die uns überhaupt erst zu Menschen machen." </i>(<i>Anfänge, </i>S. 21) <br /></div> <br /></div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Im 20. Jahrhundert begründen Entwicklungen der realen Welt zunehmende
Zweifel am Narrativ zivilisatorischen Fortschritts. Disruptive Kräfte
vermeintlich fortschrittlicher Prozesse offenbaren Irrtümer naiven
Fortschrittsglaubens. Inzwischen
ist
bekannt und offensichtlich, dass Macht jeder Art zu deren Missbrauch
verleitet und die Größe von
Macht mit der Monstrosität von Missbrauch korreliert, während
Kontrollmechanismen mit zunehmender Macht erodieren und versagen.
Eine endlose Liste von Beispielen zeigt, dass in europäischer
Kultur vergangener Jahrhunderte einiges gewaltig misslungen ist.(11) Über Ursachen und Zeitpunkte von Irrtümern kultureller
Evolution sind kontroverse Diskussionen angelaufen. Ob Einigkeit über
Irrtümer und deren Korrekturen erzielt werden kann, ist so wenig
absehbar wie die Frage, ob Ursachen für disruptive Prozesse belastbar
identifiziert und bewiesen werden können. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Aus der Perspektive ihrer Wissenschaft entwickeln Ethnologen eine distanzierte Sicht kultureller Vergleiche. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a>
(1908-2009) diagnostizierte westlicher Kultur einen Zustand der
Erschöpfung ihrer Reserven. Die Siegerkultur ihrer Ordnung zahlt
westliche Kultur mit gesellschaftlicher <a href="https://www.wikiwand.com/de/Entropie_(Sozialwissenschaften)" target="_blank">Entropie</a>
und Orientierungslosigkeit, ohne dass eine Regenerierung aus eigener
Kraft möglich wäre.(12,13) Der resignativen Haltung von
Lévi-Strauss verweigern sich Graeber und Wengrow und machen mit etlichen Beispielen darauf aufmerksam,
dass scheinbar rückständige oder primitive Kulturen diese Zusammenhänge
kennen und mit verschiedenen Mechanismen Machtverhalten einzuhegen und
Missbrauch zu verhindern wussten und wissen. Mit <i>Anfänge</i>
unternehmen Graeber und Wengrow den Versuch, die Diskussion kultureller Disruption zu
ordnen, Ursachen zu identifizieren, auf fehlerhafte Abzweigungen
aufmerksam zu machen und fatalistische Alternativlosigkeit aufzuweichen.
Graeber und Wengrow präsentieren keine Beweise, aber anhand von
Erkenntnissen aus der archäologischen und ethnologischen Forschung zeigen sie gemäß eigenem Anspruch, dass</div><ul style="text-align: left;"><li>komplexes kollektives Handeln auch ohne hierarchische Strukturen möglich ist,</li><li>die <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neolithische_Revolution" target="_blank"><i>Neolithische Revolution</i></a> eine Erfindung von Archäologen ist,(14,15) <br /></li><li>die Entstehung großer Städte nicht zwangsläufig in die Entwicklung von Staaten mündete,</li><li>komplexes
kollektives Handeln keine Gesetzmäßigkeiten von Ungleichheit und
Unfreiheit bzw. Asymmetrien von Besitztum und Macht begründet,</li><li>kulturelle Evolution weder unilinear noch teleologisch, sondern kontingent verläuft,</li><li>kulturelle Evolution überraschende Wendungen nehmen kann,</li><li>kulturelle Entwicklungen in einem als <a href="https://www.wikiwand.com/de/Schismogenese" target="_blank">Schismogenese</a> bezeichneten Prozess der Auseinanderentwicklung von Kulturmustern
miteinander konkurrieren und beteiligte Parteien sich gegenseitig
verstärken, aber auch in ihren jeweiligen Irrtümern bestärken und sich
gegenseitig auslöschen können.(16) </li></ul></div><div style="text-align: left;">Auf die Frage, warum europäische Kultur seit dem 15. Jahrhundert global
expandierte und sich weitgehend durchsetzen konnte, sind keine einfachen
Antworten zu finden, weil Kultur sich nicht zielorientiert, sondern
kontingent entwickelt. Graeber und Wengrow vermeiden spekulative
Antworten, aber sie nehmen an, dass die Bedeutung vermeintlich genialer
kultureller Ideen, Erfindungen und Meilensteine wahrscheinlich deutlich
überschätzt wird und aus naiven Erklärungsversuchen resultiert.(17) Als kulturelle Evolution materiellen und zivilisatorischen Fortschritts
verstandene Geschichte entlarven Graeber und Wengrow vermeintlich als
Narrative, die soziale Ungleichheit als Preis für Fortschritt erscheinen
lassen und individuelle Freiheit als einen auf Naivität oder auf
unkultivierter Lebensweise beruhenden Zustand unkalkulierbarer
Gefahren. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Selbstverständlich wird nicht jeder Leser des Buchs oder jeder Kulturwissenschaftler und erst Recht nicht jeder Politiker der Argumentation von Graeber und Wengrow folgen wollen, aber sie müssen sich an der Qualität der von Graeber und Wengrow präsentierten Argumente messen lassen, was das Niveau der Diskussion deutlich erhöhen und Problemlösungen möglicherweise beschleunigen könnte. Wer annimmt, dass kulturelle Evolution als Fortschritt in Richtung
qualitativer Höherentwicklung und Reife aufzufassen ist, wird sich mit <i>Anfänge</i> kaum anfreunden, sondern das Buch eher als Provokation verirrter Köpfe wahrnehmen. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b> </b></div><div style="text-align: left;"><b>Wie groß sind Handlungsspielräume? </b><br /> </div><div style="text-align: left;"><div style="text-align: left;">Sachlich gut begründete Kritik an <i>Anfänge</i>
formuliert der an der Universität Basel lehrende Soziologe Axel T. Paul
in einem Essay, in dem er sich gründlich und nachvollziehbar mit in
Anfänge publizierte Thesen und Behauptungen auseinandersetzt und mit dem
Plädoyer schließt, evolutionäre Konzepte nicht leichtfertig über Bord
zu werfen.(18) <i>Evolution</i> impliziert nicht zwangsläufig, dass
Entwicklungen geradlinig und zielorientiert verlaufen, sondern besagt,
