Dienstag, 9. Juli 2024

Stationen heimatkundlicher Exkursion am 28.06.2024 im Duisburger Norden (Update 08.08.2024)

Für Werner zum 75. Geburtstag
 und für alle, die sich aufrichtig, redlich, empathisch mit Respekt und Toleranz gegenüber Vielfalt um Fairness und Erkenntnis bemühen.

Spaziergang auf dem Rheindeich von Orsoy Aussichtspunkt Alsumer Berg, Rhein, Kokerei Thyssen, STEAG Kraftwerk Walsum Marxloh-Führung auf der Kaiser-Friedrich-Straße
 
Mit dem Altwerden ist es wie mit Auf-einen-Berg-Steigen:
Je höher man steigt, desto mehr schwinden die Kräfte, aber umso weiter sieht man.
(Ingmar Bergmann)
 
Eine Gruppe von im Ruhrgebiet (Ruhrpott, Kohlenpott, Pott) der 1950er/1960er Jahre sozialisierten und in den 1970er Jahren nach Köln migrierten Freunden unternimmt anlässlich des 75. Geburtstages eines Mitglieds der Gruppe eine heimatkundliche Exkursion in der Region ihrer Kindheit und Jugend. Auf Stationen der Exkursion sich darstellende Zusammenhänge zwischen vordergründigen Eindrücken und hintergründigen dynamischen Prozessen sind komplex und gedanklich mit oberflächlichen Erklärungen nicht hinreichend zu erfassen. Robuste Erkenntnisse über Deutungen von Zusammenhängen zwischen Erfahrungen individueller Lebenswelten, empirischen Beobachtungen und strukturellen Kontexten erschließen sich erst mit verknüpften Erklärungen wissenschaftlicher Art.
 
Soziale und wirtschaftliche Dynamiken des Ruhrgebiets motivieren zu weiteren Posts:

 
1. Station: Auftakt in Orsoy - Fotoserie
 
Evangelische Kirche Orsoy, 15. Jh. Spaziergang auf dem Rheindeich von Orsoy Blick von der Reinfähre Orsoy zum STEAG Kraftwerk Walsum
 
Unser erstes Etappenziel ist Orsoy am linken Niederrhein. Urkundlich setzt die Geschichte des Ortes im 12. Jahrhundert ein. Ab 1419 kontrollierte das Herzogtum Kleve die Rheinschifffahrt mit der Zollstation Orsoy. Unruhige Zeiten erforderten den Bau einer mehrfach zerstörten, erweiterten und sternförmig ausgebauten Festung, von der Spuren bis zur Gegenwart erhalten sind. Aus der Blütezeit der ehemaligen Stadt sind einige sehenswerte historische Häuser erhalten. 1851 wurde in Orsoy eine Zigarrenproduktion angesiedelt, von der die Stadt bis zum Zweiten Weltkrieg profitierte. Die Zwangseingemeindung nach Rheinberg am 1. Januar 1975 verbittert die Bevölkerung von Orsoy bis heute. Politisch und wirtschaftlich ist Orsoy in der Gegenwart eher unbedeutend. Touristisch ist Orsoy jedoch insbesondere an Wochenenden und Feiertagen ein beliebtes Ausflugsziel für die Bevölkerung der rechtsrheinischen Industrieregion. Zur eigenen Kindheit und zur Kindheit der Eltern hat die Familie mindestens einmal pro Jahr einen Ausflug nach Orsoy unternommen. So gesehen betreiben wir heute Traditionspflege.  
 
Heute reisen wir ca. 100 km aus Köln an und kehren in Orsoy zunächst im Café Hegemann ein (An der Schanz 2). Bis zur Fortsetzung bleibt Zeit für einen traditionellen Spaziergang und Fotos auf dem Rheindeich. Der Rhein trennt die landwirtschaftliche linksrheinische Seite des Niederrheins von der schwerindustriell geprägten Welt auf der rechten Seite des Rheins. Industrialisierung und Strukturwandel des Ruhrgebiets sind eng mit sozialen, wirtschaftlichen, politischen Dynamiken verzahnt. Komplexe Gemengelagen dieser Prozesse werden auf unserem heutigen Ausflug anschaulich. 


2. Station: Alsumer Berg - Fotoserie

Aussichtspunkt Alsumer Berg mit Kokerei Thyssen im Hintergrund Blick vom Alsumer Berg zur Wasserdampfwolke an der Kokerei Thyssen Aussichtspunkt Alsumer Berg

Von Orsoy setzen wir mit der Rheinfähre nach Walsum auf der rechten Rheinseite über. Walsum ist aus mittelalterlichen Dörfern, Gehöften, Hofstellen, Rittergütern, Wasserburgen hervorgegangen, die mit der im 20. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung im Ortskern verschwanden, aber in der Umgebung noch teilweise existieren. Die Geschichte des Ortes dokumentiert die Ausgabe 8 der Duisburger Denkmalthemen: Walsum - Archäologie und Geschichte eines Duisburger Ortsteils. Im Unterschied zu industriell geprägten Ortsteilen von Duisburg, in denen sich nahezu ausschließlich Migranten ansiedelten, konnte Walsum dörfliche Strukturen bis nach dem Zweiten Weltkrieg bewahren und seinen Bewohnern Heimatidentität vermitteln. Diese Ära endete 1975 mit der Eingemeindung nach Duisburg, mit der alte Walsumer bis heute äußerst unzufrieden sind. 

Unser Zeitplan gestattet keinen Aufenthalt auf dem Weg zu unserem nächsten Zwischenziel, dem Alsumer Berg. Seine Geschichte ist dem aus Kriegsschutt, Müll und Schlacke bestehendem begrünten Hügel nicht anzusehen. Als ehemalige Bewohner des Duisburger Nordens wissen wir, dass Alsum ein sehr altes, von Bauern, Schiffern und Rheinfischern bewohntes idyllisches Dorf mit Hafen war. Die Fischerei endete mit der Ausbreitung von Industrie, die den Rhein mit Billigung der Politik lange als Kloake ihrer Abwässer nutzte, was sich glücklicherweise geändert hat. 

Familienausflug um 1960 
in Walsum auf dem Weg zum Rhein
In den 1950er Jahren führten Familienausflüge mindestens einmal pro Jahre in die dörfliche Idylle von Alsum. Damals bestand in Alsum das Vereinshaus des Hamborner Kanuverein mit einer kleine Gastronomie. Zwischen Alsum und Baerl auf der gegenüberliegenden Rheinseite verkehrte eine Personenfähre, die wir bei Familienausflügen manchmal nutzten. Rheinaufwärts zogen damals Schlepper (Motorschiffe) bis zu 8 unmotorisierte Lastkähne an Schleppseilen. Mitunter schleppten auch mehrere Motorschlepper nebeneinander einen Schleppverband. Ab Ende der 1950er Jahre ersetzten Verbände von Schubeinheiten mit bis 6 Lastkähnen die Schleppschifffahrt auf dem Rhein. Die Überquerung des Rheins auf einem schwankendem Boot zwischen Schiffsverkehr war für uns Kinder ein nicht angstfreies großes Abenteuer. Ausflüge nach Baerl versetzten uns in eine von Landwirtschaft geprägte Welt, die wir weder kannten noch verstanden und gerade darum spannend war. Der Kiesstrand bei Baerl wurde im Sommer als Badestelle im stark verschmutzten Rhein genutzt.

Durch Bergbau sank Alsum so weit ab, dass der Duisburger Stadtrat 1954 die Aufgabe des Dorfs und die Freigabe des Geländes für Ausdehnungen des Thyssen-Stahlwerks beschloss. Die Auflösung zog sich mehr als 10 Jahre hin. 1956 hatte Alsum noch 1293 Einwohner. Erst 1965 verließ der letzte Alsumer das Dorf (GEBAG: Der verschwundene Stadtteil). Auf dem Gelände errichtete Thyssen den 1973 in Betrieb genommenen Hochofen Schwelgern 1, der damals als größter Hochofen der Welt galt. 1993 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft der noch größere Hochofen Schwelgern 2 in Betrieb genommen (Wikipedia: Stahlwerk Schwelgern). Auf dem Gelände des ehemaligen Hafens Schwelgern entstand für die Versorgung der Hochöfen in dreijähriger Bauzeit ab 2000 die Kokerei Schwelgern, die zu den weltweit größten Kokereien zählt. 

Vom Parkplatz am Alsumer Steig führt ein 800 m langer Weg zu drei Aussichtspunkten auf der begrünten Halde. In den Portalen Route der Industriekultur und Rheinruhronline beschriebene Aussichten vom Alsumer Berg fallen jedoch enttäuschend aus, weil sie weitgehend zugewachsen sind. In Abständen von einigen Minuten wird aus einer der 70 Ofenbatterien der Kokerei Koks herausgedrückt und abgelöscht, was jedes Mal ein dumpfes Explosionsgeräusch verursacht. Kurz danach steigt eine gewaltige Wasserdampfwolke auf. 
 

3. Station: Wohnplätze in Marxloh und Fahrn – Fotoserie

Nach Besuch des Alsumer Bergs sowie im Rahmen der nachfolgend beschriebenen Stadtführung besichtigen wir ehemalige Wohnplätze im Stadtteil Marxloh und in der Siedlung Eickelkamp des Stadtteils Fahrn.


3.1 Wiesenstraße und Schwelgern in Marxloh
 
Wiesenstraße 21 in Marxloh
Das Werksgelände von Thyssen begrenzt nach Nordwesten die Alsumer Straße. Die Verbindung zwischen der Alsumer Straße und der Weseler Straße (Haupt-Straßenachse von Marxloh) stellt die Wiesenstraße her. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Wiesenstraße eine mit mehrstöckigen Wohnhäusern bebaute Wohnstraße für bürgerliche Bewohner, in der mehrere Geschäfte des Einzelhandels, Gaststätten und Kleingewerbe den lokalen Bedarf versorgten. Wie alle Wohnviertel in Marxloh wird auch die Wiesenstraße in der Gegenwart überwiegend von Migranten bewohnt. Uns bekannte ehemalige Einzelhandelsgeschäfte existieren in der Wiesenstraße und der angrenzenden Weseler Straße nicht mehr. Das Wohnhaus der Wiesenstraße 21 scheint nicht bewohnt zu sein.
 
