Dienstag, 7. April 2020

Corona-shutdown Q1/2020, Teil 1: Total normal in der besten aller Welten

3D Medical Animation Coronavirus Structure
Das ganze Leben ist ein Quiz
Und wir sind nur die Kandidaten
Das ganze Leben ist ein Quiz
Ja, und wir raten, raten, raten

Die vom Virus SARS-CoV-2 ausgelöste COVID-19-Pandemie beschäftigt aktuell die Welt. Dieser Post ist der 1. Teil einer Post-Serie über den Ausbruch der Corona-Pandemie ab Jahresbeginn bis April 2020. Auf Basis bis April 2020 vorliegender Informationen fragt der Post nach Ursachen des Auftretens jüngster Pandemien und setzt sich kritisch mit Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auseinander. Öffentlich verfügbare Informationen ergänzt der Post mit eigenen Beobachtungen und Wertungen.

Als Snapshot der Corona-Krise ist dieser Post zum Zeitpunkt März/April 2020 als eine vorläufige strukturierte Sammlung von Ideen, Annahmen und Sachverhalten zum Verständnis komplexer Prozesse zu verstehen. Den dokumentierten Stand des Wissens und des Geschehens dürften neue Erkenntnisse und Prozesse bald überholen. Auf Entwicklungen werden weitere Posts eingehen.


Corona-shutdown Q1/2020, Teil 2
Teil 2 betrachtet mit der 'Soziologenbrille' in 3 Kapiteln den Ausbruch der COVID-19-Pandemie (Corona-Pandemie) im Kontext internationaler Politik und geht der Frage nach, ob sich Muster identifizieren lassen, die Zusammenhänge zwischen Gesellschaftssystemen, Strategien der Pandemiebekämpfung und Reaktionen der Bevölkerung verweisen: Corona-shutdown Q1/2020, Teil 2: Erst globales Versagen, dann globales Krisenmanagement





Corona-shutdown Q1/2020, Teil 3
Teil 3 betrachtet die Ausbreitung der Pandemie in Deutschland bzw. den Umgang von Politik, öffentlichen Institutionen und Bevölkerung mit der Corona-Krise und wagt einen Ausblick auf die weitere Entwicklung: Corona-shutdown Q1/2020, Teil 3: Die Ausbreitung der Pandemie in Deutschland, Ausblick und einige Fragen grundsätzlicher Art







Informationsquellen, Datenportale & Datenreihen
In einem separaten Post sind Übersichten zu fortlaufend aktualisierten Informationsquellen und Datenportalen aufgeführt sowie selbst zusammengestellte vergleichende Datenreihen der Entwicklung dokumentiert: Informationsquellen, Datenportale & Datenreihen zur Corona-Pandemie







Einleitung
Ungeachtet unsicherer empirischer Daten, die im frühen Stadium dynamischer Entwicklungen nur wenige belastbare Aussagen erlauben, publizieren Medien täglich auf Ereignisse fokussierte vermeintliche Fakten und Stories mehr oder weniger isoliert. Dieser Post will keine bekannten Sachverhalte wiederholen und keine Nacherzählungen kursierender Narrative bieten. Im Unterschied zum kurzfristigen Fokus medialer Berichterstattung, der zu verzerrter Wahrnehmung verleitet, schaut dieser Post auf langfristige Prozesse, mit denen sich die Corona-Pandemie ausbreitet.

Um komplexe Sachverhalte wirkungsvoll zu bekämpfen, muss man sie verstehen. Verständnis erfordert Analyse, die Objekte und Sachverhalte in ihre Bestandteile zerlegt, damit Baupläne, Funktionen von Elementen und Prinzipien ihres Zusammenwirkens nachvollziehbar werden. Analyse und Bekämpfung von Virusinfektionen sind interdisziplinäre Expertenaufgaben.
  • Fragen zum Verständnis von Virusinfektionen und ihre Auswirkungen auf Stoffwechselprozesse richten sich an Virologen
  • Pharmakologen erforschen in Infektionsprozesse eingreifende Mittel. 
  • Ausbreitungen von Virusinfektionen in Populationen untersuchen Epidemiologen
  • Entgleisungen von Stoffwechselprozessen und Maßnahmen zur Wiederherstellung von Gleichgewichten des Stoffwechsels erfordern Expertise von Medizinern. 
  • Politiker sind auf der Grundlage von Normen und Werten verantwortlich und rechenschaftspflichtig für eine transparente Entwicklung von Wirtschafts- und Sozialstrukturen, für sozialen Frieden stiftende Balance zwischen kollektiv sozialen und ökonomischen Interessen bzw. für Erhalt und Wiederherstellung ihrer Gleichgewichte im Fall von Störungen, für Qualität und faire Verteilungen von Gemeingütern, für den Schutz von Persönlichkeitsrechten.
Erklärungs- und Handlungsbedarf beschränkt sich üblicherweise auf die genannten Felder und Kompetenzen. Abgesehen von Epidemiologen sind Soziologen selten aufgefordert, komplexe Zusammenhänge im sozialen Raum aufzuklären, obwohl diese Fragestellungen Domänen der Soziologie tangieren und Politiker selten mit soziologischer Expertise auffallen.(1) Dass politische Krisenplanung bisher auf eine Beteiligung von Psychologen verzichtet, wirft weitere Fragen auf. Warum sind Auswirkungen der Krise auf die psychische Verfassung von Menschen kein To-do auf der Agenda der Krisenplanung? 

Solange Prozesse zwischen sozialstrukturellen Bedingungen einerseits und dem Verhalten von Individuen, Kollektiven und Organisationen andererseits unauffällig stattfinden, befinden sie sich in relativ stabiler Balance. Die Corona-Pandemie stört oder zerstört Balancen und erzwingt Reaktionen seitens der an sozialen Prozessen Beteiligten. Reaktionen wirken als Rückkopplung auf soziale Prozesse ein. Im Kontext der Corona-Pandemie auftretende Störeinflüsse erzeugen soziale Dynamiken, die zur Beobachtung und zur Beschreibung von Beobachtungen im Rahmen dieses Posts motivieren.

Während Wissenschaften über Modelle und Deutungen gerne streiten, fällt dem Alltagsdenken eine Trennung zwischen wissenschaftlichen Aussagen und individueller Wahrnehmung schwer. Alltagsdenken vertraut ebenso eigener Wahrnehmung wie unbewussten eigenen Vorurteilen und deutet eigene Beobachtungen als vermeintlich objektive Wahrheiten.(2) Dass selbst Spitzenpolitiker nicht vor subjektiven Wahrnehmungsverzerrungen geschützt sind, führt US-Präsident Trump mit zuverlässiger Regelmäßigkeit vor.


1 Total Normal
In grauer Vorzeit, ehe sich Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommerziellen Privatsendern angepasst hatten, liefen intelligente Comedyserien zur besten Sendezeit. Running Gag in Hape Kerkelings Quizparodie Total normal (1989-1991) war der Song Das ganze Leben ist ein Quiz, der es bis in die Top Ten der deutschen Charts schaffte. In den vergangenen 40 Jahren haben sich nicht nur Programme, Formate und Technik des Fernsehens und Sehgewohnheiten der Zuschauer drastisch verändert, sondern die Welt insgesamt. Ältere Generationen sind Teilnehmer oder Beobachter zahlreicher umfassender globaler Prozesse und Ereignisse, deren Auswirkungen nicht immer offenkundig sind und die uns deutlich machen, dass Menschen keine Herrscher über die Natur sind.

Auslöser, Zeitpunkt des Auftretens und Größenordnung der Gefahr waren bezüglich der aktuellen Pandemie nicht im Detail vorhersehbar. Experten waren sich jedoch weltweit einig, dass Pandemien zu erwarten sind und mit ihnen unbeherrschbare Risiken auftreten können. Bei der Ausbreitung der Corona-Pandemie zeigen sich nur wenige Länder in Asien gut vorbereitet (Südkorea, Singapur, Taiwan, Vietnam). OECD-Länder und G20-Staaten vertrauen auf die Leistungsfähigkeit ihrer Gesundheitssysteme. Der Ernstfall belehrt sie eines Besseren. Die meisten Entwicklungsländer sind gegenüber der Gefahr ohnmächtig.


1.1 Warum treten in jüngster Zeit zunehmend globale Virus-Pandemien auf?
Nach HIV und parallel zu schweren viralen infektiösen Fiebererkrankungen in tropischen Regionen (Dengue-Virus, Ebolafieber, Gelbfieber, Lassafieber, Marburgfieber, Zikafieber etc.) sind auch gemäßigte Zonen von durch Viren verursachte und oft tödlich verlaufenden Erkrankungen betroffen, z.B. Hantavirus-Infektion, West-Nil-Fieber, Noroviren-Infektion und andere Virusinfektionen, unter denen seit der Urbanisierung im 19./20. Jahrhundert insbesondere Influenza-Pandemien dominieren. Im kollektiven Gedächtnis ist die Spanische Grippe verankert, die von 1918-1920 weltweit ca. 50 Millionen Todesopfer unter der damaligen Weltbevölkerung von 1,65 Milliarden Menschen forderte, was einer Letalitätsrate von 3% entspricht. Neben der in immer wieder neuen Varianten auftretenden Geflügelpest (Vogelgrippe) treten in den beiden letzten Jahrzehnten gefährliche Atemwegserkrankungen auf, die Coronaviren des Typs SARS-CoV-1, MERS-CoV, SARS-CoV-2 verursachen(3).

Alle genannten Virentypen werden von Primaten, Fledermäusen, Flughunden oder anderen Säugetierarten und teilweise von Vögeln (evtl. über Zwischenwirte) auf Menschen übertragen. Epidemien und Pandemien drohen erst dann, wenn nach der Übertragung von Viren auf Menschen diese Viren von Mensch zu Mensch verbreitet werden. Aktuell verbreitet sich weltweit das Virus SARS-CoV-2 mit der COVID-19-Pandemie.(4,5,6) In vielen Ländern der Erde ist aufgrund der Pandemie das öffentliche Leben weitgehend zum Stillstand gekommen. Wo das noch nicht der Fall ist, wird diese Entwicklung zeitlich verzögert bald eintreten. Fallzahlen und Todesfälle wachsen derzeit rasant.(7,8,9) Wir können uns relativ sicher sein, dass die COVID-19-Pandemie kein Schlussakkord einer ausklingenden Entwicklung ist, sondern dass uns schon bald neue Viren-Typen bedrohen werden.(10) Alarmierende Berichte kompetenter Umweltschutz-Organisationen werden ignoriert.(11)


1.1.1 Virus-Pandemien sind (nicht nur, aber auch) unbeabsichtigte Folgen zweckbestimmter Handlungen
Die Verbreitung dieser Viren beruht nicht auf Zufällen, sondern auf Veränderungen in ökologischen Systemen. Bedingungen der Verbreitung hat die Menschheit in vergangenen Jahrzehnten durch hemmungslose Ausbeutung der Natur und Zerstörung ökologischer Gleichgewichte selbst hergestellt. Der desaströse Zustand der Natur ist Menschenwerk. Diese Aussage können nur Ignoranten bestreiten.