dass Entwicklungsprozesse und Entwicklungsmuster identifizierbar sind.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Bemerkenswert ist aus eigener Sicht, dass Graeber und Wengrow anscheinend <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellahs</a> bedeutendes Werk <i>Der Ursprung der Religion </i>nicht zur Kenntnis genommen haben.(19) Bellah nimmt an, dass mit dem Übergang von in Verwandtschaftsbeziehungen organisierten <a href="https://www.wikiwand.com/de/Segment%C3%A4re_Gesellschaft" target="_blank">segementären Stammeskulturen</a>,
deren Face-to-Face-Grupppen bis zu 200 Mitglieder umfassten, zu
komplexeren archaischen Kulturen, die deutliche größere Mengen von
Menschen kulturell einbinden, eine Transformation stattfindet, durch die
horizontale <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patriarchat_(Soziologie)" target="_blank">patriarchalische</a> Strukturen in vertikale, <a href="https://www.wikiwand.com/de/Soziale_Stratifikation?title=Soziale_Stratifikation&redirect=no" target="_blank">sozial stratifizierte</a> Strukturen eines hierarchischen <a href="https://www.wikiwand.com/de/Patrimonialismus" target="_blank">Patrimonialismus</a>
übertragen werden, die wir als Staaten identifizieren.(20) Mit der
Transformation von Stammeskulturen zu archaischen Kulturen wandelt sich
nicht nur fluider, instabiler Egalitarismus zur institutionell
verankerten Ordnung, sondern auch Religion, die schon als
Stammesreligion Überzeugungen einer kosmischen Ordnung symbolisierte, in
die Stammeskulturen eingebunden sind.</div><div style="text-align: left;"> <br /></div>Die
Durchsetzung und Absicherung patrimonialer Strukturen gelingt mit der
Entstehung politischer Institutionen, die einen gemeinsamen Rahmen
herstellen, dessen normative Verbindlichkeit symbolische rituelle
Handlungen verstetigen. An der Spitze dieser Institution monopolisiert
eine einzelne Person die Verbindung zur kosmischen Ordnung als Herrscher
und legitimiert damit nicht nur ihre Herrschaft, sondern gleichzeitig
eine hierarchische Ordnung als immanente kosmische Ordnung. Bellah
versteht den göttlichen oder halbgöttlichen König als den entscheidenden
Hebel, der die soziale Ordnung von Stammeskulturen in archaische
Kulturen transformierte.(21) Bellahs Verständnis dieser Zusammenhänge
fügt sich nicht in das Konzept von Graeber und Wengrow und wird darum
vermutlich von ihnen ausgeblendet. <br /></div><div style="text-align: left;"> <br /></div><div style="text-align: left;">Als Standardmodell kultureller Evolution hat sich eine Sicht durchgesetzt, gemäß der zunehmende Komplexität von Sozialstrukturen zwangsläufig in Hierarchien asymmetrischer Machtverteilung münden. Befindet sich die Menschheit in einer Falle, die sie sich selbst gestellt hat und aus der es kein Entkommen gibt? Der ersten Frage stimmen David Graeber und David Wengrow zu. Sie nehmen an, dass westliche Kultur unbewusst die Menschheit in eine Falle manövriert hat. Für Graeber und Wengrow ist diese Falle jedoch nicht ausweglos. Sie verstehen Menschen als <i>"Projekte kollektiver Selbsterschaffung"</i>.
Unter dieser Prämisse beschreiben die Autoren unterschiedliche
Spielarten von Kultur in der Geschichte und stellen fest, dass die
Menschheit sich Fesseln angelegt hat, von denen sie sich befreien muss,
um als Spezies zu überleben. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Graeber und Wengrow argumentieren, dass <a href="https://www.wikiwand.com/de/Akephalie" target="_blank">akephale</a> (herrschaftsfreie)
Ordnungen ohne Zentralinstanzen nicht nur in Jäger-und-Sammler-Kulturen
möglich sind, sondern auch in komplexen Kulturen des Zweistromlandes
und des amerikanischen Kontinentes über lange Zeiträume existierten.
Einvernehmlich geteilte soziale Mechanismen der Konsensbildung verhinderten
Machtübernahme durch einzelne Personen oder Institutionen. Trotz Herrschaftsfreiheit war es möglich, komplexe Architekturen zu realisieren und das Zusammenleben einer großen Anzahl Menschen zu organisieren.
Teilweise sind auch hybride Kulturen zu erkennen, die jahreszeitlich
oder je nach Kriegs- und Friedenszeiten ihre kulturelle Ordnung
wechselten und aufgabenspezfisch zeitlich begrenzte Führungsrollen an besonders geeignete Persönlichkeiten vergeben. In einigen Kulturen waren durchaus Machtstrukturen etabliert, die Ausprägungen
bis zu despotischem und absolut willkürlichem Herrschaftsgebaren
annehmen konnten, deren Herrschaft beschränkte sich aber auf sichtbare Nahbereiche und blieb außerhalb dieser Bereiche ohne normative Kraft. </div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">In komplexen sozialen Ordnungen haben sich zwei unterschiedliche und nicht miteinander vereinbare politische Modelle in unterschiedlichen Spielarten und Schattierungen durchgesetzt, die die Begriffe Demokratie und Autokratie umschreiben. (In Übergangsphasen können sich auch hybride Modelle ausprägen, die jedoch relativ instabil sind und sich daher in eine der beiden Richtungen bewegen.) Warum etwas so geworden ist, wie es ist, blenden Graeber und Wengrow jedoch aus. Sie möchten in ihren Analysen kulturhistorischer Entwicklungen zeigen, dass die dominierenden politischen Modelle sich nicht zwangsläufig einstellen, sondern Kulturen
unterschiedliche Wege gegangen sind, die eine herrschaftsfreie Organisation komplexer
Ordnungen nicht ausschließen. Für Graeber und Wengrow muss zunehmende Komplexität von
Sozialstrukturen nicht zwangsläufig in Hierarchien asymmetrischer
Machtverteilung münden. Soziale
Stratifizierung betrachten sie als eine mögliche, aber nicht die einzige Option der
Beherrschung von Komplexität. In der Geschichte menschlicher Kulturen wurden
offenbar verschiedene Spielarten der Komplexitätsbewältigung erprobt.