 
Aus Richtung Wiesenstraße verläuft nach Nordwesten das Schwelgernbruch, ein historisch gut dokumentiertes sumpfiges Gelände:
Bis Ende des 19. Jahrhunderts nutzten Alsumer Bauern das Gelände des Schwelgernbruchs als Viehweide. Über mehrere Stationen gelangte das Gelände an den Industriepionier August Thyssen. Wie auch andere Industriepioniere galt August Thyssen als ein harter Knochen. August Thyssen war ein konservativer, asketisch lebender Workaholic, der völlig in seinem erfolgreichen Unternehmertum aufging. Auf Beziehungen zum Kaiserhaus und auf Staatsaufträge verzichtete er (LVR Portal Rheinische Geschichte: Familie Thyssen).
 
Sein Familienleben war keine Erfolgsgeschichte, aber er fühlte sich zu sozialer Verantwortung gegenüber Mitarbeitern, ihren Familien und deren Wohnsituation verpflichtet und unterstützte soziale Einrichtungen, ohne sich mit seinem Engagement zu schmücken. Arbeitsverträge liefen i.d.R. von der Einstellung bis zur Pensionierung. Eine Anstellung bei Thyssen galt als Verbeamtung, war aber besser bezahlt. Wenn ein Vater bei Thyssen angestellt war, kamen auch die Söhne dort unter. Talentierte Handwerker konnten unter August Thyssen als Volksschulabsolventen bis in Vorstandspositionen aufsteigen. Das für industrielle Zwecke nicht nutzbare Gelände des Schwelgernbruchs schenkte August Thyssen der damals selbständigen Stadt Hamborn und machte eine Volkserholungsstätte mit Park- und Sportanlage zur Auflage. Freibad und Sportstadion des Schwelgernparks haben wir als Kinder und Jugendliche oft besucht. 
 
1929 war Hamborn faktisch eine Großstadt mit mehr als 132.000 Einwohnern und zählte zu den 40 größten Städten in Deutschland, wurde aber mit weiteren Ortschaften zur Stadt Duisburg-Hamborn vereint. Seit der Änderung des Namens in Duisburg (1935) ist Hamborn nur noch Stadtteil. Für Hamborner Ureinwohner begann mit der Eingemeindung der Niedergang der boomenden Stadt. 

 
3.2 Hagedornstraße (Besichtigung im Rahmen der Marxloh-Führung)
 
Hagedornstraße 48
Die Familie der Ehefrau des Autors musste am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen flüchten und fand für einige Jahre Aufnahme im bayerischen Kloster Benediktbeuern. 1953/4 zog die Familie nach Marxloh um und wohnte zunächst auf der Hagedornstraße, die zu dieser Zeit wie die Wiesenstraße eine bürgerliche Wohnstraße war, die von gut bezahlten Arbeitsplätzen in der Industrie profitierte.
 
Ab den 1970er Jahren verursachten Montankrise und Strukturwandel massive Leerstände von Wohngebäuden und Ladenlokalen. Wer die Möglichkeit hatte, zog fort, wodurch sich die Bewohnerstruktur änderte. Die Einwohnerzahl von Marxloh schrumpfte um ca. 25 %. Werkswohnungsbestände wurden privatisiert. Käufern fehlten häufig Mittel zur Instandhaltung. Mit der Aufhebung der eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit für Einwohner der Staaten Bulgarien und Rumänien zogen ab 2014 zahlreiche Zuwanderer aus den beiden Ländern in Städte des Ruhrgebiets, wodurch sich die ohnehin schwierige Situation dieser Städte erheblich verschärfte (Deutschlandfunk, 23.12.2018: Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. Von Willkommenskultur kaum eine Spur). 
 
Angezogen werden diese Zuwanderer durch Wohnraum-Leerstand, aber es ist keineswegs so, dass sie nicht arbeiten wollen. Allerdings haben die meisten von ihnen nur ein niedriges Bildungsniveau und zu 90 % keine Berufsausbildung. Hinzu kommen Sprachprobleme. Anspruch auf Arbeitslosengeld II und auf Regelleistungen der Sozialhilfe besteht nicht, jedoch auf Kindergeld, über das hinaus Zuwanderer nur minimale Leistungen erhalten. Daher sind sie teilweise gezwungen, schlecht bezahlte Jobs im informellen Arbeitsmarkt anzunehmen, die von kriminellen Geschäftemachern angeboten werden. Immerhin haben ca. 2/3 dieser Zuwanderer feste, allerdings gering qualifizierte Jobs u.a. als Bauhelfer, Lagerhelfer, in der Gastronomie.
 
Obwohl zahlreiche deutsche und türkische Bewohner aus Marxloh fortzogen, ist die Bevölkerung durch Migranten aus Bulgarien und Rumänien wieder um 20 % gewachsen. In der Gegenwart leben in dem Viertel überwiegend Armutsflüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien, die von skrupellosen Investoren mit Scheinarbeitsverträgen und Mietverträgen für Wohnungen in Schrottimmobilien nach Marxloh gelockt wurden. Mittlerweile stammen ca. 25 % der Einwohner von Marxloh aus Bulgarien und Rumänien. Bei Kindern und Jugendlichen beträgt der Anteil 40 %. Der Anteil deutscher Bewohner liegt unter 50 %. (Soziale Stadt NRW: Stadtteile und Projekte, Duisburg-Marxloh, Gebietscharakter und Ausgangslage). Die Hagedornstraße gehört in der Gegenwart zu den Brennpunkten Hamborner Problemviertel, über die Medien regelmäßig mit negativen Schlagzeilen berichten. 
 
 
3.3 Siedlung Eickelkamp in Fahrn
 
Zwischen dem Mattlerbusch (eine Waldfläche am historischen Gehöft Mattlerhof) und dem Bahndamm der Zechenbahn Lohberg, die mehrere zum Thyssen-Konzern gehörende Bergbaubetriebe verband, ließ der Thyssen-Konzern Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahren auf Acker- und Weideflächen des Stadtteils Wehofen die vom Berliner Architekten Max Taut konzipierte Siedlung Eickelkamp errichten. Benannt ist die Siedlung nach dem Wirtshaus Im Eickelkamp der Familie Eickekamp an der Verbindungsstraße zwischen Holten und Walsum (WAZ, 14.08.2014: Der Eickelkämper l(i)ebt ein ruhiges Leben). Bis vor einigen Jahren befand sich im ehemaligen Wirtshaus eine Pizzeria.
  • Walsum war vor 1975 ein zum Kreis Dinslaken gehörender Stadtteil.  
  • Holten war eine seit 1310 mit Stadtrechten ausgestattete historisch bedeutende Gemeinde. 1929 wurde Holten zusammen mit Sterkrade in die neu gebildete Großstadt Oberhausen eingemeindet.
  • Wehofen war bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Bauernschaft der Bürgermeisterei Walsum. Mit dem Bergwerk Zeche Wehofen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in Wehofen die seit 1995 unter Denkmalschutz stehende Zechensiedlung Wehofen errichtet. Seit der kommunalen Neuordnung von 1975 gehören Wehofen und Walsum zu Duisburg. 
  • Die geographisch zu Wehofen bzw. Walsum gehörende Siedlung Eickelkamp gehörte ab Beginn verwaltungstechnisch zum Ortsteil Fahrn der Stadt Duisburg. Der Bahndamm der Zechenbahn Lohberg bildete die Grenze zwischen dem Kreis Dinslaken und der Stadt Duisburg. Der Regionalverband Ruhr (RVR) baute die ehemalige HOAG-Trasse des Güterverkehrs im Zeitraum 2002 und 2007 über 11 km zum Rad- und Wanderweg Grüner Pfad aus. 
 
Hiesfelder Straße 50 im Eickelkamp
Der Thyssen-Konzern errichtete die locker bebaute und begrünte Siedlung Eickelkamp für Mitarbeiter mit jungen Familien. Den Erwerb der relativ kostengünstig erstellten Doppelhäuser und Hausgruppen mit Gärten förderte der Konzern mit günstigen Darlehen. Im Unterschied zur benachbarten, vor dem Zweiten Weltkrieg errichteten typischen Zechensiedlung Wehofen, genügten Häuser des Eickelkamps mit Badezimmern, kohlegefeuerter Zentralheizung, zeitgemäßer Elektroinstallation, Trennung von Wohnraum und Küche sowie mehreren als Kinderzimmer zu verwendenden kleineren Räumen gehobenen Wohnansprüchen, wie sie zu dieser Zeit im Duisburger Norden sonst kaum zu finden waren. Inzwischen haben viele Häuser neue Eigentümer, von denen etliche Umbauten und Erweiterungen vorgenommen haben.
 
 
1963 wurde St. Georg als Tochtergründung der Gemeinde St. Barbara zur Pfarrei des Eickelkamps erhoben und erhielt 1966/1967 ein vom bekannten Kölner Architekten Hans Schilling entworfenes modernes Kirchengebäude. Die Katholische Kirche hob 2006 die Pfarrei auf und entweihte die Kirche 2008. 2009 wurde das Kirchengebäude unter Denkmalschutz gestellt (Wikipedia: Liste der Baudenkmäler in Duisburg-Walsum). Nach unterschiedlichen Nutzungen übernahmen 2017 Pfadfinder das Gebäude (WAZ, 17.09.2017: St. Georg im Eickelkamp: Pfadfinder übernehmen die Gemeinde).