Auf die Frage, welcher Art die Fehler sind oder wie sich drohende Katastrophen abwenden lassen, gibt es keine einfachen Antworten und aufgrund divergierender Interessen erst recht keinen Konsens.(12) Globale Zusammenhänge sind nicht kausal mit wenigen Variablen zu beschreiben, sondern als langfristige komplexe Prozesse aufzufassen, in denen unüberschaubare Mengen von Faktoren sich in Wechselwirkungen gegenseitig beeinflussen und nicht vorhersehbare Effekte auslösen. Über Zusammensetzungen und Gewichtungen von Faktorenbündeln und über Simulationsmodelle kann man in der Tat unterschiedlicher Meinung sein. Darum folgen aus übereinstimmenden Diagnosen keine gemeinsamen Strategien. Wir machen weiter wie bisher und steuern sehenden Auges dem Untergang entgegen. Von Menschen verursachte globale Veränderungen provozieren u.a. in relativ kurzen zeitlichen Abständen gefährliche  Virus-Pandemien als Randeffekte. Solange nicht Bedingungen des Entstehens verändert werden, lassen sich unter günstigen Umständen bestenfalls Symptome kontrollieren. Aber auch das gelingt längst nicht immer, wie gerade COVID-19 lehrt.

Für Soziologen nicht überraschend sind Bedingungen komplexer zweckbestimmter Handlungen nicht vollständig überschaubar, sodass mit zweckbestimmten Handlungen Risiken unbeabsichtigter Folgen auftreten.(13) Mit zunehmendem Komplexitätsgrad von Handlungen wachsen Dimensionen ihrer Folgen. Bedeutende Innovationen und massive Eingriffe in die Natur sind niemals frei von unerwarteten Folgen, die nicht prinzipiell negativ sein müssen, aber meistens unerwünschte Überraschungen enthalten.

Solange Ausbeutungen natürlicher Ressourcen in regional begrenztem Umfang erfolgen, sind ihre Auswirkungen auf Ökosysteme ebenfalls begrenzt und über längere Zeiträume eher unschädlich. Wenn in großer Anzahl parallel an verschiedenen Plätzen massive Ausbeutungen stattfinden, entstehen jedoch kumulierende Effekte, die globale Ökosysteme nicht umkehrbar verändern können und Rückkopplungen in Gang setzen, die als Kaskadeneffekte Änderungen in anderen Subsystemen auslösen. In globalen Zusammenhängen sind derartige Effekte nicht beabsichtigt und zumindest im Detail nicht vorhersehbar. Sie treten auf, wenn Ausbeutungsprozesse Dimensionen erreichen, durch die Kipppunkte überschritten werden, an denen lineare Prozesse abbrechen oder die Richtung wechseln. Im worst case sind weite Teile der globalen Population oder die gesamte Menschheit selbst dann bedroht, wenn Menschen relativ weit entfernt von Schauplätzen der Umweltzerstörung leben. Vor dieser Situation stehen wir.(14,15)

Beschriebene Zusammenhänge kann man ignorieren oder auch abstreiten, wenn sie eigenen Interessen im Wege stehen. Sie lassen sich nämlich, wie auch die Klimakrise, nicht mit empirischen Daten wissenschaftlich beweisen. Wer ethisch-soziale Verantwortung als Pflicht auffasst, lässt sich auch ohne wissenschaftliche Beweise von offenkundigen Sachverhalten und rational vernünftigen Argumenten überzeugen und nimmt Restrisiken von Irrtümern billigend in Kauf.


1.1.2 Wer ist Verursacher und wer sind die Beschuldigten?
Wenn auch nicht unbedingt als unmittelbar Beteiligte haben Menschen unserer Generation und insbesondere Menschen der G20-Länder zu globalen Entwicklungen im Zeitraum ab ca. 1950 direkt oder indirekt beigetragen. In der Rückschau hat die Nachkriegsgeneration der (Baby-) Boomer, zu der wir zählen, in Westeuropa eine glückliche Zeit des Friedens erlebt, in der sie zu relativem Wohlstand gelangt ist, ein Leben mit vielen Freiheiten führen konnte und ein hohes Niveau der Lebensqualität erreichte. Wirtschaftliches Wachstum ermöglichte Wohlstand, zu dem fast jeder von uns Beiträge geleistet hat, weil trotz unterschiedlicher Startbedingungen prinzipiell jeder im Rahmen persönlicher Kompetenzen und Motivationen teilnehmen konnte, sofern er dazu in der Lage war. Da Wohlstand keinen Preis zu kennen schien, lebte unsere Generation gemäß hedonistischer Überzeugungen und neutestamentarischer Empfehlung nach der Devise: Lebe heute! Sorge dich nicht um morgen. Der nächste Tag wird für sich selber sorgen! (Matthäus 6:34)

Global unbedeutende individuelle Beiträge verdichten sich bei massivem Auftreten über Zeit zu  Kompositionseffekten, die von Akteuren nicht beabsichtigte qualitativ neue Zustände herstellen. In der Gegenwart zeigt sich, dass die Generation der 'Boomer'
  • seit Jahrzehnten auf Kosten der Zukunft und nachfolgender Generationen wirtschaftete und lebte, 
  • das globale Klima in Richtung Katastrophe navigierte, 
  • mit noch nicht vollständig zu überschauenden Folgen die Weltmeere zur Kloake machte,
  • mit der Ausbeutung von Natur einen dramatischen Verlust der Biodiversität initiierte, durch den der ökologische Zustand der Welt aus dem Gleichgewicht gerät, die Verbreitung von Krankheitserregern gefördert wird und letztlich die Menschheit insgesamt in Gefahr gerät,
  • mit der ökonomisch motivierten Strategie der Globalisierung den Weg für globale Pandemien bereitete.
In sozialen Netzwerken kursiert inzwischen für den COVID-19-Virus der zynische Name „boomer remover“. Da insbesondere ältere Menschen zu Risikogruppen zählen und die Mortalität dieser Altersgruppe hoch ist, wird angenommen, dass die Pandemie einer zunehmenden Überalterung westlicher Kulturen und damit dem Kollaps von Sozialversorgungssystemen entgegen wirken könne. In den USA wird diese Haltung als Revanche an Generationen diskutiert, die das Opfer junger Menschen in Kriegseinsätzen zum Vorteil des älteren Establishments in Kauf genommen haben.(16)

Unstrittig ist, dass zu Lebzeiten der Boomer-Generation die Zerstörung globaler Ökosysteme und der Verbrauch endlicher Ressourcen zunahmen. Weniger eindeutig ist, dass Kollateralschäden in ihren Auswirkungen frühzeitig absehbar waren und ignoriert wurden. Die Behauptung, dass eine Mehrheit der Menschen oder sogar die gesamten Boomer-Kohorte über Kollateralschäden im Bilde war und diese Schäden billigend in Kauf genommen wurden, ist ein Beispiel für alternative Fakten. Schließlich ist es die Boomer-Generation, die Probleme der Zerstörung globaler Ökosysteme und des Verbrauchs endlicher Ressourcen nicht nur erkannt hat, sondern auch als moralisches Prinzip nachhaltigen Wirtschaftens einfordert.

Schuldzuweisungen in Richtung Boomer-Generation beruhen auf stark versimpelnder Denkweise, bei der mit dem Übergang von kalten zu heißen Kulturen entstehende komplexe Prozesse der Erhitzung kalter Kulturen sowie die Problematik schutzbedürftiger öffentlicher Güter unverstanden bleiben.(17) Die zynische Metaphorik „boomer remover“ weist zudem in die falsche Richtung. Das Mantra des Wirtschaftswachstums als ultimative Quelle von Lebensqualität ist keine Generationenfrage, sondern eine Erfindung derjenigen, die im Zentrum ökonomischer Macht die Politik von Regierungen zu ihrem persönlichen Nutzen instrumentalisieren, um in ethisch nicht zu rechtfertigender Art und Weise vom Wirtschaftswachstum zu profitieren, ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl zu nehmen. Diese Haltung ist ebenso wie Wachstumskritiker und Vertreter der Degrowth-Bewegung in jeder Generation zu finden. Richtig ist jedoch, dass die aufgrund ihres Lebensalters am längsten von der Entwicklung betroffene Generation nicht zu den Verursachern zählt und aus diesem Sachverhalt ein nicht lösbares Gerechtigkeitsproblem entstanden ist.


1.2 Influenza-Paradox
In Anbetracht der Corona-Pandemie gerät die aktuelle Influenza-Epidemie außerhalb des Radars, obwohl das Robert Koch-Institut im Wochenbericht zur KW 11/2020 beeindruckende Zahlen meldet: "Seit der 40. KW 2019 wurden insgesamt 165.036 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle an das RKI übermittelt. Bei 23.646 ( 14 %) Fällen wurde angegeben, dass die Patienten hospitalisiert waren. (…) Seit der 40. KW 2019 wurden insgesamt 265 Todesfälle mit Influenzavirusinfektion übermittelt. Die Grippewelle hat in Deutschland in der 2. KW 2020 begonnen und hält seitdem an.“(18) Da nur eine Auswahl von Arztpraxen Influenzafälle an das RKI meldet, liegt die Zahl der tatsächlichen Fälle deutlich höher. (Vergleichende Datenreihen dokumentiert der Post Datenreihen zur Entwicklung der Corona-Pandemie.)

