»Language and Other Cognitive Systems: What is Special about Language?«
ist als Thema der Vorlesung am Montag angekündigt. Den Abend halten wir
uns für den Besuch der Vorlesung frei. Da wir großes Interesse
erwarten, wollen wir uns eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn
einen Platz sichern. Dank guter Vernetzung erfahren wir per Telefon auf
dem Weg zur Uni, dass die Aula bereits voll ist und das Freihalten von
Sitzplätzen zunehmend schwierig wird. Mit gesteigertem Tempo erreichen
wir ca. 45 Minuten vor Veranstaltungsbeginn die Aula. An den Eingängen
werden wir wegen Überfüllung abgewiesen und auf Ausweichräume im
Hörsaalgebäude aufmerksam gemacht, in die per Lifestream übertragen
würde. Schließlich finden wir noch ein Schlupfloch und kämpfen uns bis
zu Albert durch, der tapfer gerade noch einen Platz freihalten kann.
Albert hat 1,5 Stunden vor Veranstaltungsbeginn in der Mensa per Anruf
die Information erhalten, dass die Aula bereits fast voll ist. Daraufhin
hat er sich sogleich in die Schlacht um die Plätze begeben. Am Ende
besetzen wir zu sechst vier Plätze und sind damit ausgesprochen
zufrieden. Danke an Albert für seinen Beitrag zu diesem denkwürdigen
Abend, der leider am nächsten Tag ein mindestens ebenso denkwürdiges
Echo von Missklängen in die Welt setzt.
Der
Beginn der Veranstaltung verzögert sich um einige Minuten, weil
zunächst ein Minimum an Fluchtwegen durchgesetzt werden muss. Um 19:40
Uhr betritt Noam Chomsky mit etwas schwerem Schritt und leicht gebeugt
die Aula. Alle anwesenden Hörer erheben sich von ihren Plätzen, um sich
bei diesem körperlich kleinen und im Alter auch schon greisenhaft
wirkenden Giganten der modernen Wissenschaft für die Ehre seines
Besuches mit langer Standing Ovation zu bedanken. Nach offizieller
Begrüßung und dem symbolischen Akt der Berufung auf die
Albertus-Magnus-Professur beginnt Noam Chomsky um 20:00 Uhr seine
Vorlesung in englischer Sprache. Er vermeidet eine komplizierte Sprache,
was die Aufnahme der komplexen Inhalte erleichtert. Da er relativ leise
spricht und seine Stimme nur minimal moduliert, erfordert die Rezeption
neben einem guten Sprachverständnis eine hohe Konzentration. Über den
Zeitraum von 70 Minuten Vorlesung gelingt es uns immer weniger, die hohe
Konzentration aufrecht zu erhalten, zumal sich ein Verständnis der
Inhalte in ihrer Bedeutung und ihrer Reichweite nur mit einem soliden
Vorwissen einstellt. Aber auch die Hörer, die nicht alle Voraussetzungen
vollständig erfüllen, würdigen die herausragende Bedeutung dieser
Persönlichkeit und die Außergewöhnlichkeit dieser Veranstaltung.
Noam
Chomsky erinnert an die Anfänge, in denen er gegen das dominierende
empirisch-behavioristische Paradigma angetreten ist. Mit seinen
revolutionären wie überzeugenden Konzepten hat er der gesamten
Kognitionswissenschaft neues Leben eingehaucht, so dass schließlich auch
die Herrschaft behavioristischer und strukturalistischer Modelle
gebrochen wurde und ganze wissenschaftliche Disziplinen neu durchdacht
werden mussten. Derartige Umbrüche, als deren Ergebnis dominierende Wissenschaftsmodelle von neuen Weltmodellen ersetzt werden, haben seit Thomas S. Kuhns Werk über "The Structure of Scientific Revolutions" einen Namen. Thomas S. Kuhn bezeichnet sie als "Paradigmenwechsel". Diese Veränderungsprozesse, in denen Modelle "normaler Wissenschaft" auf revolutionäre Art (nicht evolutionär!) gegen großen Widerstand abgelöst werden, treten in der Wissenschaftsgeschichte selten auf. Noam
Chomsky hat eine dieser fruchtbaren Wissenschaftskrisen im Sinne eines
Paradigmawechsels ausgelöst. Die Bedeutung dieser Leistung macht
seinen Namen unsterblich. Mehr Bedeutung kann ein Wissenschaftler nicht
erlangen. Selbst der hoch angesehene Nobel-Preis ist vergleichsweise zu
vernachlässigen.