3.4 Schmelzerstraße (Besichtigung im Rahmen der Marxloh-Führung)
Schmelzerstraße 2 Schmelzerstraße 8 Schmelzerstraße 18                          
    Links: Schmelzerstraße 2                                  Mitte: Schmelzerstraße 8                                       Rechts: Schmelzerstraße 18

Häuser der Schmelzerstraße gehörten zu einer Bergarbeitersiedlung der 1976 stillgelegten Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5, auf der mehrere Generationen der Familie beschäftigt waren. Die Großeltern lebten bis 1970 in einer Wohnung der 1. Etage der Schmelzerstraße 2. Im Erdgeschoss des Eckhauses befand sich seit 1909 ein Geschäft der Konsum Genossenschaft sowie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Papiergroßhandel und andere Nutzer. Anfang der 1980er Jahren wurde in den Räumen eine Moschee eingerichtet, die sich noch immer dort befindet. Bis in den 1970er Jahren befanden sich an der Hauswand Markierungen, die auf einen Luftschutzkeller hinwiesen. Duisburg war ein strategisches Hauptziel alliierter Luftangriffe und eine der am stärksten bombardierten und zerstörten Städte Deutschlands. Mutter und Großvater verbrachten viele Nächte mit Todesängsten im Luftschutzkeller. Die Großmutter war mit den beiden jüngsten Kindern auf das Land evakuiert.
 
Nach der Währungsreform 1948 sicherten im Umfeld der Schmelzerstraße eine Reihe Einzelhandelsgeschäften (von denen keines mehr existiert) die lokale Versorgung: Lebensmittel Bier, Bäckereien Grüne und Noll, Obst Prinz, Metzger Kleinlosen, Drogerie Stempel, Uhrengeschäft Kellermann, Tapeten Matenka, Fahrrad Eliab, Haushaltswaren Egemann und weitere, deren Namen aber nicht mehr präsent sind. Kunden wurden persönlich an Theken bedient. Viele Waren nur unverpackt in größeren Behältern, Kisten, Gläsern, Schubladen etc. vorrätig. Von Kunden gewünschte Mengen wurden ausgewogen und separat verpackt, oft in braunen Spitztüten, z.T. aber auch unverpackt in ein mitgeführtes Einkaufsnetz umgefüllt. Als Kinder haben wir Mutter und Oma gerne zum Einkauf begleitet, weil Kindern in fast allen Geschäften Naschwaren gereicht wurden, die es zur Hause nur selten gab.
 
Üblich war bei Einkäufen "Anschreiben", d.h. Eintrag des Einkaufs in ein schmales Heft. Abgerechnet wurde komplett oder mit Teilbeträgen an Zahltagen des Lohns. Weil Arbeitgeber ihren Mitarbeitern kein vernünftiges Wirtschaften zutrauten, gab es 2x pro Monat einen Abschlagsbetrag und nach Ablauf des Monats eine monatliche Abrechnung, alles cash auf die Hand bzw. in kleinen Tüten. Bankkonten waren für Arbeiter nicht vorgesehen. Daher zahlten auch Briefträger Bargeld aus und kassierten Bargeld, z.B. die Rundfunkgebühr in Höhe von 2 DM. Die Verdrängung von Lohntüten durch Umstellungen auf monatlliche bargeldlose Lohnzahlung begann 1957. Jetzt mussten auch Arbeiter ein Girokonto haben, das meistens bei Sparkassen eröffnet wurde. "Anschreiben" blieb weiter üblich, bis kleine lokale Geschäfte mit persönlich Kundenkontakten verschwanden. Da "Anschreiben" zu großzügigen Einkäufen verführte, häuften so manche Familien in Lebensmittelgeschäften hohe Schulden als zinslose Darlehen an. Solange Kunden Willen zum Abtragen ihrer Schulden zeigten, wurden Schulden nur moderat verhandelt, um nicht die besten Kunden zu verlieren. Die eigene Familie hat "Anschreiben" ncht regelhaft praktiziert. Wenn es zum Monatsende eng wurde, half die Großmutter.
 

Schmelzerstaße 2 (1950)
 
Der Autor dieses Posts ist auf der Schmelzerstaße 2 geboren (Foto: Autor mit Vater, Zwillingsschwester mit Mutter). Zu dieser Zeit hatten die Eltern noch keine eigene Wohnunge und lebten in der Wohnung der Großeltern "auf" einem Zimmer, wie man damals sagte.
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Schmelzerstaße 8 (bis 1932 Hüttenstraße)
 
Großeltern und Urgroßeltern mütterlicherseits sowie unverheiratete Kinder der Urgroßeltern wohnten in den 1920er Jahren auf der Schmelzerstraße 8, die bis zur Eingemeindung von Hamborn nach Duisburg im Jahr 1932 Hüttenstraße hieß und zur Herstellung von Eindeutigkeit umbenannt wurde. Das Foto zeigt die Großmutter mit ihren 3 ältesten (Anneliese, Ruth, Charlotte) von insgesamt 8 Kindern auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1929. In den 1930er Jahren zog die Familie der Großeltern zur Schmelzerstraße 2 um.
 
Bis in den 1960er Jahren wohnten auf der Schmelzerstraße 8 Geschwister des Großvaters und sowie die Ende 1951 verstorbene Urgroßmutter, die um das Jahr 1900 mit dem Urgroßvater aus Masuren nach Marxloh migriert ist und nie deutsch gelernt hat, sondern nur masurisch sprach. Über die Frage, ob Masurisch als polnische Mundart oder als eigenständige westslawische Sprache einzuordnen ist, besteht keine Einigkeit. 
 
 
 
 
 
Schmelzerstaße 18 (1950-1954)
 
Mit Kindern hatten die eigenen Eltern Anspruch auf eine Werkswohnung in der Schmelzerstraße 18, in der die Familie ab Mitte 1950 bis Frühjahr 1954 im Parterre unten rechts wohnte. Wie üblich in Bergmannswohnungen gehörte zur Wohnung ein Garten hinter dem Haus.
 
Die Wohnung hatte kein Bad. Die Toilette befand sich im Hausflur. Gebadet wurde samstags in einer in der Wochenküche aufgestellten Zink-Badewanne. Wasser wurde auf dem Küchenherd erhitzt, der ganzjährig zum Kochen und im Winter auch zum Heizen genutzt wurde.
 
Schmelzerstaße 18 (Besichtigung im Rahmen der Marxloh-Führung 28.06.2024)

Schmelzerstraße
Schmelzerstraße 18 Nach Stilllegung der Schachtanlage wurden ehemalige Bergarbeiterhäuser der Schmelzerstraße privatisiert. Gegenwärtig sind sie überwiegend von türkischen Familien bewohnt, die die Häuser umgebaut und saniert haben.  An der Schmelzerstraße 18 hat Claus Lindner keine Scheu, an der Haustür zu klingeln, damit wir vielleicht einen Blick in das Haus werfen können. Tatsächlich wird geöffnet. Wo früher mehrere Familien als Mieter untergebracht waren, wohnt jetzt eine türkische Familie, die das Haus gekauft und für ihren Bedarf umgebaut hat. Im Hausflur des Erdgeschosses ist eine Wand ohne Türen eingezogen. Wohnräume werden von der 1. Etage betreten, von der eine Frau herunterschaut, der wir unser Anliegen vortragen. Sie scheint uns nicht zu verstehen und erklärt, dass ihre Tochter dolmetschen müsse, aber zur Zeit nicht im Haus sei. In der Zwischenzeit trifft die Tochter ein und lädt uns ohne Umstände sehr freundlich zur Besichtigung ein, die ohne Einladung zum Tee nicht denkbar ist. Unser Zeitplan erlaubt jedoch keinen längeren Aufenthalt. Mittlerweile lassen sich auch der Hausherr und ein ungefähr 10jähriger Junge schüchtern, aber freundlich blicken. Nach einigen Fotos setzen wir unseren Rundgang fort.


3.5 Johann-Schlösser-Straße (1954-1974, nicht besichtigt am 28.06.2024)
 
Johann-Schlösser-Straße 1954
1954 zog die Familie in ein neu gebautes Reihen-Miethaus der Johann-Schlösser-Straße im Ortsteil Fahrn um. Spediteur des Umzugs zur Johann-Schlösser-Straße war 1954 ein lokaler Kohlenhändler mit zweispännigem Pferdefuhrwerk. Entlohnt wurde er mit einer Tonne Kohlen. Eine Neubauwohnung war zu dieser Zeit Luxus. Die Wohnung hatte ein eigenes Bad mit Gastherme für Warmwasser und WC, ein separates Kinderzimmer, einen Balkon, zwei Kellerräume (einer davon für Kohle oder Koks) und einen Garten hinter dem Haus. Gekocht und geheizt wurde in den ersten Jahren weiter auf dem Küchenherd. Die Beheizung der anderen Wohnräume leistete ein später auf Koks umgestellter zentraler Kohleofen. Vater kam meistens mit einer dicken Tasche von der Arbeit nach Hause. Gewohnheitsrechtlich gebilligt, aber nicht erlaubt war Bergleuten die Mitnahme eines Mutterklötzchens, das zu Hause in handliche Abschnitte gespalten und zum Anzünden von Öfen verwendet wurde. Hausbrand erzeugte nicht nur Smog, sondern überzog die Wohnung mit einem Rußfilm, der alle 2-3 Jahren Renovierungen erzwang. Handwerkeraufträge waren unüblich. Bergleute waren Alleskönner. Sie tapezierten und strichen in Eigenleistung. Soweit wie möglich wurde Material aus dem Betrieb beschafft, was selbstverständlich nicht erlaubt, aber ebenfalls gewohnheitsrechtlich üblich war.
 
Das Wohnviertel war in Hamborn als Fliegerviertel bekannt. Straßen waren nach populären Jagdfliegerhelden benannt und wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ehren Duisburger sozialdemokratischer Gewerkschafter umbenannt. Aus Ernst-Udet-Straße wurde Johann-Schlösser-Straße. In den 1950er Jahren kannte jeder ältere Hamborner das Fliegerviertel und die Ernst-Udet-Straße. Johann-Schlösser-Straße kannte niemand. Die wahren Helden waren unbekannt. Vielleicht wollte auch niemand an sie erinnert werden. Als Kinder und Jugendliche haben wir nie erfahren, wer Johann Schlösser war. Das Versäumnis holt der Post nach. 
 