Beim Blick auf die Zahlen melden sich Fragen:
  • Warum ist die Influenza-Problematik völlig von der Corona-Thematik verdrängt worden, obwohl die aktuelle Grippewelle keineswegs harmlos verläuft und auch COVID-19 als Influenza-Variante einzuordnen ist? 
  • Warum lassen sich nur ca. 35 % der Personen von Risikogruppen regelmäßig impfen bzw. warum verzichten noch immer zahlreiche Menschen auf den Schutz einer Grippeimpfung? Eine heterogene Gruppe von Impfgegnern macht aus religiösen, verschwörungstheoretischen oder esoterischen Gründen generelle Vorbehalte gegen Impfungen geltend. 
  • Setzt sich möglicherweise eine von Experten nur rudimentär einzuordnende und von der Öffentlichkeit missverstandene Entwicklung im Kontext der Schweingrippe (Pandemie H1N1 2009/2010) bis in die Gegenwart weiter fort (scinexx: Influenza: Alter Freind in neuem Gewand)? Ein Interview mit dem Virologen Christian Drosten legt den Vedacht nahe (NDR Podcast-Script 42, PDF): Bei der Schweinegrippe kam alles anders).
  • Antworten im eigenen Erfahrungshorizont sind nicht repräsentativ, aber sie zeigen Tendenzen und verweisen auf Informationsdefizite oder auf Ignoranz (scinexx: Streit ums Impfen):
    • Ohne über belastbare Daten zu verfügen und allein auf der Basis von Vermutungen oder aufgrund nicht verallgemeinerungsfähiger Einzelfälle schätzen einige persönlich bekannte Personen fälschlicherweise das Impfrisiko höher ein als das Influenzarisiko.
    • Andere Personen halten Grippeimpfungen fälschlicherweise für nutzlos, weil Impfseren nicht für sämtliche Influenzavirentypen designt sind.
    • Personen einer weiteren Gruppe nehmen aufgrund von Erfahrungen der Vergangenheit an, dass sie keine schwere Grippe bekommen würden, weil sie bisher nicht betroffen waren. Dabei verkennen sie, dass
      • aufgrund der hohen Mutationsrate von Influenzaviren immer wieder neue Virentypen kursieren, deren Dynamik und Gefährdungspotential nicht vorhersehbar sind,
      • Erfahrungen der Vergangenheit keine Aussagen über die Zukunft erlauben,
      • niemand die Zukunft kennt,
      • das eigene Verhalten irrational ist.
2 Welche Welt ist die beste aller möglichen Welten?
Kapitel 2 wirft zunächst einen eher flüchtigen Blick auf konkurrierende politische und wirtschaftliche Ordnungssysteme. Der Frage, ob und ggf. welchen Einfluss unterschiedliche Gesellschaftssysteme auf Strategien der Pandemie-Bekämpfung ausüben, geht Kapitel 5 nach.

Mit dem Erwachen der Aufklärung in Europa verlor absolute Herrschaft ihre Legitimation. Die bereits in der politischen Philosophie der Antike diskutierte Frage nach der besten aller möglichen Welten setzte Philosophie der Aufklärung erneut auf die Agenda. Wie nicht anders zu erwarten, wurden miteinander konkurrierende Antworten gefunden, die politische Praxis gestaltend beeinflussten und in Politik der Gegenwart noch durchscheinen.


2.1 Antworten neuzeitlicher politischer Philosophie auf Fragen nach der besten aller Welten
Der rationalistische Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) war als Vordenker der Aufklärung kein frommer Mann im Sinn der Kirche. Viele Aufklärer wendeten sich von religiösen Traditionen ab, ohne sich als Atheisten zu verstehen. Leibniz glaubte als Kulturoptimist an die Versöhnung von Vernunft mit göttlicher Offenbarung. In Anbetracht offenkundiger Übel der Welt suchte Leibniz eine Antwort auf die Frage, wie ein allmächtiger, allwissender und allgütiger Gott diese Übel zulassen konnte. Leibniz' Antwort lautete, dass das Gute nur zum Preis des Übels existieren könne. Die wirkliche Welt sei nicht perfekt, aber der Fortschritt menschlicher Vernunft könne alle Übel überwinden. Gott habe die beste unter allen möglichen Welten geschaffen und Menschen mit Vernunft ausgestattet, um ihnen aufzutragen, die Welt zu verbessern.

Der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire (1694-1778) war einer der schärfsten Kirchenkritiker der Aufklärung und bekannte sich wie Leibniz zum Deismus. Voltaire teilte jedoch nicht Leibniz' optimistische Weltanschauung und parodierte diese mit der Satire Candide oder der Optimismus. In der Erzählung begibt sich Candide auf die Suche nach dem Paradies. Während seiner Reise durch die Welt trifft Candide nur auf Habgier, Bosheit, Leid, Unglücke und Katastrophen. Seine Erlebnisse stimmen Candide allmählich kritischer und lassen ihn den Glauben an eine optimistische Philosophie ablegen.

Die Französischen Revolution (ab 1789) wendete sich gegen die Vorherrschaft von Religion. Sie wollte Ideen der Aufklärung in einer politischen Herrschaft der Vernunft umsetzen und verwies Religionsausübung in die Privatsphäre. Der praktizierte Laizismus setzte sich in vielen Staaten durch. Die Vernunft ging in einem Blutbad unter, von dem sie sich nie mehr vollständig erholte.

Utopien eines gerechten Sozialstaates beeinflussten Karl Marx (1818-1838) und Friedrich Engels (1820-1895). Sie propagierten eine revolutionäre Umgestaltung der bestehenden bürgerlichen Klassengesellschaft zu einer klassenlosen Gesellschaft ohne Privateigentum an Produktionsmitteln. Inhaltlich ließen sie das Ziel einer gerechten Weltordnung vage. In der politischen Praxis scheiterte die Herstellung des Kommunismus krachend.

Als Gegenprogramm zum totalitären Sozialismus entwickelte sich der politische Liberalismus und aus diesem der Wirtschaftsliberalismus, gemäß dem die unsichtbare Hand des Marktes spontane Ordnung herstellt, indem sie Interessen von Individuen und Gesellschaft harmonisiert. Wenn Güter und Dienstleistungen gemäß liberalistischer Ideen ohne politische Reglementierung des Staats frei ausgetauscht werden, erzeugen individuelle Freiheit und Verantwortlichkeit als Handlungsprinzipien aufgrund individueller Nutzenerwägungen einen von Angebot und Nachfrage justierten Markt, der als nicht intendierter Effekt maximale persönliche Wohlfahrt quasi zwangsläufig herstellt.

Neoliberalismus antwortet auf den Zerfall des traditionellen kapitalistischen Gesellschaftssystems, indem er individuelles und staatliches Interesse als kongruent erklärt und damit die Trennung zwischen Staat und Bürger aufhebt. Bürger sind für das eigene Wohlergehen selbst verantwortlich und als politisches Subjekt darüber hinaus für die soziale Ordnung.


2.2 Politische Kulturen der Gegenwart
Bei allen Unterschieden im DetaiI lassen sich in der Gegenwart 2 dominierende Hauptmodelle politischer Ordnungen identifizieren, die keine modernen Erfindungen darstellen:
  • Demokratien sind antikes Erbe.
  • Autokratien sind als Herrschaftsform älter. Sie entstanden spätestens im 4. Jahrtausend v. Chr. mit frühen Staatsbildungen in Mesopotamien.
Mit dem Niedergang des Feudalismus im 17. Jahrhundert entwickelte sich allmählich mit der aufkommenden industriellen Revolution eine Kombination traditioneller Herrschaftsformen mit der sich neu herausbildenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung des Kapitalismus, der die Steuerung von Produktion und Konsum der Marktwirtschaft überließ, ein sich selbst regulierendes dezentrales System der Wirtschaftsordnung. Die Verwandlung der Welt war im 19. Jahrhundert vollzogen.(19) Während sich Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung global ausbreitete, konkurrierte kapitalistische Markwirtschaft mit sozialistischer Marktwirtschaft, deren Wirtschaftsordnung Märkte in eine Planwirtschaft integriert.


2.2.1 Marktwirtschaftlich-kapitalistische Demokratien
Aus Relikten feudalistischer Herrschaft sowie philosophischen Ideen der Aufklärung und des Liberalismus entwickeln sich marktwirtschaftlich-kapitalistische Demokratien in verschiedenen Ausprägungen:
  • Gesellschaftssysteme mit liberalistischen Wirtschaftsordnungen, die gemäß utilitaristischer Ideen auf Staatsraison verzichten, weil partikularistisches Individualinteressen eines freien Marktes vermeintlich das größte Glück der größten Zahl realisiert und Gemeinwohl hervorbringt.
  • Gouvernementalität von Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien etc. und teilweise auch von Deutschland konserviert feudales Denken, wenn sie Politik als säkularisierte Pastoralmacht betreibt, ordnend in das Marktgeschehen eingreift und die Verbindung von Bevölkerungsinteresse und Staatsraison zum Prinzip des Regierens erklärt.
  • Sozialistisch geprägte Denkweise erkennt neben Vorteilen des Marktes auch Nachteile. Nachteile resultieren aus ungleich verteilten Startbedingungen, die Chancen und Risiken verzerren, Machtkartelle hervorbringen und soziale Ungerechtigkeiten verstärken. Da Marktprozesse auf Asymmetrien individueller Fähigkeiten keine Rücksicht nehmen, entsteht die Idee einer Sozialen Marktwirtschaft als eines staatlich kontrollierten moderaten Liberalismus. Programmatik Sozialer Marktwirtschaft verlangt die Berücksichtigung von Interessen aller Mitglieder einer Gesellschaft inkl. Interessen sozial benachteiligter Menschen.
    Die Gestaltung dieses Modells gelingt am ehesten skandinavischen Ländern mit ihrer Orientierung am sozialdemokratischen Modell des Schwedischen Wohlfahrtsstaats, der einen Weg zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus einschlägt. Im Ranking der Freedom-in-the-World-Länderliste 2019 erreichen nur die Länder Finnland, Norwegen und Schweden die volle Punktzahl von 100 Punkten. Trotz abnehmender Qualität ist dieses Modell in Deutschland stärker als in den meisten anderen Demokratien außerhalb Skandinaviens ausgeprägt.
Dynamiken marktwirtschaftlich-kapitalistischer Demokratien entfalten in ihren verschiedenen Spielarten individuelle Freiheiten und Rechte, die eine in der Breite historisch einzigartige individuelle Lebensqualität ermöglichen. Mit der vermeintlich überlegenen Leistungsfähigkeit markwirtschaftlich-kapitalistischer Demokratien entstand die Erwartung, dass sich dieses Modell mittel- bis langfristig auch in Entwicklungs- und Transformationsländern durchsetzen würde. Spätestens die Corona-Krise legt Schwächen des Marktmodells offen. Märkte versagen gegenüber Aufgaben der Krisenbewältigung. In Krisensituationen sind Regierungen gefragt. Je nach politischer Kultur nehmen Regierungen mehr oder weniger Rücksicht auf Interessen von Märkten oder auf Befinden der Bevölkerung.