Einige dieser alternativen Modelle konnten über lange Zeiträume
erfolgreich bestehen. Lt. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a> gilt jedoch unzweifelhaft, dass wachsende wirtschaftliche Gewinne mit der Zunahme von Hierarchie und Herrschaft korrelieren, diese Zunahme jedoch nicht die Art von Hierarchie und Herrschaft bestimmt.(22) </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Robert Bellah nimmt Dominanz und Fürsorge als zwei biologisch vererbte und miteinander
verknüpfte Veranlagungen an, deren soziale
Domestizierung auf unterschiedliche Art und Weise gelingen kann, sodass
unterschiedliche Prozesse unterschiedliche Kulturmuster erzeugen.(23) Ohne sich auf Bellah zu beziehen, operieren Graeber und Wengrow mit einer weiteren, modellierend auf Kulturmuster einwirkenden Veranlagung, wenn sie vermuten, dass starke Motive der Selbstbestimmung (Autonomie) kulturelle Konsensmodelle hervorbringen und fremdbestimmte Herrschaft verhindern oder eingrenzen.(24) Die Motivation zur Selbstbestimmung stimmt Graeber und Wengrow
optimistisch. Sie halten für möglich, dass diese Motivation die
Menschheit aus der Falle des westlichen Kulturmusters befreien kann. Graeber und Wengrow gehen jedoch nicht darauf ein, dass Herrschaftsfreiheit keineswegs grenzenlose Freiheit individuellen Verhaltens impliziert. Im Gegenteil ist in egalitären Kulturen soziales Verhalten stark reglementiert durch soziale Normen, mit denen soziale Kontrolle, Konformitätszwänge und Sanktionen einhergehen, sowie durch kulturelle Identität stiftende ritualisierte Verhaltensmuster, denen sich niemand entziehen kann. <br /></div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;">Graebers und Wengrows Optimismus lässt die Frage unbeantwortet, warum das europäische
Kulturmuster dominant werden konnte, ohne dass sich alternative Modelle durchsetzen oder parallele Alternativmuster behaupten konnten.(25) Möglicherweise übersehen Graeber und Wengrow, dass</div><ul style="text-align: left;"><li>evolutionäre Prozesse zwar kontingent verlaufen, aber sich kontingent einstellende Bedingungskonstellation zwangsläufig bestimmte Muster hervorbringen (was nicht nur für stoffliche Gegenstände gilt, z.B. Änderungen von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Aggregatzustand" target="_blank">Aggregatzuständen</a>, sondern auch für nicht-stoffliche Gegenstände, wie z.B. <i>Leben, Bewusstsein, Kultur</i>),<br /></li><li>Prozesse zunehmend komplexerer Kulturmuster zwar enden können, ihre Umkehrbarkeit jedoch strittig ist,(26) </li><li>mit zunehmender Komplexität deren Beherrschbarkeit abnimmt und damit Verfahren der Kontrolle legitimer Macht erodieren,</li><li>Prozesse der Digitalisierung auf völlig neuartigem und historisch nie existierendem Niveau Kontrolle individuellen Verhaltens potentiell verbergen sowie Kontrolle von Machtausübung potentiell verhindern und Optionen erzeugen, die Ansprüche auf individuelle Selbstbestimmung konterkarieren und mit fremdbestimmten Motiven kontaminieren. </li></ul><div style="text-align: left;">Im
globalen Kontext hat Komplexität der Gegenwart Dimensionen erreicht,
die menschliche Entscheidungs- und Handlungsspielräume an Grenzen
führt, die mit keinem historischen Modell vergleichbar sind und für
Optimismus nur wenig Raum lassen. Der bedeutende Religionssoziologe <a href="https://www.wikiwand.com/de/Robert_N._Bellah" target="_blank">Robert Bellah</a> betrachtet in seinem großen Alterswerks <i>Der Ursprung der Religion</i> die Beschleunigung des kulturellen Wandels mit Skepsis:(27) <br /></div><div style="text-align: left;"><ul style="text-align: left;"><li><i>In
Verbindung mit der moralischen Blindheit, was wir den Gesellschaften
der Welt und der Biosphäre antun, ist der hochtourige technische
Fortschritt ein Rezept für rasches Aussterben</i> [der Menschheit; eigene Ergänzung]. <i>Die
Beweislast liegt bei allen, die behaupten, dies sei nicht der Fall. Wir
können darauf hoffen und daran arbeiten, dass unser Kurs eine andere
Richtung nimmt, aber selbstzufrieden dürfen wir nicht sein.</i></li></ul></div><div style="text-align: left;">-------------------------------------</div><div style="text-align: left;"> </div><div style="text-align: left;"><b>Fußnoten </b><br /></div><div style="text-align: left;"><ol style="text-align: left;"><li>David Graeber, David Wengrow, Anfänge: Eine neue Geschichte der Menschheit, Stuttgart 2022 (Original: The Dawn of Everything. A New History of Humanity, London, New York 2021)</li><li>NZZ: <a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/eine-neue-geschichte-der-menschheit-von-david-graeber-und-david-wengrow-ld.1664096" target="_blank">Mussten die Menschen zwangsläufig unfrei werden, als sie sesshaft wurden und Städte gründeten? Nein, sagen zwei Anarchisten und erzählen eine hoffnungsvollere Geschichte</a> <br /></li><li>Yuval Noah Harari, Sapiens: Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2015 (Original: Sapiens: A Brief History of Humankind, London, 2014)</li><li>Diese Absicht erklärt David Wengrow in einem im NZZ Magaizin veröffentlichten Interview: <a href="https://magazin.nzz.ch/kultur/david-wengrow-unsere-standardversion-der-geschichte-ist-falsch-ld.1665615?reduced=true" target="_blank">«Unsere Standardversion der Geschichte ist falsch», sagt der Archäologe David Wengrow</a><br /></li><li>Innerhalb der anarchistischen Bewegung sind zahlreiche unterschiedliche Strömungen identifizierbar, über die ein Artikel in Wikipedia informiert: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Anarchismus" target="_blank">Anarchismus </a><br /></li><li>Der renommierte Ethnologe und Religionswissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Karl-Heinz_Kohl" target="_blank">Karl-Heinz Kohl</a> äußert in einer Buchbesprechung (FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/david-graebers-und-david-wengrows-buch-anfaenge-17761501.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Anfänge der Zivilisation: Seht her, der Staat muss gar nicht sein!</a>) Kritik an vermeintlichen argumentativen Schwachstellen von Deutungsmustern: <br /><ul><li>Kohl bezweifelt, dass Ideen der Aufklärung als eine Abwehrreaktionen auf Kritik indigener Völker Nordamerikas an europäischer Kultur entstanden seien. </li><li>Lt. Kohl skizzieren die Autoren mit ihrer scharfen Kritik ein nicht zutreffendes Bild von Rousseau und zeichnen selbst romantisch geprägte Bilder.</li><li>Kohl wirft den Autoren vor, dass sie in von ihnen kritisierte Denkschemata zurückfallen, wenn einzelne Argumente in ihr Konzept passen.</li></ul>Über Kohls kritische Anmerkungen soll hier nicht gerichtet werden. Grundsätzlich gilt jedoch:<br /><ul><li>Kohls Anmerkungen betreffen keine Kernaussagen und beschädigen nicht den Wert von <i>Anfänge</i> oder das Verdienst von Graeber und Wengrow. Ein unterschwelliger Vorwurf einer manipulativen Selektion von Daten
zugunsten eines Verständnismusters wäre unangemessen. Wie jede Analyse, müssen auch Graeber und Wengrow in ihrer Analyse
vereinfachen, Daten selektieren und sie neu zusammensetzen, um Aussagen
ableiten zu können. Dieser Prozess ist unvermeidbar, aber er sollte transparent bleiben und diskutierbar sein <br /></li><li>Wissenschaftliche Auseinandersetzungen sind nicht per se unredlich,
sondern notwendig und unvermeidbar. Sie sind jedoch oftmals von
individuellen Nutzenerwägungen hinsichtlich persönlicher Reputation, wissenschaftlicher Karrieren und ökonomischer Interessen beeinflusst und werden daher nicht immer
fair geführt. Wissenschaft sucht nach Wahrheiten, aber sie verkündet keine ewigen Wahrheiten. Wissenschaftliche Daten sprechen nicht zu uns. Sie bedürfen der Interpretation und Bewertung. Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht in der Diskussion über unterschiedliche Interpretationen von Daten und in der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Modellen von Bewertungen. Diskussionen und Auseinandersetzungen finden oftmals in wissenschaftlichen Grabenkämpfen statt, die umso leidenschaftlicher geraten, je weicher Daten sind, mit denen Wissenschaften umgehen. Je weiter der historische Horizont zurückreicht, desto weicher werden Daten und ihre Interpretationen. <br /></li></ul></li><li>Religionswissenschaftler <a href="https://www.wikiwand.com/de/Peter_Antes" target="_blank">Peter Antes</a>, Leibniz Universität Hannover: <a href="https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/unimagazin/2012_zeit/netz11_antes.pdf" target="_blank">Zeitvorstellungen in Mythen und Religionen </a><br /></li><li>Um stark wertende Bezeichnungen für indigene Kulturen zu vermeiden, schlug <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Strauss</a> in seinem Werk <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wildes_Denken" target="_blank"><i>Das wilde Denken</i></a> vor, Kulturen nach ihrer Einstellung zum <a href="https://www.wikiwand.com/de/Sozialer_Wandel" target="_blank">Kulturwandel</a> in <i>kalte</i> und <i>heiße</i> Kulturen zu unterscheiden. Je <i>kälter</i>
eine Kultur ist, desto stärker ist ihr Bestreben, mittels komplexer
Verhaltenssysteme ihre traditionellen Kulturmuster zu bewahren und
Veränderungen zu vermeiden. Eine Kultur gilt als umso <i>heißer</i>, je stärker und je schneller sie zu umfassenden Modernisierungen bestrebt ist. - Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Kalte_und_hei%C3%9Fe_Kulturen_oder_Optionen" target="_blank">Kalte und heiße Kulturen oder Optionen</a> <br /></li><li>Quellen zur Problematik von <i>Zeit</i>:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Zeit" target="_blank">Zeit</a> </li><li>Prof. Dr. Gernot Münster, Institut für Theoretische Physik, Uni Münster: <a href="https://www.uni-muenster.de/Physik.TP/~munsteg/10Zeit.pdf" target="_blank">Was ist Zeit?</a> (PDF) </li><li>Carlo Rovelli: <i>Die Ordnung der Zeit</i>, Reinbek bei Hamburg 2018</li><li>Volkart Wildermuth, Deutschlandfunk: Buchbesprechung Carlo Rovelli: <i>"Die Ordnung der Zeit"</i>: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/carlo-rovelli-die-ordnung-der-zeit-zeit-wird-in-gefuehlen-100.html" target="_blank">Zeit wird in Gefühlen gemessen</a></li><li>Volkart Wildermuth, Deutschlandfunk: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-ueberlegungen-zu-zeittheorien-und-zum-zeitempfinden-100.html" target="_blank">Neue Überlegungen zu Zeittheorien und zum Zeitempfinden - Vergeht die Zeit und wenn ja, wohin?