Exkurs: Wer war Johann Schlösser? 
 
Nach der Machtübernahme der NSDAP vom 30. Januar 1933 bekannte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund nicht zur NS-Politik und erklärte sich als neutral. Um Widerstand zu brechen und die Gleichschaltung zu erzwingen, besetzten NS-Schlägergruppen am 2. Mai 1933 deutschlandweit in einer vorbereiteten Aktion Gewerkschaftseinrichtungen und nahmen Funktionäre in "Schutzhaft". Zu dieser Zeit hatten der Deutsche Beamtenbund und Teile des Deutschen Lehrervereins bereits ihre Loyalität zur NS-Politik erklärt.
 
Hamborner Arbeiterviertel waren tief rot und unterstützten NS-Politik nicht (Stadtmuseum Duisburg: Das rote Hamborn - Politischer Widerstand in Duisburg 1933 bis 1944). Im März 1933 erzielten die Freien Gewerkschaften bei Betriebsratswahlen 73,4 %, die NS-Organisation lediglich 11,7 %. Am 2. Mai 1933 zerschlugen Verbände der SA und SS Duisburger Gewerkschaftseinrichtungen, nahmen 22 Funktionäre in Haft und folterterten sie im Keller eines Hauses in Kaßlerfeld. Julius Birck, Emil Rentmeister, Michael Rodenstock, Johann Schlösser weigerten sich, die Gewerkschaftskasse herauszugeben und wurden erschlagen. Nicht erschlagene Gewerkschafter wurden mit Prügel durch Straßen der Stadt getrieben. Anwohner schauten aus Fenstern ihrer Wohnungen zu.
 
Leichen der erschlagenen Gewerkschaftsfunktionäre verscharrten Nationalsozialisten im Hünxer Wald und verbreiteten das Gerücht, dass die Gewerkschaftler mit der Kasse nach Holland geflohen seien. Eine andere Version behauptete, sie hätten sich beim Streit um die Gewerkschaftskasse gegenseitig umgebracht. Leichen der Ermorderten wurden erst ein Jahr später im Hünxer Wald gefunden und in Dinslaken bestattet. In Duisburg erinnern mehrere Mahnmale an die Helden des Widerstands, leider zu spät.
Ein Teil des Bergarbeiterlohns bestand aus Kohledeputat. Beim eigenen Vater waren das sieben Tonnen, von denen fünf Tonnen als Hausbrand benötigt wurden. Zwei Tonnen konnten verkauft werden. Für verkaufte Kohle erstand die eigene Familie im Herbst Einkellerungskartoffeln. Üblich waren 10 Doppelzentner (1.000 kg), für die im Keller eine selbst gebaute große Kartoffelkiste bereitstand. 
 
Anlieferungen von Kohle und Koks erfolgten zwei- bis dreimal jährlich nach Bestellung ohne Terminankündigung. Das Lieferfahrzeug entleerte die Ladung am Straßenrand. 1-2 Tonnen Kohle oder Koks am Straßenrand erzeugten regelmäßig einige Aufregung. Kohle oder Koks musste in Eimer umgefüllt werden, die zum Haus getragen und auf einer Rutsche entladen wurden, von der sie in den Kohlenkeller fielen. Am Ende der Aktion musste die Straße gereinigt werden. In jüngeren Jahren war ich Helfer. Später war ich für die Versorgung unserer Öfen von der Anlieferung des Brennmaterials bis zum Betrieb verantwortlich und habe alle Arbeit zähneknirschend allein erledigt. Die Kohleversorgung in der Wohnung der Großeltern kam hinzu. Mitarbeit von Kindern im Haushalt war eine Selbstverständlichkeit ohne Anerkennung. Wenn mich Nachbarn für den Job des Kohle Einschaufelns engagierten, besserte ich mein karges Taschengeld auf.
 
Exkurs: Der Milchmann
 
"Anschreiben" war in unserer Familie nur beim Milchmann üblich, ein lokaler Milchhändler, der werktags mit Frischmilch in einem Metallcontainer eines Lieferwagens vorfuhr und seine Ankunft mit einer Handglocke signalisierte. Auf der Johann-Schlösser-Straße waren 2 Schwestern Milchmänner. Verkauft wurden aber auch andere Milchprodukte wie Quark, Joghurt, Butter. Als Gute Butter bezeichnete Butter gab in der Kindheit jedoch nur bei der Großmutter. Zu Hause aßen wir Margarine, meistens der Marke Rama. Zum Backen wurde Sanella verwendet. Neben dem Lieferdienst führten die beiden Schwestern ein Molkereigeschäft auf der Emsstraße.
 
Jede Familie hatte eine 2 l fassende Milchkanne aus Blech, in die per Zapfhahn die gewünschte Menge Milch gefüllt wurde. Wenn Jungs zum Milchholen geschickt wurden, liebten sie es, die gefüllte Milchkanne in großen Kreisen über den Kopf zu schleudern, ohne Milch zu verplempern. Das klappte nicht immer perfekt und verursachte in diesen Fällen Ärger. 

Milch wurde als unbehandelte Rohmilch (unpasteurisiert) angeliefert, was § 17 der Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs seit Jahrzehnten generell wegen gesundheitlicher Risiken verbietet und nur in Ausnahmen gestattet. Wenn Reste von Rohmilch über Nacht stehenblieben, bildete sich durch Milchsäuregärung Dickmilch. Bei pasteurisierter Milch entsteht Dickmilch nur mit Zugabe von Milchsäurebakterien. Mit Zucker bestreut war Dickmilch eine beliebte Zwischenmahlzeit. In Sommermonaten wurde Dickmilch gerne über Stücken von frischem Obst verteilt und als Dessert verzehrt.

Aufgrund häufig auftretender Mangelernährung im Nachkriegsdeutschland wurde Schulmilch (auch als Kakao) in Portionsfläschchen mit 0,25 l für einen wöchentlich zu zahlenden kleinen Betrag und für Kinder aus bedürftigen Familien kostenlos ausgegeben. Die vom Hausmeister in Wärmeschränken erhitzte Milch verteilten Schüler der 8. Klasse kurz vor der großen 10:00 Uhr Pause in Blechkisten, die neben dem Lehrerpult abgestellt wurden. Mit Ertönen der Pausenglocke stürmten Kindern nach vorne, um ihre Milchportion und einen Strohhalm abzuholen. Verzehrt wurde die Milch mit einem durch den Kapseldeckel gestochenem Strohhalm. Dazu packten Kinder ihre mitgeführten Schulbrote aus. In der 8. Klasse war der Autor dieses Posts mit einem Klassenkameraden Schulmilchmann. 15 Minuten vor Ende der 2. Stunde verließen wir den Unterricht, um die aufgewärmte Milch aus dem Keller des Schulgebäudes in Klassen zu tragen. Schüler der Abschlussklasse 8 galten als "die Großen" und waren unter Schülern unbestrittene Autoritäten.

1974 zog die Familie in ein Mehrfamilienmiethaus des mit Fernwärme versorgten Neubauwohnviertels Planetensiedlung in Walsum Aldenrade um. Die Bezeichnung Planetensiedlung resultiert aus Bezeichnungen wie Sonnenstraße, Mondstraße, Sternstraße, Jupiterstraße, Meteorstraße, Kometenplatz. Der Autor des Post lebte zu dieser Zeit bereits als Student in Köln, besuchte die Familie regelmäßig und war von allen familiären Pflichten entbunden.

 
Exkurs: Marxloh gestern - heute - morgen
 
Wo Menschen dauerhaft zusammenleben entsteht Kultur, die sich über Zeit verändert (Was ist Kultur?). Dynamik von Veränderungen ist von zahlreichen Rahmenbedingungen abhängig, die sich ebenfalls über Zeit verändern. Entstehungs- und Veränderungsbedingungen von Kultur untersuchen Wissenschaften mit dem Ziel von Erklärungen. Zeitlich weit zurückliegende Veränderungsbedingungen sind oft nur schwierig zu rekonstruieren. Hier beginnt Arbeit von Archäologen und Historikern. Erklärungen von Veränderungsdynamiken der Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen einerseits Rahmenbedingungen sowie andererseits kulturellen Ausprägungen von Sprache, Religion, Normen, Werten, Rechtssystemen, Bildungssystemen, Technologien, Wissenschaften, ökonomischen Systemen, Kunst, Freizeitgestaltung, sozialen Umgangsformen etc. fallen in Zuständigkeiten von Sozialwissenschaften.
 
Marxloh betreffende Veränderungsdynamiken versucht dieser Post nicht umfassend sozial- bzw. kulturwissenschaftlich zu erklären, weil er das nicht leisten könnte, aber er möchte vermitteln, dass sich in Marxloh verdichtende soziale Probleme nicht Marxloh-spezifisch, sondern kulturspezifisch zu verstehen sind. Marxloh hat exemplarischen Charakter für Defizite markwirtschaftlich geprägter, auf Konsum fixierter und von politischen Systemen repräsentativer parlamentarischer Demokratie getragener westlicher Kulturen und ist mit Variationen in Details unter anderen Namen überall zu finden.

 
Marxloh gestern (historisch)
 
Die Geschichte von Duisburg, Hamborn, Marxloh der NS-Zeit ist komplex. Einen Ausschnitt dieser Geschichte beschreibt das vorhergehende Unterkapitel Wer war Johann Schlösser? Ein Überblick in Kurzform wäre unangemessen. Der Post Kriegswirtschaft, Zwangsarbeit, Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg beschreibt Aspekte im Kontext eigener Familiengeschichte. Die Duisburger Bildungseinrichtung Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte, Demokratie leistet mit Forschung, Ausstellungen, Publikationen, Lesungen, Workshops professionelle Aufarbeitung und Vermittlung der lokalen NS-Vergangenheit (Flyer).
 