Die Bertelsmann Stiftung untersucht bestehende Governance-Strukturen und veröffentlicht seit 2006 zweijährlich den Bertelsmann Transformations Index (BTI). Der BTI bewertet anhand von Indizes den Entwicklungsstand von 129 Entwicklungs- und Transformationsländern, die demokratisch und marktwirtschaftlich als nicht konsolidiert gelten, auf dem Weg zur rechtsstaatlichen Demokratie und zur sozialpolitisch gestützten Marktwirtschaft. Die Indexwerte werden zu einem Gesamtwert (Status-Index) im Intervall von 10 (max. hoch) und 0 (max. niedrig) aggregiert und als Ranking dargestellt (Ranking Status Index 2017, Länderübersicht in Karten-Darstellung). Die Stiftung und die Methode ihres Länder-Rankings sind nicht frei von Kritik, aber die Systematik der Untersuchung eignet sich zum Verständnis von Strukturen globaler Entwicklungen.(20,21)

Der BTI weist für 2017 insgesamt 102 von 129 Staaten hinsichtlich ihrer politischen Transformation als mehr oder weniger demokratisch aus und bildet über den aggregierten Wert der Indizes politischer Transformation 3 Gruppen:
  • 19 Staaten sind als sich konsolidierende Demokratie bewertet
  • 43 Staaten sind als defekte Demokratie ausgewiesen, davon in Europa: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Ukraine, Ungarn
  • 10 Staaten gelten als stark defekte Demokratien, davon in Europa: Türkei

2.2.2 Marktwirtschaftlich-kapitalistische und -sozialistische Autokratien
Formen absoluter Herrschaft bestehen auch in der aktuellen politischen Realität der Gegenwart. Alternativ zu marktwirtschaftlich-kapitalistischen Demokratien bilden sich als Prinzip staatlicher Ordnung zunehmend kapitalistische Autokratien heraus. Für 2017 weist der BTI insgesamt 57 Autokratien in 2 Qualitäten aus:
  • 17 gemäßigte Autokratien nutzen zu ihrer Maskierung pseudo-demokratische Legitimationsverfahren und faktisch machtlose Staatsorgane.
  • 40 harte Autokratien (7 mehr als 2016) herrschen diktatorisch und verzichten auf Verfahren demokratischer Legitimierung. Teilweise berufen sie sich auf spezielle Legitimationen:
    • Autokratien fundamental-islamistischer Staaten verstehen sich theokratisch legitimiert.
    • Politische Systeme von China, Nordkorea, Vietnam, Laos beanspruchen Legitimation gemäß sozialistischer Ideologie.

2.2.3 Aussagen des BTI zu Trends der politischen Entwicklung
Seit Mitte 2000 ist ein schleichender Rückgang der Qualität rechtsstaatlicher Prinzipien und der Partizipation der Bevölkerung an politischer Willensbildung festzustellen.
  • Insbesondere in Ländern Ost- und Südosteuropas sowie Lateinamerikas sind die Wahlqualität, Meinungs- und Pressefreiheit, Gewaltenteilung und Bürgerrechte stärker eingeschränkt worden. 
  • Die politische Ausrichtung von Demokratien driftet in Richtung Autokratien. 
  • Selbst in gefestigten Demokratien wie Ungarn und Polen bestehen autoritäre Tendenzen. Der Einfluss religiöser Elemente verstärkt sich.  
  • Innerhalb von Autokratien nehmen 'harte Diktaturen' zu. 
  • Global betrachtet nimmt zwar der Wohlstand tendenziell zu und absolute Armut geht zurück, aber Ungleichheit und soziale Ausgrenzung wachsen.

2.2.4 Kapitalismus und Lebensqualität
Die Erwartung, dass sich das marktwirtschaftlich-kapitalistische Gesellschaftssystem global durchsetzen würde, mag auch auf eurozentrischen Vorurteilen beruhen. Von größer Bedeutung ist jedoch die Entwicklung der persönlichen Wohlfahrt einer breiten Bevölkerungsschicht über die vergangenen 200 Jahre.

Vor 1800 erreichten nur soziale Eliten eine Lebenserwartung von mehr als 40 Jahren. Um 1820 lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa bei 36 Jahren.(22) Mit der Industrialisierung stieg die Lebenserwartung kontinuierlich um mehr als 40 Jahre an. Armut und Hunger sind als Massenphänomen eliminiert. Jeder kommt in den Genuss von Bildung, rechtsstaatlichem Schutz und gesundheitlicher Versorgung. Einkünfte übersteigen selbst in unteren Einkommensklassen den unmittelbaren Lebensbedarf. Soziale Sicherungssysteme fangen Menschen auf, die nicht in ausreichendem Umfang selbst für sich sorgen können. Kein anderes Gesellschaftssystem konnte eine vergleichbare Entwicklung der persönlichen Wohlfahrt realisieren. Die Zunahme an individueller Lebensqualität verschaffte dem marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaftssystem unter allen konkurrierenden Gesellschaftssystemen eine herausragende Stellung.

Die Zunahme an individueller Lebensqualität ist absolut zu begrüßen. Auf der Makroebene resultiert aus zunehmender Lebensqualität als nicht beabsichtigte Folge die Entwicklung des Bevölkerungswachstums, aus der sich Kaskaden weiterer nicht beabsichtigter globaler Folgen entwickeln, die die Menschheit insgesamt bedrohen.(23) Mittlerweile zeichnet sich ab, dass
  • Grenzen des Wachstums erreicht sind, 
  • Ökosysteme aus der Balance geraten, 
  • Wohlstand reicher Länder auf Kosten armer Länder prosperiert, 
  • die Ausgrenzung armer Länder von der Wohlstandentwicklung ethisch nicht zu rechtfertigen ist, 
  • soziale Ungleichheit auch in reichen Ländern zunimmt, 
  • soziale Ungleichheit zur Bildung von Machtkartellen führt, die nach ihren eigenen Regeln leben,
  • das marktwirtschaftlich-kapitalistische Gesellschaftssystem in eine Krise geraten ist,
  • die Krisensituation das Wachstum autokratischer Strukturen begünstigt. 
Die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie kann als eine nicht beabsichtigte Folge dieser Entwicklungen verstanden werden.


2.2.5 Menschliche Kultur und Ausbreitung von Krankheiten
Mit dem Bevölkerungswachstum nehmen menschliche Aktivitäten und Eingriffe in Ökosysteme zu. Aus dieser Entwicklung resultieren unbeabsichtigt Risiken sich ausbreitender oder neuer Infektionskrankheiten (Emerging Infectious Deseases). Der von Menschen ebenfalls unbeabsichtigt verursachte Klimawandel trägt zu dieser Entwicklung bei. Ca. zwei Drittel aller in Europa vorkommenden Pathogene, darunter zahlreiche Zoonosen, reagieren klimasensibel. Erwärmung begünstigt die Ausbreitung vieler Pathogene. In Europa nehmen daher Risiken potentiell gefährlicher Krankheiten zu (scinexx: Seuchenherd Europa?).


3 Entdeckungsgeschichte der COVID-19-Pandemie 
Um im Kontext der Corona-Pandemie strukturelle Zusammenhänge zwischen Typen politischer Systeme und dem Verhalten ihrer individuellen und korporativen Akteure zu identifizieren, ist die Chronologie der Entdeckung hilfreich.


3.1 Vermutungen über die Herkunft des Coronavirus
Gemäß aktuellem Stand startete die Corona-Pandemie in der Hauptstadt Wuhan der Provinz Hubei der Volksrepublik China, wo sie zunächst als schwere Lungenentzündung identifiziert wurde. Soweit sich Spuren zurückverfolgen lassen, breitete sich das Virus ab Dezember 2019 von einem Großhandelsmarkt für Fische und Meeresfrüchte der Stadt Wuhan aus, in der 8-11 Millionen Einwohner leben (genau weiß das niemand). Auf dem als primäre Quelle vermuteten Markt werden als Nahrungsmittel auch lebende und tote Wildtiere angeboten, u.a. Schlangen, Kaninchen, Fledermäuse.

Zunächst wurde vermutet, dass Fledermäuse Coronaviren über einen nicht identifizierten Zwischenwirt auf Menschen übertrugen.(24) Ende März 2020 wird angenommen, dass das Virus auch von einem Schuppentier stammen könnte. Schließlich wird vermutet, "dass es bei einer Doppelinfektion zu einer Rekombination gekommen ist und das Virus SARS-CoV-2 eine neue Chimäre aus diesen beiden früheren Viren ist" (Wikipedia: Ursprung COVID-19-Pandemie).(25)

Zwischen den USA und China entwickelt sich ein Schlagabtausch um die Herkunft des neuartigen Coronavirus. Ein in den USA verbreitetes Gerücht der vermuteten Herkunft des Virus kursiert inzwischen weltweit mit der Spekulation, dass das Virus aus dem wissenschaftlichen Forschungslabor Wuhan Institute of Virology entwichen sein könnte.(26)
Der Virologe Christian Drosten bringt weitere Tierarten als möglichen Zwischenwirt des Coronavirus Sars-CoV-2 ins Gespräch. Er erklärt in Interviews, das Coronavirus könnte vom Marderhund oder von einer Schleichkatze auf den Menschen übergesprungen sein. Diese Möglichkeiten seien aber bisher noch nicht untersucht worden.