</a></li><li>Ulf von Rauchhaupt, FAZ: Buchbesprechung Claus Kiefer: <i>"Der Quantenkosmos"</i>: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/wissenschaft/quantengravitation-die-abschaffung-der-zeit-1768654.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Quantengravitation - Die Abschaffung der Zeit</a> </li></ul></li><li>Quellen zur Problematik von <i>Bewusstsein</i>:<br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Bewusstsein" target="_blank">Bewusstsein</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Qualia" target="_blank">Qualia</a></li><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Philosophie_des_Geistes" target="_blank">Philosophie des Geistes</a> </li><li>Portal <i>Das Gehirn</i>: <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/was-ist-bewusstsein" target="_blank">Was ist Bewusstsein?</a></li><li>Portal <i>Das Gehirn</i>: <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/das-raetselhafte-bewusstsein" target="_blank">Das rätselhafte Bewusstsein</a></li><li>Portal <i>Das Gehirn</i>: <a href="https://www.dasgehirn.info/denken/bewusstsein/auf-der-suche-nach-dem-geist-im-gehirn" target="_blank">Auf der Suche nach dem Geist im Bewusstsein</a> <br /></li><li>Hedda Hassel Mørch, FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/eine-loesung-fuer-das-harte-problem-des-bewusstseins-15397757.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Rätselhaftes Bewusstsein. Wie kommt der Geist in die Natur?</a></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/warum-sich-bewegung-und-geist-nur-zusammen-denken-lassen-13310072.html" target="_blank">Warum sich Bewegung und Geist nur zusammen denken lassen</a></li><li>Daniel C. Dennett: <i>Von den Bakterien zu Bach - und zurück. Die Evolution des Geistes</i>, Berlin 2018</li><li>FAZ Buchbesprechung zu Daniel C. Dennett: <i>Von den Bakterien zu Bach - und zurück. Die Evolution des Geistes</i>: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-geist-kommt-nicht-von-oben-sachbuch-ueber-die-entstehung-des-bewusstsein-15732036.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Entstehung des Bewusstsein. Der Geist kommt nicht von oben</a></li><li>FAZ Buchbesprechung zu Hugo Lagercrantz: <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/wann-setzt-das-menschliche-bewusstsein-ein-15906961.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Die Geburt des Ich</a></li><li>Wolfgang Prinz in <i>Denkströme</i>, Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften: <a href="http://www.denkstroeme.de/heft-2/s_49-63_prinz" target="_blank">Wie das Bewusstsein erfunden wurde</a></li><li>Wolfgang Prinz: <i>Bewusstsein erklären</i>, Berlin 2021</li><li>Antonio Damasio: <i>Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins</i>, München 2021 </li></ul></li><li>Der
Autor <a href="https://www.wikiwand.com/de/George_Orwell" target="_blank">George Orwell</a> (1903-1950) bezog seine Fabel <i>Farm der Tiere </i>auf die <a href="https://www.wikiwand.com/de/Russische_Revolution" target="_blank">russische Revolution</a> und Entwicklungen des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Stalinismus" target="_blank">Stalinismus</a>,
aber die Entwicklung europäischer Kultur findet sich in der Fabel
ebenfalls wieder. - Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Farm_der_Tiere" target="_blank">Farm der Tiere</a> <br /></li><li>FAZ: <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/claude-levi-strauss-anthropologie-in-der-modernen-welt-der-westen-ist-erschoepft-11824359.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">Der Westen ist erschöpft</a></li><li>WELT: <a href="https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article181196376/Zeitgeist-Warum-ist-unsere-Gesellschaft-so-erschoepft.html" target="_blank">Warum ist unsere Gesellschaft so erschöpft? </a> <br /></li><li>Vor ca. 10.000 Jahren begann im <a href="https://www.wikiwand.com/de/Alter_Orient" target="_blank">Alten Orient</a> ein als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neolithische_Revolution" target="_blank"><i>Neolithische Revolution</i></a> oder <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Neolithisierung" target="_blank"><i>Neolithisierung</i></a>
bezeichneter Übergang von nomadisierender Lebensweise zu produzierender
Landwirtschaft, Viehwirtschaft, Vorratshaltung, Sesshaftigkeit,
Arbeitsteiligkeit. Vom <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Fruchtbarer_Halbmond" target="_blank">Fruchtbaren Halbmond</a></i>
breitete sich die landwirtschaftliche Produktions- und Lebensweise auf
mehreren Routen in alle Richtungen aus. Mit der Sesshaftigkeit begannen
Menschen komplexere Sozialordnungen des Zusammenlebens zu etablieren. </li><li>Graeber, Wengrow (s.o., Kapitel 7: <i>Die Adonisgärten</i>) und andere Autoren kritisieren den in Anlehnung an die <i>Industrielle Revolution </i>von <a href="https://www.wikiwand.com/de/Vere_Gordon_Childe" target="_blank">Gordon Child</a> (1892-1957) entwickelten und von Yuval Noah Harari beschriebenen Prozess der <i>Neolithischen Revolution</i>