                  Duisburg um 1844                                                                                                                                      Marxloh um 1837
Marxloh war ursprünglich kein Dorf, sondern eine aus mehreren Höfen bestehende Region der Grundherrschaft des Stifts Essen und gehörte kirchlich zum Dorf Beeck (Portal Duisburg: Marxloh, Marxloh historisch). „Der Ortsname leitet sich von Mersch für feuchtes Weideland und Loh für Hochwald ab“ (Wikipedia: Marxloh). In Nord-Süd-Richtung bildet die Weseler Straße Marxlohs Hauptachse, die in preußischer Zeit Königlich Preußische Weseler Landstraße hieß und 1811 bei der französischen Besatzung in Provinzialstraße umbenannt wurde. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte die Umbenennung in Weseler Straße
 
An der bis Mitte des 19. Jh. unbewohnten Kreuzung der Landstraße Duisburg-Wesel mit dem Weg zwischen dem Kirchdorf Beeck und dem Herrensitz Schultenhof Marxloh errichtete der Schmied Arnold Pollmann eine 1877 eröffnete Schmiede mit Gastwirtschaft. Im Umfeld entstanden zwei Schachtanlagen, die Zinkhütte der Familie Grillo und ein Stahlwerk in Bruckhausen, aus dem die August-Thyssen-Hütte hervorging. Mit der Dynamik der Industrialisierung entwickelte sich an der Kreuzung das Geschäftsviertel der aufblühenden Stadt Hamborn. 
 
Die Familie Pollmann wurde als 'Hoflieferant' von Thyssen und Grillo wohlhabend und ließ im Zeitraum 1929 bis 1931 an der Kreuzung das Pollmannhaus errichten, das als prägendes Gebäude den Namen Pollmannkreuz bewirkte und 2019 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Ursprünglich war das Pollmannhaus als Hochhaus im Baustil des Empire State Buildings in Manhattan geplant. Die realisierte Architektur zeigt Verwandtschaft, aber die Wirtschaftskrise der Weimarer Zeit verhinderte obere Stockwerke. Nach Beseitigung von Kriegsschäden blieb das Pollmannkreuz mit seiner Umgebung bis in den 1970er Jahren das bedeutendste Geschäftsviertel der Stadt Duisburg. Mit der Montankrise setzte ein umfassender Strukturwandel ein, vom dem wir uns heute ein Bild machen.
 
Mittelstraße Schweinekolonie 2019
Geburtsort des Vaters
Die städtebauliche Planung der Gründungsphase teilte Marxloh entlang der Nord-Südachse der Weseler Straße östlich der Hauptachse in Arbeiterviertel (u.a. die im Volksmund als Schweinkolonie bezeichnete Siedlung zwischen Warbruckstraße und Emmastraße) und einem bürgerlichen Viertel westlich der Hauptachse. Der Begriff Kolonie bezeichnet ein Wohnkarree mit einheitlicher Bauweise und nach innen offenen Höfen mit Gärten und Ställen. Das Karree hatte eine relativ homogene, sich kulturell nahe stehende Bewohnerstruktur, die aus in der Schwerindustrie beschäftigten Migranten mit ähnlicher Herkunft bestand. Diese Migranten-Ghettos segregierte körperlich arbeitende Bewohner von bürgerlichen Bewohnern und erleichterte Migranten die Integration in der neuen Umgebung. In Ställen befanden sich anfangs auch Toiletten der Wohnungen. Die Bezeichnung Schweinkolonie resultiert aus dem Sachverhalt, dass aus ländlichen Räumen migrierte Bewohner oft Schweine, Ziegen, Hühner, Kaninchen, Tauben für ihre Selbstversorgung hielten. Aus diesem Zusammenhang leitet sich der Begriff Hasenbrot ab. Wenn Bergleute ihre Dubbel (zwei aufeinander gelegte Scheiben Brot mit Belag von Wurst oder Käse) auf der Arbeit nicht verzehrt haben und zurück nach Hause brachten, wurde aus der Dubbel ein an Stallhasen (Kaninchen) verfüttertes Hasenbrot.
 
Östlich der Hauptachse gab es in Arbeiterwohnvierteln lediglich Volksschulen. Gymnasien und Krankenhäuser waren nur westlich der Hauptachse im südlich anschließenden Stadtteil Alt-Hamborn in bürgerlichen Wohnvierteln vorgesehen. In Alt-Hamborn entstand Ende des 19. Jahrhunderts mit der Jupp-Kolonie die erste Arbeiterkolonie in Hamborn. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auf der östlichen Seite im Stadtteil Obermarxloh die Arbeiterkolonie Dichterviertel errichtet. (Siedlungskultur in Quartieren des Ruhrgebiets).  
Arbeit in der Industrie war nicht nur Maloche, ein aus dem Jiddischen entlehntes Wort für schwere körperliche Arbeit, sondern auch gefährlich. Bergarbeiter litten an Silikose und wurden selten alt. Arbeit im Bergbau war besonders unfallträchtig. Es verging kaum ein Jahr ohne Unfälle mit Todesfällen. Nach solchen Unfällen waren Fördertürme des betroffenen Bergwerks eine Woche schwarz auf Halbmast geflaggt und die Stimmung war in ganz Marxloh bedrückend.
 
Auch außerhalb der Industriebetriebe war Leben in Marxloh trotz Schwelgernpark, Jubiläumshain, Ausflügen nach Orsoy oder Alsum keine Idylle. Industriebetriebe und Hausbrand erzeugten ungefilterte Emissionen, die als Eisen-, Kohlen- und Rußstaub allgegenwärtig waren. Hinzu kamen Gasemissionen. Bei Inversionswetterlagen verdichtete sich nach Schwefel stinkender Smog, der die Atmung erschwerte und die Sicht vernebelte. Bis ca. 1960 wurde in Kokereien anfallendes Kokereigas in Gasometern zwischengespeichert und als teilgereinigtes Stadtgas für die öffentliche Gasversorgung zum Kochen und für Beleuchtungszwecke verwendet. Privaten Gasverbrauch las regelmäßig ein Gasmann genannter Mitarbeiter des Versorgungsunternehmens von im Haus angebrachten Zählern ab und kassierte auch gleich den fälligen Betrag. 
 
Kokereigas ist wegen seines hohen Anteils an Kohlenmonoxyd hochgradig giftig und ähnlich explosiv wie Erdgas, aber geruchsneutral, weshalb Gaslecks besonders gefährlich sind. Wenn sich Menschen in vermeintlich aussichtslosen prekären Lebenslage befanden und Suizid begehen wollten, drohten sie mitunter damit, den Gashahn aufzudrehen, was nicht nur ein gebräuchliches geflügeltes Wort war, sondern durchaus vorkam. In den 1960er Jahren wurde die Gasversorgung von Kokereigas auf nicht giftiges Erdgas umgestellt. (Der Verbrennungsvorgang setzt jedoch Kohlenmonoxyd frei.) Damit verschwand das geflügelte Wort vom Gashahn aufdrehen.
 
Noch in den 1950 Jahren bestand die Straßenbeleuchtung aus Gaslaternen. Über Tag glimmte nur ein Flämmchen. Die Regelung der Gaszufuhr ermöglichte an Laternen ein Schieber, an dem auf der Unterseite ein Ring angebracht war. Bis Mitte der 1950er Jahre ging abends und morgens ein Mitarbeiter der städtischen Gaswerke durch die Straßen und regelte mit einem Haken an einem langen Stab die Gaszufuhr an den Laternen. Die manuelle Regelung ersetzte später eine zentrale Drucksteuerung. Da Gläser der Laternen verrußten, mussten sie regelmäßig von Reinigungstrupps gesäubert werden. Diese Ära endete Anfang der 1960er Jahre.
 
Bewohner von Arbeiterwohnvierteln hatten gewöhnlich keine Autos, bestenfalls Mopeds. Zum Geschäftsviertel am Pollmannkreuz gingen sie nur für besondere Einkäufe. Den Tagesbedarf versorgten bis zu den 1960er Jahren fliegende Händler mit Backwaren, Milchprodukten, Fisch, Kartoffeln, Gemüse auf sogenannten Lieferwagen (Tempo, Opel Blitz, Hanomag etc.), in den 1950er Jahren auch noch mit Pferdefuhrwerken. In den Morgenstunden fuhren Brötchenverkäuferinnen auf Fahrrädern mit Glockengeläut und frischen Brötchen in einem auf dem Fahhrad befestigten Korb durch das Viertel. Brötchen kosteten 5 Pfennig und Mohnbrötchen 6 Pfennig.
 
In unregelmäßigen Abständen boten Scherenschleifer, Lumpen- und Schrottsammler ihre Dienste an. Üblich waren Hausierer, die an der Haustür Besen, Bürsten, Seifen, Zeitschriften, Staubsauger, Teppiche, Stand- und Schrankuhren, Stoffe und Kleidung zum Verkauf anboten. Käufe konnten in kleinen Raten abgezahlt werden. Regelmäßig klingelten Kriegsversehrte als Bettler an Wohnungstüren und gingen selten leer aus. In Sommermonaten fuhren Eisverkäufer mit Kühlkisten auf Lastenfahrrädern durch das Viertel und machten mit Geläut einer Handglocke auf sich aufmerksam.
 
In rückwärtiger Betrachtung hatten Wohnviertel für Kinder der Kriegsgeneration durchaus idyllische Seiten. Da in Wohnstraßen nahezu keine Autos verkehrten, konnten Straßen intensiv und gefahrlos von Kindern als Spielplätze genutzt werden. Aus Kriegszeiten noch vorhandene Trümmergrundstücke nutzten Jungs als Abenteuerspielplätze. Besonders beliebt waren als Burgen oder Buden bezeichnete ober- oder unterirdische regendichte Unterstände, die mit Sperrmüll wohnlich ausgestattet wurden und bei schlechtem Wetter Zuflucht und auch Flucht vor engen familiären Wohnverhältnissen boten. Bewohner konnten nur Kinder werden, die an der Erstellung mitgewirkt haben. In Wintermonaten wurde mitunter ein kleines Lagerfeuer entzündet, das wärmte und in dem an Stöckchen befestigte Kartoffeln aus dem heimischen Kartoffelkeller gegart wurden. Manchmal wurden zwischen Burgen/Buden auch Kämpfe ausgetragen, die aber spielerischen Charakter hatten und keine Verletzungen oder Schäden beabsichtigten.