3.2 Chronologie der (vor-)wissenschaftlichen Entdeckung des Virus und des politischen Versagens in China und in Österreich
  • Auftakt in der chinesischen Stadt Wuhan, Provinz Hubei(27)
    • Der erste bekannte COVID-19-Patient steckte sich am 17.November in Wuhan an. , ohne dass die Neuartigkeit der Lungenerkrankung zunächst erkannt wurde.
    • Im Laufe des Dezembers 2019 wurde in chinesischen Labors ein neuer SARS-Erreger identifiziert.
    • Trotz eines aufgrund von Vergangenheitserfahrungen installierten Seuchenfrühwarnsystems untersagten politisch kontrollierte Gesundheitsbehörden Medizinern und Labormitarbeitern die Kommunikation der Erkenntnisse. Über 40 Tage konnte sich der Erreger ungehindert in Wuhan und darüber hinaus ausbreiten. Aufgrund der Vertuschung werden mehr als 3000 Personen des medizinischen Personals in Wuhan infiziert.
    • Taiwanesische Ärzte erfuhren von chinesischen Ärzten, dass medizinisches Personal erkrankt war, jedoch Diagnosen vorsätzlich gefälscht und erkranktes Personal nicht aufgeklärt wurde sowie die Weitergabe von Informationen untersagt war.
    • Die Medizinerin Ai Fen schickte am 30. Dezember einen Laborbericht mit Diagnose an befreundete Kollegen. Ein Mitarbeiter der Parteiaufsicht verpflichtete Ai Fen zum Schweigen und forderte sie auf, informierte Kollegen ebenfalls zum Schweigen aufzufordern und dabei keine Spuren zu hinterlassen. Der Gesundheitsausschuss von Wuhan wies die Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen strikt an, keine Informationen über die Behandlung der Erkrankten herauszugeben.
    • Am 30. Dezember warnte der chinesische Arzt Li Wenliang Kollegen vor einem Virus, von dem er dachte, dass er SARS verursache.
    • Nach der Verbreitung der Warnung im Internet, wurden Li und weitere Kollegen von der Polizei vorgeladen und beschuldigt, mit „unwahren Behauptungen“ die „gesellschaftliche Ordnung ernsthaft gestört“ zu haben. Unter Androhung harter Strafen wurden die Mediziner zum Unterschreiben von Schweigepflichtserklärungen gezwungen.
      Am 31. Dezember erklärten die Behörden Wuhans, dass es keine Fälle von Mensch-zu-Mensch-Übertragung gegeben habe und dass kein medizinisches Personal angesteckt worden sei. Die Polizei von Wuhan gab am selben Tag eine Meldung heraus, dass acht Personen strafrechtlich belangt worden seien, weil sie online „Gerüchte“ über die Erkrankungswelle verbreitet hätten.
      Am 1. Januar 2020 berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua über angebliche „Falschmeldungen“ von Ärzten und bekräftigte, dass es keine Anzeichen für eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung der Erkrankung gebe
    • Erst am 30. Dezember erfuhr Gao Fu, oberster Seuchenbekämpfer Chinas, zufällig vom Ausbruch der Seuche in Wuhan. Gao Fu schlug Alarm und schickte am 31. Dezember eine Delegation von Fachleuten nach Wuhan. Chinesische Behörden und die WHO gingen davon aus, dass der Erreger der Infektion nicht oder nur sehr schwer von Mensch zu Mensch übertragbar sei.
    • Der Delegation wurden in Wuhan Informationen vorenthalten. Lokale Institutionen verharmlosten den Vorfall und erklärten wider besseren Wissens, dass es keine Hinweise für eine Übertragung von Mensch zu Mensch gäbe.
    • Taiwanesische Ärzte informierten die Regierung Taiwans, die am 31. Dezember 2019 die Weltgesundheitsorganisation (WHO) informierte.
    • Noch im Januar 2020 verhängte die Kommunistische Partei Chinas eine Pressesperre und befahl, Tests in Forschungseinrichtungen abzubrechen und Proben zu vernichten. Kanadische Aktivisten bemerkten, dass Beiträge, die in sozialen Netzwerken Chinas über die Erkrankung informierten, noch im Januar 2020 zensiert wurden.
    • Am 11. Januar 2020 veröffentlichte der chinesische Virologe Zhang Yongzhen eine Gensequenz des neuartigen Coronavirus in der US-amerikanischen DNA-Sequenzdatenbank GenBank. Zhangs Labor wurde am nächsten Tag ohne Angabe von Gründen geschlossen.
    • Bis zum 17. Januar 2020 verbot Wuhans Gesundheitsbehörde den Krankenhäusern eine vorschriftsmäßige Meldung von Lungenentzündungen unbekannten Ursprungs.
    • Am 18. Januar 2020 versammelten sich in Wuhan zahlreiche Familien für Feiern des chinesischen Neujahrsfestes.
  • 31. Dezember 2019
    Chinesische Behörden informieren das China-Büro der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass mehrere Personen an einer schweren Lungenentzündung erkrankt seien, als deren Ursache ein bis dahin unbekannter infektiöser Erreger vermutet wird. 
  • 7. Januar 2020
    Der leitende chinesische Virologe Xu Jianguo gibt bekannt, dass es sich bei dem Krankheitserreger um ein bis dahin unbekanntes Coronavirus handelt. 
  • 12. Januar 2020
    Vermutlich aufgrund Zhangs Veröffentlichung der Gensequenz in der GenBank vom 11. Januar schickt China erstmals Gensequenzen des Virus an die WHO.
  • 13. Januar 2020
    Die komplette Genomsequenz eines Isolats des neuen Coronavirus wird in der NCBI-GenBank hinterlegt (GenBank-Nummer MN908947) und veröffentlicht.
  • 16. Januar 2020
    Der Informationsdienst Wissenschaft publiziert, dass ein Team des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an der Charité unter Leitung des Virologen Professor Dr. Christian Drosten ein Nachweisverfahren für das Virus entwickelt und für die globale Nutzung veröffentlicht hat.(28,29)
    Christian Drosten ist Mitentdecker von SARS-CoV. Wenige Tage nach der Identifizierung gelang Christian Drosten zusammen mit Stephan Günther 2003 die Entwicklung eines diagnostischen Tests auf das Virus.
  • 20. Januar 2020
    Die chinesische Gesundheitskommission gibt bekannt, dass
    • eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung möglich sei, 
    • das Virus bisher im Sekret des Nasen- und Rachenraumes, im Sputum, im Stuhl, in der Tränenflüssigkeit und im Blut nachgewiesen wurde,
    • angenommen werde, dass sich das Virus durch Tröpfcheninfektion verbreite, 
    • dass eine Übertragung durch kontaminierte Objekte und durch Aerosole wahrscheinlich sei.(30) 
  • 23. Januar 2020
    China legt den politischen Schalter um, stellt Wuhan und später auch die Provinz Hubei unter Quarantäne und bekämpft die Ausbreitung des Virus mit drastischen Maßnahmen.(31)
  • 24. Januar 2020 
    Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht Empfehlungen notwendiger Hygienemaßnahmen zur Vermeidung einer Übertragung auf medizinisches Personal.
  • 28. Januar 2020
    Das Bayerische Gesundheitsministerium bestätigt eine erste Infektion in Deutschland eines 33-jähriger Mitarbeiters des Automobilzulieferers Webasto.
    Das Robert-Koch-Institut und die WHO veröffentlichen Empfehlungen zum Schutz der Allgemeinbevölkerung. 
  • 30. Januar 2020
    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ruft die internationale Gesundheitsnotlage aus.
  • 11. Februar 2020
    Die WHO benennt die durch das Virus verursachte Erkrankung als „COVID-19“ bzw. „Covid-19“ (für corona virus disease 2019). Am selben Tag schlägt die Coronavirus Study Group (CSG) des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) für das Virus die Bezeichnung SARS-CoV-2 vor (für severe acute respiratory syndrome coronavirus 2).
  • 18. Februar 2020
    Eine veröffentlichte Auswertung wissenschaftlicher Fachartikel kommt zu dem Ergebnis, dass alle Bevölkerungsgruppen infiziert werden können.(32) Auf Basis von Krankheitsverläufen in China werden anhand belastbarer demografischer Daten Risikogruppen für schwere Verläufe sowie deren Letalitätsraten identifiziert und in nachfolgenden Wochen international bestätigt und präzisiert.  
  • 23. Februar 2020
    2 Tage nach Bekanntwerden des ersten Falls in der Lombardei schränkt die italienische Regierung das öffentliche Leben in Norditalien ein. Die Bevölkerung nimmt zunächst wenig Notiz von den Einschränkungen.
  • 25. Februar 2020
    In Baden-Württemberg wird der erste Erkrankte bestätigt. Er hatte sich wahrscheinlich bei einer Italienreise in Mailand angesteckt.
  • 29. Februar
    Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als "mäßig" ein und in besonders betroffenen Gebieten als "regional hoch".
  • März 2020
    Epizentren der Corona-Pandemie verlagern sich nach Europa und in die USA. In Wuhan normalisiert sich allmählich das Leben.
  • 29. Februar - 17. März 2020: Ausbreitung des Corona-Virus im Tiroler Skigebiet Ischgl, durch die aus Ischgl zurückreisende Skitouristen das Virus in Europa verbreiten.(33,34)
    • 29. Februar 2020
      Eine Isländische Reisegruppe infiziert sich beim Skifahren In Ischgl
    • 5. März 2020
      Isländische Gesundheitsbehörden klassifizieren Ischgl als Risikogebiet. Die Namen der Betroffenen werden Tiroler Behörden übermittelt. 
    • 7. März 2020
      Ischgl meldet den ersten offiziellen Coronafall, ein deutscher Servicemitarbeiter der Après-Ski-Bar "Kitzloch", der sich vermutlich bei Gästen angesteckt hat.
    • 9. März 2020
      Es wird bekannt, dass der betroffene Mitarbeiter der Bar vermutlich 15 Personen seines Umfelds angesteckt hat.
    • 10. März 2020
      Die Landesregierung Tirol lässt das "Kitzloch" und weitere Après-Ski-Lokale schließen, spricht aber keine Quarantäne für Ischgl aus.
    • 12. März 2020
      Verkündung des vorzeitigen Saisonendes für Salzburg, Vorarlberg, Tirol. Der Skibetrieb läuft weiter.
    • 13.  März 2020
      Die Gemeinde Ischgl und weitere Gemeinden werden unter Quarantäne gestellt.
    • 15. März 2020
      Am Abend des Tages werden die Skilifte abgestellt. Die letzten Skitouristen reisen ab und verbreiten das Virus insbesondere in Bayern, Hamburg, Dänemark, Norwegen, den Niederlanden.(35)
    • 17. März 2020
      Der Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) erklärt am Abend im ORF: "Die Behörden haben alles richtig gemacht."
  • 9. März 2020
    Die italienische Regierung dehnt Einschränkungen auf ganz Italien aus.
  • 11. März 2020
    Die WHO erklärt die bisherige Epidemie offiziell zu einer Pandemie.
  • 13. März 2020
    Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert an die Bürger, „alle nicht notwendigen Veranstaltungen abzusagen und auf Sozialkontakte zu verzichten“. 
  • 17. März 2020
    Das RKI schätzt die Gefährdungseinschätzung für die Gesundheit der Bevölkerung als insgesamt „hoch“ und örtlich als „sehr hoch“ ein. Bayern und Baden-Württemberg verhängen ab dem 18. März 2020 Ausgangsbeschränkungen.
    20. März 2020
    Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlässt eine „Vorläufige Ausgangsbeschränkung“ mit Wirkung ab 21. März 2020.
  • 22. März 2020
    Bund und Länder beschließen ein „umfassendes Kontaktverbot“ ab dem 23. März 2020. Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe bleiben bis auf Ausnahmen geschlossen. Personen ist  der Aufenthalt im öffentlichen Raum „nur alleine oder mit einer weiteren Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet“.
  • 24. März 2020
    In China sind lt. Johns Hopkins University 81.553 Infizierte und 3.281 Tote registriert, davon 3.160 in der Provinz Hubei. In der restlichen Welt sind am Vormittag des Tages 301.091 Infektionen und 13.306 Tote gemeldet. Aufgrund der hohen Dunkelziffer dürften diese Zahlen nur die Spitze eines eher kleinen 'Eisbergs' markieren. Die großen Brocken befinden sich erst auf dem Weg zu uns.
  • 17. April 2020
    China korrigiert die Zahl der in Wuhan verstorbenen um 1.290 nach oben.
Datenreihen der Pandemie-Entwicklung dokumentiert der Post: Informationsquellen, Datenportale & Datenreihen zur Corona-Pandemie


4 Handlungsrahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie
Kapitel 4 betrachtet den abstrahierten Handlungsrahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, ehe sich Kapitel 5 der Realpolitik zuwendet.