als verfehlt, weil 'Revolution' einen abrupten Wandel der
Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweise suggeriert, der so nicht
stattfand. Stattdessen vollzog sich der Wandel in unterschiedlichen
Regionen auf oftmals unterschiedlicher Art und Weise über mehrere
Tausend Jahre. In diesen langen Zeiträumen bestanden unterschiedliche
und oft auch gegensätzliche Kulturmuster nebeneinander oder sie
wechselten in jahreszeitlicher Abhängigkeit und betrieben z.T
wechselseitigen Tauschhandel. <br /></li><li>Der Konflikt zwischen Athen und Sparta in der Antike bietet mit der Geschichte des <a href="https://www.wikiwand.com/de/Peloponnesischer_Krieg" target="_blank">Peloponnesischen Kriegs</a> ein ebenso berühmtes wie anschauliches Beispiel. Eine lesenswerte Darstellung dieses Konfliktes bietet der Althistoriker <a href="https://www.wikiwand.com/de/Wolfgang_Will" target="_blank">Wolfgang Will</a> mit seinem Buch: <i>Athen oder Sparta. Die Geschichte des Peloponnesischen Krieges.</i> C.H. Beck, München 2019</li><li>Hierzu zählen u.a. landwirtschaftliche Produktionsweisen und
Metallverarbeitung sowie Erfindungen wie Schrift, Buchdruck, Rad,
Webstuhl, Dampfmaschine, Elektrizität etc.. <br /></li><li>Axel T. Paul in Soziopolis, 04.04.2022: <a href="https://www.soziopolis.de/neue-ideen-zu-einer-allgemeinen-geschichte-in-weltbuergerlicher-absicht.html" target="_blank">Neue Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Literaturessay zu „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“ von David Graeber und David Wengrow</a> <br /></li><li>Robert Bellah: <i>Der Ursprung der Religion. Vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit</i>. Freiburg 2021, S. 263ff. (Originalausgabe: Robert N. Bellah: <i>Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the Axial Age</i>. Cambridge Mass. 2011) </li><li>Als archaische Kulturen bezeichnet Bellah das altes Mesopotamien, Ägypten, China und die Indus-Kultur, die später Indien, das alte Griechenland und das alte Israel beeinflussen. <i>Der Ursprung der Religion</i>, S.303ff.. <br /></li><li>Siehe Bellah, <i>Der Ursprung der Religion, </i>S. 372ff.. <br /></li><li>Siehe Bellah, <i>Der Ursprung der Religion.</i></li><li>Siehe Bellah, <i>Der Ursprung der Religion.</i> <br /></li><li>Hier stellt sich die Frage ist, ob Dominanz und Autonomie nicht lediglich
unterschiedliche Ausprägungen der gleichen Verhaltensdisposition
darstellen. <br /></li><li>Im 15. Jahrhundert setzte der in mehreren Phasen verlaufende Prozess der europäischen Expansion ein. Die Neuaufteilung der Welt unter europäischer Dominanz ist nicht als linearer kultur-evolutionärer Prozess erklärbar, sondern eine Folge der Konzentration kontingenter Bedingungskonstellationen, die mehr oder weniger zufällig europäischer Kultur auf Kosten nicht-europäischer Kultur zur Dominanz verhelfen. <br /><ul><li>Wikipedia: <a href="https://www.wikiwand.com/de/Europ%C3%A4ische_Expansion" target="_blank">Europäische Expansion</a></li><li><a href="http://globelhistory.de">globelhistory.de</a>: <a href="https://globalhistory.de/europaeische_expansion/index.aspx" target="_blank">Lexas Weltgeschichte: Die Europäische Expansion</a></li><li>Uni Münster: <a href="https://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/expansion/europ_expansion/gliederung.htm" target="_blank">Europäische Expansion: 1. Europäische Expansion im 15. und 16. Jh.</a> </li><li>Uni Münster: <a href="https://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/expansion/weltwirtschaft/gliederung.htm" target="_blank">Europäische Expansion: 2. Entstehung des Weltwirtschaftssystems</a></li><li><a href="https://www.wikiwand.com/de/Wolfgang_Reinhard" target="_blank">Wolfgang Reinhard</a>: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415–2015. München 2016 <br /></li></ul></li><li>Eine Entwicklung von kalten zu heißen Kulturen (siehe Anmerkung 8) betrachtete <a href="https://www.wikiwand.com/de/Claude_L%C3%A9vi-Strauss" target="_blank">Claude Lévi-Straus</a> nicht als zwingendes evolutionäres Muster. Er nahm aber an, dass Kulturwandel immer zur "Erhitzung" führt und diese nicht umkehrbar sei. <a href="https://www.wikiwand.com/de/Jan_Assmann" target="_blank">Jan Assmann</a> nimmt dagegen an, dass Kulturwandel auch zurück in Richtung "Kälte" gehen kann. Politische Bewegungen des radikalen Islamismus scheinen Jan Assmann Recht zu geben, was jedoch im kurzen Zeithorizont von wenigen Jahrzehnten noch nicht entscheidbar ist. </li><li>Siehe Bellah, <i>Der Ursprung der Religion,</i> Seite 23.<br /></li></ol></div>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5980716630221737457.post-60414841812875995592020-10-14T16:14:00.031+02:002023-03-05T07:18:12.627+01:00Der verlorene Patient – Dr. Umeswaran Arunagirinathan berichtet aus dem Maschinenraum des Medizinbetriebs (Update: 5.03.2023)<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjTjkbQZOkqlHKVCceVcdmCS4eRqtw9kSela9_hKNL6oTI1_TibWpt_ZufWjasYvUk7cZUl6zbCDvTRmJI34rtxjvWhhX96L3_IYS1u6toEcEfTtAh6Y4OkhAdTaWpLhERSzAVQuM2iRUs/s647/Der+verlorene+Patient.