 
Marxloh heute (aktuelle Situation) in politischen Kontexten
 
in Marxloh treffen in der Gegenwart Träume, Visionen und Erfolge auf eine harte und manchmal auch brutale Realität. Glitzernde Geschäfte im Umkreis des Pollmannkreuzes sind aus der Asche ihrer Vorgänger entstanden und vermitteln, dass Wege von Hoffnung zum Erfolg existieren und diese Wege nicht in unendlicher Ferne liegen. In Wohnvierteln östlich der Nord-Südachse leben Migranten, die bereits angekommen sind. Westlich der Nord-Südachse leben Migranten, die erst noch ankommen müssen. Wo Chancen bestehen, gibt es auch Risiken. Sie sind nur gemeinsam zu haben. Zu fragen ist jedoch, (a) welche Risiken als unvermeidbar zu akzeptieren sind, (b) wie sie beherrschbar werden, (c) welche Chancen entstehen und (d) wie sie entfaltet werden können. 
 
Während ehemalige Arbeiter-Werksviertel überwiegend privatisiert und saniert sind, bildet das ehemals bürgerliche Viertel das Haupt-Problemviertel von Marxloh. Die gegensätzliche Entwicklung ist wahrscheinlich den unterschiedlichen Eigentümerstrukturen geschuldet.
  • Arbeiterkolonien wurden ursprünglich von Industriebetrieben als Werkswohnungen für Mitarbeiter errichtet und im Kontext des Strukturwandels umfassend saniert, modernisiert, privatisiert. Käufer sind vor allem aus der Türkei stammende ehemalige Gastarbeiter, die dauerhaft geblieben sind. Als Eigentümer möchten sie den Wert ihrer Investitionen erhalten und steigern.  
  • Bewohner der Bürgerhäuser sind verzogen und verstorben. Erben verkauften die Häuser an skrupellose Spekulanten, die Häuser für wenig Geld erwarben und sanierungsbedürftige Wohnungen relativ teuer an Armuts- und Flüchtlingsmigranten aus prekären Lebensverhältnissen vermieteten und zusätzlich diesen Mietern schlecht bezahlte Jobs im informellen Arbeitsmarkt vermitteln, an denen sie zusätzlich verdienen. Bewohner ruinieren anschließend diese Wohnungen endgültig.
Medien berichten seit ca. 20 Jahren negativ über Anarchie, Clan-Kriminalität, Bandenkriege und No-Go-Areas in Marxloh, in denen Familienclans und Rockerbanden die Kontrolle über Straßenzüge übernommen hätten, die die Polizei kaum noch zu betreten wage, weil Angriffe drohen würden und sie daher nur in Hundertschaften anrücken könne. In der Verwahrlosung überlassenen Wohnvierteln mit Wohnungsleerstand konzentrieren sich prinzipiell Armut, Arbeitslosigkeit, prekäre Lebensweise, Kriminalität. Auch in Städten des Ruhrgebiets bestehen aufgrund des Strukturwandels solche Wohnviertel. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass unsichere und schwer kontrollierbare Problemviertel und soziale Brennpunkte in allen deutschen und ebenso in vielen ausländischen Großstädten zu finden sind. Überprüfungen durch Journalisten seriöser Medien hinterfragen diese  Sachverhalte kritisch und rücken tendenziöse Berichte gerade:In Städten des Ruhrgebiets bauschen rechtspopulistische Bewegungen Einzelfälle mit Social-Media-Berichten zu rechtsfreien Räumen von No-Go-Areas auf, um politisch motivierten Hass gegen Migranten und Zweifel an bestehenden legalen Ordnungssystemen zu schüren. Unkritische Menschen fassen Social-Media-Berichte über Ereignisse in vermeintlichen No-Go-Areas als objektive soziale Realität auf. Berichte triggern vor allem von Frauen empfundene Ängste. Von solchen Berichten beeindruckte Personen sind kaum empfänglich für ausgewogene seriöse Medienberichte. Verbesserungen erhoffen sie von autoritären rechtsradikalen politischen Bewegungen.
  • Bei der Europawahl 2024 erzielte die AFD in 5 Stimmbezirken des Duisburger Nordens Anteile von 42,44 % bis zu 45,81 %.
  • In den 9 Marxloh Stimmbezirken streuen Anteile der AFD von 8,2 % bis 38,82 % und bilden für den Kommunalwahlbezirk Marxloh einen Mittelwert von 20,68 % bei 28,77 % Wahlbeteiligung.
  • In 11 Kommunalwahlbezirken des Duisburger Nordens (vor allem in Neumühl und Meiderich) war die AFD stärker (bis zu 24,91 %) und die Wahlbeteiligung lag deutlich höher (36,95 % bis 51,78 %).
  • Insgesamt nimmt der Anteil der AFD von Norden nach Süden deutlich ab und beträgt im Mittel aller Duisburger Wahlbezirke 16,69 % bei 53,63 % Wahlbeteiligung.
Komplexe Ordnungen überfordern die Wahrnehmung der meisten Menschen, weshalb sie zu Vereinfachungen neigen. Zuzüge von Migranten erzeugen Komplexität im Sinne einer Diversität von Strukturen, Prozessen, Abhängigkeiten eines Gesamtzusammenhangs (Wikipedia: Komplexität). Mechanismen der Vereinfachung von Komplexität der Wahrnehmung sind zwar bereits biologisch angelegt (Biologie-Seite: Komplexitätsreduktion), aber soziale Komplexität lässt sich mit zusätzlichen Informationen und wissenschaftlichen Methoden (Bildung!) entschlüsseln. Rechtspopulistische Bewegungen wissen um diese Zusammenhänge und gewinnen Vertrauen von Menschen durch ideologisch geprägte Vereinfachungen sozialer Komplexität. Offensichtlich erkennen Menschen ideologische Ausrichtungen von Vereinfachungen häufig nicht.  
 
Jeder versteht, dass Migranten Risiken mitbringen. Aufgrund von Unwissen oder von gezielter ideologisch motivierter Desinformationen durch politische Organisationen verstehen viele Menschen nicht, dass diese Risiken beherrschbar sind und Gesellschaften von Migranten profitieren können. Unwissen über Migranten, über Mittel der Beherrschung von Risiken und über positive Effekte von Migration ist eines der Hauptübel in der Diskussion über Migrationspolitik. Umdeutungen des Zuzugs von Migranten zu Krisen lenken von politischen staatlichen Krisen ab, die insbesondere kollektive Güter und sie organisierende staatliche Institutionen betreffen (Gesundheitssystem, Bildungssystem, Rentensystem, Verkehrsinfrastruktur, Umweltprobleme sowie Verteilungsgerechtigkeit von Ressourcen, Leistungen, Profit). Politische Krisen verweisen auf Asymmetrien der Verteilung von Macht, die als Nutzen spendende systemische Notwendigkeit ausgegeben werden und gegen Kritik tabuisiert sind. 
 
Weil es so einfach ist und von Defiziten der eigenen politischen Kultur ablenkt, werden soziale Konflikte Migranten angelastet und dazu mit der AFD-Keule gedroht (FAZ, 21.07.2024: Der mediale Teufelskreis der Migrationsdebatte). Tatsächlich sind Konflikte mit Migranten jedoch hausgemacht und entstehen erst mit
  • Vorurteilen der Bevölkerung, die kulturelle Andersartigkeit und Fremdheit von Migranten ablehnt, Migranten mit Misstrauen und Feindseligkeit begegnet und in ihrer Borniertheit erwartet, dass sich Migranten unsichtbar machen,
  • von Deutschen begangenem Unrecht zur Kolonialzeit und zur NS-Zeit sowie durch deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit, die soziales Elend und prekäre Lebenslagen von Migranten bewirken, für die aber Verantwortung abgelehnt wird,
  • Ablehnung und Ausgrenzung von Migranten durch fehlende Unterkünfte, fehlende Anerkennung von Abschlüssen, fehlenden Arbeitserlaubnissen, fehlenden Hilfeleistungen,
  • Missbrauch der Hilflosigkeit und Bedürftigkeit von Migranten durch skrupellose Geschäftemacher der ansässigen Bevölkerung,
  • egoistischer Selbstbezogenheit und fehlendem Bewusstsein für ethisches Handeln gemäß elementarer Regeln von Menschlichkeit,
  • Bürokratiemonstern, Überlastung und Inkompetenz von Behörden,
  • politischer Desinformation und politischen Firewalls.
Erfreulicherweise hat die Stadt Duisburg eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, die inzwischen positive Entwicklungen sichtbar machen. U.a. hat die Stadt 2014 eine Task Force Problemimmobilien eingerichtet, die Problemhäuser kontrolliert und bei Bedarf die Räumung veranlasst. Rechtsgrundlage bildet ein vom Land NRW erlassenes Gesetz, das Städten Kontrollen von Häusern erlaubt. Darüber hinaus stellt NRW betroffenen Städten Budgets zur Verfügung, die es ermöglichen, geräumte Immobilen je nach Zustand abzureißen oder zu sanieren. Um Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit von Maßnahmen zu gewährleisten, hat NRW einen Leitfaden zum Umgang mit Problemimmobilien in NRW herausgegeben (PDF, 100 Seiten). Auf zukunftsweisende Strategien geht das nachfolgende Kapitel ein.
 