Die COVID-19-Pandemie ist keiner jener Schwarzen Schwäne, als die Nassim Nicholas Taleb höchst seltene, völlig unwahrscheinliche Ereignisse bezeichnet, die nicht vorhersehbar sein.(36) Ereignisse, die zu einem gewissen Grad vorhersehbar, aber nicht exakt berechenbar sind, bezeichnet Taleb als Graue Schwäne. Die COVID-19-Pandemie ist ein solcher Grauer Schwan. Im Detail war diese Pandemie nicht prognostizierbar, aber sie tritt nicht überraschend wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf. Erst kürzlich vorausgegangene Pandemien ließen Experten auf das Gefahrenpotential hinweisen, sodass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und etliche Länder Katastrophenpläne erstellt haben.

Trotz aller Warnungen ist die Welt auf die COVID-19-Pandemie denkbar schlecht vorbereitet. Da Impfstoffe und kausal wirkende Medikamente bisher fehlen und Maßnahmen zur Eindämmung erst mit mehrwöchigen Verzögerungen und längst nicht immer konsequent einsetzten, ist eine Ausbreitung der Pandemie nicht aufzuhalten. Solange medizinische Interventionen fehlen, kommt die Pandemie nach Auffassung von Experten erst zum Stillstand, wenn ca. 2/3 der Bevölkerung gegen das Virus durch vorausgegangene Infektionen immun ist. Dabei ist diese Prognose noch optimistisch. Da das Virus aufgrund seiner schnellen Ausbreitung eine hohe Mutationsrate entwickelt, ist derzeit unsicher,
  • ob nach überstandener Infektion eine vollständige Immunität erreichbar ist
  • wie lange Immunität ggf. wirksam ist,
  • ob noch zu entwickelnde Impfstoffe und Medikamente erhoffte Wirkungen erzielen werden.(37)
Der renommierte australische Immunologe Ian Frazer erklärt in einem Interview mit The Australian Broadcasting Corporation (ABC), warum die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus extrem schwierig und keineswegs erfolgsversprechend ist, und dass wir uns von Immunität nach Infektion oder nach Impfung nicht zu viel versprechen sollten. Der deutsche Virologe Oliver Keppler bestätigte kürzlich in einem Interview: Den "Super-Impfstoff" gibt es vielleicht nie


4.1 Betroffene Kohorten der Bevölkerung
Die Corona-Pandemie strukturiert die Bevölkerung in 3 Haupt-Kohorten, deren Anteile aufgrund nicht ausreichender Test-Kapazität unsicher sind und auf Schätzungen beruhen.
  1. Nicht infizierte Menschen
  2. Menschen mit aktueller Virusinfektion; diese Kohorte gliedert sich in 3 Unter-Kohorten:
    1. Ohne Infektions-Symptome (ca. 20 %)
    2. Moderate und eher unauffällige Infektions-Symptome, keine Hospitalisierung notwendig (ca. 60 %)
    3. Starke Symptome, Hospitalisierung notwendig (ca. 20 %)
      Diese Kohorte gliedert sich in 3 Unter-Kohorten:
      1. Intensivmedizinische Behandlung ist nicht erforderlich (ca. 50% der Hospitalisierten)
      2. Intensivmedizinische Behandlung ist erforderlich (ca. 50 % der Hospitalisierten)
      3. Intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung notwendig (ca. 20-25 % der Hospitalisierten)
  3. Menschen, die nach überstandener Virusinfektion wahrscheinlich immun gegen Neuinfektionen mit dem Coronavirus sind.
Vergleichende Datenreihen dokumentiert der Post Informationsquellen, Datenportale & Datenreihen zur Corona-Pandemie. Die Qualität der Zahlen ist unsicher und wird in Medien immer wieder angezweifelt. Bezüglich der Fallzahlen ist zu beachten:
  • Die Anzahl Infizierter besagt nichts über die Gefährlichkeit der Infektion. 
  • Die Anzahl der Todesfälle besagt lediglich, dass Verstorbene positiv auf das Virus getestet wurden, aber nicht, dass sie an der Virusinfektion verstorben sind!(38)
  • Wissenschaftler der Uni Göttingen vermuten aufgrund von Modellrechnungen, dass zum 31. März 2020 in Deutschland ca. 15 % der Infektionen erfasst wurden und "weltweit bislang im Durchschnitt nur etwa sechs Prozent aller Infektionen nachgewiesen wurden."(39)
Eine Bewertung der Zahlen lässt sich nicht aus den Zahlen ableiten, sondern bedarf zusätzlicher Informationen, die in gemeldeten Fallzahlen nicht enthalten sind.(40) Allerdings erlaubt der aktuelle Informationsstand selbst nahe am Geschehen arbeitenden Experten keine belastbaren Bewertungen. Aussagekräftiger als absolute Fallzahlen ist die Verdopplungszeit der Ausbreitung und deren Veränderung über Zeit.(41)

Stärker beachtet ist der Reproduktionsfaktor "R", zu verstehen als Ansteckungsfaktor, der die Anzahl der Personen angibt, die ein Inifizierter durchschnittlich ansteckt. Zu Beginn der Ausbreitung lag "R" in Deutschland bei 3,0 und wird am 10.04.2020 mit 1,1 angegeben. Bei dem Wert 1 hat sich die Anzahl der Neuinfektionen stabilisiert. Bei einem Wert < 1 ist die Anzahl der Neuinfektionen rückläufig. Lt. Berechnungen des Helmholtz-Zentrums würde ein Wert um 1 eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden. "Um R im Bereich von 1 zu halten, müssten die Kontaktbeschränkungen jedoch mehrere Jahre andauern."(42)

Seit Mai 2020 rückt mit dem Dispersionsfaktor k ein für Laien nicht leicht verständlicher Streuparameter der Epidemiologie in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Kai Kupferschmidt, Molekularbiomediziner und Wissenschaftsjournalist erklärt die Bedeutung des Dispersionsfaktors.(43) 

Als politische Entscheidungsgrundlage ist jedoch jede Kennzahl fragwürdig, solange die Datenbasis unsicher ist. Solange bleibt ebenfalls die Einordnung der Gefährlichkeit des Virus strittig.(44) Valide Bewertungen erfordern methodisch kontrollierte Untersuchungen, die bisher noch nicht stattfinden konnten und jetzt erst allmählich anlaufen. Kurzfristig können nur solide Stichproben mit Repräsentativcharakter die Entscheidungssicherheit erhöhen.


4.2 Randbedingungen
Handlungsoptionen des politischen Managements der Pandemie sind abhängig von verfügbaren und erreichbaren Bedingungen des Gesundheitssystems sowie der generellen staatlichen Politik bezüglich öffentlicher Güter.
  • Kausal wirkende Medikamente und Impfungen
    fehlen aktuell und befinden sich in der Entwicklung. Eine Verfügbarkeit für breiten Einsatz ist nicht vor 2021 zu erwarten.
  • Testverfahren(45)
    • Verfahren des Infektionstests
      bestehen, aber das Niveau von Test-Kapazitäten und Test-Organisationen ist von Land zu Land sehr unterschiedlich und generell nicht ausreichend. Außerdem ist der Zeitraum vom Test bis zum Vorliegen von Ergebnissen zu groß. Die Sicherheit verfügbarer Schnelltests ist nicht ausreichend.
      Anstrengungen zur  Ausweitung von Test-Kapazitäten mit entsprechenden Organisationen variieren von Land zu Land. Schnelltests mit hoher Sicherheit sind voraussichtlich im 2. Quartal 2020 einsetzbar.
    • Verfahren des Antikörpertests
      sind zur Zeit teuer, zeitaufwendig und teilweise unsicher. Erst mit praktikablen Antikörpertests ist das Fortschreiten der Pandemie realistisch zu beurteilen. Da Antikörpertest immune Personen identifizieren, erlauben Antikörpertests eine baldige personelle Entlastungen und allmähliche Aufhebung von Einschränkungen. Aktuell sind verfügbare Antikörpertest weitgehend unbrauchbar.(46) Im 2. Quartal 2020 werden voraussichtlich praktikable Antikörpertest zur Verfügung stehen.(47) 
  • Kapazität und Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems
    • Ressourcen Sachmittel
      Hinsichtlich der Ausstattung mit Klinikbetten, Betten für intensivmedizinische Betreuung und Beatmungsgeräte ist Deutschland im internationalen Vergleich relativ gut, aber voraussichtlich nicht ausreichend ausgestattet. 
    • Personal-Ressourcen
      Größer sind Engpässe des medizinischen Personals und des Pflegepersonals. Da dieses Personal von Infektionen nicht verschont bleibt, sind diese Ressourcen für eine effiziente Bekämpfung der Pandemie besonders kritisch. 
  • Politik öffentlicher Güter
    In Deutschland gelten das Gesundheitssystem und soziale Absicherungen als öffentliche Güter bzw. als sozialpolitische Verpflichtung zur Beteiligung der Bevölkerung am Wohlstand, weshalb die Bereitstellung angemessener Grundversorgungen zum politischen Aufgabenkatalog zählt. Über den notwendigen Umfang öffentlicher Güter und eine hinreichende Angemessenheit von Leistungskatalogen kann man selbstverständlich streiten. Deutlich werden Unterschiede im internationalen Vergleich.
    • In föderalistisch organisierten Demokratien sind öffentliche Güter landesweit harmonischer verteilt als in zentralistisch organisierten Demokratien.
    • In liberalistisch-marktwirtschaftlich ausgerichteten politischen Systeme stützen und schützen öffentliche Güter vor allem den ökonomischen Markt. Individuelle Versorgung, Erfolg und Wohlstand gelten primär als private Aufgabe, während staatliche Versorgungssysteme als Motivation verhindernde Fehlsteuerungen betrachtet werden.
    • Autokratische Systeme verschärfen die Sichtweise liberalistisch-marktwirtschaftlicher Systeme.
    • Entwicklungsländer verfügen über ein geringeres Wohlstandsniveau als Industrieländer. Die Versorgung mit öffentlichen Gütern ist vergleichsweise unterentwickelt und in Autokratien besonders defizitär.