Noam
Chomsky beschränkt seine öffentliche Rolle nicht auf den
Wissenschaftsbetrieb, sondern er versteht sich als kritischer
Intellektueller, der eine öffentliche Verantwortung für das Gemeinwohl
übernimmt. In dieser Rolle weist Noam Chomsky auf die Gefahren der
Globalisierungsentwicklung hin und ergreift Partei für die in den
politisch-wirtschaftlichen Machtstrukturen Unterlegenen und
Benachteiligten. Dass öffentliche Äußerungen zu dieser Thematik keine
breite Zustimmung finden und in ihrer Parteilichkeit auch provozierend
und unausgewogen sind oder sein müssen, liegt in der Natur der Sache.
Noam Chomsky macht dieses Engagement nicht kleiner, sondern größer. Er
nutzt seine wissenschaftliche Reputation, um ohne Not und auch gegen
eigene materielle Interessen als öffentliche Persönlichkeit seine
unbequeme Parteinahme zugunsten sozialer Loser zu artikulieren. Als
Instrument bedient sich Noam Chomsky's Taktik der Mechanismen
medienbeeinflusster Kulturen, weil seine Anmerkungen auf diesem Wege mehr Aufmerksamkeit entfalten als ein Leserbrief in der Zeitung oder die Demo einiger
Unzufriedener. Es überrascht nicht, wenn diese sozial-politisch
kritischen Anmerkungen Gegenreaktionen provozieren, die Noam Chomsky's Statements gerne
als Schrullen eines Querkopfes desavouieren, der sich diese
Schrulligkeit erlauben kann. Denjenigen, die sich von Noams Chomsky's
unbequemer Kritik betroffen fühlen, sind diese Deutungsmuster
willkommen. Den Autoren solcher Gegenstatements ist eine breite
Zustimmung meinungsbeherrschender Kreise gewiss, was für die
individuelle Wohlfahrt dieser Autoren nicht von Nachteil sein dürfte.
Berichterstattung des Kölner Stadt-Anzeigers vom 7.06.2011
Der
positive Nachklang der großartigen Veranstaltung mit Noam Chomsky ist
bereits am folgenden Morgen beim Blick in den Kölner Stadt-Anzeiger
abrupt beendet und schafft damit Raum für eine sich ausbreitende Wut.
Gewöhnlich benötigt unsere Regionalzeitung, die sich gerne als
bedeutende Stimme eines gebildeten liberalen Publikums darstellt,
mehrere Tage, um über regionale Ereignisse zu berichten. Nicht so in
diesem Fall, in dem bereits am Tag nach dem ersten Auftritt Noam
Chomsky's auf Seite 22 ein Artikel erscheint (immerhin im Kulturteil und nicht unter "Stadtteile"),
den der Redakteur Frank Olbert verantwortet. Ob Frank Olbert persönlich
an der Abendveranstaltung teilgenommen hat, lässt sich aus dem
oberflächlichen Artikel nicht erschließen, ist aber auch letztlich
unerheblich. Frank Olbert berichtet vor allem über eine Pressekonferenz,
in der Noam Chomsky offensichtlich die Erwartungen sensationsgieriger
Journalisten mit den Kommentaren bedient, die diese Journalisten mit
ihren lüsternen Erwartungen
abfragen. Als Büttel dieses Mainstreams stellt Frank Olbert nicht die
dumpfen Fragen in den Fokus seines Artikels, sondern vermeintlich
schrullige Antworten bzw. "verbalradikale" und "befremdlich(e)"
Antworten eines vom "Dauer-Alarmismus" betroffenen irrlichternden
Geistes. In einem deutlich kleineren Abschnitt ist Noam Chomsky's wissenschaftliche
Bedeutung nur äußerst ober- flächlich angedeutet, um sie sogleich
wieder mit einem distanzierenden sprachlichen Duktus zurückzunehmen.