Medienberichte zu Problemimmobilien und zur Arbeit der Task Force in Marxloh:
 
Marxloh in gesamtgesellschaftlichen Kontexten
 
Um Marxloh realistisch einzuordnen, sind statistische Aussagen zur demographischen Situation und zum Arbeitsmarkt hilfreich. Ohne Zuwanderung von Migranten würde die Bevölkerung Deutschlands seit den 1970er Jahren schrumpfen (FAZ, 21.07.2024: Wie sinkende Geburtenraten die Welt verändern). Die Einwohnerzahl wäre seit 1970 von ca. 76 Millionen auf ca. 70 Millionen Einwohner gesunken. Tatsächlich ist sie auf ca. 84 Millionen Einwohner gestiegen (Mediendienst Integration: Migration Bevölkerung). 
 
Auswirkungen des demographischen Wandels beschränken sich nicht nur auf das Wirtschaftssystem, sondern betreffen nahezu alle Bereiche von Produktion und Dienstleistungen mit dramatischen Folgen für das individuelle Leben. In der Gegenwart decken Migranten den Bedarf zahlreicher Leistungsbereiche, z.B. medizinische und pflegerische Versorgung in Kliniken, Heimen und ambulant häuslicher Versorgung, Straßenreinigung, Müllabfuhr, sonstige Reinigungsarbeiten, Bauhandwerk, landwirtschaftliche Arbeiten, Fließbandarbeit, Logistik, Paketzusteller, Gastronomie, Fahrdienste etc.. Wer versorgt und pflegt erkrankte und alte Menschen, sticht Spargel, pflückt und sortiert Obst, pflegt und erntet Weinberge, montiert und wartet unsere Autos, wenn Migranten ausfallen?
 
Fakten des Arbeitsmarktes widersprechen verbreiteten Stimmungen und Meinungen (Zahlen laut Mediendienst Integration: Integration Arbeitsmarkt - Zahlen und Fakten Arbeitsmarkt):
  • Der Anteil sozialversicherungspflichtiger ausländischer Beschäftigter steigt seit Jahren und lag 2023 bei 15,3 % bzw. bei 15,5 % inkl. geringfügig Beschäftigte.
  • 70,4 % aller Menschen mit Migrationshintergrund gehen einer bezahlten Tätigkeit nach.
  • Mehr als 2/3 aller Menschen aus Asylherkunftsländern sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, darunter ein bedeutender Anteil in Berufen mit hohen Qualitätsanforderungen. 
  • 71 % aller seit 2010 neuer Arbeitsplätze sind mit ausländischen Arbeitskräften besetzt.  
  • Beim Vergleich von Beschäftigungsquoten ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche ausländische Staatsbürger als Selbständige oder mithelfende Familienangehörige erwerbstätig, aber nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und daher in Beschäftigungsstatistiken nicht auftauchen. Zusätzlich ist anzumerken, dass Erwerbs- und Beschäftigungsquoten kein Indikator für Arbeitswilligkeit sind, weil Arbeitswilligkeit durch gesetzliche Regelungen und Diskriminierungen z. T. verhindert wird.
Nur wenige Deutsche sind bereit, körperlich anstrengende Arbeiten, Schmutzarbeiten, Jobs in Niedriglohnsektoren zu übernehmen. Dieser Anteil ist viel zu klein, um den Bedarf zu decken. Ohne Migranten wären viele Leistungen kaum noch oder nur für Eliten zugänglich. Wer sich gegen Zuzug von Migranten sträubt und "Ausländer raus" fordert, kann aus Gründen ideologischer Verblendung empirisch offensichtliche Sachverhalte nicht zur Kenntnis genommen sowie über aufgezeigte Zusammenhänge nicht vernünftig nachgedacht haben und bleibt Antworten auf die Frage schuldig, wie Ausfall von Ausländern zu kompensierbar ist.

Anstatt auf Integrationsangebote treffen Migranten regelmäßig auf durch Gesetze und Verordnungen errichtete und von Bürokratien verteidigte Hürden sowie auf massive Vorurteile großer Teile der Bevölkerung. Daher sind Migranten häufiger als die einheimische Bevölkerung von Arbeitslosigkeit, Armutsrisiken, Rassismus bzw. von Diskriminierung im Arbeitsmarkt, im Wohnungsmarkt, in Behörden, in der Versorgung durch das Gesundheitssystem, in Bildungseinrichtungen, im öffentlichen Leben betroffen und werden häufiger als deutsche Einwohner erst in Illegalität gedrängt und anschließend kriminalisiert. Über Verantwortung für Ursachen kann man kontrovers diskutieren.

 
Marxloh morgen als nachhaltiges Zukunftsprojekt
 
Perspektive Arrival City
 
Leerstand, billiger Wohnraum und Anbindungen an kulturelle Netzwerke machen Marxloh zum Ankunftsquartier, in dem sich zahlreiche Probleme verdichten. Diese Probleme erfordern Aufmerksamkeit, Unterstützung, Kontrolle, Management. Unvorbereitet ist Lokalpolitik überfordert, zumal die Handlungsfähigkeit verarmter Städte des Ruhrgebiets beschränkt ist und ansässige Bevölkerung den Zustrom von Migranten als Bedrohung empfindet.

Die Veröffentlichung Arrvial City des kanadischen Journalisten Doug Saunders verändert den Blick auf Migrationsprobleme. Zahlreiche Länder und Städte versuchen mit restriktiven Mitteln die Einreise von Migranten zu verhindern oder bereits eingereiste Migranten restriktiv einzuhegen und wieder abzuschieben. Migration ist jedoch soziale Realität und Migranten sind nicht wirksam aufzuhalten. Sie flüchten aus prekären Lebensverhältnissen und begeben sich auf den Weg in eine bessere Zukunft. Aufnehmende Länder sollten positive Perspektiven von Migranten nicht als Risiko und Bedrohung auffassen, sondern als Chance betrachten und positive Energien von Migranten kreativ zu synergetischen Prozessen gestalten. 
Auf erfolgreiche Erfahrungen kann die belgische Stadt Mechelen verweisen. Mechelen ist durch ein von dessen Bürgermeister Bart Somers initiiertes Projekt für sein Integrationskonzept bekannt geworden und gilt international als Vorzeigemodell erfolgreicher Integration von Migranten und Flüchtlingen. Kriterien der Entwicklung und Umsetzung erfolgreicher Konzepte beschreiben zwei Studien der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018:
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in ihren Schriftreihen zum Themenfeld Migration und Ankunftsstadt zwei Dossiers mit jeweils einer Reihe von Beiträgen veröffentlicht, die Aspekte des Themenfeldes aus wissenschaftlicher Sicht betrachten:
Wenn das Zusammenleben zwischen Migranten und einheimischer Bevölkerung gelingt, werden nicht nur Verödung und Ghettoisierung von Stadtvierteln aufgehalten, sondern es können multinational durchmischte hippe multikulturelle Wohnviertel mit hoher Lebensqualität entstehen, die insbesondere für jüngere und kreative Menschen attraktiv sind. Dass Zusammenleben gelingen kann, beweist nicht nur Mechelen. Positive Beispiele bieten auch die Kölner Südstadt und der Stadtteil Köln Ehrenfeld.

 
Ankunftsstadt Marxloh - Projekt Stark im Norden
 
2023 hat die Stadt Duisburg das mit einem Budget von 50 Millionen Euro ausgestattete Projekt Stark im Norden in den Stadtteilen Marxloh und Alt-Hamborn aufgesetzt, um Zuwanderung von Migranten als nachhaltiges Zukunftsprojekt zu managen. Das in mehreren Teilprojekten aufgegliederte Projekt des Quartiermanagements koordinieren Mitarbeiter des Projektteams in Stadtteilbüros jeweils in Marxloh und in Alt-Hamborn. Bei der Umsetzung des Projektes begleitet das Projektteam eine wissenschaftliche Begleitforschung für das Monitoring des Projektes, die Steuerung von Soll-Ist-Werten sowie Evaluation des Gesamtprojektes und seiner Ziele. Die übergeordnete Koordination liegt in Händen der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft steg NRW, die das Ibis Institut bezüglich sozialwissenschaftlicher und interkultureller Perspektiven unterstützt.

Projektbeschreibungen und Medienberichte:
 
 
4. Station: Marxloh-Führung mit Claus Lindner - Fotoserie
 
Marxlohführung auf der Kaiser-Wilhelm-Straße Café Femm, Weseler Straße Brautmoden Weseler Straße
 
Um 14:00 Uhr sind wir zu einer Marxloh-Führung mit Claus Lindner verabredet, zu der wir uns an der Dahlmannstraße treffen. Claus Lindner ist in Marxloh aufgewachsen, zur Schule gegangen und wohnt bis heute in Marxloh. Als SPD-Mitglied, Bezirksvertreter und zeitweilig stellvertretender Bezirksbürgermeister engagiert er sich seit etlichen Jahren lokalpolitisch für Marxloh und führt seit 2017 ehrenamtlich in Marxloh Stadtführungen durch, mit denen er interessierten Besuchern zeigen möchte, dass Marxloh ganz anders ist, als Medien oft darstellen. Durch positive Medienberichte sind Marxloh-Führungen von Claus Lindner inzwischen weit über Marxloh hinaus bekannt und so sind auch wir auf sein Führungsangebot aufmerksam geworden. U.a. berichtet der verlinkte Artikel des Stern über ihn. In älteren Artikeln heißt er noch Claus Krönke. Mit seiner Heirat hat er den Namen Lindner angenommen. 
 
Der Lokalpolitiker Claus Lindner leugnet keineswegs, dass in Marxloh zahlreiche Probleme bestehen, die Aufmerksamkeit, Unterstützung, Kontrolle, Management erfordern. Aber er verfolgt eine Vision, die sich auf erfolgreiche Erfahrungen in der belgischen Stadt Mechelen stützen kann (siehe: Arrival City). Bei der heutigen Führung verschaffen wir uns jedoch lediglich Eindrücke von Marxloh. 
 