4.3 Szenarien der Corona-Pandemie 
Aktuell ist der Worst case alternativlos. Aussichten auf günstigere Szenarien sind nicht ohne Hoffnung, aber zeitlich ungewiss.(48)
  1. Der Worst case ist zwar aktuell alternativlos, aber nicht ohne Handlungsoptionen:
    1. Notgedrungener Verzicht auf Gesundheits- und Katastrophen-Management in Entwicklungsländern oder ein politisch gewollter Verzicht in Autokratien. Während in Deutschland auf 100.000 Einwohner 400 Ärzte kommen, sind es z.B. in Libera 4 Ärzte. In Deutschland stehen für 1000 Einwohner 13,8 Krankenhausbetten zur Verfügung (ohne ausreichendes Personal un Schutzausrüstung!). Dagegen bestehen in afrikanischen und in etlichen asiatischen Ländern weniger als 2 Krankenhausbetten je 1000 Einwohner.(49) Zusätzlich bestehen extreme Mängel an technischer Ausstattung, Schutzausrüstung, Medikamenten und Personal.
    2. Unkontrollierte Herdenimmunität durch weitgehenden Verzicht auf Katastrophen-Management mit dem Ziel, Einbrüche der Ökonomie und Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens zu vermeiden.
    3. Geplantes Gesundheits- und Risiko-Management mit Shutdown öffentlicher und privater Aktivitäten; da durch schnelle Ausbreitung der Pandemie eine Überlastung des Gesundheitssystems mit hohen Todeszahlen droht, zielen Maßnahmen auf eine Verlangsamung der Ausbreitung ab, durch die eventuell ein Einsatz von derzeit sich in der Entwicklung befindenden Medikamenten möglich wird, ehe 2/3 der Bevölkerung infiziert ist. 
  2. Der Moderate Case (Südkorea-Modell) bedeutet:
    Verzicht auf Shutdown und Aufrechterhaltung von Produktion und Dienstleistungen durch Maßnahmen der Eindämmung; schnell auszuwertende Massentest erlauben eine engmaschige Identifizierung und Kontrolle der Kohorten infizierter Personen, die zu isolieren sind und zu überwachen sind. Nach überwundener Infektionen immune Personen kompensieren durch Infektionen verursachte Ausfälle. Der Einfluss der Pandemie auf das öffentliche und das private Leben wird minimiert und ein kontrollierter fließender Übergang zwischen Beschränkungen und Lockerung realisiert.
    Der Moderate Case ist aktuell nicht realisierbar, weil Infektionstests nur eingeschränkt verfügbar sind, Schnelltests unsicher sind und sichere, praktikable Antikörpertests derzeit fehlen. Verbesserte Schnelltests und Antikörpertests werden voraussichtlich bald zur Verfügung stehen. Die Entwicklung einer leistungsfähigen Testorganisation muss politisch beauftragt werden und befindet sich in Deutschland im Aufbau.(50)
  3. Der Best case ist erst mittel- bis langfristig umsetzbar:
    Der Einsatz kausal wirksamer Medikamente und Impfungen ist voraussichtlich in 2020 nicht realisierbar. Ob im Folgejahr Mittel generell und in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, ist unsicher. In der Zwischenzeit sollte der Moderate Case mit großer Anstrengung zum 'Goldstandard' entwickelt werden. 

4.4 Pandemie-Planung
Nach Pandemien der vergangenen Jahrzehnte bestand weltweit politischer Wille zur Vorbereitung auf die nächste Influenza-Pandemie, die inzwischen mit der aktuellen Corona-Pandemie eingetroffen ist. Neben dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichten Pandemieplan Pandemic Influenza Risk Management (PDF) sind in einer Reihe von Ländern (längst nicht in allen!) weitere nationale Pandemiepläne erarbeitet worden.(51) Aktuelle Pläne (ab 2014 oder jünger) bestehen in 17 Ländern, von denen 9 Länder in Europa liegen, u.a. Deutschland. Deutsche Pandemiepläne wurden in den Jahren 2016 (Teil II) und 2017 (Teil I) erarbeitet. Darüber hinaus bestehen in Deutschland ergänzende Pandemiepläne der Bundesländer.


4.5 Modellierung von Pandemie-Strategien
Eine zur Zeit noch unsichere Datenlage muss mit vagen Annahmen operieren, bei der wissenschaftliche Evidenz gering ist. Simulationen mit Modellrechnungen am Imperial College London zeigen, wie sich bestimmte Maßnahmen auf die Infektionsraten und Krankenhauseinlieferungen in Großbritannien und den USA auswirken. Durchgerechnet wurden 4 Modelle, die ähnlich auch für andere Länder gelten.(52,53)


4.5.1 Herdenimmunität durch Nichtstun erzielen
Ohne regulatorische Maßnahmen verbreitet sich das Virus exponentiell. Die Zahl der Behandlungsfälle übersteigt die Kapazität des Gesundheitssystems um ein Vielfaches. In den USA sind bis zu 2 Millionen Todesfälle zu erwarten.


4.5.2 Flatten the Curve - Dehnung
Die zeitliche Dehnung der Epidemie mittels Aufklärung, Hygieneregeln, Verbot öffentlicher Großveranstaltungen, Kontaktreduzierung, Isolation von Verdachtsfällen, Quarantäne Infizierter etc. orientiert sich an Kapazitäten des Gesundheitssystems und spekuliert mit Zeitgewinn bis zur Verfügbarkeit medizinischer Intervention. Hier ist Wunschdenken zu erkennen.

Wenn es bei Kombination mehrerer
 Maßnahmen erfolgreich gelänge, die Verlaufskurve unter Kapazitätsgrenzen des
 Gesundheitssystems zu halten, hat sich in der Bevölkerung kaum Immunität gegen das
 Virus gebildet, sodass sich mit Beendigung von Maßnahmen erneut Infektionen ausbreiten und Probleme nur verschoben würden. Günstigenfalls können in der gewonnenen Zeit Medikamente entwickelt, Bettenkapazitäten ausgebaut und Material beschafft werden. Betten alleine würden jedoch ohne Ausbau von medizinischem Fachpersonal nur wenig bewirken. Ein Aufbau medizinischer Kompetenz wäre nur über Zeiträume möglich, die realistisch nicht zu überstehen sind. Dass medizinische Interventionen innerhalb der nächsten 12 Monate flächendeckend zur Verfügung stehen, gilt als wenig wahrscheinlich.


4.5.3 Lockdown (Eindämmung bzw. Suppression oder Unterdrückung) durch vollständige Kontaktverbote
Diese in Südkorea, Singapur, Thailand und Vietnam verfolgte Strategie des temporären Lockdown schiebt das volle Ausmaß der Epidemie ebenfalls nur auf. Wirksamkeit erreicht ein Lockdown nur, wenn er weltweit synchron stattfindet und so lange besteht, bis die Krankheit durch kausal wirksame Medikamente oder durch Prävention (Impfung) unter Kontrolle gebracht werden kann, was voraussichtlich nicht innerhalb der nächsten 12 Monate der Fall sein wird. Dass ein Lockdown kontinuierlich über 12 Monate oder länger durchgehalten werden kann, ist eher unwahrscheinlich.


Unter der Voraussetzung, dass Testverfahren im notwendigen Umfang etabliert sind, die Identifizierung von Infektionsketten gelingt und Infizierte isoliert werden können, ist ein Szenario mit mehreren Infektionswellen wahrscheinlicher. Nach Stillstand der Ausbreitung durch Lockdown kehrt das Virus mit Aufhebung des Lockdown zurück und löst eine erneute Infektionswelle aus, die wiederum ein Lockdown erfordert. Dieses Muster wiederholt sich solange, bis ca. 60 % - 70 % der Bevölkerung nach überlebter Infektion immun sind.

Modellrechnungen erwarten, dass dieser Prozess mit mehreren Infektionswellen erst nach ca. 2 Jahren beendet ist und bis dahin Millionen von Menschen verstorben sind. Größenordnungen wirtschaftlicher, sozialer und gesundheitlicher Folgen sind nicht realistisch prognostizierbar, aber sie werden vermutlich in der Geschichte der Menschheit einzigartig apokalyptisch ausfallen. Die Frage, wie und ob der Prozess über den gesamten Zeitraum unter Kontrolle zu halten ist, lässt sich heute nicht beantworten.


4.5.4 Hammer und Tanz - Unterdrückung durch Lockdown mit nachfolgender Steuerung der Fallzahlen in kleinen Wellen
Tomas Pueyo: Der Hammer und der Tanz
Da bis auf Südkorea, Singapur, Thailand und Vietnam alle Länder bei der Ausbreitung der Infektion wertvolle Zeit verloren haben, verspricht eine von Tomas Pueyo formulierte Strategie mit der Bezeichnung Hammer und Tanz (Hammer and Dance) derzeit die größten Erfolgsaussichten bei gleichzeitiger Minimierung von Folgeproblemen für Wirtschaft, soziales Leben und individuelle Gesundheit, wobei die Folgeprobleme vermutlich noch immer gewaltig sein werden.(54) Die deutsche Bundesregierung begibt sich mit einem Strategiepapier auf den Weg in Richtung dieser Strategie.(55)

Die Bezeichnung Hammer besagt, dass der erste Lockdown mit weitreichenden Maßnahmen aufgrund der verlorenen Zeit besonders hart ausfällt. Wenn nach dem Hammer die Verbreitungsrate der Infektion stark reduziert, d.h. die Verdopplungszeit von Infektionsraten und die Reproduktionsrate ausreichend gesunken sind, können nach 4-5 Monaten Maßnahmen stufenweise gelockert werden. Sobald Infektionen gefährlich ansteigen, sind erneute Maßnahmen temporär erforderlich, bis sie ausreichende Wirkung zeigen. Dieses Vordringen und Zurückweichen von Infektionswellen (Dance) verläuft in kleineren Wellen solange wie notwendig. Je nach Grad der Durchseuchung der Bevölkerung lassen sich Maßnahmen auch regional anziehen oder lockern.

Die Höhe von Hürden der Voraussetzungen sind jedoch nicht zu unterschätzen:
  • Bewältigung von Organisationsanforderungen,

  • Verfügbarkeit von Personalressourcen mit notwendigen Skills, 
  • Bereitstellung umfangreicher Testverfahren inkl. Antikörpertests, 
  • konsequente Verfolgung von Infektionsketten,
    konsequente Isolierung von Verdachts- und Infektionsfällen,

  • Erhebung und Auswertung realistischer Kennzahlen als Grundlage von Entscheidungen, 
  • internationaler Informations- und Erfahungsaustausch,

  • internationale Zusammenarbeit von Expertengremien. 

Keine andere Strategie erreicht in Summe die Vorteile dieser Strategie:
  • Öffentliches Leben findet nach dem Hammer mit Eingeschränkungen weiter statt. 
  • Folgeprobleme eines harten Lockdown werden weitreichend reduziert. 
  • Kapazitätsgrenzen von Intensivbetten werden nicht überschritten.
  • Die Kapazität der gesundheitlichen Versorgung kann je nach Bedarf ausgebaut werden.
  • Todesfälle werden reduziert. 
  • Ab der zweiten Welle sind bereits etliche Menschen immunisiert und können risikolos leben und arbeiten.
  • Eine Herdenimmunität wird sukzessive mit reduzierten Risiken erreicht.