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="647" data-original-width="416" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjTjkbQZOkqlHKVCceVcdmCS4eRqtw9kSela9_hKNL6oTI1_TibWpt_ZufWjasYvUk7cZUl6zbCDvTRmJI34rtxjvWhhX96L3_IYS1u6toEcEfTtAh6Y4OkhAdTaWpLhERSzAVQuM2iRUs/s320/Der+verlorene+Patient.jpg" /></a></div><p><a href="https://www.wikiwand.com/de/Umeswaran_Arunagirinathan" target="_blank">Dr. Umeswaran Arunagirinathan</a>, den fast jeder (Dr.) Umes nennt, ist in der Gegenwart Funktionsoberarzt für Herzchirurgie am Klinikum Bremen. Aktuell rollt Rowohlt das 3. Buch des Autors aus.(1) Der Titel des Buchs <a href="https://www.rowohlt.de/paperback/umes-arunagirinathan-der-verlorene-patient.html"><i>Der verlorene Patient - Wie uns das Geschäft mit der Gesundheit krank macht</i></a> kündigt konstruktive Kritik an Fehlentwicklungen des deutschen Gesundheitssystems an. Das Buch richtet sich nicht nur an Mediziner und Politiker, sondern
ebenso an das medizinische Klientel, also an uns als Patienten. Umes ist kein Kandidat für den Literaturnobelpreis und <i>Der verlorene Patient</i> ist kein wissenschaftliches Werk, aber das Buch verdient viele Leser, weshalb es hier in Kurzform vorgestellt ist.(2) <br /></p><p>Vorab ist Umes außergewöhnliche, wenn nicht gar sensationelle Biographie eine Abschweifung wert. Umes ist 1978 als Tamile auf Sri Lanka geboren, wo Bürgerkrieg herrschte. Um den Jungen in Sicherheit zu bringen, schickten ihn die Eltern als 12-jährigen unbegleitet mit bezahlten Schleppern nach Europa. Seiner Mutter musste er versprechen, nie Alkohol zu trinken, niemals zu spielen und Arzt zu werden. Kosten der Ausreise konnten die Eltern nur anzahlen. Den Rest beglich Umes über viele Jahre und vergaß seine Familie nicht.(3) Die Reise endete zunächst in Afrika. Über 8 Monate schlug sich Umes auf eigene Faust nach Hamburg durch, wo ihn ein Onkel aufnahm. Bei der Ankunft sprach Umes kein Deutsch und nur schlechtes Englisch, aber Umes war schulhungrig, sah Chancen, ergriff sie und lernte schnell. <br /></p><p><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p>In Hamburg wurde Umes nach 2 Jahren zum Klassensprecher gewählt, ein Jahr später zum Schulsprecher und bald darauf in das Landesschülerparlament, dessen Sprecher er wurde. Obwohl Umes ständig von Abschiebung bedroht war, erreichte er ein 1er-Abitur und konnte ein Medizinstudium aufnehmen. Weil die Eltern nicht in Deutschland lebten und darum kein Anspruch auf Bafög bestand, musste Umes sein Studium mit Hilfe zahlreicher Jobs selbst finanzieren. Nach dem medizinischen Examen trat Umes 2008 eine Anstellung am Universitätsklinikum Hamburg als Assistenzarzt an. Im gleichen Jahre wurde er nach 18 Jahren Aufenthalt in Deutschland eingebürgert. In Hamburg wurde Umes zum Marathonläufer mit der Bestzeit 3:36 Std., was ihn für den Autor dieses Posts besonders sympathisch macht.(4)<br /><br />
Das Buch <i>Der verlorene Patient</i> ist eingängig geschrieben und auch ohne medizinische Fachkenntnisse leicht verständlich zu lesen. Der Inhalt des Buchs ist jedoch keine leicht verdauliche Kost. Aus Sicht öffentlicher und freigemeinnütziger Krankenhausträger berichtet der Autor ohne Scheu gegenüber der eigenen Zunft und ihrem Klientel aus dem Maschinenraum des Klinikbetriebs in Deutschland, in dem zwischen starren Hierarchien, Abhängigkeiten, Fragmentierung, wirtschaftlichen Zwängen und Eigennutz ein ganzheitlicher Blick auf den Patienten verloren geht. Umes benennt konkrete Mängel des deutschen Gesundheitssystems, Fehler deutscher Gesundheitspolitik und nicht zuletzt Ungerechtigkeiten und Absurditäten der in Deutschland durch die Aufspaltung in gesetzlicher und privater Krankenversicherung installierten Zwei-Klassen-Medizin.<br /><br />
Patienten bleiben von Kritik nicht verschont. Unabhängig von der Art ihrer Versicherung beklagt der Autor eine unter Patienten verbreitete Mentalität des Anspruchsdenkens an Vollkasko-Versorgung und er vermisst oftmals Bereitschaft zur Eigenverantwortung. Die Spitze der Unvernunft markieren Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein hoher Anteil Betroffener schluckt trotz Nebenwirkungen von Medikamenten lieber Tabletten oder spritzt Insulin, als dass sie ihre Ernährung und ihren Lebensstil umstellen, obwohl individuelle Lebensqualität von einer solchen Umstellung vielfach profitieren würden. Darüber hinaus beklagt der Autor einen wissentlichen Missbrauch von Notfallambulanzen der Krankenhäuser durch Patienten auf Kosten tatsächlicher Notfälle und des gesamten Versorgungssystems. Unbeachtet bleibt, dass dieser Missbrauch vermutlich ein Effekt der Zwei-Klassen-Medizin ist. Für gesetzlich Krankenversicherte ist es oftmals schwierig oder kaum möglich, im Wohnumfeld niedergelassene Ärzte zu finden und/oder zeitnah Termine zu erhalten. <br /><br />