Auf Höhe der Marxloher Kreuzeskirche stoßen wir auf die Marxloh in Ost-West-Richtung durchquerende Hauptachse, die östlich des Pollmannkreuzes Kaiser-Friedrich-Straße und nach Westen Kaiser-Wilhelm-Straße heißt. Im Umfeld des Pollmannkreuzes ist die Straße inzwischen verkehrsberuhigt und lädt zum entspannten Flanieren ein. Das Straßenbild hat sich nur wenig verändert. Angebote sind auf Bedarf von Migranten ausgerichtet. Uns bekannte Geschäfte bestehen jedoch nur noch in Ausnahmen, z. B. 2Rad Börgartz auf der Kaiser-Wilhelm-Straße, wo Vater 1962 ein Leichtkraftrad Zündapp KS 50 kaufte, das mit 4,2 PS Leistung und der Führerscheinklasse IV ein Segment zwischen Mopeds und Motorrädern besetzte und auf Autobahnen zugelassen war.

An der Abzweigung von der Kaiser-Wilhelm-Straße zur Rolfstraße wurde in den 2000er Jahren ein Platz eingerichtet, der Anwohner zum öffentlichen Leben einer Piazza anregen sollte. Das Konzept funktionierte nicht. Der Platz soll umgestaltet werden. Über Pläne haben wir nichts erfahren. In ehemaligen Werkstatträumen des nicht mehr ansässigen Autohauses Scharmach besuchen wir einen Lebensmittelmarkt, dessen Angebot und Preise uns neidisch machen. Bei Scharmach hat Vaters Bruder, mein Patenonkel, sein Motorrad BMW R 25 erstanden, die für ihn ein Aufstieg nach einer DKW 125 war. Später fuhr er eine BMW-Isetta und mehrere Modelle des NSU Prinz.

Zufällig läuft uns auf der Kaiser-Wilhelm-Straße Selgün Calisir über den Weg. Der türkische Geschäftsmann, Lokalpolitiker und Vorsitzende des Marxloher Werberings ist mit Claus Lindner gut bekannt und begrüßt uns ausgesprochen freundlich. Da es heute ziemlich warm ist, fragt er, ob er uns ein Fläschchen Wasser spendieren darf. Das Angebot nehmen wir gerne an. Ein weiterer Abstecher führt in ein Süßwarengeschäft, das seine uns nicht begeisternden Produkte selbst herstellt.  

Brautmoden Weseler Straße
Den Rundgang setzen wir auf der Weseler Straße fort und sind vom verführerischen Angebot des sehr guten besuchten Café Femm beeindruckt. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Weseler Straße zu einer Brautmodenmeile entwickelt, in der sich exklusive Brautmodengeschäfte aneinanderreihen und Besucher auch aus dem angrenzenden Ausland anzieht. Claus Lindner führt uns in eines der Geschäfte, in dem wir willkommen sind und uns einen Überblick über das auf zwei Etagen verteilte Angebot verschaffen. 
In der Gesamtbetrachtung hat sich die Geschäftswelt in der Umgebung des Pollmannkreuzes in den vergangenen 50 Jahren dem veränderten Klientel angepasst und neu erfunden. Ladenlokale sind ansprechend hergerichtet und scheinen wirtschaftlich gesund zu sein. Mitarbeiter der Geschäfte wirken auf uns aufgeschlossen, freundlich, entspannt. Auf Krisen hinweisende Leerstände sind nicht zu sehen. 

Von der Weseler Straße zweigen wir nach Westen in das Brennpunkt-Viertel Hagedornstraße, Henriettenstraße, Rolfstraße, Wolfstraße ab, in dem vor allem Migranten aus Bulgarien und Rumänien wohnen. Einige Häuser sehen ziemlich abgewrackt aus, andere Häuser dagegen recht ordentlich. In diesem Viertel bemüht sich die Stadt um Herstellung lebenswürdiger Verhältnisse. In Medien oft beschriebene Ablagerungen von Müll oder Auswirkungen von Vandalismus sehen wir nicht. Auf Straßen anzutreffende Bewohner wirken entspannt. Sie begegnen uns freundlich oder beobachten uns nur unauffällig, aber nie feindlich.
 
Städtische Katholische Grundschule Henriettenstraße 25 Städtische Katholische Grundschule Henriettenstraße 25 Städtische Katholische Grundschule Henriettenstraße 25
 
An der Städtischen Katholischen Grundschule Henriettenstraße halten wir uns länger auf. Hier wurden die Frau des Autors und ihre Schwestern eingeschult. In der Gegenwart beginnen mehr als 50 % der Kinder ihre Schullaufbahn ohne Deutschkenntnisse. Vom Verein ziuma geförderte Projekte entlasten Lehrkräfte durch Förderprogramme zur Entwicklung von Sprachkompetenz. Der Schulbetrieb ist heute bereits beendet. Mit Claus Lindner besuchen wir das Foyer der Schule und sprechen kurz mit Mitarbeiterinnen der Schule, die uns wie überall in Marxloh freundlich begegnen.

Der Rundgang in Marxloh zeigt ein hoch dynamisches Viertel, das zahlreiche Chancen eröffnet, die von hier lebenden Menschen wahrgenommen werden. Gleichzeitig verdichten sich in Marxloh auch Armutsrisiken, die Betreuung und Förderung, aber auch Kontrollen erfordern, um einerseits Verwahrlosung und Kriminalität zu verhindern und andererseits Perspektiven zu ermöglichen. Diesen schwierigen Spagat musste die Stadt sicherlich erst lernen und muss ihn in Anbetracht der Dynamik des Viertels auch weiter trainieren, damit er gelingt.
 
Luftperspektive Gewerbe-Quartier Friedrich-Park, Hochöfen Schwelgern, Alsumer Berg Gelände Friedrich Thyssen 2/5, Hochöfen Schwelgern Gelände der ehemaligen Zeche Friedrich Thyssen 2/5 nach Süden, links St. Peter

 
Die Führung klingt im historischen Arbeiterwohnviertel im nördlichen Marxloh aus. Die Schmelzerstraße (s.o.) mündet in ein Gelände, auf dem sich die Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5 befand und heute eine Brache ist. Oberirdische Gebäude sind vollständig zurückgebaut. Unterirdische Spuren der Schachtanlage lassen sich nicht rückstandsfrei beseitigen und erlegen Nachfolgegenerationen als Ewigkeitslasten bezeichnete kostspielige Sanierungsaufgaben und dauerhafte Folgekosten auf. Laut Planung entsteht in dem Gelände ein von einer Parklandschaft umgebener qualitativ hochwertiger Gewerbepark mit der Bezeichnung Gewerbe-Quartier Friedrich-Park. Bisher besteht lediglich eine 2023 eröffnete verkehrstechnische Anbindung. Wann und wie das Projekt im Detail Fahrt aufnimmt, ist nicht zu ermitteln.
 
DiTiB Merkez Moschee in Marxloh DiTiB Merkez Moschee in Marxloh DiTiB Merkez Moschee in Marxloh DiTiB Merkez Moschee in Marxloh

In unmittelbarer Nachbarschaft des Geländes befindet sich die im traditionellen osmanischen Stil als Kuppelgebäude mit Minarett gebaute, 2008 eröffnete DITIB-Merkez-Moschee, die als Zentralmoschee und als Kulturzentrum genutzt wird (Portal Duisburg: Merkez Moschee – DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte). EU und das Land NRW förderten den Bau mit 3,4 Millionen Euro. Im Zeitraum nach der Eröffnung ausgetragene Konflikte scheinen inzwischen beigelegt zu sein. Bei unserem Eintreffen am Nachmittag hat das traditionelle Freitaggebet bereits stattgefunden. Wir sind die einzigen Besucher und können uns ungestört umschauen, den Gebetsraum allerdings nur ohne Schuhe. 
 
In großen mittelalterlichen Kirchen sind Kirchengebäude geostet, d.h. Chor und Hauptaltar sind nach Osten ausgerichtet und Gläubige beten in Richtung Osten. Auch der Koran schreibt eine Gebetsrichtung vor, die Qibla zur Kaaba in Mekka, dem höchsten islamischem Heiligtum. In Zentralbauten von Moscheen geben Markierungen auf dem mit Teppichboden ausgelegten Moscheen die Gebetsrichtung vor.

Der Gebetsraum ist für 800 Gläubige ausgelegt. 400 weitere Gläubige finden auf der Empore Platz. Auf einen Gebetsruf durch einen Muezzin wird außerhalb des Gebäudes verzichtet. Das Bildungszentrum leistet praktische Integrationsarbeit mit Alphabetisierungs-, Deutschkursen und Hilfestellungen im Umgang mit Behörden. Angebote werden insbesondere auch von Migranten aus Bulgarien und Rumänien wahrgenommen. 

 
5. Station: Dinner im Restaurant Hanzade - Fotoserie
 
Vorspeisenvariationen im Restaurant Hanzada Salatteller im Restaurant Hanzade Lammkottelets im Restaurant Hanzade

Claus Lindner begleitet uns bis zum türkischen Restaurant Hanzade (Türkisch für Tochter des Herrschers), an dem wir uns verabschieden, weil unser Guide gleich in den Urlaub aufbricht und die Frau schon wartet. Das Ende 2022 auf der Weseler Straße in Räumen eines ehemaligen Kinos eröffnete Restaurant inszeniert sich als Edelrestaurant und bietet gehobene mediterrane Küche. Der Inhaber beabsichtigt, Marxloh neben Brautmoden auch gastronomisch an die Spitze zu führen.

Das Restaurant möchte bereits mit seiner Einrichtung beeindrucken. Für unseren Geschmack dürfte Bling Bling gerne dezenter ausfallen. Die Wahrheit liegt ohnehin auf dem Teller und sie enttäuscht nicht. Das Preisniveau ist für die gebotene Qualität eher moderat und der Service gefällt ebenfalls. Für die meisten Einwohner in Marxloh ist die Preisschwelle vermutlich schwer zu überwinden. In dem großen Raum sind nur wenige Tische besetzt.

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