Trotz
zweier Weltkriege (inklusive Holocaust, Hiroshima, Nagasaki und
weiterer Millionen von Opfern) sind Massenver- nichtungen, Tschernobyl
und Fukushima noch immer Alltag. Genozide, arabische Revolutionen und
weltweite Terrornetze bedrohen nach wie vor die Weltordnung. Die
hemmungslose Ausbeutung und der irreversible Verbrauch unserer
gemeinsamen Ressourcen zulasten der Mehrheit und auf Kosten zukünftiger
Generationen sind in der Gegenwart evidente Sachverhalte, die in
Verbindung mit kollabierenden
Staatssystemen, globalen Klimaveränderungen und demographischen
Entwicklungen weit in die Zukunft hineinwirken werden. Diese
Konzentration existenzieller Risiken wird erst möglich aufgrund der
Verteilungsbedingungen wirtschaftlicher und politischer Macht. Diese
Machtverteilung korreliert mit einer Nutzenverteilung, die wenige
Groß-Profiteure begünstigt, weil sie sich kraft ihrer Macht vernünftigen ethischen Prinzipien nicht unterwerfen müssen und im Eigeninteresse ihre Macht bewußt und ungestraft missbrauchen können.
In
Anbetracht existenzbedrohender Missstände der Gegenwart und des
Investitionsbedarfs in die Zukunft wird die Frage akut, ob oder unter
welchen Bedingungen es vernünftig ist, die Organisation kollektiver Güter einer Politik und einem Markt anzuvertrauen, deren Handlungsfelder und Handlungshorizonte von Politikern und Managern begrenzt sind, die sich gegenüber
kurzfristigen Legislaturperioden und Vorstandsverträgen verantworten
müssen und als Protagonisten einer öffentlchen Verantwortung ihre
Handlungsmotivation aus hedonistischen Anreizen beziehen. Fraglich ist
ebenso, in welcher Qualität ein von diesen Machtstrukturen weitgehend kontrollierter Journalismus zu einer kritischen und trans- parenten Berichterstattung willens oder in der Lage ist. Unter diesen Bedingungen ist last but not least die Frage nach einer angemessenen Sprache der Berichterstattung neu zu stellen.
Dummerweise
gibt es zu viele unwissende und dumpfe Journalisten, die drängende
Sachverhalte unserer Existenz mit sprachlichem Müll bedecken und damit
auch noch die öffentliche Meinungsbildung dominieren. Wenn wir in diesem Müll nicht ersticken wollen, reicht es nicht aus, ihn einfach in der Kompostanlage verrotten zu lassen.
Noam Chomsky zieht sich nicht auf seine Rolle als Wissenschaftler
zurück und begnügt sich auch nicht mit Fremdschämen. Statt dessen ergreift er Verantwortung für das Gemeinwohl und widerspricht im Geist der kritischen Aufklärung.
Ungeachtet dessen, ob wir alle Äußerungen Noam Chomsky's mit unserem
Namen unterschreiben wollen, verdient seine Haltung unseren tiefen
Respekt. Leider gibt es zu wenig mutige Chomsky's, denen wir jene Schmutzarbeit überlassen können, in der sie ihre Finger in die Wunden
unserer Welt legen. Wenn wir nicht fatalistisch untergehen wollen,
müssen wir die Dinge selbst in die Hand nehmen. Auch diesen Hinweis
verdanken wir Noam Chomsky.
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