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Anmerkungen
  1. Soziologie untersucht Interaktionen, Abhängigkeiten, Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Sozialstrukturen einerseits und dem Verhalten individueller Akteure sowie dem Handeln korporativer oder kollektiver Akteure andererseits. Gegenstände soziologischer Erklärungen sind Abstraktionen unanschaulicher Sozialstrukturen und kaum anschaulicherer sozialer Tatbestände (abstrakte Sachverhalte wie z.B. Normen, Werte, Sitten, Gebräuche, Traditionen etc.), die unabhängig von Einzelpersonen bestehen und sich ihrer Kontrolle entziehen, aber Denken und Verhalten von Personen unbewusst steuern oder beeinflussen. Dass unser Denken und Verhalten von Sachverhalten beherrscht ist, die sich mangels Anschaulichkeit dem Alltagsdenken und der individuellen Wahrnehmung entziehen, macht Soziologie als Wissenschaft spannend, aber auch schnell angreifbar, weil qualitative Aussagen zu beobachtbaren empirischen Daten auf Deutungen beruhen, die nicht beobachtbare gedankliche Konstrukte erfordern. Unsicherheiten bewirken per Saldo in öffentlicher Wahrnehmung eine Marginalisierung soziologischer Wissenschaft.
  2. Aspekte von Kognitionen und mentalen Prozessen betrachtet der Post: Architektur von Erinnerung, Wissen, Wahrheit
  3. Wikipedia: Liste von Epedmien und Pandemien
  4. Die Sterblichkeitsrate infizierter Menschen scheint niedriger zu sein als bei SARS (ca. 10 %). Belastbare Aussagen sind aktuell nicht möglich. Unter günstigen Bedingungen scheint eine Sterblichkeitsrate um 2 % wahrscheinlich zu sein.
  5. Informationen des Robert Koch-Instituts zum neuartigen Coronavirus: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)
  6. Quarks: Coronavirus: Das wissen wir - und das nicht
  7.  Von der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, gemeldete Echtzeit-Fallzahlen stammen aus verschiedenen Quellen und werden zeitnah in einem interaktiven Dashboard konsolidiert: Interaktive Dashboard des Coronavirus Resource Center 
  8. In Deutschland ist das Robert Koch-Institut die zentrale Einrichtung der öffentlichen Gesundheitspflege. Das Institut informiert auf seiner Webseite aktuell über alle relevanten Themen der Ausbreitung: RKI COVID-19. Außerdem stellt das RKI Fallzahlen ebenfalls in einem Dashboard analog der Johns Hopkins University zusammen. Die vom RKI veröffentlichten Fallzahlen werden von Gesundheitsämtern gemeldet und im Dashboard auf Bundesländer und Landkreise heruntergebrochen. Die Aktualisierung der Daten erfolgt täglich am Morgen auf Basis der Daten von 00:00 Uhr. Während der Woche werden Fallzahlen mit ca. einem Tag zeitlicher Verzögerung gemeldet. Da viele Gesundheitsämter an Wochenenden keine Fallzahlen melden, werden Zahlen des Wochendes mit 2-3 Tagen Verzögerung veröffentlicht, was zu Verzerrungen in der Darstellung führt: RKI COVID-19 Dashboard 
  9. Bei allen veröffentlichten Fallzahlen ist zu beachten, dass es sich um gemeldete und bestätigte Fallzahlen handelt. Aufgrund der wahrscheinlich hohen Dunkelziffer sind tatsächliche Fallzahlen wesentlich höher anzusetzen.
  10. scinexx Dossier: Wann kommt die nächste Pandemie?
  11. Bericht des Nonprofit-Medienunternehmens Ensia, betrieben vom multidisziplinären Institut für Umwelt (IonE) an der Universität von Minnesota: Destroyed Habitat Creates the Perfect Conditions for Coronavirus to Emerge
  12. Zeit: Interview mit dem renommierten britischen medizinischen Forscher Jeremy Farrar: "Es werden dunkle Tage kommen, auch wenn die zweite Welle ausbleibt"
  13. Die Problematik unbeabsichtigter Folgen zweckbestimmter Handlungen und den im evolutionären Prozess zunehmenden Verlust der Kontrolle über unbeabsichtigte Folgen betrachtet der Post Evolution, kognitive Revolution und die Folgen.
  14. bpb: Corona-Krise: Wie hängen Pandemie, Umweltzerstörung und Klimawandel zusammen?
  15. FAZ, 3.05.2020: Leben im Anthropzän: Die Pandemie ist kein Überfall von Außerirdischen 
  16. Wikipedia: Boomer remover
  17. Der US-amerikanische Gesellschaftswissenschaftler Mancur Olson (1932-1998) hat mit seinem Werk Die Logik des kollektiven Handelns (1965) auf Problematiken öffentlicher Güter aufmerksam gemacht und eine breite Diskussion über Kollektivgüter und kollektives Handeln ausgelöst. - Philip Plickert in der FAZ über Mancur Olson: Der Abstieg der Nationen
  18. Robert Koch-Institut: Influenza-Wochenbericht KW 11/2020 (7.3. bis 13.03.2020) (PDF)
  19. Jürgen Osterhammel: „Die Verwandlung der Welt“. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. Verlag C. H. Beck, München 2009.
  20. Wikipedia: Kritik Bertelsmann Stiftung
  21. Wikipedia: Kritik Bertelsmann Transformations Index 
  22. Übersichten des Portal Our World in Data: Life Expectancy
  23. Übersichten des Portal Our World in Data: World Population Growth
  24. Rätsel der Übertragungswege: Der Erreger, dessen Übertragungsweg die Mediziner nicht verstehen
  25. Science alert 24. März 2020: Alexandre Hassanin: Coronavirus Could Be a ‘Chimera’ of Two Different Viruses, Genome Analysis Suggests
  26. Tagesspiegel: Ursprung des Coronavirus in Labor in Wuhan?
  27. FAZ, 23.03.2020: Erst vertuscht und dann bekämpft
  28. Pressemitteilung Deutsches Zentrum für Infektionsforschung: 16.01.2020: Erster Test für das neuartige Choronavirus in China ist entwickelt 
  29. Karola Neubert: Erster Test für das neuartige Coronavirus in China ist entwickelt
  30. Wikipedia: Nachweismethoden
  31. China Media Project: The Truth About "Dramatic Action"
  32. Zhangkai J. Cheng, Jing Shan: 2019 Novel coronavirus: where we are and what we know
  33. SZ: Ischgl und das Coronavirus: Chronologie des Versagens 
  34. Wikipedia: COVID-19-Pandemie in Österreich
  35. Vom vorzeitigen Ende der Skisaison sind u.a. unsere Nachbarn betroffen. Vorab für 1.200 € erstandene Skipässe werden mit dem Hinweis auf 'höhere Gewalt' nicht erstattet. Total normal? 
  36. Nassim Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse, (Originaltitel: The Black Swan, übersetzt von Ingrid Proß-Gill). Hanser, München 2008
  37. Übersichtsartikel zu COVID-19:
  38. Ein Artikel über Todesfallzahlen verweist auf Probleme von Deutungen empirischer Daten: Zahlen, bitte! 3,4 % Coronavirus-Fallsterblichkeit, eine "false number"? Etwas Pandemie-Statisitik
  39. News Uni Göttingen: In Deutschland werden nur 15 % der SARS-CoV-19 Infektionen erkannt
  40. Deutschlandfunk: COVID-19: Reproduktionszahl, Verdopplungszeit, freie Intensivbetten: Was Kennzahlen zum Coronavirus aussagen  
  41. Täglich aktualisierte Verdopplungsrate der Infektionen pro Land in den jeweils letzten 5 Tagen im Vergleich zu 5 Tagen zuvor: Tempo der Ausbreitung von COVID-19 (Verlinkung aus Wikipedia: COVID-19-Pandemie)
  42. Spiegel: Das Mysterium um die Ansteckungsrate
  43. Kai Kupferschmidt in der ZEIT, 29.05.2020: Jeder könnte ein Superspreader sein 
  44. Spiegel: Überschlagsrechungen zum Coronavirus: Was uns die Zahl der Toten verrät
  45. Tagesschau zur Situation in Deutschland Ende März 2020: Welche und wie viele Tests gibt es?
  46. Spiegel: Viele Corona-Antikörpertests liefern falsche Ergebnisse
  47. Deutschlandfunk zur Situation in Deutschland Ende März 2020: Deutschland will im großen Stil testen, wie viele Menschen nach Corona-Infektion immun gegen das Virus sind
  48. Tagesschau: Mit effizientem Testen zum "Best Case"
  49. index mundi: Ländervergleich Krankenhausbetten pro Einwohner
  50. Tagesschau: Südkorea als Vorbild?
  51. Robert Koch-Institut: Influenza-Pandemieplanung 
  52. Modellrechnungen am Imperial College London: 

  53. Quarks: Darum ist die Corona-Pandemie nicht in wenigen Wochen vorbei
  54. Tomas Pueyo zur Strategie Hammer und Tanz
  55. taz: Schockwirkung erwünscht

Anhang 1: Influenza-Epedemie Deutschland 2019/2020 - wöchentliche Veränderungen
Robert Koch-Instiut: Wochenberichte Arbeitsgemeinschaft Influenza
Woche               Neue Fälle    Ʃ Infektionen       Δ       - Ʃ Hospitalisierte     - Ʃ Tote
KW11                        17.241             165.036    13,8%                     23.646            265
KW12                        11.973             177.009      7,3%                     26.551            323
KW13                          3.528             181.912      2,8%                     29.105            377
KW14                          1.232             183.531      0,9%                     29.365            411

Kommentare des Epidemiologischen Bulletin 16/2020 des RKI vom 9. April 2020:
Erste Ergebnisse zum Verlauf der Grippewelle in der Saison 2019/20: Mit 11 Wochen vergleichsweise kürzere Dauer und eine moderate Anzahl an Influenza-bedingten Arztbesuchen (PDF)

"Die Grippewelle in Deutschland ist nach Definition derArbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) in der 12. Kalenderwoche (KW) 2020 zu Ende gegangen. Sie hatte in der 2. KW begonnen und war mit einer Dauervon 11 Wochen kürzer als in den letzten fünf Saisons (13 – 15 Wochen). Im Verlauf zirkulierten, vergleichbar mit der Saison 2018/19, hauptsächlich Viren der bei-den Influenza-A-Subtypen, A(H3N2) (45 %) und A(H1N1)pdm09 (41 %). Anders als in der Vorsaison sind in 2019/20 zusätzlich auch 14 % Influenza-B-Viren der Victorialinie detektiert worden."

"In der vergleichenden Betrachtung der Grippewellen der letzten drei Saisons ist für 2020 das schnelle Abklingen der Influenzaaktivität und eine um mindestens zwei Wochen kürzere Dauer der Grippewelle auffällig. Zu dieser Verkürzung, die sich auch in dem abrupten Rückgang der ARE-Raten in der Bevölkerung bei GrippeWeb zeigte, dürften die bundesweiten Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsamung der COVID-19-Pandemie in Deutschland erheblich beigetragen haben."

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