Die Qualität von Leistungen des deutschen Gesundheitssystems liegt zwar im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe, aber das deutsche Gesundheitssystem zählt auch zu den weltweit teuersten und zeigt im Verhältnis zu seinen Kosten einen Mangel an Effizienz.(5) Als gemeinsame Hauptursache bzw. ‚Ursünde‘ des Medizinbetriebs identifiziert Umes ein an marktwirtschaftlichen Prinzipien ausgerichtetes ökonomisches Paradigma, dessen Dominanz mit einem Verlust an Patientenorientierung bzw. Patientenwohl einhergeht. <br /><br />Umes möchte eine schon lange überfällige Diskussion über Irrtümer und Irrwege des deutschen Gesundheitssystems anstoßen. Dabei verharrt der Autor nicht bei der Anklage von Missständen. Er benennt konkrete Ansätze für Veränderungen. Besonders am Herzen liegt dem Autor eine Veränderung des Bewusstseins zurück zu ethischen Prinzipien, wie sie <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Hippokrates_von_Kos">Hippokrates von Kos</a> bereits im 5. Jh. v. Chr. formulierte und deren Grundsätze als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Eid_des_Hippokrates">Eid des Hippokrates</a> mit Anpassungen auch noch in der Gegenwart als ethische Richtlinie medizinischen Handelns gelten. In der Realität wird diese ethische Richtlinie jedoch oftmals vernachlässigt, vergessen oder ignoriert. Der Blick in den Maschinenraum des Medizinbetriebs offenbart dringenden Handlungsbedarf. </p><p>16 €, Preis der Printausgabe, bzw. 14,99 € für das E-Book sind für den instruktiven Blick über die medizinische Versorgungslandschaft in Deutschland gut angelegt.<br /> </p><p><b>Anmerkungen</b> </p><ol style="text-align: left;"><li>Das erste Buch, <i>Allein auf der Flucht</i>, erschien 2006 und schildert die fast 9 Monate dauernde abenteuerliche Reise des 12-jährigen von Sri Lanka nach Deutschland.<br />Das zweite Buch, <i>Der fremde Deutsche</i>, erschien 2017 und beschreibt die Geschichte einer gelungenen Integration trotz alltäglicher rassistischer Erfahrungen. <br /><ul><li>GEW Hamburg 2017, Auszüge aus: <a href="https://www.gew-hamburg.de/sites/default/files/download/hlz/magazin_leseprobe_12-2017.pdf">Der fremde Deutsche</a> (PDF)</li></ul></li><li>Online-Artikel zu Dr. Umeswaran Arunagirinathan:<br /><ul><li>Deutsches Ärzteblatt 2009: <a href="https://www.aerzteblatt.de/archiv/65101/Der-Weltenlaeufer-Umeswaran-Arunagirinathan-Arzt-in-Weiterbildung">Der Weltenläufer Umeswaran Arunagirinathan: Arzt in Weiterbildung</a></li><li>Deutschlandfunk 2009, Interview mit Umeswaran Arunagirinathan: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/integration-muss-von-den-betroffenen-ausgehen.954.de.html?dram:article_id=144707">Integration muss von den Bertroffenen ausgehen</a></li><li>TAZ 2010: <a href="https://taz.de/Fluechtling/!5139747/">Flüchtling: Der Naziflüsterer</a> <br /></li><li>Tagesspiegel 2017: <a href="https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/aus-sri-lanka-nach-franken-vom-fluechtlingskind-zum-herzchirurgen/20794692.html">Aus Sri Lanka nach Franken - Vom Flüchtlingskind zum Herzchirurgen</a> <br /></li><li>Merkur 2018: <a href="https://www.merkur.de/politik/gastbeitrag-von-umeswaran-arunagirinathan-buch-fremde-deutsche-schrieb-zr-9967026.html">Seehofer sollte seinem Gastredner gut zuhören, der als Flüchtling nach Deutschland kam</a></li><li>Mainpost 2019: <a href="https://www.mainpost.de/regional/rhoengrabfeld/Dr-Umes-Ich-bin-Herzchirurg;art765,10238963">Dr. Umes: "Ich bin Herzchirurg"</a> </li><li>Deutschlandfunk 2020: <a href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/herzchirurg-umes-arunagirinathan-ein-traum-eine-flucht-ein.970.de.html?dram:article_id=485703">Herzchirurg Umes Arunagirinathan: Ein Traum, eine Flucht, ein Ziel</a> <br /></li><li>HanseMerkur 2020: <a href="http://hansemerkur.csr-engagement.de/umeswaran-arunagirinathan-hamburger-mit-herz/"><span class="aCOpRe"><span>Umeswaran Arunagirinathan, Hamburger mit Herz</span></span></a></li><li><span class="aCOpRe"><span>ÄrzteZeitung, 29.12.2020: <a href="https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Die-unglaubliche-Geschichte-des-Dr-Umes-415909.html" target="_blank">Die unglaubliche Geschichte des Dr. Umes</a> <br /></span></span></li><li><span class="aCOpRe"><span>Interview im Ärzteblatt, 25.08.2021: <a href="https://aerztestellen.aerzteblatt.de/de/redaktion/dr-umes-arunagirinathan-wir-aerzte-werden-ausgepresst" target="_blank">Dr. Umes Arunagirinathan: "Wir Ärzte werden ausgepresst"</a> </span></span> </li></ul></li><li>Spiegel-Fotostrecke 2018: <a href="https://www.spiegel.de/fotostrecke/integration-wie-ein-unbegleiteter-fluechtling-arzt-wurde-fotostrecke-157014.html">Die Geschichte von Dr. Umes</a> <br /></li><li>Hamburger Morgenpost 1999: <a href="https://www.mopo.de/hamburg-ist-mein-zuhause-19420074">Hamburg ist mein Zuhause</a> <br /></li><li>Deutsches Ärzteblatt 2019: <a href="https://www.aerzteblatt.de/archiv/211193/Deutsches-Gesundheitssystem-Hohe-Kosten-durchschnittliche-Ergebnisse">Deutsches Gesundheitssystem: Hohe Kosten, durchschnittliche Ergebnisse</a><br /></li></ol>potlatchhttp://www.blogger.com/profile/10950076304704691848noreply@blogger.com0